02 Neuer Standard nicht sediert
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Reduktion der Sedierung<br />
<strong>Neuer</strong> <strong>Standard</strong> – <strong>nicht</strong> <strong>sediert</strong>!<br />
Effect of dexmedetomidine added to standard care on ventilator-free time in<br />
patients with agitated delirium: A randomized clinical trial.<br />
Reade MC, Eastwood GM, Bellomo R, Bailey M, Bersten A, Cheung B, Davies A, Delaney A, et al. JAMA 2016; 315:1460-8<br />
IMPORTANCE: Effective therapy has not been established for patients<br />
with agitated delirium receiving mechanical ventilation.<br />
OBJECTIVE: To determine the effectiveness of dexmedetomidine<br />
when added to standard care in patients with agitated delirium receiving<br />
mechanical ventilation.<br />
DESIGN, SETTING, AND PARTICIPANTS: The Dexmedetomidine<br />
to Lessen ICU Agitation (DahLIA) study was a double-blind, placebocontrolled,<br />
parallel-group randomized clinical trial involving 74 adult<br />
patients in whom extubation was considered inappropriate because<br />
of the severity of agitation and delirium. The study was conducted at<br />
15 intensive care units in Australia and New Zealand from May 2011<br />
until December 2013. Patients with advanced dementia or traumatic<br />
brain injury were excluded.<br />
INTERVENTIONS: Bedside nursing staff administered dexmedetomidine<br />
(or placebo) initially at a rate of 0.5 µg/kg/h and then titrated<br />
to rates between 0 and 1.5 µg/kg/h to achieve physician-prescribed<br />
sedation goals. The study drug or placebo was continued until no<br />
longer required or up to 7 days. All other care was at the discretion of<br />
the treating physician.<br />
MAIN OUTCOMES AND MEASURES: Ventilator-free hours in<br />
the 7 days following randomization. There were 21 reported secondary<br />
outcomes that were defined a priori.<br />
RESULTS: Of the 74 randomized patients (median age, 57 years;<br />
18 [24%] women), 2 withdrew consent later and 1 was found to<br />
have been randomized incorrectly, leaving 39 patients in the dexmedetomidine<br />
group and 32 patients in the placebo group for analysis.<br />
Dexmedetomidine increased ventilator-free hours at 7 days compared<br />
with placebo (median, 144.8 hours vs 127.5 hours, respectively;<br />
median difference between groups, 17.0 hours [95% CI, 4.0 to 33.2<br />
hours]; P = .01). Among the 21 a priori secondary outcomes, none<br />
were significantly worse with dexmedetomidine, and several showed<br />
statistically significant benefit, including reduced time to extubation<br />
(median, 21.9 hours vs 44.3 hours with placebo; median difference<br />
between groups, 19.5 hours [95% CI, 5.3 to 31.1 hours]; P < .001)<br />
and accelerated resolution of delirium (median, 23.3 hours vs 40.0<br />
hours; median difference between groups, 16.0 hours [95% CI, 3.0<br />
to 28.0 hours]; P = .01). Using hierarchical Cox modeling to adjust for<br />
imbalanced baseline characteristics, allocation to dexmedetomidine<br />
was significantly associated with earlier extubation (hazard ratio,<br />
0.47 [95% CI, 0.27-0.82]; P = .007).<br />
