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kalbenser Fliegenklatsche

Bd.01 "gebundenes, bedrucktes Papier - vielseitig in der Verwendung"

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fliegenklatsche<br />

Ausgabe 01<br />

Sommer 2014<br />

gebundenes, bedrucktes Papier - vielseitig in der Verwendung<br />

vom<br />

Leben in<br />

den Sümpfen<br />

FLASCHENPOST AUS REYKJAVIK KALBENSER WANDNOTIZ-<br />

BUCH FOTOGRAPHIE - GHOSTS<br />

HEY KÜNSTLERSTADT,<br />

WAS GEHT? MÄDCHENMUSIK - CAMOMILE KUBIKWAHN<br />

IN KUBANISTAN - DIE DOKU OHNE HITLER DER BASAR VON<br />

SAMUT SONGKHRAM<br />

DIE FLIEGE - DEIN FREUND UND<br />

BEGLEITER CHERY CHERY LADY - BUS FAHREN IN BORNEO...


Liebe Leserinnen und Leser,<br />

tja, auf irgend einem Weg sind Sie nun also in den<br />

Besitz dieses merkwürdigen Druckerzeugnisses gekommen.<br />

Vielleicht haben Sie sich von jemandem<br />

überreden lassen, doch ein Exemplar mitzuenhmen:<br />

Ihnen wurde in den höchsten Tönen die erfrischende<br />

und reinigende Wirkung dieses neuen Produkts<br />

gepriesen, und da Sie es gerade eilig hatten, haben<br />

sie eben ein Heft mitgenommen.<br />

Oder die Zeitschrift lag einfach irgendwo herum,<br />

und gerade als keiner hingeschaut hat ..., aber nein<br />

so was würden Sie natürlich nie tun.<br />

Ist ja nun auch nicht gerade „Das Magazin“, ja<br />

das habe ich, als Heranwachsener auch gern mal<br />

mitgehen lassen, wegen der spannenden Kulturbeiträge.<br />

Eventuell haben Sie ja auch einen Tisch, der ein wenig<br />

wackelig steht. Und als Sie so in Gedanken, wie<br />

man das ändern könnte zufällig gerade diese Zeitschrift<br />

befühlten, hatten Sie die Idee: Passt bestimmt<br />

genau unter das Tischbein. Und wenn nicht hol‘ ich<br />

mir halt noch eine!<br />

Und damit wären wir auch schon beim Thema: Sie<br />

können sich glücklich schätzen, ein derart ‚vielseitiges‘<br />

Produkt ihr eigen zu nennen. Es ist so nützlich.<br />

Hier nur einige Beispiele: Wenn Sie die <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

zusammenrollen, können sie prima durchschauen.<br />

Sie werden merken, man wird nicht mehr<br />

so abgelenkt und kann sich besser auf eine Sache<br />

konzentrieren.<br />

Auch können Sie sich z.B. ein schickes Motiv heraussuchen,<br />

dieses mit der Schere ausschneiden,<br />

und dann als stylischen Untersetzer verwenden. Hat<br />

kein anderer. Weiterer Vorteil: Schnell gemacht,<br />

wenn man mal den Hochzeitstag vergessen hat.<br />

Außerdem lassen sich aus den Seiten der <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

