Dokumentation über den
Neujahrsempfang
2017
des Erzbischofs von Bamberg
Ludwig Schick
28. Januar 2017
in Coburg
2 Neujahrsempfang 2017
Neujahrsempfang 2017 3
Programm
BEGRÜSSUNG
Erzbischof Ludwig Schick
05
GRUSSWORT
Oberbürgermeister Norbert Tessmer
FESTVORTRAG
„Gedanken und Wünsche eines Katholiken im
Reformations-Gedenkjahr 2017“
Walter Kardinal Kasper, emeritierter
Kurienkardinal und ehemaliger Präsident des
Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der
Christen
WORT DES DANKES
Erzbischof Ludwig Schick
PREDIGT
Kardinal Kasper im Dom zu Bamberg:
„Die Liebe Christi drängt uns: Lasst euch mit
Gott versöhnen“
15
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MUSIK
Posaunenquintett Slide-O-Mania
und der Posaunenchor der Morizkirche
BEGRÜSSUNG
ERZBISCHOF LUDWIG SCHICK
Eminenz, sehr verehrter Herr Kardinal Walter Kasper,
verehrter Herr Minister Joachim Herrmann,
liebe Frau Ministerin Melanie Huml,
lieber Herr Staatssekretär Thomas Silberhorn und alle
Abgeordneten des Bundestages und des Bayerischen Landtags.
Es freut mich, dass der Metropolit der russisch-orthodoxen Kirche,
Erzbischof Serafin, unter uns ist. Mit ihm grüße ich alle orthodoxen
Christen und alle Mitglieder der ACK-Kirchen.
Sehr verehrte Regionalbischöfin Dorothea Greiner, mit allen evangelischen
Schwestern und Brüdern,
liebe Anwesende aus dem Judentum, dem Islam und anderen Religionen,
liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonischen
Dienst, verehrte Ordenschristen,
Frau Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz,
liebe Landräte, Oberbürgermeister, Bürgermeister,
verehrte Mitglieder des Diözesansteuerausschusses und des Diözesanrates,
hochgeschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, der Polizei,
der kommunalen Verwaltungen sowie der Verwaltung der Landratsämter
und des Bezirks,
Vertreterinnen und Vertreter der Universitäten, der Schulen, der Kultur,
der Caritas und Diakonie, der Krankenhäuser und aller sozialen
Einrichtungen, verehrte Damen und Herren!
6 Erzbischof Ludwig Schick
Erzbischof Ludwig Schick 7
Ich wünsche Ihnen allen ein glückseliges neues Jahr 2017. In dem
schönen fränkischen Doppeladjektiv „glückselig“ klingt ein Zweifaches
an: Erstens Glück! Wir brauchen für unser Leben gute irdische,
horizontale Konstellationen: Gesundheit, Arbeit und Verdienst,
gute und wohlwollende Mitmenschen in Familie und Freundeskreis,
funktionierende Sozialsysteme, Frieden untereinander und auf der
ganzen Welt sowie eine intakte Schöpfung, die unser gemeinsames
Haus ist, wie es Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“
ausgedrückt hat. Ich wünsche Ihnen und uns allen dieses Glück –
persönlich, familiär, beruflich, sozial, national und international.
Zweitens selig! Bei selig kann man Segen heraushören, der von
oben, von Gott, für unser Leben kommt. Beides zusammen, das
horizontale Glück und der vertikale Segen, können ein gutes neues
Jahr wirken.
Sowohl um Glück als auch um Segen müssen wir uns aber auch
selbst mühen. Wir sollen unser Leben so gut gestalten und einrichten,
wie es uns möglich ist, damit wir gesund bleiben. Wir
sollen die mitmenschlichen Beziehungen
pflegen und uns um
Frieden
mühen, damit wir glücklich sind. Glück fällt uns nicht in den Schoß,
sondern Glück ist etwas, das wir auch erwerben müssen durch Achtsamkeit,
Mitarbeit, Solidarität und Einsatz für das Gemeinwohl. „Jeder
ist seines Glückes Schmied“, heißt ein wahres Sprichwort.
Dazu kommt der Segen, den wir uns täglich erbeten und in den Gottesdiensten
,erfeiern‘ müssen. Der Segen Gottes wird uns geschenkt
– uns ihm öffnen und ihn annehmen, ist unser Beitrag. Glück und
Segen – in diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen ein glückseliges
neues Jahr.
Sehr verehrte Damen und Herren, Schwestern und Brüder! Das Jahr
2017 ist das Gedenkjahr an die Reformation vor 500 Jahren – vielleicht
sollten wir besser den Plural nehmen und sagen: Gedenkjahr
an die Reformationen im 16. Jahrhundert. Als Katholiken haben wir
auch Grund, an die Reformationen im 16. Jahrhundert zu erinnern.
Es gab vor 500 Jahren Luther, Zwingli, Calvin, Butzer und viele andere;
es sind die Reformatoren, die die protestantischen Kirchen
gründeten. Im 16. Jahrhundert haben aber auch viele Christen, die
katholisch geblieben sind, Reformen in Kirche und Gesellschaft angemahnt
und durchgeführt: Ignatius von Loyola, die große Teresa
von Avila, Karl Borromäus, Franz von Sales und weitere wären zu
nennen. Sie sind mit ihren Reformbemühungen andere Wege gegangen
als die protestantischen Reformatoren, sie haben die katholische
Kirche erneuert. Im Ursprung und Anliegen waren sie aber
vereint und eins: Sie wollten die Christenheit erneuern in Jesus
Christus! Trotz Kirchenspaltung wurde die Christenheit im 16. Jahrhundert
erneuert. An diese Erneuerung wollen wir denken und sie
verheutigen. Dabei können wir auch der Einheit der Kirche in Jesus
Christus wieder näher kommen.
Deshalb haben wir uns in Deutschland auf den Begriff ‚Christusfest‘
für das Gedenkjahr verständigt. Vielleicht wäre es noch besser, dieses
Jahr 2017 ‚Christusjubiläum‘ zu nennen. Mit allen Reformatoren
des 16. Jahrhunderts, evangelischen wie katholischen, dürfen und
sollten wir 500 Jahre danach Jesus Christus ‚hochjubeln‘. Das macht
Sinn und bringt Einheit. Unsere Fragen heute sind anders als vor 500
8 Erzbischof Ludwig Schick
Erzbischof Ludwig Schick 9
Jahren: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“, das wird 2017 selten
gefragt. Wir werden auch weniger von persönlichen Gewissensbissen
geplagt, als die Menschen im 16. Jahrhundert, allen voran Martin
Luther.
Uns beschäftigen und „quälen“ heute ganz andere Fragen, etwa
solche: Wie bekommen wir eine friedliche und gerechte Welt? Wie
können wir weltweit die Menschheit in eine gute Zukunft führen?
Wie können wir die Schöpfung bewahren als Haus aller Menschen?
Wie können die verschiedenen Kulturen, Ethnien und Religionen,
die durch Mobilität und moderne Kommunikationsmittel immer
enger zusammenkommen, ihre Unterschiede dankbar anerkennen
und sich dabei ihrer gemeinsamen Menschenwürde bewusst werden
sowie sich die unveräußerbaren Menschenrechte gegenseitig
zusprechen? Das sind unsere Fragen heute, die zumindest viele derzeit
genauso beschäftigen wie vor 500 Jahren die Frage nach dem
gnädigen Gott und wie rette ich meine Seele.
Auf unsere heutigen Fragen können und wollen Jesus
Christus und sein Evangelium
Antworten geben und wir können aus Seinem Wort Antworten finden
und mit IHM Antwort geben. Dabei lässt Jesus Christus „den
gnädigen Gott nicht außen vor“, sondern bekennt ihn heute, 2017,
und verkündet ihn uns.
Jesus Christus ist und bleibt der Retter der Menschen, der Menschheit
und der Schöpfung. Er ist der Sohn Gottes, des barmherzigen
Vaters, beide wirken zusammen im Heiligen Geist, um in den Herzen
der Menschen die Liebe zu entzünden und das Angesicht der
Erde zu erneuern. Der dreifaltige Gott gibt uns Hoffnung in all unseren
Fragen und in all unseren Problemen heute dafür, dass die Welt
nicht untergeht, sondern gute Zukunft hat.
Christusjubiläum 2017: Christus lobpreisen, IHN in die Mitte stellen,
der den Menschen Antworten auf ihre Fragen heute geben kann.
Das Jahr 2017 soll deshalb auch ein missionarisches Jahr werden.
Um Jesus Christus muss es gehen, ökumenisch, in diesem Jahr des
Reformationsgedenkens, das ein Christusjubiläum werden soll.
