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außen Unmut

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NDR Info Das Forum 05.11.2016 /19.20-19.50 Uhr<br />

STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN<br />

06.11.2016 /12.30-13.00 Uhr<br />

Andreas Flocken<br />

E-Mail: streitkraefte@ndr.de<br />

www.ndr.de/streitkraefte<br />

Inhalt:<br />

<br />

<br />

<br />

Fachoffiziere der Bundeswehr – Laufbahn als Sackgasse?<br />

Hilflose Supermacht? Außen- und sicherheitspolitische Bilanz von US-Präsident<br />

Obama. Interview mit Professor Hans Joachim Giessmann, Berghof Foundation<br />

Immer wichtiger, trotzdem vernachlässigt? Internationale Polizeimissionen im<br />

Schatten von Militäreinsätzen<br />

Zur Verfügung gestellt vom NDR<br />

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur<br />

für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere<br />

Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in<br />

der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung)<br />

ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung<br />

für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.<br />

Willkommen zu einer neuen Ausgabe der Sendereihe Streitkräfte und Strategien,<br />

am Mikrofon begrüßt Sie Andreas Flocken. Ein Blick auf unsere Themen:<br />

- Fachoffizier in der Bundeswehr - Laufbahn als Karriere-Sackgasse?<br />

- Hilflose Supermacht? Die <strong>außen</strong>- und sicherheitspolitische Bilanz<br />

von US-Präsident Obama, hierzu ein Interview. Und:<br />

- Immer wichtiger, trotzdem vernachlässigt? Internationale Polizeimissionen<br />

im Schatten von Militäreinsätzen<br />

Die Bundeswehr will attraktiv sein, sucht händeringend geeignete Bewerberinnen<br />

und Bewerber. Nicht ohne Grund haben die Streitkräfte jetzt im Internet,<br />

genauer bei Youtube, die Reihe „Die Rekruten“ gestartet. Karriere machen bei<br />

der Bundeswehr – kein Problem, so stellen sich die Streitkräfte gerne nach <strong>außen</strong><br />

dar. Aber stimmt das auch? Die Bundeswehr hat rund 35.000 Offiziere,<br />

also Führungskräfte. Knapp ein Drittel davon sind sogenannte Fachoffiziere.<br />

Ohne sie geht nicht viel in der Truppe. Trotzdem sind die Aufstiegschancen der<br />

Fachoffiziere sehr begrenzt. Und das sorgt bei manchem Betroffenen für <strong>Unmut</strong>.<br />

Julia Weigelt zum Problem:


Manuskript Julia Weigelt<br />

„Sie werden wie Offiziere aussehen, aber nicht zu ihnen gehören", wird ein Kapitänleutnant<br />

1969 im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL zitiert. Seit fast einem<br />

halben Jahrhundert können sich begabte Unteroffiziere der Bundeswehr<br />

zum Fachoffizier hocharbeiten. 1969 machte dies die geänderte Soldatenlaufbahnverordnung<br />

möglich und erzeugte damit einen Aufschrei unter statusbewussten<br />

Truppenoffizieren. Im SPIEGEL bezweifelten sie damals die „Kasinofähigkeit"<br />

der Aufsteiger. Die Angst ging um vor einer „Proletarisierung des<br />

Offizierskorps“. Ein Oberleutnant sagt den Journalisten 1969 – Zitat -: „Ich<br />

kann mir nicht vorstellen, der Frau eines emporgekommenen Unteroffiziers<br />

oder Feldwebels die Hand zu küssen. Die hat doch gar nicht das Format."<br />

Doch solche Einstellungen konnten die Einführung von Fachoffizieren in der<br />

Bundeswehr nicht verhindern. Offiziell heißen sie „Offiziere für den militärfachlichen<br />

Dienst“. In der Bundeswehr werden sie als Spezialisten eingesetzt: etwa<br />

bei der Rüstungs-, Logistik- und Personalplanung, der Materialerprobung oder<br />

bei der Flugsicherung. Ob als Informatiker, Fahrschulleiter oder im Flugplatzkontrolldienst<br />

– auf die erfahrenen Experten kann die Bundeswehr schon lange<br />

nicht mehr verzichten.<br />

Doch wer glaubt, der Standesdünkel von damals sei inzwischen lange passé,<br />

der irrt sich leider. Denn solche Ansichten sind auch in der Bundeswehr des 21.<br />

Jahrhunderts noch verbreitet, berichtet Hauptmann Ralf Fischer. Seinen richtigen<br />

Namen will er nicht im Radio hören, weil er Nachteile und den Zorn seiner<br />

Vorgesetzten fürchtet. Der heutige Fachdienstoffizier fing 1988 als Mannschaftssoldat<br />

bei der Bundeswehr an, schlug später die Feldwebellaufbahn ein<br />

und wurde im Jahr 2000 Fachoffizier im Sanitätsdienst. Doch für manche Truppenoffiziere<br />

bleibt Fischer ein Offizier zweiter Klasse, wie er berichtet. Seine<br />

Aussagen haben wir nachgesprochen:<br />

O-Ton Ralf Fischer (nachgesprochen)<br />

„Auf einem Lehrgang haben sie mal zu mir gesagt, ich sei ein<br />

,Treppenstufenoffizier´. Das bedeutet, sie haben mich aus dem Unteroffizierheim<br />

praktisch rausgeschmissen und lassen mich ins Offizierkasino nicht<br />

rein. Ich muss also auf der Treppe stehenbleiben.“<br />

2


Fischer will diese unkameradschaftlichen Standesdünkel öffentlich machen. Er<br />

sitzt dabei zwischen allen Stühlen. Denn auch die Unteroffiziere und Feldwebel<br />

reagieren nicht immer freudig auf Fischers Beförderung in den Offiziersstand:<br />