super Malerhüte für Kinder basteln. Und<br />

schon ist man diese Plackerei auch los.<br />

Sie sehen also, Sie haben nichts falsch gemacht.<br />

Egal wie Sie zu ihrer ersten <strong>Fliegenklatsche</strong> gekommen<br />

sind.<br />

Ach so, die <strong>Fliegenklatsche</strong> soll sie natürlich in erster<br />

Linie mit interessanten Geschichten, Berichten,<br />

Gedichten, und Ideen unterhalten und inspirieren.<br />

Fotografien, Zeichnungen, Spinnereinen, unlösbare<br />

Rätsel, ungenießbare Rezepte und unvorstellbare<br />

Enthüllungen - all diese Dinge und noch viel mehr,<br />

finden Platz in dieser Zeitschrift. Eine Art öffentliches<br />

Notizbuch, für alle die noch etwas zu sagen haben.<br />

So viel zur Begrüßung, ich will sie ja gar nicht länger<br />

aufhalten. Nun blättern Sie schon um, ich merke<br />

doch, dass Sie es gar nicht mehr erwarten können...<br />

Viel Spaß wünscht<br />

Marko Kühnel


Dunkle Tage, helle Nächte.<br />

Ich verliere meine Orientierung<br />

in der Zeit. Besonders gut war<br />

ich darin nie, aber einen Rhythmus<br />

für Tag und Nacht, Wachen<br />

und Schlafen hatte ich doch.<br />

Hier ist das schwieriger.<br />

Es war immer so, dass ich wach<br />

lag, wenn mir im Traum Ideen<br />

oder Sorgen unterkamen und<br />

ich kam schwer zu Schlaf, wenn<br />

ich vorher über sie stolperte.<br />

Nun ist es hier aber so, dass mir<br />

die klare Struktur von hell und<br />

dunkel fehlt.<br />

Erst war alles anstrengend,<br />

sodass mein Kopf am Abend<br />

schnell nach Ruhe verlangte,<br />

weil es jeden Tag Neues zu<br />

verstehen, bewältigen, lernen<br />

gab. In dieser ersten Aufregung<br />

verflogen die Wochen und ich<br />

merkte kaum, dass es dunkler<br />

wurde. Ich dachte einfach, ich<br />

sei so erschöpft, dass die Tage<br />

mir schneller aus den Fingern<br />

glitten, als ich sie zu greifen<br />

bekam. Dann waren sie mit<br />

einem Mal ganz weg. Es wollte<br />

nicht mehr Tag werden. Nicht<br />

um halb acht, wenn der Wecker<br />

klingelt, nicht um neun, wenn<br />

ich mich ans Tagwerk machen<br />

wollte, auch um elf Uhr war<br />

noch kaum Dämmerung. Bei<br />

gutem Wetter war dann von<br />

halb zwölf bis halb drei etwas<br />

Tageslicht, aber wir hatten viel<br />

Regen im November und eine<br />

Wohnung im Keller. Also an<br />

den meisten Tagen kaum Licht,<br />

kaum Energie. Irgendwann gab<br />

ich es auf, meinen Körper zwingen<br />

zu wollen und wehrte mich<br />

nicht mehr gegen die Dunkelheit.<br />

Mein Leben war Schlaf.<br />

Zwischendurch Notwendigkeiten,<br />

Konzerte, Kino, Briefe und<br />

die Fragen in der Nacht. Aber<br />

meistens Schlaf.<br />

Im neuen Jahr fühlte ich mich<br />

manchmal ausgeschlafen und<br />

das Licht half dabei. Dann war<br />

ich fort, hatte Gäste und viel<br />

Arbeit. Es machte wieder Spaß,<br />

wach zu sein nach all dem Winterschlaf.<br />

Meine Befürchtung,<br />

dass ich nie mehr richtig wach<br />

sein würde, war von mir genommen<br />

und die Dinge gingen mir<br />

leicht von der Hand, es fügte<br />

sich vieles.<br />

Nachdem ich wieder länger fort<br />

war, hatte ich diese Balance verloren.<br />

Auf dem Nachtflug wurde<br />

es heller, je später es wurde und<br />

blieb dann einfach stehen. Reisen<br />

verwirrt die Sinne, also gab<br />

ich nicht viel darauf. Aber bis<br />

heute blieb es in allen Nächten<br />

das Gleiche: Ewig blieb es hell,<br />

als wäre die Sonne ein Kind, daß<br />

nicht nach hause will. Wenn sie<br />

muss, gibt es lange Abendlicht<br />

und irgendwann Dämmerung.<br />

Weil sie hier immer lange dauert,<br />

bemerke ich es kaum, wenn<br />

die Blaue Stunde nicht aufhört.<br />

Aber einmal schau ich auf die<br />

Uhr und dann ist es schon drei<br />

und ich wundere mich doch. Ist<br />

es gestern abend oder morgen<br />

früh?<br />

Das Licht nimmt kein Ende.<br />

Wozu jetzt schlafen?<br />

Also hinaus. In den Westen,<br />

zum Meer, zum Leuchtturm.<br />

4


Aber auch in Seltjarnarnes kein<br />

Flecken Dunkelheit. Doch bis<br />

auf einen eiligen Lieferwagen<br />

sind die Straßen leer. Den<br />

Vögeln aber geht es wie mir, sie<br />

haben nie geschlafen, ich höre es<br />

von weitem.<br />

Küstenseeschwalben ziehen von<br />

einem Polarkreis zum anderen<br />

und weil es niemals Nacht wird,<br />

geben sie nie Ruhe. Bis ihre<br />

Kinder stark genug sind um<br />

mitzukommen, müssen sie hier<br />

bleiben und jagen und füttern<br />

und wenn einer kommt, wollen<br />

sie ihm die Hirndecke aufpicken.<br />

Als wäre ich ein Nesträuber, kesseln<br />

sie mich ein und schießen<br />

dann einzeln auf mich nieder.<br />

Jetzt weiß ich, warum sie hier<br />

Kría heißen, das schreien sie im<br />

Niederrauschen. Die Eleganz<br />

und Schnelligkeit ihres Fluges<br />

wird zum Horror.<br />

Also nicht zum Leuchtturm, ich<br />

habe verstanden.<br />

Also zum Hot Pot hinter der<br />

Trockenfischhütte. Mit klopfendem<br />

Herzen ziehe ich die Schuhe<br />

aus und gleite mit den Füßen<br />

ins heiße Wasser, während vor<br />

mir das Meer und hinter mir die<br />

Vögel toben.<br />

Im fliederblauen Licht ist es<br />

zehn vor fünf geworden am ersten<br />

Julitag und ich werde langsam<br />

müde.<br />

Beate Körner<br />

Medienkünstlerin, *1987 in Weimar<br />

lebt und arbeitet in Reykjavík<br />

www.beatekoerner.de<br />

5


6


Michael Körner<br />

Der Basar von Samut Songkhram<br />

Eigentlich ist man ja als Fotograf nicht unbedingt ein Mann des<br />

Wortes, dennoch möchte ich auf diesem Wege ein wenig zu<br />

dem beitragen, was man im weitesten Sinne als Verständnis für<br />

das vorliegende Fotomaterial bezeichnen könnte. Ich möchte<br />

Sie keinesfalls mit all dem langweilen, was man in verschiedenen<br />

Hotelzimmern wärend einer Reise vorfindet…<br />

der dann Unaussprechliches damit vorhat, was offenbar der extremen<br />

Wichtigkeit ihrer eigenen Person und natürlich des Wissens<br />

um diese Wichtigkeit geschuldet ist … und dann möchten<br />

sie diskutieren…<br />

(Brechen wir diesen kleinen Exkurs hier besser ab, denn in dieser<br />

Richtung liegt der Wahnsinn!)<br />

oder eben nicht, wie unfreundlich das Personal wieder war, wie<br />

unerfreulich der Kaffeegenuss, wie braun genau das Wasser aus<br />

der Leitung kam, wie sehr einen die Flatulenz ereilte, wie wenig<br />

und schlecht englisch ein Taxifahrer sprach, der steif und<br />

fest behauptet hat, es zu sprechen, warum es in manchen Ländern<br />

wärmer ist als in Anderen und wie man sich so fühlt in<br />

einer Unterkunft ohne Strom bei Kerzenlicht und der verdammte<br />

Computer funktioniert nicht… all das ist privat und demzufolge<br />

irrelevant, es sei denn, es dient dem Verständnis des schon erwähnten<br />

Materials.<br />

Mir ist natürlich klar, dass die Aufmerksamkeitsspanne eines<br />

heutigen Menschen im Berufsleben ungefähr bei 15 sec liegt,<br />

jener kann dann hier aufhören zu lesen und sich Bilder angucken.<br />

Für alle Anderen werde ich kurz umreißen, was sie sowieso<br />

schon sehen… nun denn: Möge Gott Ihnen allen gnädig sein<br />

(haha kleiner Scherz)!<br />

Der Nachteil, wenn man die Menschen überall auf der Welt für<br />

gleich hält – was sie auch sind, nur mit unterschiedlichen Nuancen<br />

– ist, dass jedes Land, das man bereist, fast schon automatisch<br />

eine Art Kulissenhaftigkeit annimmt, die dazu führen kann,<br />

dass man bei der Begehung eines besonders beeindruckenden<br />

Tempels nicht etwa sagt ‘Wahnsinn! Das kann ja gar nicht wahr<br />

sein!’, sondern eher dazu neigt ‘Wahnsinn! Das kann ja wohl<br />

nicht Ihr Ernst sein!’ zu sagen. Man merkt sofort, dass das Leben<br />

der Menschen vor Ort einer Normalität folgt, die man selbst zu<br />

Hause zur Genüge hat. Nichtsdestotrotz ist es für einen mitteleuropäischen<br />

Fotografen immer wieder überraschend, dass es<br />

auf der Welt Menschen gibt, die sich gern von Fremden fotografieren<br />

lassen… und dabei lächeln! Zu Hause ist man ja doch<br />

eher mit Personen konfrontiert, die glauben, dass man jedes<br />

Bild, das von ihnen gemacht wird, direkt an den Geheimdienst<br />

weiterleitet,<br />

Ich würde gern sagen, Thailand befindet sich im Umbruch zur<br />

Moderne und kann im eigentlichen Sinne nicht mehr als Land<br />

der Dritten Welt bezeichnet werden, muss hier weiterhin anführen,<br />

dass der Umbruch fast gänzlich vollzogen ist.<br />

Unter anderem kann man es daran festmachen, dass dort ausgesprochen<br />

sichtbar sehr viel Geld umgesetzt wird. Noch deutlicher<br />

macht sich das im Besonderen an der Schere zwischen Arm<br />

und Reich fest, die sich hier, wie überall auf der Welt, immer<br />

weiter spreizt. Dennoch scheinen Arm und Reich in so etwas wie<br />

Eintracht und direkter Nachbarschaft zu koexistieren, was natürlich<br />

nur augenscheinlich so ist, denn kein armer Slumbewohner<br />

ist gern ein Solcher, ganz egal, wo auf der Welt er sich befindet<br />

und besonders nicht, wenn er jeden Tag den Reichtum der Anderen<br />

an sich vorbeiziehen sieht. Und kein Reicher sieht gerne,<br />

wenn er aus der Haustür seines Luxusapartements tritt, welchen<br />

Umständen er seinen Reichtum zu verdanken hat.<br />

Vielleicht irre ich mich aber auch mit dieser Einschätzung und<br />

ein Reicher sieht es eigentlich doch ganz gern, dass die armen<br />

Schweine, vor seiner Haustür, auch weiterhin arm bleiben!<br />

Hmmm? Da ich nicht reich bin, kann ich das nicht genau beurteilen.<br />

Naja, jedenfalls: Ein gesellschaftliches Aufbegehren<br />

gegen diese Unstimmigkeit ist jedoch nicht abzusehen, da der<br />

Einzelne in erster Linie damit beschäftigt ist, sich selbst reich zu<br />

machen und nur der jeweilig niedrige Bildungsstand, die Herkunft,<br />

der Mangel an Eigenkapital und natürlich die herrschende<br />

Elite ihn daran hindert, es zu werden.<br />

Der offensichtlichste Eindruck, den man von Thailand erhält, ist<br />

wohl der, dass die Bevölkerung im Grunde davon lebt, sich gegenseitig<br />

etwas zu Essen zu verkaufen. Praktisch jeder scheint<br />

damit beschäftigt zu sein, oder er ist ein Mönch, oder er rennt<br />

einfach hin und her.<br />

7


Ach ja das Hinundhergerenne…! Hinundherrennen ist<br />

wirklich eine sehr beliebte Beschäftigung, … oder er<br />

behauptet englisch zu sprechen und spricht es dann<br />

doch nicht, oder wenn doch, kann man es nicht verstehen<br />

und bei erneuter Nachfrage fängt er schlimm an zu<br />

nuscheln. Echt deprimierend!<br />

Aber das ist natürlich nur eine kleine Aufzählung von<br />

Klischees – wie die meisten Klischees jedoch mit einem<br />

wahren Kern. Eines wird für einen Fotografen in Thailand<br />

überdeutlich: wenn man ein paar gute Fotos vom<br />

‚normalen‘*, wahren Leben in Thailand schießen will,<br />

und damit meine ich Fotos, auf denen viele Thailänder,<br />

wenig Touristen und – wenn möglich – keine Attraktionen<br />

für eben diese zu sehen sein sollten, muss man sehr<br />

früh aufstehen.<br />

In Bangkok zum Beispiel ist es am besten, sich in der<br />

Früh um 05:00 Uhr aufzumachen und bis – und einschließlich<br />

– 07:00 Uhr in den Straßen herum zu treiben.<br />

*normal in Anführungsstrichen, weil die eigentliche Normalität inzwischen nur<br />

noch ein heilloses Durcheinander ist und man verzweifelt nach ‘authentischen’<br />

Bildern eines echten Thailand sucht, das es so nur in Reiseprospekten, dem<br />

eigenen Wunschdenken, an sehr abgelegenen Orten, oder in den Anfängen<br />

der Fotografie gibt. Die Globalisierung hat auch hierheftig zugeschlagen und<br />