Im Erzbistum Bamberg haben wir zusammen mit der evangelisch-lutherischen
Landeskirche und allen ACK-Kirchen viele Gottesdienste,
Wallfahrten und Veranstaltungen geplant, um Christus zu
preisen und um ihn gemeinsam in den Mittelpunkt von Kirche und
Gesellschaft zu stellen. Eine der wichtigsten Veranstaltungen und
die erste findet heute hier in Coburg statt. Ich bin Kardinal Kasper,
der ein ausgewiesener Ökumeneexperte ist, von ganzem Herzen
dankbar, dass er meiner Einladung entsprochen hat und heute bei
uns ist. Er wird uns ganz sicher aus seiner reichen Erfahrung als Professor,
Bischof von Rottenburg-Stuttgart und Ökumeneminister des
Papstes sowie aus seinem geistlichen Leben Impulse geben, wie wir
dieses Christusjubiläum 2017 feiern können, damit Christus in unserer
Mitte die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften verbindet
und unsere Welt mit all ihren Fragen voranbringt.
Lieber Herr Kardinal, nach der Begrüßung durch den Herrn Oberbürgermeister
von Coburg, Norbert Tessmer, dem ich für sein Grußwort
danke, möchte ich Sie um Ihren Vortrag bitten. Wir alle sind
gespannt auf Ihre Ausführungen.
10 Neujahrsempfang 2017
Neujahrsempfang 2017 11
Oberbürgermeister Norbert Tessmer 15
GRUSSWORT
OBERBÜRGERMEISTER
NORBERT TESSMER
S
ehr geehrter, hochwürdigster Herr Kardinal Prof. Dr. Walter
Kasper, sehr geehrter, hochwürdigster Herr Erzbischof Prof. Dr.
Ludwig Schick,
ansonsten, meine Damen und Herren, gestatten sie mir die Anrede,
„Nach Stand und Würden, allseits hochgeehrte Zuhörerinnen und
Zuhörer!“
Dabei handelt es sich um eine schlichte Begrüßungsempfehlung des
Aufklärers und Universalgelehrten Christian Wolff von 1721 um ja
niemanden zu vergessen. Im Namen der Stadt Coburg heiße ich Sie
herzlich anlässlich des Neujahrsempfangs seiner Exzellenz Prof. Dr.
Ludwig Schick hier bei uns in Coburg willkommen.
Kirchenhistorisch waren die letzten 15 Jahre eine spannende Zeit.
Wir erinnern uns an das Jahr 2007 – 1000 Jahre Bistum Bamberg:
„Unterm Sternenmantel“ so lautete das Bistumsjubiläum. Ich hatte
die Ehre, als Vertreter der Stadt Coburg dem Kuratorium bereits
in der Vorbereitungsphase anzugehören. Nur ein Jahr später, am
21.09.2008, startete die Evangelische Kirche Deutschland in die
Lutherdekade mit einem Eröffnungsgottesdienst in der Schlosskirche
zu Wittenberg.
Neben Wittenberg ist auch Coburg eine wichtige Lutherstätte. Historiker
sprechen sogar davon, Luther sei in den programmatischen
Schriften, die er in Coburg verfasst hat, über sich selbst hinausgewachsen.
Sie bezeichnen ihn auch als den „Coburger Luther“, der auf
der Veste Coburg letztmalig seine volle geistige Schaffenskraft entwickelt
hat und um den es nach seiner Rückkehr nach Wittenberg
zunehmend ruhiger wird. Luther hat in Coburg nicht nur gewohnt
und das zeigen auch die Worte von Prinz Albert von Sachsen-Coburg
16 Oberbürgermeister Norbert Tessmer
Oberbürgermeister Norbert Tessmer 17
und Gotha, dem Gemahl der Queen Victoria. Er sagte mit Stolz, so ist
es überliefert: „Meine Familie war es, die den Reformator beschützt
hat und die der Reformation zum Durchbruch verholfen hat.“
In meiner Dienstzeit habe ich somit beide Jubiläen mit ihren Vorläufen
erleben dürfen, es waren/sind spannende Zeiten, Glück in
diesem Zeitraum dienstlich tätig zu sein. Glück insofern, auch etwas
Einfluss auf die Gestaltung/Geschehen ausüben zu dürfen, Glück
mittendrin zu sein und nicht nur dabei.
Was das Reformationsjubiläum angeht, so finden derzeit die Finalen
Vorbereitungen der Stadt Coburg und des Hauses der bayerischen
Geschichte statt. Ich erinnere an die Landesausstellung „Bauern-Ritter-Lutheraner“,
die am 8. Mai feierlich eröffnet wird.
Eine ganz besondere Freude ist es, dass das erste kirchliche Ereignis
mit dem Empfang des Erzbischofs von Bamberg, zu dessen Diözese
Coburg gehört, in den Mauern unserer Stadt stattfindet. Ein schöneres
Zeichen der Ökumene gibt es wohl nicht, wir sind stolz und freuen
uns, dass das, was in Bayreuth als Idee geboren wurde mit dieser
Zusammenkunft heute Wirklichkeit wird. All denen, die sich dafür
eingesetzt haben gilt mein Dank. Das bedeutet uns sehr viel – bemühen
wir uns schon seit Jahren intensiv darum, den interreligiösen
Dialog in unserer Stadt anzustoßen und zu beleben. Dass
Coburg mit dem Herzoghaus eine reiche
Geschichte hat, ist weithin
bekannt.
Coburg ist schon immer weltoffen, bunt, tolerant und pflegt seit je
Beziehungen in aller Herren Länder. Weniger bekannt ist hingegen,
dass Coburg auch eine reiche Religionsgeschichte hat:
Katholiken zogen spätestens im 18. Jahrhundert wieder in die Stadt,
die am 25. März 1802 den ersten Gottesdienst in einem Zimmer in
der Ketschengasse 1 feierten. 1806 überließ Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg
und Gotha der kleinen römisch-katholischen Gemeinde
die Nikolauskapelle zur Nutzung. Unter der Protektion des Prinzen
August von Sachsen-Coburg-Koháry begann 1851 ein Komitee mit
der Vorplanung einer eigenen Kirche für die auf rund 600 Mitglieder
gewachsene Gemeinde.
August wurde als zweiter Sohn des Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry
(1785–1851) und dessen Gemahlin, einer
ungarischen Prinzessin, geboren. Er war Bruder von König Ferdinand
II. von Portugal, außerdem der Vater des bulgarischen Königs.
Zu Ehren des Prinzen August aus der katholischen Linie des Hauses
Sachsen-Coburg und Gotha, der den Bau finanziell unterstützte,
wurde am Todestag des Schutzheiligen Augustinus von Hippo, dem
28. August 1860, St. Augustin vom damaligen Bamberger Erzbischof
Michael von Deinlein geweiht.
In der Krypta unter der Kirche, einem dreischiffigen Hallenraum mit
einer zentral gelegenen Kapelle und beidseitigen Räumen, befindet
sich die Grablege der katholischen Linie des Coburger Herzogshauses,
die sogenannte Kohárygruft. Dort sind 15 Mitglieder des Hauses
beigesetzt. In Sarkophagen ruhen u.a. Prinz August und seine Frau
Prinzessin Clementine d’Orleans und der Sohn Ferdinand, der erste
bulgarische Zar, der in Coburg sein Exil verbrachte.
Der russisch-orthodoxe Glaube ist in Coburg mit der Großfürstin Maria
Alexandrowna von Russland, Herzogin von Sachsen-Coburg und
Gotha, Ehefrau Herzog Alfreds von Sachsen-Coburg und Gotha, dem
zweitältesten Sohn der Königin Victoria von England, in Coburg eingezogen.
In ihrem Domizil, dem Palais Edinburg, war sogar eine kleine
russische Kapelle eingerichtet. Nach einer langen Pause von über
90 Jahren gibt es heute in Coburg mit der Unterstützung der Stadt
wieder eine russisch-orthodoxe Kirche mit einem Priester. Im Mittel-
18 Oberbürgermeister Norbert Tessmer
Oberbürgermeister Norbert Tessmer 19
alter entstand in Coburg eine jüdische Gemeinde – darauf weisen
u.a. verschiedene Straßen- bzw. Ortsbezeichnungen hin, die schon
gegen Ende des 14. Jahrhunderts fest eingebürgert waren, u.a.: „Judengasse“,
„Judentor“ sowie der „Judenberg“, dessen Bezeichnung
am Anfang des 15. Jahrhunderts entstand.
In Coburg wurde Alfred Wertheimer, der vor zwei Jahren gestorben
ist, geboren. Er wurde bekannt als der Fotograph von Elvis Presley-Fotografien
der frühen Jahre dieses Künstlers. Ebenso erblickte
in Coburg Hans Joachim Morgenthau (* 17. Februar 1904 in Coburg,
Bayern; † 19. Juli 1980 in New York) das Licht der Welt. Er war ein
US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Jurist deutsch-jüdischer
Abstammung. Er gilt als Begründer eines systematischen realistischen
Erklärungsansatzes in den internationalen Beziehungen.
