Sozusagen grundlos vergnügt(ungekürzt)
Sozusagen grundlos vergnügt(ungekürzt)
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<strong>Sozusagen</strong> <strong>grundlos</strong> <strong>vergnügt</strong> (<strong>ungekürzt</strong>)<br />
Es gibt Begegnungen, die so intensiv sind, daß sie nicht ohne Folgen bleiben können. So ein<br />
Aufeinandertreffen war meine Begegnung mit Lydia Roeder in einer Galerie in Pankow. Ich<br />
las vor nicht so sehr vielen Zuhörern "Kein Ort. Nirgends" von Christa Wolf. Und da muß es<br />
wohl geschehen sein‐ die Idee zu einer Lesung im Lazarus‐ Hospiz war gezeugt und die<br />
Geburt folgte am 5. November vor einem voll besetzten Saal mit vielen aufmerksamst<br />
lauschenden besonderen Menschen. Sie waren nicht GRUNDLOS <strong>vergnügt</strong>, sie ließen sich<br />
bezaubern von einer Berliner Dichterin, von Mascha Kaleko.<br />
Ein kluges Embryo, das nicht auf die Welt wollte, aber doch am 7. Juni 1906 es mußte und<br />
zwar in Chrzanow als Golda Malka Aufen. 1914 zogen Mascha, die Mutter und die Schwester<br />
Lea, ja ‐eine Schwester hatte sie wohl, die sprach nie ungefragt ‐ nach Frankfurt/ Main. Ein<br />
Fremdling ist sie damals schon gewesen, ein Vaterkind, der Ferne zugetan und so erkor sie<br />
sich zur Heimat die Liebe und das schon 1925 und nun in Berlin, als eine kesse Berliner Göre.<br />
Denn Mascha lernte sehr schnell den Dialekt, sah viel jünger aus und war sehr hübsch. Kein<br />
Wunder, daß sie viele Verehrer hatte. Am 31. Juli heiratete sie den Philologen Saul Aron<br />
Kaleko. Aber sie wußte auch ‐ Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen. Schnell eroberte<br />
sich Mascha Kaleko die literarische Szene ‐ trat in dem "KÜKA" mit ihren alltäglich nicht<br />
alltäglichen Gedichten dort auf der Bühne vor die Menschen und bezauberte die Avangarde<br />
Berlins in den zwanziger Jahren. Schon 1929 begann sie ihre Gedichte zu veröffentlichen.<br />
Nachdem in der " Welt am Montag" regelmäßig Gedichte von Mascha Kaleko erschienen,<br />
wurde der Rowolt‐ Verlag auf sie aufmerksam und die ersten Bücher lagen in den<br />
Schaufenstern‐ " Das Lyrische Stenogrammheft" und "Kleines Lesebuch für Große". Aber<br />
dann brachen die die Kathastrophen fast ihr glückliches Naturell, die Judenverfolgung nahm<br />
immense Ausmaße an. 1935 Ausschluß aus der Reichsschrifttumskammer ‐ Berufsverbot.<br />
Aber nicht nur das ‐ Warum werfen uns seelische Katastrophen nicht um‐ verliebte sie sich in<br />
den Musikschriftsteller und Dirigenten Chemjo Vinaver und bekam von ihm ein Kind, den<br />
überaus geliebten und später begabten Sohn Evjatar. Und nun mußte es schnell gehen ‐<br />
Scheidung und neue Eheschließung und Auswanderung nach New York‐ und sie lächelte über<br />
so manches vernarbte Ade. Aber ihre eigenen Worte halfen Mascha Kaleko sich in allem<br />
Fremden zurecht zu finden ‐ Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne / Und an das<br />
Wunder niemals ganz gewöhne.‐ Sie lernte schnell für Mann und Sohn Englisch ‐ und wann<br />
schrieb sie‐ denn es gibt aus dieser Zeit die liebevollst gedichteten Kinderverse über Tiere<br />
und Pflanzen und den ganzen Alltag, den sie zwar im Rat für Mädchen rigoros ablehnte, nun<br />
aber doch in ihm gefangen war. Täglich mußte sie mit ihrem Mann sein nächstes Konzert<br />
besprechen, dem geliebten Anderen, der immer ein Singular neben ihr blieb, dem sie aber<br />
mit all ihrer Liebe über viele schlaflose Nächte den tröstenden Morgenwind brachte und auf<br />
Reisen ihm eine Muschel mitgab zum Nachmirsehnen.<br />
Endlich 1955 ging sie wieder auf Reisen und sah sie wieder, jene Kastanien an der<br />
Uhlandstraße. Die Wälder sind verschwunden, die Häuser sind verbrannt. ... und als der
fremde Vogel schrie, bin ich davongerannt. Aber sie sah auch den kahlen Lindenbaum vor<br />
det Museum und wußte ‐ In Somma lebste. In Winter strebste. In Frieling werbste. Un denn,<br />
in eenen herben Herbste ‐sterbste. Aber ehe für sie das Sterbste in Frage kam, sollte Mascha<br />
Kaleko noch einen neuen Erfolg in Deutschland erleben und den Fontanepreis erst<br />
bekommen sollen dann ablehnen, denn aus der Hand eines ehemaligen Nazis den in<br />
Empfang zu nehmen, das war für sie nicht möglich. Es wurde sehr still um sie danach in<br />
Deutschland. 1962 zog man um nach Jerusalem. Sie lernte nie das Hebräsch zu sprechen<br />
und vereinsamte nach den Toden ihrer liebsten Menschen ‐ 1968 starb der überaus geliebte<br />
Sohn und 1973 ihr Du aus der einzig möglichen Ehe zweier Singulare ‐ Ihr Memento ‐ Vor<br />
meinem eigenen Tod ist mir nicht bang/ Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind./ Wie soll<br />
ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?.... den eigenen Tod , den stirbt man nur, / Doch mit<br />
dem Tod der anderen muß man leben. Leben hieß für Mascha Kaleko schreiben, eine große<br />
Anzahl Gedichte entstanden. Und das Heimweh‐ jene Sehnsucht nach vergangenen Jahren<br />
und auch nach einer alten Heimat ließ sie noch einmal nach Berlin reisen‐ Sie las im<br />
September 1974 in der Amerika‐ Gedenkbibliothek vor einem begeisterten Publikum, lief<br />
treu in Gedanken durch ihre vertraute Bleibtreustraße und verbarg ihre schlimme Krankheit<br />
vor den Freunden und sich selbst. Der Magenkrebs verschlimmerte sich schnell und so<br />
mußte sie in ein Krankenhaus. Nicht mehr in Berlin, schon auf der Rückreise in Zürich starb<br />
Mascha Kaleko am 21. Januar.<br />
Mein schönstes Gedicht? oh ja, Mein schönstes Gedicht? / Ich schrieb es nicht./ Aus tiefsten<br />
Tiefen stieg es. / Ich schwieg es.<br />
Blanche Kommerell, am 30.11. 2011