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wahrheiten<br />

11<br />

Ist Lügen<br />

eine Kunst?<br />

Jede Story hat eine Vorgeschichte. Jede Wirklichkeit<br />

einen ausgefransten Rand.<br />

Frühjahr 1999: Ivanas helle Stimme mit tschechischem<br />

Akzent klingt für mich glitzernd und verführerisch wie<br />

Trüffel der Firma Sprüngli. Es knistert in der analogen<br />

Telefonleitung. Sie sitzt in ihrem Büro in Palm Beach,<br />

Florida, und gibt mir 30 Minuten. Ich sitze in meiner<br />

Wohnung in Los Angeles, die womöglich kleiner ist als<br />

Ivanas Badezimmer in einer 45-Zimmer-Villa, die ihr<br />

Donald abgeben musste.<br />

„Kommen wir zur Sache …“, sagt Ivana. „ Sie haben recht:<br />

Donald wurde ,Donald‘ getauft, weil sein Vater in Donald<br />

Duck vernarrt war. Walt Disney war die Leitfigur der<br />

Trumps. Der kleine Donald soll in den Spuren von Walt<br />

Disney marschieren. Noch heute. Überrascht Sie das?“<br />

„Nein …“, antworte ich.<br />

Stille.<br />

Dann ein Knistern in der Leitung. Ich weiß nicht weiter,<br />

verpasse die Anschlussfrage.<br />

(Sie hätte lauten müssen: „Walt Disney hat seine Eltern<br />

gehasst. Darum hat Pinocchio keine Mutter, ist Cinderella<br />

das Opfer böser Stief eltern, wird Bambis Mutter<br />

getötet und der großartige Elefant Dumbo gewaltsam<br />

von seiner Mutter getrennt.“ Hier hätte ich jetzt ansetzen<br />

müssen: „Walt Disney glaubt, dass jede Empfängnis unbefleckt<br />

ist. Und Donald?“)<br />

Stattdessen frage ich etwas Banales.<br />

„Was haben Sie heute schon so gemacht, Mrs Trump?“<br />

„Yoga mit meinem Trainer. Danach reiten. Später habe<br />

ich noch Kunstunterricht.“<br />

Klingt nach einem vollen Tag.<br />

„Vielleicht faulenze ich dann noch am Pool, wenn dieses<br />

Gespräch vorbei ist …“<br />

Ivana, damals 49 Jahre alt, spricht mit einer beschwingten<br />

Privatstimme, die sich stark von der entschlossenen,<br />

kräftigen, professionellen Stimme unterscheidet, die sie<br />

in der Öffentlichkeit als Exfrau des Milliardärs Donald<br />

benutzt.<br />

„Was für eine Rolle spielen Sie heute in der Welt?“<br />

„Ich verkörpere die ,Sister‘ aller verwundeten Frauen und<br />

erkläre ihnen, wie sie sich seelisch von Albtraum-Männern<br />

heilen können…“<br />

Er ließ Mike Tyson über<br />

Nietzsche und Charles Bronson<br />

über das Seelenleben der<br />

Pflanzen philosophieren. Die<br />

Interviews von Tom Kummer<br />

machten süchtig – bis herauskam,<br />

dass sie frei erfunden waren.<br />

Der einstige Star-Interviewer<br />

erinnert sich an sein letztes echtes<br />

Gespräch und zeigt noch<br />

einmal, warum Lüge manchmal<br />

schöner ist als die Wahrheit.<br />

Illustration: Josef Schewe<br />

„Indem Sie Frauen animieren, auf Ihrem eigenen Shopping-Channel<br />

,The World of Ivana‘ einzukaufen?“<br />

„Ja, auch. Aber ich habe noch eine tiefere Botschaft. Ich<br />

weiß, dass Sie die verstehen. Ich habe eines Ihrer Interviews<br />

mit Sharon Stone gelesen. Großartig! Das zeigt<br />

eine Frau, die überlegen ist.“<br />

„Sie spielen selbst eine großartige Rolle, Mrs Trump!“<br />

„Vielen Dank. Vielleicht werde ich bald mal für einen<br />

Oscar nominiert …“ Sie kichert.<br />

Das echte Telefongespräch mit Ivana Trump entwickelt<br />

sich harzig, kommt nicht so in Schwung, wie ich es mir<br />

gewünscht habe. Oder besser: wie es sich die Abnehmer<br />

meines Stoffes erhoffen, die mich damals zum Superstar<br />