Thailand dem Rest der Welt angeglichen<br />

Dann schlurfen die buddhistischen Mönche herum und<br />

sammeln ihr Essen für den Tag bei den Gläubigen ein,<br />

das Verkehrschaos ist zurückhaltend erträglich und Details<br />

treten sehr viel deutlicher in den Vordergrund.<br />

Leider habe ich es nie geschafft, so früh aufzustehen.<br />

Deswegen kann ich auch mit Fug und Recht behaupten,<br />

jede andere Zeit ist in jedem Fall die Falsche.<br />

Dieses aus einem einfachen Grund: Man kann Thailand<br />

eigentlich nur noch so erleben, wie es ist: ein Land,<br />

dass die persönliche Vorstellungskraft enttäuscht, weil<br />

diese sich weigert die gegebene Realität anzuerkennen;<br />

und es ist ein Land, dass aus eigenem Antrieb zu einem<br />

Disneyland für Bagpacker und Sextouristen geworden<br />

ist. Das alles funktioniert nach einem einfachen Prinzip:<br />

Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt. Deshalb<br />

bin ich auch so dankbar für das einzige rein thailändische<br />

Erlebnis, mit dem ich hier aufwarten kann,<br />

weil es wirklich das einzige Mal war, dass ich nur mit<br />

Einheimischen zu tun hatte.<br />

Es verschlug mich nach Samut Songkhram. Ein Ort ca.<br />

80 km westlich von Bangkok. Da befindet sich einer der<br />

größten Tagesmärkte Thailands.<br />

8


Die beste Möglichkeit dort hin zu gelangen, ist es mit<br />

dem Zug zu fahren. Es ist vorteilhaft, wie oben schon<br />

erwähnt, das sehr früh zu tun.<br />

Allerdings sollte man es während der Fahrt vermeiden,<br />

sich aus dem Fenster zu lehnen, da die Wellblechhütten,<br />

Terrassendächer, sinnlose Betonpfeiler und Imbissküchen<br />

bis ca. 2 cm vor das Zugfenster gebaut wurden.<br />

Und wenn Bangkok dann endlich hinter einem<br />

liegt, versucht Dir Vegetarisches den Kopf vom Hals zu<br />

reißen. Wenn Sie sich aber von mir nichts vorschreiben<br />

lassen möchten, sammeln Sie doch bitte Ihre eigenen<br />

Erfahrungen.<br />

Aus denen soll man ja angeblich klug werden. Ich<br />

möchte allerdings annehmen, dass die aus der Erfahrung<br />

resultierende Klugheit eine sehr beglückende Erfahrung<br />

in der Art ist, dass sie ihre Würze aus der Kürze<br />

bezieht. Man fährt vorbei an Salzfeldern, Palmengärten,<br />

Slums, Teichen und Kanälen auf denen Lotus oder<br />

Wassersalat geerntet wird und erhascht manchmal kurze<br />

Einblicke in das Leben derer, an denen man vorbei<br />

ruckelt und zuckelt, mit Krach-Bumm-Peng als Begleitung.<br />

Dummerweise war ich erst gegen 08:30 Uhr von Bangkok<br />

aufgebrochen (hatte mich verlaufen… ist mir nicht<br />

peinlich!) und dementsprechend gegen 09:30 Uhr angekommen…<br />

eindeutig zu spät!<br />

Zu diesem Zeitpunkt haben die Händler den Großteil<br />

ihrer Ware schon an den Mann, oder die Frau gebracht.<br />

Das heißt, das ohnehin schon beeindruckende<br />

Schauspiel, mit dem Zug in einen von Menschen<br />

überfluteten Markt einzufahren, wäre noch um einiges<br />

beeindruckender gewesen.<br />

Aber, um ganz ehrlich zu sein, war es das auch so.<br />

Man fährt über die Auslage der Händler, die für jeden<br />

ankommenden oder abfahrenden Zug ihre Schirme<br />

zusammenklappen, oder sie zur Seite tragen müssen.<br />

Die Kunden drängen sich in die Nischen zwischen den<br />

Ständen und warten, bis die Schienen wieder frei sind.<br />

Es gibt von unglaublich ekeligen Hünerembryonen<br />

über Frösche, Fleisch, Früchte und Gemüse bis hin zu<br />

frittierten Insekten und getrocknetem Fisch mit Marmelade<br />

alles zu kaufen, was man essen und, je nach Metabolismus<br />

und Robustheit des eigenen Verdauungssystems,<br />

früher oder später wieder ausscheiden kann.<br />

Es war wirklich ein Erlebnis dessen vollständige Beschreibung<br />

sich leider meiner Fähigkeit zur vollständigen<br />

Beschreibung entzieht… Höchstwahrscheinlich<br />

deswegen ist man als Fotograf kein Mann des Wortes.<br />

Lasst Bilder sprechen!<br />

Michael Körner<br />

freiberuflicher Fotograf Berlin<br />

www.koerner-foto.de<br />

9


CAMOMILE<br />

Man kann das nicht vorhersehen. Aber immer mal wieder<br />

laufen sich die beiden Freunde und Musiker, Ramon Zarges<br />

aus Halle und Sebastian Krüger aus Kalbe, wie zufällig über<br />

den Weg.<br />

Jeder hat dann auch ganz zufällig einige Instrumente unterm<br />

Arm und im Gepäck diverse Flaschen mit unbekannten Substanzen<br />

und eine Packung Toffifee. Dann schließen sie sich in<br />

einen Raum ein - oder den Rest der Welt aus. In dieser Abgeschiedenheit<br />

wird dann drei, vier Tage lang komponiert,<br />

arrangiert, musiziert. aufgezeichnet und abgemischt.<br />

Und kurz nach so einer subversiven Session erscheint dann<br />

stets eine neue CD von Camomile, mit entspannten, zeitlosen<br />

Songs, die nach Sommer und leichtem Leben klingen.<br />

Es geht um Sehnsüchte und Erinnerungen. Klar, die großen<br />

Gefühle, aber auch um die wichtigen Kleinigkeiten des Lebens.<br />

Man möchte im Gras liegen, träumen und Löcher in<br />

den blauen Himmel starren.<br />

Eigentlich verwunderlich, denn die Beiden sind musikalisch<br />

ansonsten eher lautstark unterwegs. In diversen Bands, wie<br />

Trillian und monkeymedia ging und geht es seit Jahr und Tag<br />

ordentlich zu Sache.<br />

Mit Camomile zeigen sie sich nun einmal von einer anderen<br />

Seite. In diesem Projekt widmen sie sich sanften, leiseren<br />

Tönen. Ramon und Sebastian wechseln sich ab, an der akustischen<br />

Gitarre, am Piano und am abgedämpften Schlagzeug<br />

und geben dadurch jedem Song einen individuellen Sound.<br />

Die Stimmen sind samtweich und ergänzen sich perfekt.<br />

In einigen Parts wurden mit Trompete und Violine angenehme<br />

Akzente gesetzt. Alles ganz unaufgeregt und gelassen -<br />

und doch auf dem Punkt.<br />

„Breakfast at Lakes“ aus dem Jahr 2011 ist das derzeit aktuelle<br />

Album. Zugegeben, nicht mehr ganz neu. Es funktioniert<br />

aber auch 2014 noch super, als Sommer-Soundtrack. Wird<br />

trotzdem langsam Zeit, dass sich die beiden mal wieder ganz<br />

zufällig über den Weg laufen.<br />

Marko Kühnel<br />

10


die Erzieherin fragt: warum isst du nicht<br />

der Junge isst nicht<br />

der Junge sagt nichts<br />

die Erzieherin sagt: iss bitte<br />

der Junge isst<br />

die Erzieherin sagt: nimm bitte das Messer<br />

dazu<br />

der Junge isst nicht<br />

die Erzieherin fragt: was hast du<br />

der Junge isst nicht<br />

der Junge sagt nichts<br />

die Erzieherin fragt: warum isst du nicht<br />

ein anderes Kind sagt: er kann seinen Arm<br />

nicht bewegen<br />

die Erzieherin fragt: warum kannst du deinen<br />

Arm nicht bewegen<br />

der Junge sagt nichts<br />

der Arzt sagt: der Arm ist gebrochen<br />

die Erzieherin umarmt den Jungen<br />

der Junge schiebt sie weg und ruft:<br />

Mutter sagt: Dummheit tut nicht weh<br />

MUTTER SAGT:<br />

der Junge spielt auf dem Hof<br />

der Junge fährt Seilbahn<br />

der Junge fährt Seilbahn und jauchzt<br />

der Junge fährt Seilbahn und grölt<br />

der Junge fährt Seilbahn und fällt<br />

der Junge zuckt zusammen und steht wieder<br />

auf<br />

der Junge fährt Seilbahn<br />

die Erzieherin ruft zum Abendbrot<br />

der Junge isst Abendbrot<br />

der Junge schläft<br />

der Junge steht auf<br />

der Junge geht zur Schule<br />

der Junge sitzt am Mittagstisch<br />

Handschrift Wandschrift > Spielerei, Ulrike! Spielerei.<br />

Achtung! Verspiel dich nicht!!<br />

Samstag, der 10 August:<br />

Angekommen<br />

Möglichkeiten<br />

Sonntag, der 11.August:<br />

Nagel eins & Nagel zwei<br />

da hing mal was<br />

hat dort gehangen wer<br />

hat die Nägel in<br />

die Wand geschlagen<br />

hat sie zurückgelassen<br />

zwei Fühler<br />

STILL, MIN HANNE, HÖR MI TO!<br />

(Text: Klaus Groth; Melodie:<br />

so wie es M. singt)<br />

1. Still, min Hanne, hör mi to!<br />

Lüttje Müse pipt int Stroh,<br />

lüttje Vageln slapt in Bom,<br />

röhrt da Flünk un pipt in Drom.<br />

Still, min Hanne, hör mi an,<br />

buten geit de böse Mann,<br />

baben geit de stille Maan:<br />

Kind, wull hett dat schrigen dan?<br />

2. Aewern Bom so still un blank,<br />

aewert Hus an Heben lank<br />

un wo he frame Kinner süht,<br />

kik mal , an wa lacht he blid!<br />

Denn seggt he to de böse Mann<br />

se wüllt wider gan, denn gat se beid,<br />

dann stat se beid,<br />

aewert Moor un aewer de Heid.<br />

Kalbenser Wandnotizbuch<br />

3. Still, min Hanne, slaap mal var!<br />

Morgen is he wedder drar,<br />

rein so gel, rein so blank<br />

aewern Bom an Himmel lank.<br />

All in’t Gras de gelen Blom,<br />

Vageln pipt an Appelbom,<br />

Still, un mak de Ogen to,<br />

lüttje Müse pipt int Stroh.<br />

Ulrike Feibig<br />

Rosenwinkel, Flederhaus,<br />

dort hausen die Fledern<br />

Mein blaues Bad. Mein blauer Salon. Ich werde gerade eingeschlossen. Feierabend.<br />

Der Abend ist zum Feiern da. Blaue Blumen an den Wänden. Die blaue<br />

Blume. Im anderen Bad gibt es auch Blüten. Apfelblüten, glaube ich. Warum?<br />

Duftbäder vielleicht. Hier läuft kein Wasser mehr aus der Leitung. Aber an<br />

11<br />

manchen Stellen kommt das Wasser in den Ort zurück. Wird wieder Sumpf, wo<br />

Gärten waren, fließt das Wasser aus den Häusern zurück ins Land.<br />

11


Montag, der 12. August:<br />

In Kalbe bleiben die Katzen auf der Straße sitzen, wenn ein Auto kommt. Ich habe<br />

gestern, bevor ich gegangen bin, einen Nachtfalter zertreten. Nicht mit Absicht, aber<br />

aus Unachtsamkeit. Eben beim Pflanzenschneiden im Hinterhof, erst beim in-die-<br />

Hocke-gehen bemerkt, dass überall Nacktschnecken sind. Was man alles zerstört,<br />

weil man es nicht sieht, nicht weiß. Wie weit will ich das denken? Ich glaube,<br />

man wird verrückt darüber. Ist das ein Grund? (Ja, nein, vielleicht.)<br />

S. ist gerade mit E. im Kindergarten. Rufe später nochmal an. Jetzt Frau O. anrufen.<br />

Verzagt, immer dieselben Unsicherheiten, dass das nie aufhört. Ulrike, jetzt!<br />

Jede Wandhöhe eine andere Sitzgelegenheit/Körperhaltung: Stehen/Stuhl/Schlitten/<br />

Boden<br />

„Wenn man ein bisschen mehr weiß, sieht man auch mehr.“ Frau O. bei der Stadtführung<br />

Eine Kinderstimme zum Fenster herein: „Was macht denn der Garten ohne uns?“<br />

Bin vorhin vom Bordstein gefallen und habe mir das Knie aufgeschürft. So sah es,<br />

glaube ich, seit Kindertagen nicht aus. Also auch ein Kalbenser Kinderstück. An der<br />

Ecke saß wieder eine Katze. Ich nenne sie jetzt Katzenkurve. Auf dem ehemaligen<br />

jüdischen Friedhof steht jetzt ein Denkmal der Gefallenen des Ersten und Zweiten<br />

Weltkriegs.<br />

Textfliesen<br />

Winzige Insekten knistern an der Decke.<br />

Eine Mücke bsssst unsensibel dazwischen.<br />

Die Falter, Schwärmer und Motten wie hingesetzt<br />

an den Wänden, drapiert.<br />

Eine Riesenschnake am Duschschlauch.<br />

Die Kirchenglocke schlägt 10.<br />

Astrid Lindgren Grundschule. Auf dem Bauschild steht: Hier investiert Europa in<br />

die ländlichen Gebiete. Seltsame Formulierung. Ich stelle mir vor, in ganz Europa<br />

strecken die Menschen die Arme aus und setzen neue Fenster ein. Oder Zeus kommt<br />

als weißer Stier mit Europa auf dem Rücken nach Kalbe getrabt und die schöne Europa<br />

streicht die Schulwände grün. Erst auf dem Stierrücken, dann auf dem Stiernacken<br />

und schließlich auf dem Stierkopf stehend. Und wenn Europa mit der Farbrolle<br />

nicht hoch genug kommt, muss sich Zeus eben in ein anderes Tier verwandeln.<br />

In der Nähe von Kalbe gibt es einen Ort, der Schernikau heißt, wie der Schriftsteller<br />