Leider gibt es heute in Coburg keine jüdische Gemeinde mehr. Das ist
dem dunkelsten Kapitel unserer Stadtgeschichte geschuldet.
Und über die Brücke der Freundschaft und Kunst lässt sich auch der
Islam frühzeitig in Coburg nachweisen: der für seine Zeit liberale
Herzog Ernst II. pflegte eine enge Verbindung zum javanischen Maler
Raden Saleh, der auf Einladung des Herzogs mehrere Monate in Coburg
verbrachte und während dieser Zeit einige Bilder und Portraits
anfertigte.
Das war ein kurzer Rückblick zu den religiösen Wurzeln der Vergangenheit.
Die Vergangenheit ist bekanntlich die Vorratskammer der
Zukunft. Aber nun in die Gegenwart: 2017 ist das erste Reformationsjubiläum
im ökumenischen Zeitalter. In den vergangenen Jahrzehnten
sind die Konfessionen mehr und mehr aufeinander zugegangen.
Heute begehen Angehörige aller Glaubensrichtungen multireligiöse
Gebete, Woche der Brüderlichkeit, Internationale Woche und anderes.
Das Wissen voneinander und das Verständnis füreinander haben
nach meiner Beobachtung zugenommen, gerade auch bei uns hier
in Coburg. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidung, den Empfang
in diesem Jahre hier in Coburg zu machen, ein ganz starkes ökumenisches
Zeichen ist. Mahatma Gandhi sagte einst: „Religionen sind
verschiedene Wege, die im gleichen Punkt münden. Was macht es,
dass wir verschiedene Wege gehen, wenn wir nun das gleiche Ziel
erreichen?“ Das starke Zeichen erhält noch einen besondern Ausdruck/Akzent,
dass sie sehr geehrter, hochwürdigster Herr Kardinal
Prof. Dr. Walter Kasper, als emeritierter Kurienkardinal und ehemaliger
Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der
Christen uns zu diesem Anlass ihr Wort schenken. Ich freue mich, sie
in Coburg begrüßen zu dürfen.
Die Emeritierung bedeutet nicht Ruhestand wie wir gleich erleben
werden. Man sagt und schreibt: „Die Theologie, das ökumenische
Engagement und die Seelsorge lassen Walter Kasper nicht los“. Ihnen
geht der Ruf des Ökumenikers voraus, was sie treffend mit den
Worten ausgedrückt haben: „Wir sind 2017 nicht mehr wie nach
1517 auf dem Weg zur Trennung, sondern auf dem Weg zur Einheit.“
Viele Christen erwarteten, so haben Sie gesagt, dass das Gedenken
die Kirchen dem Ziel der Einheit einen Schritt näherbringen werde.
Um noch einmal auf das Reformationsjubiläum und damit auf Martin
Luther zurück zukommen, so hatte der, was Redelängen anging,
bestimmte Sprüche auf Lager. Einer lautet: „Eines guten Redners
Amt oder Zeichen ist, dass er aufhöre, wenn man ihn am
liebsten höret“.
Danke.
Kardinal Walter Kasper 21
„Gedanken und Wünsche eines
Katholiken im Reformationsgedenkjahr
2017“
Kardinal Walter Kasper
Es freut mich, heute hier in Coburg zu Beginn des neuen Jahres
und im Rahmen der Gebetswoche für die Einheit aller Christen
über Ökumene sprechen zu können. Ich bedanke mich für die
freundliche Begrüßung durch Erzbischof Dr. Ludwig Schick. Uns verbindet
eine kurze Zeit in der Deutschen Bischofskonferenz und vor
allem dass, er nach mir und nach Franz Kamphaus in der Bischofskonferenz
den Vorsitz in der Kommission Weltkirche übernommen
hat.
I. Die weitere Ökumene
Das Jahr 2017 ist ein ökumenisch bedeutsames Jahr. Wir begehen
500 Jahre seit dem Beginn der reformatorischen Bewegung. In der
langen Reihe der Reformationsjubiläen wird das Jubiläum erstmals
nicht konfessionalistisch sondern mit deutlichen ökumenischen
Akzenten begangen. Coburg ist für ein solches ökumenisches Gedenken
geradezu prädestiniert. Denn in der Veste Coburg hat Martin
Luther 1530 während des Reichtags zu Augsburg fünf Monate
verbracht; es war damals der letzte Versuch, mit dem Augsburger
Bekenntnis zu einer Übereinkunft zu kommen.
Bevor ich auf das Reformationsgedenken und die Ökumene mit den
reformatorischen Kirchen eingehe, möchte ich zunächst ein Wort
zur ökumenischen Situation allgemein sagen. Das Wort Ökumene
bezeichnet ursprünglich den ganzen bewohnten Erdkreis, sie ist
auch heute ein Weltphänomen. So ist Ökumene nicht auf Deutschland
und auf das katholisch-evangelische Verhältnis beschränkt. Sie
22 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 23
ein sehr komplexes, vielschichtiges, weltweites Phänomen. Wir begehen
dieses Jahr 500 Jahre Reformation. Wir dürfen darüber nicht
vergessen dass Kirchen zwischen Ost und West seit zwei Mal 500
Jahren, seit 1000 Jahren getrennt sind.
Seit dem Fall der Berliner Mauer und der Überwindung des Ost- und
Westeuropa trennenden Stacheldrahts, gehören unsere orthodoxen
Brüder und Schwestern zu einemgroßen Teil wieder zu Europa. Sie
haben die europäische Kultur mitgeprägt oder sie grenzen – wie die
Ukraine und Russland – an Europa und sind unsere Nachbarn. Viele
leben mitten unter uns. Als katholische wie evangelische Christen
ist es uns darum eine Verpflichtung, Brücken zu ihnen zu bauen und
nicht neue Mauern und neue Zäune aufzurichten. Die freundschaftliche
brüderliche Umarmung des Papstes mit dem ökumenischen
Patriarchen Bartholomäus und im vergangenen Jahr die erstmalige
Begegnung mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill dürfen keine folgenlosen
Gesten sein. Sie sind Herausforderung und Auftrag, Grenzen
zu überwinden und die europäische Einheit auf gemeinsamer
christlicher Grundlage zu fördern.
Schließlich sind es nicht nur 500, sondern 1500 Jahre, dass wir von
den altorientalischen orthodoxen Kirchen getrennt sind, den Syrern,
den Kopten in Ägypten, den Äthiopiern, den Armeniern, den Assyrern,
die im heutigen Irak zu Hause sind. Man braucht diese Länder
nur zu nennen, um sofort zu wissen, mit welchen Schwierigkeiten,
ja Überlebensproblemen und teilweise brutalen Verfolgungen diese
altehrwürdigen Kirchen heute konfrontiert sind. Was dort stattfindet,
hat Papst Franziskus zurecht als eine Ökumene des Bluts bezeichnet.
In Syrien und im Irak droht gegenwärtig älteste, bis auf
die unmittelbar nachapostolische Zeit zurückgehende christliche
Geschichte und Kultur ausgelöscht zu werden. Das kann uns nicht
gleichgültig sein. Das macht aber nochmals deutlich: Ökumene,
ökumenische Zusammenarbeit und Solidarität sind heute weltweit
herausgefordert.
Mir ist es zum Heulen, wenn ich Bilder aus Damaskus und Aleppo
sehe, wo ich mehrfach war, um den verschiedenen christlichen
Kirchen wie den Muslimen zu begegnen. Es waren immer freundschaftliche
Begegnungen. Ich war mit dem syrisch-orthodoxen wie
mit dem griechisch-orthodoxen Metropoliten von Aleppo befreundet:
Beide wurden von Terroristen im April 2013 verschleppt; seither
fehlt von ihnen jede Spur.
Ich erinnere mich besonders an den Besuch mit Papst Johannes Paul
II. in der aus dem 8. Jahrhundert stammenden Umayyaden-Moschee
in Damaskus 2001. Es war ein bewegendes Bild: Zwei weiß gekleidete
alte Männer, der Papst und der oberste Iman in Damaskus, die
beide nicht mehr gut zu Fuß waren, halfen sich beim Begehen der
Stufen und stützten sich gegenseitig.
