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25 Jahre Literaturhaus Salzburg

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Haus der Abenteuer<br />

Karl-Markus Gauß<br />

Kaum dass ich lesen gelernt hatte, schaute ich<br />

schon das erste Mal im <strong>Literaturhaus</strong> vorbei.<br />

Als ich die zweite Klasse der Volksschule Mülln<br />

besuchte, erkor mich ein Bub, der in der Strubergasse<br />

wohnte, zu seinem Freund. Mehrfach hatte er mich<br />

schon aufgefordert, ihn zu besuchen, um „hinterm<br />

Haus“ mit ihm und seinen Gefährten zu spielen. Mein<br />

Revier aber war der Aiglhof, einen halben Kilometer<br />

südwärts, jene Siedlung kleiner Leute, die zu Beginn des<br />

Zweiten Weltkriegs für die Zuzügler aus Südtirol errichtet<br />

worden war und eine wohlgeordnete Welt für sich<br />

bildete. Lehen, das war für ein Aiglhofer Kind wie mich<br />

das raue Leben zwischen Wohnblöcken und Gstätten,<br />

auf denen sich die wilden Kerle trafen, um miteinander<br />

zu raufen oder einträchtig Zigaretten zu rauchen: ein<br />

abenteuerliches Reich voll unbeaufsichtigter Kinder.<br />

Eines Tages war es soweit, dass ich meinen Kameraden,<br />

der in der Schule oft getadelt wurde, für die fehlenden<br />

Bleistifte oder den reichlich vorhandenen Schmutz auf<br />

seinen Hosen und Schuhen, zuhause besuchte. Er wohnte<br />

in einem düsteren Klotz von Haus, dessen Tor in die<br />

Höllenfinsternis zu führen schien, und hinter dem Gebäude<br />

war der Boden schwarz, denn im Nachbarschuppen<br />

befand sich eine Kohlenhandlung. Gleich waren<br />

etliche ältere Kinder um mich, und sie führten mich zur<br />

Böschung, die vor der Trasse der Eisenbahnschienen lag,<br />

auf denen alle paar Minuten schwer beladene Güterzüge<br />

vorbeirumpelten. Um nicht als Muttersöhnchen zu<br />

gelten, musste ich die Mutprobe bestehen, nämlich zu<br />

den Schienen hinaufzusteigen und eine Schillingmünze<br />

auf das Gleis zu legen. Als eine einzelne Lokomotive<br />

ohne Waggons darüber gerollt war, war sie hauchdünn<br />

gepresst; lange habe ich sie mir als Trophäe aufbewahrt.<br />

Irgendwann am Nachmittag rief eine Frau nach meinem<br />

Freund, der mich in sein abweisendes, beängstigendes<br />

Haus mitnahm. Es war finster, viel Gerümpel stand auf<br />

den Gängen, und hinter jeder Tür schien eine ganze<br />

Familie zu hausen, so viele Stimmen, streitende und<br />

lachende, waren zu hören. Die Frau, die uns gerufen<br />

hatte, war die Mutter meines<br />

Kameraden, und als ich ihr artig<br />

die Hand reichte, wie ich das in<br />

meinem Viertel gelernt hatte,<br />

lachte sie verwundert auf. Aber<br />

sie deutete auf den Tisch, auf dem<br />

ein Teller stand mit vier Scheiben<br />

Schwarzbrot, dick mit gelber<br />

Butter bestrichen. Ich verließ den<br />

Eizenbergerhof, von dem ich erst<br />

viele <strong>Jahre</strong> später erfuhr, dass er<br />

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