Roland M. Schernikau. Der in Magdeburg geboren wurde, wie ich. Der Schreiberei<br />

in Leipzig studiert hat, wie ich. Der sonst nicht viel mit mir gemein hat, wie ich. Der<br />

nur 31 Jahre alt wurde, bitte nicht.<br />

Kinderfeuerwehr Kalbe/Milde: Erste Hilfe am Kuscheltier. Bitte Kuscheltiere mitbringen!<br />

Neues Wort gelernt: Anleitern!<br />

Waldbrandgrammatik: Verhindert Waldbrände<br />

Warnstufe 4 höchste Waldbrandgefahr<br />

Warnstufe 3 hohe Waldbrandgefahr<br />

Warnstufe 2 erhöhte Waldbrandgefahr<br />

Warnstufe 1 Waldbrandgefahr<br />

„Jede Provinz liebt ihren Dialekt; denn er ist doch eigentlich<br />

das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“ J.W. Goethe<br />

12


Donnerstag, der 15.August:<br />

Freitag, der 16. August:<br />

Nachgetragen aus meinem Notizbuch. Ehemaliges Gericht. Warm ist es heute, habe lange geschlafen, mein linkes<br />

Auge ist entzündet, die Kontaktlinse hat einen winzigen Riss. Die Haut, meine Haut, alles empfindlich. Hätte gern<br />

einen Schleier für diese Tage. Geht alles vorbei! L. hat die zarte Verschiebung meiner Stimmung sofort bemerkt,<br />

auch K. hat gefragt. Wir sind keine Rothäute, wir sind Dünnhäute. Woher kommen jetzt die Indianer? N.s Gedicht<br />

aus dem Gericht abgeschrieben. Schön. Sitze jetzt in L.s Installation/Spielplatz: Die Wirkbindenrolle, die ausgeworfene,<br />

die angebundene an den Enterhaken, endet an meinem schorfigen Knie. Der Enterhaken nach draußen, das<br />

Draußen erobern, sich retten in die Welt, vom Spielplatz in die Welt. Das Fenster war offen, jetzt ist es zu. Draußen<br />

klagt eine Katze. Wir haben mit unseren „Spielen“ Verwirrung gestiftet. Auch auf dem Spielplatz liegt eine tote Fledermaus.<br />

Eine Wippe, Pfeile in den Himmel, die an den Deckenhimmel zeigen, wie Leuchtreklamen. Ist alles nicht<br />

funktionstüchtig, viel zu fragil. Diesen Spielplatz gibt es nur, weil hier niemand mehr spielt. Falter, Käfer, Fledermäuse<br />

sind die Bewohner, die Gäste. Vielleicht vermissen die Häuser niemanden. Über Leuchtstoffröhren springen,<br />

einen dreibeinigen Hund sehr gern haben, Pastellkindergarten, Bonbonspiele. Ein Tipi, ein Zelt aus Besenstangen,<br />

da ist die Fledermaus durchs Dach gefallen. Im Schutt spielen, im Staub. Brücken über Flüsse, über rote Flüsse bauen.<br />

Eine Kletterwand ohne Griffe, Doktorspiele und Schläger. Spärliches Licht.<br />

Abends am Feuer bei M. und N., schöner Abend. Noch den Holzrauch in den Hemden, schöne Menschen hier. Und<br />

abheben konnte ich auch, sie haben ein Trampolin!<br />

Ein Falter oder Schwärmer kopfüber in den pinken Blüten<br />

auf meinem Fensterbrett, trinkt Nektar, ist zu beneiden.<br />

Ein stiller Tag, schön, still & sonnig. Hier kräht einem der Hahn nach. Gehe kurz Abendbrot kochen & Kaffee.<br />

Komme dann wieder: Nachtrag Dienstag, Mittwoch, heute; Brief an D.s NEUGEBORENES, Karte an S.,<br />

weitere Schnittgedichte, dritte & vierte Strophe von STILL, MIN HANNE lernen.<br />

Ich habe Besuch bekommen. Ihr werdet Euch noch kennenlernen. (Notiz von T.)<br />

Willkommen Nacht, willkommen ihr Falter und Knisterinsekten. Käfer sind heute auch da, ja verfangt euch<br />

in meinem Haar, macht ein bisschen Spuk. Vielleicht kommt auch der Giemk zu Kalbe (auch Kobold oder<br />

rotjackiger Junge). In Kalbe an der Milde trieb der Poltergeist sein neckisches Spiel und Wesen besonders in<br />

einem altertümlichen Hause, welches an der Milde gelegen war. Doch halt, es scheint, der Giemk zeigt sich nur<br />

am Tage. Diese kleinen Flugtiere, sie fliegen so unbändig durcheinander, dass ich mich gar nicht konzentrieren<br />

kann: INSEKTENDISCO. Das ist eine geschönte Wahrnehmung. Sie werden ja irre von dem Licht: INSEKTEN-<br />

ANSTALT. Da hat ein heller Falter es hinaus in die Nacht geschafft! So verhält es sich. Da, jetzt ist er wieder<br />

drin. Ach!!<br />

Ulrike Feibig<br />

*1984 in Magdeburg<br />

seit 2009 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig<br />

Veröffentlichte in Literaturzeitschriften und Anthologien<br />

13


14


Stefania Smolkina<br />

Medienkünstlerin, *1988 in Leningrad<br />

lebt und arbeitet in Leipzig<br />

www.schwarzwiese.net<br />

15


Kubikwahn in Kubanistan<br />

Vor langer, langer Zeit, als noch keine Hybridmotoren,<br />

Fratzenbücher und Lieferhelden existierten, begab es sich in<br />

der zwielichtigen Schankwirtschaft „Zur glühenden Lanze“,<br />

dass ich mit dem arbeitslosen, rotbärtigen Hüpfburgenverleiher<br />

Fidel C. ins Gespräch kam.<br />

Er verdingte sich derzeit als Tagelöhner, Flaschenpfandmann,<br />

Edel-Wegelagerer, sowie Freischärler. Prinzip Angebot, Nachfrage<br />

und Nötigung. An diesem Tage hatte er gerade eine Herde<br />

Staubsauger von Dodge City in mein Heimatörtchen Gardelfingen<br />

getrieben, und nach getaner Arbeit mächtig Durst.<br />

Er orderte zwei Freibeuter-Brausen für uns und wir plauderten<br />

so aus dem Nähkästchen. Seine Hobbys waren Reiten,<br />

Schwimmen und Wendy-Lesen. Wie sich zudem schnell feststellen<br />

ließ, hasste er die Römer und alles, was die Römer je für<br />

uns getan hatten. Der Typ wurde mir langsam sympathisch.<br />

die Doku ohne Hitler<br />

von<br />

Ezekiel van Blubberich<br />

Nach ein, zwei weiteren „Lanze-Einheiten“ fing er an, mir Geschichten<br />

von einem wundersamen und für ihn „schönsten<br />

Ort der Welt“ zu erzählen, wo er in der elterlichen Hütte hauste.<br />

Sein Kuba. Er berichtete mir von einer illustren Ansammlung<br />

bunter Trolle und Kobolde, die als unbeugsame Bastion<br />

gegen den Rest der Welt in einer dörflich anmutenden Kommune<br />

lebte. Dort durften noch dicke Feldstein-Fetischisten<br />

beim Druiden an der Feuerstelle kosten. Dort wurden noch<br />

reihenweise miese Musiker kopfüber an den Ast geknibbelt.<br />

Dort wurden die Römer seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen,<br />