Und heute sollen dort Muslime und Christen nur noch auf einander
schließen? Das kann nicht sein, und das ist auch nicht so! Jahrhunderte
haben im Vorderen Orient die verschiedenen christlichen Kirchen
und die Muslime insgesamt friedlich zusammengelebt. Und es
ist unsere ökumenische Verantwortung, mitzuhelfen, dass
dies auch in Zukunft wieder möglich ist. Es
gibt zwischen Christen
24 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 25
und frommen Muslimen gemeinsame Grundlagen, auf denen wir
respektvoll zusammenleben und – wie es das II. Vatikanum forderte
– im Dienst für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt auch zusammenarbeiten
können. Ökumene hat auch eine politische Dimension.
Die Einheit der Kirchen steht im Dienst der Einheit und des Friedens
der Welt.
II. Luther und die Reformation
Doch nun zurück zu unserer Situation. Ich bin inzwischen alt genug,
um mich mehr als 70 Jahre zurückerinnern zu können. Wie sehr haben
sich in dieser Zeit nicht nur die Welt, sondern auch die Kirchen
und das Verhältnis zwischen den Kirchen verändert! Als ich in einem
fast ganz katholischen Dorf am Fuß des Hohenstaufen aufwuchs,
da galt Martin Luther einfach als der Erzketzer, und wir hatten für
die Lutheraner schwäbische Schimpfwörter – die Lutheraner allerdings
auch für uns – die man außerhalb des Gebrauchs der schwäbischen
Mundart nicht erst heute nicht in den Mund nehmen kann.
Im Religionsunterricht wurde uns gesagt, man dürfe der kirchlichen
Trauerfeier beim Tod eines Verwandten oder Bekannten in der evangelischen
Kirche zwar physisch anwesend sein, aber kein Gebet,
auch nicht das „Vater unser“ gemeinsam sprechen und bei keinem
Lied mitsingen.
Das hat sich Gott sei Dank gründlich geändert. Heute singen wir in
katholischen Gottesdiensten viele Lieder, die auf Martin Luther zurückgehen.
Als Bischof und Kardinal habe ich rund um die Erdkugelbei
vielen evangelischen Gottesdiensten mitgewirkt und gepredigt.
In der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich in der Wertung des
Bildes von Martin Luther (1483-1546) bei maßgebenden katholischen
Kirchenhistorikern ein erstaunlicher Wandel vollzogen. Man
erkannte nicht nur, dass im ausgehenden 15. und beginnenden 16.
Jahrhundert in der katholischen Kirche dringender Reformbedarf
bestand, man erkannte auch das zutiefst religiöse Anliegen des jungen
Martin Luthers. Er war als junger Mönch mit den Erneuerungsbewegungen,
die es auch schon vor ihm in der Kirche gab, vertraut.
Er kannte und schätzte vor allem Augustinus
und Bernhard von Clairvaux, den rheinischen Mystiker
Johannes Tauler und die aus den Niederlanden kommende neue
Laienfrömmigkeit und Laien-bewegung der Devotio moderna. Als
Doktor, d.h. Professor des Neuen Testaments an der neu gegründeten
Universität in Wittenberg, las er die Bibel im Sinn des damaligen
Humanismus nicht durch die Brille der lateinischen Scholastik
sondern in der hebräischen und griechischen Ursprache und übersetzte
sie wortgewaltig wie er war ins Deutsche. Ihm ging es in den
95 Ablassthesen, die er 1517 wohl nicht an der Schlosskirche von
Wittenberg angeschlagen, sondern als Einladung zu einer akademischen
Debatte verschickt hat, nicht um die Gründung einer separaten
evangelischen Reform-Kirche, sondern um die Erneuerung der
ganzen Kirche aus dem Evangelium. Er war sozusagen ein Reformkatholik,
aber kein Reformator, und er hat sich auch später selbst nie
so bezeichnet.
26 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 27
Gleich in der ersten These machte er deutlich, dass ihm bei seiner
Reform kein liberales Christsein zu ermäßigten Preisen vorschwebte,
sondern ein am Evangelium orientiertes Christsein. Das ganze
Leben eines Christen, sagte er, sei eine Buße, zu der unser Herr und
Meister Jesus Christus aufgerufen hat. Das konnte man damals leider
nicht von allen Mönchen und Nonnen, Priestern und Bischöfen
und auch Päpsten sagen. Die Anerkennung des ursprünglich positiven
Anliegens Luthers hat sich inzwischen fast allgemein durchgesetzt.
Schon Papst Johannes Paul Il., obwohl er ursprünglich aus der
– sagen wir einmal – sehr katholischen polnischen Tradition kam,
und dann Papst Benedikt XVI., der mit der deutschen Situation und
mit der neueren kirchenhistorischen Forschung bestens vertraut
war (und ist), haben sich diese Sicht zu eigen gemacht. Jüngst vollends
Papst Franziskus bei seinem nur als historisch zu bezeichnenden
Besuch bei der Versammlung des Lutherischen Weltbunds in
Lund in Schweden.
Natürlich wird man jetzt fragen: Warum ist aus dem Reformkatholiken
ein Reformator geworden? Die Reformation ist ein komplexer
Prozess. Einseitige Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Ein gerütteltes
Maß an Schuld liegt auch auf katholischer Seite. Rom und
die damaligen Bischöfe haben auf den Weckruf Luthers zu Umkehr
und Reform nicht gehört. Luther selbst hat sich von der Begeisterung
der Massen forttragen lassen und weil Papst und Bischöfe sich
verweigert haben, hat er ein Kirchen- und Sakramentsverständnis
entwickelt, das ganz auf das allgemeine Priestertum aller Gläubigen
aufgebaut war und auch ohne Papst und Bischöfe auskam.
Das war ohne Zweifel ein Bruch mit der kirchlichen Tradition. Luther
sah im Papst immer mehr den Antichrist und sich in den Endzeitkampf
zwischen Christ und Antichrist, Gott und den Teufel hineingezogen.
So waren Dialog und Verständigung kaum mehr möglich. Am
Schluss seines Lebens sah Luther keine Möglichkeit mehr zu einer
Verständigung. „So bleiben wir auf ewig geschieden“ sagt er in den
Schmalkaldischen Artikeln von 1537. Schließlich haben die Fürsten
und die reichsstädtischen Magistrate die Sache immer mehr in die
Hand genommen. Die Reformation wurde zur Fürstenreformation.
Sie war damit auch ein politischer Vorgang. Zur Konfessionsbildung
kam es erst nach Luthers Tod (1546). Das Konzil von Trient (1545-63)
einerseits und die lutherische Konkordienformel (1577) haben die
Unterschiede festgeschrieben. Dabei hat Trient in keiner Weise die
Person Martin Luthers verurteilt, auch nicht seine Theologie insgesamt,
sondern nur, wie es damaliger Methode entsprach, einzelne,
oft aus dem Zusammenhang gerissene, Sätze Luthers.
Durch die Abgrenzungen entstanden getrennte evangelische Konfessionskirchen
unter dem Summepiskopat der Fürsten. Seit dem
Reichstag von Augsburg 1555 bestimmte der jeweilige Landesherr
die Konfession seiner Landekirche. Cuius regio, eius religio wurde
zum Prinzip. Wer sich nicht fügen wollte, musste auswandern. Das
führte zur Auseinanderentwicklung bis zu gegenseitiger Verketzerung
und Verhetzung, so wie ich sie teilweise und bereits abgeschwächt
in meiner Kinder- und frühen Jugendzeit noch erlebt
habe.
28 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 29
III. Eine neue ökumenische Epoche
Politisch ist das konfessionelle Zeitalter mit dem Ende des Ersten
Weltkriegs und dem Ende der Monarchie, dann mit den Umwälzungen
des 20. Jahrhunderts, zu Ende gegangen. Krieg und Vertreibung,
dazu Umzug aus beruflichen und anderen Gründen, haben die Bevölkerung
konfessionell durchmischt Als nach dem II. Weltkrieg viele
Kirchen zerstört waren, war es selbstverständlich, dass man gegenseitig
die noch funktionierenden Kirchen füreinander geöffnet und
zur Verfügung gestellt hat. Daraus ist eine enge Zusammenarbeit
und Freundschaft zwischen den Pfarreien entstanden. Heute gibt
es kaum mehr geschlossene katholische oder evangelische Gebiete.
Katholiken und Protestanten leben Tür an Tür nebeneinander, oft in
derselben Familie miteinander. Sie arbeiten, feiern und beten zusammen.
Das alles ist uns heute völlig selbstverständlich geworden
und hat das gegenseitige Verhältnis lebensmäßig völlig verändert.
