Oktober 2001
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Oktober 2001
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Ausgabe<br />
3/01<br />
Uni<br />
der<br />
Martin-Luther-Universität<br />
Halle–Wittenberg<br />
WISSENSCHAFTS<br />
JOURNAL<br />
Hallesches Studentenleben<br />
in vergangener Zeit<br />
Dissertationen von Frauen an<br />
der halleschen Universität<br />
Aktuelle Wissenschaftsgeschichte<br />
in Acta Historica Leopoldina<br />
Christliche Unternehmer<br />
des 19. Jahrhunderts in Halle<br />
scientia halensis
Editorial<br />
Wilfried Grecksch .................................................................................................................. 2<br />
Theologische Fakultät<br />
Das Johannes-Lepsius-Archiv und die Armenologie<br />
Hermann Goltz .............................................................................................................. 7<br />
Die Theologische Fakultät Halle<br />
Theologie an einer so genannten »sozialistischen« Universität<br />
Friedemann Stengel ...................................................................................................... 9<br />
Christliche Unternehmer des 19. Jahrhunderts in Halle<br />
Ludwig Wucherer – Carl August Jacob – Carl Adolph Riebeck<br />
Sebastian Kranich ......................................................................................................... 26<br />
Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />
»... Erziehen und Unterrichten als eine eigene Kunst ...«<br />
Zur Geschichte der Pädagogik an der Universität Halle<br />
Berthold Ebert, Jessika Piechocki und Pia Schmidt ................................................. 5<br />
»... mit männlicher Gediegenheit der Gedanken geschrieben«<br />
Dissertationen von Frauen an der Universität Halle (1898–1933<br />
Edith Glaser ................................................................................................................... 20<br />
Fachbereich Geowissenschaften<br />
Geowissenschaftliche Universitäts-Sammlungen<br />
Vom Naturalienkabinett zum »Universeum«<br />
Norbert Hauschke .......................................................................................................... 10<br />
Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften<br />
Gustav Schmoller und Johannes Conrad<br />
Nationalökonomie in Halle zwischen 1860 und Erstem Weltkrieg<br />
Peter Hertner .................................................................................................................. 15<br />
Fachbereich Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften<br />
Jüdische Gelehrte an der Universität Halle<br />
Deutung und Definition<br />
Giuseppe Veltri ............................................................................................................... 17<br />
Deutsche Burgenvereinigung und Universität<br />
Aus der Arbeit der Landesgruppe Sachsen-Anhalt der Burgenvereinigung<br />
Irene Roch-Lemmer ...................................................................................................... 28<br />
Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften<br />
Vorläufer einer modernen Disziplin<br />
Auf den Spuren der Geschichte des Instituts für Zeitungswesen<br />
Cordula Günther ........................................................................................................... 19<br />
Fachbereich Ingenieurwissenschaften<br />
Technikwissenschaften<br />
Der Weg einer praktischen Disziplin zur Universität<br />
Wolfgang Fratzscher ..................................................................................................... 24<br />
Landwirtschaftliche Fakultät<br />
Historische Landnutzung<br />
Chronologische Analysen auf der Querfurt-Merseburger Platte<br />
Rolf Diemann und Oliver Arndt .................................................................................. 31<br />
Medizinische Fakultät<br />
Geschichte der Augenklinik zu Halle<br />
Vom Waisenhaus über den Domplatz in die Magdeburger Strasse<br />
Jutta Herde .....................................................................................................................33<br />
Zentrale Kustodie<br />
Hallesches Studentenleben<br />
Vergnüglicher Rückblick aufs jungakademische Treiben von einst<br />
Ralf-Torsten Speler ........................................................................................................ 3<br />
Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung<br />
Das »Schleiermacher-Haus«<br />
Ein geschichtsträchtiges Gebäude im Zentrum Halles<br />
Hans-Joachim Kertscher .............................................................................................. 22<br />
Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />
Universität und Leopoldina<br />
Aktuelle Wissenschaftsgeschichte in Acta Historica Leopoldina<br />
Wieland Berg und Sybille Gerstengarbe ..................................................................... 13<br />
Personalia .............................................................................................................................. 35<br />
Autorenadressen und Rätselfoto ......................................................................................... 36<br />
Titel: Wappenkartusche (Ausschnitt) aus dem Stammbuch des adligen Studenten Friedrich<br />
Freiherr von Printzen, geführt 1738–1740 Zentrale Kustodie Inv.-Nr. MLU-M 304<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Inhalt / Impressum<br />
...............................................................................<br />
I MPRESSUM<br />
1<br />
scientia halensis – Das Wissenschaftsjournal<br />
der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
Ausgabe 3/<strong>2001</strong>, 9. Jahrgang<br />
erscheint viermal im Jahr<br />
H ERAUSGEBER<br />
Der Rektor der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
R EDAKTION<br />
Dr. Monika Lindner, Ute Olbertz,<br />
Dr. Margarete Wein (Verantwortliche dieser<br />
Ausgabe)<br />
R EDAKTIONSBEIRAT (für scientia halensis –<br />
Universitätszeitung und Wissenschaftsjournal):<br />
Prof. Dr. Winfried Grecksch (Rektor),<br />
Prof. Dr. Dr. Gunnar Berg, Prof. Dr. René<br />
Csuk, Prof. Dr. Gernot I. W. Duncker,<br />
Dr. Frank Eigenfeld, Dr. Renate Federle,<br />
Dr. Roswitha Geiling, Prof. Dr. Siegfried<br />
Hoffmann, Prof. Dr. Manfred Lemmer,<br />
Dr. Monika Lindner, Ute Olbertz, Katrin<br />
Rehschuh, Prof. Dr. Hans-Joachim Solms,<br />
Dr. Ralf-Torsten Speler, Dr. Margarete Wein,<br />
Prof. Dr. Alois Wenig<br />
G RAFIK-DESIGN<br />
Barbara und Joachim Dimanski<br />
Dipl.-Grafik-Designer AGD/BBK<br />
A NSCHRIFT DER REDAKTION<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Rektorat<br />
Universitätsplatz 10, 06099 Halle (Saale)<br />
Telefon: (0345) 552 14 20/22/24,<br />
Fax: (0345) 552 70 82, 552 72 54<br />
E-Mail:<br />
m.lindner@verwaltung.uni-halle.de<br />
m.olbertz@verwaltung.uni-halle.de<br />
m.wein@verwaltung.uni-halle.de<br />
Internet: http://www.uni-halle.de<br />
LAYOUT<br />
Dr. Margarete Wein<br />
Jens Gerth (Umschlagseiten)<br />
D RUCKVORBEREITUNG & DRUCK<br />
satz & grafik GmbH Halle<br />
Union Druck Halle GmbH<br />
A NZEIGENPREISLISTE<br />
Nr. 1/<strong>2001</strong><br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />
oder des Herausgebers wieder.<br />
Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte<br />
oder Bilder keine Haftung.<br />
ISSN 0945-9529<br />
Die scientia halensis erscheint mit freundlicher<br />
Unterstützung der Vereinigung der<br />
Freunde und Förderer der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg e. V.
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
editorial<br />
................................................................................<br />
2<br />
EDITORIAL<br />
Wilfried Grecksch<br />
»Der Spiegel der Geschichte ist der beste<br />
Wahrsager«, weiß der deutsche Sprichwortschatz.<br />
Fakten der Gegenwart und<br />
Prognosen für die Zukunft sind stets Kinder<br />
und Enkel der Historie.<br />
An den Universitäten spielt Geschichte<br />
seit jeher eine große Rolle – einerseits als<br />
Wissenschaftsdisziplin, als professionelle<br />
Geschichtswissenschaft, andererseits aber<br />
als ein Mittel, sich der eigenen Ursprünge<br />
und Wurzeln zu versichern. Angehörige der<br />
Fakultäten und Fachbereiche, der Institute<br />
und Kliniken, der Bibliotheken, Sammlungen<br />
und Archive erkunden – in der Regel<br />
neben der eigenen wissenschaftlichen Arbeit<br />
– die Tradition der Einrichtung, der sie<br />
angehören, oder des Wissensgebietes, das<br />
sie bearbeiten. Dabei entstehen umfangreiche<br />
Untersuchungen für gesamte Epochen,<br />
aber auch Skizzen, die einen begrenzten<br />
Zeitabschnitt charakterisieren.<br />
Diese Ausgabe des Wissenschaftsjournals<br />
ist solchen vielfältigen geschichtlichen Untersuchungen<br />
und Projekten gewidmet. Die<br />
professionellen Geschichtswissenschaftler<br />
der Universität kommen in der Juli-Ausgabe<br />
2002 des Wissenschaftsjournals zu<br />
Wort, unmittelbar im Vorfeld des 44. Deutschen<br />
Historikertages, der im September<br />
2002 in Halle stattfinden wird.<br />
Es gibt kaum einen Bereich der Universität,<br />
in dem nicht historisch orientierte Arbeiten<br />
entstehen. Sei es aus dem persönlichen Interesse<br />
Einzelner für gewisse Facetten der<br />
Geschichte, sei es aus Anlass von Jubiläen<br />
oder anderen denkwürdigen Daten. So ist<br />
auch die Auswahl der Beiträge dieser Ausgabe<br />
keineswegs vollständig, manches Mal<br />
wohl eher zufällig. Es war aber das Anliegen<br />
des Herausgebers, die Vielfalt der Universität<br />
aufleuchten zu lassen. Sie finden<br />
neben einem Beitrag zum studentischen<br />
Leben viele Einzelabhandlungen zu halleschen<br />
Traditionen, deren Wirken teilweise<br />
bis in die Gegenwart reicht.<br />
Besonders hingewiesen werden soll auf die<br />
Tatsache, dass es in Halle bereits im Jahr<br />
1927 ein »Institut für Zeitungswesen« gab,<br />
dessen Geschichte zur Zeit von einer studentischen<br />
Projektgruppe erforscht wird<br />
und die über den momentanen Stand ihrer<br />
Untersuchungen berichtet.<br />
Möge dieses Periodikum das Interesse an<br />
unserer Universität vertiefen und als Anregung<br />
dienen, sich auch mit der Geschichte<br />
Ihres Bereiches vertraut zu machen.
