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wahrheiten<br />

13<br />

„Tom, sind Sie noch da?“<br />

„Ja. Schön, Ihre Stimme wieder zu hören.“<br />

„Ich kann schon verstehen, dass es nicht leicht ist für Sie.<br />

Dieser Ort, an dem unsere Wirklichkeit entsteht, kann ja<br />

selbst nicht wirklich sein.“<br />

„Das haben Sie schön gesagt. Was machen Sie gerade?“<br />

„Ich habe mir einen Morgenmantel angezogen. Die<br />

Klimaanlage ist viel zu kalt eingestellt.“<br />

Wir kichern beide.<br />

„Tom, wie läuft das bei Ihnen beim Schreiben? Wenn die<br />

Realität implodiert, wie Sie gesagt haben?“<br />

„Schwer zu erklären. Die Perspektiven stürzen ein, die<br />

Grenzen der Wahrnehmung und der ganze Irrsinn, all das<br />

Irreale und Surreale, dem ich in der Wirklichkeit begegne,<br />

kann dann nur in meiner Sprache, in meinem Reality<br />

Studio Halt finden und sich zu einer Art neuen Wirklichkeit<br />

formen. Aber interessiert Sie das wirklich? Ich will<br />

Sie nicht langweilen.“<br />

„Tun Sie nicht. Klingt alles sehr spannend. Ihre Interviews<br />

sind also im Wesentlichen Gespräche mit sich<br />

selbst? Vielleicht haben Sie ja eine Vorahnung: Der Fake<br />

wird bald die neue Realität…“<br />

„Kann schon sein, Ivana. Immer wieder lasse ich meine<br />

Stars Sätze sagen, die auf meinen eigenen Zustand verweisen.<br />

Johnny Depp sagt bei mir: ,Objektivität ist genauso<br />

wie Wahrheit und Wirklichkeit ein reiner Mythos.‘<br />

Mike Tyson lobt die Güte französischer Fischsuppe. Er<br />

diskutiert seine ausdrückliche Wertschätzung für das, was<br />

er ,Wissen‘ nennt und sagt: ,Ich war früher in meiner<br />

Karriere den Gegnern extrem überlegen. Darum wollte<br />

ich mich mit Wissen vollpumpen. Wissen schafft Stabilität<br />

und macht das Leben lebenswert.‘“<br />

„In Ihren Gesprächen scheint überhaupt keine Asymmetrie<br />

zwischen Reporter und Star zu existieren. Wieso?“<br />

Das ist der Trick. Ich erschaffe eine fast erschreckende<br />

Symmetrie, ein Gespräch von gleich zu gleich, unter langjährigen<br />

Bekannten. Eine Vertrautheit entsteht, ein persönlicher<br />

Ton. Ich wage aber auch den aggressiven, herausfordernden<br />

Ton. Schon nach ein paar Wortwechseln wird<br />

zum Beispiel Nicolas Cage ausfallend und brüllt: „Dieses<br />

Interview dauert noch genau fünf Sekunden, wenn<br />

Sie nicht endlich sagen, worauf Sie’s abgesehen haben …“<br />

Meine Stars und ich haben immer alle das gleiche Vorwissen.<br />

Cage extemporiert über Francis Bacon, kennt<br />

selbstverständlich Rainer Werner Fassbinders „Händler<br />

der vier Jahreszeiten“. Nie ist es für mich ein Hindernis,<br />

heikle Themen zu diskutieren. In jedem Interview geht es<br />

um den Status von Wahrheit, den Bruch zwischen Image<br />

und Wirklichkeit in Hollywood.<br />

Courtney Love sagt: „Ich betrüge so echt – ich bin jenseits<br />

von Betrug!“<br />

Zu Courtney, der verstorbenen Witwe von Kurt Cobain,<br />

habe ich eine besondere Beziehung entwickelt. Sie lässt<br />

mich in eine besondere Tiefe eindringen. Ich lasse sie<br />

fantastische Verse zwischen Lautréamont, Breton und<br />

Burroughs sagen. „Alle meine Gedichte brennen“, sagt<br />

Courtney. „Minotauren fressen die Genitalien des Mondes.<br />

Die Sonne ist in Aufruhr, und ausgeflogene Fallschirmspringer<br />

landen in unseren Träumen. Jede Nacht<br />

schlagen sich in den Bergen alte Männer mit Bandagen<br />

ihren Weg zum Mond. Saurier und Vampire fliegen vorbei.<br />

Aber sie sind freundlich gestimmt.“<br />

Wieso wollte das niemand als Fake erkennen? Wie belastend<br />

und erregend muss es gewesen sein, Journalismus als<br />

