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12<br />

wahrheiten<br />

Operiere ich als Künstler, dessen Arbeit<br />

bloß aussieht wie Journalismus?<br />

Womöglich will ich die ganze Welt immer<br />

nur in Anführungszeichen sehen.<br />

„Kannst du das nicht besser?“, fragt mich ein leitender<br />

Redakteur.<br />

„Doch“, sage ich. „Ich könnte das schon besser.“<br />

„Wieso überlegst du dir nicht was anderes?“, fragt er. „Es<br />

muss kein Interview sein. “<br />

„Klar, kann ich machen.“<br />

So entsteht ein 14-teiliger Thesenkatalog, Ivana Trump<br />

als deutsche Philosophin, mit jeweils ein bis fünf Unterpunkten,<br />

Listen eines typischen Populärkonsum-<br />

Pragmatismus, angereichert um Aussagen aus der Philosophy<br />

of Andy Warhol, mit Zwischen-Untertiteln wie<br />

„Das Werden, das Sein und das Nichts“ oder „Über die<br />

Pragmatik des Hedonismus“.<br />

Die Geschichte wird, ganz postironisch, auf dem Titelblatt<br />

mit der blauen Farbe eines klassischen Taschenbuchs<br />

aus der Suhrkamp-Reihe eingerahmt. Die Redaktion ist<br />

begeistert. Die Leser. Die Werber. Ich auch.<br />

Aber was wäre gewesen, hätte ich damals – wie sonst immer<br />

– das gleiche Spiel gespielt: mich selbst im Spiegel<br />

betrachtet, räsonierend, reflektierend, Erinnerungen an<br />

Sharon, Gwyneth oder Johnny vorüberziehen lassen.<br />

Alle „intim“, alles feuchte Träume eines Anti-Journalisten.<br />

Und dann: nur noch einmal, ein einziges Mal mit<br />

Ivana über die tiefen Dinge des Lebens und über Donald<br />

reden. Mit Leidenschaft! Hinschauen, wo niemand hinschauen<br />

kann. Dazu bin ich auserkoren worden.<br />

„<br />

Das Knistern in der Leitung aus Florida ist wieder da. Es<br />

schafft eine vertraute Atmosphäre.<br />

„Ivana, Ihr Exmann sollte schon 1986 um die US-Präsidentschaft<br />

kandidieren. Wegen Ihrer Skandalscheidung<br />

verzichtete er …“<br />

„Stimmt. Etwa fünf Jahre vor unserer Scheidung bekommt<br />

er einen Brief von Ronald Reagan …“<br />

Der Klang von Ivanas Stimme hat sich wieder verändert,<br />

vermittelt jetzt die kalte hysterische Herzlichkeit einer<br />

Rezeptionistin im Trump Tower von Las Vegas.<br />

„… also denkt er darüber nach. Aber da ist die Scheidung,<br />

da ist dieser Skandal, da bin ich – und die amerikanischen<br />

Frauen lieben mich und hassen ihn. Also verzichtet er auf<br />

die Kandidatur. Aber der Gedanke lässt ihn nicht mehr los.“<br />

„Haben Sie damals jemals darüber nachgedacht, wie man<br />

diesen Donald stoppen kann, bevor er Unheil anrichtet?“<br />

Ich höre Stimmen im Hintergrund. Eine Hand wird wieder<br />

auf die Muschel gelegt. Da ist es wieder, ein Knistern.<br />

„… indem die Öffentlichkeit mir besser zuhört, wenn ich<br />

von diesem Mann erzähle. Aber das will ja niemand hören<br />

…“<br />

„Was will die Öffentlichkeit nicht hören? Sie haben Donald<br />

Duck erwähnt. Und Onkel Walt. Die waren wichtig<br />

für Ihren Exmann, korrekt?<br />

„Wir haben während unserer Ehe oft über Mickey Mouse<br />

geredet. Donald wollte mir als Europäerin amerikanisches<br />

Kulturgut vermitteln. Da war er nicht zu stoppen.“<br />

Der große Witz von Mickey und seinen Kollegen basiere<br />

auf Geschwindigkeit, die mit Ökonomie gepaart sei. Für<br />

jemand wie Donald, der ein so intensives Verlangen hat,<br />

seine Umwelt zu kontrollieren, entsprach der Disney-Zeichentrickfilm<br />

dem idealen Medium. Es gewährleistet totale<br />

Kontrolle. Das ist alles, was einen Trump interessiert.<br />

Viele mächtige Amerikaner erfüllten sich, wie Walt Disney<br />

mit Disneyland, den eigenen Traum vom Gelobten<br />