HALLESCHES STUDENTENLEBEN<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Universitätsgeschichte<br />
VERGNÜGLICHER RÜCKBLICK AUFS JUNGAKADEMISCHE TREIBEN VON EINST<br />
Ralf-Torsten Speler<br />
Am 1. Juli 1694 wurde die Alma mater Halensis mit allem barockem Pomp und »Solennitäten«<br />
eingeweiht. Feierliche Prozessionen, glänzende Festakte mit schwungvollen Reden<br />
und üppige Bankette, denen schon 700 immatrikulierte hallesche Studenten beiwohnten,<br />
wechselten einander ab. Auf Grund der bereits seit 1680 bestehenden Ritterakademie und<br />
der Tatsache, wie es zahlreiche zeitgenössische Chronisten zu rühmen wissen, dass die<br />
Sprache der Bürger »zierlicher seye als zu Leipzig«, zogen viele Söhne des Adels und elegante<br />
Kavaliere an die junge Universität. Aber auch die Minderbemittelten und Armen fanden<br />
als Schüler und Studenten Aufnahme und Ausbildung in den weltberühmten Franckeschen<br />
Stiftungen zu Halle.<br />
Die Hallesche Pfännerschaft und das Regiment<br />
des »Alten Dessauers« förderten im<br />
18. Jahrhundert ein buntes und zuweilen<br />
turbulentes Leben in der Saalestadt. So rotteten<br />
sich die Studiosi auf den Ruf »Burschen<br />
heraus« zusammen, um einem Kommilitonen<br />
gegen die gewaltsamen Übergriffe<br />
der Werber beizustehen. Die Halloren –<br />
von den Studenten auf Grund der gleichen<br />
sozialen Lage »Schwager« genannt – retteten<br />
oft Studenten zu sich ins »Thal«, wohin<br />
ihnen die Häscher des »Berggerichts«,<br />
das heißt, der übrigen Stadt, nicht folgen<br />
durften, oder brachten sie im benachbarten<br />
Ausland (Sachsen) in Sicherheit.<br />
Ein Hoch auf die »Bierehrlichkeit«!<br />
Zum Schutz gegen die Übergriffe des Militärs<br />
schlossen sich im Jahr 1717 nachweisbar<br />
hallesche Studenten erstmals zu Landsmannschaften<br />
zusammen. In Kaffee- und<br />
Bierdörfern, wie Passendorf und Schlettau,<br />
sowie in den in Sachsen gelegenen »Exkneipen«<br />
in Reideburg und Döllnitz wurde<br />
laute studentische Geselligkeit gepflegt.<br />
Scharen hallescher Burschen, die Goethe<br />
»leidenschaftlich fordernde Jünglinge«<br />
nannte, zogen zu Fuß, zu Ross oder auf<br />
Wagen nach Bad Lauchstädt, um dort die<br />
Weimarische Theatergruppe unter Goethe<br />
erleben zu können, was sonst nur den<br />
Weimarern und Jenenser Studenten vergönnt<br />
war. Aber zum Entsetzen der Kurgäste<br />
brachte man »Leben« in die Brunnenpromenade.<br />
In Kollet (= bequeme Kleidung)<br />
und »Kanonen« (= Schaftstiefel), die<br />
typisch lange Studentenpfeife rauchend,<br />
provozierte man die Philister.<br />
Auch im »Saalathen«, so der liebevolle<br />
Scherzname der halleschen Musensöhne<br />
für ihre Stadt, ging es recht »burschikos«<br />
und »bierehrlich« zu, um in der Studentensprache<br />
des 18. Jahrhunderts zu bleiben.<br />
So nahmen sich die Studenten das Recht,<br />
ungebeten bei Festlichkeiten der Bürger zu<br />
erscheinen, die schließlich in wilden Raufereien<br />
endeten. Die Studiosi stellten artigen<br />
Bürgermädchen nach und rempelten jeden<br />
Passanten, der ihnen nicht aus dem Weg<br />
ging, an. Mit Vorliebe wurden Offiziere des<br />
Regiments »Alt-Anhalt« vom »breiten<br />
Stein« gestoßen. Dieser barsche Studentenbrauch<br />
wurde 1825 durch eine Strophe in<br />
»O alte Burschenherrlichkeit« von Eugen<br />
Höfling in ganz Deutschland bekannt.<br />
Das liederliche Leben im Lied<br />
Gewaltige »Kneipereien« fanden im »Grünen<br />
Hof«, im »Goldenen Pflug«, im »Krug<br />
zum Grünen Kranze« und in der »Gosenschänke«<br />
statt. Seitdem gibt es ironische,<br />
derbe, satirische, geistreiche oder sentimentale<br />
Lieder und Gedichte aus und über Halle,<br />
die das vermeintlich typisch hallesche Studentenleben<br />
charakterisieren. Der wohl bekannteste<br />
akademische Cantus – »Gaudeamus<br />
igitur« – wurde in der heute noch gebräuchlichen<br />
Form vom halleschen Magister<br />
Christian W. Kindleben (1748–1785)<br />
»umgeschmelzt, weil die Poesie, wie in den<br />
meisten Liedern dieser Art, sehr schlecht<br />
war« – so der Autor in einer Anmerkung<br />
zu seinen »Studentenliedern«: »Aus den<br />
...............................................................................<br />
hinterlassenen Papieren eines unglücklichen<br />
Philosophen Florido genannt, gesammelt<br />
und verbessert von C.W.K. 1781«.<br />
Damit hatte die Geburtsstunde des akademischen<br />
Liederbuches geschlagen. Es gilt<br />
als das älteste gedruckte Kommersbuch<br />
(Trinkliederbuch). Diese in Halle entstandene<br />
Sammlung von 63 Studentenliedern enthält<br />
sieben Dichtungen von Kindleben und<br />
drei von einem Anonymus, die direkt auf<br />
Halle Bezug nehmen: »Brüder nützt das<br />
freye Leben«, »Ecce quam bonum«, »Ach<br />
Dorchen, ich muß scheiden«, »Mein Halle,<br />
lebe wohl«, »Alles eilt zu seinem Ende«,<br />
»Die Rolle ist gespielt« und »Nun Halle,<br />
gute Nacht« und von einem Anonymus<br />
»Ermuntert Euch, ihr Brüder«, »Pro Salute«<br />
und »Vita nostra sit vitalis«. In den letzten<br />
beiden Carmina und in »Brüder nützt das<br />
Ein altes Sprichwort beschreibt das<br />
hallesche Studentenleben so:<br />
»Wer aus Leipzig kommt unbeweibt<br />
und aus Halle unbekneipt<br />
und aus Jena ungeschlagen,<br />
hat von großem Glück zu sagen.«<br />
freye Leben« ist für die Universitätsstadt<br />
das Synonym Saline bzw. lateinisch Salina<br />
verwendet worden.<br />
Bemerkenswert ist, dass das unzüchtige<br />
Studentenlied »Ecce quam bonum« erst<br />
von Kindleben singbar gemacht wurde. So<br />
lautet die hallesche Strophe recht artig:<br />
»Sagt mir doch, wo Halle liegt? / Halle liegt<br />
im Thale, / Wo man bald ein Mädchen<br />
kriegt, / An der lieben Saale«.<br />
Liebesszene eines halleschen Studenten mit seiner Wirtin. Der gehörnte Ehemann schaukelt »sein«<br />
Kind. Stammbuchseite von Friedrich August Nicolai, 3. März 1776<br />
Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt<br />
3
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Universitätsgeschichte<br />
................................................................................<br />
4<br />
Magister, Gastwirte und Professoren<br />
Der durch Trunk, Ausschweifungen und<br />
übles Auftreten bekannte Kindleben, war,<br />
wenn auch auf seltsame Art und Weise, seit<br />
dem 19. April 1781 für kurze Zeit Mitglied<br />
der Philosophischen Fakultät in Halle. Er<br />
veröffentlichte im gleichen Jahr anonym<br />
sein Studentenlexikon, das von den akademischen<br />
Behörden wegen seines angeblich<br />
anstößigen Inhalts konfisziert wurde und<br />
heute nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden<br />
ist.<br />
Johann Christian Günther (1695–1723),<br />
vormals Student in Wittenberg, hatte das<br />
»Gaudeamus igitur« als erster im Jahre<br />
1717 unter dem Titel »Brüder laßt uns lustig<br />
sein« ins Deutsche übersetzt.<br />
Karzerdarstellung vom späteren Literaturprofessor<br />
Rudolf Haym, der als Student 1841<br />
seine Arrestzelle im Löwengebäude mit dem<br />
Hinweis zeichnete hat: »... war hier wiederum<br />
zu Unrecht eingesperrt«.<br />
Foto: Zentrale Kustodie<br />
Der hallesche Buchhändler und Philologe<br />
Gustav Schwetschke (1804–1881), schrieb<br />
sechs Gaudeamus-Nachbildungen und beschäftigte<br />
sich darüber hinaus eingehend<br />
mit der Erforschung dieser bedeutenden<br />
akademischen Hymne (1877). Durch seine<br />
Gaudeamus-Fassung zur Gründung der<br />
Franz-Joseph-Universität in Czernowitz<br />
1875 wurde dieser Cantus auch in Südosteuropa<br />
bekannt.<br />
In dem Lied »Freunde! Singet, Tanzt und<br />
Springet« erscheint schon eine so genannte<br />
»Landesvaterstrophe«, benannt nach einem<br />
besonderen farbstudentischen, den Landesvater<br />
ehrenden Trinkbrauch.<br />
Stammbuchseite des halleschen Studenten H. Poettke mit folgendem Eintrag über einen Kommilitonen:<br />
»wurde Ostern 1859 irrsinnig (?), starb in d. Irrenanstalt zu Halle a. S. 1862 (?)«<br />
Foto: Zentrale Kustodie<br />
Die bis heute gesungene Fassung zum Landesvater<br />
»Alles schweige! Jeder neige« von<br />
August Christian Heinrich Niemann war<br />
erstmals 1782 zu lesen: in seinem in Dessau<br />
und Leipzig erschienenen »Akademischen<br />
Liederbuch«.<br />
Christian Wilhelm Kindleben hatte schon<br />
1779 in Wittenberg die Würde des Magisters<br />
und Doktors erlangt. Sein unstetes Leben<br />
führte ihn über Dessau, Leipzig und<br />
Dresden, wo er 1783 wegen unsittlichen<br />
Lebenswandels ausgewiesen wurde, immer<br />
wieder nach Halle. 1785 starb der erst<br />
37jährige in der Folge »seines zerrütteten<br />
Daseins« an einem der Nachwelt unbekannten<br />
Ort (verschiedentlich wird dabei<br />
Dresden genannt).<br />
Schließlich sei noch die einstige Kneipe am<br />
Weinberg erwähnt – vom wohl bestgehassten<br />
und meistverleumdeten Professor der<br />
Universitätsgeschichte jener Zeit, Karl<br />
Friedrich Bahrdt (1741–1792), geführt.<br />
Hier las er, einst Professor der biblischen<br />
Philologie und Altertümer, nunmehr als<br />
Gastwirt feuchtfröhliche Kollegs.<br />
Neben dem skandalumwitterten Professor<br />
Bahrdt ist der dritte Geistesverwandte<br />
Kindlebens der berüchtigte Magister Friedrich<br />
Christian Laukhard (1757–1822). Im<br />
Vorwort zur Herausgabe der »Studentensprache<br />
und Studentenlieder Kindlebens«<br />
anläßlich der 200-Jahr-Feier der Universität<br />
Halle 1894, wird er wie folgt charakterisiert:<br />
»... Friedrich Christian Laukhard, der<br />
seit den Tagen seiner Studentenzeit verlottert,<br />
die Theologie und Docententhätigkeit<br />
in Branntwein und gemeinstem Venusdienst<br />
ertränkte, als Soldat, Spion, Krankenwärter,<br />
Pfarrvicar ein abendteuerndes<br />
Leben führte [entrollte] in humoristisch<br />
satirischen Zeitromanen niedrigsten Geschmacks,<br />
wie in seiner schamlos offenherzigen<br />
Selbstbiographie Sittenbilder, insbesondere<br />
aus dem akademischen Leben von<br />
Halle und Gießen« (Halle 1792/1794).<br />
Das romantische Halle ...<br />
Am Ende des 18. Jahrhunderts beschrieb<br />
Achim von Arnim (1781–1831) in seinem<br />
Drama »Halle und Jerusalem« so manche<br />
ergötzliche Szene aus dem halleschen Burschen-<br />
und Volksleben, und der junge Studiosus<br />
Joseph Freiherr von Eichendorff<br />
(1788–1857) schildert in seinem Gedicht<br />
»Bei Halle« im Jahre 1840 die idyllischen<br />
Saaleufer am Giebichenstein.<br />
Ein weiterer berühmter hallescher Student<br />
war »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn<br />
(1778–1852), der eng mit der burschenschaftlichen<br />
Bewegung verknüpft ist. So<br />
wurde die erste Burschenschaft im Winter<br />
1813/14 unter dem Namen »Teutonia« in<br />
Halle gegründet.<br />
Nach den Befreiungskriegen bildeten sich<br />
an allen deutschen Universitäten Burschenschaften<br />
und prägten das studentische<br />
Leben für lange Zeit.<br />
■<br />
Der Verfasser, Jg. 1946, studierte in Leipzig<br />
und Halle Kunstgeschichte und Museologie,<br />
war von 1970 bis 1976 am Museum<br />
Schloss Mosigkau tätig, kam 1976 als wissenschaftlicher<br />
Aspirant an das hallesche<br />
Institut für Kunstgeschichte und ist seit<br />
1979 Leiter der Zentralen Kustodie an der<br />
Martin-Luther-Universität, seit 1993 auch<br />
des Universitätsarchivs. In den zurückliegenden<br />
Jahren trat er mit mehreren Publikationen<br />
über das Dessau-Wörlitzer<br />
Gartenreich und zur Geschichte der Martin-Luther-Universität<br />
an die Öffentlichkeit.
