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kalbenser Fliegenklatsche

Bd.3 "Das Einrichtungsmagazin für Rumtreiber"

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fliegenklatsche<br />

Ausgabe 03<br />

Frühjahr 2017<br />

Das Einrichtungsmagazin für Rumtreiber<br />

Heimat<br />

Ausgewählte Geschichten und gedanken<br />

Perlen der Volxmusik & allerlei Bemerkenswertes<br />

Mit extra kleiner schrift für mehr rätselspaSS


Cover-Artwork by Eugenia Loli eugenialoli.tictail.com


Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Haha sie sind reingefallen, ist gar kein Heimatroman! Damit Sie das Heft<br />

aber nun nicht gleich enttäuscht zerreißen und aufessen, möchte ich ihnen<br />

zumindest die Einleitung möglichst harmonisch und ergreifend gestalten:<br />

Wo der milde Wildbach rauscht.<br />

Der stolze Himmel tauchte die malerische Szenerie bedeutungsschwer in<br />

Licht und Schatten. Über den flachen aber dennoch majestätischen Bergmassiven<br />

lag ein güldener Schein. Auch die stillen blass-grünen Wiesen<br />

und saftigen Felder, welche von tüchtigen Menschen zeugten, waren von<br />

zartem Dunst umhüllt. Hans, der einst den Verlockungen der großen Stadt<br />

erlag und der daraufhin als unschuldiger Bub im gottlosen Getümmel<br />

Berlins um seine Ehre kämpfen musste und darüber beinahe seine große<br />

Liebe vergaß, war nun endlich, geläutert und voller Sehnsucht, auf dem<br />

Weg Heim in sein beschauliches Dorf. Der trotzige Wildbach zu seinen<br />

Füßen wallte und brodelte - grad so wie es in seinem Inneren zuging. Mit<br />

pochendem Herzen ließ Hans seinen Blick schweifen, weit über die anmutige<br />

Landschaft. Ein Greif stob zu Boden. Schon konnte er in der Ferne<br />

den geliebten Kirchturm erblicken. Tränen des Glücks traten ihm in die<br />

Augen. Übermannt von tiefen Gefühlen begann er zu laufen. Immer und<br />

immer schneller. Die schwere Last seines Koffers war ihm dabei Einerlei.<br />

Erst unter der ehrwürdigen Eiche, aus der er als Bub immer gefallen war<br />

hielt er inne. Einige Kinder tollten überschwänglich mit ihren neumodischen<br />

Handys herum, versuchten ihm neckisch seinen Filzhut zu stibitzen,<br />

nahmen aber sonst kaum Notiz von dem Fremden. Noch schmunzelnd<br />

darob schickte sich Hans an weiter zu gehen, um so bald als möglich die<br />

geliebten Eltern wieder in seine kräftigen Arme zu schließen zu können.<br />

Es herrschte eine wohltuende mittägliche Ruhe, nur gelegentlich unterbrochen<br />

vom Zwitschern der Vögel und dem schallenden Gelächter aus<br />

der Schänke, das vom einträchtigen Leben der lieben Bauern kündete.<br />

Da fiel sein Blick auf eine traurige Gestalt im Schatten der Wirtschaft.<br />

Gerade als sie sich abwandte, erkannte Hans sie. „Inge!“, rief er mit erstickter<br />

Stimme. Sie zögerte kurz, doch dann gewannen überschäumende<br />

Gefühle die Oberhand und beide stürmten aufeinander los. Hans nahm<br />

sie fest in seine muskulösen Arme und küsste sie so recht von Herzen.<br />

Inge rang mit ihren Gefühlen, gab dann jedoch nach und schmiegte sich<br />

glücklich an seinen gestählten Körper. - E N D E -<br />

So, für den Rest des Heftes sind sie nun aber<br />

ganz auf sich allein gestellt. Für eventuelle Verwirrungen,<br />

sowie für Verwerfungen Ihres Weltbildes<br />

kann keine Haftung übernommen werden.<br />

Viel Glück. Und möge das große fliegende<br />

Spaghettimonster Ihnen beistehen.<br />

Marko Kühnel


Kein Land in Sicht<br />

von Lisa Wiedemuth<br />

4<br />

4


Alltag lässt die Heimat vergessen, deswegen habe ich auf diesen Moment gewartet. Ich bin<br />

an Bord zwischen Niemands- und Festland. Bis vor einer halben Stunde zeugte noch ein Zug<br />

von Möwen, dass der Boden unter den Füßen nicht weit entfernt liegt. Ich bin das erste Mal<br />

auf einem Schiff, einem modellierten Zwischenraum mit Hotelambiente, dessen Charakter<br />

doch eher einem Bahnhof gleicht. Aufeinander geworfene Menschen müssen nirgendwo hin,<br />

sie warten nur, bis sie irgendwohin gebracht werden. Wie auf einem Flughafen, nur ohne<br />

Hafen. Sie sind Darsteller der Verlorenheit: Die Rauchenden auf dem Deck, die Trinkenden<br />

an der Bar, die Streitenden in der Lobby. Ich bin allein, aber nicht einsam, seit zehn Tagen<br />

auf Reisen, bis jetzt auf festem Grund. Jeder Tag beginnt und endet mit mir, die Zeit schmilzt<br />

langsam, während die Gedanken fliegen. Das Nurichirgendwo fragt mich immer wieder, wer<br />

ich bin und wo ich eigentlich hingehöre. Meine Wurzeln habe ich mir selbst abgeschnitten,<br />

lange Zeit bevor ich auf Reisen ging. Wenn jemand unterwegs wissen will, woher ich komme,<br />

dann fällt mir die Antwort meistens schwer. Wo fühle ich mich zuhause? Wo zieht es mich<br />

hin? Wo bin ich geboren? Nur die Antwort der letzten Frage zählt. Demnach komme ich aus<br />

einem Ort, in dem eine Heimat verteidigt wird, die so nicht existiert. Denke ich an Dresden,<br />

ist der Begriff Heimat nicht mehr als eine Erinnerung an Kindheitsspiele und Jugendabenteuer,<br />

ein Begriff ohne Gegenwart. Meine Platte war mein Zuhause: Die Nachbarskinder,<br />

die Spielplatz-Spinne, das Apfelsine-Mandarine-Hopp, das Klopfen unter meinen Fenster,<br />

wenn der Sohn von Immlers wieder Drogen verkaufte. Ich rief ihn immer „Immel, Schimmel<br />

am Pimmel“, bis irgendwann die Polizei kam und die Familie plötzlich nicht mehr da war.<br />

Über uns ein Alkoholiker, nebenan ein Exhibitionist, gegenüber eine Familie denen Wasser<br />

und Strom abgestellt wurde: Ich habe mich mit all diesen Menschen gut arrangiert, ich lebte<br />

unbekümmert und sorgenfrei, meine Platte war mein Paradies, meine Erinnerung daran ist<br />

warm. Denn zu dieser Zeit gab es für mich nur diese eine Realität. Ich habe damals „Mein<br />

Block“ von Sido nur zur Hälfte verstanden, aber ich selbst fühlte mich verstanden. Vom Blockbalkon<br />

bot sich ein weiter Blick auf den Stadtrand und die Feldschlösschen-Brauerei. Heute,<br />

wenn ich irgendwo in der großen weiten Welt auf den Geruch von Malz stoße, muss ich an<br />

diese geschlossene Realität denken, an Heimat. Das Gefühl, etwas in- und auswendig zu<br />

kennen und zu genießen. Das Verlangen Raum und Zeit anzuhalten und zu bleiben<br />

Doch das ist nicht mehr als der Geruch einer Erinnerung.<br />

Vom Plattenkind<br />

bin ich nun zu einer<br />

gediegenen Altbau-<br />

Mieterin mit Verdrängungscharakter in Berlin<br />

Neukölln geworden.<br />

Ich wollte nie in diese Stadt. Der Bildungsweg<br />

hat gerufen und ich<br />

bin gefolgt. Nach anfänglichen Startschwie-<br />

rigkeiten, habe ich<br />

mittlerweile meine Nischen gefunden. Nischen,<br />

die mir weiß machen,<br />

dass Berlin doch nicht so grau ist. Ich habe die Stadt zu schätzen gelernt. Wertschätzung ist<br />

jedoch noch längst kein Synonym für Heimatgefühl. Ich muss hier nicht bleiben. Berlin ist<br />

mein persönlicher Zwischenraum, mein Schiff, ohne Hafen. Eine Stadt in der sich alle suchen.<br />

Die meisten finden auch etwas (Wichtiges für sich selbst) dann bleiben sie oder gehen<br />

wieder. Und ich? Ich bin nicht wirklich auf der Suche. Ich konsumiere eine Stadt, die mich<br />

nicht braucht. Im Sog des ständigen Inputs, ohne Entzug, das macht kreativ, krank und/oder<br />

unkonkret. Mir fehlt etwas, sobald ich nicht in Berlin bin. Ganz unkonkret: Mir fehlen die Kontraste.<br />

Komme ich dann wieder zu Hause an, werden die Kontraste zu Störfaktoren, denen<br />

ich mich entziehen möchte. Es ist also ziemlich offensichtlich: Ich bin ganz schön verwirrt und<br />

heimatlos. Und im gleichen Atemzug genieße ich diese Heimatlosigkeit, wie all die Anderen,<br />

die Berlin dann irgendwie doch zu ihrem Zuhause machen.<br />

Aber brauche ich überhaupt ein Zuhause? Macht Heimat nicht träge? Ich kann heute überall<br />

leben, von verschiedenen Mentalitäten lernen, mir überall ein Stückchen mitnehmen und auf<br />

Trab bleiben. Der Mensch wird mir so klarer in seinen Gemeinsamkeiten, die Unterschiede<br />

verschwimmen. Die Welt wird plötzlich zu einem großen Ganzen, zu einem Möglichkeitsraum.<br />

Das Bedürfnis diesen Raum und mich selbst auf die Probe zu stellen, wächst mit jedem<br />

Jahr. Es ist wie eine Sucht, ohne Stoff, die Suche nach Andersartigkeit und die Angst vielleicht<br />

doch zu zeitig anzuhalten. Dresden wirkt dagegen wie ein kleines Nest, in dem es sich die<br />

Menschen ein wenig zu gemütlich gemacht haben und nun die Ungemütlichkeiten dieser<br />

Welt mit einfachen Antworten bekämpfen. Anstatt meine Heimat gegen diese Menschen zu<br />

verteidigen, wettere ich gegen sie und weiß genau, ich will da nicht zurück. Es ist ja auch<br />

keiner mehr da. Wir sind alle zerstreut. Vom Winde verweht, nur ohne Krieg. Mit der Hoffnung,<br />

dass all unsere lebhaften Zwischenräume nicht zu einer Endstation Sehnsucht werden.<br />

Dass wir den Absprung schaffen, uns zuhause zu fühlen, uns niederzulassen, die Unruhe und<br />

das Verlangen möglichst viel gesehen zu haben beiseiteschieben. Denn dafür gibt’s doch<br />

schließlich auch Urlaub, oder nicht?<br />

Kein Land in Sicht. Der Boden unter den Füßen schaukelt fast unmerklich. Mir gefällt es in<br />

dem Zwischenraum. Mir darf es auch gefallen, denn ich weiß das alles zu schätzen. Andere<br />

haben diese Heimatlosigkeit nicht gewählt, während ich von ihren Möglichkeiten profitiere,<br />

sie solange ausschöpfe bis sich am Horizont die ersten Konturen abzeichnen. Das Nichts hellt<br />

sich auf und die Sonne über dem Meer wagt einen theatralischen Aufgang. In weiter Ferne<br />

sehe ich ein Stückchen Sizilien. Ich weiß, dass am Hafen jemand auf mich wartet. Ich atme<br />

5<br />

lange aus und denke, wenn es diesen Menschen gibt dann gibt es vielleicht auch irgendwo<br />

diesen Ort. Bis dahin ist meine Heimat da wo meine Füße den Boden berühren. Auf einer<br />