Die ökumenische Bewegung hat schon vor diesen politischen Umwälzungen
eingesetzt und diesen Prozess mental vorbereitet. Bereits
am Ende des 18. Jahrhunderts und dann verstärkt im 19. Jahrhundert
kam es zu ökumenischen Gebetsveranstaltungen (auch in Rom
durch den hl. Vinzenz Pallotti, 1795-1850), dann seit 1909 zur jährlichen
Weltgebetswoche für die Einheit, die schon seit Pius X. von den
Päpsten unterstützt und gefördert wurde. Seit der
Weltmissionskonferenz in Edinburgh
1910 kam es auf
nichtkatholischer Seite zu einer institutionellen Ökumene, die 1948
in den Weltrat der Kirchen (Sitz in Genf) einmündete. Durch das II.
Vatikanische Konzil (1962-65) hat sich die katholische Kirche endgültig
für die ökumenische Bewegung geöffnet.
Das Konzil bezeichnete die Förderung der Einheit aller Christen als
eines seiner wichtigsten Anliegen und die Spaltung der Christenheit
als Widerspruch zum Willen Jesu, der am Abend vor seinem Tod
sozusagen als sein Testament hinterlassen hat, dass alle eins seien
(Joh 17,21). Die Spaltung der Christenheit ist darum ein Ärgernis für
die Welt und ein Schaden für die Verkündigung des Evangeliums.
Papst Johannes Paul II. hat in der ersten Ökumene-Enzyklika, die je
ein Papst geschrieben hat, 1995 die ökumenische Option des Konzils
als unwiderruflich und die Ökumene als den Weg der Kirche bezeichnet.
Er hat darum von einem neuen
ökumenischen Zeitalter gesprochen. Sie hat das konfessionelle Zeitalter
abgelöst. Es gibt kein Zurück. Es gibt nur den Weg nach vorne.
Katholisch und ökumenisch sind keine Widersprüche; Katholisch
und ökumenisch sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
IV. Wo stehen wir?
Ich muss jetzt viele Einzelheiten übergehen und mich der Frage zuwenden:
Wo stehen wir heute und wie kann der weitere Weg aussehen?
Die Grundaussage der Ökumene lautet: Wir haben mehr gemeinsam,
als uns trennt. Wir glauben an den einen Gott und den einen
Herrn Jesus Christus, auf den alle, die sich Christen nennen, getauft
sind. In Jesus Christus sind wir schon heute im einen Hl. Geist in
einer grundlegenden Einheit. Wir sind schon Brüder und Schwestern
in Christus. Auf dieser Grundlage haben die deutschen Kirchen
2007 in der Magdeburger Erklärung offiziell gegenseitig ihre Taufe
anerkannt. Der Ökumenische Dialog setzt diese grundlegende Einheit
voraus.
Das bedeutet aber nicht, dass alle konfessionellen Unterschiede
30 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 31
schon
gelöst oder
einfach gleichgültig geworden
sind. Wer sagt: Diese Unterschiede interessieren
den heutigen Menschen nicht mehr, ist kein Ökumeniker.
Denn Ökumene entspringt nicht der Gleichgültigkeit gegenüber
dem Glauben der jeweiligen Kirche, sondern dem Interesse an diesem
Glauben. Wir führen den Dialog, weil uns dieser Glaube wichtig
ist. Wir verstehen den Dialog nicht als Anpassung oder als Einigung
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es geht nicht um Protestantisierung
der katholischen Kirche, sondern um einen Austausch
nicht nur von Ideen, sondern von Gaben, welche die verschiedenen
Kirchen besitzen. Der Dialog zielt nicht auf Aufgabe oder Verarmung
katholischer oder evangelischer Identität, sondern auf gegenseitige
Bereicherung. Wir sind ökumenisch gemeinsam auf dem Weg,
um voneinander zu lernen. Wir sollen nicht weniger, sondern mehr
katholisch werden und nicht weniger evangelisch, sondern mehr
evangelisch werden. Auf diesem Weg sind wir als Katholiken von
den Evangelischen bereichert worden durch ein tieferes Verständnis
des Wortes Gottes in der Hl. Schrift und des persönlichen, liturgischen
wie auch theologischen Schriftgebrauchs. Wir haben gelernt,
das gemeinsame Priestertum aller Getauften, die Stimme der Laien
und die Freiheit des Christenmenschen ernster zu nehmen. Auch
die Protestanten stehen nicht mehr einfach wo sie zuvor waren. Sie
haben von uns die Bedeutung der Liturgie und der Sakramente wieder
neu entdeckt. Es gibt nicht wenige evangelische Christen, welche
uns um manches beneiden. Gerade in einer geistig und geistlich
so dürftigen Situation wie der unsrigen können wir Reichtümer und
die Schätze der Tradition nicht zur Disposition stellen und zum Ausverkauf
anbieten; wir haben allen Grund sie neu auszugraben, sie
zu verlebendigen und zu aktualisieren. Das meint recht verstandenes
aggiornamento, nämlich Aktualisierung der Tradition, aus der
wir leben für unsere Zeit, in der wir leben.
Auf der anderen Seite müssen wir manche Traditionen kritisch sichten
oder gar als Missbräuche beurteilen, etwa Ketzerverfolgung,
Zinsverbot u. a. Beim ersten Besuch von Papst Johannes Paul II. in
Deutschland (1980) wurde eine ökumenische Kommission Eingesetzt,
um die Lehrverwerfungen des 16. Jahrhunderts zu untersuchen.
Ihr Ergebnis wurde 1986 unter dem Titel „Lehrverurteilungen
– kirchentrennend?“ veröffentlicht. Das Ergebnis war: Manche Verurteilungen
der Vergangenheit sind Missverständnisse, andere treffen
den heutigen Partner nicht mehr. Bei anderen besteht durchaus
noch Diskussionsbedarf: Sie trennen uns noch immer, aber wir haben
Annäherungen erzielt.
In dem grundlegendsten Streitpunkt des 16. Jahrhunderts, der Frage
der Rechtfertigung allein aus Gnade und allein durch den Glauben,
haben wir in den Grundfragen eine Einigung erreicht gefunden, die
in Augsburg 1999 feierlich unterzeichnet wurde und die unmittelbar
nach dieser Zeremonie Papst Johannes Paul II. als einen ökumenischen
Meilenstein bezeichnet hat. Andere Fragen bleiben offen:
Fragen nach der Kirche, den Sakramenten und Ämtern in der Kirche.
Auch in diesen Fragen gibt es Annäherungen, aber keine volle
32 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 33
Einigung. Ich habe dazu kurz vor dem Ausscheiden aus dem Amt
ein Büchlein „Harvesting the Fruits“ veröffentlicht (2009; deutsch
2013). Eine Kommission der nordamerikanischen katholischen Bischofskonferenz
hat die lutherisch-katholischen Dialogergebnisse
2015 nochmals unter dem Titel „Church, Eucharist and Ministry“ zusammengefasst.
Der Bericht ist im Internet abrufbar und allgemein
zugänglich. Wenn man ihn liest, staunt man, wie viel inzwischen
auch in den genannten Fragen erreicht wurde. Man sollte darum
mit der Rede von einem ökumenischen Stillstand vorsichtig sein.
Es stellt sich damit die Frage ob nicht schon heute gewisse Zwischenlösungen
möglich sind. Die Frage wird besonders bezüglich
der Zulassung zur Kommunion bei konfessionsverschiedenen Ehen
und Familien gestellt: Das ist in der Tat ein pastorales Problem, das
nach einer Lösung schreit. Diese ist gar nicht so schwierig. Das Ökumenismus-Dekret
des II. Vatikanischen Konzils sagt in Nr. 8: Es gibt
in dieser Frage zwei Prinzipien: Die Einheit der Kirche und Teilhabe
an den Gnadenmitteln. Die Einheit der Kirche verbietet die Teilnahme
nichtkatholischer Christen in den meisten Fällen; die Sorge um
die Gnade empfiehlt sie in manchen Fällen. Das ist sehr flexibel formuliert;
die Formulierung lässt Raum für pastorale Lösungen. Damit
kann man zurecht kommen und die meisten Pfarrer kommen
damit auch ganz gut zurecht. Es ist mir darum schwer verständlich,
warum diese Frage dauernd so hochgespielt wird.
Es gibt wichtigere offene Fragen, die noch zu lösen sind: Die Frage
der Ämter, besonders des Papstamts; im Hintergrund steht dabei
die Frage, wie die Einheit konkret aussehen soll. Wir erfahren freilich,
dass es auch gut ist, einen Papst wie Franziskus zu haben, der
für die Kirche sprechen kann und der in der Welt gehört wird. Franziskus
ist kein Papst, der blockiert, sondern der ermutigt. Die Ausrede:
Wir in Deutschland möchten ja ganz gern, aber Rom blockiert,
gilt nicht mehr. Rom ermutigt die Bischofskonferenzen aktiv zu werden
und Vorschlage zu unterbreiten. Für Papst Franziskus gehören
Primat und Synodalität zusammen. Eine weitere Frage betrifft die
Marienverehrung, ein Stück katholischer Identität, auf das wir nicht
verzichten möchten. Übrigens war auch Martin Luther ein glühender
Marienverehrer (Auslegung des Magnifikat, 1521). Sie ist den
Evangelischen erst später verloren gegangen. Das bedeutet, dass sie
sie heute in ihrer eigenen Tradition wieder neu entdecken könnten.