O-Ton Ralf Fischer (nachgesprochen)<br />

„Manche Feldwebel sind der Meinung, Fachoffiziere seien Laufbahnverräter,<br />

die sich für Geld das Rückgrat haben rausnehmen lassen.“<br />

Mangelnder Respekt von oben, Häme von unten – ein solches Arbeitsklima<br />

macht den 49-Jährigen traurig und wütend. Im Laufe seiner Karriere hat der<br />

engagierte Berufssoldat mehrere Abschlüsse gemacht, sein Wissen stetig erweitert.<br />

Und doch fühlt er sich bei der Dienstpostenvergabe ausgebremst. Die<br />

Stimmungslage in der Bundeswehr mit Blick auf Fachoffiziere fasst er so zusammen:<br />

O-Ton Ralf Fischer (nachgesprochen)<br />

„Man nimmt es hin, dass es dich gibt, ist aber wenig erfreut.“<br />

Wenig erfreut – und wenig motiviert, die „Emporkömmlinge“ ganz nach oben zu<br />

lassen. Diesen Anschein erweckt zumindest ein Blick in die Soldatenlaufbahnverordnung.<br />

Denn weiter als bis zum Stabshauptmann, bzw. Stabskapitänleutnant<br />

bei der Marine, dürfen Fachoffiziere nicht befördert werden. Egal, wie intensiv<br />

sie sich weiterbilden. Für Ralf Fischer ist das ein Skandal:<br />

O-Ton Ralf Fischer (nachgesprochen)<br />

„Im Kampf um die besten Köpfe, wie es ja in letzter Zeit immer so schön heißt,<br />

kann sich die Bundeswehr so etwas einfach nicht mehr leisten. Damit zieht die<br />

Personalführung Glasdecken ein für Soldaten, die sich weiterqualifizieren.“<br />

Während im Zivilleben ein Zusatzabschluss - etwa an einer Fernuni - neue berufliche<br />

Perspektiven öffne, sei der Fachoffizier gefangen in einem starren System.<br />

Fischer kennt zum Beispiel einen promovierten Oberfeldwebel, der über<br />

seinen aktuellen Dienstgrad nie hinauskommen wird. Der 49-Jährige fordert<br />

deswegen eine Reform des Laufbahnrechts: Truppendienst- wie Fachoffiziere<br />

sollen demnach dieselben Aufstiegschancen haben. Wer gut ist, soll auch weiterkommen<br />

dürfen.<br />

3


Diese Auffassung teilt auch Stabshauptmann a.D. Hartmut Schönmeyer. Der<br />

pensionierte Fachoffizier ist beim Deutschen Bundeswehrverband, der Interessenvertretung<br />

der Soldaten, für Besoldung und Laufbahnrecht zuständig.<br />

Schönmeyer fordert, diese künstliche Zweigleisigkeit aufzuheben und stattdessen<br />

nur noch eine Offizierslaufbahn anzubieten, in die Unteroffiziere dann aufsteigen<br />

können.<br />

O-Ton Hartmut Schönmeyer<br />

„Und aus dieser Laufbahn der Offiziere könnte dann mit einem Auswahlverfahren<br />

nochmal abgeleitet werden in die höherwertige Laufbahn der Stabsoffiziere.“<br />

Stabsoffiziere – das sind die Dienstgrade vom Major bis zum Oberst. Keine<br />

Unterscheidung, sondern Gleichberechtigung. Das sei auch gesetzlich verankert,<br />

bekräftigt Schönmeyer:<br />

O-Ton Hartmut Schönmeyer<br />

„Wir haben ja nach dem Grundgesetz den Zugang zu jedem öffentlichen Amt,<br />

und das Ganze wird schlicht und ergreifend begleitet durch Eignung, Leistung<br />

und Befähigung, die man nachzuweisen hat. Und die Eignung kann man feststellen,<br />

die Befähigung kann man erlangen, und die Leistung muss man einfach<br />

erbringen.“<br />

Trotz aller Eignung: Für Fachoffiziere ist beim Dienstgrad Stabshauptmann Beförderungsende.<br />

Hartmut Schönmeyer vom Bundeswehrverband sieht diese<br />

Regelung kritisch.<br />

O-Ton Hartmut Schönmeyer<br />

„Das ist meines Erachtens nicht sinnvoll. Wenn ich mir heute nebeneinander<br />

einen Meister vorstelle, einen staatlich geprüften Techniker und ich nehme einen<br />

Bachelor-Abschluss, dann habe ich auf der Ausbildungshöhe nicht mehr<br />

viel Unterschied. Und darüber hinaus muss es ja auch aufgrund von Erfahrungen,<br />

die man sammelt, die Möglichkeit geben, sogenannte Credit Points zu<br />

bekommen, wie wir sie nach den europäischen Bildungsmodellen kennen. Und<br />

vor diesem Hintergrund kann man natürlich über die Zeit Befähigungen erlangen,<br />

die einen berechtigen, in höherwertige Funktionen hineinzukommen. Und<br />

da ist sicherlich die Zeit gekommen, dass das auch mal von der Bundeswehr<br />

tiefer beleuchtet wird.“<br />

4


Berücksichtige man den demografischen Wandel, könne die Bundeswehr es<br />

sich nicht mehr leisten, qualifiziertes Personal unzureichend zu fördern. Das<br />

gelte auch für Soldaten, die erst nach mehreren Jahren Dienstzeit einen beruflichen<br />