Land. Henry Ford kaufte eine Kleinstadt, der Zeitungsmagnat<br />

Hearst errichtete Hearst Castle, und der Playboy-Herausgeber<br />

erfand die Playboy Clubs …<br />

„Donald will Amerika als seine Spielwiese besitzen. Deswegen<br />

hatte er schon 1986 Ambitionen, Präsident zu<br />

werden. Er wünscht sich einen Themenpark, in dem der<br />

Amerikanismus in Reinzustand existiert.“<br />

„So was wie ein mythologischer Schrein? Und was hätten<br />

Sie als Frau darin für eine Rolle gespielt?“<br />

„Womöglich die Seelsorgerin.“<br />

„Was fehlte Donald?“<br />

„Er wurde von Kinderängsten geplagt. Von analerotischen<br />

Tendenzen. Vielleicht waren das die Folgen der Prügel,<br />

die sein Vater austeilte. Vielleicht war es aber auch die<br />

Tatsache, dass die etwas senile Großmutter den kleinen<br />

Donald mit Abführbonbons zu belohnen pflegte.“<br />

„Hat Donalds Kinderangst, seinen Schließmuskel nicht kontrollieren<br />

zu können, vielleicht zu der Obsession geführt,<br />

einen total kontrollierten Lebensraum zu erschaffen?“<br />

„So tief mag ich jetzt nicht vordringen.“ Ivana kichert.<br />

„Es gibt ja auch noch seinen Starrsinn, seine Knausrigkeit,<br />

den Ordnungswahn … den Selbsthass.“<br />

„Selbsthass?“<br />

„Ich glaube, in Donald steckt so was wie die Sehnsucht,<br />

ein Schurke zu sein, ein Kerl, der heuchelt, verführt,<br />

hohnlacht, über Leichen schreitet. Er nahm immer an,<br />

wer nicht betrügt, täuscht, hereinlegt, der wird selbst betrogen,<br />

getäuscht und hereingelegt.“<br />

„Von Frauen reingelegt?<br />

„Frauen sind in Donalds Weltbild grundsätzlich minderwertig.<br />

Oder dann muss es das absolute Weib sein, also<br />

Natur, Wildnis, Ursprung, Grenzenlosigkeit. Und damit<br />

eine ständige Gefahr für sein Ich.“<br />

„Er gab Ihnen aber auch eine Chance. Sie kamen nach<br />

Amerika und waren arm.“<br />

„Ich hatte ein Gefühl für Stil, und so hat er mich mit dem<br />

Interior Design seines ,Grand Hyatt Hotel‘ beauftragt.<br />

Das war alles.“<br />

„Gleichzeitig hat er Ihnen Ihre Garderobe diktiert.“<br />

„Er nannte es ,Powerdressing‘. Kostüme mit breiten<br />

Schultern und kurze Röcke wie vom Straßenstrich. Ich<br />

durfte nie älter als 28 aussehen.“<br />

„Er hat Ihnen dann im Jahr den symbolischen Lohn von<br />

einem Dollar bezahlt.“<br />

„Damit war ich die am miesesten verdienende Nutte in<br />

Amerika – dazu noch eine, die er betrog.“<br />

Ivana kichert.<br />

„Nach Ihrer Scheidung erhielten Sie 14 Millionen Dollar<br />

in bar und eine Villa mit 45 Zimmern. Und Sie wurden<br />

selbst eine erfolgreiche Unternehmerin. Das haben Sie<br />

Donald zu verdanken, oder?“<br />

„Das habe ich mir selbst zu verdanken.“<br />

Stille.<br />

„Ivana, kann ich kurz eine Pause einlegen? Nachdenken?“<br />

„Klar. Ich schalte schnell die Klimaanlage höher, okay?“<br />

Okay.<br />

Nachdenken. Wie funktioniere ich? Wieso ist meine<br />

Welt eine bessere Welt? In meiner Welt stellen Stars sich<br />

tiefe Fragen, sprechen über das Verhältnis von Schein und<br />

Sein. Operiere ich vielleicht als Künstler, dessen Arbeit<br />

bloß aussieht wie Journalismus? Womöglich will ich die<br />

ganze Welt immer nur in Anführungszeichen sehen. Und<br />

dabei die Produktionsbedingungen, die unsere Wirklichkeit<br />

ausmachen, untersuchen und entblößen. Aber wie<br />

schafft man das, wenn die Medien längst zum korrupten<br />

Komplizen der Wirklichkeitsproduktion geworden sind?<br />

Wo steckt der Ursprung von Image und PR-Fabrikation?<br />

Soll ich mit Ivana darüber sprechen?

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