Insel, in einer Wohnung, auf einem Schiff.<br />

5


Wat? Wem? Heimat?<br />

Gedanken zum Sinn und Unsinn des Begriffs,<br />

zu seiner Verwendung und möglichen Deutungen<br />

Eigentlich wollte ich ja so beginnen: Ich bin kein Heimatologe,<br />

aber... das wurde jedoch, mit Hinweis auf die angespannte politische<br />

Lage und die grammatikalische Fragwürdigkeit abgelehnt.<br />

Also, dachte ich mir, fangen wir eben so an:<br />

Wie so viele Begriffe im menschlichen Sprachgebrauch, ist auch<br />

der der Heimat für mich ein eher diffuser. Er besitzt nur in der<br />

subjektiven Wahrnehmung eine Bedeutung. Ich bin ein bisschen<br />

in der Welt herum gekommen und konnte dabei Eines feststellen,<br />

dass Heimat überall in erster Linie mit zwei Worten übersetzt<br />

wird: ‚zu Hause‘. Aber da haben Alle unrecht!* ‚Zu Hause‘ bedeutet<br />

etwas ganz Anderes! Zu Hause ist etwas zutiefst Persönliches.<br />

Heimat dagegen nicht. Genau genommen kann es kaum<br />

unpersönlicher werden, weil der Begriff Alle und Alles beinhaltet,<br />

das an besagtem Ort existiert. Ich werde hier nicht über einzigartige<br />

Landschaften berichten, die der Heimat ihr Gesicht geben,<br />

oder über die Leistungen, die einige ihrer talentierteren Sprösslinge<br />

erbracht haben, so wie in Deutschland Goethe, Nietzsche,<br />

Rammstein oder die Fußball-Nationalmannschaft (wenn sie gewinnt!),<br />

derer sich dann jedoch Personen rühmen, die, in Ermangelung<br />

eigener Leistungen oder intellektueller Fähigkeiten,<br />

gar nicht daran beteiligt waren. Meistens reicht es, dass sie das<br />

gleiche Geschlecht haben, zum selben Volk gehören, oder, noch<br />

schlimmer, zur selben Rasse, um diesen Reflex auszulösen. Da<br />

Landschaft aber eine geologische, der Ort eine geographische<br />

und Geschlecht, Rasse und Hautfarbe biologische Zufälligkeit<br />

ist, erschließt sich mir nicht ganz der Sinn hinter dieser Denkungsart.<br />

Wie kann man auf eine Leistung stolz sein, die sich<br />

völlig dem eigenen Einfluss entzieht? Das war mir dann jedoch<br />

ein bisschen zu trocken, schulmeisterhaft und intellektuell.<br />

Und plötzlich kam mir die Erleuchtung. Warum beginnen wir<br />

die ganze Peinlichkeit, nicht einfach mit einem Lied...? ‚Unsere<br />

Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer...‘<br />

In dieser höchst suspekten Einschätzung eines fragwürdigen<br />

Kinderliedes aus einem obskuren Staatsgebilde namens DDR,<br />

kommt schon alles zum Ausdruck, was mit dem Begriff Heimat<br />

nicht in Ordnung ist. Es sagt nämlich aus, sie ist mehr als das<br />

mehr als die Summe ihrer Landmasse und all Dessen, was darauf<br />

kreucht und fleucht, mehr als das, was Menschen darin zustande<br />

gebracht haben. Sie ist sozusagen größer, als ihr Gesamtbild.<br />

Da ich den Artikel im Urlaub in Griechenland schreibe, wo ich keinen Zugang zu meiner Datenbank habe, muss<br />

ich jetzt den Eindruck vermitteln, als sei jedes einzelne Foto absichtsvoll entstanden und textbezogen in den Artikel<br />

eingepasst... Knifflig! ( Das ist so ein Anker-Ding. Den meisten von Euch, bekannt aus Funk und Fernsehen.)<br />

*Ich habe mir fest vorgenommen in Zukunft bescheidener zu sein und meine absolut angebrachte<br />

Besserwisserei auf ein weniger ungesundes Maß zu reduzieren... Aber das ist sehr<br />

schwer. Es ist ein sehr langer, beschwerlicher Weg, übersät mit vielen Schlaglöchern und<br />

Stolpersteinen, in Form von Idioten!<br />

6


Doch bei genauerer Betrachtung fällt einem auf, es kann durchaus<br />

auch das Gegenteil bedeuten. Es könnte also auch schlimmer<br />

sein...! Aber natürlich nicht, wenn man dem Liedtext weiter<br />

bis zum Ende folgt. Denn da heißt es‚ ‘und wir lieben die Heimat<br />

die Schöne. Und wir lieben sie, weil sie dem Volke gehört, weil<br />

sie unserem Volke gehört‘. Tja, und genau da liegt die Schwäche<br />

des Liedes. Nicht etwa darin, wie es weiter geht, sondern<br />

darin, dass es weiter geht. Man stelle sich die zweifellos hitzigen,<br />

philosophischen Debatten vor, die es ausgelöst hätte, wenn<br />

nach der ersten Zeile nur noch La-la-la und Schubi-dubidu gefolgt<br />

wäre. Der Dichter säße wahrscheinlich, rein prophylaktisch,<br />

im Knast und die Subversiven würden im Geheimen Infoblätter<br />

davon herumgehen lassen, wie man es auf der Gitarre spielt.<br />

Wolf Biermann könnte man wohl nur mit einer Brechstange daran<br />

hindern eine Erweiterung des ursprünglichen Textes beizutragen<br />

und zwar in seiner typisch selbstgefälligen Klugscheißer<br />

Art, um dann, wie immer, vollkommen am Gesang zu scheitern.<br />

Die SED-Führung hätte offiziell verlautbart, dass es dieses Lied,<br />

in unserem schönen Heimatland, gar nicht gibt und dass es von<br />

westlichen Provokateuren und ihren imperialistischen Medien im<br />

Land verbreitet würde, um unsere Jugend zu vergiften, die so<br />

einen Dreck natürlich nicht hört und auch gar nicht hören kann,<br />

weil es das Lied ja immer noch nicht gibt. Das wäre ein herrlicher<br />

Spaß geworden.<br />

Da es jedoch weiter ging und die philosophischen Debatten ausblieben,<br />

wenden wir uns nun der Hauptvokabel in der unnötigen<br />

Fortsetzung des dummen, kleinen Liedes zu: Das Volk! Also, der<br />

Personenkreis, der die sogenannte Heimat bevölkert und liebt,<br />

oder es zumindest sollte. Fragen wir uns zuerst, was ist das Volk<br />

überhaupt? Das sind wir Alle. Jeder Einzelne von uns. Nur ist es<br />

nun mal so, dass neben denen die wir kennen, die wir lieben<br />

oder die wir für echt coole Typen halten, es auch Diejenigen<br />

einbezieht die total bescheuert sind, die wir nicht leiden können<br />

oder Jene-Welche die wir gar nicht kennen und auch nie kennenlernen<br />

werden, und die natürlich am allerbescheuertsten von<br />

allen sind! Wir sind ein Brei aus Individuen, der nur statistische<br />

Relevanz besitzt. Und, peng, schon stehen wir vor der nächsten<br />

großen Herausforderung, nämlich festzustellen, was nun wieder<br />

diese Individualität für ein seltsames Ding ist. Nun, da Sie schon<br />

fragen: Individualität bedeutet: Jeder Einzelne von uns ist einzigartig<br />

und etwas ganz Besonderes, mit einem freien Willen ausgestattet<br />

und der mentalen Fähigkeit eigene Entscheidungen zu<br />

treffen. Das stimmt soweit. Der tiefere Sinn dahinter hält jedoch<br />

eine unschöne Wahrheit bereit, welche lautet:<br />

Wäre es nicht ein anrührendes Bild, wenn man sich vorstellte, dass der Autor dieses Artikels, unter diesem über 100<br />

Jahre alten Olivenbaum gesessen und sich Gedanken zu Sinn und Sein gemacht hätte? Und dann auch noch in<br />

schwarz/weiß...? (Hat er aber nicht. Er fand nur den Baum gut.)<br />

...oder vielleicht hat er sich beim Anblick dieser aus dem Kreidefels auf Milos gewaschenen Schlucht, tiefgründige<br />

Gedanken über das Werden und Vergehen der Dinge gemacht. (Hier sei erläuternd angeführt, dass er die Schlucht<br />

auch gut fand.)<br />

7


Wenn wirklich jeder etwas ganz Besonderes ist, ist es gleichzeitig<br />

Niemand mehr! Dummerweise ist auch das vollkommen korrekt.<br />

Was uns natürlich alle sehr betrübt, weil es im Umkehrschluss<br />

bedeutet, dass ich persönlich und so auch Du, werter Leser, dass<br />

wir nicht mehr sind, als der statistische Nennwert eins.<br />

Straßenschilder erfreuen sich heutzutage ja auch wachsender Beliebtheit.<br />

Das Griechenland sich in einer wirtschaftlichen Schräglage befindet, ist ja hinlänglich bekannt, aber so schlimm<br />

hatte ich es mir nicht vorgestellt!<br />

Hier denkt der Autor offensichtlich über gar nichts nach. Also ignorieren sie dieses Foto bitte.<br />

Das heißt ich bin aus politischer Sicht nur ein Wähler, aus wirtschaftlicher<br />

Sicht nur ein Konsument und Produzent von Gütern,<br />

aus biologischer Sicht nur ein Säugetier unter Vielen, aus finanztechnischer<br />

Sicht nur eine nicht ausreichend kapitalisierte Nummernfolge,<br />

ergo letzthin unbedeutend – aber es kommt noch<br />

schlimmer – aus kosmischer Sicht nämlich bin ich nur ein unwesentliches,<br />

mikroskopisch kleines Puzzleteil der Biomasse dieses<br />

Planeten und sonst gar nichts. Also wenn diese Einsicht nicht<br />

deprimierend ist, was dann?! Und seien wir doch mal ehrlich,<br />

statistische Einheiten haben gar keine Heimat, außer natürlich<br />

das Dokument in dem sie erfasst wurden. Folgte man dieser Logik<br />

weiter, wäre unsere Heimat nichts anderes als eine staubige<br />

Akte in der Schublade eines vertrockneten Bürokraten. Und für<br />

eine bestimmte Anzahl dieser Einträge haben sich Abermillionen<br />

andere statistische Einheiten auf den Schlachtfeldern dieser Welt<br />

abschlachten lassen. Die hatten dann zumindest Gelegenheit<br />

vor ihrem eigenen Ableben herauszufinden, wie viel Blut in so<br />

einem einfachen Nennwert stecken konnte, wie er jämmerlich<br />

nach Mama schrie und seine herausquellenden Eingeweide mit<br />

den Händen in den Bauch zurück zu drücken versuchte... vergeblich!<br />

Das ist kein schönes Bild, aber so sieht es aus. Das<br />

Volk ist eine willfährige Masse. Ein Erfüllungsgehilfe ihrer großen<br />

und kleinen Manipulatoren, die den Begriff Heimat immer schon<br />

dazu benutzt haben, Menschen zu Handlungen zu verleiten, die<br />

sie unter normalen Umständen für absolut schwachsinnig halten<br />

würden.<br />

Mein Lieblingsschriftsteller (Terry Pratchett) hat dazu folgenden<br />

genialen Satz verfasst. ‘Der Intelligenzquotient einer Masse von<br />

Menschen beträgt ungefähr so viel, wie der ihres dümmsten<br />

Mitglieds... geteilt durch die Anzahl der Gruppenmitglieder.‘<br />

Womit er uneingeschränkt Recht hat. In der Heimat gibt es nur<br />

die Mitglieder der Masse. Individuen existieren in diesem Bedeutungszusammenhang<br />