Dieser Ausgangspunkt lässt sich genau datieren:<br />
das Jahr 1769, als auf königliche<br />
Ordre die Einrichtung einer Erziehungsanstalt<br />
an der halleschen Friedrichs-Universität<br />
verfügt wurde, die der Übung im Unterrichten<br />
dienen sollte. Als eigenes Fach<br />
wurde Pädagogik an einer deutschen Universität<br />
erstmals in Halle gelehrt. 1779<br />
wurde hier die erste Professur für Pädagogik<br />
(und Philosophie) eingerichtet und mit<br />
dem philanthropischen Pädagogen Ernst<br />
Christian Trapp (1745–1818), der sich<br />
durch seine Tätigkeit am Dessauer Philanthropin<br />
empfahl, besetzt.<br />
Dass dieses Novum begründet werden<br />
musste, geht aus Trapps Antrittsvorlesung<br />
hervor. Er sprach ȟber die Notwendigkeit,<br />
das Erziehen und Unterrichten als eine eigene<br />
Kunst zu studieren«. Auch wenn seine<br />
Lehrtätigkeit in einzelnen Autobiographien<br />
positiv erwähnt wurde, waren<br />
Trapps Collegia und Vorlesungen letztlich<br />
derart wenig besucht, dass er sie einstellte.<br />
Diese Entscheidung erlaubte ihm, zügiger<br />
an seinem »Versuch einer Pädagogik« zu<br />
schreiben, der bereits 1780 erschien.<br />
Ende einer Episode<br />
Aber obwohl sie geradezu prädestiniert<br />
war für das pädagogische Jahrhundert, das<br />
sich ja eine Verbesserung gesellschaftlicher<br />
Verhältnisse vordringlich von Erziehung erwartete,<br />
blieb die universitäre Pädagogik<br />
als eigenständiges Fach eine Episode.<br />
Trapp wurde auf eigenes Ersuchen 1783<br />
entlassen. Sein Nachfolger, der Altphilologe<br />
Friedrich August Wolf (1759–1824),<br />
setzte auf fachwissenschaftliche, nicht auf<br />
pädagogische Kenntnisse und ließ sich deshalb<br />
bereits 1788 von der pädagogischen<br />
Professur entbinden. Die Pädagogikvorlesungen<br />
übernahm der Theologe August<br />
Hermann Niemeyer (1754–1829), ein Urenkel<br />
Franckes, später Direktor der Franckeschen<br />
Stiftungen und Kanzler der Universität,<br />
einer der führenden Bildungspolitiker<br />
und -theoretiker seiner Zeit. Seine<br />
erstmals 1796 erschienenen »Grundsätze<br />
der Erziehung und des Unterrichts, für Eltern,<br />
Hauslehrer und Erzieher« stellten das<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Fachbeereich Erziehungswissenschaften<br />
»... ERZIEHEN UND UNTERRICHTEN ALS EINE EIGENE KUNST ...«<br />
ZUR GESCHICHTE DER PÄDAGOGIK AN DER UNIVERSITÄT HALLE<br />
Berthold Ebert, Jessika Piechocki und Pia Schmid<br />
Wenn von Pädagogik die Rede ist, stellt sich als erste Assoziation in aller Regel »Lehrerausbildung«<br />
ein. Die heutige universitäre Pädagogik beinhaltet allerdings neben Lehramtsauch<br />
Diplom- und Magisterstudiengänge, in denen allgemeine Pädagogik, Sozialpädagogik,<br />
Erwachsenenbildung und Rehabilitationspädagogik gelehrt werden sowie Soziologie und<br />
Psychologie im Nebenfach. Sie hat sich ausdifferenziert – doch in der Tat nahm die universitäre<br />
Pädagogik in der Ausbildung von Lehrern ihren Anfang.<br />
maßgebliche pädagogische Handbuch der<br />
Zeit um 1800 dar.<br />
Mit August Hermann Niemeyer gewann<br />
auch die praktische pädagogische Ausbildung<br />
künftiger Gymnasiallehrer an Bedeutung,<br />
wie sie in August Hermann Franckes<br />
»Seminarium praeceptorum« praktiziert<br />
worden war. Im Theologisch-Pädagogischen,<br />
ab 1826 nur Pädagogischen Seminar<br />
fand unter der Leitung verschiedener Professoren,<br />
meist Direktoren der Franckeschen<br />
Stiftungen, eine die Vorlesungen ergänzende<br />
praktische pädagogische Ausbildung<br />
statt.<br />
Zweites »Seminarium praeceptorum«<br />
Die Wiedergründung des »Seminarium<br />
praeceptorum« der Franckeschen Stiftungen<br />
1881 durch Otto Frick bedeutete für<br />
das universitäre Pädagogische Seminar<br />
Konkurrenz – was dazu führte, dass zwischen<br />
1884 und 1912 kein universitäres<br />
Seminar existierte, obwohl Pädagogik innerhalb<br />
der Philosophischen Fakultät weiter<br />
gelehrt wurde.<br />
Die Pädagogik in Halle war bis 1933 vorwiegend<br />
philosophisch bzw. geisteswissenschaftlich<br />
orientiert. Aufgrund des erstarkten<br />
Interesses an der Erziehungslehre<br />
und der Beispielwirkung anderer deutscher<br />
Universitäten sah sich die preußische Regierung<br />
gezwungen, Ostern 1912 das Pädagogische<br />
Seminar wieder einzurichten.<br />
Mit dessen Leitung wurde Wilhelm Fries<br />
(1845–1928), Direktor der Franckeschen<br />
Stiftungen und seit dem Sommersemester<br />
1889 Honorarprofessor für Pädagogik,<br />
...............................................................................<br />
5<br />
Abhandlung über die pädagogische Ausbildung in Halle<br />
Ende des 18. Jahrhunderts Foto: Archiv<br />
beauftragt. Nach Fries´ Rücktritt leiteten<br />
die Philosophen Max Frischeisen-Köhler<br />
(1878–1923) und Paul Menzer (1873–<br />
1960) sowie der Psychologe und Philosoph<br />
Theodor Ziehen (1862–1959) gemeinsam<br />
das Seminar, das mit Blick auf die alte<br />
hallesche Tradition einen Mittelpunkt für<br />
pädagogische Studien bilden und in Anlehnung<br />
an die Praxis ein breites Gebiet pädagogischer<br />
Themen behandeln sollte.
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />
................................................................................<br />
6<br />
Mit der 1915 erfolgten Berufung des<br />
Dilthey-Schülers Frischeisen–Köhler zum<br />
Professor für Pädagogik und Philosophie<br />
erhielt die pädagogische Ausbildung eine<br />
andere Qualität, indem er geisteswissenschaftliche<br />
Pädagogik zu empirischen Forschungen<br />
in Beziehung setzte. Mit 118<br />
Studierenden im Gründungssemester hatte<br />
das Seminar zunächst großen Zulauf, nach<br />
Beginn des 1. Weltkrieges waren die Einschreibungen<br />
jedoch rückläufig.<br />
Pädagogik im »Dritten Reich«<br />
Neben dem breiten Spektrum historischer<br />
(unter anderem die Pädagogik Friedrich Daniel<br />
Schleiermachers) und gegenwartsorientierter<br />
Themen (Jugendkunde und Jugendbewegung,<br />
Selbsttätigkeit des Schülers)<br />
wurden seit den 20er Jahren auch erbbiologische<br />
und nationale Themen wie »Soziale<br />
Auslese« oder »Rassenhygiene« gelehrt.<br />
Diese Tendenzen verstärkten sich mit der<br />
nationalsozialistischen Machtergreifung<br />
1933. So stellte der Privatdozent Heinz<br />
Kürten (1891– unbekannt) einen Antrag<br />
auf »Erteilung eines ... Lehrauftrages für<br />
menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene«,<br />
den er am 2. Juni 1933 erhielt.<br />
Weitere Themen waren beispielsweise die<br />
»Bedeutung der nordischen Rasse für die<br />
Geschichte der Menschheit« oder die<br />
»Frauenfrage im nationalsozialistischen<br />
Staat«.<br />
Unvorstellbar scheint, dass im Sommersemester<br />
1933 neben den Nationalsozialisten<br />
Heinz Kürten und Wilhelm Hehlmann<br />
(*1901) die jüdischen Professoren Emil<br />
Utitz (1883–1956) und Adhèmar Gelb<br />
(1887–1936) sowie der schon genannte,<br />
wegen seiner gradlinigen Haltung umstrittene<br />
Paul Menzer gemeinsam in einem Seminar<br />
lehrten.<br />
Im selben Jahr mussten Gelb und Utitz die<br />
Universität verlassen. Utitz überlebte das<br />
Konzentrationslager Theresienstadt; Menzer<br />
wurde ab 1933 massiv in seiner Lehrtätigkeit<br />
eingeschränkt und 1938 emeritiert.<br />
Infolge des Krieges beschränkte sich die<br />
pädagogische Lehre in den vierziger Jahren<br />
auf wenige Vorlesungen; es war kaum mehr<br />
möglich, einen geregelten Universitätsbetrieb<br />
aufrecht zu erhalten.<br />
Neue Ära I und II<br />
Das Ende des 2. Weltkrieges und damit der<br />
nationalsozialistischen Diktatur führte<br />
auch zum »kläglichen Zusammenbruch einer<br />
Pädagogik«, (die) »Drill statt Erziehung,<br />
Gewaltanwendung statt Überzeugung,<br />
ehrgeiziges Strebertum statt organisches<br />
Wachstum, Züchtung von Kindern<br />
mit völkisch-rassisch beschränktem Horizont<br />
statt Bildung von Menschen beförderte«,<br />
so Rektor Eißfeldt zur Wiedereröffnung<br />
der Universität am 12. Juli 1945.<br />
Hans Ahrbeck (1890–1981), Gemälde aus dem Jahr 1950<br />
von Conrad Felixmüller Foto: Archiv<br />
Mit der Gründung der Pädagogischen Fakultät,<br />
an der am 1. <strong>Oktober</strong> 1946 die Ausbildung<br />
der ersten 200 Grundschullehrer<br />
(1.– 8. Klasse ) begann, wurde der Pädagogik<br />
ein selbständiger Platz unter den traditionellen<br />
Fakultäten eingeräumt. Unter ihrem<br />
ersten Dekan Hans Ahrbeck (1890–<br />
1981; 1930 bis 1933 an den Pädagogischen<br />
Akademien Breslau und Halle tätig) erfolgte<br />
der Neuaufbau der universitären Lehrerbildung,<br />
deren theoretisches Fundament in<br />
einer ideen- und kulturgeschichtlich akzentuierten<br />
Geschichte der Pädagogik lag.<br />
Auf dem Höhepunkt der Entwicklung dieser<br />
Pädagogischen Fakultät arbeiteten 1952<br />
zehn Professoren und 132 wissenschaftliche<br />
Kräfte in den sieben Instituten (Institut<br />
für Pädagogik, Unterrichtsmethodik,<br />
Körpererziehung, Sonderpädagogik, Landwirtschaftspädagogik,<br />
Sprecherziehung<br />
und Musikpädagogik).<br />
Das Institut für Sonderpädagogik unter<br />
Prof. Kurt Prautzsch (1890–1978), an dem<br />
Lehrer für Hilfsschulen ausgebildet wurden,<br />
gehörte seit 1949 dazu. Damit erfuhr<br />
eine bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
reichende pädagogische Tradition erstmals<br />
in Halle die universitäre Anerkennung. Am<br />
Anfang standen die erste Hilfsschulklasse<br />
1859 und der erste<br />
spezielle Lehrplan für Hilfsschulunterricht<br />
1865. Eine<br />
fachwissenschaftlich und medizinisch<br />
strukturierte heilpädagogische<br />
Ausbildung, die von<br />
namhaften halleschen Universitätsprofessoren,<br />
Dozenten und<br />
Ärzten getragen wurde, boten<br />
die staatlich anerkannten Kurse<br />
zur Aus- und Weiterbildung<br />
von Hilfsschullehrern seit<br />
1921, das Heilpädagogische<br />
Studienjahr seit 1928 und das<br />
Heilpädagogische Institut seit<br />
1932 in Halle an.<br />
1955 wurde die Pädagogische<br />
Fakultät aufgelöst und wieder<br />
ein Institut für Pädagogik innerhalb<br />
der Philosophischen<br />
Fakultät eingerichtet – die<br />
fachwissenschaftliche und pädagogische<br />
Ausbildung aller<br />
Lehrenden der 5. bis 12. Klasse<br />
blieb weiterhin akademisch.<br />
Die Unterrichtsmethodiken wurden an den<br />
jeweiligen Fachinstituten angesiedelt, beim<br />
Institut für Pädagogik verblieb die – zunehmend<br />
politisierte – allgemeine pädagogische,<br />
didaktische und psychologische Ausbildung.<br />
Im Kontext der politischen Wende erfolgte<br />
1993 die Gründung des Fachbereichs Erziehungswissenschaften,<br />
in dem Teile der<br />
Pädagogischen Hochschule und des Instituts<br />
für Pädagogik der Universität integriert<br />
wurden.<br />
Im Sommersemester <strong>2001</strong> waren hier rund<br />
1 500 Studierende eingeschrieben. ■<br />
Dr. Berthold Ebert und Prof. Dr. Pia Schmid<br />
vertreten am Institut für Pädagogik des<br />
Fachbereichs Erziehungswissenschaften in<br />
Halle die Historische Erziehungswissenschaft;<br />
Jessika Piechocki ist Studentin der<br />
Pädagogik.