Fälschung zu betreiben?<br />

Es war sicher auch ein Hilferuf. Und das hätte man erkennen<br />

können. Immerzu stelle ich zum Beispiel in meinem<br />

Roman „Good Morning Los Angeles“ von 1996 Regeln<br />

zur Steigerung journalistischer Effektivität auf. Die<br />

erste lautet: „Sabotiere deine Vorsicht, indem du dich so<br />

nahe ans Feuer wagst, wie es nur geht.“ Oder: „Für mich<br />

verschmolzen Wirklichkeit und Unwirklichkeit zu einem<br />

ziemlich gefährlichen Gemisch.“ Dass ich in meinem<br />

Buch – das nicht als Roman deklariert ist – einfach die<br />

Wahrheit aufschreibe, auf diesen abwegigen Gedanken<br />

kommt kein Chefredakteur.<br />

Dabei inspiriert dieses Buch auch meine Interviews. Auf<br />

Seite 105 heißt es: „Es schien, als ob weder die Moral<br />

noch das positive Wertesystem eine Gesellschaft voranschreiten<br />

lassen, sondern ihre Unmoral und ihre Laster.“<br />

Ein schöner Gedanke – so schön, dass auch Bruce Willis<br />

ihn sich zu eigen gemacht hat: „Ich habe ziemlich früh<br />

kapiert, dass nicht die Moral uns Menschen voranschreiten<br />

lässt, sondern die Unmoral, die Laster, der Zynismus“,<br />

sagte der Star im November 1998 in einem „Vogue“-Interview<br />

mit mir.<br />

„Aber was treibt Sie an?“<br />

„Eine betörende Win-win-Situation: Die Stars bekamen<br />

schöne Titelgeschichten, wirkten intelligent und belesen.<br />

Die <strong>Magazin</strong>e bewiesen ihre doppelte Kompetenz,<br />

populär und intelligent zu wirken, und den Lesern wurde<br />

zurückprojiziert, was sie sich schon immer heimlich<br />

gewünscht hatten: dass es gute, moralisch und philosophisch<br />

redliche Gründe dafür gibt, sich für Stars zu interessieren,<br />

außer ihrem Erfolg und Aussehen.“<br />

„Ich finde Ihren Stoff sexy, Tom. Wurden die Leute nicht<br />

süchtig danach?“<br />

„Niemand wollte mich stoppen. Mein Stoff wird zum<br />

Hirnfutter für eine neue Generation von Lesern: die popkulturellen<br />

Nerds, die bald ihre Privatwelten zum ganz<br />

großen Universum erklären und mit der totalen Introspektion<br />

des realen und medialen Alltags die Macht der<br />

Bloggersphäre und Social Networks begründen.“<br />

„Was heißt ,Introspektion‘?“<br />

„Selbstbetrachtung. Der nach innen gerichtete Blick hätte<br />

vielleicht auch bei Donald zur Selbsterkenntis geführt.<br />

Nach Sigmund Freuds Libidotheorie kann das hilfreich sein.“<br />

„Was soll denn das sein: Libidotheorie?“<br />

„Die Energie des Sextriebs. Eine Theorie, die womöglich<br />

viele Phänomene von Donalds krankem Seelenlebens<br />

erklären könnten.“<br />

„Glaube ich nicht. Donald ist eher so was wie ein soldatischer<br />

Mann.“<br />

„Ein was?“<br />

„Donald nähert sich jeder Frau in einer Mischung aus<br />

Angst, Mystifizierung, Verklärung, Herabsetzung und<br />

Gewalttätigkeit.“<br />

„War Donald Ihnen gegenüber gewalttätig?“<br />

„Nein. Es war anders. Ich kann es nicht erklären.“<br />

„Hat Donald um sich geschlagen, wenn es nicht mehr<br />

anders ging?“<br />

„Nein. Aber er hat mich komplett entsexualisiert.“<br />

„Was heißt das?“<br />

„Er hat bloß fantasiert, statt mich real zu begehren. Er hat<br />

mich zum toten, idealisierten Objekt erhöht. Das alles,<br />

um nur ja keinen realen Kontakt erleben zu müssen.“<br />

„Vielleicht war es eine Art psychischer Mord bei lebendigem<br />

Leibe?“<br />

„Ich weiß es nicht. Er hat jedenfalls einen Hass gegen mich<br />

gezeigt, der in Wahrheit gegen sich selbst gerichtet war. Und<br />

dazu haben wir Champagner getrunken. Das war alles.“|<br />

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