Dazu kommen heute leider neue ethische Fragen, die es früher so
nicht gegeben hat: Fragen des Lebensschutzes am Anfang wie am
Ende, das Verständnis der Ehe und die Wertung der nichtehelichen
und gleich-geschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Das sind konkrete
Fragen, welche ins konkrete Leben eingreifen. Es trifft also
nicht zu, dass alle Fragen schon geklärt sind. Wir sind noch auf dem
Weg. Deshalb abschließend: Wie soll es nun weitergehen und wie
geht es mit Papst Franziskus weiter?
V. Mit Papst Franziskus in die Zukunft
Ich nenne in aller Kürze fünf Punkte:
1. Papst Franziskus hat neuen frischen Wind und damit neuen Mut
und neue Hoffnung in die Kirche gebracht. Vieles ist in Bewegung
gekommen. Er ist vor allem ein Mann der
Begegnung, der eine Ökumene
der Begegnung
34 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 35
praktiziert. Mit Ökumenischen Patriarchen ist mehr oder weniger
eine Freundschaft entstanden, mit dem Moskauer Patriarchen ist es
zu einer ersten Begegnung gekommen, welche die Atmosphäre verändert
hat. So auch mit dem Lutherischen Weltbund, dem Primas
der Anglikanischen Gemeinschaft, Justin Welby, und sogar mit den
Pfingstkirchen. Die Atmosphäre ist immer die Hälfte der Miete, Vertrauen
und Freundschaft das A und O. Wo sie fehlen, da wird Ökumene
zu einem eschatologischen Phänomen, man kann diskutieren
bis zum Jüngsten Tag, mit manchen sogar bis zum späten Abend
des Jüngsten Tages.
2. Papst Franziskus ist ein Mann des Evangeliums, ein im ursprünglichen
Sinn des Wortes evangelischer Papst. Ihm geht es wie seinem
Namenspatron, dem hl. Franz von Assisi, um das Evangelium.
Dogmen werden dadurch nicht bedeutungslos. Sie sind sichere und
verbindliche Wege zum Evangelium; aber das Evangelium und das
Geheimnis Gottes ist größer als jede dogmatische Formel:
Die Dogmen sind kein ideologisches Gefängnis. Sie sollen öffnen
auf den je größeren Gott hin. Der Hl. Geist führt uns in alle Wahrheit
ein (Joh 16,13); er erschließt uns immer wieder neue Aspekte,
öffnet neue Horizonte. So ist Franziskus als ein evangelischer Papst
ein Papst der Überraschungen.
Keine Überraschung dagegen ist es,
dass wer das Evangelium
Jesu Christi verkündet, auch Widerstände erfahrt. Das ist Jesus genauso
gegangen, und ihm auch bei den vermeintlich Frommen und
Rechtgläubigen seiner Zeit. Solche Widerstände sind ein Gütesiegel
und kein Einwand.
3. Die argentinische Theologie, aus der der Papst kommt, hat die
Volk-Gottes-Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils in eigenständiger
Weise aufgegriffen und vertritt das Konzept einer Kirche des
Volkes. Sie legt Wert auf den sensus fidelium, den Glauben und die
Frömmigkeit des Volkes. Darum ist Ökumene keine reine Expertenangelegenheit.
Jeder hat seinen Beitrag zu leisten. Man muss von
der Peripherie her denken. Deshalb die Befragungen bei der Familiensynode
und jetzt wieder bei der Jugendsynode, wo die Jugendlichen
nicht nur Gegenstand der Diskussion sein sollen, sondern sich
als Akteure aktiv einbringen sollen. Zur Theologie des Volkes gehört
auch: Ökumene ist nicht nur ein theoretischer Diskurs; es geht auch
um verstärkte praktische Zusammenarbeit der Kirchen angesichts
heutiger Herausforderungen. Auch durch konkrete Zusammenarbeit
entstehen neue Vertrautheit und Vertrauen.
4. Ökumene der Barmherzigkeit. Die Spaltung hat Wunden geschlagen,
die heute noch bluten und schmerzen. Es gibt noch Vorbehalte,
Misstrauen, schlechte Stimmung. Es braucht eine Ökumene des guten
Samariters, der heruntersteigt, der den anderen nicht den Kopf
wäscht, sondern die Füße, der Öl und nicht ätzenden Essig in die
Wunden gießt und sie verbindet. Wir brauchen eine Ökumene der
Vergebung und der Barmherzigkeit. Nur wenn wir unsere Geschichte
aufarbeiten und es zu einer versöhnten Erinnerung kommt, werden
wir frei für die Zukunft.
5. Die Einheit wird keine Einheitskirche sein, in der alle und alles
gleichgeschaltet wird, sondern eine Einheit in versöhnter Verschiedenheit,
in der auch die geschichtlich gewachsenen Formen respektiert
werden müssen. Der Papst gebraucht dafür das Bild eines Polyeder:
Ein vielflächiges Gebilde wie etwa ein Bergkristall. Er ist ein
Ganzes, kein äußerlich zusammengesetztes Puzzle. Auf den ersten
Blick vielleicht etwas verwirrend, aber wenn Licht darauf fällt, dann
36 Kardinal Walter Kasper
Kardinal Walter Kasper 37
wird dieses in wunderbarer Weise reflektiert. Das ein Bild, noch keine
Lösung. Aber das Bild deutet in die Richtung, in die wir weitergehen
können und müssen. Schritt für Schritt. Man kann vom Ziel
nicht im Voraus eine Blaupause machen. Es stellt sich wie bei einer
Bergwanderung am Ende des Weges heraus. Vielleicht werden wir
dann staunen, was Gottes Geist zuwege gebracht hat. Es geht nicht
um die Einheit, wie wir sie uns ausdenken und zurechtlegen, sondern
wie Er sie will. Seine Wege nicht immer unsere Wege. Er hat
die ökumenische Bewegung ins Leben gerufen; auf ihn ist Verlass,
dass er zu Ende führt, was er verheißen hat. Aber am Ende werden
wir uns die Augen reiben und staunen über das, was er hominum
confusione, sed Dei providentia zuwege gebracht hat. Wir werden
unsere Wunder noch erleben. Wie bei jeder Bergtour gibt es auch
zwischendurch schöne Ausblicke. Schon heute ist die Ökumene ein
Zeichen des Friedens mitten in einer friedlosen Welt, in welcher religiöse
Unterschiede oft für Gewalt instumentalisiert werden. Wir
dagegen sollen zeigen: Wir haben uns 500 Jahre gestritten und uns
gegenseitig auch viel Böses angetan. Aber wir sind Freunde geworden,
die sich gemeinsam auf den Weg gemacht haben. Wir haben
ein gemeinsames Ziel. Wie der Friede in der Welt ist auch die Einheit
der Kirche kein fertiger Zustand, den man ein für alle Mal erreicht;
sie ist ein Weg, den man immer wieder neu gehen muss. Nur wenn
wir so den unseren Weg gehen, nicht lamentierend und verdrossen,
sondern fröhlich und mutig, können wir für die Welt Zeichen und
Werkzeug des Friedens Sein – und das braucht unsere Welt gegenwärtig
weiß Gott.
Mein und sicher auch Ihr Wunsch ist es: Möge das begonnene Reformationsgedächtnisjahr
2017 unter Gottes Segen und seinem gütigen
Geleit stehen und möge es uns ökumenisch voranbringen und
möge es für jeden von Ihnen ein gesegnetes, ein erfreuliches und
ein friedvolles Jahr sein.
38 Erzbischof Ludwig Schick
Erzbischof Ludwig Schick 39
WORT DES DANKES
ERZBISCHOF LUDWIG SCHICK
Mein erster Dank gilt denen, die diesen Neujahrsempfang
eingeleitet haben und jetzt auch beschließen: dem Posaunenquartett
Slide-O-Mania und dem Posaunenchor der
St. Morizkirche hier in Coburg mit ihrem Dirigenten, Herrn Peter
Stenglein. Vielen Dank für die Musik, mit der Sie unseren Neujahrsempfang
wunderschön umrahmt haben. Dass der evangelische
Posaunenchor der Morizkirche bei unserem heutigen Empfang die
musikalische Umrahmung übernommen hat, ist bereits ein Zeichen
guter Ökumene. Ich bin froh darüber und danke Ihnen.