CONCLUSIONS AND RELEVANCE: Among patients with agitated<br />
delirium receiving mechanical ventilation in the intensive care unit,<br />
the addition of dexmedetomidine to standard care compared with<br />
standard care alone (placebo) resulted in more ventilator-free hours at<br />
7 days. The findings support the use of dexmedetomidine in patients<br />
such as these.<br />
Eines kann man festhalten: Hätten Sie<br />
vor fünf Jahren einen Kommentar zum<br />
Thema Sedierung gelesen, wäre die<br />
Überschrift eine andere gewesen. Das<br />
Wort Dexmedetomidin aus dem angeführten<br />
Abstract hätten Sie vermutlich<br />
mehrfach lesen müssen, geschweige<br />
denn die Substanz einer möglichen<br />
symptomatischen Delirtherapie zugeordnet.<br />
Seit der EU-Zulassung 2011<br />
ist es eine der wenigen Substanzen, die<br />
neben Intensivmedizinern auch vielen<br />
Krankenhauscontrollern bekannt ist. Es<br />
hat sich viel verändert im Bereich der<br />
intensivmedizinischen Sedierung und<br />
in kaum einem anderen Bereich hat ein<br />
so eindrucksvoller Paradigmenwechsel<br />
stattgefunden.<br />
Die JAMA-Arbeit von Reade und Kollegen<br />
über die Ergebnisse der prospektiven,<br />
multizentrischen, radomisiert-kontrollierten<br />
Studie „Dexmedetomidine to<br />
Lessen ICU Agitation (DahLIA)“ greift<br />
diesen Paradigmenwechsel bereits im<br />
Studientitel auf: Eine zentrale neue Rolle<br />
der Sedativa in der Intensivmedizin<br />
ist die Therapie der Agitation (Raede<br />
MC; JAMA 2016; 315:1460).<br />
In der zweiarmigen Studie wurde Dexmedetomidin<br />
(Ziel-RASS gesteuert)<br />
versus Placebo untersucht, wobei Neuroleptika,<br />
Benzodiazepine und Opioide<br />
als „<strong>Standard</strong>-Care“ Protokoll bei beiden<br />
Gruppen verwendet werden konnten.<br />
Primärer Endpunkt war die Zeit<br />
ohne mechanische Beatmung in den<br />
Nr. 6, 2016 7
Reduktion der Sedierung<br />
sieben Tagen nach Randomisierung.<br />
Im Dexmedetomidin-Arm konnten signifikant<br />
mehr beatmungsfreie Stunden<br />
nachgewiesen werden (144,8 Stunden<br />
[Verum] vs. 127,5 Stunden [Placebo];<br />
mediane Differenz 17,0 Stunden;<br />
p = 0,01), eine kürzere Zeit bis zur Extubation<br />
[21,9 Stunden (Verum) vs. 44,3<br />
Stunden (Placebo); mediane Differenz<br />
19,5 Stunden; p < 0,001)], sowie eine<br />
kürzere Delirdauer (23,3 Stunden [Verum]<br />
vs. 40,0 Stunden [Placebo]; mediane<br />
Differenz 16,0 Stunden; p = 0.01)<br />
(Abbildung 1). Die Autoren schlussfolgern<br />
daher, dass die Verwendung von<br />
Dexmedetomidin in der Konstellation<br />
„Delir mit Agitation“ sinnvoll ist.<br />
Anteil der intubiert oder mit Tracheostomie<br />
<strong>sediert</strong> verbliebenen Patienten<br />
1.00<br />
0.80<br />
0.60<br />
0.40<br />
0.20<br />
Hazard ratio, 0.58 (95% CI, 0.36-0.95);<br />
log-rank P = .03<br />
Placebo<br />
Dexmedetomidine<br />
0<br />
0 20 40 60 80 100 120 140 160<br />
Stunden nach Randomisierung<br />
Ein neues Konzept<br />
8<br />
Abb. 1: Kaplan-Meier-Analyse des Anteiles jener Patienten, die innerhalb der ersten 7 Tage<br />
der Studie intubiert geblieben sind (modifiziert nach Reade MC, JAMA 2016; 315; 1460)<br />