Ehrgeiz entwickeln, sagt Schönmeyer.<br />

O-Ton Hartmut Schönmeyer<br />

„Und deswegen muss man Verfahren entwickeln, um diese Spätentwickler,<br />

Weiterentwickler als Schatz heben zu können. Und deswegen müssen wir in<br />

der Personalgewinnung und Personalbindung viel flexibler sein. Und das bedeutet<br />

auch, dass wir die Laufbahnen durchlässiger machen müssen.“<br />

Das hat das Verteidigungsministerium allerdings nicht vor. Die Beförderungsgrenze<br />

für Fachoffiziere bleibe bestehen, teilte ein Sprecher auf Anfrage von<br />

NDR Info mit. Wettbewerbsnachteile im Kampf um Fachkräfte entstünden dadurch<br />

nicht. Die Begründung – Zitat - :<br />

Zitat<br />

„Es handelt sich um sogenannte Aufstiegslaufbahnen. Durch die Zulassung<br />

und Verwendung als Fachoffizier in der Bundeswehr ergibt sich somit keine<br />

Konkurrenz zu einer vergleichbaren Tätigkeit in der zivilen Wirtschaft. Damit<br />

hat die Laufbahn der Fachoffiziere und die limitierte Beförderungsmöglichkeit<br />

hinsichtlich der Konkurrenzsituation mit der Wirtschaft eine nur sehr geringe<br />

Relevanz.“<br />

Dass sich stets viel mehr Unteroffiziere für einen Laufbahnwechsel bewerben,<br />

als es dafür Stellen gebe, zeige, wie attraktiv die Fachoffizierslaufbahn sei. So<br />

gebe es aktuell 10.200 Fachoffiziere und Fachoffiziersanwärter. 2015 haben<br />

3.741 Unteroffiziere einen Antrag auf Laufbahnwechsel gestellt oder wurden<br />

durch ihre Vorgesetzten dafür vorgeschlagen.<br />

Eine Reform der Soldatenlaufbahnverordnung ist also nicht in Sicht. Hauptmann<br />

Ralf Fischer hat die Hoffnung auf berufliche Weiterentwicklung indessen<br />

aufgegeben. Ein Personalgespräch hat der engagierte Fachoffizier seit fünf<br />

Jahren nicht geführt – es hat für ihn keinen Sinn, sagt er. Die Personalführer<br />

können ihm einfach keine attraktiven Dienstposten anbieten.<br />

5


O-Ton Ralf Fischer (nachgesprochen)<br />

„Ein solches Gespräch läuft dann wie folgt ab: Wir sagen uns gegenseitig unsere<br />

Vorstellungen, dann lachen wir ein bisschen zusammen, und das war´s<br />

dann. Darauf kann ich verzichten. Da nutze ich meine Zeit lieber für was Sinnvolles.“<br />

* * *<br />

Flocken<br />

Ein Bericht von Julia Weigelt über die sogenannten Fachoffiziere der Bundeswehr.<br />

In der kommenden Woche blickt die Welt auf die USA. Donald Trump oder Hillary<br />

Clinton. Die US-Bürger wählen einen neuen Präsidenten.<br />

Wer auch immer Barack Obama folgen wird - das neue Staatsoberhaupt wird<br />

die Welt und die internationalen Beziehungen entscheidend prägen. Die Präsidentenwahl<br />

ist für uns Anlass, auf die Amtszeit von Obama zurückzublicken.<br />

Über seine Außen- und Sicherheitspolitik habe ich mit Hans Joachim Giessmann<br />

gesprochen. Er ist Konfliktforscher an der Berghof Foundation in Berlin.<br />

Ich habe Hans Joachim Giessmann zunächst gefragt, ob Obama die bei seinem<br />

Amtsantritt hochgesteckten Erwartungen letztlich erfüllen konnte:<br />

Andreas Flocken / Professor Hans Joachim Giessmann<br />

Giessmann: Obama hat zu den Erwartungen ja selbst beigetragen, in dem er<br />

zu Beginn seiner Amtszeit große visionäre Reden gehalten hat über eine<br />

atomwaffenfreie Welt, über den Rückzug der amerikanischen Soldaten aus den<br />

beiden großen Kriegen in Afghanistan und dem Irak, über die nukleare Abrüstung.<br />

All dies hat große Erwartungen geweckt und schon frühzeitig 2009 zur<br />

Ehrung mit dem Friedensnobelpreis geführt. Daran gemessen hat er die Erwartungen<br />

sicherlich nicht erfüllen können. Vielleicht waren sie auch zu hoch. Aber<br />

in anderen Bereichen gibt es durchaus auch positives in der Bilanz zu vermerken,<br />

so dass wahrscheinlich rückblickend Obama nicht als der schlechteste<br />

Präsident in die Geschichte der USA eingehen wird.<br />

6


Flocken: Obamas Vorgänger George W. Bush hat die UNO und andere internationale<br />

Organisationen weitgehend ignoriert und das Völkerrecht geschwächt.<br />

Stichwort ist der Irak-Krieg, der ohne UN-Mandat geführt worden ist.<br />

Hat nun aber Obama in seiner Amtszeit die Vereinten Nationen und auch das<br />

Völkerrecht gestärkt? Die Ausweitung des geheimen Drohnenkrieges unter<br />

Obama spricht ja eher dagegen.<br />

Giessmann: Auch hier ist die Bilanz eher gemischt. Wenn man an den Drohnenkrieg<br />

speziell denkt, den Sie angesprochen haben, dann muss man natürlich<br />

klar sagen, dass hier das Völkerrecht bewusst in eine Grauzone geführt<br />

worden ist. Die Begründung, die seitens der Obama-Administration, auch seiner<br />

engsten Berater, gegeben wurde, war von Anfang an, dass der Einsatz von<br />

Drohnen strategisch und moralisch weniger problematisch sei, als sozusagen<br />

Bodentruppen in die verschiedenen Länder zu schicken. Wir dürfen nicht vergessen,<br />

wie viele tote Soldaten auch als Ergebnis der Irak- und der Afghanistan-Intervention<br />

zu beklagen waren. Strategisch und politisch war das also<br />

durchaus eine rationale Entscheidung, aber in der rechtlichen Konsequenz<br />

hochproblematisch. Wenn wir beispielsweise die Angriffe vergleichen, die die<br />