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Theologische Fakultät<br />
SENSIBEL FÜR DIE KULTUREN DES OSTENS<br />
DR. JOHANNES LEPSIUS-ARCHIV AM INSTITUT FÜR HISTORISCHE THEOLOGIE<br />
Hermann Goltz<br />
Im März <strong>2001</strong> stellte Prof. Dr. Hermann Goltz von der Theologischen Fakultät Halle auf<br />
der Beiruter Internationalen Buchmesse sein spannendes historisches und kulturwissenschaftliches<br />
Buch »Der gerettete Schatz der Armenier aus Kilikien« vor. Dieses Buch, in<br />
zwei Parallel-Editionen deutsch und englisch erschienen, wurde von dem international bekannten<br />
Photographiker und Buchgestalter Klaus E. Göltz (Halle) in außerordentlich ansprechender<br />
Weise ausgestattet, in Verona exzellent gedruckt und von dem renommierten<br />
Wiesbadener Dr. Ludwig Reichert Verlag in seiner Reihe zu Sprachen und Kulturen des<br />
Orientalischen Christentums herausgegeben.<br />
Die Deutsche Botschaft im Libanon war<br />
auf dieses ungewöhnliche, fesselnde Buch<br />
aufmerksam geworden, da es grundlegende<br />
historische Szenen aus dem Schicksal der<br />
in Syrien und im Libanon lebenden Armenier<br />
im 20. Jahrhundert nachzeichnet, nämlich<br />
die Deportation und den Völkermord<br />
an der armenischen Bevölkerung des Osmanisch-Türkischen<br />
Reiches im Ersten<br />
Weltkrieg und die Vernichtung der armenischen<br />
Kultur, von der die Armenier aus<br />
Kilikien einen kleinen Teil in abenteuer-<br />
lichster Weise gerettet haben. Da die Nachfahren<br />
der Überlebenden dieses Genozids<br />
heute im Libanon eines der Staatsvölker<br />
darstellen, wurde die englische Ausgabe<br />
des halleschen Buches gemeinsam von der<br />
Deutschen Botschaft und dem libanesischen<br />
Kulturministerium präsentiert. Auch in der<br />
starken armenischen Diaspora in den USA<br />
mit ihren Schwerpunkten in Kalifornien<br />
und in den großen Städten der Ostküste ist<br />
dieses Buch mit großem Beifall aufgenommen<br />
worden.<br />
...............................................................................<br />
Am Zustandekommen des repräsentativen<br />
Bandes – im Vorfeld des 1700. Jubiläums<br />
der offiziellen Proklamation des Christentums<br />
als Staatsreligion in Armenien (301–<br />
<strong>2001</strong>) – waren neben dem Dr. Johannes-<br />
Lepsius-Archiv und der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg das Kilikia<br />
Museum des Katholikosats des Großen<br />
Hauses von Kilikien in Antelias (Libanon)<br />
und die Staatliche Galerie Moritzburg Halle<br />
(Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt) beteiligt,<br />
wo vom September bis November<br />
2000 die große Ausstellung »Der gerettete<br />
Schatz der Armenier aus Kilikien« stattfand,<br />
die von 15 000 Interessenten aus dem<br />
In- und Ausland besucht wurde.<br />
Die Ausstellung und das dazu erschienene<br />
repräsentative Buch (siehe links) dienten<br />
als ein außerordentlich attraktiver Auftakt<br />
der Weltkonferenz »Armenien 2000«, die<br />
im September 2000 in Halle und Wittenberg<br />
stattfand und vom Mesrop Zentrum<br />
für Armenische Studien an der Stiftung<br />
Leucorea (Lutherstadt Wittenberg) vorbereitet<br />
wurde.<br />
Seit Anfang der 80er Jahre hat sich die<br />
Martin-Luther-Universität zu einem Zentrum<br />
der deutsch-armenischen Studien entwickelt<br />
– nachdem damals der historisch<br />
hochbedeutsame Nachlass des Theologen<br />
Dr. Johannes Lepsius (1858–1926) vom<br />
Autor an die hallesche Theologische Fakultät<br />
gebracht wurde. Johannes Lepsius ist<br />
die zentrale Gestalt in den Beziehungen<br />
zwischen dem deutschen und dem armenischen<br />
Volk, da er im 19. und im 20. Jahrhundert<br />
im Widerstand gegen die deutsche<br />
Außen- und Militärpolitik gegen die Massaker<br />
und den Völkermord an den Armeniern<br />
in der Türkei kämpfte. Er wird vom<br />
ganzen armenischen Volk in der Republik<br />
Armenien und in der weltweiten Diaspora<br />
als Helfer und Anwalt der Armenier dankbar<br />
verehrt.<br />
Franz Werfel sicherte diesem Theologen –<br />
einer realen, aber verdrängten Gestalt der<br />
Weltgeschichte – in seinem wohl größten<br />
Epos, dem 1933 in Deutschland veröffentlichten<br />
Roman »Die Vierzig Tage des Musa<br />
Dagh« (der erstmals im Jahr 1999 in türkischer<br />
Sprache erschien) einen Platz in der<br />
Weltliteratur.<br />
7<br />
Hermann Goltz, Der gerettete Schatz der<br />
Armenier aus Kilikien. Sakrale Kunst aus<br />
dem Kilikia-Museum, Antelias, Libanon<br />
(Photographien von Klaus E. Göltz),<br />
Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden 2000,<br />
184 Seiten, über 100 Abb., meist in Farbe,<br />
darunter viele ganzseitige Fotos,<br />
Best.-Nr.: ISBN 3-89500-197-X,<br />
direkt erhältlich in der Galerie Moritzburg
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
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Theologische Fakultät<br />
................................................................................<br />
Da die deutsche Regierung – aufgrund der<br />
8 aktuellen Bündnispolitik – selbst heute<br />
noch meint, Schwierigkeiten mit der politischen<br />
Anerkennung des historischen Faktums<br />
des Völkermordes an den Armeniern<br />
haben zu müssen, ist Johannes Lepsius<br />
auch 75 Jahre nach seinem Tod ein ›heißes<br />
Eisen‹ für die deutsche und die türkische<br />
Außenpolitik.<br />
Dies zeigte sich vor kurzem erneut, als die<br />
Türkei offiziell gegen die Rekonstruktion<br />
des Potsdamer Lepsius-Hauses protestierte.<br />
Sie möchte nicht, wie unter kaum verhohlenen<br />
Drohungen der deutschen Bundesregierung,<br />
der Brandenburger Landesregierung<br />
und der Stadt Potsdam mitgeteilt wurde,<br />
dass von den halleschen Fachleuten und<br />
dem Förderverein Lepsius-Haus Potsdam<br />
e. V. im Lepsius-Haus eine Forschungs-<br />
Begegnungsstätte eingerichtet wird. Es ist<br />
nicht zu leugnen, dass die deutschen Politiker<br />
sich von den türkischen Protesten beeindrucken<br />
ließen und die deutschen Wissenschaftler<br />
sowie die Potsdamer Lepsius-<br />
Freunde wissen ließen, die Rekonstruktion<br />
des Lepsius-Hauses löse keinen großen Enthusiasmus<br />
bei ihnen aus.<br />
Dieser Umstand, dass die türkische Diplomatie<br />
Deutschland mit Erfolg verbieten zu<br />
können scheint, Johannes Lepsius, einen<br />
der großen Menschenrechtler, Humanisten<br />
und Philanthropen des 20. Jahrhunderts,<br />
zu ehren, hat kürzlich die deutschen Medien<br />
auf den Plan gerufen. Am 3. September<br />
<strong>2001</strong> sendete ARD-Report aus Mainz einen<br />
Beitrag von Eric Friedler und Barbara<br />
Siebert »Der Völkermord – Die Armenienfrage<br />
und die feigen Politiker«, der sich kritisch<br />
mit dem Rückzug der deutschen Politik<br />
aufgrund der türkischen Anti-Lepsius-<br />
Kampagne befasste.<br />
Historische Aufnahme vom Wohnhaus der Familie Lepsius in Potsdam, Große Weinmeisterstraße<br />
45, am Fuße des Pfingstberges gelegen<br />
Dr. Johannes Lepsius (1858–1926) Fotos (2): Dr. Johannes Lepsius-Archiv<br />
Zu Ehren der deutschen Politiker und der<br />
deutschen Medien kann wahrscheinlich<br />
schon jetzt ein positives Fazit gezogen<br />
werden: Bereits kurz nach diesem öffentlichen<br />
deutschen Disput wird vonseiten des<br />
Bundeslandes Brandenburg und der Stadt<br />
Potsdam signalisiert, dass die Gestalt des<br />
politisch widerständigen Theologen Johannes<br />
Lepsius nicht unter den Teppich der<br />
deutsch-türkischen Freundschaft gekehrt<br />
werden solle, da – wie es der Report-Beitrag<br />
formulierte – »das Verschweigen der<br />
Wahrheit einer Freundschaft noch nie genutzt<br />
hat«.<br />
Hier nun erweist sich die deutsche Politik<br />
unter den neuen Umständen der Weltpolitik<br />
nach dem 11. September <strong>2001</strong> als sensibel,<br />
da eine Fortsetzung des politischen<br />
Schweigens über den ersten großen Völkermord<br />
des 20. Jahrhunderts am Kulturvolk<br />
der Armenier dem gerechten und friedlichen<br />
Ausgleich zwischen den Völkern des<br />
Ostens und des Westens durchaus nicht<br />
dienlich sein dürfte. Er ist aber heute<br />
dringlicher denn je.<br />
