Dann nehmen Sie halt Schlecht bezahlte und befristete Jobs zunehmend auch im Bildungsbereich 6 <strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft 4/2007
mehr Ehrenamtliche Karikaturen: Thomas Plaßmann Prekäre Arbeitsverhältnisse – man kennt sie aus dem Niedriglohnbereich für gering Qualifizierte. Doch zunehmend greifen sie auf den gesamten Bildungssektor über: Minijobs in Kitas, befristete Lehrtätigkeiten mit geringem Verdienst in der Familienbildung oder an Hochschulen, Ein- Euro-Jobs oder schlecht bezahlte Zeitverträge an Volkshochschulen und neuerdings auch an Schulen. Es sind hoch qualifizierte Fachkräfte mit akademischem Abschluss, die oft am Rande des Existenzminimums arbeiten. Ein Trend, der gestoppt werden muss – nicht nur im Interesse der Beschäftigten. Einen Verlust an Qualität in der Bildung kann sich Deutschland nicht leisten. Beispiel Schule: Würde man Jitka Stuck* fragen, welches Thema sie mit ihren Schülern in einem Monat im Englisch- Unterricht behandeln wird, die 32-jährige Lehrerin wüsste nicht genau, was sie antworten sollte. Die gebürtige Tschechin ist eine von derzeit mehr als 300 Lehrerinnen und Lehrern, mit deren Hilfe der Berliner Schulsenat den Unterrichtsausfall stoppen will. Seit Ende Februar arbeitet Jitka Stuck an einer verbundenen Haupt- und Realschule im Stadtteil Neukölln. Die Casting-Idee des neuen Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD) stieß in der Öffentlichkeit auf wohlwollendes Echo – zunächst, bis sich herausstellte, dass die Lehrer nur als Feuerwehr eingesetzt werden sollen und ihr Anstellungsvertrag mit Beginn der Sommerferien ausläuft. Oder noch früher, wie Jitka Stuck fürchtet. In ihrem Vertrag steht nämlich, dass sie an dem Tag ihren Schreibtisch räumen muss, wenn die erkrankte Kollegin wieder gesund an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt. „Eine makabre Situation“, sagt Stuck, „ich muss also froh sein, wenn die Kollegin länger krank bleibt.“ Was nach den Sommerferien wird, weiß sie noch nicht. Das kleine Fünkchen Hoffnung, dass irgendwo eine Stelle als Lehrerin frei wird, bleibt. „Eine vernünftige Unterrichtsplanung ist unter solchen Bedingungen natürlich nicht möglich“, sagt Jitka Stuck zu dieser Ex-und-Hopp-Einstellungspolitik. „Die Kinder fragen mich fast jeden Tag, wie lange ich denn noch bleiben werde.“ Oft sitze sie am Wochenende auf der Wohnzimmercouch und grüble darüber nach, ob es überhaupt noch Sinn macht, sich intensiv auf die kommenden Wochen vorzubereiten. Die Englischlehrerin sieht sich als Lückenbüßerin für eine verfehlte Einstellungspolitik des Senats und sie weiß von anderen Kolleginnen und Kollegen, die das vom Senat als Chance angepriesene Angebot nicht angenommen haben. „Die gehen lieber an eine Privatschule. Da verdienen sie zwar weniger, dafür stimmt dort meist das Lern- und Arbeitsklima.“ Es sind vor allem junge Lehrerinnen und Lehrer, die an den Berliner Schulen als Reservisten eingesetzt werden sollen. Wobei die Bezeichnung „Reservisten“ keineswegs eine sprachliche Übertreibung ist. Peter Sinram, Pressesprecher der Berliner <strong>GEW</strong>, berichtet von einer Lehrerin, die nach dem Casting zur Schule bestellt wurde, um ihren Vertrag zu unterschreiben. Dort habe man der jungen Kollegin mitgeteilt, dass sich die Sache erledigt habe; die erkrankte Lehrerin sei wieder gesund. Kaum daheim angekommen, habe bei der „Reservistin“ dann erneut das Telefon geklingelt, sie solle doch noch kommen, da justement ein Lehrer einen Hörsturz erlitten habe und auf unbestimmte Zeit ausfalle. Das Schicksal Jitka Stucks ist beispielhaft für eine relativ neue Entwicklung, die zunehmend den gesamten Bildungssektor erfasst. Längst ist auch die Mittelschicht von der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse betroffen, sagt Berthold Vogel vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Die „Fragilität und Unsicherheit von Beschäftigten halte selbst in die stabilen Kernbereiche der Arbeitsgesellschaft Einzug“, also auch in die öffentlichen Dienste. „In der Erwachsenenbildung und der Kleinkindpädagogik ist das schon länger zu beobachten.“ Viele Erzieherinnen und Weiterbildner hätten sich hier bereits „mit der Situation der permanenten Unsicherheit arrangiert“, sagt der Sozialwissenschaftler, der befürchtet, dass diese Entwicklung auf die Schulen übergreift. Schule als Unternehmen So hält es Vogel durchaus für möglich, dass Schulleitungen sich künftig aus Gründen knapper Kassen dafür entscheiden, die Nachmittagsbetreuung an ihren Einrichtungen an private Bildungsfirmen zu vergeben, die eigene Kräfte zu deutlich schlechteren Kondi- 4/2007 <strong>Erziehung</strong> und Wissenschaft 7