da die Eingeborenen wussten, wie man sich aus Wildschweinen<br />

was Leckeres zu essen machte. Seine Ausführungen<br />

erinnerten ein wenig an diesen Franzacken-Comic. Der<br />

letzte nennenswerte Angriff auf Kuba ereignete sich, als im 18.<br />

Jahrhundert Fips Asmussen, in Begleitung vom alten Witz, die<br />

Stadtmauer zum Einsturz brachte, die Schweinebuchte durchquerte<br />

und im Kulturhaus aufkreuzte. Der Ur-Ur-Ur-Großonkel<br />

Fidels, dessen Kumpel kannte wohl jemand, der für 19<br />

Schekel an der Abendkasse diese Attacke zwar knapp überlebte,<br />

aber wegen seines fortan arbeitsverweigerndem Zwerchfells<br />

nie wieder eine Anstellung in der Stadt fand. Tragischer Held.<br />

Sonst sei es da aber kuhl und voll kräysi. Eins stand mal fest,<br />

das musste ich mir unbedingt mal ansehen! Fidel schlug mir<br />

vor, mich augenblicklich nach Kuba zu führen, sobald ich „die<br />

Prüfung“ bestanden hätte… Ich bestand die Prüfung! So kam<br />

es, dass wir uns kurz darauf in einer Schwip-Schwap-Laune<br />

und einem babypupifarbenem Coyota Trevira auf den langen<br />

und beschwerlichen Weg machten…<br />

Durch unwegsame Wälder, Felder, Täler, Auen und 70er Zonen,<br />

inmitten eines Kartoffelsalat-Anbaugebietes, erkannte<br />

ich nach den längsten elf Minuten meines Lebens eine qualmende<br />

Siedlung am Rande des Horizonts. Da war es also…<br />

dieses Kuba. Wir fuhren ein. Fidel zeigte mir, im Zuge einer<br />

brennstoffmordenden Rundfahrt, viele Sehenswürdigkeiten.<br />

Das Milde-Delta, die Grundschule, die Miliz, den Eisdieler,<br />

den ungestüm eingeparkten Trabbi bei den Friedens-Garagen<br />

16


Diese kleine Geschichte ist frei von Konservierungsstoffen,<br />

frei von Geschmacksverstärkern und frei erfunden.<br />

Ähnlichkeiten zu realen Personen oder Orten wären rein zufällig!<br />

in exponierter Lage, den Niedrig-Preis-Markt und den autorisierten<br />

Opel-Partner.<br />

Doch die energetische Mitte der Ansiedlung und zugleich beliebter<br />

Anlaufpunkt der Bevölkerung, war das Regierungsgebäude<br />

mit überdachtem Vorplatz, welches „ToTanka“ genannt<br />

wurde. Hier wurden die Drähte gezogen, hier wurde Politik<br />

gemacht, hier flossen Oktane und Honig, hier pulsierte das<br />

Leben und hier traf sich die ehrenwerte Gesellschaft. Vom<br />

Heizungsinstallateur über Mietnomade, bis hin zum Stammtischphilosophen.<br />

Eine attraktive Nebenannehmlichkeit dieser<br />

Einrichtung war, dass Mensch und Maschine mit allerlei<br />

lebenserhaltenden Gütern versorgt werden konnte. Von<br />

Chateau Latour bis Appelkorn. Von Schwein aus der Tube bis<br />

Benzol-Baguette. Von Zweitakt-Gold bis Raketentreibstoff mit<br />

Additiven. Alles da, wenn auch eine Frage der Klientel.<br />

Um die kulturelle Sightseeing-Tour noch zu vergolden, statteten<br />

wir der Institution natürlich einen Besuch ab. Beim Erreichen<br />

der gelobten Lokalität sah man bereits eine Ansammlung<br />

von einheimischen Kriegern, die sich gerade mittels<br />

des Reifendruckprüfers einen urogenitalen Scherz erlaubten.<br />

Wir gönnten uns eine kurze Rast, erwarben günstiges Normal-Benzin,<br />

weniger günstiges Pfeifenkraut und Getränke<br />

in Leichtmetalldosen. Am Auslass des Verkaufsschalters der<br />

Glückseligkeit wurde Fidel von seinesgleichen bemerkt und<br />

durch Zurufe animiert, doch bitte dringend der tagenden<br />

Gruppe beizutreten.<br />

So näherten wir uns. Die Eingeborenen begrüßten<br />

den Ihrigen standesgemäß nach uraltem Brauch und meine<br />

Abscheulichkeit eher zögerlich, bemusternd. Sie wirkten auch<br />

auf mich etwas befremdlich. Urige Hardcore-Berserker, die<br />

teilweise Kopfschmuck und seltsame Erzeugnisse vom Dorfschmied<br />

trugen, die ihr Antlitz zierten. In ihren beeindruckendsten<br />

Formen hatten sie ihre Skalps zu messerscharfen<br />

Waffen geformt und trugen darin Farben, die sogar dem Hobbynaturkundler<br />

sagen sollten: Wenn du mir zu nahe kommst,<br />

wird irgendetwas anders!<br />

Es gab aber auch viele gemäßigte Exemplare, die einem herkömmlichen<br />

Zweibeiner durchaus Ähnlichkeiten abzuringen<br />

vermochten. Ein jeder von ihnen trug einen plakativen, oder<br />

zumindest außergewöhnlichen Rufnamen. Der aufmerksame…<br />

ach Blödsinn, selbst der unaufmerksame Zuhörer bemerkte<br />

ziemlich schnell, dass in Kuba eine ziemlich deutliche<br />

Sprache gesprochen wurde: Altmärikanisch. Der genaue<br />

Wortlaut an Kollege Castor, zur Erfragung meiner Herkunft<br />

und Berechtigung lautete glaube ich: „Wat hast’n da für Eenen<br />

mit anjeschleppt?<br />

Kommt der vom Balkan, oda wat?! Hatta überhaupt die Prüfung<br />

bestanden?!“. Nachdem wir etwas Licht ins Dunkel bringen<br />

konnten, durfte ich die Runde schließlich akkreditiert<br />

bereichern.<br />

17


Nach anfänglichen Beschnuppereien und kurzen Korrespondenzen<br />

innerhalb des Rudels, konnte ich behaupten, dass es sich um<br />

viele interessante Charaktere handelte. Ein junger, aufknospender<br />

Hassprediger sprach mich an. Vielmehr fusselte er so vor sich hin<br />

und gab mir mehrere Formeln und Spruchweistümer mit auf den<br />

zukünftigen Weg. Einige Auszüge davon lauteten u.a.: „Sehet die<br />

Lilien auf dem Felde – sie arbeiten nicht, aber dafür bekommen sie<br />

auch kein Geld“ …oder: „Von nüscht kommt nüscht und viel hilft<br />

viel“ …auch toll war: „Unter den Einarmigen ist der Dreibeinige<br />

König“, …nebst: „Garley-Bräu bleibt unerreicht – eins getrunken,<br />

fünf geseicht“ …nicht zu vergessen: „Menschen sind irgendwie wie<br />

Tiere. Wenn man über sie drüberfährt, gehen sie tot“ …sowie als<br />

Bonus noch eine unrepräsentative Studie zur Auswirkung von Polizeipräsenz<br />

auf das Paarungsverhalten der Pflastersteine. Höchst<br />

aufschlussreich alles. Nachdem ich insgesamt freundlich von den<br />

Kubanesen aufgenommen wurde, beschloss ich kurzerhand ein<br />

wenig Lebenszeit in Kuba zu verbringen…Mama Castor hat sich<br />

bedankt!<br />

In einer sehr kurzen Zeit kam ich nicht umhin zu bemerken, dass<br />

die Kubasiaten, in all ihren schillernden, frechschnoddernden, facettenreichen<br />