nicht. Und die Masse hat nur eine<br />

Schwarm-Intelligenz. Schwarm-Intelligenz jedoch ist ein unter<br />

Wissenschaftlern gebräuchlicher Terminus, um zum Ausdruck<br />

zu bringen, wie rätselhaft es ihnen erscheint, dass eine, in ihrer<br />

Anzahl begrenzte, zusammengehörige Population von tierischen<br />

Lebewesen, mit jeweils nur drei aktiven Neuronen im Kopf, ein<br />

ganzes Staatsgefüge funktionstüchtig halten kann. Im Grunde<br />

kann in diesem Zusammenhang also von Intelligenz gar nicht<br />

die Rede sein.<br />

Denn die Intelligenz die gemeint ist, ist nur eine Virtuelle. Es ist<br />

ein strukturiertes Verhalten, das zwar verblüffend komplex sein<br />

kann, aber eben nur die vorhandenen Gegebenheiten in ihr<br />

Handlungsspektrum einbezieht. Soll heißen, der Schwarm reagiert<br />

auf Veränderungen in seinem direkten Umfeld und folgt<br />

so dem Instinkt zu Überleben. Das ist alles was er kann. Wenn<br />

aber ein Schwarm nichts anderes tut, als einfach nur seine vitalen<br />

Interessen zu schützen, fragt man sich, als vernunftbegabter<br />

Mensch, nicht unweigerlich ‚Macht das ein Schimmelpilz nicht<br />

auch?‘ Und die Antwort lautet: Ja. Ganz genau, das tut er! Aber<br />

trotzdem würde sich niemand ernsthaft mit einem Schimmelpilz<br />

hinsetzen wollen und die Umschuldungsprobleme der dritten<br />

Welt diskutieren.<br />

8


Setzen wir also der Heimat mein Bild von zu Hause entgegen:<br />

Wenn man ein zu Hause hat, verbindet man es zwangsläufig<br />

mit gewissen Emotionen. Meistens ist es Liebe. Manchmal ist es<br />

eine Art wohlwollende Neutralität. In seltenen Fällen, ein alles<br />

verzehrender Hass, aus was-weiß-ich-für-Gründen (Vielleicht ist<br />

der Lebenspartner unausstehlich und weil man sich so wenig zu<br />

sagen hat, hat man durch ein falsch verstandenes Harmonieverständnis,<br />

plötzlich zwölf Blagen am Hals und muss sie versorgen.<br />

Interessanterweise hat das die Beziehung zum Partner<br />

nicht grundlegend verbessert. Man höre und staune!) Sollten es<br />

aber positive Emotionen sein, ist es dort, wo deine Freunde dich<br />

finden.<br />

Zu Hause ist da, wo dein bequemes Sitzmöbel steht und ein<br />

Bett. Zu Hause ist dort, wo du von deinem Partner bekocht wirst,<br />

oder Selbiges für Ihn erledigst, oder einer von euch beiden weiß<br />

zumindest, wie man die Nummer des Lieferservice wählt. Du<br />

kannst auch durchaus allein in deinem zu Hause leben und ganz<br />

nonchalant Einen fahren lassen, ohne das dich jemand dafür<br />

verurteilt. Da ist vielleicht nur eine Katze, die dich ein bisschen<br />

schief ansieht. Zu Hause ist dein Ruhepol. Es ist da, wo du hingehörst.<br />

Es ist deine Küche, in der du nächtelang mit Freunden<br />

geredet hast. In der sich, bei Partys, immer die interessanteren<br />

Leute versammelt haben und über die Spießer im Wohnzimmer<br />

hergezogen sind. Und je größer der Kreis deiner Freunde oder<br />

auch deiner Familie desto größer das Ausmaß deines zu Hauses.<br />

Es ist deine Welt, in der andere Spielregeln gelten als da draußen.<br />

Es gibt unendliche viele Möglichkeiten, die einen beliebigen<br />

Ort zu deinem zu Hause machen. Hingegen benutzen wir<br />

den Heimatbegriff eher, wenn wir aus der Ferne an ein Ideal denken,<br />

oder in einer Abstraktion über einen Ort reden an dem, in<br />

einer verklärten Vorstellung, vielleicht das richtige Volk am richtigen<br />

Platz steht und mehr begreift als einen Scheißdreck, wo die<br />

Liebe zu Hause ist, wo alles gut zu sein scheint, wo es Freunde<br />

gibt (Nicht die Speziellen, sondern eher die Allgemeinen), wo ein<br />

bequemes Sitzelement auf dich wartet, wo man deine Sprache<br />

spricht, wo die viel gescholtene Beamtenschaft dafür sorgt, dass<br />

gewisse Dinge ordnungsgemäß und in chronologischer Exaktheit<br />

abgewickelt werden und die Straßen richtige Straßen sind...<br />

Man übersieht dabei aber schnell, dass auch die Vollidioten,<br />

der Stumpfsinn, die Hässlichkeit und die viel gescholtene Beamtenschaft<br />

dazu gehören, die dein Leben zur Hölle machen, mit<br />

der Resignation, die von Stumpfsinn und Hässlichkeit ausgelöst<br />

werden kann, mit all der Borniertheit, zu der Idioten und Beamte<br />

fähig sind. Und alle wollen sie, dass du ihrer Meinung bist,<br />

Formulare ausfüllst, oder einfach nur dein Geld! ( Von richtigen<br />

Pechvögeln, wollen sie auch gerne mal Alles auf einmal.) Ergo;<br />

man spricht zwar sehnsuchtsvoll von der Heimat, meint aber eigentlich<br />

einen Ort an dem dies alles keine Relevanz besitzt... zu<br />

Hause eben. Vielleicht ist das aber auch ganz anders. Vielleicht<br />

verwechsle ich Heimatgefühle mit Nationalismus oder Patriotismus.<br />

Wohl möglich ist das auch das Selbe. Heimat ist nur ein<br />

Wort und am Ende ist es die Entscheidung jedes Einzelnen, wie<br />

er die Sache betrachten will. Bevor es hier aber noch kompliziert<br />

wird, mache ich Feierabend, um jenen zu entgehen, die dem<br />

Irrglauben erlegen sind, ich würde diskutieren wollen.<br />

So kann´s gehen; man möchte ein Naturwunder bestaunen... und wundert sich dann bloß noch darüber, woher die<br />

vielen dicken Leute plötzlich gekommen sind.<br />

Hier sieht man eine christlich-orthodoxe Kapelle, mit äh... interessanten, äh, Leuten... die äh... die Gewagtheit so<br />

manch luftigen Sommer-Ensembles zur Schau stellen. (Ich habe keine Ahnung, wie das Bild in diesen hochgeistigen<br />

Artikel geraten ist. Wird wohl der Herausgeber hinein geschummelt haben, um die Verkaufszahlen zu steigern.)<br />

Mit freundlichen Grüßen: Michael Körner<br />

koerner-foto.de<br />

Tja, das hier ist nur ein kaputtes Schiff, unter Wasser. (Meine Güte! Das habe ich wirklich wunderbar hinbekommen!<br />

Man merkt praktisch gar nicht, dass die Fotos nicht das Geringste mit dem Text zu tun haben: Jetzt kann ich aber<br />

wirklich mächtig stolz auf mich sein. Ich bin ja geradezu genial veranlagt. Also wirklich! Junge-Junge! Das muss<br />

man schon sagen! ...verdammt! Habe ich das gerade laut geschrieben?!?)<br />

9


Ilka Erl<br />

HEIMAT<br />

was für ein gewichtiges und heute noch unangenehm besetztes Wort ...<br />

„Sofort hörte ich den Wildbach rauschen, den Schürzenjäger im Zillertal mit<br />

der feschen Geier-Walli jodeln und vor meinem geistigen Auge trampelten<br />

röhrende Hirsche in Springerstiefeln vorbei. Als ich jedoch ne Weile drüber<br />

grübelte, fand ich den Begriff dann doch irgendwie interessant, weil mir auch<br />

melancholische Gedanken an eine schöne, heilere vergangene Kinderzeit<br />

durch den Kopf gingen, Lieblingsorte, wie eine riesige Linde oder das Dach<br />

eines alten Holzschuppens.“<br />

Marko Kühnel<br />

…auch in meinem Kopf bewegen sich ähnliche Gedanken beim Wort HEIMAT<br />

und ich muss zwangsläufig an das Lied „Meine Heimat“ denken, das wir in<br />

der Unterstufe sangen: „ ... und wir lieben die Heimat, die schöne und wir<br />

schützen sie, weil sie dem Volke gehört ...“<br />

…<br />

„Dieselben Menschen [in Deutschland], die feuchte Augen bekommen, wenn<br />

ein alter Indio in den Anden zum tausendsten Male „El Cóndor Pasa“ in seine<br />

Panflöte bläst, kriegen Pickel, wenn man sie auf die Melodien ihrer Heimat<br />

anspricht. “<br />

Hayden Chisholm (Musiker)<br />

Für einen neuseeländischen Musiker wie Hayden Chisholm mag das befremdlich<br />

sein, doch der Begriff Heimat und die damit verbundenen Volkslieder<br />

lösten auch in mir bisher eher ein Unbehagen aus, als eine wohlige<br />

Wärme der Verbunden- oder Geborgenheit. Durch die Vereinnahmung des<br />

Heimatbegriffs und des deutschen Liedguts durch die völkische Bewegung<br />

stehen Begriffe wie Heimat und Heimatbewegung in Bezug zu einer „unverwechselbaren<br />

völkischen Eigenart und Überlebensfähigkeit“. Bei der die<br />

Betonung auf völkischer Überlegenheit lag. Heutige rechtsextreme Gruppierungen<br />

wie die Freien Kameradschaften sowie Angehörige der Neuen Rechten<br />

verbinden Themen wie Umweltschutz, Natur- und Heimatverbundenheit<br />

mit einer völkischen Blut-und-Boden-Ideologie. Deshalb haftet den Begriffen<br />

Heimat und Volkslied wohl immer etwas Anrüchiges an.<br />

Ins Englische lässt sich das Wort am ehesten mit homeland oder native land<br />

übersetzen. Auf Französisch kann man lieu d’origine sagen oder pays natal.<br />

Ähnlich intim wie das deutsche Wort Heimat klingt die tschechische Vokabel<br />

domov. Sie enthält denselben Wortstamm wie dům „Haus“ und domek<br />

„Häuschen“. Auf Ungarisch heißt „Heimat“ „szülőföld“ („Elternerde“). Das<br />

russische Wort für Heimat, Родина, bedeutet zudem auch Vaterland. Üblicherweise<br />

wird der Begriff Heimat im Singular gebraucht, was suggeriert,<br />

dass jeder Mensch nur genau eine Heimat habe. So findet sich im Duden<br />

unter Heimat der Hinweis: „Plural nicht üblich“. Der Begriff Heimat verweist<br />

zumeist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum. Er wird auf den Ort<br />

angewendet, in den ein Mensch hinein geboren wird und in dem er die frühesten<br />

Sozialisationserlebnisse erfährt und die seine Identität, seinen Charakter,<br />

seine Mentalität, seine Einstellungen und Weltauffassungen prägen.<br />

Heimat ist im Gehirn jedes Menschen präsent. Je länger er an einem Ort<br />

verweilt, desto stärker sind die an diesem Ort gemachten Erfahrungen und<br />

Erlebnisse bei ihm gefestigt. Wenn sie positiv waren, manifestieren sich dort<br />

Heimatgefühle. Wenn es emotional bejaht wird, können daher auch mehrere<br />

Orte für einen bestimmtem Menschen zur Heimat werden. Auf ähnliche Weise<br />

entstehen dann nicht ortsgebundene Heimatgefühle (wie sich heimisch<br />

fühlen in einer Sprache). Die einen fühlen sich so mit dem Ort verwurzelt,<br />

in dem sie aufgewachsen sind, dass sie dort am liebsten für immer bleiben<br />

möchten. Andere verlassen ihr gewohntes Zuhause freiwillig, um in der Ferne<br />

ihr Glück zu suchen und Neues zu erleben. Andere Menschen verlieren<br />

ihre Heimat durch Krieg, Vertreibung oder Flucht. Gerade dann kann die Erinnerung<br />

an die eigene Heimat sehr schmerzhaft sein und zu Heimweh führen.<br />

Heimweh kann sich auch auf verlorene Gemeinschaften beziehen, wenn der<br />

Einzelne sich (besonders in „schweren Zeiten“ und psychischen Krisen) „in<br />

der großen Stadt“, „unter lauter Fremden“ usw. einsam fühlt. Der Verlust<br />

vertrauter Umgebung wird dann als besonders schmerzhaft empfunden und<br />

Deutsche Volksmusik?<br />

Nee, lass ma gut sein!<br />

Dabei muss man das Wort nur ganz leicht verändern. Tausche das K einfach<br />

gegen ein X - und schon steht da Volxmusik. „Sound of Heimat - Deutschland<br />

singt! Das Roadmovie zur deutschen Volxmusik“ Antistadl: „La Brass Banda“,<br />

„Bamberger BoXgalopp“ und „Kellerkommando“ – so heißen die neuen<br />

Bands, die überall in Süddeutschland wie die Pilze aus dem Boden schießen.<br />

Es gibt keine Regeln. Alles geht. Ganz unbekümmert wird die Volksmusik hier<br />

aufgemischt.<br />

10<br />

Hayden Chisholm (Musiker)<br />

Arne Birkenstock und Jan Tengeler haben den neuseeländischen Musikstudenten<br />

Hayden Chisholm 2010 auf Entdeckungsreise durch Deutschland<br />

geschickt, um herauszufinden, warum besonders jüngere Menschen hier so<br />

große Probleme mit deutscher Volksmusik haben. Chisholm, ein musikalisch<br />

begnadeter Weltenbummler, „trifft auf eine lebendige Vielfalt regionaler<br />

Bräuche und Aktivitäten. Dabei beleuchten die Regisseure Arne Birkenstock<br />

und Jan Tengeler in SOUND OF HEIMAT auch die in Deutschland so weit<br />

verbreitete ambivalente Haltung zur Volksmusik und dem eigenen Heimatverständnis:<br />

Themen, welche durch die vergangene Ideologisierung und<br />

die „Heile Welt“ des Musikantenstadls vielerorts in Vergessenheit geraten<br />

sind. Unbeschwert spielt, singt und tanzt Hayden Chisholm mit dem "GewandhausChor"<br />

in Leipzig, der Kneipentruppe "Singender Holunder" und<br />

den Hip-Hoppern um "BamBam Babylon Bajasch" in Köln, der Jodel-Lehrerin<br />

Loni Kuisle im Allgäu, den Bands um die Bamberger Partyreihe „Antistadl“,<br />

den Schwestern um das Volksmusik-Kabarett "Wellküren" in Bayern oder der<br />

Rocksängerin Bobo in Sachsen- Anhalt. Auf wen auch immer der neuseeländische<br />

Musiker Hayden Chisholm bei seiner Entdeckungsreise trifft, stets eröffnet<br />

er uns<br />

überraschende und erstaunliche Einblicke in die kreative und lebendige Vielfalt<br />

zeitgenössischer deutscher Volksmusik. Nebenbei widerlegt er so einige<br />

Vorurteile über die angebliche Verstaubtheit und Heimattümelei und zeigt<br />

uns, wie viel Freude wir Deutschen an Musik und Gesang haben. “<br />

Quelle:Presseheft SOUND OF HEIMAT Deutschland singt!<br />

Das Roadmovie zur deutschen Volxmusik.


die Hoffnung auf eine Besserung durch die Rückkehr in seine als Halt gebend<br />

empfundene Heimat wird verstärkt. Doch jeder versteht unter Heimat natürlich<br />

etwas anderes. Für die einen ist es eine bestimmte Kindheitserinnerung,<br />

für andere ein besonderer Geruch oder der Lieblingsplatz im Garten und für<br />

wieder einen anderen ist es die Melodie eines bestimmten Liedes oder eine<br />

Mundart, eine andere Sprache, eine bestimmte Speise, ein bestimmter Gegenstand...<br />

Das können auch Dinge sein, die an jedem Ort der Welt mit dabei<br />

waren und fester Bestandteil und somit Sicherheit und Halt in einer neuer<br />

Umgebung gaben .... Unser Verständnis von Heimat ist also eher sehr individuell<br />

und oft mehr ein Gefühl als ein tatsächlicher Ort. Wenn man dieses<br />

Gefühl einmal kennenlernen dufte, verlässt es einen ohnehin wohl nie im<br />

Leben. Manche Menschen sehnen sich ein Leben lang danach, ohne dass es<br />

jemals wieder erreichbar zu sein scheint.<br />

Wie entsteht aber nun Heimat? Und was verbindet man mit ihr? Ist es der<br />

Wohnort, der Geburtsort oder doch eher ein Gefühl? Wer sich mit seiner<br />

Heimat auseinandersetzt, weiß wo er hingehört. Hier lässt sich die eigene<br />

Umgebung erforschen und herausfinden, was Heimatgefühle ausmacht.<br />

Neue Perspektiven eröffnen sich beim Nachdenken darüber was Heimat<br />

wohl für ein Kind bedeutet, dessen Eltern, Job bedingt, ständig für ein paar<br />

Jahre an verschiedenen Orten der Welt leben. Eine Vorstellung von dem was<br />

Heimat für einen ist, entsteht auch durch das soziale Erleben - durch Prägung<br />

und Erfahrung im sozialen Umfeld der Familie, der Freunde usw. Das Nachdenken<br />