Bush-Administration während ihrer gesamten Amtszeit mit Drohnen geflogen<br />

ist, dann waren es kaum 50. Unter Obama wurden zumindest knapp 500 zugegeben.<br />

Die Zahl ist wahrscheinlich sehr viel höher, weil die Drohnenangriffe in<br />

verschiedenen Ländern wie Syrien und Irak gar nicht in der Statistik auftauchen.<br />

Also hier hat sich das Kriegsbild ganz bewusst aus politischen und strategischen<br />

Gründen verändert. Und in der Konsequenz ist auch die Charta der<br />

Vereinten Nationen in gewisser Weise infrage gestellt oder zumindest das Völkerrecht<br />

extrem in Mitleidenschaft gezogen worden.<br />

Flocken: Afghanistan war ja für Obama ein gerechtfertigter Krieg, anders als<br />

der Irak-Krieg. Wenn man aber jetzt auf den Hindukusch blickt, auf die Situation<br />

heute, dann muss man doch letztlich sagen, dass die USA auch in Afghanistan<br />

gescheitert sind.<br />

7


Giessmann: Ja, der Krieg in Afghanistan war eigentlich von Anfang an nicht zu<br />

gewinnen, weil es hier ganz klar um einen gescheiterten Staat ging, bei dem<br />

ein Gesamtkonzept nur dazu beitragen konnte, einen legitimen Staat für die<br />

afghanische Bevölkerung zu errichten. Hier sind die Fehler nicht primär durch<br />

die Obama-Administration gemacht worden, sondern sie liegen sehr viel länger<br />

zurück, indem also versucht wurde, diesem Land unter der Bush-Administration<br />

ein Staatskonzept überzustülpen, das die Menschen weder verstanden noch<br />

als das ihrige anerkannt haben. Obama hatte versucht, den politischen und<br />

wirtschaftlichen Einfluss während seiner Amtszeit zu verstärken und den militärischen<br />

Druck herunterzufahren. Es gab zu Spitzenzeiten 100.000 amerikanische<br />

Soldaten in Afghanistan. Jetzt sind es aktuell noch knapp weniger als<br />

10.000. Es sollten im kommenden Jahr 5.500 werden, nun werden es wahrscheinlich<br />

mehr sein. Das ist eine Anerkennung der Tatsache, dass ohne eine<br />

Unterstützung der Sicherheitskräfte im Land zumindestens der Zustand der<br />

Stabilität nicht aufrecht erhalten werden kann. An Zuversicht, dass das Land in<br />

kurzer Zeit den Weg zu einem stabilen Frieden gehen könnte, daran mangelt<br />

es, glaube ich, inzwischen auch der gesamten Administration.<br />

Flocken: Obama hat sich ja bei Amtsantritt die Aufgabe gestellt, die Kriege, in<br />

denen die USA verwickelt waren, die sie geführt haben, zu beenden. Vor allem<br />

der Irak-Krieg war für Obama ein schwerer Fehler. Obama hat in seiner Amtszeit<br />

dann den Abzug der USA aus dem Irak besiegelt. Im Nachhinein gibt es<br />

aber viele Experten, die sagen, dass dieser Abzug zu schnell gekommen ist.<br />

Erfolgte der Abzug aus dem Irak unter Obama viel zu überstürzt?<br />

Giessmann: Obama ist seinerzeit angetreten, um diese Politik der sogenannten<br />

imperialen Überdehnung, die Bush betrieben hat, radikal zu beenden und neue<br />

Vorrausetzungen für eine tatsächlich multilaterale Sicherheitspolitik auf globaler<br />

Ebene zu schaffen. Dass ihm das auf diese Art und Weise nicht gelungen ist,<br />

hängt möglicherweise auch mit der Fehleinschätzung der Folgen des schnellen<br />

Abzugs zusammen.<br />

8


Flocken: Viel Kritik musste Obama ja auch bis heute für seine Nahost-Politik<br />

einstecken. Der Vorwurf lautet, die USA würden sich dort nicht mehr engagieren.<br />

Dadurch sei das Chaos in der Region erst begünstigt worden. Insbesondere<br />

die US-Politik gegenüber dem syrischen Machthaber Assad sei gescheitert.<br />

War es denn ein Fehler von Obama sich insbesondere in Syrien zurückzuhalten<br />

und damit praktisch zuzuschauen, dass in Syrien tausende von Menschen<br />

getötet werden?<br />

Giessmann: Ich bin nicht sicher, ob es so ist, dass man im Nachgang hätte voraussagen<br />

können, ob Obama mit seiner Haltung in der Syrienpolitik einen<br />

Fehler begeht oder nicht. Er hat eigentlich von Anfang an damit gerechnet,<br />

dass Assad das gleiche Schicksal beschieden werden würde, wie das Mubarak<br />

in Ägypten wiederfahren ist, d. h., dass die politische Opposition Assad über<br />

die Zeit zum Rücktritt zwingen würde. Und das erschien ihm die sehr viel weniger<br />

risikoreiche Option.<br />

Flocken: Und damit hat er sich ja offensichtlich geirrt.<br />

Giessmann: Ja, damit hat er sich geirrt. Aber niemand kann mit Sicherheit heute<br />

voraussagen, ob es nach der Erfahrung des Irak-Krieges und des Afghanistan-Krieges<br />

