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Praxis Schulpsychologie

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Schwerpunktthema<br />

<strong>Praxis</strong> <strong>Schulpsychologie</strong> · Ausgabe 8 · Dezember 2016<br />

Kluge Köpfe entdecken – beflügeln – fördern<br />

Hochbegabtenberatung<br />

Schulpsychologische Hochbegabtenberatung bedeutet, die<br />

Bedürfnisse der hochbegabten Schülerinnen und Schüler ernst<br />

zu nehmen, Lehrer und Eltern am aktuellen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisstand orientiert zu beraten und mit den Schulen an<br />

den Voraussetzungen für eine optimale Förderung der kognitiven<br />

und persönlichen Entwicklung dieser Kinder zu arbeiten.<br />

Bis Eltern die schulischen Probleme ihrer hochbegabten Kinder<br />

verstärkt zum öffentlichen Thema machten, war die Pädagogik<br />

davon ausgegangen, dass nur hochbegabt sei, wer zu den Leistungsbesten<br />

gehöre. Entsprechend selten kam es bis zum Ende<br />

der 1980er-Jahre zu Fallanfragen in der <strong>Schulpsychologie</strong>.<br />

Hochbegabung = Hochleistung?<br />

Dann aber wurde von Elternvereinen das Gegenteil propagiert:<br />

Hochbegabte Schüler seien durch ihre Andersartigkeit geradezu<br />

dafür prädestiniert, im herkömmlichen Schulsystem zu versagen<br />

und zu Außenseitern zu werden. Die Forschung hatte hierzu<br />

auch nur widersprüchliche Aussagen zu bieten, je nachdem ob<br />

die Hochbegabten nach Lehrerurteil ausgewählt wurden oder<br />

der Klientel von Hochbegabtenberatungsstellen entstammten.<br />

Gewissheit in dieser Frage konnte es nur geben, wenn die Daten<br />

in einer repräsentativen Hochbegabtenstichprobe erhoben und<br />

mit Daten durchschnittlich Begabter verglichen werden konnten.<br />

Beide Voraussetzungen erfüllte die Marburger Längsschnittstudie<br />

(Rost 1993, 2000). Aus der zufällig ausgewählten Gesamtheit<br />

von 7023 Grundschulkindern aus 3. Klassen wurden<br />

151 Kinder mit einem IQ ≥ 130 – das allgemein verwendete<br />

Hochbegabungskriterium – ermittelt und einer parallelisierten<br />

Vergleichsgruppe durchschnittlich Begabter gegenüber gestellt.<br />

Die gleiche Prozedur wurde in der 9. Klasse wiederholt und<br />

durch Daten aus einer Stichprobe hochleistender Schülerinnen<br />

und Schüler ergänzt.<br />

Forschungsergebnisse zur Situation<br />

hochbegabter Kinder<br />

Die Ergebnisse entsprachen nicht den Erwartungen der betroffenen<br />

Eltern und wurden zunächst vehement angezweifelt. In<br />

der Marburger Studie ergaben sich keine empirischen Evidenzen<br />

für eine verstärkte Problemlage hochbegabter Schülerinnen<br />

und Schüler. Weder schulische noch soziale oder psychische<br />

Schwierigkeiten treten im Vergleich zu durchschnittlich Begabten<br />

gehäuft auf. Insgesamt gibt es wenig Unterschiede zwischen<br />

hochbegabten und durchschnittlich begabten Kindern. Treten<br />

Unterschiede auf, sind die Effekte zumeist klein und fallen in<br />

fast allen Fällen zugunsten der hochbegabten Kinder aus. Vieles<br />

spricht also für das Konzept einer inklusiven Begabtenförderung<br />

– einem Ansatz, den Hessen seit 2004 verfolgt – und<br />

nicht für die Notwendigkeit einer regelhaften Einrichtung von<br />

Spezialschulen.<br />

Bis auf eine relativ kleine Gruppe, die sogenannten „Underachiever“,<br />

durchlaufen die meisten Hochbegabten die Schule ohne<br />

gravierende Auffälligkeiten, gehören aber nicht unbedingt zu<br />

den hochleistenden Schülerinnen und Schülern. Vergleicht man<br />

hochleistende Schülerinnen und Schüler mit einer Durchschnittsnote<br />

von 1,0 bis 1,4 und Hochbegabte, beträgt die Schnittmenge<br />

zwischen beiden Gruppen nur zwölf Prozent (Rost, 2000).<br />

Bei einer optimalen Förderung Hochbegabter in den Regelschulen<br />

müsste dieser Prozentsatz aber wesentlich höher liegen.<br />

Besonderheiten in der Beratung hochbegabter<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

Unterforderung und Langeweile gehören neben Fragen zur Schullauf<br />

bahn, zu Fördermöglichkeiten und Verhaltensproblemen zu<br />

den häufigsten Vorstellungsgründen in der Beratung. Nur ungefähr<br />

ein Drittel der Kinder, die mit der Frage einer Hochbegabung<br />

in Beratungsstellen vorgestellt werden, erweisen sich aber tatsächlich<br />

als hochbegabt. Ob die Begabungsvermutung zutrifft,<br />

ist nicht ganz unabhängig vom Beratungsanlass. Während Unterforderung<br />

und Langeweile die Diagnose einer Hochbegabung<br />

wahrscheinlicher machen, sprechen Verhaltens probleme eher<br />

dagegen. Es bestätigt sich damit die Erkenntnis aus der Marburger<br />

Studie, dass Hochbegabung allein noch kein Risikofaktor<br />

für psychische Auffälligkeit darstellt.<br />

Dennoch gehen Eltern, deren hochbegabte Kinder Probleme in<br />

der Schule haben, häufig von einer Kausalität aus, obwohl es<br />

sich richtigerweise um eine Koinzidenz handelt. Schuld hat demzufolge<br />

die Schule, die das Kind nicht richtig fördert. In den<br />

meisten Fällen verhält es sich aber anders: Kinder haben Verhaltensprobleme,<br />

nicht weil sie hochbegabt sind, sondern sie haben<br />

Verhaltensprobleme und sind hochbegabt.<br />

Finden Eltern die Annahme einer Hochbegabung in der Beratung<br />

nicht bestätigt, entfällt häufig deren entlastende Funktion. Um<br />

eigene Schuldgefühle wegen möglicher Erziehungsversäumnisse<br />

abzuwehren, zweifeln sie entweder das Testergebnis oder<br />

die Fachkompetenz des Beraters an. Auf diese Reaktion sollte<br />

der Berater vorbereitet sein und auf eine Entlastung im Sinne<br />

einer „Entschuldung“ der Eltern hin arbeiten. Die möglicherweise<br />

schmerzliche Wahrnehmung eigener Anteile ließe sich z. B.<br />

als Chance umdeuten, durch eigenes Handeln Einfluss nehmen<br />

zu können.<br />

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