über „Heimat“ erfordert somit auch die Auseinandersetzung mit den<br />

eigenen Gefühlen. Gleichzeitig ebnet die Reflexion den Weg zu einem positiven<br />

Umgang mit allem Neuen. Es versetzt in die Lage, Heimat und Vielfalt<br />

miteinander zu verknüpfen und das direkte Umfeld als einen wertvollen Bereich<br />

zu erleben und zu gestalten.<br />

Wenn man von seiner Heimat getrennt ist, kann das mal mehr mal weniger<br />

schlimm sein. Wie fühlen sich Menschen, die ihr Heimatland dauerhaft verlassen<br />

müssen, um woanders zu leben? Kriege, Flucht, Asyl - viele wurden<br />

gewaltsam von ihrer Heimat getrennt und müssen nun in der Ferne heimisch<br />

werden. Andere, zum Beispiel Straßenkinder und Obdachlose, leben ohne<br />

ein festes Zuhause. Aber auch ein Verlust eines geliebten Menschen kann<br />

das Gefühl von Heimat verändern. Heimat ist nicht nur ein Ort. Heimat sind<br />

auch andere Menschen. Wer das weiß, kann sich zu Hause fühlen, egal wo<br />

er gerade ist. Die Nomaden zum Beispiel sind immer unterwegs und haben<br />

ihr Zuhause einfach bei sich. Bekannte Traditionen, Feste und Rituale können<br />

dabei helfen, an einem neuen Ort heimisch zu werden. Auch an einem neuen<br />

Wohnort kann man sich zu Hause fühlen – wenn man sich seiner eigenen<br />

Wurzeln bewusst ist. Heimat prägt uns. Sie ist für viele eine verlässliche Größe<br />

im Lebenslauf. Umso wichtiger ist es, sich über seine Heimat Gedanken zu<br />

machen und sie bewusst zu erleben. Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />

vertreten nicht selten ein ausgeprägtes Heimatgefühl, das sich manchmal jedoch<br />

nicht auf Deutschland, sondern vielmehr auf das Herkunftsland ihrer Eltern<br />

und Großeltern bezieht. Oft wird das Gefühl mangelnder Akzeptanz und<br />

Integration in Deutschland kompensiert mit einem besonderen Nationalstolz<br />

in Bezug auf das ursprüngliche Herkunftsland der Familie. Andere wiederum<br />

haben das Gefühl, nirgendwo richtig zu Hause zu sein und zwischen allen<br />

Stühlen zu sitzen, da sie in Deutschland als Migranten wahrgenommen<br />

werden und sich auch im Herkunftsland nicht mehr zugehörig und zu Hause<br />

fühlen. Für wiederum andere ist es dagegen völlig natürlich, sich an mehreren<br />

Orten heimisch zu fühlen und dies als Privileg zu verstehen. Schließlich<br />

- und ganz unabhängig von einem möglichen Migrationshintergrund – gibt es<br />

auch viele Menschen, die sich keinem geographischen Ort zugehörig fühlen,<br />

sondern dort heimisch sind, wo sie beispielsweise Familienangehörige oder<br />

andere wichtige Bezugspersonen haben. Heimat ist also ein Begriff, der sehr<br />

vielseitig, oft extrem emotional aufgeladen und fast immer ambivalent ist.<br />

Heimat ist für mich persönlich deshalb ein Ort, an dem ich Verbundenheit<br />

und Zugehörigkeit empfinde, ein Ort, an dem ich als Wesen eine Einheit erlebe,<br />

die mir eine Ahnung von meinem Ur-sprung gibt. Somit gibt es für mich<br />

verschiedene Arten von Heimat. Heimat und Frieden sind, sicher nicht ganz<br />

zufällig, in dieser Welt stark besetzt und werden weitgehend als etwas Äußerliches<br />

wahrgenommen. Die Suche nach Heimat und Frieden in der äußeren<br />

Welt muss jedoch ergebnislos bleiben, wenn sie nicht als Teil der inneren<br />

Wirklichkeit erkannt wird. Und das gilt für so vieles: Der Mensch sucht häufig<br />

im Außen, ist häufig mit dem Außen und dem Äußerlichen beschäftigt. Häufig<br />

hat es sogar den Eindruck, als laufe er dauernd vor sich selbst weg, vor<br />

den Antworten, Wahrheiten und Wirklichkeiten in sich selbst. Er verausgabt<br />

und erschöpft sich dabei immer mehr im sich schneller und schneller<br />

drehenden Hamsterrad seines gehetzten Lebens.<br />

Durch Chisholms unvoreingenommene Art<br />

findet er schnell Kontakt und plaudert mit seinen Protagonisten,<br />

fühlt sich mit seinem Saxofon in ihre Melodien hinein. Nach und<br />

nach beginnt man zu verstehen, was deutsche Volksmusik bedeuten<br />

kann. Vor allem: Zusammenhalt und Geborgensein. Als<br />

Zuschauer beginnt man, ob man nun will oder nicht, im Kinosessel<br />

mit den Füßen zu wippen. Vor allem dann, wenn Chisholm<br />

jungen Musikern begegnet, die alte Volkslieder neu interpretieren.<br />

Ja, man ist manchmal sogar kurz davor, lauthals mitzusingen.<br />

Gegen Ende des Films wird dann doch noch thematisiert, was<br />

manchmal noch Unbehagen auslöst, wenn ein Volkslied erklingt.<br />

Chisholm fährt nach Buchenwald und spricht hier vor der KZGedenkstätte<br />

mit einem Ex-Inhaftierten. Dieser erzählt ihm, wie er<br />

und seine Mithäftlinge immer „Alle Vögel sind schon da“ singen<br />

mussten, wenn die Wärter einen entflohen Häftling zurück brachten,<br />

den sie erwischt hatten. Die Nazis haben uns unsere schöne<br />

Volksmusik madig gemacht, so in etwa könnte das knappe Fazit<br />

lauten. Aber auch die Schöpfer von Heimatfilmen und Schunkel<br />

- Spektakeln à la „Musikantenstadl“ haben die Volksmusik nach<br />

dem Missbrauch durch die Nazis als „Schmiermittel“ benutzt,<br />

dass dabei half, die Vergangenheit zu verdrängen und sie durch<br />

eine schön schön schön - Gegenwart zu ersetzen.<br />

Beim Schauen des Films überkamen mich daher hin und wieder<br />

Gedanken, dass einige Szenen auch aus einem Heimatfilm aus<br />

den Fünfzigern stammen könnten. Man rechnet schon damit,<br />

dass plötzlich ein „heimisches“ Reh in der Landschaft auftauchen<br />

oder am Himmel ein Adler kreisen müsste.<br />

11


freiwillige Hausaufgabe<br />

von Frank Winter<br />

Au prima… „Wunschthema“ Heimat. Das hat Verve. Das hat Glamour. Da hat der Dikta…äh Chef-Redakteur<br />

ja ein echtes Bonbon aus der bunten Synapsen-Kiste gezogen, um den geknechteten Kleinkünstler<br />

zu piesacken. Danke dafür. Vermutlich chillt der feine Don Marko gerade auf seiner Designer-Ranch,<br />

bei einem offenen „Château Lafite Rothschild“ und streichelt, süffisant vor sich hin lächelnd, die weiße<br />

Superschurken-Katze auf dem Schoss. Na, egal. Bin ja nun mal knebelvertraglich dazu verpflichtet, mich<br />

(für eine nicht existente Gage!) zum Thema zu äußern.<br />

12<br />

Also altgemärkt: Heimat!? Ist das nicht da, wo<br />

man Laub harken muss? Der Landstrich, wo man<br />

schon die frühen Kindheitstage abgerissen hat,<br />

weil man dort zusammen mit Familie und Weggefährten<br />

so zufällig hin geboren wurde? Oder vielleicht<br />

da, wo man sich mittlerweile dauerhaft aufhält,<br />

oder schlicht wohlfühlt? Kann man Heimat<br />

eventuell sogar annektieren? Geht alles. Russland<br />

hat es jüngst vorgemacht. Da der Zar schon immer<br />

eine Schwäche für uniformierte Krimtataren<br />

hatte, freute es Onkel Putin außerordentlich, dass<br />

seine Lieblings-Halbinsel, dank eines lupenreinen,<br />

basisdemokratischen Volksentscheids, wieder von<br />

Mütterchen Russland geschnupft werden konnte.<br />

„Komm Reich ins Heim!“ (oder so) sagte auch mein<br />

Opa immer. Das muss er damals von diesem österreichischem<br />

„Kanzler“ aufgeschnappt haben, der<br />

ebenfalls der Auffassung war, dass „Heimat“ ein<br />

dehnbarer Begriff sei. Zu jener Zeit mussten erstmals<br />

die Worte „Memelland“ und „abgebrannt“<br />

aufeinander gereimt werden. Ja, der große Traum<br />

von „Ost-Holstein an der Beringsee“ wurde relativ<br />

schnell begraben. War ja sicherlich heimatpolitisch<br />

„nett gemeint“ vom OKW und dem GröFaZ…allerdings<br />

kam es bekanntermaßen so, wie es nun<br />

mal kommen musste! Diese Idioten!<br />

Da kann ich mich mit dem Gedankenansatz der<br />

NASA schon eher anfreunden. Jedoch, bis jemand<br />

seine neue Heimat auf „Kepler-186f“ aufmacht, gehen vermutlich noch etliche Monde ins Land. Aber<br />

genug abgeschweift. Die richtig echte, bescheidene Heimat definiert sich wohl eher klassisch aus Wohnsitz,<br />

Familie, Freunden, Feinden, Erinnerungen, Traditionen, Vertrautheiten und aktuellen Grundstückspreisen.<br />

Heimat ist erfahrungsgemäß irgendwie etwas Gelebtes, was Gemütliches, was Emotionales, etwas,<br />

was dem Außenstehenden nur schwerlich mit Worten zu umschreiben ist. Insbesondere dann, wenn die<br />

Heimat im Schwäbischen liegt. Der Altmärker hat hingegen Glück gehabt. Die Altmark war schon immer<br />

ein hübscher, verständlicher und wegweisender Landstrich. Hier hat einst der „Moderne Fritz“ (wie<br />

er früher genannt wurde) größere Moorlandschaften trockengelegt um neuartige Grundnahrungsmittel<br />

zu etablieren. Ein Eldorado für Stärke- und Fruchtbarkeitsliebhaber. Ist außerdem eine super Gegend<br />

für Pilzfreunde, emsige Traktoristen und depressive Down-Hill Biker. Als gesellschaftliche Zugabe gibt es<br />

diese wirklich erlebenswerte Mentalität und einen Dialekt vom Allerfeinsten! Einwandfreies Hochdeutsch<br />

mit preußischem Einschlag. Da können die Nachbarn aus der Börde nur von träumen! Auch bedeutsame<br />

Persönlichkeiten brachte die Mark hervor. Hierbei galt selbstredend immer die Maxime: Qualität statt<br />

Quantität! Nix hier mit Kardashians, versnobten Bibern und albernen Staatsvertretern.<br />

Ich präsentiere stattdessen: „Albrecht der Bär“, Stand-up-Comedian Otto Reutter, Jenny Marx, sowie<br />

Deutschlanderfinder und Eisenkanzler Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen. Doch genug<br />

der Prahlerei. Ausgesprochen religiös ist er nicht, der Altmärker. Oftmals ist er einfach nur Colbitz-<br />

Letzlinger „Heide“ und der nüchterne Pragmatismus sein Götze. Allerdings beten etliche Eingeborene die<br />

heidnische OPEG um günstige Oktankurse an, da man viel auf Achse ist. Bei weiterer Durchleuchtung,<br />

kommt mir noch die Erinnerung hoch, dass ich einst zu Friedenszeiten, zusammen mit einem Heer aus<br />

Thälmann-Zwangsrekrutierten, jahrelang, sozialistische Lobgesänge auf die volkseigene Heimat darbieten<br />

durfte. Der Liedtext konnte dabei stets Spuren von weißen Tauben und kommunistischen Lichtgestalten<br />

enthalten. Auch kam gerne darin vor, wie sich aus zerschossenen Ruinen, einem Hammer, einem<br />

Zirkel und einem Ährenkranz ein cooler Arbeiter- und Bauernstaat zusammenwerkeln lässt.<br />

Im Übrigen wurden die „Offiziellen“ niemals müde, zu betonen, wie schnafte es doch ist, die großbrüderliche<br />

Rot-Armee auf heimischen Boden unter Waffen stehen zu haben.<br />

Nun, auch das ging irgendwann vorbei und ist schon längst Teil der Geschichte. Apropos Geschichte.<br />

Opa musste früher, gezwungenermaßen aus ideologischen Gründen, den heimischen Boden noch eigenhändig<br />

gegen Feinde verteidigen. Laut den Erzählungen, hat er über Lüffingen mehrere amerikanische<br />

Flugzeuge abgeschossen. Das war jetzt im April vor fünf Jahren. Meine olle Heimatstadt ist derweil<br />

zur Metropole „befördert“ worden. Gardelfingen hat sich, quasi über Nacht, zur drittgrößten Stadt<br />

Deutschlands hochgeschlafen. POWW! Kartoffel-Town hat‘s geschafft!<br />

Die gute, alte Zwangsgebietsreform machte es möglich. Und nun tobt der Deibel in „The Big Potatoe“!<br />