„...But what I see these days are paralyzed,<br />
sedated patients, lying without motion,<br />
appearing to be dead, except for the<br />
monitors that tell me otherwise.“ (Thomas<br />
L. Petty, Chest 1998)<br />
Diese viel zitierten Zeilen aus dem Editorial<br />
„Suspended life or extending death?“<br />
von Thomas L. Petty sind in der Zwischenzeit<br />
zum Sinnbild einer Generation<br />
von Intensivmedizinern geworden<br />
(Petty TL; Chest 1998; 114:360). In den<br />
90er Jahren war es Usus Patienten tief<br />
zu sedieren, um Beatmung zu erleichtern<br />
und mutmaßlich den Heilungsverlauf<br />
zu verbessern. Petty bezweifelte<br />
rückblickend auf eine lange Karriere die<br />
Wirksamkeit des Konzeptes und wagte<br />
einen Zwischenruf, der letztlich den<br />
Beginn einer Reihe von wissenschaftlichen<br />
Arbeiten markierte, die seinem<br />
Editorial Recht gaben.<br />
Die Fragestellung der Raede-Arbeit<br />
greift diesen Punkt auf und hinterfragt<br />
die Rolle von Dexmedetomidin (Alpha-<br />
2-Agonist) in einem Protokoll zur Agitationsbehandlung.<br />
Die Evolution der<br />
Evidenz zeigt, dass es sich um eine sehr<br />
zeitgemäße Fragestellung handelt:<br />
John Kress und Kollegen zeigten im<br />
Jahr 2000, dass eine tägliche Unterbrechung<br />
der Sedierung die Beatmungsdauer<br />
um 2,4 Tage verkürzt (Kress J; N<br />
Engl J Med 2000; 342:1471). Im weiteren<br />
Verlauf zeigte sich die Kombination<br />
von Sedierungs- und Spontanatmungsversuchen<br />
dem alleinigen Spontanatmungsversuch<br />
überlegen und mit<br />
einer erniedrigten Mortalität verknüpft<br />
(Girard T; Lancet 2008; 371:126).<br />
Weitere Arbeiten zeigten, dass ein protokollbasiertes<br />
Vorgehen mit dem Ziel<br />
einer flacheren Sedierung einer täglichen<br />
Sedierungsunterbrechung <strong>nicht</strong><br />
unterlegen war, sondern vor allem tiefe<br />
Sedierung vermieden werden soll<br />
(Burry L.; Cochrane Database Syst Rev<br />
2014; 7:CD009176). Eine Reihe von<br />
Studien legte das Augenmerk speziell<br />
auf die frühe, tiefe Sedierung, die<br />
konsistent mit einer höheren Mortalität<br />
korrelierte (Shehabi, Y; Am J Respir<br />
Crit Care Med 2012; 186:724; Balzer F;<br />
Crit Care 2015; 19:197).<br />
Der vorliegende Evidenzkörper hat<br />
letztlich zu Leitlinien- und Konsensusstatements<br />
geführt, die einen wachen,<br />
kooperativen Patienten empfehlen<br />
(DAS Taskforce 2015; Ger Med Sci<br />
2015; 13; Barr J; Crit Care Med 2013;<br />
41:263; Vincent JL; Intensive Care Med<br />
2016; 42:962).<br />
Dieser Evidenzkörper ist relevant, um<br />
den innovativen und zeitgemäßen Charakter<br />
der Fragestellung der Studie von<br />
Reade MC und Mitarbeitern zu verstehen:<br />
Es handelt sich um eine qualitativ<br />
hochwertige Studie zur symptomorientierten<br />
Therapie der Agitation,<br />
lassen Sie sich vom Delir im Titel <strong>nicht</strong><br />
täuschen!<br />
Kritisch zu hinterfragen ist, warum<br />
Sedierungsziele, Zeit in der Zielsedierung<br />
und der Median-RASS-Score in<br />
der Arbeit <strong>nicht</strong> detaillierter zu finden<br />
