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Erziehung - GEW

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GASTKOMMENTAR<br />

Eine Frage des Anstands<br />

In kaum einem anderen Land der Welt haben<br />

Menschen, die in pädagogischen Berufen<br />

tätig sind und anderen Menschen Bildung<br />

und <strong>Erziehung</strong> vermitteln, ein so miserables<br />

Sozialprestige wie in Deutschland. Wer sich<br />

z. B. als Lehrer pauschalen Verunglimpfungen<br />

und Vorurteilen ausgesetzt sah, konnte sich<br />

bislang wenigstens noch mit einer vergleichsweise<br />

sicheren Anstellung trösten.<br />

Doch damit ist es nun vorbei. Dem deutschen<br />

Bildungssystem, das im internationalen Kontext<br />

erheblich unter Kritik steht, droht eine<br />

regelrechte Erosion von innen, die das<br />

schlechte Image von Lehrenden als ein eher<br />

nebensächliches Problem erscheinen<br />

lässt. Während noch<br />

die „Generation Praktikum“<br />

einen Großteil der medialen Aufmerksamkeit<br />

absorbiert hat,<br />

breitet sich das so genannte<br />

„Prekariat“ weitgehend unbemerkt<br />

auf allen Stufen unseres<br />

Bildungssystems aus.<br />

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse<br />

weit jenseits von tarif-<br />

licher Sicherheit und zeitlicher<br />

Kontinuität gibt es schon seit<br />

längerem in der Weiterbildung.<br />

Gut bekannt und immer wieder<br />

beklagt ist auch das Phänomen<br />

der Privatdozentinnen und Privatdozenten,<br />

die gegen kein<br />

oder ein lächerliches Entgelt an<br />

den Hochschulen Lehrveranstaltungen<br />

übernehmen müssen,<br />

um ihre venia legendi nicht zu<br />

verlieren. Relativ neu hingegen<br />

sind die „pädagogischen Tagelöhner“<br />

in Kitas und Schulen;<br />

auch hier macht sich das Phänomen<br />

breit, dass vor allem Berufseinsteiger<br />

– die „Generation<br />

Praktikum“ lässt grüßen – wie auf einem<br />

Rangierbahnhof hin- und hergeschoben werden,<br />

von Einsatzort zu Einsatzort, von Kurzeinsatz<br />

zu Kurzeinsatz, ohne Aussicht auf eine<br />

weiterführende Perspektive und obendrein<br />

schlecht bezahlt. Beispiel Berlin: In den Schulen<br />

soll der chronische Unterrichtsausfall dadurch<br />

behoben werden, dass ein regelrechtes<br />

Ersatzheer von immer nur kurzfristig beschäftigten,<br />

mies bezahlten Lehrkräften die<br />

schlimmsten Löcher in der Personaldecke<br />

stopft. Lehrerinnen und Lehrer auf Abruf, hoch<br />

mobil, hoch flexibel, hoch motiviert, aber<br />

dennoch im durch Minijobs geprägten<br />

pädagogischen Niedriglohnsektor beschäftigt<br />

(siehe Seite 6 ff.). Der Berliner Weg mag<br />

den Nöten drastischer Überschuldung ge-<br />

2 <strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft 4/2007<br />

Prof. Rolf Dobischat,<br />

Fachbereich Bildungswissenschaften,<br />

Schwerpunkt Berufliche<br />

Aus- und Weiterbildung,<br />

Universität<br />

Duisburg-Essen.<br />

Er ist Präsident des<br />

Deutschen Studentenwerks.<br />

„Hire and fire<br />

führte noch nie<br />

zum Erfolg“<br />

schuldet sein, klug und vorausschauend ist er<br />

nicht. Es gilt ganz allgemein: Wenn prekäre<br />

an die Stelle von Normal-Arbeitsverhältnissen<br />

treten, wenn die Ausnahme zur Regel<br />

wird, dann stimmt etwas nicht. „Hire and fire“<br />

war noch nie ein Managementprinzip, das zu<br />

nachhaltigem Erfolg führte. Dies gilt übrigens<br />

auch in der ach so „freien“ Wirtschaft. Für den<br />

Bildungsbereich ist es katastrophal.<br />

Wer wird sich in Zukunft für ein mit Studiengebühren<br />

belegtes Lehramtsstudium entscheiden,<br />

wenn danach ein jahrelanges Stellen-Hopping<br />

droht? Wer wird sich für den –<br />

skandalös schlecht bezahlten! – Beruf der<br />

Erzieherin erwärmen, wenn auch<br />

in den Kitas allen pädagogischen<br />

Ansätzen zum Trotz die<br />

totale Flexibilisierung Einzug<br />

hält? Die Motivation junger Menschen,<br />

einen Beruf im Bildungsbereich<br />

bzw. in einem pädagogischen<br />

Arbeitsfeld zu ergreifen,<br />

dürfte ins Bodenlose sinken.<br />