Erscheinungsformen nebst liebenswürdigen Verkauzungen,<br />

eine ungewöhnlich starke Gemeinschaft und die Liebe zu<br />

einem Getränk namens „Cerveza“ verband. Davon tranken sie faktisch<br />

Tag und Nacht, aber stets immer nur soviel, wie auch wirklich<br />

da war. Gerne frönten sie dieser Leidenschaft in Rotten am Rande<br />

von Arenen und Spielfeldern. Dabei gewann man allerdings rasch<br />

den Eindruck, dass es bei den Festspielen nicht nur darum ging, die<br />

angereisten Kontrahenten im engeren, sportlichen Sinne als Verlierer<br />

vom Platze zu schicken. Nein, nein! Der ehrenhafte Sieg konnte<br />

nur errungen werden, indem man den Gegner zusätzlich vom<br />

Spielfeldrande aus, verbal bis zum Anschlag, auf absoluter Akustikstufe<br />

möglichst kreativ diffamierte. So wurden beispielsweise,<br />

bezüglich Herkunft und Erscheinungsbild der Spieler aus Shelbyville,<br />

gerne Parallelen zur Tierwelt angestellt. Verdächtigungen der<br />

familiären Unzucht und der Sodomie waren ebenfalls nicht selten<br />

und nebenbei bemerkt, oftmals nicht ganz unbegründet. Auch der<br />

Parteiische konnte ein Liedchen davon pfeifen. Da kamen ja Sachen<br />

von seiner Schwester ans Licht! „Pfui Deibel“ wie der Eingeborene<br />

zu sagen pflegte.<br />

Alljährlicher und nicht zu überbietender Höhepunkt der Kubaristi<br />

war allerdings ein bizarres Ritual um ihre Herrschaft zu behaupten,<br />

ihre Claims abzustecken und eine mächtige Trophäe als unantastbares<br />

Statussymbol für eine Herrschaftsperiode zu erobern. Der etwas<br />

abgelegene Austragungsort hierfür war eine Art Tempel für die<br />

Kubischen. Für den Außenstehenden sah das Bauwerk eher wie ein<br />

alter, zerschissener Lokschuppen aus. Und tatsächlich, hier hatten<br />

einst die kubahnhöfischen Götter auf der Verladerampe abgerockte<br />

Römer in Waggons gesteckt und sie auf Holzschienen planmäßig<br />

und nackig nach Walhalla geschickt. Nun wuchsen altehrwürdige<br />

Vergissmeinnicht im Gleisbett.<br />

Ziel dieses Aufeinandertreffens war, durch mannschaftssynchrones<br />

Vorweisen eines von drei unterschiedlich hierarchischen Handzeichen,<br />

die Gegner aus der Kutte zu kombinieren. Zeitgleich musste<br />

von allen Akteuren lautstark eine Beschwörungsformel ausgesprochen<br />

werden.<br />

Der ganze Vorgang wurde vom Tempelwart überwacht. Dieser vergab<br />

auch die Punkte und sprach Sanktionen aus, bei Nichteinhaltung<br />

diverser merkwürdiger Regeln.<br />

Da das ausgeklügelte, jahrtausendalte Spiel faktisch keinerlei<br />

Schummeleien zuließ, mussten sich die Glieder-Gladiatoren etwas<br />

Anderes einfallen lassen, um den Gegner nebenbei mürbe<br />

zu machen, oder zu verwirren und sich somit einen zusätzlichen<br />

Vorteil zu verschaffen. So betraten sie, untermalt von grausigen<br />

Einmarschhymnen, u.a. mit Kriegsbemalungen, unbeschreiblich<br />

pompös-einschüchternden Gewändern, selbstbewussten Stunt-<br />

Choreografien, in Begleitung der Organ-Mafia, bewaffnet mit kleinen<br />

Zettelchen in der Tasche, schlaue Fresse machend, oder gar<br />

mit Brüsten ausgestattet den Ring.<br />

Dieses Spektakel wurde stets von langanhaltendem,<br />

übermäßigem Cerveza-Konsum und nicht sachdienlichen Zwischenrufen<br />

der zahlreichen Schaulustigen begleitet. Wer als Letzter<br />

der Wetteifernden noch stand, und in der Lage war das Endspiel<br />

für seinen Clan herbeizufingern, wurde schlussendlich üppig pokalisiert,<br />

die ganze Nacht lobgepriesen und für zwölfeinhalb Monate<br />

zur Ikone erklärt. Am nächsten Tag musste die Kultstätte aber<br />

wieder pikobello aufgeräumt sein! Meistens wurden Gegenfeuer<br />

gelegt…<br />

Abschließend ist festzuhalten, dass Kubanien ein wahrhaft prima<br />

Örtchen war, das mich nachhaltig bereicherte. Mich führte es<br />

fortan immer wieder dorthin. Um mit den Kubanten Schnaps in<br />

Einfahrten zu saufen, ihren entgleisenden Festivitäten beizuwohnen,<br />

überteuerte Räucheraale nicht zu kaufen, oder regelmäßig auf<br />

kleinen, bunten Zweirädern durch die kubanische Prärie zu reiten.<br />

Manchmal aber auch nur, um mit meinem alten Kumpel Fidel Castor<br />

eine große Tasse lauwarme Cerveza zu schlürfen. Und wenn sie<br />

nicht gestorben sind, dann schlürfen sie auch heute!<br />

Etzekiel van Blubberich<br />

freilaufender Autor, Altenmedingen<br />

Diese heilige Stätte war für die Einheimischen ein Ort des glamourösen<br />

Triumphes, der unsäglichen Schande, und rauschender<br />

Feste zugleich. Hier wurde ein Wettbewerb ausgetragen, bei dem<br />

mindestens zwei Vertreter einer Kaste*, auf die einer anderen trafen<br />

(*nur echt mit martialisch-prägnantem Vereinsnamen!). Diese<br />

standen sich in einer winzig kleinen Arena inmitten der okkulten<br />

Stätte gegenüber.<br />

18


Die Nacht (Friedrich Hölderlin)<br />

Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,<br />

Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.<br />

Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,<br />

Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt<br />

Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,<br />

Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.<br />

Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, dass<br />

Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann<br />

Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen,<br />

Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.<br />

Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,<br />

Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.<br />

Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,<br />

Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond<br />

Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,<br />

Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,<br />

Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen.<br />

Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.<br />

Die Nacht (Jonas Bolle)<br />

Rings um hört man die Stadt; laut wird die erleuchtete Straße,<br />

und, mit Reklame bedeckt, rauschen die Busse hinweg.<br />

Platt gehn heim von Strapazen des Tags geplagt die Menschen<br />

Und Gewinn und Verlust wägt ein schwer gewordner Kopf,<br />

Angsterfüllt zu Haus; dunkel stehn die Gebäude<br />

Überstunden erhelln vereinzelte Fenster noch.<br />

Aber Musik wummert dumpf tief aus den Clubs, vielleicht, dass,<br />

dort sich jemand verliert oder ein einsamer Mensch,<br />

ferner Träume gedenkt, oder der Jugend; und die Bahnen?<br />

ohrenbetäubend laut rauschen sie durch die Schächte..<br />

Grell in drückender Luft, erklingen panisch Sirenen,<br />

und zum Unmut aller grölt ein Besoffner sein Lied.<br />

Jetzt fällt plötzlich Regen zerstreut die Menschen in Hektik,<br />

Kein Mond ist zu sehn hier, der zieht seine Bahn an uns,<br />

unbeachtet vorbei; Die Berauschende, die Nacht kommt,<br />

hinter dem Dunst der Stadt leuchten irgendwo Sterne,<br />

tief dunkel schwarz kriecht sie, Verführerin unter den Menschen,<br />

Durch die Viertel trostlos, verhängnisvoll für jeden .<br />

Jonas Bolle<br />

Sprechen, Schreiben und Sound.<br />

1990 in Filderstadt geboren, lebt und arbeitet in Stuttgart<br />

www.jonasbolle.de<br />

19<br />

19


Im Leben eines Seiltänzers<br />

gibt es nur zwei Richtungen:<br />

vorwärts, rückwärts<br />

und nach unten.<br />

Sebastian Krüger<br />

Beichte<br />

gestern habe ich<br />

meinen Finger<br />

verraten<br />

er zeigte<br />

auf mich<br />

heute<br />

leugne<br />

ich meine Haut<br />

zum Schutz<br />

und<br />

verdecke sie<br />

morgen<br />

erkenne<br />

ich nicht<br />

mehr<br />

meiner Augen<br />

Licht<br />

im Dunkel<br />

verloren<br />

Corinna Köbele<br />

Beate Körner<br />

20


KUNSTVOLL<br />

ÜBERALL<br />

NEUE<br />

STADT<br />

TOLLKÜHNE<br />

LIEBEVOLLE<br />

ERLEBNISSE<br />

REIFEN<br />

STRAHLT<br />

TATSÄCHLICH<br />

ALTMARKWEIT<br />

DURCHAUS<br />

TURBULENT<br />

KULTURELL<br />

ALLES<br />

LACHEND<br />

BUNT<br />

ERFAHREN<br />

Künstlerstadt Kalbe?<br />

Ein Umbauprogramm, eine neue Wirtschaftsidee, ein Entwicklungsprozess,<br />

ein Baden im kreativen Pool, erfrischend,<br />

stärkend, ungewöhnlich. Jeder kann mitmachen, egal ob kunstund<br />

kulturinteressiert oder nicht. Es geht um mehr - wir sind<br />

Raumpioniere, beackern das Terrain, säen neue Ideen, pflegen<br />

sie und ernten. Ein neues Stadtbild, mehr los auf den Straßen, in<br />

den Köpfen, im Terminkalender. Saatgut: Kunst und Kultur.<br />

Erntezeit: sofort, manchmal mit langandauernder Wirkung, keimt<br />

wieder auf, macht Lust auf mehr. Neugierig geworden?<br />

Dann:<br />

kuenstlerstadt-kalbe.de<br />

Corinna Köbele<br />

Initiatorin der Künstlerstadt<br />

26.07.-13.09.<br />

2. Sommercampus der Künstlerstadt<br />

2. Sommercampus der Künstlerstadt Kalbe. Hierzu werden<br />

nationale und internationale Kunststudenten im<br />

Rahmen eines Stipendiums in die Künstlerstadt Kalbe<br />

eingeladen, um hier zu leben und zu arbeiten. Jeden<br />

Samstag 16.00 Uhr gibt es Atelierrundgänge, in denen<br />

es möglich ist, die Arbeiten der Stipendiaten kennenzulernen<br />

und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Näheres<br />

hierzu bitte der Presse oder unserer homepage<br />

entnehmen.<br />

12.09.2014<br />

Abschlussfest der Sommercampus-Stipendiaten.<br />

Wir nehmen Abschied und lassen die bunten Wochen<br />

voller Leben noch einmal Revue passieren. 18.00 Uhr,<br />

ehemaliger ev. Kindergarten im Rosenwinkel, Gerichtsstr.<br />

48 in Kalbe. Herzliche Einladung an alle, die mit<br />

uns feiern wollen. Beitrag zum Buffet wird gewünscht,<br />

Getränke werden angeboten.<br />

07.-09.11.2014<br />

Schreibwerkstatt für Jugendliche<br />

Schreibwerkstatt für Jugendliche (14-19 Jahre). Wer<br />

gerne schreibt ist hier willkommen. Schreibspiele, Anleitungen<br />

zum Entwickeln des eigenen Stils oder einfach<br />

neue Schreiberfahrungen werden von einem erfahrenen<br />

Schreiblehrer und Autor vermittelt. Teilnehmerzahl: 12,<br />

Teilnahmebeitrag: frei. Die Durchführung der Schreibwerkstatt<br />

wurde durch eine finanzielle Unterstützung des<br />

Regionalvereins Altmark e.V. möglich. Es wird um eine<br />

Spende von 35,-€ gebeten.<br />

21


Schon nach kurzem Durchblättern dieser Zeitschrift könnte es<br />

durchaus sein, dass Sie keinen tieferen Sinn in den Beiträgen<br />

zwischen Titelblatt und letzter Seite erkennen konnten.<br />

Dann werden Sie natürlich bald darauf eine alternative Nutzung<br />

dieses Papierbündels in Erwägung ziehen, um die Anschaffung<br />

nicht gänzlich umsonst getätigt zu haben. Eventuell<br />

werden Sie gerade in diesem Moment des Grübelns von einigen<br />

fliegenden Plagegeistern umkreist, die sich scheinbar<br />

einen Spaß daraus machen Sie zu nerven und sich auch durch<br />

ihr hektisches Wedeln mit der freien Hand (in der andern halten<br />

sie ja das Heft) nicht vertreiben lassen.<br />

Dann könnten Sie, durch den unterschwellig impliziten Titel<br />