sind. Der von den Autoren angegebene<br />
Zielsedierungsbereich von RASS „+1“<br />
bis „-2“ ist breit und umfasst Patienten,<br />
die leichte Agitation zeigen (+1) bis hin<br />
zu Patienten, die auf Ansprache keine<br />
zehn Sekunden Augenkontakt mit dem<br />
Untersucher halten können (-2).<br />
Die deutsche Leitlinie empfiehlt einen<br />
Ziel-RASS von „0“ oder „-1“, als sicher<br />
schädlich gilt „-3“ (Balzer F; Crit<br />
Care 2015; 19:197), bei „-2“ scheiden<br />
sich die Geister <strong>nicht</strong> zuletzt, weil Studienprotokolle<br />
inkonsistente Vorgaben<br />
machen. Letztendlich ist es für den<br />
Kliniker, unabhängig vom Ziel-RASS,<br />
besonders relevant, wie gut steuerbar<br />
eine Substanz ist. Ist dies <strong>nicht</strong> Primärziel<br />
der Arbeit, so hätte man erwartet,<br />
dass es in den sekundären Endzielen<br />
auftaucht.<br />
Auch wenn <strong>nicht</strong> signifikant, findet<br />
sich in der Dexmedetomidin-Gruppe<br />
zumindest numerisch weniger Überse-<br />
Nr. 6, 2016
Reduktion der Sedierung<br />
dierung: 17,6% vs. 25,9%. Wie erklärt<br />
sich dieser Trend? Patienten mit Dexmedetomidin<br />
(Sedativum) sind weniger<br />
<strong>sediert</strong> als Patienten mit Kochsalzlösung<br />
(Placebo)? Das klingt zunächst<br />
einmal paradox, ist es aber bei genauerer<br />
Betrachtung <strong>nicht</strong>.<br />
Halluzination,<br />
psychotische<br />
Symptome<br />
D2R2-Antagonisten<br />
Haloperidol, Olanzapin<br />
Quetiapin, Risperidon<br />
Eine neue Rolle für<br />
bekannte Substanzen<br />
Angriffspunkte von klassischen Sedativa<br />
wie Propofol oder Benzodiazepinen<br />
bildet der GABAA-Rezeptor, Clonidin<br />
und Dexmedetomidin wirken am<br />
Alpha-2-Rezeptor. Die zweite Gruppe<br />
unterscheidet sich pharmakodynamisch<br />
von klassischen Sedativa, da sie<br />
über präsynaptische Alpha-2-Rezeptoren<br />
wirken, an denen sie die Noradrenalinausschüttung<br />
hemmen. Die sedierende<br />
Wirkung wird in diesem Fall<br />
insbesondere über den Locus coeruleus<br />
vermittelt und verhindert aufsteigende<br />
Aktivierung des Kortex, ohne direkt an<br />
der Großhirnrinde zu modulieren.<br />
Dies erklärt zwei Dinge: Zum einen<br />
ist eine tiefe Sedierung mit Alpha-<br />
2-Agonisten <strong>nicht</strong> möglich, was ihnen<br />
im Zeitalter der tiefen Sedierung gerne<br />
den Ruf der unzureichenden Wirksamkeit<br />
als Monosubstanz einbrachte;<br />
zum anderen haben sie ausgeprägt vegetativ<br />
abschirmende Wirkung, da Alpha-2-Rezeptoren<br />
fast ubiquitär vorkommen<br />
und den Sympathikotonus<br />
verringern.<br />
Komplex wird die symptomorientierte<br />
Therapie, betrachtet man Opioide,<br />
Antikonvulsiva, NMDA-Rezeptorantagonisten<br />
und Neuroleptika: Sie alle<br />
haben spezifische Wirkungen, die eine<br />
symptomorientierte Therapie ermöglichen,<br />
sie alle haben allerdings auch sedierende<br />
Effekte.<br />
In der vorliegenden Arbeit finden Sie<br />
diese Tatsache in einer Tabelle zusammengefasst:<br />
Midazolam, Propofol,<br />
Morphine, Fentanyl, Haloperidol,<br />
Olanzapin, Risperidon, Quetiapin – das<br />
sind die Substanzen, die in unterschiedlicher<br />