unter den Star-Interviewern promoviert haben.<br />

Ivana hat einen Berater zur Seite, der ihr immer wieder<br />

Antworten zuflüstert oder auf Papier schreibt. Darauf<br />

deuten die Pausen, die Ivana zwischen meinen Fragen<br />

einlegt. Ivana weiß, dass es sich um ein Interview handelt,<br />

das auf der Titelseite der Beilage einer der größten<br />

deutschen Tageszeitungen erscheinen wird. Sie spricht<br />

mit mir, weil das Teil einer globalen Werbekampagne ist.<br />

Aber da ist mehr. Eine Vorgeschichte. Die ausgefranste<br />

Wahrheit:<br />

Wir sind in die vom Schein beherrschte Welt der Postmoderne<br />

hineingeboren worden, deren bestimmendes Element<br />

die Show ist. In der Show gibt es keine Wahrheit,<br />

sondern Effekte. Je brillanter die Show ist, umso überzeugender<br />

ist sie gelungen und desto begeisterter werden<br />

die Leser- und Zuschauermassen sein. Selbst die vorsichtigsten<br />

Journalisten renommierter Zeitungen beginnen in<br />

den Neunzigern, Teile meiner Idee zu übernehmen: die<br />

Zauberei, den Illusionismus, die herablassende Coolness,<br />

die moralisierende Ironie, das Pop-Element.<br />

Ivana Trump ist für mich – seit dem Schauspieler Nicolas<br />

Cage im Jahr 1996 – das erste Interview, bei dem<br />

ich die interviewte Person tatsächlich sprechen höre. Es<br />

wird meine letzte Story für eine deutsche Wochenendbeilage,<br />

bevor sich eine „Implosion des Realen“ ereignet,<br />

wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ meinen Fall<br />

beschreibt, und mein Name sich zum Inbegriff des Medienskandals<br />

verwandelt.<br />

Zuletzt war es Nicolas Cage, den ich nach seinem<br />

Oscar-Gewinn für „Leaving Las Vegas“ am Telefon hatte.<br />

Aber dazwischen sind dreißig komplett erfundene Interviews,<br />

Gespräche mit mir selbst, Titelgeschichten, Sensationen<br />

im Stil der Rollenprosa entstanden. Und dabei<br />

baut sich eine seltsame Verweiskette auf.<br />

„Ja, Nicolas Cage – das ist einer meiner Lieblinge“, sagt<br />

Ivana jetzt ganz leise. „,Leaving Las Vegas‘ war ein großartiger<br />

Film. Hätte Donald den bloß gesehen! Ist doch<br />

sein Thema. Alkohol. Aber lassen wir das. Ich habe Ihr<br />

Interview im ,Esquire‘ gelesen. Es war berührend, erhellend,<br />

wirklich aufregend …“<br />

Klar, ich hätte jetzt bei Ivana nachhaken müssen. Donald<br />

und Alkohol? Donald und Männerängste? Donald und<br />

Disney? Aber meine Interviewtechnik ist miserabel. Ich<br />

habe keine Ahnung, wie ein richtiges Interview geführt<br />

werden muss. Besonders am Telefon. Schrecklich läuft es<br />

mit Ivana im Frühling 1999. Und dabei habe ich mir vorgenommen,<br />

diesmal alles eins zu eins aufzuschreiben, was<br />

auf meinem Tonband erklingt.<br />

Was folgt, ist nicht zu stoppen.<br />

Mein abgetipptes Tonband-Interview mit Ivana Trump –<br />

ein Zusammenschnitt des 30-minütigen Gesprächs –<br />

wird von der Redaktion in München abgelehnt. Das ist<br />

noch nie passiert. Womöglich fehlt die grotesk-poetische<br />

Komik, die meine gefälschten Interviews durchzieht, die<br />

den Medienprofis entweder vollkommen zu entgehen<br />

scheint oder sie besonders anzieht.<br />

Nach gut dreißig inszenierten Interviews wird ein Kummer-Text<br />

als „etwas langweilig“ deklariert. Ausgerechnet<br />

derjenige, den man entsprechend der Gattungserwartung<br />

als „echt“ deklarieren könnte.

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