dieses fragwürdigen Machwerks, welches sie in Händen halten,<br />

kurzerhand auf die Idee kommen, das ganze Bündel Papier<br />

der Länge nach einmal zu falten um etwas Stabilität zu<br />

erzeugen und um die Handhabung zu optimieren. Und schon<br />

hätten Sie ein überzeugendes Argument gegen den Sie umsummenden<br />

Pöbel. Nun könnten sie endlich mit aller Härte<br />

und Schlagkraft gegen dieses Pack vorgehen.<br />

Schon nach kurzer Zeit - es kommt natürlich auf die zahlenmäßige<br />

Überlegenheit des Feindes und ihre Geschicklichkeit<br />

an - hätten Sie das Gefecht für sich entschieden und endlich<br />

wieder ihre verdiente Ruhe. Soweit so gut.<br />

Die Schlacht ist gewonnen.<br />

Das höchstselbst konstruierte Instrument erwies sich als wesentlich<br />

wirksamer, als ungelenkes Umherfuchteln mit den<br />

Armen. Doch nach genauerer Betrachtung des Schlachtfeldes<br />

werden Sie feststellen, daß ihre Widersacher bei ihrem plötzlichen<br />

Ableben, äußerst unschöne Flecken auf Tapeten, Möbeln<br />

und vielleicht auch auf ihrem Gegenüber verursacht haben.<br />

Der kurzzeitig so befriedigende Racheakt hat also durchaus<br />

Nebenwirkungen, welche sich nur sehr aufwendig bis gar nicht<br />

beseitigen lassen. Selbst nach dem Tod machen die Biester<br />

noch Ärger. Und wenn es so ist, wie es immer ist, werden sich<br />

schon kurz darauf die nächsten, surrenden Viecher zu einer<br />

erneuten Nervoffensive einfinden.<br />

DIE FLIEGE<br />

DEIN FREUND<br />

UND BEGLEITER<br />

Auch wenn es uns eher lästig ist, Fliegen waren uns<br />

schon immer nah. Und wir haben uns zumindest damit<br />

abgefunden, dass sie uns ständig umgeben. Warum<br />

sonst hätten wir eine Art „Stubenfliege“ genannt.<br />

In geschichtlichen Aufzeichnungen taucht die Fliege<br />

schon sehr früh auf. Schon die alten Ägypter ca. 3500<br />

v. Chr. verliehen z. B. Orden in Gestalt einer goldenen<br />

Fliege für besondere Tapferkeit. Und obwohl die kleinen<br />

Madenscheißer den Prozess des Einbalsamierens und<br />

Mumifizierens sicher oftmals empfindlich störten, galten<br />

Fliegen damals als Glückszeichen.<br />

In einer Darstellung aus dem Jahr 1661 von Johann<br />

Sperling kommt die Fliege dagegen nicht ganz so gut<br />

weg, aber sie verrät viel über die Zustände seiner Zeit:<br />

„Praeceptum: Die Fliege ist ein ekelhaftes, lästiges, kühnes<br />

beschwerliches und unruhiges Insekt.<br />

Quaestiones: 1. Wie ernähren sie sich? Die Fliegen kosten<br />

fast alles und belecken alles, besonders gierig sind sie<br />

aber nach Blut. Sie sind Genossin unserer Gastmähler<br />

und Schlafgemächer. Überall finden sie einen gedeckten<br />

Tisch, in den Hütten der Armen, wie in den Palästen der<br />

Fürsten. Sie würzen alle Speisen, bevor wir sie kosten...<br />

Die Fliege ist ein unsauberes Tier, das mit seinem Kot<br />

Tische, Bilder, Kleider, Bücher u.a. besudelt. Und nicht<br />

selten entstehen aus diesem Kot, besonders der großen<br />

Fliegen, Würmer, die besonders Fleisch befallen.“<br />

Letztendlich sind uns die Fliegen bis heute suspekt. Sie<br />

sind rastlos und ihr Hinundhergefliege, macht für uns<br />

keinen Sinn. Es scheint so, als würden sie ständig vergessen,<br />

wo sie eigentlich hin wollten. Dann landen sie<br />

kurz, kratzen sich am Kopf und weiter gehts. Bis dann<br />

irgendwann ein Spinnennetz oder ein Klebeband im<br />

Weg hängt und sie erlöst.<br />

Aber vielleicht ist es aus der Perspektive der Fliegen alles<br />

ganz anders. Sie beobachten uns, kratzen sich am Kopf<br />

und fragen sich: Was machen die da eigentlich?<br />

Marko Kühnel<br />

22


Da können alle Fenster und Türen noch so geschlossen sein.<br />

Das ist ein, noch nicht vollständig ergründetes Phänomen. Die<br />

eh schon gespaltene Freude über wiedererlangte Ruhe wird<br />

also sicher nicht von langer Dauer sein. Deshalb sollten Sie es<br />

sich vielleicht doch nochmal anders überlegen, die nervigen<br />

Fliegen einfach Fliegen sein lassen und sich zur Ablenkung<br />

dieses dubiose Druckerzeugnis erneut zu Gemüte führen.<br />

Es wird Sie vielleicht nicht schlauer machen, aber es erspart<br />

letzten Endes eine Menge Reinigungsaufwand und gegebenenfalls<br />

auch Beziehungsstress: Wer steht schon drauf, wenn<br />

einem - auch wenn‘s echt nur im Eifer des Gefechts passierte<br />

- mit einer <strong>Fliegenklatsche</strong> ein glibbriges Insekt auf die Stirn<br />

getackert wird?! Und dann gibt es da noch einen weiteren Aspekt,<br />

den es zu bedenken gilt:<br />

Sie und ein paar Auserwählte sind nun im Besitz einer <strong>Fliegenklatsche</strong>.<br />

Und damit in der Lage, die Population der gemeinen<br />

Stubenfliege wesentlich effizienter als zuvor zu dezimieren.<br />

Wenn es aus der Sicht des Verlegers gut läuft, befinden sich<br />

circa eintausend dieser Produkte im Umlauf. Jeder einzelne,<br />

der nun plötzlich eine solche Waffe sein Eigen nennt, kann damit<br />

mehr Fliegen klatschen, als es ihm vorher je möglich war.<br />

Was, wenn diese Zeitschrift in zu viele falsche Hände gelangt?<br />

Sensible Zusammenhänge könnten aus dem Gleichgewicht<br />

gelangen. Solche komplexen Zusammenhänge kann ein einzelnes<br />

Individuum gar nicht überblicken.<br />

Nur mal angenommen, die Fliegenpopulation geht plötzlich<br />

drastisch zurück. Als Folge wäre die Nahrungsquelle der ansässigen<br />

Frösche versiegt und damit auch die natürliche Existenzgrundlage<br />

der Störche. Und wer sich dann noch einen<br />

solchen braten will... aber das führt jetzt doch zu weit.<br />

Wichtig bleibt letztendlich die Weitsicht in der Anwendung.<br />

Also töte keine Fliege aus Spaß, Profitgier, Geltungssucht oder<br />

anderen, niedrigen Beweggründen!<br />

Nur als äußerstes Mittel - in Notwehr - kann und darf die Fliege<br />

geklatscht werden!<br />

In einer Zeitschrift, die sich <strong>Fliegenklatsche</strong> nennt, sollen diese<br />

kleinen quirligen Zweiflügler natürlich auch mal persönlich<br />

Erwähnung finden: Die Fliege - nein sie wird es wohl niemals<br />

schaffen, als Freund des Menschen bezeichnet zu werden, wie<br />

zum Beispiel der Hund. „Die deutsche Stubenfliege - des Mannes<br />

treuester Gefährte?“ - nein, diese Vorstellung ist zu absurd. Kein<br />

Wunder, sie lässt sich nur ungern streicheln, will nicht Pfötchen<br />

geben und apportiert selbst nach intensivem Training miserabel.<br />

Aber Begleiter des Menschen ist die Fliege ohne Frage schon viel länger als Waldi.<br />

Weltweit sind ca. 4000 Arten bekannt. Man trifft also überall auf sie...<br />

ungefährlich und lustig ungefährlich aber lästig lästig bis gefählich gefählich und hässlich<br />

23


GHOSTS / RED<br />

Lena Teresa Flohrschütz<br />

Studium an der Akademie der Bildenden Künste München<br />

Freie Kunst / Neue Medien<br />

Aktuell: Stipendium an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe<br />

www.LenaTeresaFlohrschuetz.com<br />

24


25


Wellensittiche und Spatzen<br />

Irgendwann dachte ich mal darüber nach,<br />

einen Text zu schreiben. Ich hörte damals<br />

ein Lied von Gerhard Schöne, es ging um<br />

einen Wellensittich und eine Schar Spatzen.<br />

Mich hat das Lied damals sehr beeindruckt.<br />

Sofort solidarisierten wir uns mit<br />

dem Wellensittich in diesem Text und wussten<br />

alle, wer mit der Schar grauer Spatzen<br />

gemeint war. Mit dem Text wurde es dann<br />

damals nicht wirklich was, oder vielmehr<br />

haben mich Worte, die mir dazu eingefallen<br />

sind, ganz schön in Schwierigkeiten<br />

gebracht. Damals war alles um uns herum<br />

grau und einige Wenige haben sich getraut,<br />

bunt und etwas anders zu sein. Vielen<br />

wurde von dem Getschilpe und Gepiepe<br />

der Grauen ganz schön schwindelig und<br />

die haben sich dann auch so ein Mäntelchen<br />

übergezogen. Aber einige haben sich<br />

trotzdem nicht entmutigen lassen und mit<br />

ihrem Anderssein Hoffnung verbreitet, und<br />

irgendwie war es ja auch ganz lustig. Heute<br />

ist alles bunt und schrill! Die ganze Welt<br />

scheint zu brüllen und der Akzent, den ein<br />

Wellensittich in dieser Welt setzen könnte,<br />

ist nur noch ein belangloses Rauschen.<br />

Keiner würde es mehr wahrnehmen. Fast<br />

jeder ist heute so eine Art Kanarienvogel<br />

und es kommt mir so vor, dass ein kleiner<br />

unscheinbarer Spatz keinen Platz mehr in<br />

dieser entfesselten und vollkommen überforderten<br />

Gesellschaft hat. Ist das wirklich<br />

so? Ich hoffe nicht. Wir müssen eine neue<br />

Sensibilität entwickeln, die uns befähigt,<br />

trotz dieser ganzen Überbordenheit das<br />

Einzigartige in jedem von uns zu erkennen.<br />

Diese kleinen Details, vielleicht auch das<br />

Unvollkommene, ist das Besondere und<br />

das Glück unseres Daseins.<br />

Jens Eichenberg<br />

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„Simons Trophäe“, 150 x 150 cm, Öl und Acryl auf Leinwand, aus dem Jahr 2011<br />

Anna Nero<br />

*1988 in Moskau, aufgewachsen in Frankfurt am Main,<br />

lebt und arbeitet in Leipzig<br />

annanero.de<br />

27


I<br />

Die Feuerkäfer an der Baumwurzel halten Konferenz –<br />

ein roter Teppich, der bewegt sich nur, wenn man mit<br />

einem Ast hineinstößt. Du suchst nach den Käfern, die<br />

zusammenhängen – Händchenhalten wie an der Ampelkreuzung<br />

– und teilst sie mit der Plastikschippe. Als die<br />

Flut aus der Gieskanne kommt, versinken Schwimmer<br />

und Nichtschwimmer im Straßenablauf. Nur einige wenige<br />

retten sich in den Kopfsteinpflasterritzen.<br />

IV a<br />

Das Bad ist angesetzt und das Shampoo steht bereit.<br />

Während die Mutter noch die Temperatur abschätzt,<br />

springst du schon vom Ein-Meter-Turm. Schaumburgen<br />

errichten und mit dem Wassertorpedo zerstören. Dieser<br />

Delphin schwimmt seine Runden am langen Arm des<br />

Vaters und wird danach Springbrunnenfigur und Schaufelraddampfer.<br />

Das Aussteigen: ein Temperatureinbruch!<br />

Wehrlos ergibst du dich dem Schüttelfrost und sehnst dich<br />

in den warmen Leib zurück. Die Mutter rubbelt und<br />

besänftigt: Schnell abtrocknen, dann wird es besser! Das<br />

rettende Handtuch um den Oberkörper: die wohlige Toga.<br />

XLI<br />

Als Burgherr schreitest du die Schwebebalken entlang<br />

und observierst dein Reich mit Adleraugen. Die beste<br />

Wappnung gegen die Futterneider: Sand auf der Rutsche<br />

und Astfallen im Burggraben – Ein- und Aufgänge gibt es<br />

schließlich an allen Seiten. Der größte Ansturm folgt zur<br />

Vormittagszeit: das Kletterseil ist schon gefunden und die<br />

Rampe nicht rutschig genug. Nach dem verzweifelten<br />

Versuch zu blenden – per Sandschleuder – bleibt dir nur<br />

noch die Flucht über die Feuerwehrstange. Die Verletzten<br />

sammeln und die Toten bergen! rufst du zu dir selbst. Die<br />

Rückeroberung der Feste: nur eine Frage der Zeit.<br />

LIV<br />

Zoo statt Schulbank: der legitime Ersatz für den Heimatkundeunterricht.Gleich<br />