und auch der Libyen-Intervention, einer militärischen Intervention,<br />

welcher Art auch immer, nicht zu einem ähnlichen Chaos gekommen wäre.<br />

Und es zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Amtszeit von Obama,<br />

dass Obama auf jeden Fall solche risikoreichen Erfolge, in der Abschätzung<br />

schwierig zu beurteilenden Einsätze, vermeiden wollte. Er hatte im Falle Syriens<br />

dann 2012 ein ungewöhnliches politisches Zeichen gesetzt, als er eine sogenannte<br />

rote Linie für den Einsatz von Chemiewaffen gezogen hatte, und diese<br />

rote Linie auch für eine Intervention erklärt hat. Nun ist genau das mit<br />

Assads Sarin-Angriff auf Teile der Bevölkerung in Damaskus geschehen und<br />

Obama hat darauf eben nicht reagiert. Man muss dazu sagen, dass es in dieser<br />

Sache eine heftige Auseinandersetzung innerhalb der Regierung gegeben<br />

hat. Hillary Clinton beispielsweise war sehr stark dafür, militärisch einzugreifen,<br />

aber es war eben auch klar, dass die Verbündeten einer solchen Operation<br />

nicht zwanglos folgen würden. Angela Merkel hatte beispielsweise auch klar-<br />

9


gestellt, dass sich Deutschland nicht beteiligen würde. Cameron, der bereit<br />

war, hat dies im britischen Parlament zur Abstimmung gestellt und hat dort<br />

überraschend eine Niederlage erlitten. Und die Sorge war sehr groß – und das<br />

ist vielleicht der entscheidende Punkt - dass Assad die C-Waffen, die in seinem<br />

Arsenal eingelagert waren, nicht nur gegen die eigene Bevölkerung, sondern<br />

vielleicht auch gegen die angreifenden ausländischen Truppen einsetzen würde.<br />

Im Ergebnis kann man sagen, dass der Weg, den Obama dann eingeschlagen<br />

hat, nämlich gemeinsam mit Russland und übrigens auch mit<br />

Deutschland und mit den Vereinten Nationen, die Chemiewaffen zerstören zu<br />

lassen – dieser Weg war in Bezug auf diese Gefahr sicherlich einer der am<br />

wenigsten in der Öffentlichkeit geschätzten Erfolge der Obama-Regierung im<br />

Umgang mit dem syrischen Regime.<br />

Flocken: Der Eindruck bleibt aber, dass Obama bis heute für Syrien kein Konzept<br />

hat. Der Bürgerkrieg dauert schon über fünf Jahre. Beruht das insgesamt<br />

nicht zuletzt auf einer kompletten Fehleinschätzung des ganzen Konfliktes<br />

durch die Obama-Administration?<br />

Giessmann: Der Konflikt ist in der Tat nicht in seinen Konsequenzen eingeschätzt<br />

worden, dass die Opposition sich so zerstückeln würde. Vor allem<br />

auch, dass sich der Islamische Staat so schnell auf Syrien ausbreiten würde<br />

und dass vor allem auch der kurdisch-türkische Konflikt in den syrischen Raum<br />

hineinspielen würde. Das heißt, die Gemengelage, die sich in den letzten Jahren<br />

herausgebildet hat, hat eigentlich jedes geradlinige politische Konzept, jedes<br />

strategische Konzept überfordert. In der Summe bleibt, dass die einzig übrig<br />

gebliebene Strategie jene ist, auf der einen Seite den Islamischen Staat aus<br />

der Luft zu bekämpfen und auf der anderen Seite sozusagen ein geopolitisches<br />

Patt mit Russland zu erreichen, um den Nahen Osten insgesamt, nicht im Chaos<br />

versinken zu lassen. Wer dieses Konzept trägt, ist sicherlich nicht vorausbestimmbar.<br />

Vielleicht wird es eine zukünftige Administration unter Hillary Clinton<br />

sein, die sehr viel stärker auch bereit wäre, militärischen Druck anzuwenden.<br />

Ob dies dann zu besseren Resultaten führt, kann angesichts der gegenwärtigen<br />

Situation allerdings bezweifelt werden.<br />

10


Flocken: Für manche Kritiker haben die USA unter Obama weltweit an Einfluss<br />

verloren. Als Begründung wird oft das Agieren Russlands, beispielsweise in<br />

Syrien angeführt, aber auch das Vorgehen Chinas im südchinesischen Meer<br />

und der Streit um die Inseln in der Region. Hat die Außen- und Sicherheitspolitik<br />

unter Obama letztlich zu einem Vakuum geführt, das jetzt von Moskau und<br />

auch von Peking weitgehend ausgefüllt wird, wenn man das mal geopolitisch<br />

sieht?<br />

Giessmann: Ich würde nicht von einem Vakuum sprechen. Vielmehr hat sich<br />

die Tendenz zu einer multipolaren Welt verstärkt, was im Übrigen angesichts<br />

der Globalisierung nicht Wunder nimmt. Obama hat frühzeitig erklärt, dass die<br />

USA nicht Weltpolizist sein können und nicht alle politischen Prozesse dominieren<br />

können. Ich glaube, das war eine sehr nüchterne, realistische und auch<br />

zutreffende Einschätzung. Aber im Ergebnis muss man dann natürlich schon<br />

sagen, dass Russland, aber auch China mit eigenen geopolitischen Interessen<br />

versuchen, ihren eigenen Einfluss in der Welt zu erweitern. Das wird dazu führen,<br />

dass auch die Konkurrenz zwischen den großen Mächten zunimmt und<br />

damit möglicherweise auch die Chancen einer globalen multilateralen Zusammenarbeit<br />

weiter abnehmen werden. Im Ergebnis dessen wird niemand etwas<br />

gewinnen. Insofern muss man auch darauf setzen, dass es sowohl in China als<br />

auch in Russland Akteure gibt, die den Schaden einer solchen geopolitischen<br />