Besonders danke ich natürlich unserem Festredner, Seiner Eminenz,
Kardinal Walter Kasper. Verehrter Herr Kardinal! Ich danke Ihnen
für die Mut machenden Worte, die Sie an uns gerichtet haben. Sie
stärken uns, auf dem Weg der Ökumene mit dem Ziel der sichtbaren
Einheit der Kirche voranzugehen. Sie bestätigen uns auch, dass
wir im Erzbistum Bamberg zusammen mit der evangelisch-lutherischen
Kirche, aber auch mit den orthodoxen Kirchen sowie allen
Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die zur ACK gehören, auf
dem richtigen Weg sind.
Auf diözesaner Ebene, in den Dekanaten und auch vor Ort in den
Pfarreien und Seelsorgebereichen bemühen wir uns seit Jahren in
Gesprächskreisen, in Gottesdiensten, auf Wallfahrten etc. gemeinsam
Zeugnis zu geben für die christliche Botschaft und die christlichen
Werte in unserer Gesellschaft auszubreiten - Caritas und Diakonie
arbeiten in vielen Bereichen zusammen. Dadurch werden wir
immer mehr eins.
Als „Weltkirchebischof“ danke ich Ihnen vor allem dafür, dass Sie
erneut daran erinnert haben, dass die Einheit der Kirche für den
Dienst an der Einheit der Welt wichtig ist. Durch meine Besuche in
vielen Ländern dieser Erde erfahre ich immer wieder, wie engagiert
40 Erzbischof Ludwig Schick
Erzbischof Ludwig Schick 41
sich die Kirchen in den Entwicklungsländern für die Überwindung
von Hunger, Armut und Krankheit einsetzen, für Versöhnung und
Frieden, Gerechtigkeit und Gemeinwohl wirken, die Menschenwürde
und die Menschenrechte für alle fördern. Sie könnten es noch effektiver
tun, wenn die Einheit der Christen vollendet wäre. Damit
wir den Dienst an der Einheit der Welt erfüllen können, brauchen
wir die Einheit der Kirchen. Ich danke Ihnen, dass Sie das noch einmal
so deutlich formuliert haben.
Ich danke Herrn Oberbürgermeister Tessmer
für sein Grußwort. Mit ihm danke
ich allen, die heute hier in Coburg den
Neujahrsempfang vorbereitet haben und
durchführen: dem Stadthallenteam in Coburg,
der Polizei und den Ordnern. Ebenso
Dank allen, die aus dem Ordinariat Bamberg
diesen Tag mitgestalten. Ich danke
auch der Presse und allen Medien, die den
Neujahrsempfang der breiten Öffentlichkeit
zugänglich machen.
Der diesjährige Neujahrsempfang ist die
erste Großveranstaltung im Rahmen des
Reformations-Gedenkjahres im Erzbistum
Bamberg. Viele Veranstaltungen werden
folgen. Ich möchte Sie darauf aufmerksam
machen und dazu einladen, damit dieses Reformations-Gedenkjahr
ein Christusjubiläum wird, das Kirche und Gesellschaft 2017 erneuert.
Dafür ist es wichtig, die Heilige Schrift zu lesen. Ende des vergangenen
Jahres wurden zwei Neuausgaben der Heiligen Schrift in
deutscher Sprache veröffentlicht: die revidierte Lutherübersetzung
2017 und die Einheitsübersetzung 2017. Das sollte uns anregen, die
Heilige Schrift, vor allem die Evangelien, intensiver zu lesen und zu
meditieren. Zur Ökumene gehört das Gebet um die Einheit, wie Jesus
Christus selbst uns gezeigt hat: „Vater, ich bitte dich, lass alle
eins sein!“ (vgl. Joh 17,9.11), so hat er gesprochen. Das Gebet um die
Einheit ist unabdingbar für die Ökumene auf dem Weg zur Einheit
der Christen. In diesem Jahr werden wir noch öfter um die Einheit
vor allem in ökumenischen Gottesdiensten beten. Ich bitte Sie, daran
häufig und intensiv teilzunehmen.
Zur Ökumene gehört das Diskutieren und Sprechen miteinander.
Dabei öffnen wir uns füreinander, tauschen unsere Gaben aus und
kommen so der Einheit näher. Ich möchte Sie auf die Veranstaltungen
der Erwachsenenbildung, der Theologischen Fakultäten, Institute
und Akademien werbend hinweisen.
Zur Ökumene gehört auch das miteinander Essen und Feiern. Lasst
uns auch das tun. Dadurch kommen wir uns menschlich näher und
fördern unser Miteinander. Zum Essen und Trinken, Reden und Austausch
lade ich Sie auch im Anschluss an den Empfang ein.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Tessmer! Sie haben Herrn
Kardinal Kasper und mich gebeten, uns in das Goldene Buch der
Stadt Coburg einzutragen. Das tun wir gerne. Der Eintrag ins Goldene
Buch einer Stadt wird oft als Routine gesehen: „Es gehört dazu.“
So verstehe ich es nicht, sondern als Ausdruck dafür, dass Kirche und
Kommunen zusammengehören. Wie Körper und Geist, Leib und
Seele eine Einheit bilden müssen, damit der Mensch gut leben und
wirken kann, so ist es auch mit Kirche und Kommune. Die Kommunen
sind der Leib, der für die gemeinschaftsdienlichen Gebäude, die
Infrastruktur etc. zu sorgen hat. Die Kirche soll Geist und Seele beisteuern.
Wenn Kommunen und die Kirchen gut zusammenwirken,
ist es für die Bürgerinnen und Bürger und die Gesellschaft gut. Das
möchte ich zum Ausdruck bringen, wenn wir uns jetzt in das Goldene
Buch der Stadt Coburg eintragen. In Coburg arbeiten die Kirche
und ihre Vertreter sowie die Stadt und städtische Verwaltung gut
zusammen. Das soll so bleiben für das Wohl der Bürgerinnen und
Bürger und das Gemeinwohl. Wir wünschen der Stadt Coburg eine
gute, gesegnete Zukunft.
Liebe Schwestern und Brüder, werte Damen und Herren!
Noch einmal Ihnen allen ein glückseliges neues Jahr 2017.
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Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg 43
„Die Liebe Christi drängt uns:
Lasst euch mit Gott
versöhnen“
(Kardinal Walter Kasper, Predigt im
Dom zu Bamberg am 29. Januar 2017)
Liebe Schwestern und Brüder,
die Seligpreisungen der Bergpredigt Jesu, die wir soeben im Evangelium
gehört haben, sind sozusagen das Grundsatzprogramm
– oder besser gesagt: Das große Angebot, das Jesus uns macht. Wir
können sie nicht oft genug lesen und bedenken, um sie auf unser
Leben anzuwenden. Ich möchte nur eine der sieben Seligpreisungen
herausnehmen: „Selig sind, die Frieden stiften. Denn sie werden
Söhne Gottes genannt werden!“
Jeder von uns, der in unsere Welt hinausschaut, merkt sofort, wie
aktuell diese Botschaft ist. Wir leben in einer friedlosen Welt, in der
gefährliche Konflikte, Kriege und unerhört brutale Terrorakte zunehmen.
In dieser Welt werden Friedensstifter und Friedenstifterinnen
gesucht und gebraucht wie selten zuvor.
I. Die Seligpreisung „Selig, die Frieden stiften!“ passt sehr gut zu der
„Woche des Gebets für die Einheit der Christen“, welche wir in der
letzten Woche begangen haben. Das Motto dieser Woche lautete:
„Die Liebe Christi drängt uns; lasst euch versöhnen!“ Zum Friedenstiften
und zur Versöhnung mahnen muss man leider nicht nur
in der Welt, sondern auch uns Christen. Wir begehen in diesem Jahr
500 Jahre seit Beginn der Reformation, 500 Jahre seit den Ereignissen,
welche durch Schuld auf beiden Seiten die Spaltung der westlichen
Christenheit eingeleitet haben. Eine Spaltung, die mitten
durch unser Volk und auch mitten durch unsere Familien hindurch
geht. Eine Spaltung, die schon viel Unheil, ja Kriege gebracht hat.
44 Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg
Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg 45
Da kann man nur sagen: 500 Jahre – das
ist genug! „Lasst euch versöhnen!“ Dieser Aufruf hat beim
Apostel Paulus zwei Akzente.
Zunächst einen positiven: Gott hat uns bereits versöhnt. Er ist uns
zuvor gekommen und hat den ersten Schritt getan. Er hat uns in seiner
unendlichen Liebe einen starken Retter gesandt, seinen eigenen
Sohn. Er hat am Kreuz die Arme ausgebreitet, um uns alle zu umarmen
und uns alle zu versöhnen. Er hat an Pfingsten seinen Heiligen
Geist über uns allen ausgegossen und im Heiligen Geist durch die
eine Taufe Katholiken, Evangelische und Orthodoxe zu seinen Söhnen
und Töchtern und uns zu Brüdern und Schwestern gemacht.