Anzahl und unterschiedlichem<br />
Ausmaß genutzt wurden. Die Nutzung<br />
Exogene<br />
und<br />
endogene<br />
Faktoren<br />
Stress,<br />
vegetative<br />
Reaktion<br />
Alpha-2-Agonisten<br />
Dexmedetomidin<br />
Clonidin<br />
Abb. 2: Schema zur symptomorientierten Therapie von Stress, Angst und psychotischen Symptomen.<br />
Angelehnt an die deutschen S3-Leitlinien zur Analgesie, Sedierung und dem Delirmanagement<br />
in der Intensivmedizin, Update 2015 (DAS Taskforce 2015; Ger Med Sci 2015; 13).<br />
*Benzodiazepine mit selektiver Wirksamkeit am Alpha 2/3/5 Subrezeptortyp haben mutmaßlich bessere<br />
anxiolytische Wirkung. Die Charakterisierung der verfügbaren Substanzen steht noch aus.<br />
von Alpha-2-Agonisten ist im Rahmen<br />
der Studie als ein Baustein der Therapie<br />
zu sehen, <strong>nicht</strong> als Monotherapeutikum<br />
(Abbildung 2).<br />
Letztlich hängt bei solchen Untersuchungen<br />
die Wirksamkeit der Substanz<br />
maßgeblich von der Güte der Kontrollgruppe<br />
ab; auch wenn in diesem Fall<br />
scheinbar viele Substanzen verwendet<br />
wurden, so spricht dies doch vor allem<br />
für eine differenzierte, symptomorientierte<br />
Therapie.<br />
Für Interessierte: Kontrollgruppeneffekte<br />
konnten eindrucksvoll an den oben<br />
genannten Sedierungsstudien nachgewiesen<br />
werden: Während die tägliche<br />
Sedierungsunterbrechung im Vergleich<br />
zur tiefen Sedierung noch mit Vorteilen<br />
verbunden war, ist dieser Effekt bei<br />
protokollbasierter, leichter Sedierung in<br />
der Kontrolle <strong>nicht</strong> mehr nachweisbar.<br />
Es handelt sich <strong>nicht</strong> um inkonsistente<br />
Evidenz, sondern lediglich um einen<br />
veränderten Kontrollgruppenstandard.<br />
Weniger Sedierung, mehr Delir?<br />
Schmerz<br />
Angst<br />
Benzodiazepine*:<br />
Lormetazepam,<br />
Midazolam,<br />
Lorazepam<br />
Das Delir ist eine akute Aufmerksamkeitsstörung,<br />
mit quantitativen und/<br />
oder qualitativen Bewusstseinsstörungen,<br />
dem ein medizinischer Faktor<br />
(z. B. Sepsis) zugrunde liegt. Ätiologisch<br />
ist das Delir eine akute Organdysfunktion,<br />
die mit erhöhter Morbidität<br />
und Mortalität einhergeht. Neben der<br />
Differentialdiagnostik und der Therapie<br />
einer Ursache, ist ein Delir regelhaft<br />
mit Stress für Patienten verbunden.<br />
Typischerweise fluktuiert der Bewusstseinsstatus<br />
deliranter Patienten. Rein<br />
hypoaktive Delirien sind entweder<br />
über<strong>sediert</strong>e Delirien oder besonders<br />
schwere Formen der Organdysfunktion,<br />
die einen fließenden Übergang<br />
zum Koma bilden (European Delirium<br />
Association, American Delirium Society;<br />
BMC Med 2014; 12:141).<br />
Ein Delir tritt ohne Sedierung <strong>nicht</strong><br />
häufiger auf, sondern wird mit weniger<br />
Übersedierung klinisch häufiger detektierbar.<br />
Dazu sollen validierte Tests, wie<br />
z. B. die „Confusion Assessment Method<br />
for the ICU (CAM-ICU)“ zum<br />
Einsatz kommen, da Studien gezeigt<br />
haben, dass die Blickdiagnose „Delir“<br />
insuffiziente diagnostische Validität<br />
aufweist.<br />