■<br />
Der Verfasser studierte 1964 bis 1969 in<br />
Halle Theologie (Promotion 1972, Habilitation<br />
1979); 1983 wurde er zum Hochschuldozenten,<br />
1987 zum Professor für<br />
Geschichte, Theologie und Kultur der<br />
Orthodoxen Kirchen berufen; bis 1993<br />
wirkte er im Weltkirchenrat in Genf und<br />
kehrte dann nach Halle zurück. Er ist Direktor<br />
des Seminars für Konfessionskunde<br />
der Orthodoxen Kirchen, Gründungsdirektor<br />
des Zentrums für Armenische Studien<br />
MESROP an der Stiftung Leucorea e. V. in<br />
Wittenberg und Leiter des Dr. Johannes<br />
Lepsius-Archivs.1999/2000 war er Dekan<br />
der Theologischen Fakultät.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT HALLE<br />
Ein ganzes Bündel von politischen Erwägungen<br />
ließ die SED von ihren Plänen abrücken.<br />
Im Gegenzug versuchten die<br />
Machthaber, Zusammensetzung und Studiengang<br />
der Theologischen Fakultäten zu<br />
beeinflussen, um die vor allem in der Frühzeit<br />
der DDR unbotmäßige Pfarrerschaft<br />
politisch zu indoktrinieren und so die<br />
evangelische Kirche perspektivisch zu unterwerfen.<br />
Dass letztere aber selbst über<br />
drei staatlich niemals anerkannte Kirchliche<br />
Hochschulen verfügte, erschwerte dieses<br />
Vorhaben erheblich:<br />
Je mehr politischer Druck auf die Fakultäten<br />
ausgeübt wurde, desto mehr Studenten<br />
wanderten an die Kirchlichen Hochschulen<br />
in Naumburg, Leipzig und Berlin ab. Die<br />
Studierenden der Theologie besaßen so als<br />
einzige eine reale alternative Studienmöglichkeit<br />
und genossen deshalb auch weitaus<br />
mehr Freiräume, da der SED-Staat ja interessiert<br />
war, möglichst viele Bewerber von<br />
den Kirchlichen Hochschulen fernzuhalten<br />
und an die staatlichen Universitäten zu<br />
bringen.<br />
Beispielsweise konnten gediente Bausoldaten<br />
(von einigen Ausnahmen abgesehen)<br />
eigentlich nur Theologie studieren; weniger<br />
als die Hälfte aller Theologen waren Mitglieder<br />
der FDJ; die Wahlbeteiligung lag oft<br />
gerade bei 50 Prozent – die Sektion Theologie<br />
in Halle war die staatliche Institution<br />
mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in der<br />
gesamten DDR; nur hier konnten Nicht-<br />
FDJler in den Leitungsgremien der Sektion<br />
mitarbeiten.<br />
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scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Theologische Fakultät<br />
THEOLOGIE AN EINER SO GENANNTEN »SOZIALISTISCHEN« UNIVERSITÄT<br />
Friedemann Stengel<br />
Es hat immer Erstaunen hervorgerufen, dass der SED-Staat sechs Theologische Fakultäten,<br />
ab 1970/71 Sektionen Theologie, an seinen sozialistischen Universitäten duldete und damit<br />
die Ausbildung zukünftiger Pfarrer förderte. Diese Möglichkeit bestand in sämtlichen anderen<br />
Staaten des Ostblocks nicht. Auch die SED hatte zu Beginn der fünfziger Jahre erwogen,<br />
die Fakultäten zu schließen, da sie schlecht mit der atheistischen und kirchenfeindlichen<br />
Bildungsdoktrin zu vereinbaren waren und sich nach Auffassung des Marxismus<br />
Kirche und Religion als Rudimente der bürgerlichen Gesellschaft in absehbarer Zukunft<br />
von selbst auflösen würden.<br />
Daran sei insbesondere im Hinblick auf die<br />
Gefahren erinnert, denen Nichttheologen<br />
ausgesetzt waren, wenn sie sich oppositionell<br />
oder auch nur resistent verhielten.<br />
Dennoch kam es auch in Halle zwischen<br />
dem Lehrkörper und opponierenden Studenten<br />
zu Auseinandersetzungen – insbesondere<br />
in den achtziger Jahren, als manche<br />
Protestanliegen der kirchlichen Opposition<br />
auf Sektionsebene ausgetragen wurden.<br />
...............................................................................<br />
Einschneidend waren 1950 die politisch<br />
begründete Zwangsversetzung Erich Faschers,<br />
der auch stellvertretender Landesvorsitzender<br />
der noch nicht gleichgeschalteten<br />
CDU war, nach Greifswald und 1958<br />
die Entlassung des renommierten Kirchenhistorikers<br />
Kurt Aland nach einer beispiellosen<br />
Kampagne gegen ihn und den Spiritus-Kreis,<br />
der aus bürgerlich-christlichen<br />
Professoren mehrerer Fakultäten bestanden<br />
hatte. Manchem Schüler der Fakultät blieb<br />
eine akademische Laufbahn aus politischen<br />
Gründen verwehrt.<br />
Diese Einschnitte sowie die dauerhafte<br />
Ungewissheit über die Zukunft der Fakultäten<br />
haben zwar die Anpassung der Theologen<br />
an die politischen Strukturen befördert<br />
– dennoch ist es der SED insbesondere<br />
in Halle nicht gelungen, Theologie inhalt-<br />
Weiterführende Lektüre zum Thema aus der Feder des Verfassers:<br />
— Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik<br />
des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71.<br />
Leipzig 1998. 824 S. (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. 3),<br />
— Zur Rolle der Theologischen Fakultäten in der DDR 1980–1990. In: Zehn Jahre<br />
danach: die Verantwortung von Theologie und Kirche in der Gesellschaft (1989–<br />
1999), hrsg. von Kurt Nowak und Leonore Siegele-Wenschkewitz. Leipzig 2000,<br />
32–78,<br />
— Zur Kirchen- und Hochschulpolitik der SED am Beispiel der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg in den fünfziger Jahren. In: Vorträge und Abhandlungen<br />
zur Wissenschaftsgeschichte 1999/2000, hrsg. von Wieland Berg, Sybille<br />
Gerstengarbe, Andreas Kleinert, Benno Parthier. Heidelberg 2000 (Acta Historica<br />
Leopoldina 36/2000), 25–61.<br />
Es hat in diesem Zusammenhang sowohl<br />
auf Studenten- als auch auf der Ebene des<br />
Lehrkörpers auch Inoffizielle Mitarbeiter<br />
für das MfS gegeben, wenn auch in geringerem<br />
Umfang als an anderen Theologischen<br />
Fakultäten.<br />
Die staatlichen Eingriffe in die Autonomie<br />
der Theologischen Fakultäten vor allem in<br />
den ersten 20 Jahren der DDR waren zum<br />
Teil drakonisch, in Berlin und Leipzig mit<br />
gravierenden Ergebnissen. Halle wurde von<br />
der SED als »reaktionärste« aller Theologischen<br />
Fakultäten angesehen. Der langjährige<br />
Rektor Leo Stern forderte Ulbricht vertraulich<br />
auf, sie zu schließen. So blieb Halle<br />
von Repressionen nicht verschont. Insgesamt<br />
fünfmal musste die Fakultät staatlicherseits<br />
oktroyierte Professoren und<br />
Dozenten gegen ihren Willen hinnehmen,<br />
allerdings ohne die von der SED erwünschten<br />
politischen Resultate.<br />
lich zu beeinflussen. Sie verblieb vielmehr<br />
im Kontext eines traditionell geprägten<br />
Wissenschaftsverständnisses und – das<br />
war ein Markenzeichen Halles – bewahrte<br />
sich eine starke Orientierung an den landeskirchlichen<br />
Positionen. Sie betrieb zum Teil<br />
international anerkannte Forschungen und<br />
hatte innerhalb der tristen geisteswissenschaftlichen<br />
Landschaft in der DDR einen<br />
kritischen Alternativcharakter, wenn auch<br />
in einer vom MfS misstrauisch beobachteten<br />
Nischenexistenz.<br />
■<br />
Der Verfasser, Jg. 1966, studierte in Halle<br />
Theologie und ist derzeit wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät.<br />
Er hat bereits mehrere Arbeiten zur Kirchlichen<br />
Zeitgeschichte vorgelegt.<br />
9
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
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10<br />
Asterotheca (al. Pecopteris) arborescens (Schlotheim) Kidston;<br />
Original zu Germar 1844–53. Stephan von Wettin.<br />
Foto: Scheiner<br />
Zu einem vielversprechenden und beispielhaften Projekt gab kürzlich der Senat der Martin-Luther-Universität seine Zustimmung. Danach soll die<br />
»Neue Residenz«, eines der kulturgeschichtlich bedeutsamsten Bauwerke der Stadt Halle, nach dem Umzug der beiden Institute für Geographie<br />
sowie für Geologische Wissenschaften und Geiseltalmuseum in geeignetere Gebäude, zu einem naturwissenschaftlichen Universitätsmuseum ausgebaut<br />
werden. Mit dem angedachten ganzheitlichen Konzept, das eine Verknüpfung zwischen den naturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen anstrebt,<br />
scheint sich somit ein Kreis zu schließen, der vom Naturalienkabinett zum »Universeum« führt.