Mittlerweile kann man sich vor lauter internationalem Tourismus kaum noch retten, das Nachtleben<br />

ist DER HAMMER und riesige Prestige-Bauten kreieren, zusammen mit unzähligen Baukränen eine<br />

beeindruckende Skyline. Ja...ham wa jelacht! Ganz nach nationalem Vorbild hipper Großstädte fanden<br />

natürlich bereits erste Sondierungen statt, sich ebenfalls ein niemals fertiges, aber dafür stetig teurer


werdendes Milliardenprojekt fehlplanen zu lassen. Zugfreier Bahnhof und unterirdischer Flughafen sind<br />

aber leider schon weg. Gardebeulen ist dafür meines Wissens die einzige Großstadt weltweit, bei der man<br />

zwischen den einzelnen Stadtteilen auf Feldwegen unterwegs ist. Das ist definitiv ein Alleinstellungs-<br />

Altmärkmal! Sowas gibt’s nicht mal in Alaska. Ah und wo wir gerade einmal auf diesem Staatsgebiet<br />

sind…in dem besten und beliebtesten Land der Welt, stellte man sich schon mal vorsorglich, vor lauter<br />

geopolitischer Irritationen, das größte Heimatschutzministerium der ganzen Milchstraße in den Vorgarten.<br />

Den Ausschlag zur Erschaffung dieser Monster-Behörde gaben ebenfalls amerikanische Flugzeuge.<br />

Nun ja, vermutlich Zufall…<br />

So, was hatten wir jetzt noch nicht? Ach ja, Flora und Fauna. Landschaftlich betrachtet sind in diesen<br />

Breiten mittlerweile Aloe Vera-Strunk, Süßwasserkrokodil und Windrad auf dem Vormarsch.<br />

Die ollen Linden wurden Stück für Stück abgeholzt, weil alle ökologisch-nachhaltig heizten und die<br />

Blütenpracht des Laubgehölzes ewig rumnervte, da sie stets diese unverwüstlich-klebrige Patina auf<br />

dem parkenden Opel Alpaka hinterließ. Ebenso wurde das einst so stolze Schwarzwild stark dezimiert.<br />

Zum einen, weil neuerdings wieder Ritze-Ratze-Isegrim im heimischen Wald dem Schweinchen gute<br />

Nacht sagt und zum anderen, weil des Keilers Rüsselscheibe „irgendwie nicht mit dem Ladekabel vom<br />

Sumsang Galaxor kompatibel“ war. Das verstehe wer will. Dafür gibt es aber nun öfters fluffige 21°C<br />

von März bis November und hübsche, kleine Hurricanes über Kalbe. Schöne neue Welt. Mit dem Begriff<br />

Heimat verbindet man zwar immer eine Ecke Nostalgie, jedoch musste der Heimatkonsument seit jeher<br />

Veränderungen über sich ergehen lassen. Die Hauptsache bleibt hierbei, dat die olle Tante für jeden von<br />

uns immer etwas Besonderes sein wird, oder zumindest sein sollte. Sie war schon immer da, keiner hat<br />

versucht sie uns wegzunehmen, und man kann immer wieder zu ihr angeschissen kommen. Hierzu geht<br />

noch mein mitfühlender Gruß an all jene Menschen, denen Krieg, Vertreibung bzw. der Ami über den<br />

Hals kam und dies somit den Verlust des gewohnten Habitats zur Folge hatte. Zwangsräumung ist die<br />

absolute Höchststrafe! Aber vielleicht möchte ja die ein oder andere arme, entwurzelte Seele gerne im<br />

hier umschriebenen Gebiet neue Triebe schlagen? (Natürlich, sofern es die Umstände und die Bereitschaft<br />

zur friedlichen Koexistenz erlauben.) Wir hätten da durchaus noch räumliche und gesellschaftliche<br />

Vakanzen. Wichtig wäre für den kulturellen Einsteiger nur: Nicht unbedingt gleich nach Klötze ziehen.<br />

Der Einreitende findet ansonsten eine vielerorts aufgeklärte Gegend vor, in der aber nie Alle gleichzeitig<br />

zuhause sind. (u.a. deshalb weil dem gemeinen, Altmärker „Beutewessi“ ein namhafter Wolfsburger<br />

Abgashersteller, nebst Lieferantenhofstaat, die verfügbare Lebenszeit einteilt) Naja, ihr könnt ja mal<br />

klingeln. Schätze, der Interessierte kommt vorbei und der Kenner wird heimisch. Selbstverständlich gilt<br />

auch hierzulande: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Der Warnhinweis für Autobahn-Einreisende lautete<br />

im gesamten Anhalt-Sektor unlängst noch: „Das Land der Frühaufsteher“. (Da wusste man sogleich, wo<br />

und wann die Reise hingeht.) Auch bietet das strenge Altmärker Tischgesetz („Et jibbt dat, wat die Kelle<br />

kleckt!“ Anm.d.Red.) wenig Spielraum für „Extrawürste“. Und wenn man einen Altmärker nach seinem<br />

Lebenscredo befragt, könnte dieser so etwas antworten wie: „Von nüschts kommt nüschts und viel hilft<br />

viel“. Zusammengefasst erkennt man die Eigenschaften: aufgeweckt, versorgt und altklug. Dem gibt es<br />

eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.<br />

Zugegeben, es ist ein spezieller, aber liebenswerter Flecken. Untrügliche Erkennungsmerkmale der Altmark<br />

und zugleich Werbebotschaft: Dort fegt der neueste „Claas X-Ypsilon“ über die 0,38% Gefälle. Nur<br />

da gibt’s den teuren Edelspargel in der weltbesten Hochzeitssuppe bzw. noch richtig viel Soße auf die<br />

mehlige Kartoffel. Des Weiteren zeugen die rituellen Bräuche und Festspiele eindeutig von Humor und<br />

einladender Geselligkeit. Zu guter Letzt, sein die vielen, tollen und verhaltensoriginellen Eingeborenen<br />

erwähnt, die den ganzen Laden am Laufen halten! Verdient für mich ganz klar das Prädikat „Anheimelnd“.<br />

Will sagen: Danke, Mutti!<br />

PS. Hoffe auf ne gute Note, Herr Kühnel!<br />

Als Rektum dieser Anstalt genießen Sie meine volle Anerkennung.<br />

Buchempfehlung<br />

T. S. Spivet ist zwölf Jahre<br />

alt und ein genialer Kartograph.<br />

Denn er weiß genau,<br />

dass nichts von Dauer<br />

ist. Der Whiskykonsum seines<br />

Vaters wird ebenso in Diagrammen festgehalten wie die Anatomie<br />

von Glühwürmchen. Inmitten seiner merkwürdigen Familie<br />

lebt er auf einer Ranch in einem flachen Tal in Montana. Eines<br />

Nachts begibt sich T.S. auf die Reise nach Washington und damit<br />

in ein unglaubliches Abenteuer.Reif Larsens Debüt ist ein Juwel:<br />

Ein mit vielen Karten und wundervollen Zeichnungen versehener<br />

Roman über Freundschaft, Kindheit, Schuld und über Zuhausesein.<br />

Ergreifend, geheimnisvoll und verspielt, ein wahres Feuerwerk<br />

von Gefühlen und Ideen.»Die Karte meiner Träume« besitzt<br />

den Schimmer eines alten Hollywood-Films und ist<br />

gleichzeitig auf einzigartige Weise neu.<br />

Dieses Buch ist ein Gesamtkunstwerk.<br />

13


14


Heimatspaziergang<br />

Tino Fellenberg<br />

So oft es immer geht, nehm ich mir entschlossen Zeit<br />

und verlasse die aus Stein und Stahl gehauene Örtlichkeit.<br />

Obgleich der Mond in klarer Nachte hängt,<br />

sich weißer Nebel in den Mooren senkt,<br />

die Sonne zum Zenite steigt<br />

oder Regen auf die Erde peitscht.<br />

Etwas ruft mich immer wieder in die Ferne<br />

und ich folge dem Verlagen, ach wie gerne.<br />

Ich tausche also ein, das dumpfige Gebälk,<br />

gegen Gottes, großes Himmelszelt.<br />

Mein wölfisch-wildes Herz will durch die Wälder streifen,<br />

das wache Auge über Feld und Aue schweifen.<br />

Die müden Füße wollen Mutter Erde spüren,<br />

die reinste Luft soll durch die Lunge führen.<br />

Und bei jedem Gang da raus, gibt es immer diesen einen Reiz:<br />

dass ich mich und diese Welt, mit jedem Schritt ein bisschen mehr begreif.<br />

Und wie ich dieses Mal so gehe, fällt mir auf,<br />

dass ich mich frag: worauf?<br />

Soll dieses Land mir Heimat sein?<br />

Und wenn ja, was heißt das allgemein?<br />

Da entsinn ich, einem Austausch zwei betagter Männer,<br />

sie kamen durch ihr reden auf den gleichen Nenner:<br />

Wo immer auch Verwandtschaft ringsumher,<br />

ist eben auch die Heimat, bitte sehr.<br />

Doch zweifelsohne gibt es in Familien ebenso die Spaltung,<br />

ergo, käm es heimatlich dann zur Enteignung!<br />

Zudem sei jede Waise,<br />

Heimatlos bei ihrer anfänglichen Reise.<br />

Mir kam außerdem zu Ohren,<br />

dass Heimat da wo man geboren.<br />

Nehme man das also an,<br />

wären wenige Verbunden mit dem Land.<br />

Denn es gibt nicht viele, die einen Wohnsitz übernommen,<br />

wo sie als Kindlein auf die Welt gekommen.<br />

Ich persönlich würd es so erfassen,<br />

dass Heimat, wo man aufgewachsen!<br />

Doch dann sei mir die Frage: warum gerade DAS,<br />

als Beschreibung für die Meisten passt?<br />

Als ich fragend dann so gehe<br />

und versuche zu verstehen,<br />

zieht an mir der endlos schöne Wald vorbei,<br />

und ich mach nichts, als in mir Platz für Wahrheit frei.<br />

Und so dauert es nicht lang, bis ich erkenne was es heißt:<br />

So wie alles andre, ist auch Heimat, nichts als Geist.<br />

Denn letztlich bildet man in sich ein Heim<br />

und bindet dort Personen, Orte, Zeiten ein.<br />

Somit kann das Land allein,<br />

niemals Heimat sein!<br />

Es ist im Grunde nur die Decke,<br />

worin der Inhalt sich verstecke.<br />

Und da man in den Kindertagen,<br />

unbefangen und in allen Farben,<br />

reichlich diese Hülle füllt,<br />

kennt man von der Heimat oft nur dieses Bild.<br />

Nun da die Natur um mich allmählich weicht,<br />

und das Lichtermeer der Stadt sich preist.<br />

Ja, als ich dann nach meinem Gang,<br />

in das, wieder hochgeschätzte, Hause fand.<br />

Schaute ich, beseelt vom langen Marsche,<br />

verträumt, durchs Fenster auf die Straße.<br />

Und als ich blickte, die Gesichter, die vorüber ziehen<br />

konnte ich ein letztes, deutlich in den Augen sehen:<br />

Angela Ufer<br />

Selbst die Erde ist uns nur bedingt ein Heim,<br />

denn das Ewige in uns, kann nur bei Gott zu Hause sein.<br />

spirit-now.de<br />

15


Satzspiegel = 144 x 220 mm<br />

Heimat, ....<br />

16 linke Seite<br />

50<br />

Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Geschichten aus dem GrandHotel“, welches aus Seite 25 vorgestellt wird.