am Eingang imitierst du die Flamingos<br />

und setzt deine Reise im Stelzgang fort. Die Lehrerin<br />

navigiert die Safari und weist die Kundschafter zu:<br />

Zuerst die Wassertiere, dann die Landtiere. Im beleuchteten<br />

Becken greifst du nach den Karpfen wie nach einem<br />

Stück Seife und im Urwaldgehege hilfst du beim Brilleputzen.<br />

Kurze Pause am Kongobecken, dann weiter! Nur<br />

mit Bedacht wird hier am Pausenbrot gegessen, denn im<br />

Dickicht lauern die diebischen Affen.<br />

Aus: Momentaufnahmen<br />

Robert Reimer<br />

Student der Literatur und Philosophie<br />

28


Oh Girl<br />

I am cleopatra<br />

I am mona lisa<br />

I am the lion king<br />

I am the vain girl with the jewelry<br />

I am the misanthrope<br />

I‘m the girl, no girl likes<br />

I am the vegan, they all dislike.<br />

I am the poet, that might really have something to say...<br />

I am the girl with mustard on her shirt, sand on her feet,<br />

crying herself to sleep.<br />

I‘m an astronaut<br />

I‘m an astronaut<br />

I am an astronot.<br />

Molds of darkness<br />

outlines of shadows.<br />

Corpses are moving<br />

down memory lane.<br />

Death lies<br />

right under our skin.<br />

Unfortunate believers<br />

no one‘s let them know<br />

there is no meaning,<br />

no fate,<br />

no destined way<br />

to go.<br />

Can you hear the cars outside?<br />

They say „trouble, trouble, trouble“<br />

rolling by.<br />

My heart beats „damn, damn, damn“<br />

The rain drops „what? what? WHAT?“<br />

The fridge says „grow, grow, grow“<br />

The fan says „fight! fight! fight!“<br />

The TV says „before turning the gun on herself“<br />

My cat purrs<br />

I breathe<br />

I am an astronaut.<br />

ARTWORK AND LYRICS:<br />

LENA TERESA FLOHRSCHÜTZ<br />

29<br />

29


Cheri Cheri Lady….<br />

Von links fragt mich ein schlecht rasierter Ladyboy<br />

säuselnd, ob ich seine Dienste in Anspruch nehmen<br />

möchte. Von rechts plärrt mir Jon Bon Jovi in<br />

Konzertlautstärke ins Ohr, dass meine Liebe wie schlechte<br />

Medizin ist, und dass er diese genau jetzt dringend<br />

braucht. Nur von vorn gibts Erbarmen. Verständnisvoll<br />

lächelnd stellt der Barkeeper mir ungefragt den zweiten<br />

Rum-Cola vor die Nase. Schön, wieder in Asien zu sein...<br />

Da ich es wie so häufig nicht bei diesen zwei Longdrinks<br />

bewenden lassen konnte, gucke ich am nächsten Morgen<br />

einigermassen dumm aus der Wäsche, als 5 Uhr früh<br />

der Wecker klingelt. Auch in diesem Teil der Welt ist das<br />

eine mehr als unchristliche Zeit zum Aufstehen. Was<br />

nützt das alles, ich quäle mich hoch, da in knapp einer<br />

Stunde mein Minibus-Taxi nach Brunei abfährt. Darüber<br />

müsste ich eigentlich froh sein, da ich direkt vor der Tür<br />

meines kleinen Hostels abgeholt werde, und nicht zum<br />

Busbahnhof humpeln muss. Wegen einer ziemlich üblen<br />

Fußverletzung wäre das nämlich momentan wirklich kein<br />

Vergnügen. So stehe ich pünktlich um 6 Uhr mit Sack<br />

und Pack an der Straße vor dem Minda Guesthouse und<br />

warte auf das Transportmittel meiner Wahl, das mich<br />

gemeinsam mit 7 Einheimischen und einer deutschen<br />

Touristin nach Brunei befördern wird. Wobei ich die<br />

Existenz der letztgenannten Person am liebsten längst<br />

vergessen hätte. Entsprach sie doch dem Klischee des<br />

ewig nörgelnden und schlecht gelaunten Deutschen bis<br />

ins allerletzte Detail. Ja ja, das Leben ist hart. Besonders<br />

dann, wenn man sich auf Reisen in tropischen Gefilden<br />

in einer der vielleicht schönsten Gegenden der Welt<br />

befindet. Zu laut, zu heiß, zu dreckig, zu teuer, zu<br />

chaotisch, zu zu zu zu zu... zu wenig deutsch vielleicht?<br />

Verzeiht, Eure Hoheit, warum seid ihr denn nicht<br />

einfach zuhaus geblieben, statt Euch selbst und Euren<br />

Mitreisenden das Leben schwer zu machen?<br />

Gegen halb sieben, also nach Borneo-Standards<br />

gemessen ziemlich pünktlich, biegt ein kleiner Mini-Van<br />

ums Eck, um uns einzusammeln. Leider kann ich mich<br />

nicht mehr an den Namen unseres Busfahrers erinnern,<br />

aber der soll hier eigentlich auch nur eine Nebenrolle<br />

spielen. Was dagegen wichtig für diese Geschichte wird,<br />

ist sein Musikgeschmack. Oder – je nach Sichtweise -<br />

das Nichtvorhandensein desselben. Eigentlich ist der<br />

Mann ein recht symphatischer Kerl, dessen Fahrkünste für<br />

asiatische Verhältnisse überraschend gut, sprich, wenig<br />

riskant sind. Nachdem er die beiden Bleichgesichter in<br />

seinem Gefährt begutachtet und herausgefunden hat,<br />

dass jene aus Deutschland stammen, grinst er vielsagend<br />

(oder, wie ich im Nachhinein fand, diabolisch) und fängt<br />

an, in seinem Handschuhfach zu kramen. Er fördert nach<br />

längerer Suche eine unbeschriftete CD zu Tage, und als<br />

diese ihr erstes Lied preisgibt, fange ich unwillkürlich an,<br />

mich vor Grauen zu schütteln. Und nehme mir außerdem<br />

fest vor, zukünftig unter falschem Namen zu reisen und<br />

niemandem mehr meine Nationalität zu verraten.<br />

30


Hat schon jemand erraten, was da Schlimmes aus den<br />

Boxen quoll? Nein? Dann löse ich auf. Es ist – wie nicht<br />

zum ersten Mal auf einer Asienreise – mal wieder Modern<br />

Talking! Der deutsche Exportschlager schlechthin. Auch,<br />

wenn er mittlerweile mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel<br />

hat. Meine Meinung zu dieser Krawall-Combo habe ich<br />

mich noch nirgends im ganzen großen Asien getraut,<br />

kundzutun. Zu fanatisch scheinen mir deren Fans<br />

in diesem Teil der Welt zu sein, als dass ich mit einer<br />

unbedachten Bemerkung mein Leben aufs Spiel setzen<br />

würde. Nun möchte ich unserem netten Fahrer keinerlei<br />

Bösartigkeit unterstellen, wahrscheinlich dachte er sogar,<br />

er tut uns damit einen Gefallen. Eine gute Stunde bzw.<br />

gefühlte Lichtjahre lassen wir das Gedudel über uns<br />

ergehen. Dann ist die CD zu Ende und ich kann förmlich<br />

ein erleichtertes Stöhnen wie von 1000 gequälten Seelen<br />

vernehmen. Vielleicht war ich das aber auch selber. Die<br />

nächste CompactDisc wird hervorgezaubert, und ich<br />

mache mich gedanklich bereits auf die Scorpions oder<br />

noch Schlimmeres gefaßt (geht das eigentlich?). Aber<br />

nein! Der gute Mann hat eine weitere Modern Talking<br />

CD in seinem Repertoire! Und ich wusste bis zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht einmal, dass Herr Bohlen und Frau Anders<br />

sich gemeinsam genug akustische Folterinstrumente für<br />

einen EINZIGEN Longplayer ausgedacht hatten.<br />

Ich bin kurz versucht unseren Chauffeur zu fragen, ob er<br />

jemals für die amerikanische Regierung in der Nähe einer<br />

kleinen Bucht auf Kuba tätig gewesen ist. Um des lieben<br />

Friedens willen lasse ich es bei diesem Gedankenspiel,<br />

stimme mich selbst milde und frage ihn mit geheucheltem<br />

Interesse, ob er nicht mal was Einheimisches spielen<br />

kann. Diesem Wunsch kommt er so erstaunlich schnell<br />

nach, dass ich wohl sofort hätte misstrauisch werden<br />

sollen. Denn nur wenig später beschallt uns so etwas<br />

wie die asiatische Version von Modern Talking (klingt<br />

jedenfalls so in meinen geschundenen Ohren) in<br />

nochmals deutlich erhöhter Lautstärke. Naja, alles ist<br />

besser als das Original, denke ich noch, bevor die halbe<br />

Besatzung des Fahrzeugs anfängt, lautstark und in den<br />

schiefsten Tönen mitzusingen.<br />

Vor meinem geistigen Auge ziehen unbeschreiblich<br />

grausame Bilder vorüber, von Selbstkasteiung mit der<br />

Neunschwänzigen und mit dornenbesetzten Ruten, als<br />

Strafe für mein vorlautes Mundwerk. Dafür, dass ich<br />

einmal mehr das Schicksal herausgefordert und verloren<br />

habe. Und vor allem dafür, dass ich meinen Mp3-Player<br />

in der hintersten Ecke meines großen Rucksacks verstaut<br />

habe, welcher sich in diesem Moment auf dem Dach<br />

unserer mobilen Diskothek befindet. Den Rest der Fahrt<br />

verbringe ich mit dem Kopf zwischen den Knien, Stephan<br />

Remmlers „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei...“<br />

wie ein Mantra vor mich hin summend und mich im<br />

Takt dazu rhythmisch vor und zurück schaukelnd. Die<br />

verständnislosen Blicke meiner Mitreisenden sind mir in<br />

dem Moment mehr als nur scheißegal, denn am Ende<br />

zählt nur eines: ich habe es überlebt!<br />

Herr Doktor Pirat<br />

wurde im Tierkreiszeichen Faultier geboren, arbeitet daher möglichst<br />

wenig, reist aber wann immer es geht durch die Weltgeschichte und<br />

berichtet darüber unregelmäßig, aber desöfteren, auf seinem Blog<br />

piratentagebuch.tumblr.com<br />

IMPRESSUM<br />

Kalbenser <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

Herausgeber:<br />

Marko Kühnel<br />

Gardelegener Straße 28<br />

39624 Kalbe Milde<br />

Mail: fliegenklatsche-kalbe@online.de<br />

<strong>Fliegenklatsche</strong>-Magazin.de (im Aufbau)<br />

Tel: 039080 40946<br />

Ausgabe 01/14 mit Beiträgen von:<br />

Beate Körner, Lena Teresa Flohrschütz, Stefania Smolkina, Jonas Bolle,<br />

Ulrike Feibig, Corinna Köbele, Jens Eichenberg, Anna Nero, Robert Reimer<br />

Etzekiel van Blubberich, Michael Körner, Herr Doktor Pirat, Marko Kühnel<br />

und Sebastian Krüger.<br />

Vielen Dank allen Beteiligten, für wunderbare Beiträge, Ideen<br />

und Ratschläge.<br />

Hat sie in diesem Heft etwas besonders gefreut oder geärgert. Oder sie<br />

möchten auch gern einen, wie auch immer gearteten Beitrag in der <strong>Fliegenklatsche</strong><br />

veröffentlichen - dann schreiben sie bitte einen Brief oder<br />

eine Mail an die oben genannte Adresse.<br />

Ich freue mich auf Post von Ihnen!<br />

Marko Kühnel<br />

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