GEOWISSENSCHAFTLICHE UNIVERSITÄTS-SAMMLUNGEN<br />
VOM NATURALIENKABINETT ZUM »UNIVERSEUM«<br />
Norbert Hauschke<br />
Die geowissenschaftlichen Sammlungen der Martin-Luther-Universität zählen zu den umfangreichsten<br />
und bedeutendsten ihrer Art in den neuen Bundesländern. Sie werden heute<br />
vorrangig im Rahmen von Lehrveranstaltungen und als wissenschaftliche Sammlungen genutzt.<br />
Neben dem öffentlich zugänglichen Geiseltalmuseum können Interessenten weitere<br />
Sammlungsbereiche derzeit leider nur nach Voranmeldung oder zu besonderen Anlässen<br />
wie »Internationalen Museumstagen« oder »Europäischen Tagen des Offenen Denkmals«<br />
besuchen. Deshalb sind Bestrebungen der Universität, die »Schätze« verschiedener naturwissenschaftlicher<br />
Universitäts-Sammlungen unter dem gemeinsamen Dach »Universeum«<br />
dauerhaft der Öffentlichkeit zu präsentieren, gar nicht zu überschätzen. Ein naturwissenschaftliches<br />
Universitätsmuseum würde dazu beitragen, den Erhalt der Bestände, die wertvolle<br />
Kulturgüter darstellen, langfristig zu sichern. Es könnte als »Wissenschaftsforum«<br />
eine Vermittlerrolle zwischen Universität, Wirtschaft und Öffentlichkeit einnehmen und<br />
darüber hinaus die Attraktivität von Stadt, Region und Land wesentlich fördern.<br />
Vom Naturalien- zum Mineralienkabinett<br />
Die geowissenschaftlichen und andere naturwissenschaftliche<br />
Sammlungen an der<br />
Universität wurzeln in den Naturalienkabinetten<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts. Die<br />
Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen<br />
Stiftungen in Halle zählt – auch überregional<br />
– zu den eindrucksvollsten Beispielen<br />
aus dieser Zeit; noch heute vermittelt<br />
sie ein weitgehend authentisches Bild<br />
einer barockzeitlichen »Wunderkammer«.<br />
Für die geowissenschaftlichen Sammlungen<br />
der Universität Halle kann das Naturalienkabinett<br />
des Medizinprofessors Friedrich<br />
Hoffmann (1660–1742) als Grundstock<br />
gelten. Es wurde 1777 vom Naturgeschichte<br />
lehrenden Mediziner Johann Friedrich<br />
G. Goldhagen (1742–1788) erworben, der<br />
damit seine eigenen Sammlungen beträchtlich<br />
erweitern konnte. Goldhagen verkaufte<br />
sein Naturalienkabinett 1787 an die Universität;<br />
es wurde 1791/92 als königliches<br />
Mineralienkabinett in der »Neuen Residenz«<br />
des Kardinals Albrecht von Brandenburg<br />
(1490–1545) aufgestellt, wo sich<br />
bis heute der größte Teil der geowissenschaftlichen<br />
Sammlungen befindet.<br />
Vom Mineralienkabinett<br />
zum Mineralogischen Institut<br />
Dem Mineralienkabinett der Universität<br />
standen als Direktoren so bedeutende Persönlichkeiten<br />
vor wie Johann Reinhold<br />
Forster (1729–1798), der zusammen mit<br />
Sohn Georg an der 2. Weltumseglung von<br />
James Cook (1728–1779) teilgenommen<br />
hatte, und Ernst F. Germar (1786–1853),<br />
der die Sammlung als Professor für Mineralogie<br />
40 Jahre lang betreute. Germar tätigte<br />
systematische Aufsammlungen von<br />
fossilen Floren und Faunen, darunter Insekten<br />
und Spinnen, im Permokarbon der<br />
nördlich Halle gelegenen Region um Wettin<br />
und Löbejün und bearbeitete besonders das<br />
paläobotanische Material wissenschaftlich.<br />
Die Ergebnisse seiner Untersuchungen sind<br />
bis heute von grundlegender Bedeutung.<br />
Folgt man den Ausführungen seines Nachfolgers<br />
Karl v. Fritsch (1838–1906), die<br />
sich in dessen »Führer durch das Mineralogische<br />
Institut der Kön. ver. Friedrichs-<br />
Universität Halle-Wittenberg« von 1901<br />
finden, so gilt Germar als der eigentliche<br />
Begründer der später vielgerühmten geowissenschaftlichen<br />
Sammlungen der Universität.<br />
Mit der Berufung v. Fritschs zum Professor<br />
für Mineralogie und Geologie im Jahre<br />
1873 stieg das Mineralienkabinett in den<br />
Rang eines Mineralogischen Instituts auf.<br />
Unter v. Fritsch erlebten die geowissenschaftlichen<br />
Sammlungen mit Blick auf ihre<br />
Erweiterung und Präsentation eine erste<br />
Blütezeit. So wurden in seiner Amtszeit im<br />
Saaleflügel der »Neuen Residenz« große<br />
Teile des ersten Stocks zu Sammlungssälen<br />
umgestaltet, die neben einer umfangreichen<br />
»Heimatsammlung« mit Fossilien aus der<br />
damaligen Provinz Sachsen und benachbarten<br />
Gebieten die Sammlung von Pflanzenund<br />
Tierfossilien in systematischer Anordnung<br />
sowie die Mineralien-Sammlung aufnahmen.<br />
Erwerbungen und Schenkungen<br />
kamen hinzu; auch seine wertvolle Privatsammlung<br />
und Bibliothek schenkte v.<br />
Fritsch dem Institut.<br />
Die Wege von Geologie und Mineralogie<br />
Mit dem Amtsantritt von Johannes Walther<br />
(1860–1937) begann 1906 eine strukturelle<br />
Umgestaltung des bisherigen Mineralogischen<br />
Instituts, das 1907 umbenannt<br />
wurde in »Geologisches und Mineralogisches<br />
Institut«; 1914 erfolgte mit der Berufung<br />
des Mineralogen Ferdinand v. Wolff<br />
(1874–1952) die Trennung in zwei eigenständige<br />
Institute, zugleich eine weitere<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Fachbereich Geowissenschaften<br />
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deutliche Ausdehnung der Ausstellungsbereiche,<br />
mit räumlicher Trennung in eine<br />
geologisch-paläontologische Abteilung im<br />
Ober- und eine mineralogisch-petrographische<br />
Abteilung im Untergeschoss des Saaleflügels.<br />
Der Umzug des Mineralogisch-<br />
Petrographischen Instituts 1936/37 in das<br />
ehemalige Oberbergamt am Domplatz 1<br />
veranschaulicht die zunehmende Spezialisierung<br />
der einzelnen Fachdisziplinen.<br />
Unter Walthers Direktorat erlangte das<br />
hallesche Geologische Institut Weltgeltung.<br />
Seine Untersuchungen zur Riff- und<br />
Wüstenforschung, die er auf zahlreichen<br />
Reisen weltweit betrieb, genießen bis heute<br />
international hohe Anerkennung.<br />
11<br />
Probenfläschchen mit Salzsole aus einem nordafrikanischen<br />
Salzsee (Sammlung J. Walther). Aus der Sole kristallisierten<br />
Steinsalzkristalle aus. Das Sammlungsetikett<br />
ist mit einer Salzkruste überzogen. Foto: Scheiner<br />
Seine moderne, aktualistisch geprägte<br />
Denkweise wurde in eine neue Ausstellungskonzeption<br />
umgesetzt, die sich anhand<br />
seines »Führers durch die Lehr- und<br />
Schausammlungen des Geologisch-Palaeontologischen<br />
Instituts der Universität<br />
Halle« von 1928 gut nachvollziehen lässt.<br />
Vom Geiseltalmuseum zum »Museum für<br />
Mitteldeutsche Erdgeschichte«<br />
Von weitreichender Bedeutung für die Profilierung<br />
des Geologischen Instituts waren<br />
die 1925 unter Walther begonnenen Fossilgrabungen<br />
im südwestlich von Halle gelegenen<br />
Geiseltal, die unter seinem Nachfolger<br />
Johannes Weigelt (1890–1948) überaus erfolgreich<br />
fortgeführt wurden und 1934 mit<br />
der Eröffnung des Geiseltalmuseums in der<br />
ehemaligen Privatkapelle Kardinal Albrechts<br />
einen Höhepunkt erreichten. Die bis 1938<br />
laufenden und nach dem 2. Weltkrieg 1949<br />
wiederaufgenommenen Grabungen förder-
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
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Fachbereich Geowissenschaften<br />
................................................................................<br />
12<br />
ten eine artenreiche, außerordentlich gut erhaltene<br />
Wirbeltier- und Insektenfauna aus<br />
dem Mittleren Eozän zutage und machten<br />
die Fossillagerstätte »Geiseltal« weltweit<br />
bekannt.<br />
1935 wurde der »Verein zur Förderung des<br />
Museums für Mitteldeutsche Erdgeschichte<br />
in Halle a. S.« gegründet mit dem Ziel,<br />
die erdgeschichtliche Entwicklung des mitteldeutschen<br />
Raumes im Zusammenhang<br />
anschaulich darzustellen. In die Konzeption<br />
eines »Ganges durch die mitteldeutsche<br />
Erdgeschichte« – 1950 unter Weigelts<br />
Nachfolger Hans Gallwitz (1896–1958) im<br />
Ostflügel der »Neuen Residenz« in acht<br />
Ausstellungsräumen realisiert – fügte sich<br />
das Geiseltalmuseum mit seiner tertiärzeitlichen<br />
Tier- und Pflanzenwelt zwanglos<br />
ein. Das öffentliche Interesse war groß;<br />
dies belegen die hohen Besucherzahlen, die<br />
1952 ein Maximum erreichten.<br />
Abruptes Ende, Neubeginn und Vision<br />
Zu einem radikalen Bruch in der 180 Jahre<br />
währenden Entwicklung hin zu leistungsfähigen<br />
Universitäts-Instituten und anerkannten<br />
Sammlungen und Ausstellungen<br />
führten die Beschlüsse des VII. Parteitages<br />
der SED zur III. Hochschulreform 1967.<br />
Ende 1967 wurden das Mineralogisch-Petrographische<br />
und das Geologisch-Paläontologische<br />
Institut aufgelöst: Die Studierenden<br />
mussten nach Greifswald oder Freiberg<br />
wechseln. Die verbliebenen Mitarbeiter<br />
der Institute wurden den neuen Sektionen<br />
Biowissenschaften, Chemie oder Geographie<br />
zugeordnet, die Sammlungen und<br />
Magazine zersplittert. Wegen des steigenden<br />
Raumbedarfs in der »Neuen Residenz«<br />
waren die Sammlungen an ihren bisherigen<br />
Standorten bald ein Ärgernis und wurden<br />
deshalb zum großen Teil in feuchte Kellergewölbe<br />
verbracht.<br />
Mit der Neugründung des Fachbereichs<br />
Geowissenschaften 1994 wurde versucht,<br />
an die große geowissenschaftliche Tradition<br />
in Halle anzuknüpfen. Eine weitgehende<br />
Spezialisierung führte in der Einschätzung<br />
der Sammlungen nicht selten zu Konflikten,<br />
da diese, am stärksten bei den angewandten<br />
Disziplinen, in Forschung und<br />
Lehre kaum noch die ihnen traditionell zugemessene<br />
Rolle spielen.<br />
Der Austausch mit Sammlungsverantwortlichen<br />
an verschiedenen europäischen Universitäten<br />
zeigt, dass in den letzten Jahrzehnten<br />
vielerorts ein Wertewandel zu Ungunsten<br />
der Sammlungen eingetreten ist.<br />
Sphenophyllum longifolium (Germar)<br />
v. Gutbier; Beleg zu Germar 1844–1853 und<br />
Abbildungsoriginal zu W. u. R. Remy 1959.<br />
Stephan von Wettin. Foto: Scheiner<br />
Karl v. Fritsch (1838–1906), 1873–1906<br />
Professor für Mineralogie und Geologie.<br />
Foto: Archiv<br />
Publikation Johannes Walthers von 1911<br />
über die Entstehung von Windkantern. Beigefügt<br />
sind drei Beispiele. Foto: Scheiner<br />
Allerdings lassen sich in jüngster Zeit zunehmend<br />
auch entgegengesetzte Tendenzen<br />
beobachten, wonach die reichen Sammlungsbestände<br />
der Universitäten als »Kulturerbe«<br />
begriffen werden, mit dem verantwortlich<br />
umgegangen werden muss und auf<br />
das nicht zuletzt die Öffentlichkeit ein Anrecht<br />
besitzt.<br />
■<br />
Ernst Friedrich Germar (1786–1853), 1811–<br />
1851 Professor für Mineralogie und Direktor<br />
des Mineralienkabinetts. Foto: Archiv<br />
Von Karl v. Fritsch (1906) als Limulus henkelii<br />
v. Fritsch beschriebener »Pfeilschwanz«.<br />
Unterer Muschelkalk von Bad Kösen.<br />
Foto: Scheiner<br />
Johannes Walther (1860–1937), 1906–1929<br />
Professor für Geologie und Paläontologie.<br />
Foto: Archiv<br />
Der Verfasser studierte Geologie/Paläontologie<br />
an der Westfälischen Wilhelms-Universität<br />
in Münster und wurde dort 1985<br />
promoviert. Seit 1994 ist er als Kustos für<br />
die Geologisch-paläontologischen Sammlungen<br />
des Instituts für Geologische Wissenschaften<br />
und Geiseltalmuseum der<br />
Martin-Luther-Universität tätig.
