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Luzern

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Die Audienz<br />

Text und Interview: Maximilian Marti<br />

Meine Audienz mit der Königin ist für 16:30<br />

anberaumt. Pünktlich auf die Sekunde öffnen<br />

sich die Türflügel und ihre Majestät,<br />

Königin Sonia I., betritt den Salon. Bisher<br />

hatte ich sie nur auf Bilden gesehen, eine<br />

Frau mit vielen Gesichtern: nettes Mädchen<br />

von nebenan, modische Frau von Welt, entschlossene<br />

Kämpferin, Femme fatale, cool<br />

berechnende Strategin und verdiente Siegerin<br />

im Sägemehl: die zweifache Schwinger<br />

Königin, erfolgreiche Ringerin und<br />

Sekundar-Lehrerin Sonia Kälin. Sie gilt als<br />

unkomplizierte, humorvolle junge Frau mit<br />

Bodenhaftung und überrascht mich mit<br />

strahlendem Lächeln und einem kräftigen<br />

Händedruck. Mit ihrer sportgetrimmten<br />

Figur straft die Top-Athletin das Klischee<br />

des vierschrötigen Mann-Weibs in Zwilchhosen<br />

Lüge und illustriert aufs Schönste<br />

die augenfällige Tatsache, dass der<br />

moderne Schwingsport mehr und mehr<br />

von Technik, athletischem Können und<br />

Schnelligkeit geprägt wird.<br />

Laut den Puristen in der Schwing-Szene<br />

sind Sägemehl und Make-up unvereinbar.<br />

Über diese Doktrin setzt sich die coole<br />

Blonde aus Einsiedeln souverän hinweg<br />

und beweist mit Ihren Titeln 2012 und 2015,<br />

dass auch hübsch zurechtgemachte Mädels<br />

wissen, wo Bartli den Most holt. Deshalb<br />

war meine erste Frage:<br />

Sonia, Schwingen und Make-up, warum<br />

das?<br />

Sonia Kälin: Erstens schminke ich mich<br />

dezent, weil ich mich wohl fühle, wenn ich<br />

gepflegt daher komme. Zweitens weil ich<br />

als Vertreterin einer jungen Sportlergeneration<br />

versuche, das überholte Image der<br />

stämmigen, mit Kernseife saubergeschrubbten<br />

Schwingerin der Realität anzupassen.<br />

Mannweiber, die im Ring nur<br />

mit Gewicht zu gewinnen suchen, sind<br />

passé. Moderne Schwinger und Schwingerinnen<br />

sind Leistungssportler, sauber<br />

durchtrainiert, schnell, agil und technikorientiert.<br />

Natürlich ist bei grossgewachsenen<br />

Gegnerinnen das mit mehr Muskelmasse<br />

verbundene Gewicht eine<br />

Herausforderung, aber keine unüberwindbare.<br />

Und genau hier wird es spannend, wie<br />

beim Ringen auch: nicht das Gewicht, son-<br />

Foto: Rolf Eicher<br />

dern das Niveau meines Trainings und<br />

meine Palette von technischen Finessen<br />

entscheiden über Sieg oder Niederlage.<br />

Sicher muss ich mich ab und zu Gegnerinnen<br />

stellen, deren Figur zum Teil noch dem<br />

alten Bild entspricht. Diese sind umso gefährlicher<br />

einzustufen, weil sie vielleicht,<br />

ausser dem Zusatzgewicht, dasselbe technische<br />

Knowhow wie ich mit in den Ring<br />

bringen. Für mich heisst das, die eigenen<br />

Ressourcen so einzusetzen, dass nachher<br />

nicht sie, sondern ich die tröstenden Worte<br />

spreche. Aber ich denke ich habe bewiesen,<br />

dass ein neuer Wind weht und deshalb<br />

erlaube ich mir, dann Make-up zu tragen,<br />

wenn ich Lust dazu habe und dort, wo ich<br />

es für angebracht halte.<br />

Bringt Dir die Erfahrung, die Du vom Ringsport<br />

mitbringst, Vorteile beim Schwingen?<br />

Bedingt. Beim Schwingen ist die Griffsetzung<br />

genau vorgeschrieben, also kann<br />

ich die gefährlichen Überraschungsangriffe<br />

auf die Beine, bei Ringern sehr beliebt,<br />

im Sägemehl nicht machen. Was<br />

mir Hilft ist die Geschwindigkeit von<br />

Bewegungsabläufen und Körpereinsatz,<br />

matchentscheidend in beiden Arenen.<br />

Auch beim Schwingen ist Mentaltraining<br />

unverzichtbar geworden.<br />

Wie soll ich mir dieses Training vorstellen?<br />

Es besteht vor allem aus Visualisierung.<br />

Das heisst, ich stelle mir den Kampfablauf<br />

zu meinen Gunsten vor, Schritt für Schritt,<br />

Griff um Griff und jede Bewegung. Dann<br />

muss ich mir vorstellen können, wie meine<br />

Gegnerin agieren und reagieren könnte.<br />

Dieses Wissen muss ich in den Ring übertragen<br />

und gewinnen, so einfach ist das.<br />

Mentaltraining hilft mir auch beim Überwinden<br />

meiner Nervosität vor dem Kampf und<br />

beim Reduzieren des zu gefährlichem<br />

Leichtsinn führenden «Killerinstinkts» zum<br />

einfachen, gesunden Siegeswillen.<br />

Was ist Dein nächstes Ziel?<br />

Den nächsten Gang zu gewinnen.<br />

Wir verabschieden uns, weil die Königin<br />

weitere Verpflichtungen hat. Sonia ist die<br />

russische Koseform des weiblichen Vornamens<br />

Sophia, welcher «Weisheit» bzw. «die<br />

Weise» bedeutet. Gelegentlich wird Sonia<br />

auch mit «die für die Wahrheit kämpfende»<br />

übersetzt. Wen wundert’s?<br />

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