Irgendwann ist aller Idealismus<br />

Foto: privat<br />

aufgebraucht.<br />

Allen wohl klingenden Sonntagsreden<br />

zum Trotz scheint diesem<br />

Land, scheint dieser Gesellschaft<br />

die Bildung real immer<br />

weniger wert zu sein.<br />

Es gehört eine große Portion<br />

Ignoranz dazu, ausgerechnet jene<br />

Berufe schleichend zu dequalifizieren<br />

und zu entwerten, die<br />

im Kern unseres Sozialgefüges<br />

angesiedelt sind. Kann es uns<br />

wirklich egal sein, wie jene Menschen<br />

arbeiten (müssen), die unsere<br />

Kinder ausbilden und erziehen?<br />

Wie merkwürdig, dass es<br />

noch keinerlei Forschung zu der<br />

Frage zu geben scheint, wie sich<br />

prekäre Arbeits- und Anstellungsverhältnisse<br />

auf die Qualität der Bildung auswirken. Wer<br />

auch nur die geringste Praxiserfahrung mit<br />

Bildungsinstitutionen gemacht hat, wird beipflichten:<br />

Die vorbildlichste Berufseinstellung,<br />

die beste Qualifikation, der beste Wille<br />

können nicht verhindern, dass sich die Prekarität<br />

– im Grunde: die Monstrosität – des Anstellungsverhältnisses<br />

negativ auf die inhaltliche<br />

Arbeit auswirkt. Und sei es nur dadurch,<br />

dass die „Belehrten“ wissen: „Der ist ja ohnehin<br />

bald wieder weg.“<br />

Für gesicherte Beschäftigungsverhältnisse in<br />

der Bildung zu kämpfen, ist kein Standesdünkel,<br />

sondern eine bildungspolitische Notwendigkeit.<br />

Letztlich auch eine Frage des<br />

Anstands. Rolf Dobischat<br />

Illustration: zplusz<br />

Recht auf Zukunft: Mit ihrer Kampagne<br />

„Ausbildung für alle“ will die <strong>GEW</strong> den<br />

Druck auf Politik und Wirtschaft verstärken,<br />

allen Jugendlichen eine berufliche<br />

Ausbildung zu ermöglichen. Ohne<br />

Lehrstelle hat heute keiner auf dem<br />

Arbeitsmarkt eine Chance, eine Beschäftigung<br />

zu finden, die mehr als ein<br />

kurzfristiger Aushilfsjob ist. Deshalb:<br />

Eine berufliche Ausbildung gehört zur<br />

Grundausstattung junger Menschen,<br />

damit sie für ihr Leben Perspektiven<br />

entwickeln können. Seite 5<br />

Impressum<br />

<strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft<br />

Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 59. Jg.<br />

Herausgeber: Gewerkschaft <strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft<br />

im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />

Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />

Redaktion: Ulf Rödde (verantwortlich),<br />

Helga Haas-Rietschel.<br />

Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />

Postanschrift der Redaktion:<br />

Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />

Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />

Internet: www.gew.de<br />

Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />

<strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />

am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />

Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />

Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />

Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />

Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />

enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />

jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />

MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />

Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />

Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />

E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />

übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />

Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />

Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />

Goldammerweg 16, 45134 Essen;<br />

Verantw. f. Anzeigen: Mathias Müller,<br />

Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />

anzeigen@stamm.de; www.stamm.de;<br />

zz. gültige Anzeigenpreisliste Nr. 36 vom 1. 1. 2007;<br />

Anzeigenschluss am 5. des Vormonats.<br />

E&W wird auf chlorfrei<br />

gebleichtem Papier gedruckt.<br />

ISSN 0342-0671

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