17 17


1818<br />

18


19 19<br />

19


20<br />

20<br />

20


21<br />

21<br />

21


22<br />

22


23<br />

23<br />

23


2424


»Flucht und Asyl«, lautete das Thema, mit dem sich im<br />

Somersemester 2015 die »Projektgruppe Comicwerkstatt«<br />

der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule<br />

Augsburg beschäftigte. Es sollten Comicreportagen entstehen,<br />

die sowohl Fluchtursachen beleuchten, als auch<br />

den Alltag von Asylsuchenden, deren Sorgen und Hoffnungen.<br />

Die Studierenden recherchierten in Flüchtlingsunterkünften<br />

vor Ort. Sehr schnell wurde eine Unterkunft<br />

zur Hauptanlaufstelle: Das Grandhotel Cosmopolis. Die<br />

offene und freundliche Atmosphäre, die hier aus der<br />

Verbindung von Café- und Kulturbetrieb, Hotellerie und<br />

Asylherberge resultiert, machte die Kontaktaufnahme<br />

besonders leicht. Und so wandelte sich das Thema von<br />

der allgemeinen Betrachtung der Asylproblematik, hin<br />

zur konkreten Reportage über das Grandhotel Cosmopolis.<br />

Recherchiert wurde mit Zustimmung aber nicht im<br />

Auftrag des Grandhotel Cosmopolis. Im offenen Cafébereich<br />

der Unterkunft fanden alle Begegnungen statt,<br />

über die in diesem Heft berichtet wird. Es kamen nicht<br />

nur Flüchtlinge zu Wort.<br />

Ein Aktivist der ersten Stunde gab seine Sicht der Startphase<br />

des Projekts zu Protokoll, zwei bereits anerkannte<br />

Flüchtlinge, die weiterhin ehrenamtlich im Haus tätig<br />

sind erzählten, warum sie nach Deutschland kamen, und<br />

auch die Studierenden selbst begannen, ihre persönlichen<br />

Wahrnehmungen des Projekts zu reflektieren und<br />

aufzuzeichnen. So entstanden acht Comicreportagen.<br />

Locker verbunden durch mehrere fiktionale Sequenzen.<br />

Letztere ergänzen die Inhalte, fügen ortstypisches Lokalkolorit<br />

hinzu und lassen Augsburgs historische Verknüpfungen<br />

zum Thema Krieg und Religionsfrieden anklingen.<br />

Der Ton der Erzählungen wechselt zwischen heiter<br />

und ernst – ganz wie das Leben …<br />

Cover und Backcover: Mike Loos<br />

Comics von: Samuel Boeck, Dennis Ego, Hannah Hageraats,<br />

Mike Loos, Marte Negele, Paul Rietzl, Wolfgang<br />

Speer, Julian Wienand, Miriam Wöllner.<br />

Grußwort: Dr. Stefan Kiefer, dritter Bürgermeister der<br />

Stadt Augsburg, Sozialreferat<br />

Vorwort und Nachwort: Mike Loos<br />

Herausgeber: Prof. Mike Loos<br />

Verlegt durch den Wißner Verlag Augsburg<br />

ISBN 578-3-95786-000-2<br />

25 25


So begab es sich, dass nach einer kurzen Nacht plötzlich ein Ruf<br />

durch die weiten kalten, schneebedeckten, nordischen Wälder hallte<br />

– der Ruf eines Daheimgebliebenen – einer, der noch in der alten<br />

Heimat lebt und mich fragt: „Du, der du so weit weg bist, dass man 6<br />

mal die Pferde wechseln muss, dass man von Sommerbehufung auf<br />

Winterbehufung und hochbeinig wechseln muss, um nicht im Schnee<br />

zu versacken, kannst du mir sagen oder gar schreiben, was du unter<br />

verlorener Heimat verstehst?“<br />

Und was soll ich sagen: „Ik sach et ma so, in der aldn heematlichn<br />

Mundart: Klar kann ik dich dazu wat sachn. Sperr ma de Lauscha uff<br />

un mach jar nich de Glotzn dicht!<br />

Weesste, für mich is Heemat nüscht rechtet, nüscht linket, nüscht<br />

vonne FDP, AFP, Grüne oda Rode oda von nen andren Jesangsvaein.<br />

Et is ooch nüscht verwerflichet oda abstruset – et is janz eenfach nur<br />

een jutet Jefühl. Een Jefühl, dat dich jut schlafn lässt un dich morjens<br />

jut uffstehn lässt. Dat sind Ainnarung‘n an dat eene oda andre<br />

Fest midde Kumpels. Dat sin ooch Ainnarung‘n an ussjesoffene<br />

Glühweenkübl mit Rum inna schrilln Nacht oda spontane Jehirnfürze<br />

in warma Sommanacht. (Räusper – Hooptsache de Muddi liest dat<br />

jetzte nich.) Dat sin aba ooch Jedankn‘n daran, warum man wech<br />

jejang‘n is, wat man falorn hat, un wat man jefundn hat. De Altmarch<br />

wird imma meene alde Heemat sin. Dat isso un wird ooch imma so<br />

bleem.“<br />

Allerdings habe ich eine neue Heimat gefunden, in der ich ebenfalls<br />

gut schlafen und am kommenden Morgen frohen Mutes aufwachen<br />

kann. Ja, diese neue Heimat ist recht weit entfernt und so kommt es<br />

auch vor, dass ich in manchen stillen Nächten etwas wehmütig an die<br />

alte Heimat denke, an das, was ich quasi verloren und aufgegeben<br />

habe, und ich mich frage, ob der Mond zu Hause noch genauso<br />

aussieht, wie damals als ich ging.<br />

Das sind aber auch Gedanken an alte Freunde, die plötzlich „verschwunden“<br />

sind, dass sich nahe Verwandte nur noch alle hundert<br />

Monde oder gar nicht mehr melden, aber erwarten, dass man sich<br />

immer wieder meldet, dass man einfach mal so durchklingelt. Und<br />

wenn sich dann doch einmal ein Anruf zu einem verirrt, dann hat dieser<br />

seltene Anruf meist nichts Gutes zum Inhalt. Entweder gab es irgendwo<br />

krassen Streit, jemand ist ins Krankenhaus geliefert worden,<br />

irgendwer ist verstorben oder es gab irgendwo im Ort einen Aufzug<br />

von so genannten RTL Journalisten. Selten bekommt man Anrufe, in<br />

denen man einfach nur gefragt wird: „Wie jeht et dir eejentlich so?<br />

Wat machste? Kannste Besuch fatrajn? - Un janz ehrlich: Besuch<br />

kann ik imma fatrajn.“ Das stimmt mich traurig und dann weiß ich<br />

mit Gewissheit, dass ich die alte Heimat verloren habe oder besser<br />

geschrieben, dass mich die alte Heimat einfach nur vergessen hat.<br />

So beschreibe ich für mich den Begriff verlorene Heimat.<br />

Wie anfangs bereits beschrieben, ist Heimat aber weder ein Ort oder<br />

eine Zusammenkunft, sondern ein wundervolles, wohliges, warmes<br />

Gefühl. Die alte Heimat, an die ich mich erinnere, wird von den<br />

fantastisch schönen Erinnerungen der Kindheit, Jugendzeit und auch<br />

Erwachsenenzeit genährt, als wir alle noch bei Oma und Opa unsere<br />

8 Wochen Sommerferien zusammen verbrachten, als sich noch<br />

wirklich alle aus der Familie zu Familienfesten und zu Weihnachten<br />

einfanden, als Geld, Krankheits- und Todesfälle nicht noch das<br />

tägliche Gesprächsthema waren. Das sind Erinnerungen, als ich mit<br />

Kumpels die ersten „schwarzen“ Ausflüge auf dem Wuppdich in die<br />

nahe gelegenen Wälder und Feldwege unternahm. Für mich ist die<br />

verlorene Heimat die unendliche Fülle an schönen Erinnerungen aus<br />

bereits vergangenen Tagen, die so nie wiederkommen werden.<br />

Aber Heimat kann niemals verloren gehen, sie verändert sich im Laufe<br />

der Zeit, nur das Gefühl, was Heimat bedeutet, bleibt immer gleich<br />

und wird sich niemals verändern. Heimat ist die erfüllte Sehnsucht<br />

nach Geborgenheit, egal wo man dieses auch finden mag.<br />

PS: Meinen Namen brauche ich wohl nicht zu nennen, denn der eine<br />

oder andere wird sich in meinen Erinnerungen wiederfinden ;-)<br />

26


„Es war ganz herrlich wieder hier zu sein. Mein<br />

Mann war wie neugeboren, dass er wieder zu<br />

Hause war. Er hat immer geträumt von Vienau<br />

und immer Heimweh nach Vienau gehabt sein<br />

ganzes Leben.<br />

Es hat ihm so eine Freude gemacht.<br />

Vor allem hier hat er immer gesessen,<br />

hier am Teich. Und die Fische beobachtet.“<br />

Ingeborg von Kalben, 2016<br />

) Aus dem Videointerview „Vienau I“ von Carmen Westermeier & Julia Hainz<br />

27


Gesa Kolb<br />

Über Leichtigkeit und Schwermut<br />

Ich habe begonnen mich heimisch zu<br />

fühlen in diesen alten Gemäuern. In<br />

denen der Putz schon von den Mauern<br />

fällt wie Ascheregen und in der<br />

sich unendliche Hände mit Schmutz,<br />

Öl und Edding in den hintersten<br />

Ecken und auf dem Stuck der Wände<br />

verewigt haben. Wie mögen die Nonnen<br />

und die Adligen durch diese Räume<br />

geschritten sein, was für Tänze<br />

wurden auf diesen Böden getanzt, die<br />

jetzt bedeckt sind mit einer Schicht<br />

aus Farbe, violetter Pastellkreide und<br />

Schmutz. Manches Mal knacken die<br />

Heizungsrohre als würden Geister<br />

über die Dielen poltern oder es sind die Mäuse, die sich an unseren<br />

Essensresten in der Küche satt fressen. Es stapeln sich die Vorräte<br />

unzähliger Studenten, die Spüle ist bedeckt von schwarzen Punkten<br />

aus Kaffeepulver und verdreckten Tellern. „Die Küche ist halt autonom,<br />

da kannst du nicht erwarten, dass sich jemand an Regeln hält“,<br />

haben sie gesagt und seit dem die Abflussrohre kaputt gegangen<br />

sind, ist es unmöglich hier unten auch nur gemütlich eine Zigarette<br />

zu rauchen, so sehr stinkt es.<br />

Manch einer überlegt schon, sich einen Camping-Kocher oder eine<br />

mobile Herdplatte zu besorgen. Wer malt, muss schließlich auch essen<br />

und Hasenleim und Lack anrühren und kochen können. In den<br />

letzten Monaten hat es begonnen, durch die hohen Fenster zu ziehen<br />

und sie schließen das Tor jetzt wie an der Hauptstelle sonntags ab.<br />

Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken an die Jungs, die es nicht<br />

vom sonntäglichen Arbeiten abhalten wird, mit ihren Fahrrädern<br />

beladen über die meterhohen Stäbe zu klettern. Sie stellen sich manches<br />

Mal, wenn die Toiletten wieder abgeschlossen sind und sie zu<br />

faul sind, durchs Fenster in den Garten zu klettern, in ihre hohen<br />

Fensterrahmen, öffnen eine der Türen und halten ihre Schwänze in<br />

die kalte Luft, ohne darauf zu achten ob ihre Pisse an der Hauswand<br />

hinabläuft oder auf den halb gefrorenen Boden tropft. Sie sind so<br />

ungezwungen in ihrer jugendlichen, männlichen Leichtigkeit, kiffen<br />

sich die Nächte voller Sterne und sphärischer Musik, wie es nur<br />

Männer Anfang zwanzig können, leben hedonistisch in den Tag hinein<br />

ohne irgendeine Konsequenz. Sie sind.<br />

28<br />

N. beschreibt das Einatmen des Rauches wie das kalte Prickeln von<br />

Fischerman‘s Friends im Hals, nur weiter unten in der Lunge und<br />

vielleicht auch ein wenig wärmer. Wir liegen auf dem Boden, ich<br />

kann nicht genau sagen, ob wir gerade die Stuckdecke betrachten<br />

oder den freien Himmel über uns, das Zirpen der Zikaden unter<br />

uns und die ISS in ihrem Orbit schwebend. Ich bin verliebt in diese<br />

Leichtigkeit; der Schalk im Nacken von F.; N.‘s flinke, verdrehte Wendigkeit<br />

in M.‘s Stuhl, als sie ihn fotografiert. Manches Mal kann ich<br />

mich zwischen ihnen nicht entscheiden. Sie sind so schön auf ihre<br />

komplementäre Art. Der große dunkle F. mit den Samurai-Locken<br />

und dem Geist, der so voll ist von dunklen, tiefen Seen und der<br />

schmale N. mit seinem sympathischen Akzent und dem schnellen,<br />

bunten Verstand, immer ein Grinch-Grinsen auf den Lippen. Sie sind<br />

wohl das absolute Gegenteil zu meiner unsicheren-sicheren Welt,<br />

mit der von außen behüteten Ordnung. Bei Ihnen herrscht kreatives<br />

Chaos, im Inneren wie im Äußeren. Wenn man so will, haben<br />

sie ihre Spuren dadurch schon hinterlassen. Der violette Staub aus<br />

Pastell, die Runen an den Wänden. Sie beschädigen und fügen doch<br />

etwas hinzu: die Lebendigkeit in diesem toten Gemäuer. Die Nonnen<br />

in ihren weißen Hauben mögen hier ihre Gebete gesprochen und mit<br />

ihren Knien die Böden glatt geschmirgelt haben. Doch was bleibt von<br />

ihnen übrig außer der wagen Erzählung einer alten Frau. Selbst vom<br />

Bauherr des Schlosses bleibt eben nur noch der Stuck an der Decke<br />

bestehen. Aus seinen Ländereien ist nun ein stupider Golfplatz für<br />

neureiche Manager geworden. Sein erhabener Wald zum Flanieren<br />

und Jagen gedacht, wird zum schweißtreibenden Fitnesspart für<br />

Jogger und Walker (aka Zombies mit und ohne Stöcke). Sein Lustschloss,<br />

einst mit Leben gefüllt, wird zum leeren Raum. Eine Projektionsfläche<br />

für unbekannte Eitelkeiten. Die große Freiheit. Wie fühlt<br />

man sich heimisch in leerem Raum?<br />

Indem man ihn füllt.


lenateresaflohrschuetz.com<br />

29


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34


III°III<br />

eine Klanginstallation in DIN A4<br />

von<br />

Karola Pfandt<br />

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Wenn die Luft schwingt, wird<br />

manchmal Musik draus...<br />

Es war warm und es war Sommer und es war 1991. Seit gut drei Stunden mühten wir uns nun schon ab, diesem verdammten SID einen Ton zu entlocken.<br />

Wir, das waren mein bildschirmgebräunter Kumpel Dazze und ich, aka ZakMcK. Neben unseren selbst vergebenen Nerd-ID’s als Kleinstadthacker<br />

teilten wir auch noch die gemeinsame Revoluzer-Attitüden, die Kippen und den Quellcode. Und SID, das war das Sound Interface Device des<br />

Commodore C64, dem wohl großartigsten und mit Abstand meist verkauften Heimcomputer der jemals gelebt … ähhh gebaut wurde. Der Code, auf<br />

dem wir gerade rumhackten, sollte die Gamesounds a la Draconus, The Last Ninja oder Giana Sisters in den Schatten stellen. Naja also, jedenfalls<br />

wir wollten überhaupt erstmal etwas hören. Also los ging’s: LOAD „*“, 8,1. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob wir mit dem selbstgequirlten Basic-<br />

Quellcode noch etwas Hörbares hinbekamen, aber ein wirklicher Ohrenschmaus wurde letztlich doch nicht draus. Aber ohne es zu bemerken, betraten<br />

wir an diesem Nachmittag mit einem Bein die Landstraße der elektronischen Musik, welche sich bald in eine Autobahn verwandeln würde.<br />

Dazze stand allerdings nicht mehr so auf C64, er hatte sich jüngst einen Amiga 500 zugelegt. Der konnte zwar ohne seine Workbench noch nicht einmal<br />

husten, war aber – das kann ich heute zugeben – dem C64 in Grafik und Sound schon ein kleines bisschen überlegen (wirklich nur ganz wenig).<br />