An diese Maßgabe haben sich die Autoren<br />
vollständig gehalten. Allerdings<br />
sei erwähnt, dass im klinischen Alltag<br />
Nr. 6, 2016 9
Reduktion der Sedierung<br />
<strong>nicht</strong> jeder Patient mit einem RASS-<br />
Wert größer „0“ delirant ist. In der<br />
kommentierten Studie wurden nur<br />
CAM-ICU-positive Patienten eingeschlossen,<br />
allerdings sehen wir in der<br />
Klinik auch <strong>nicht</strong>-delirante Patienten<br />
mit RASS > +1. Ob das Konzept bei<br />
diesen auch greift, bleibt offen, ist aber<br />
dennoch im Rahmen der Gesamtstudienlage<br />
wahrscheinlich.<br />
Zusammenfassung<br />
Dexmedetomidin ist für die Sedierung<br />
erwachsener, intensivmedizinisch behandelter<br />
Patienten zugelassen, sofern<br />
ein Erwecken durch verbale Stimulation<br />
erlaubt ist. Dies impliziert die Therapie<br />
von Agitation mit und ohne Delir. Genau<br />
für diese symptomorientierte Therapie<br />
im Delir scheinen Alpha-2-Agonisten<br />
besser geeignet als viele andere<br />
Substanzen (Al-Quadheeb NS; Crit Care<br />
Med 2014; 42:1442), was sich in den<br />
Daten von Raede bestätigt. Ob es Patientengruppen<br />
gibt, die darüber hi naus<br />
einen Benefit haben und außerhalb des<br />
bisherigen Indikationsspektrums liegen,<br />
müssen weitere Untersuchungen zeigen.<br />
Pandharipande und Kollegen fanden<br />
beispielsweise in einer a-pri ori angesetzten<br />
Subgruppenanalyse septischer<br />
Patienten der MENDS-Studie einen<br />
Überlebensvorteil in der Dexmedetomidin-Gruppe<br />
(Pandharipande PP; Crit<br />
Care 2010;14:R38).<br />
Die größte Schwäche der hier vorgestellten<br />
Studie liegt auf der Hand: Es<br />
ist die niedrige Fallzahl und das Nichterreichen<br />
der geplanten Fallzahl von 96<br />
Patienten. Muss man sich nun sorgen,<br />
warum die Studie im JAMA publiziert<br />
wurde? Wie auch Ely und Pandharipande<br />
in ihrem Kommentar zum Artikel<br />
feststellten, ist das Ergebnis zum<br />
einen klar und hätte zum vorzeitigen<br />
Abbruch der Studie geführt, da es einen<br />
klaren Nachteil in der Placebogruppe<br />
gab (Ely EW ; JAMA 2016; 315:1455),<br />
zum anderen handelt es sich um ein<br />
elabo riertes, exaktes Protokoll, robuste<br />
Methoden mit einer sehr präzisen Auswertung,<br />
die dem Stand der Forschung<br />
entsprechen - inklusive einer zeitgemäßen<br />
Kontrollgruppe.<br />
Und was ist mit Clonidin als Alternative?<br />
Diese Antwort bleiben ich und die<br />
Autoren schuldig, da dieser im deutschsprachigen<br />
Raum weit verbreitete Alpha-2-Agonist<br />
in der Studie <strong>nicht</strong> verwendet<br />
wurde. Wie in fast allen Studien<br />
fehlt dieser für Kliniker sehr relevante<br />
3. Studienarm. Es gibt allerdings ältere<br />
Studien, die im Rahmen des Alkoholentzugsdelirs<br />
eine Wirksamkeit von<br />
Clonidin nachweisen konnten (Ungur<br />
L, Alcohol Clin Exp Res 2013; 37:675).<br />
Interessenkonflikte: Der Autor hat Vortragshonorare<br />
von Fresenius Kabi, von Dr. F. Köhler Chemie, von Orion<br />
Pharma und Paion UK Ltd. erhalten.<br />
Dr. Björn Weiß<br />
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