Die eine Taufe auf Jesus Christus verbindet katholische, evangelische
und orthodoxe Christen schon heute. Wir sind durch die eine
Taufe in einer fundamentalen Weise schon eins. Wir glauben an den
einen Gott, den einen Herrn Jesus Christus und sind im Heiligen
Geist durch die eine Taufe miteinander verbunden. Das ist ja auch
unsere Erfahrung. Der wahre Graben verläuft ja längst nicht mehr
zwischen Katholiken und Protestanten, sondern zwischen denen,
die an Christus glauben und diesen Glauben leben, und denen, die
keine Christen sind und manchmal sich zu keiner Religion bekennen.
Leider haben wir die Botschaft, dass Gott uns versöhnt hat, oft
vergessen. So begehen wir das Reformationsgedächtnisjahr in der
Dankbarkeit, dass uns Gottes Geist durch die ökumenische Bewegung
wieder daran erinnert hat: Was uns eint, ist weit mehr, als
was uns trennt. Er hat uns in den letzten 50 Jahren seit dem Konzil
angeregt, viele Schritte auf dem gemeinsamen Weg zur vollen Einheit
zu gehen und gemeinsam Zeugen, Zeichen und Werkzeuge des
Friedens und der Versöhnung zu sein in einer sehr unversöhnten,
friedlosen Welt.
Die ökumenische Bewegung ist – so hat es das Konzil gesagt – ein
Geschenk des Heiligen Geistes für die Kirche. Er ist der Protagonist
der Ökumene, sozusagen der erste und hauptsächliche Ökumeniker.
Er hat uns dazu geführt, zu erkennen, dass wir nicht Feinde sein
müssen, sondern Freunde sein können, und es inzwischen auch
sind. Wir stehen nicht mehr dort, wo wir im 16. Jahrhundert waren.
Wir sind nicht mehr in einer Situation, wo es auseinander geht, sondern
auf dem Weg zueinander und miteinander.
Das ist kein Weg, auf dem wir unsere Identität als katholische Christen
aufgegeben haben und aufgeben sollen. Im Gegenteil, Ökumene
führt nicht zur Verarmung, sondern zu Bereicherung, nicht zu weniger
Katholisch-sein, sondern zu mehr Katholisch-sein. Wir können
und dürfen voneinander lernen. Der Papst hat es bei einem Besuch
in Lund in Schweden gesagt: Wir haben durch die Begegnung mit
den evangelischen Brüdern und Schwestern gelernt, das Wort Gottes
in der Heiligen Schrift mehr und tiefer zu schätzen. Und sie vielleicht
von uns, die Bedeutung der Liturgie besser zu verstehen, denn
Gott spricht ja nicht nur durch Worte, sondern durch Zeichen und
Gesten. Wir sind beide reicher geworden. Seien wir also dankbar für
46 Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg
Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg 47
das, was uns zugewachsen und geschenkt worden ist.
II. Das Motto der diesjährigen Woche für die Einheit der Christen
setzt noch einen zweiten Akzent. Der Apostel Paulus sagt, wir seien
Diener der Versöhnung. Oder mit den Worten des Evangeliums: Wir
seien Friedenstifter.
Wir sind noch nicht am Ziel, sondern haben sozusagen erst die
Hälfte des Weges hinter uns. Wir haben festgestellt: Manche Verurteilungen
des 16. Jahrhunderts waren Missverständnisse; andere
treffen den heutigen Partner nicht mehr. Aber es sind noch Fragen
offen, ernsthafte Fragen. Fragen der Sakramente, der Ämter, der Marien-
und der Heiligenverehrung. Zwar gibt es Annäherungen, aber
noch keinen vollen Konsens. Es gibt leider auch neue Fragen, die es
im 16. Jahrhundert noch nicht gab, vor allem ethische Fragen, die
mitten in das Leben eingreifen. Man darf nicht so tun, als sei alles
schon gelöst. Leider ist das nicht der Fall.
Doch Diener der Versöhnung und Friedensstifter sollen nicht nur
Papst und Bischöfe, nicht nur theologische Experten sein; jeder ist
durch Taufe und Firmung gerufen, an seinem Platz seinen Dienst zu
tun. Die Ökumene fängt im Alltag an. Bei freundlicher Begrüßung,
mit einem aufmerksamen oder auch einfühlsamen Wort. Und bei
der Bereitschaft, vom eigenen Glauben und der Schönheit des Glaubens
zu erzählen – auch bei einem gemeinsamen Essen.Beim gemeinsamen
Essen löst man, wie wir wissen, viele
Probleme. Dazu kommt die Zusammenarbeit in den praktischen
Problemen und Herausforderungen heute. Auch durch gemeinsames
Tun wächst man zusammen.
Ich war im Ausland stolz, als evangelische und katholische Christen
bei der Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge so selbstverständlich
zusammengearbeitet haben und an einem Strang gezogen haben,
und es weiterhin tun. Danke für dieses eindrucksvolle Zeugnis
christlicher und ökumenischer Solidarität. In Italien ist Ähnliches
geschehen und noch im Gang. Da hat man in ökumenischer Zusammenarbeit,
aber auch in Zusammenarbeit mit den zivilen Stellen,
humanitäre Korridore geschaffen, damit Menschen nicht auf ver-
brecherische Schleuser angewiesen sind und nicht in überfüllten
Booten die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer unternehmen
müssen. Der Papst hat mehrfach seine Anerkennung, seinen Dank
und sein Wohlwollen für solchen Einsatz öffentlich zum Ausdruck
gebracht. Er ist ja selbst nach Lampedusa und Lesbos gefahren, um
in Europa die Gewissen der Menschen aufzurütteln.
Nun habe ich aber das Wichtigste noch gar nicht gesagt. Die volle
Einheit der Christen können wir schwachen Menschen nicht einfach
machen. Man kann sie nicht organisieren. Es geht um tiefe Überzeugungen
in den Herzen der Menschen. Die Einheit kann nur der
Geist Gottes bewirken. Er hat Zugang zu den Herzen, kann sie von
innen bewegen, zu Umkehr bewegen und Liebe, die zur Versöhnung
drängt, erwecken. Darum hat das Konzil gesagt: Das Herz und die
Seele der Ökumene ist die geistliche Ökumene.
Wir sollten uns noch viel mehr zum gemeinsamen Lesen und Betrachten
der Heiligen Schrift treffen, uns erfüllen lassen von dem
Geist des Evangeliums und leiten lassen vom Wort Gottes. Wir
sollen vor allem beten und uns das Gebet Jesu am
Abend vor seinem Leiden zu eigen
machen:
48 Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg
Kardinal Walter Kasper – Predigt im Dom zu Bamberg 49
Vater, ich bitte dich, „dass alle eins seien“. Beten für die Einheit, das
können auch solche, die im öffentlichen Leben nicht mehr aktiv
dabei sein können wie ältere und kranke Menschen. Dieses Gebet
brauchen wir. Wenn wir im Gebet verbunden sind, dann muss es
auch eine Ökumene der Barmherzigkeit und der Vergebung geben.
Wir alle leben aus der Barmherzigkeit Gottes, wir müssen sie uns
auch zwischen den Kirchen zukommen lassen. Wir können uns doch
nicht Fehler, auch grobe Fehler, der Vergangenheit noch heute vorhalten.
Wir haben beide Fehler gemacht. Seien wir barmherzig miteinander.
Lassen wir uns von der Liebe Christi gedrängt versöhnen.
Beten wir also:
Ich bin überzeugt: Wenn wir uns in diesem Geist weiter auf den Weg
machen, dann können wir das Ziel gar nicht verfehlen. Kardinal Marx
hat vor kurzem geäußert, er hoffe, die Einheit noch zu erleben. Nun,
er ist noch jung, immerhin 20 Jahre jünger als ich. Wenn man schon
etwas über 80 ist, dann ist nicht mehr allzu viel Luft nach oben. Aber
auch mit bald 84 habe ich allerdings noch Hoffnung. Hoffnung für
die Kirche, für die Ökumene und fürs neue Jahr 2017 wünsche ich
auch Ihnen. Behüt‘ Sie Gott!
Amen.
Komm Heiliger Geist, der Leben schafft,
erfülle uns mit deiner Kraft.
Ohne dein lebendig Weh‘n,
nichts im Menschen kann besteh‘n.
Was beflecket, mache rein,
Dürrem flösse Leben ein,
heile du, wo Krankheit quält
Wärme, was kalt und hart,
löse, was in sich erstarrt
lenke, was den Weg verfehlt.
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