Das Coolste aber war, der Amiga konnte mit einem Zusatzsteckmodul sampeln, also Stücke aus bestehenden Sounds digital aufnehmen. Das kann<br />

heute zwar jedes drittklassige Handy, aber in der Welt von zwei postpubertierenden Jugendlichen gab es bis dato nur Schallplatten, Kassetten, olle<br />

Gitarren, Klanghölzer und den SKR-700. So schlossen wir dann auch den Plattenspieler an das Modul des Amiga an, um fröhlich draufloszusampeln.<br />

Als geeignetes Medium wählten wir einstimmig die von Dazze jüngst auf dem Flohmarkt erbeutete Slime-Platte „Alle gegen Alle“ aus. Als hätten wir<br />

es schon hundert Mal getan, übertrugen wir die Zeile: „Du weißt nicht, was zu tun - große Langeweile, anstatt dich auszuruhen, schnapp dir ‘ne Baseballkeule“<br />

von ihrem analogen Plattenbett auf den RAM des Amigas. Letztlich konnten wir mit diesem 12-Sekunden-Sample nichts weiter machen als<br />

es immer und immer wieder abzuspielen. Aber das war egal, wir hatten ja nun auch das zweite Bein auf die digitale Landstraße der E-Musik gesetzt.<br />

In Verzückung und Ehrfurcht tanzten wir im Geiste um den Amiga wie Derwische um ein Lagerfeuer.<br />

Sebastian Krüger<br />

Load „Kid Knorkes Elektropunk-Alphabet“, 8,1<br />

A wie Atari<br />

Fängt wie „Achtziger“ mit A an. Nicht, dass ich die Achtziger sonderlich<br />

mag, aber wenn ich alte Heimcomputer und Spielekonsolen sehe, juckt<br />

der Joystickfinger gleich wieder, ganz automatisch. Verrückte Technik!<br />

Bei der rasanten Entwicklung der Unterhaltungselektronik ist es für den<br />

konsumbegeisterten Smartphonebesitzer sicherlich eine ulkige Idee sich<br />

an dem ganzen uralten Computerkram zu erfreuen. Ist es aber gar nicht.<br />

B wie Bits<br />

Wenn mit alten Computern, Spielekonsolen (oder sogar Taschenrechnern<br />

mit modifizierbaren Piepstönen) Musik gemacht wird, nennt sich<br />

das Ganze Chiptune oder 8bit-Musik. Es gibt diverse Festivals und Konzertreihen<br />

wo Freunde dieser Biep-Biep-lastigen Musik auf Ihre Kosten<br />

kommen und wo gilt: Je verfrickelter und komplizierter das Setup und je<br />

oller die Geräte aus denen der Sound kommt sind, desto besser. Dabei<br />

wird vor keiner Musikrichtung und keinem Genre Halt gemacht.<br />

C wie Commodore<br />

Nicht totzukriegen! Hab auch noch den C64 in Verwendung zum Mucke<br />

machen. Gibt sicher modernere Geräte und bessere Synthesizer zur<br />

Klangerzeugung, aber wenn man auf den speziellen Retro-Sound steht<br />

der aus dem Brotkasten kommt, nimmt man die Herausforderung gern<br />

an aus der ollen Kiste die speziellen Sounds rauszukitzeln.<br />

D wie Disko Crunch<br />

Eine Band aus Hamburg. Live gesehen vor ein paar Jahren und in dem<br />

Moment beschlossen, dass ich auch elektronische Mucke mit Punkeinschlägen<br />

machen will. Bin dann eine Weile hinter denen hergestalkt<br />

und hab mir die geheimen Moves abgeschaut. Die kriegen den Spagat<br />

zwischen Electro und handgemachtem Punk großartig hin. Inzwischen<br />

hatten wir schon ein paar gemeinsame Gigs gespielt und das eine oder<br />

andere Bierchen getrunken. Grüße an dieser Stelle!<br />

Wie das klingt? Nun das kann ich dem interessiertem Leser nicht vermitteln.<br />

Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen.<br />

E wie Elektropunk<br />

Punk begleitet mich schon seit über 20 Jahren und jeder der sich die<br />

Lederjacke nicht komplett bis über die Ohren gezogen hat, kommt auch<br />

irgendwann nicht drum herum sich mit anderen Musikrichtungen auseinander<br />

zu setzen. Bands wie Atari Teenage Riot, Alien Sex Fiend oder<br />

Welle Erdball fand ich immer schon spannend, weil es anders als die<br />

Weichspül House/Dance/Pop Sachen war die sonst so unter „Elektronische<br />

Musik“ zu finden sind. Ich mag die Kombination aus retro/verzerrten<br />

Computersounds und Gesang - und als Kid Knorke hab ich viel Platz<br />

mich dazwischen musikalisch auszutoben.<br />

F wie Fraktus<br />

Lustig! Den Film kann man sich auch mehrmals ansehen, musikalisch<br />

auch voll ins Schwarze.<br />

G wie Giana Sisters<br />

Ich weiss gar nicht wie viele Joysticks ich zerrockert habe als ich in den<br />

Neunzigern meinen ersten C64 bekam. Ob ich Giana Sisters jemals<br />

durchgespielt habe, weiss ich nicht mehr. Auf jeden Fall gilt: Giana Sisters<br />

schlägt Super Mario. Schon allein wegen der InGame Musik von<br />

Chris Huelsbeck.<br />

H wie Handheld<br />

Computer werden ja immer kleiner. Schrecklich. Je klobiger und oller, je<br />

besser - finde ich. Als Programmierer kann ich mir sowieso nicht vorstellen<br />

an was anderem zu arbeiten als an einem riesigen Bildschirm und<br />

einer sperrigen, klappernden Cherry Tastatur. Oldschool!<br />

I wie Intellivision<br />

Eine uralte Spielkonsole von Mattel. Gibt es sicherlich auch Liebhaber<br />

für. Kenne aber keinen. Mich persönlich reizen auch weniger Spiele sondern<br />

die Möglichkeit die alten Kisten so zu modifizieren, dass es als Instrument<br />

verwendet werden kann.<br />

J wie Japan<br />

Nintendo kommt aus Japan. Damit hört mein Fachwissen aber auch<br />

schon auf. Wer sich für Musik interessiert die aus 8bit Sounds und Retrocomputern<br />

gemacht wird, der kommt wohl an japanischen Künstlern<br />

nicht vorbei. Eine riesige Szene scheint es da zu geben.<br />

K wie Kassetten<br />

Immerhin haltbarer als CD‘s (behaupte ich mal). Auf meiner Liste der<br />

haltbarsten Speichermedien für Audiosignale auf Platz 3. Hinter Schallplatte<br />

und Leierkasten.<br />

36


SEARCHING FOR „KNORKE“<br />

LOADING<br />

READY.<br />

LIST<br />

o (adj.) ugs. f. 'gut‘, 'ausgezeichnet‘, 'zufrieden‘<br />

102 “KID KNORKE“: Nerd/Elektropunk - Hamburg PRG<br />

L wie Lucas Arts<br />

Die Monty Pythons unter den Spieleentwicklern („Benutz Hamster mit<br />

Mikrowelle“). Maniac Mansion oder Monkey Island gehörten in jede<br />

gutsortierte zusammenkopierte Diskettensammlung.<br />

M wie Mario<br />

Den springenden Klempner der gern Pilze nascht, kennt glaube ich jeder.<br />

Wenn man Mario heißt und Chiptune/8bit-Musik macht, ist das<br />

auch ein prima Einstieg für Gespräche („Ach, du heißt echt Mario? Das<br />

ist ja witzig!“). Danke Muddi.<br />

N wie Nintendo<br />

Erfolgreichstes Zugpferd: Der Gameboy. Damals fand ich den doof<br />

(war zu klein und ich hab auf dem Monochrom Display nie was erkannt).<br />

Inzwischen hab ich aber einen (oder 2) und er kommt oft zum<br />

Einsatz in meinen Songs. Der Sound der kleinen Dinger ist einzigartig.<br />

O wie Ohrenschmerzen<br />

Böse Sache das. Dann einfach mal ein paar Stunden kein Kid Knorke<br />

hören, danach geht‘s wieder.<br />

P wie Pac-Man<br />

Zu komischer Musik im Dunkeln rumlaufen und bunte Teile futtern. Klar<br />

das sich so ein Spiel durchsetzt und so große Erfolge gefeiert hat. Glaube<br />

war Vorbild ganzer Jugendbewegungen.<br />

Q wie Qix<br />

Musste ich googlen. Klingt als wäre das sowas wie der Vorgänger zur<br />

SMS und existierte von 1995 bis 2000. Brauchte ich nie. Aber irgendein<br />

Wort mit Q musste hier verarbeitet werden.<br />

R wie Raubkopien<br />

Ich erinnere mich noch wie ich mit den besten Kumpels in den Neunzigern<br />

noch aufm Moped ins Nachbardorf gefahren bin, zu fremden<br />

Leuten von denen man nur wusste „Der hat ooch nen C64!“. Vollgepackt<br />

mit seiner Diskettensammlung wurde dann im Kinderzimmer eifrig<br />

der Bestand abgeglichen und nächtelang kopiert was das Zeug hielt.<br />

Inzwischen hat sich sowas mit der Verbreitung des Internets ja erledigt.<br />

War aber trotzdem schön.<br />

S wie Space Invaders<br />

Ein uraltes Spiel (1978!). Die „Aliens“ aus dem pixeligem Shooter sind<br />

beliebte T-Shirt Motive und Bestandteil fast jeder ambitionierten Retro<br />

Spielesammlung.<br />

T wie Trompete<br />

Als es mich so um 2000 aus der ostdeutschen Provinz nach Hamburg<br />

zog, war mein Plan Trompete zu lernen und in eine Ska Band einzusteigen.<br />

Nachdem ich wusste wie rum man die Trompete hält und wo<br />

man reinpusten muss, wurde ich auch schon als Punkrock-Trompeter<br />

verpflichtet. Aus der Nummer komm ich auch nicht mehr raus glaub<br />

ich - macht mir auch ehrlich gesagt zu viel Spaß um das zu wollen.<br />

U wie Umsonst<br />

Software, Musik, Kleiderbügel, Liebe ... die schönsten Dinge im Leben<br />

sollten umsonst sein.<br />

V wie Verrückt<br />

Verrückt oder Normal. „Normal“ ist lediglich eine Einstellung am Wäschetrockner.<br />

Ob man verrückt ist weil man einen komischen Hut auf<br />

hat oder mit Gameboys musiziert oder sonntags sein Auto wäscht, mögen<br />

doch bitte andere entscheiden.<br />

W wie Wario<br />

Der Mr. Hyde des Nintendo Universums.<br />

X wie Xbox<br />

Nie gehabt. Aber es gibt auch verdammt wenige brauchbare X Wörter<br />

für so A-Z Interviews wie dieses Xylophon.<br />

Y wie Yuppies<br />

Einer meiner ersten Songs. Gut das du fragst. Da kann ich nochmal auf<br />

meine „Zombienerd EP“ hinweisen, die man sich umsonst bei Superpapukaija<br />

runterladen kann.<br />

Z wie Zitronenhund<br />

Der Zitronenhund ist ein Onlinemagazin/Fanzine in dem es hauptsächlich<br />

um Comics und Musik geht. Sehr speziell, sehr nerdy. Dort wurde<br />

auch ein Interview von mir veröffentlicht, in ähnlicher Form. Wen sowas<br />

interessiert: http://zitronenhund.blogspot.de<br />

https://soundcloud.com/kid-knorke<br />

37


esondere<br />

Ein ganz besonderer Ort ist für mich der Sportplatz.<br />

Hier schalte ich ab. Der Ort bedeutet für mich, einfach<br />

loszugehen, den Ball mitzunehmen und loszukicken. Es<br />

macht einfach nur Spaß, man vergisst alles um sich herum,<br />

man achtet nur auf den Ball. Ich freue mich, wenn<br />

eine Kombination mit einem Mitspieler gelingt und der<br />

Ball dann im Tor liegt. In anderen Situationen gelingt<br />

mir vieles nicht so, z.B. in der Schule Wenn wir aber ein<br />

Spiel gewinnen, ist es ein schönes gefühl, weil ich weiß,<br />

dass ich dafür gearbeitet habe. Das macht mich stolz.<br />

Das Adrenalin und der Nervenkitzel sind toll. Oft habe<br />

ich Angst zu verlieren, aber auch das gehört dazu. Jede<br />

Mannschaft verliert einmal. Dann konzentriere ich mich<br />

auf das nächste Spiel und trainiere weiter.<br />

So ist das Spiel, das macht Spaß.<br />

Maik Schmidt<br />

Orte<br />

Ein besonderer Ort für mich ist der Secantsgraben,<br />

auch Flotte genannt. Dort stehen zwei Bänke, man<br />

kann dort super den Sonnenuntergang genießen. Ich<br />

sitze meistens dort, um einfach mal von allem abzuschalten,<br />

ich höre Musik und denke über alles nach.<br />

Meistens kommt mein Freund Max vorbei und wir<br />

plaudern über die Schule, Freundin, Freizeit usw. Immer<br />

mal wieder kommen Bekannte vorbei, auch meine<br />

Oma. Dann unterhalte ich mich auch mit ihr über alles<br />

Mögliche. Es ist ein ganz besonderer Ort, ich bin oft<br />

dort.<br />

Florian Müller<br />

In meinem Dorf Wernstedt gibt es eine Wiese. Da geh‘<br />

ich gern hin, wenn ich allein sein möchte. Im Sommer<br />

ist es dort besonders schön, da viele Blumen blühen,<br />

und das in den schönsten Farben der Welt. Früher war<br />

ich oft mit meiner besten Freundin dort. Da sie jetzt<br />

aber in Salzwedel wohnt, sehen wir uns nur noch sehr<br />

selten. Wenn ich sie besonders vermisse, gehe ich auf<br />

meine Wiese und kann mich an die schöne Zeit<br />

erinnern, die ich mit meiner Freundin hatte.<br />

Vanessa Schulze<br />

Ich bin sehr gern bei meiner Oma, weil ich mich bei<br />

ihr sehr wohl fühle. Sie wohnt mit in unserem Haus.<br />

An den Wochenenden und in den Ferien verbringe<br />

ich sehr viel Zeit bei ihr. Ich hab ihr geholfen, als mein<br />

Opa gestorben ist und sie hat mir geholfen, als ich<br />

traurig war. Vor einem halben Jahr ist sie ins Krankenhaus<br />

gekommen, weil sie operiert werden musste.<br />

Ihre Chancen waren nicht so gut, aber sie hat es geschafft<br />

und konnte vor einigen Wochen wieder nach<br />

Hause. Darüber bin ich sehr froh und ich helfe ihr jetzt<br />

noch mehr, weil sie nicht mehr so gut laufen kann.<br />

Pascal Heier<br />

38<br />

38<br />

Freundlich unterstützt durch den Heimatverein Kalbe/Milde: heimatverein-kalbe.de<br />