UNIVERSITÄT UND LEOPOLDINA<br />
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scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />
AKTUELLE WISSENSCHAFTSGESCHICHTE IN ACTA HISTORICA LEOPOLDINA<br />
Wieland Berg und Sybille Gerstengarbe<br />
Die »großen demokratischen und nationalen Traditionen der Geschichte der ›Leopoldina‹<br />
lebendig zu erhalten, ... ihre Gegenwart und Vergangenheit durch die große, das ganze deutsche<br />
Volk mobilisierende nationale Idee und Zukunftsperspektive zu verbinden – das ist<br />
die Aufgabe und Verpflichtung aller, die für Einheit, Unabhängigkeit, Frieden und eine demokratische<br />
Erneuerung Deutschlands kämpfen.«<br />
Das ist keine Bundestagsrede, sondern Originalton DDR 1952 vom Prorektor Leo Stern<br />
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg anlässlich der Wiedereröffnung der Deutschen<br />
Akademie der Naturforscher Leopoldina mit feierlichem Festakt im Auditorium<br />
maximum – offizielles Zeichen der Verbundenheit zwischen Universität und Leopoldina,<br />
geschrieben in Sterns Festgabe »Zur Geschichte und wissenschaftlichen Leistung der<br />
Deutschen Akademie der Naturforscher«.<br />
Im selben Jahr 1952 wurden Studenten der halleschen Universität beim Verteilen von Flugblättern<br />
verhaftet, relegiert und nach einem Schauprozess ins Gefängnis gesteckt. Einer<br />
von ihnen kam aus dem Institut des Geologen Hans Gallwitz – Ordinarius an der Universität<br />
und aktives Leopoldinamitglied – und wurde von ihm nach dieser öffentlichen Diffamierung<br />
unterstützt – auch dies ein Zeichen für die Verbindung von Leopoldina und Universität;<br />
denn alle Leopoldinamitglieder engagierten sich für ihren Nachwuchs, wie andererseits<br />
die Studiker die zweijährlichen Jahresversammlungen der Leopoldina als akademische<br />
Höhepunkte erlebten und die Karten dafür wie Westgeld handelten. Die nationale Idee der<br />
verurteilten Studenten musste damals ohne Perspektive bleiben.<br />
Seit 1990 sieht alles anders aus. Die reale<br />
Zukunftsaussicht nach dem Ende der DDR<br />
– für Historiker und alle an der wirklichen<br />
Geschichte Interessierten – heißt: Klartext<br />
mittels geöffneter Archive und Darstellung<br />
des Geschehenen ohne ideologische Vorbehalte,<br />
Richtlinien oder Scheuklappen. Das<br />
gilt für Universität wie Leopoldina.<br />
In der jüngst erschienenen Nr. 37 der Acta<br />
Historica Leopoldina (AHL), einer biographischen<br />
Annäherung an »Kurt Mothes<br />
(1900–1983) – Gelehrter, Präsident, Persönlichkeit«,<br />
verfasst vom derzeitigen Präsidenten<br />
der Leopoldina, Benno Parthier,<br />
sind Sterns Verdienste um die Wiederzu-<br />
lassung der Leopoldina detailliert gewürdigt,<br />
doch zugleich ohne hagiographische<br />
und politische Rücksichtnahmen kritisch<br />
hinterfragt. Man kann es als Vorspiel künftiger<br />
Krisen lesen, wenn am 14. Februar<br />
1952 die wiederhergestellte Aula der Universität<br />
mit seinem Festvortrag über »Die<br />
Martin-Luther-Universität und ihre Beziehungen<br />
zur Deutschen Akademie der Naturforscher«<br />
eingeweiht wird, aber zwei<br />
Tage später in den offiziellen Begrüßungsreden<br />
beim Festakt der Leopoldina in derselben<br />
Aula weder diese Rede noch der<br />
Name Stern einer Erwähnung für würdig<br />
befunden werden.<br />
...............................................................................<br />
Leo Stern war es, der die »historische Leistung<br />
der Leopoldina« pries und die engen<br />
lokalen Beziehungen der beiden Institutionen<br />
zum »Anliegen der Deutschen Demokratischen<br />
Republik« und »des ganzen<br />
deutschen Volkes« in Beziehung setzte,<br />
wie das maschinenschriftliche Redemanuskript<br />
aus seinem Nachlass belegt. Unter<br />
seinem Rektorat entwickelten sich die Beziehungen<br />
zwischen Universität und Akademie<br />
erwartungsgemäß positiv. Man kann<br />
in AHL 37 nachlesen, warum. In der naturwissenschaftlichen,<br />
medizinischen und<br />
landwirtschaftlichen Fakultät dominierten<br />
in den 50er Jahren (von den SED-Falken<br />
der Parteileitung als »reaktionär« verschrieen)<br />
noch die bürgerlichen Professoren, und<br />
Stern wollte die »bürgerliche« wissenschaftliche<br />
Kompetenz – trotz eigener<br />
kommunistischer Überzeugung – für den<br />
»sozialistischen Aufbau« der Universität<br />
erhalten. Das respektierte das »bürgerliche<br />
Lager« unter Wortführung des Pflanzenbiochemikers<br />
Kurt Mothes, gleichzeitig Präsident<br />
der Leopoldina, und seiner »grauen<br />
Eminenz« als Vizepräsident der Akademie,<br />
Erwin Reichenbach, Chef der Universitäts-<br />
Zahnklinik (Foto unten).<br />
Selbst als Stern – mit Ulbrichts Billigung –<br />
Ende der 50er Jahre kaltblütig ausgebootet<br />
wurde, musste eine Bagatelle im Zusammenhang<br />
mit der Leopoldina als Vorwand<br />
herhalten. Zur Jahresversammlung 1959<br />
hatte zwar der frisch eingesetzte Rektor<br />
Gerhard Bondi die Leopoldinamitglieder zu<br />
einem Empfang der Universität geladen,<br />
aber Mothes stellte sie nicht Bondi, sondern<br />
Stern vor. Damit setzte er ein Zeichen,<br />
das auch das Ministerium für Staatssicherheit<br />
(MfS) registrierte: Parteigänger<br />
Bondis benutzten es gegen Stern.<br />
Weniger rühmlich war Sterns Rolle bei der<br />
»Zerschlagung« (O-Ton MfS) des Spirituskreises<br />
im Jahr 1958, dem seit 1890 existierenden<br />
»Kränzchen« prominenter Universitätsprofessoren,<br />
dem auch Leopoldinamitglieder<br />
angehörten (Foto Seite 14 unten).<br />
Da zog er noch mit Ulbricht an einem<br />
Strang.<br />
Diese brisanten Vorgänge und das krisenhafte<br />
Verhältnis zwischen Leopoldina und<br />
Universität danach sind detailliert und aktenkundig<br />
dargestellt in AHL 36 (2000)<br />
»Vorträge und Abhandlungen zur Wissenschaftsgeschichte<br />
1999/2000« (Friedemann<br />
Kurt Mothes und Erwin Reichenbach, Präsident<br />
und Vizepräsident der Leopoldina auf<br />
der Jahresversammlung der Akademie 1967<br />
Foto: Leopoldina-Archiv<br />
13
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
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Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />
................................................................................<br />
14<br />
Stengel: »Zur Kirchen- und Hochschulpolitik<br />
der SED am Beispiel der Martin-<br />
Luther-Universität Halle-Wittenberg in den<br />
fünfziger Jahren« [vgl. auch Seite 9 dieser<br />
Ausgabe]; Sybille Gerstengarbe: »Die Leopoldina<br />
in den konfliktreichen Jahren<br />
1958–1962«, eingeleitet von einem essayistischen<br />
Überblick aus der Feder von<br />
Günter Bruns: »Eine Zeitdiagnose des XX.<br />
Jahrhunderts – Von einem Betroffenen).<br />
Der Band AHL 36 öffnet die Reihe Acta<br />
Historica Leopoldina, bisher im wesentlichen<br />
auf Monographien und Tagungsbände<br />
beschränkt, der aktuellen wissenschaftshistorischen<br />
Diskussion. Zum Beispiel<br />
Emil Abderhalden, Wortführer der medizinischen<br />
Fakultät seit den 1920er Jahren<br />
und engagierter Leopoldinapräsident im<br />
Dritten Reich, berühmt durch die Entdekkung<br />
der »Abwehrfermente« – die nur einen<br />
Fehler haben: Es gibt sie nicht. Die<br />
Tiefenanalyse bis zu erhaltenen Laborprotokollen<br />
zeigt, was von den Legenden und<br />
heutigen, oft allzu pauschalen Vorwürfen<br />
zu halten ist (Michael Kaasch: »Sensation,<br />
Irrtum, Betrug? Emil Abderhalden und die<br />
Geschichte der Abwehrfermente«).<br />
Oder Konrad Lorenz – in AHL 39 (2000/<br />
<strong>2001</strong>) aus doppelter Perspektive betrachtet:<br />
aus Sicht des Zeitzeugen und Schülers<br />
(Bernhard Hassenstein) und in kritischer<br />
Analyse der Historikerin (Ute Deichmann).<br />
Ein unvergessliches Beispiel für das komplizierte<br />
Verhältnis zwischen Universität<br />
und Akademie ist der Leopoldinavortrag<br />
von Konrad Lorenz 1974 über »Die Evolution<br />
des Verhaltens« in der Universitätsaula.<br />
Obwohl die Veranstaltung in der Universität<br />
nicht durch Aushänge publik gemacht<br />
werden durfte, belagerten Studenten<br />
das Treppenhaus. In der Diskussion zum<br />
Vortrag Hassenstein berichten Zeitzeugen,<br />
wie geschickt es Lorenz verstand, dem ausgesperrten<br />
jungen Publikum dennoch die<br />
Türen zu öffnen (Foto rechts oben).<br />
Jährlich wird ein Band »Vorträge und Abhandlungen<br />
zur Wissenschaftsgeschichte«<br />
mit den Vorträgen der gut besuchten wissenschaftshistorischen<br />
Seminare der Akademie<br />
und freien Abhandlungen im Sinne<br />
einer wissenschaftshistorischen Zeitschrift<br />
erscheinen, einschließlich der ausgiebigen<br />
Diskussionen, wodurch, nach dem Urteil<br />
des kürzlich verstorbenen Altpräsidenten<br />
der Akademie Heinz Bethge, »die Vorträge<br />
erst vollständig werden«. Die Diskussionsbeiträge<br />
namhafter Zeitzeugen in AHL 36<br />
zum komplizierten Wechselspiel zwischen<br />
DDR-Obrigkeit und Akteuren vor Ort, zu<br />
Fragen moralischer Schuld oder den Möglichkeiten<br />
politischen Widerstandes öffnen<br />
der Wissenschaftsgeschichte einen neuen<br />
Mitglieder des Spiritus-Kreises bei einem Ausflug nach Wernigerode 1956 (v. l. n. r.: der Germanist<br />
Karl Bischof, der Philosoph Paul Menzer, der Theologe Otto Eissfeld, der Kirchenhistoriker<br />
Kurt Aland, der Landeskonservator Horst-Wolf Schubert, der Pädagoge Hans<br />
Ahrbeck, der Agrarwissenschaftler Erich Hoffmann, der Physiologe Bernd Lueken, der ein<br />
Jahr später auch Mitglied der Leopoldina wurde), fotografiert vom Geologen und Leopoldinamitglied<br />
Hans Gallwitz Foto: Nachlass Gallwitz im Familienbesitz<br />
Konrad Lorenz 1974 beim Leopoldinavortrag<br />
in der Universitätsaula. Obwohl die ideologisch<br />
ungenehme Veranstaltung über »Die Evolution<br />
des Verhaltens« in der Universität nicht publik<br />
gemacht werden durfte, belagerten Studenten<br />
das Treppenhaus. Lorenz begann seinen Vortrag<br />
erst, nachdem ihnen die Türen geöffnet<br />
wurden und der Saal schließlich total überfüllt<br />
war. Foto: Leopoldina-Archiv<br />
interdisziplinären Raum – interdisziplinär<br />
im erfrischenden Sinn: zwischen denen die<br />
handelten, und jenen, die dieses Handeln<br />
analysieren.<br />
Wie fruchtbar solches Zusammenwirken<br />
ist – und nota bene das seit 1990 wieder<br />
ungetrübte Verhältnis zwischen Universität<br />
und Leopoldina – wird schlagartig klar<br />
durch die eingangs erwähnten Verurteilungen<br />
von Studenten 1952. Ihre Akten würden<br />
heute im Uni-Archiv nach Ablauf von<br />
50 Jahren kassiert, weil der entscheidende<br />
Umstand damals nicht vermerkt wurde:<br />
Die verurteilten Studenten erscheinen darin<br />
einfach als »exmatrikuliert«, weil »nicht<br />
zurückgemeldet«.<br />
Kein Hinweis auf den Schauprozess, der<br />
eine ganze Seite der »Jungen Welt« füllte.<br />
Niemand würde von den dramatischen Vorgängen<br />
jener Jahre erfahren, wenn nicht<br />
Zeugnisse Betroffener den (in solchen Fällen<br />
absichtsvoll unvollständig gehaltenen)<br />
Dokumenten ihre Bedeutung zurückgäben.<br />
Ein Beitrag in AHL 39 wird diese Vorgänge,<br />
vertieft durch Aktenstudien, wieder<br />
öffentlich machen.<br />
■<br />
Dr. Wieland Berg, Biologiestudium in Halle<br />
(Promotion am FB Genetik), seit 1975 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter der Leopoldina<br />
(Archivaufbau unter Georg Uschmann,<br />
Redaktion Acta Historica Leopoldina und<br />
AG Wissenschaftsgeschichte).<br />
Dr. Sybille Gerstengarbe, Biologiestudium<br />
in Halle (Promotion am Biologischen Institut),<br />
seit 1990 Forschungsprojekte zur<br />
Akademiegeschichte im Dritten Reich, in<br />
SBZ und DDR im Rahmen der AG Wissenschaftsgeschichte<br />
der Leopoldina, gefördert<br />
vom BMBF bzw. von der VW-Stiftung.