Orientierung erkennen. Und ich hoffe, dass das auch in den USA der Fall sein<br />

wird, sodass früher oder später eine Umkehr zum Multilateralismus möglich<br />

wird.<br />

Flocken: Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind so schlecht<br />

wie selten zuvor, nicht zuletzt wegen der Ukraine-Krise und wegen des Syrien-<br />

Krieges. 2009 war man noch zuversichtlich in Washington. Damals war von<br />

einem Neustart der Beziehungen zwischen Moskau und Washington die Rede.<br />

Hat Obama vor dem Hintergrund der verschlechterten Beziehungen nicht auch<br />

Fehler im Umgang mit Russland gemacht?<br />

11


Giessmann: Russland als Regionalmacht zu bezeichnen war sicherlich ein<br />

großer politischer Fehler. Wer Russland genauer kennt, weiß, dass die Herabsetzung<br />

oder die Geringschätzung der russischen weltpolitischen Bedeutung<br />

sich in Russland selbst politisch immer ausschlachten lässt und auch nachhaltige<br />

Wirkung hinterlässt. Die Rückbesinnung auf die Konzepte des Kalten Krieges,<br />

insbesondere auf die Abschreckung und die damit verbundenen Maßnahmen,<br />

auch der Grenzsicherung für die Verbündeten, sprechen dafür, dass<br />

die Beziehungen zwischen Russland und den USA – übrigens auch zwischen<br />

Russland und Westeuropa und der NATO - auf lange Sicht in ein sehr schwieriges<br />

Fahrwasser geraten sind.<br />

Flocken: In der Amtszeit von Obama hat es den neuen Start-Vertrag gegeben,<br />

der die strategischen Atomwaffen zwischen Russland und den USA reduziert.<br />

Aber ansonsten sind die Atomarsenale eher modernisiert worden. Als Abrüstungspräsident<br />

wird Obama daher wohl kaum in die Geschichte eingehen.<br />

Giessmann: Na gut, aber der Iran-Deal bleibt natürlich auf der Haben-Seite<br />

stehen. Das darf man dabei auch nicht vergessen. Was die Abrüstung betrifft:<br />

zunächst sah es so aus, als würde es deutliche weitere Fortschritte mit dem<br />

New-Start-Abkommen geben – nachdem die Atomsprengköpfe, die strategischen<br />

Sprengköpfe Russlands und der USA auf jeweils 1.500 reduziert wurden.<br />

Das Ziel war damals, in der zweiten Amtszeit eine weitere Reduzierung<br />

auf etwa 1.000 Systeme zu erreichen. Dass dies nicht gelungen ist, ist tatsächlich<br />

auch Ergebnis der verschlechterten Situation einer europäischen Sicherheit<br />

und der veränderten russischen Politik. Obamas Regierung hat daran aber einen<br />

nicht unbeträchtlichen Anteil durch die widersprüchliche Fortentwicklung<br />

des in Europa stationierten Raketenabwehrsystems. Die Regierung hatte zwar<br />

angeboten, die letzte Phase dieses Systems zum Teil auch zum Gegenstand<br />

von Verhandlungen mit Russland zu machen, zum Gegenstand neuer Vereinbarungen<br />

muss man genauer sagen. Aber das ist dann eigentlich in dem Prozess<br />

der Verschlechterung der bilateralen Beziehung untergepflügt worden.<br />

12


Flocken: Unter Obama wollten sich die USA ja auch stärker auf Asien und den<br />

Pazifik konzentrieren, also etwas weggehen von Europa. Die US-<br />

Truppenpräsenz im pazifischen Raum ist erhöht und verstärkt worden. Wären<br />

aber angesichts des Inselstreites im Südchinesischen Meer nicht politische Initiativen<br />

viel wichtiger als militärische Machtdemonstrationen? Fehlen nicht politische<br />

Initiativen?<br />

Giessmann: Ein stabiles und gutes Verhältnis zu China und auch zu den anderen<br />

einflussreichen Staaten im Asienbereich ist sicherlich eine unabdingbare<br />

Voraussetzung für dauerhaften Frieden in der Region. Insbesondere auch unter<br />

Berücksichtigung des Umstandes, dass China versucht, seine eigenen regionalen<br />

Machtpositionen systematisch auch mithilfe militärischer Mittel durchzusetzen.<br />

Das Wichtigste wäre, ein regionales Sicherheitssystem zu bauen, das<br />

in der Lage ist, auch den krisenhaften Entwicklungen, wie sie in der Region<br />

unvermeidbar sein werden, in den kommenden Jahren entgegen zu wirken.<br />

Obama hatte die Chance dazu...<br />

Flocken: Er hat diese Chance aber nicht genutzt.<br />

Giessmann: Er hat sie nicht genutzt. Er hat im Ergebnis - oder sagen wir mal<br />

nur in Teilbereichen - wirklich Fortschritte erzielen können. Also dieses Transpazifik-,<br />