Interessantes zur Kalbenser Geschichte auch zu finden unter: kalbe-milde.de


Ein Denkmal in Güssefeld.<br />

An diesem Denkmal sitze ich abends sehr gern,<br />

träume von schönen Sachen.<br />

Beobachte jeden leuchtenden Stern,<br />

ob sie genauso träumen und schöne Dinge machen?<br />

Das Denkmal ist ein besonderer Ort,<br />

er ist ruhig und man kann sich erholen.<br />

Einfach nur sitzen und sich treffen mit Freunden dort.<br />

Es ist mein Ort, hier wird mir nichts befohlen.<br />

Anna Werner<br />

Besonders wohl fühle ich mich, wenn ich bei<br />

Oma und Opa in Schwiesau bin. Sie besitzen<br />

einen Bauernhof mit Scheune, Garten und<br />

mehreren Tieren. Die müssen jeden Tag gefüttert<br />

werden, dabei helfe ich gern. In der Scheune<br />

gibt es einen großen Heu- und Strohspeicher.<br />

Dort kann ich mich von der harten Arbeit<br />

ausruhen. Wenn meine Oma im Garten ist,<br />

helfe ich ihr auch. Oma schneidet die Blumen<br />

und ich erledige die scheren Aufgaben. Aber<br />

meistens ist sie drinnen und kocht sehr lecker.<br />

Im Sommer bin ich mit meinen Freunden oft im<br />

Schwiesauer Wald zu finden. Es gibt es einen<br />

kleinen Stausee. Dort können wir schwimmen<br />

und in der Sonne liegen.<br />

Marcel Frieß<br />

39<br />

Motiv „Vertical Landscape“ Quelle: Pinterest<br />

39


Vom Ankommen.<br />

Früher hab ich mir Mühe gegeben nicht so aufzufallen. Das hab ich<br />

jetzt hinter mir gelassen, meistens jedenfalls. Als Spiel mache ich es<br />

noch oder wenn ich müde bin. Fremdsein fühlt sich vertraut an. Weggehen<br />

kann ich daher sehr gut. Muss ich auch, alles andere macht<br />

mich unruhig. Irritiert alle die mich nicht gut kennen. Die anderen wissen,<br />

dass ich wiederkomme. Manchmal macht es sie trotzdem traurig.<br />

Ich weiß nicht einmal ob ich etwas Suche in der Fremde. Dass ich<br />

weglaufe glaub ich nicht. Vielleicht muss ich mir das auch erzählen<br />

um nicht den Mut zu verlieren. Heimat finde ich schwer. Immer schon.<br />

Sehnsucht habe ich nach einem sicheren Ort, aber ich muss mein<br />

Nest nicht immer an derselben Stelle bauen. Zuhause fühle ich mich<br />

in Momenten. Mit oder ohne Menschen. Wenn keiner erwartet, dass<br />

ich mich verstelle. Ich nicht das Gefühl habe, zu viel zu sein oder zu<br />

wenig. Selbst dann werde ich manchmal fremd. Die Frau des Pfarrers<br />

auf Hamarsheiði nannte es: Nú ert þú í þínum eigin heimi. Ich verstand<br />

nicht was sie meinte, weil die Isländischen Worte für zuhause (heimili)<br />

und Welt (heimur) sich so nah sind. Zuhause war ich ja nicht auf Hamersheiði;<br />

ich fühlte mich sogar ausdrücklich als Fremdkörper in der<br />

Runde. Beim dritten Anlauf sagte sie es auf Englisch: You are now in<br />

your own world. Ich glaube jetzt, dass beides stimmt.<br />

Beate Körner<br />

40<br />

40<br />

beatekoerner.com


Jens Eichenberg<br />

Wo ist Heimat<br />

Hab Heimat erfahren<br />

Und wieder verloren<br />

Erinnerung trübt sich<br />

Wunden vernarben<br />

Doch bleibt ein Schmerz<br />

Vertrautes gesucht<br />

Sehnsucht gefühlt<br />

Zu hoffen gewagt<br />

Im Herzen gefunden<br />

Was verloren schien<br />

Heimat ist in mir<br />

War nie verschwunden<br />

Ist nicht nur ein Ort<br />

Den zu finden<br />

Mir schwer fiel<br />

Vertraute Gesänge<br />

Gelebte Gefühle<br />

Düfte am Morgen<br />

Und wärmende Worte<br />

Von Menschen und Glück<br />

41<br />

41


42<br />

WARTEN AUF DAS GLÜCK<br />

There will be no miracles here.


Heimat – meine Wurzeln und ich<br />

Dzzs Bar (Dschhhh), Budapest. Irgendwann im November 2016.<br />

„Nice to meet you. What are you doing?“<br />

Die Essenz des Fundaments jeder Form von Heimat in zwei Sätzen<br />

destiliert. Die Dächer, Stühle, Betten und Lichter, Gerüche,<br />

Klänge und Bilder, Gesichter, Hände und Stimmen, kurz, die<br />

Eindrücke des letzten Jahres nebeln durch meinen zunehmend<br />

internationalisierten Geist und köcheln wieder und wieder in einer<br />

losen Mischung aus Zweifel und Überzeugung im Kosmos<br />

meines Weltbildes nach oben. Nicht weniger hier, im verrauchten<br />

Vorraum einer anonymen Spelunke großstädtischer Art als<br />

am Kicker einer Badel`scher Punkerkneipe, ist ein Fragment<br />

meiner Heimat zu Hause. Nicht weniger an den von Menschen<br />

hochfrequentierten Ufern der innerstädtischen Donau im osteuropäisch-winterlichen<br />

Ungarn als im menschenleeren Schilf der<br />

Milde. Nicht weniger an der Transfagarasan in Rumänien als am<br />

Brunauer Sportplatz.<br />

Wie zum Geier soll ich darüber konkret werden? Erstmal noch<br />

ein „Big Face“ (Rotbier, sehr zu empfehlen!) Ah ja, der Deutsche<br />

in mir. Grübel grübel, schluck, schluck. Aaah. Also gut, ich versuchs.<br />

Was ist denn kategorisch nicht meine Heimat? Ich, Homo<br />

Sapiens Sapiens mit Tendenzen zum Digitalis, ein radikaler<br />

Humanist, kategorischer Individualist, heimatloser Franke, will<br />

an dieser Stelle klarstellen: Meine Heimat ist das Lächeln. Das<br />

Wohlfühlen, das „Aus-sich heraus-treten“ hin zum Gegenüber.<br />

Als Teil meiner Ich-Werdung musste ich lernen, wie viele meiner<br />

Mitdeutschen ihre Heimat verstehen. Wir ziehen Grenzen in unseren<br />

Köpfen. Wir und die Anderen.<br />

Das Bekannte ist ein wohliges, Sicherheiten spendendes Gefühl.<br />

Alles hat seine Ordnung. Vielleicht aus dem Wunsch nach<br />

Ordnung heraus, vielleicht aus Sorge vor der „bösen Überraschung“.<br />

Warum ist die „gute Überraschung“ kein geflügeltes<br />

Wort der deutschen<br />

Sprache? Schluck schluck schluck.<br />

Hmm. Bier machen können sie, die Ungarn.<br />

Fränkisch-hyperkritisches Siegel drunter.<br />

Ehrliches Lächeln und ehrliche Offenheit. Meine Ingredienzien<br />

für Heimat. Sie entsteht schneller als man denkt. Sie ist ein Gefühl,<br />

und somit dem geistigen Wandel alteingebrannter Überzeugungen<br />

immer ein Riesenstück voraus. Der Mensch spürt de<br />

facto schneller als er lernt. Und vom „sich gewöhnen“ will ich gar<br />

nicht anfangen. Ich schau mich um. Offene Gesichter überall<br />

um mich herum. Manche sind weniger klar zu lesen als andere.<br />

Neugierig machen sie mich alle. Fühle ich mich hier nicht zu<br />

Hause? Ich denke an meine Mutter, meine Großmutter, dem vertrauten<br />

Garten hinter ihrem Haus. Familie. Freunde. Sie wollen,<br />

dass ich glücklich bin. Meine Heimat ist, wo ich glücklich bin.<br />

Ich kenne die Mechanismen in mir, die warnenden, isolierenden<br />

Stimmen, die mich eine unbekannte Umgebung beobachten lassen<br />

wollen, statt daran teilzunehmen. Hier in Budapest gibt es<br />

einen geflügelten Lacher unter den gleichaltrigen meiner Generation.<br />

Der Deutsche steht auf jeder Party als letzter zum Tanzen<br />

auf. Aber dann tanzt er als gäbe es kein Morgen.<br />

Schluck schluck.<br />

Heinrich Zschokke, Magdeburger Sohn eines Tuchmacher, Deutscher<br />

durch und durch, sagte einmal „Wer Egoisten heilen will,<br />

muss sie auf Reisen schicken.“<br />

Na dann Prost, ihr heimatlichen Grenzenzieher, ihr völkischen<br />

Schisser, ihr populistischen Angstmacher. Was ihr verpasst ist<br />

euer Ding, was ihr den Anderen vorenthalten wollt ist nichts weiter<br />

als eure als Realismus getarnte Ignoranz.<br />

Und ein von Herzen gutgemeintes, einladendes und ermutigendes<br />

egészségére euch heimatliebenden Europäern, Kalbensern,<br />

familiären Traditionalisten, Trinkt eunen auf uns. Wir, die Anderen,<br />

trinken auf euch und euer Glück!<br />

Grüße aus der heimatlichen Nachbarschaft<br />

Yannick Wende yannick-wende.jimdo.com<br />

Ausgabe 03, Januar 2017 mit Beiträgen von:<br />

IMPRESSUM<br />

Kalbenser <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

Herausgeber:<br />

Marko Kühnel<br />

Gardelegener Straße 28<br />

39624 Kalbe Milde<br />

Mail: fliegenklatsche-kalbe@online.de<br />

Web: <strong>Fliegenklatsche</strong>-Magazin.de<br />

Tel: 039080 40946<br />

Hat sie in diesem Heft etwas besonders gefreut oder geärgert. Oder sie<br />

möchten auch gern einen, wie auch immer gearteten Beitrag in der <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

veröffentlichen - dann schreiben sie bitte einen Brief oder<br />

eine Mail an die oben genannte Adresse.<br />

Ich freue mich auf Post von Ihnen!<br />

Lena Teresa Flohrschütz - cargovalley.com - lenateresaflohrschuetz.com<br />

Dennis Ego - Fakultät für Gestaltung an der Hochschule Augsburg<br />

Vanessa Schulze, Maik Schmidt, Anna Werner,<br />

Florian Müller, Pascal Heier, Marcel Frieß<br />

Yannick Wende - yannick-wende.jimdo.com<br />

Jens Eichenberg - eichenberg-naturstein.de<br />

Frank Winter - alias Etzekiel van Blubberich<br />

Kid Knorke - soundcloud.com/kid-knorke<br />

Eugenia Loli- eugenialoli.tictail.com<br />

Michael Körner - koerner-foto.de<br />

Beate Körner - beatekoerner.com<br />

Gesa Kolb - feegesa.tumblr.com<br />

Tino Fellenberg - spirit-now.de<br />

Carmen Westermeier<br />

Sebastian Krüger<br />

Lisa Wiedemuth<br />

Karola Pfandt<br />

Julia Hainz<br />

Angela Ufer<br />

Ilka Erl<br />

Vielen Dank für eure tiefgründigen, scharfsinnigen und mutigen Beiträge. Das<br />

war ein schwieriges Thema, aber ihr habt der Gefahr mutig ins Auge geblickt<br />

und es besiegt. Bravo! Ja, ihr seid echt großartig und nein, Gage gibt‘s natürlich<br />

wieder nicht. Aber seid nicht traurig. Ihr wisst doch, wo jederzeit ein<br />

schales Bier, eine Magnumflasche Wein und ein paar tröstende Worte am<br />

Feuerchen auf euch warten.<br />

Ebenfalls möchte ich mich bei meiner lieben Freundin Cathleen Hoffmann<br />

fürs Korrekturlesen bedanken: Du hast viel Kauderwelsch aufgestöbert, aber<br />

in manschen Fellen hast selbst du keine Schanze (hihi). Und Dir Frauchen, 43<br />

vielen Dank für wertvolle Tipps, die du mir im Vorbeigehen zuwirfst, als wäre<br />

es gar nichts weiter.<br />

43

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