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Kapitel I<br />
Lange Zeit habe ich mir diesen Moment ausgemalt. Wie es<br />
wohl wäre, mich von allem Irdischen zu lösen und der Sorglosigkeit<br />
hinzugeben, die ich all die Jahre gesucht habe. Das<br />
Leben nur noch einen kurzen, letzten Augenblick auszukosten,<br />
es zu fühlen, zu riechen und ein Teil davon zu sein, um<br />
es dann loszulassen mit Tränen in den Augen und einem<br />
Lächeln im Gesicht. Ich fühle mich in diesem Augenblick so<br />
leicht wie noch nie in meinem Leben. Ein warmes, rhythmisches<br />
Pulsieren durchströmt meinen Körper, ich spüre den<br />
harten Betonboden mit all seinen Unebenheiten unter mir.<br />
Ich liege da. Reglos. Sorglos.<br />
Wie gern würde ich die Augen ein letztes Mal öffnen, die<br />
warme Abendsonne, die meinen kalten Körper erwärmt,<br />
noch einmal geniessen, doch Dunkelheit umgibt mich. Ich<br />
spüre den Wind, der von Zeit zu Zeit meinen Körper streift,<br />
und schmecke die Hafenluft auf meinen Lippen. Ich ertappe<br />
mich dabei, dass ich mir meinen eigenen Tod sehnlichst herbeiwünsche.<br />
In diesem Augenblick kehrt mein Sehvermögen zurück.<br />
Langsam öffne ich meine Lider und spüre, wie sich meine<br />
Pupillen im grellen Abendrot blitzschnell zusammenziehen.<br />
Zunächst erkenne ich farblose verschwommene Silhouetten,<br />
die sich mit jedem schmerzhaften Wimpernschlag mehr<br />
und mehr zu mir bekannten Objekten formen. Ich versuche,<br />
meine Kraftreserven ein letztes Mal zu bündeln, den Arm zu<br />
erheben, um einen genaueren Blick auf das Ding vor mir zu<br />
erhaschen, das mein Schicksal besiegeln wird. Ich gestehe<br />
mir ein, dass ich nur noch einen letzten Versuch habe, bevor<br />
meine Reserven vollkommen erlöschen. In Zeitlupe, so<br />
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