Partnerschafts- und Handelsabkommen ist natürlich ein wichtiger<br />

Schritt gewesen, auch um so eine Art regionale Identität in Asien und im Pazifik<br />

zu erreichen.<br />

Flocken: Kann man denn sagen, dass Obama letztlich gescheitert ist? Oder ist<br />

das zu hart?<br />

Giessmann: Ich denke, das ist zu hart. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten,<br />

an die man sich erinnern wird, die während der Zeit der Obama-Administration<br />

erreicht worden sind und die von dauerhafter Wirkung sein können. Dazu gehört<br />

die Aussöhnung mit Kuba, das ist vor allem natürlich auch das Klimaschutzabkommen,<br />

mit dem niemand gerechnet hat, und bei dem die USA ihre<br />

gesamte politische Kraft in die Waagschale geworfen haben, um diesen Kom-<br />

13


promiss zu erreichen. Dazu gehört auch die Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation<br />

bei der Bekämpfung der Ebola-Krise. Also es gibt eine ganze<br />

Reihe von Punkten, bei denen Obama versucht hat, in die Richtung seiner eigenen<br />

Vision einer globalen partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu wirken.<br />

Aber letztlich ist er an den eigenen Illusionen gescheitert.<br />

* * *<br />

Flocken<br />

Hans Joachim Giessmann von der Berliner Berghof Foundation über die Amtszeit<br />

von Barack Obama. Eine Langfassung des Interviews finden Sie auf der<br />

Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/streitkraefte.<br />

Die Bundesregierung hat angekündigt, sich aktiver als bisher am internationalen<br />

Krisenmanagement zu beteiligen. Und sie tut dies auch – u.a. durch den<br />

Einsatz von Soldaten. Eine wichtige Rolle bei der Konfliktbewältigung spielen<br />

allerdings auch Polizisten. Hier macht Deutschland jedoch keine gute Figur. Im<br />

Sommer musste sich die Bundesregierung heftige Kritik von den Vereinten Nationen<br />

gefallen lassen, nachdem sie mehrere Polizisten aus dem Südsudan<br />

abgezogen hatte – ohne sich zuvor mit der Leitung der UN-Mission abzustimmen.<br />

Dabei ist es ganz offiziell deutsche Politik, die UN zu stärken. In der Praxis<br />

tut sich Deutschland allerdings schwer, Polizisten für internationale Missionen<br />

bereitzustellen. Hören Sie Christoph Prössl:<br />

Manuskript Christoph Prössl<br />

Thomas Mischke ist Kriminalbeamter aus Nordrhein-Westfalen und war schon<br />

oft in Auslandseinsätzen. 2008 im Kosovo und mehrfach in Afghanistan, zuletzt<br />

bis Februar dieses Jahres in Mazar-e-Sharif.<br />

O-Ton Mischke<br />

„In meiner letzten Mission war ich Berater des afghanischen Generals, der dieses<br />

Polizei-Trainingszentrum geleitet hat, welches Deutschland erbaut hat, direkt<br />

neben dem Militärcamp ‚Camp Marmal‘. Ein sehr ambitioniertes, erfolgreiches<br />

Projekt, wie ich meine. Und dieser General ist der Schulleiter, wenn man<br />

so will - mit einem Stab von ungefähr 200 Leuten und mit einer Kapazität von<br />

1.400 Leuten.“<br />

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Bereits 2002 hat die deutsche Polizei begonnen, in Afghanistan Sicherheitskräfte<br />

auszubilden. Die Kurse dauerten in der Regel nur sechs Wochen, die<br />

internationale Staatengemeinschaft wollte schnell eine afghanische Polizei aufbauen.<br />

Die Deutschen standen oft selber im Klassenzimmer, um zu unterrichten.<br />

Das hat sich im Lauf der Jahre geändert. „Train the Trainer“ hieß später<br />

das Motto. Heute beraten die deutschen Polizisten die afghanischen Führungskräfte<br />

nur noch. Es geht um Führungsstil, Transparenz, das Abgeben von Aufgaben,<br />

um selber mehr Freiraum für wichtige Entscheidungen zu schaffen.<br />

O-Ton Mischke<br />

„Wir waren ja mal im Jahre 2013 mit fast 200 Polizisten in Afghanistan an den<br />

verschiedenen Standorten, und das ist jetzt auf 45 abgeschmolzen worden,<br />

weil man, wie ich meine, viel zu früh der Meinung war, dass die Afghanen das<br />

schon schaffen.“<br />

Sagt Thomas Mischke, der auch Vorstand im Bundesverband Deutscher Kriminalbeamter<br />

ist.<br />

Das Thema hat inzwischen auch den Deutschen Bundestag erreicht. Die Vorsitzende<br />

des Unterausschusses zivile Krisenprävention, Franziska Brantner<br />

von den Grünen, kritisiert die Bundesregierung. Außenminister Steinmeier und<br />

Verteidigungsministerin von der Leyen sprechen von der zunehmenden internationalen<br />

Verantwortung Deutschlands, davon sei aber nicht viel erkennbar:<br />

O-Ton Brantner<br />

„24 Polizisten von 12.500 im Rahmen der Vereinten Nationen - das nenne ich<br />

nicht eine große Verantwortungsübernahme. Bei den Juristen sieht es übrigens<br />

noch schlimmer aus. Da sind noch weniger unterwegs, nämlich null, und da<br />

kann man nur sagen: das deutsche Engagement ist nicht groß genug. Das gibt<br />

es de facto kaum.“<br />

Denn bei UN-Missionen, EU-Einsätzen sowie bilateral vereinbarten Operationen<br />

sind insgesamt gerade einmal 140 Beamte aus Deutschland tätig. Viel zu<br />

wenig, darüber herrscht Konsens im Deutschen Bundestag. Auf dem EU-Gipfel<br />

in Portugal im Jahr 2000 hatten sich die Staats- und Regierungschef darauf<br />

verständigt, bis zu 5.000 Polizisten für internationale Missionen entsenden zu<br />

können – auf freiwilliger Basis. Deutschlands Anteil an einer solches Zahl läge<br />