GUSTAV SCHMOLLER UND JOHANNES CONRAD<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
FB Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften<br />
NATIONALÖKONOMIE IN HALLE ZWISCHEN 1860 UND ERSTEM WELTKRIEG<br />
Peter Hertner<br />
Als 1873 ein Staatswissenschaftliches Seminar an der Vereinigten Friedrichs-Universität<br />
Halle-Wittenberg eingerichtet wurde, blickten die Kameral- und Staatswissenschaften in<br />
Halle schon auf eine bemerkenswerte Tradition zurück. 1727 waren nämlich erstmals in<br />
Brandenburg-Preußen Lehrstühle für dieses Fach an den Universitäten Halle und Frankfurt/Oder<br />
gegründet worden. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch bildeten die sogenannten<br />
Kameralwissenschaften einen festen Bestandteil des Lehrangebots in Halle. Ziel war vor<br />
allem die Ausbildung von Beamten für den preußischen Staat. Ihnen sollten die juristischen<br />
und wirtschaftlichen, teilweise auch technische Aspekte ihrer künftigen Tätigkeit im Geist<br />
der Aufklärung vermittelt werden.<br />
Das beginnende 19. Jahrhundert sah auch<br />
in Halle den Siegeszug der »Klassik«, in erster<br />
Linie also der Lehre des schottischen<br />
Ökonomen Adam Smith, die sich in Kontinentaleuropa<br />
gerade an den preußischen<br />
Hochschulen besonders rasch durchsetzte.<br />
Gustav Schmoller<br />
und der Verein für Socialpolitik<br />
Mit Gustav Schmoller (1838–1917), der<br />
1864 mit gerade einmal 26 Jahren als Extraordinarius<br />
nach Halle berufen wurde und<br />
bereits im Folgejahr nach dem Tod seines<br />
Vorgängers Johann F. G. Eiselen den frei<br />
werdenden Lehrstuhl erhielt, kam hingegen<br />
der herausragendste Vertreter der so genannten<br />
Jüngeren Historischen Schule der<br />
Nationalökonomie zum Zuge. Er sollte in<br />
der Folgezeit, nachdem er 1872 an die unter<br />
deutscher Ägide wieder eröffnete Universität<br />
Straßburg und ein Jahrzehnt später<br />
nach Berlin berufen worden war, das Fach<br />
in Deutschland wie kein anderer dominieren.<br />
Wichtigstes wissenschaftliches Ergebnis<br />
seiner Jahre in Halle war Schmollers Band<br />
Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe<br />
im 19. Jahrhundert, der 1870 im Verlag<br />
der Buchhandlung des Waisenhauses erschien.<br />
Schmoller sah in ihm einen »Beitrag<br />
zur ethischen Begründung der Nationalökonomie«,<br />
wie er selbst formulierte. Der<br />
preußische Staat und seine Monarchie sollten<br />
in Schmollers Sicht der Gefährdung der<br />
Gesellschaftsordnung durch den revolutionären<br />
Sozialismus einerseits und das<br />
schrankenlose Besitzdenken der Kapitaleigner<br />
andererseits durch gezielte Sozialreformen<br />
entgegenwirken.<br />
Werkzeug für eine stärkere Wirkung nach<br />
außen sollte der im Herbst 1872 in Eisenach<br />
gegründete Verein für Socialpolitik sein.<br />
Die Vorbesprechung für seine Gründung<br />
fand unter führender Mitwirkung Gustav<br />
Schmollers am 8. Juli 1872 in Halle im Hotel<br />
Stadt Hamburg statt.<br />
Es ist sicher Zufall – aber was für ein Zufall!<br />
–, dass ausgerechnet die Wirtschafts-<br />
Gustav Schmoller (1838–1917)<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 40, II, S 118<br />
wissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität<br />
heute im selben Gebäude<br />
ihren Sitz gefunden hat.<br />
Der Verein für Socialpolitik wurde rasch<br />
zur wichtigsten Interessenvertretung der an<br />
Sozialreformen interessierten Ökonomen<br />
im Zweiten Deutschen Kaiserreich – noch<br />
heute dient er als Gesamtverband der<br />
WirtschaftswissenschaftlerInnen in den<br />
deutschsprachigen Ländern.<br />
Johannes Conrad<br />
als erfolgreicher akademischer Lehrer<br />
Nach Schmollers Weggang nach Straßburg<br />
wurde bereits im Sommer 1872 Johannes<br />
Conrad (1839–1915), seit 1870 Extraordinarius<br />
in Jena, auf den Lehrstuhl für<br />
Staatswissenschaften berufen. Conrad,<br />
Sohn eines bürgerlichen Gutsbesitzers aus<br />
Westpreußen, hatte ursprünglich Landwirt<br />
werden wollen, musste aus gesundheitlichen<br />
Gründen aber darauf verzichten. Im<br />
Studium an den Universitäten Jena und<br />
Berlin ebenso wie in seinen späteren Forschungen<br />
auf dem Gebiet der Volkswirt-<br />
...............................................................................<br />
schaftslehre beschäftigte er sich, darin seinen<br />
früheren Interessen folgend, vorwiegend<br />
mit agrarökonomischen Problemen.<br />
Dies war wohl auch der Hauptgrund für<br />
seine Berufung nach Halle, denn dort hatte<br />
das Studium der Landwirtschaft unter der<br />
Leitung von Julius Kühn einen stetigen<br />
Aufschwung genommen. Von einem Nationalökonomen,<br />
der überdies etwas von<br />
Agrarwirtschaft verstand, versprach man<br />
sich zusätzliche Vorteile.<br />
Conrad war kein bedeutender Theoretiker,<br />
auch nicht im – aus heutiger Sicht theoretisch<br />
relativ anspruchslosen – Rahmen der<br />
Historischen Schule, doch konnte er als<br />
akademischer Lehrer beachtliche Erfolge erringen.<br />
Diese Lehre blieb nicht auf die Vorlesungen<br />
beschränkt; ihr waren vor allem<br />
die Seminare gewidmet, die Conrad mit<br />
steigender Teilnehmerzahl über mehr als<br />
vier Jahrzehnte hinweg durchführte. Da es<br />
in den Staatswissenschaften bis in die<br />
Zwischenkriegszeit hinein keinen Diplomabschluss<br />
gab, waren diese Seminare aus<br />
heutiger Sicht eine Mischung aus Hauptund<br />
Doktorandenseminar. Überraschend ist<br />
die relativ hohe Anzahl ausländischer Studierender:<br />
ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtzahl<br />
aller Teilnehmer, die Conrads Seminare<br />
frequentierten. Skandinavier, Polen,<br />
Russen, Österreicher, Japaner, vor allem<br />
aber eine nicht unbedeutende Zahl von Studierenden<br />
aus den USA, finden sich in den<br />
Teilnehmerlisten und Protokollen der Seminarsitzungen,<br />
die bis heute im Universitätsarchiv<br />
aufbewahrt werden.<br />
Frauenstudium, Seminar und Bibliothek<br />
Im Sommersemester 1906 wurden zum<br />
ersten Mal zwei Teilnehmerinnen registriert,<br />
die beide aus Finnland stammten. Sie<br />
waren sicher nur als Gasthörerinnen zugelassen,<br />
denn erst 1908 – lange nach Österreich<br />
und der Schweiz, aber auch etliche<br />
Jahre nach den süddeutschen Bundesstaaten<br />
– erlaubte Preußen das Frauenstudium.<br />
Der Begriff »Seminar« wurde im übrigen<br />
nicht nur auf einen speziellen Typ von<br />
Lehrveranstaltungen angewandt, er bezog<br />
sich auch auf die Örtlichkeit, in der diese<br />
Veranstaltungen stattfanden. Bezeichnet<br />
wurde damit zugleich ein Raum, in dem die<br />
Seminare abgehalten wurden und wo sich<br />
eine kleine Bibliothek befand. Das Seminar<br />
war in dieser Hinsicht also der Vorläufer<br />
der späteren Institute mit ihren Institutsbibliotheken.<br />
15
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
FB Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften<br />
................................................................................<br />
Schmoller hatte auf ein solches Seminar<br />
16 hingearbeitet, es wurde aber erst seinem<br />
Nachfolger Conrad für das Sommersemester<br />
1873 mit einem Jahresbudget von 200<br />
Talern genehmigt.<br />
Johannes Conrad war aber nicht nur ein gewissenhafter<br />
Universitätslehrer und Autor<br />
eines recht erfolgreichen mehrbändigen<br />
Lehrbuchs, er war offenbar auch ein begabter<br />
Wissenschaftsorganisator. Seit 1871/72<br />
war er Mitherausgeber, seit 1878 sogar<br />
Hauptherausgeber der von Bruno Hildebrand<br />
in Jena begründeten Jahrbücher für<br />
Nationalökonomie und Statistik, einer der<br />
führenden wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Zeitschriften des deutschen Sprachraums.<br />
1889 gelang ihm zusammen mit zwei weiteren<br />
Ökonomen und dem halleschen Juristen<br />
Edgar Loening die Herausgabe des monumentalen<br />
Handwörterbuchs der Staatswissenschaften,<br />
das unter seiner Leitung<br />
bis zum ersten Weltkrieg drei Auflagen erlebte<br />
und zu dem praktisch alle führenden<br />
Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und<br />
Soziologen der Zeit – eben die »Staatswissenschaftler«<br />
– Beiträge geleistet haben.<br />
Neben Conrad erscheint in den Vorlesungsverzeichnissen<br />
und Chroniken der Universität<br />
Halle eine wachsende Zahl von Privatdozenten,<br />
die sich unter seiner Ägide<br />
habilitierten und meist nach einigen Jahren<br />
an andere Hochschulen berufen wurden.<br />
Seit 1885 wurde ihm der Finanzwissenschaftler<br />
Robert Friedberg als Extraordinarius<br />
zur Seite gestellt. 1894 wurde Fried-<br />
Johannes Conrad (1839–1915)<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 4, