bio_Jänner 17_BIO-Schmäh
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Genuss<br />
Alles eh nur<br />
Bio-Schmäh?<br />
Die Vorurteile rund um Bio-Produkte<br />
sind hartnäckig, das Halbwissen und die<br />
Ressentiments allerdings auch.<br />
Was ist also wirklich Sache? Wir haben<br />
Experten zu den gängigsten vorgefassten<br />
Meinungen befragt.<br />
Wir alle kennen die eine oder andere Stammtisch-<br />
Meinung: <strong>bio</strong> ist ohnehin nur Schmäh, <strong>bio</strong> ist<br />
teuer, <strong>bio</strong>-Gemüse schmeckt nach nichts und ist<br />
dafür umso runzeliger, <strong>bio</strong>-Menschen tragen nur<br />
Jutekleidung und Holzschlapfen,...<br />
Die Liste der Vorurteile gegenüber <strong>bio</strong> ist lang und – Hand aufs<br />
Herz – wer wäre nicht auch schon einmal darauf hereingefallen<br />
oder in Erklärungsnotstand geraten, wenn solche Klischees auf<br />
den Tisch kommen?<br />
4<br />
<strong>bio</strong> - Nr. 01/20<strong>17</strong>
Genuss<br />
Was Ausdrücke wie naturnah, naturident, naturbelassen etc.<br />
betrifft, so haben sie mit „<strong>bio</strong>“ nichts zu tun. Aber: „Bio-Lebens -<br />
mittel sind eindeutig an den drei Formulierungen ‚aus (kontrolliert)<br />
<strong>bio</strong>logischem (ökologischem) Anbau‘, ‚aus (kontrolliert) <strong>bio</strong>logischem<br />
(ökologischem) Landbau‘ und ‚aus (kontrolliert) <strong>bio</strong>logischer<br />
(ökologischer) Landwirtschaft‘ erkennbar“, heißt es vonseiten<br />
des Instituts für Bioforschung Austria. Ein weiteres Kenn -<br />
zeichen von Bio-Lebensmitteln ist die Prüfstellennummer auf<br />
der Verpackung (z. B. AT-W-03-<strong>BIO</strong> – wobei die ersten drei Kürzel<br />
für den Sitz und die Nummer der Kontrollstelle stehen.) Auch<br />
nicht unwichtig zu wissen: Damit ein Bio-Lebensmittel sich „<strong>bio</strong>“<br />
nennen darf, müssen 95 Prozent der Produktion aus <strong>bio</strong>logischer<br />
Landwirtschaft stammen.<br />
ALLE SPRITZEN PFLANZENSCHUTZMITTEL?<br />
So weit, so gut, doch was ist mit dem Vorurteil, dass Bio-Bauern<br />
in Wirklichkeit auch Pflanzenschutzmittel spritzen? „In der<br />
konventionellen Landwirtschaft sind nahezu 1.000 verschiedene<br />
Pflanzenschutzmittel in Österreich erlaubt, doch nur 20 davon<br />
sind in der <strong>bio</strong>logischen Landwirtschaft zugelassen, wobei es<br />
sich hier großteils um natürliche Substanzen handelt“, erklärt<br />
Claus Holler, der bei Bio Austria für den Bereich Gesundheit und<br />
Ernährung zuständig ist. „Mittel, die häufig im Bio-Landbau eingesetzt<br />
werden, sind sogenannte natürliche Stärkungsmittel wie<br />
etwa die Brennnesseljauche. Diese Mittel stärken die Pflanzen<br />
auf natürliche Art und erhöhen dadurch auch ihre Resistenz<br />
gegen Schädlinge. Zudem wird dadurch das Bodenleben gestärkt<br />
und der Humusaufbau gefördert.“<br />
ZU VIELE <strong>BIO</strong>-SIEGEL?<br />
Sicher ist, dass <strong>bio</strong> nicht gleich <strong>bio</strong> und dass auch die Bio-Welt<br />
kein reines Idyll ist. Vieles von dem, was aber an Gerüchten über<br />
den „Bio-Schmäh“ kursiert, stimmt ganz einfach nicht. Trotzdem<br />
wird oft kritisiert – vielleicht sogar zu Recht –, dass es zu viele<br />
verschiedene Bio-Siegel gibt und dass der Konsument sich im<br />
Dschungel dieser Kennzeichnungen nicht orientieren kann.<br />
Tatsächlich stimmt es, dass nur ein Teil der zahlreichen Güte -<br />
siegel für Lebensmittel echte Bio-Qualität garantiert.<br />
FOTO: Ingimage<br />
UNWÜRDIGE TIERHALTUNG UND -TRANSPORTE?<br />
Pflanzen werden in der Biolandwirtschaft also großteils nur<br />
natürlich gedüngt, doch wie sieht es z.B. mit dem Futter in der<br />
Fleischproduktion aus? Gegner von „<strong>bio</strong>“ argumentieren oft da -<br />
mit, dass Bio-Fleisch zwar weitgehend anti<strong>bio</strong>tika- und hormonfrei<br />
ist, dass es aber auch in Bio-Betrieben Massentier haltung<br />
und unwürdige Tiertransporte gibt. Die Haltungsbedingungen<br />
auf Bio-Betrieben – ganz im Gegensatz zu jenen in großen konventionellen<br />
Mastbetrieben – können praktisch von jedermann<br />
vor Ort beobachtet werden. „Zudem hält ein kontrollierter Bio-<br />
Betrieb nur so viele Tiere, wie ausreichend mit <strong>bio</strong>logischem<br />
Futter des eigenen Betriebs ernährt werden können und denen<br />
praktisch das ganze Jahr Auslauf geboten werden kann“, sagt<br />
Holler und ergänzt: „Beim Transport der Tiere wird immer der<br />
nächstmögliche Bio-Schlachtbetrieb angefahren.“ ‰<br />
Nr. 01/20<strong>17</strong> - <strong>bio</strong> 5
Genuss<br />
DÜNNER GESCHMACK, SCHNELLE VERDERBLICHKEIT?<br />
Viele „Bio-Vorurteile“ betreffen auch den angeblich „dünneren“<br />
Geschmack oder die schlechtere Haltbarkeit von Bio-Obst und -<br />
gemüse. Was Ersteres betrifft, so zeigt sich in Verkostungstests<br />
immer wieder, dass Bio-Lebensmittel besser abschneiden. „Das<br />
liegt auch daran, dass chemisch-synthetische Düngemittel den<br />
Geschmack negativ beeinflussen. Besonders bei Karotten und<br />
Kartoffeln erweisen sich mäßig gedüngte Proben als aromatischer“,<br />
sagt Holler. „Hinzu kommt, dass Bio-Früchte langsamer<br />
wachsen, weniger Wasser enthalten und daher über höhere<br />
Trockensubstanzgehalte verfügen. Auch das wirkt sich positiv<br />
auf den Geschmack aus.“ Übrigens: Tiere bevorzugen in Fütte -<br />
rungsversuchen eindeutig Lebensmittel aus <strong>bio</strong>logischer Land -<br />
wirtschaft.<br />
Trotzdem: Bio-Obst und -gemüse sieht eben manchmal nicht so<br />
hübsch aufpoliert aus wie konventionelle Produkte und viele<br />
monieren auch, dass es schneller verdirbt. Tatsächlich scheint<br />
das zu stimmen, doch Experten werten dies eher als positiv, da<br />
im Bio-Bereich künstliche Konservierungs- und Farbstoffe sowie<br />
Geschmacksverstärker weitgehend verboten sind und Bio-Pflan -<br />
zen eben in natürlichem Boden wachsen müssen. Diese natürliche<br />
Zusammensetzung des Bodenlebens befindet sich dann in<br />
ähnlicher Form auch in der Pflanze, wodurch wir wiederum dieses<br />
„Leben“ über die Lebensmittel aufnehmen.<br />
<strong>BIO</strong> IST TEUER?<br />
Bleibt das ewige Argument, dass sich der Durchschnittsmensch<br />
<strong>bio</strong> nicht (immer) leisten kann, weil es definitiv teurer ist. Das<br />
stimmt zwar auf den ersten Blick, aber: „Bio-Landbau erhält die<br />
Ressourcen für die nachfolgenden Generationen. Diese ökologischen<br />
und sozialen Folgekosten sind in den Preisen konventionell<br />
produzierter Lebensmittel nicht enthalten. Bedenkt man aber<br />
die Umweltreparaturkosten, die für die Sanierung nach intensiver<br />
industrieller Bewirtschaftung anfallen, so sind die Produkte<br />
aus <strong>bio</strong>logischer Landwirtschaft deutlich kostengünstiger als<br />
Lebensmittel aus konventioneller Landwirtschaft. Letztlich<br />
geben die Preise von Lebensmitteln heute nur einen beliebigen,<br />
eher zufälligen Teil der tatsächlichen Herstellungs-, Nutzungsund<br />
Beseitigungskosten wieder“, meint Holler.<br />
<strong>BIO</strong> GIBT’S NICHT ÜBERALL?<br />
Demnach könnten und sollten wir uns <strong>bio</strong> also leisten, doch die<br />
„mangelnde“ Verfügbarkeit von Bio-Produkten macht den Ein -<br />
kauf nicht immer leicht. In (Bio)-Supermärkten, Drogerien, Natur -<br />
kostläden oder Reformhäusern finden sich passende Produkte<br />
auf jeden Fall. Doch auch in vielen Bäckereien, Fleischereien, auf<br />
Bauernmärkten und nicht zuletzt im Ab-Hof-Verkauf ist das<br />
Angebot durchaus groß. Und: Bio Austria hat eine Online-Bio-<br />
Suchmaschine eingerichtet. Dort können Bio-Produzenten in
Genuss<br />
ganz Österreich – nach Produkten getrennt – gezielt gesucht und<br />
direkt vor Ort erstanden werden – www.<strong>bio</strong>maps.at. Im Übrigen<br />
ist Österreich das Bio-Land Nummer eins. Mehr als 20 Prozent<br />
der landwirtschaftlichen Fläche werden <strong>bio</strong>logisch bewirtschaftet<br />
und mehr als 22.000 Bio-Bauern pflegen diese Flächen.<br />
<strong>BIO</strong> IST NUR EIN SCHNELLER TREND?<br />
Somit steht dem Bio-Konsum also in Österreich nicht allzu viel<br />
im Wege, doch wir hören zum Schluss auch noch die Stimmen<br />
derer, die meinen, dass „<strong>bio</strong>“ nur ein vorübergehender Trend ist,<br />
dem vor allem junge hippe Menschen folgen, und der bald ausgelaufen<br />
sein wird, wenn die nächste Hip-Welle kommt. Das dürfte<br />
definitiv nicht stimmen, denn – wie es von Seiten des Instituts<br />
für Bioforschung heißt – beträgt der Bio-Anteil im Lebensmittel -<br />
handel derzeit rund acht Prozent und steigt in Österreich.<br />
Warum immer mehr Menschen zu Bio-Produkten greifen, hat<br />
die AMA Marketing GmbH untersuchen lassen: Das mit Abstand<br />
wichtigste Kaufargument ist demnach die Erhaltung und För de -<br />
rung der Gesundheit – davon sind 90 Prozent der heimischen<br />
Bio-Konsumenten überzeugt und sie begründen das damit, dass<br />
<strong>bio</strong>logische Lebensmittel frei von Chemie und Gentechnik sind.<br />
Das zweitwichtigste Kaufmotiv ist der „bessere Geschmack“ und<br />
an dritter Stelle das „beruhigte Gewissen“, weil man durch Bio-<br />
Produkte die Umwelt und die heimischen Bauern unterstütze.<br />
Lassen also auch Sie sich „<strong>bio</strong>“ nicht schlechtreden!<br />
n<br />
FOTO: Wilke<br />
Ein Dolmetsch in<br />
Ernährungsfragen<br />
„Die Stimme der Vernunft gerät in der Debatte<br />
rund um Ernährungsstile, Essen und Trinken<br />
zunehmend in den Hinter grund. Anekdotisch<br />
und postfaktisch werden Lebensmittel dabei<br />
in gesunde und ungesunde eingeteilt, Ängste<br />
und Unsicherheiten geschürt und die Freuden<br />
am Genuss minimiert. Widersprüche und<br />
Mythen bestimmen das Meinungsbild, sieben<br />
von zehn Konsumenten wissen nicht mehr,<br />
was und wem sie glauben sollen. Unser erklärtes Ziel ist es daher, den<br />
aktuellen Stand der Wissenschaft in Fragen der Ernährungsphysiologie,<br />
Lebensmittelqualität und Lebensmittelsicherheit für die Allgemeinheit<br />
verständlich aufzubereiten und die hoch emotionale Diskussion zu versachlichen“,<br />
so Marlies Gruber.<br />
Selbst bereits seit elf Jahren beim forum.ernährung heute, hat Gruber mit<br />
1. Jänner 20<strong>17</strong> die Geschäftsführung übernommen. Die gebürtige Ober -<br />
österreicherin löst in dieser Funktion DI Rudolf Fila ab, der sich in den<br />
Ruhestand zurückzog. Das forum. ernährung heute (f.eh) möchte dafür<br />
Dialog und Verstehen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Medien<br />
und Multiplikatoren fördern und gute Lösungen für die Praxis ermöglichen.<br />
Durch ein gesteigertes Wissen über Ernährung, Lebensmittel,<br />
Bewegung und Lebensstil können Konsumenten selbstbestimmter und<br />
eigenverantwortlicher entscheiden und handeln. Anzusetzen ist nicht erst<br />
bei den Erwachsenen. „Die Vorbildwirkung der Eltern ist grundlegend,<br />
doch Kindergärten und Schulen haben ebenso großen Einfluss auf das<br />
Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Kinder. Daher braucht es ein<br />
verstärktes Bildungsangebot für Essen und Trinken und Unterstützung der<br />
pädagogischen Einrichtungen. Hier werden wir künftig wieder stärker aktiv<br />
werden“, betont Gruber. Weitere Infos: www.forum-ernaehrung.at<br />
Nr. 01/20<strong>17</strong> - <strong>bio</strong> 7