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ei rund einem Fünftel – also 1.000 Polizisten. Doch davon ist die Bundesregierung<br />

auch heute noch weit entfernt. Die Fraktionen der Großen Koalition<br />

wollen das nun ändern und haben kürzlich gemeinsam mit den Grünen einen<br />

entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht. Darin werden viele Maßnahmen<br />

formuliert, um die Voraussetzungen zu verbessern, damit mehr Polizisten<br />

ins Ausland gehen können. Armin Schuster, CDU:<br />

O-Ton Schuster<br />

„Dafür braucht es ganz sicher eine wissenschaftliche Behandlung des Themas,<br />

da denke ich an die Polizeihochschule in Münster, wo wir vielleicht einen neuen<br />

Fachbereich brauchen. Wir brauchen ganz sicher mehr Personal, das heißt<br />

auch mehr Haushaltsmittel, dafür sorgen wir im Bund zumindest, wir brauchen<br />

eine speziellere Aus- und Fortbildung, eine speziellere Sprachförderung, wir<br />

brauchen die Chance, Mitarbeiter der Polizei länger entsenden zu können,<br />

Spezialisten entsenden zu können, das muss man sich leisten können.“<br />

Zum Beispiel Experten, die vermitteln können, wie organisierte Kriminalität bekämpft<br />

werden kann. Die Initiative fand im Bundestag eine breite Mehrheit. Die<br />

Bundesregierung muss die Forderungen des Antrags jetzt umsetzen. Für 2017<br />

ist bereits mehr Geld eingeplant. Das entsprechende Budget steigt von 18,6<br />

Millionen Euro 2016 auf künftig knapp 24 Millionen Euro.<br />

O-Ton Brantner<br />

„Die Größen, über die wir reden, bereiten Herrn Schäuble keine schlaflosen<br />

Nächte.“<br />

Kommentiert Franziska Brantner die Beträge für Polizeimissionen. Vor allem<br />

vor dem Hintergrund, dass die deutschen Beamten dringend gebraucht werden.<br />

O-Ton Brantner<br />

„Beispiel Polizeiaufbau in Mali. Eigentlich haben natürlich alle im Rahmen der<br />

Vereinten Nationen auch den gleichen Auftrag zur Ausbildung, aber natürlich<br />

macht es einen Unterschied, ob ein ägyptischer Polizist seinem Kollegen aus<br />

Mali beizubringen versucht, wie man friedlich mit einer Demo umgeht, oder ob<br />

das ein Deutscher macht.“<br />

Bisher seien gute Vorschläge immer an der Finanzierungsfrage gescheitert,<br />

sagt Dieter Wehe, bis 2015 Inspekteur der Polizei in Nordrhein-Westfalen und<br />

Leiter der Bund-Länder Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen. Er hoffe<br />

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sehr, dass dies diesmal anders sei, sagte Wehe NDR Info. Das Problem ist<br />

allerdings, dass die Polizei Ländersache ist – wenn man mal von der Bundespolizei<br />

absieht.<br />

In der Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern geht es aber nicht nur<br />

ums Geld, sondern auch um rechtliche Absicherungen. Alle Beamten sollen<br />

den gleichen Schutz haben, sagt Franziska Brantner von den Grünen.<br />

O-Ton Brantner<br />

„Momentan ist das nicht so. Das heißt, einer aus einem Bundesland sagt: Du,<br />

setz du dich lieber nach vorne auf den Beifahrersitz, du bist besser versichert<br />

im Falle eines Unfalls. So kann es eigentlich nicht sei. Die müssen alle den<br />

gleichen Schutz haben.“<br />

Die Verbesserungen, die im Antrag formuliert sind, begrüßt Thomas Mischke.<br />

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit Ende der ISAF-Mission kaum<br />

verbessert. Für den Kripo-Mann aus Nordrhein-Westfalen ist klar, dass sich<br />

Deutschland und damit auch Polizisten weiterhin am Hindukusch engagieren<br />

müssen:<br />

O-Ton Mischke<br />

„Ich muss langfristig denken. In Afghanistan müssen wir noch mindestens 20<br />

Jahre bleiben.“<br />

Mischke setzt auf die junge Generation, die in den vergangenen Jahren ausgebildet<br />

worden ist. Außerdem hält er es für notwendig, neben der Ausbildung<br />

auch Fortbildungen in einzelnen afghanischen Dienststellen durchführen zu<br />

können. Polizisten kommt beim internationalen Krisenmanagement eine wichtige<br />

Rolle zu. Bisher hat die Bundesregierung aber vor allem auf den Einsatz<br />

von Soldaten gesetzt. Offen bleibt, ob es hier - trotz der Initiative des Bundestages<br />

- schon demnächst einen Kurswechsel geben wird.<br />

* * *<br />

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Flocken<br />

Soweit Christoph Prössl und so viel für heute in Streitkräfte und Strategien.<br />

Zum Schluss noch ein Hinweis: Im kommenden Monat treffen sich in<br />

Hamburg die OSZE-Außenminister. Aus diesem Anlass veranstaltet NDR Info<br />

am 23. November mit dem Hamburger Institut für Friedensforschung und<br />

Sicherheitspolitik IFSH eine Podiumsdiskussion. „Zwischen Abschreckung und<br />

Dialog – Europäische Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand“, so der Titel der<br />

Veranstaltung. Wenn Sie am 23. November dabei sein wollen: Melden Sie sich<br />

an - auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter<br />

ndr.de/streitkraefte. Dort können Sie sich auch die Sendung als Podcast herunterladen.<br />

Außerdem können Sie den Newsletter von Streitkräfte und Strategien<br />

abonnieren. Wir schicken Ihnen dann das aktuelle Manuskript der Sendung per<br />

E-Mail zu. Am Mikrofon verabschiedet sich Andreas Flocken.<br />

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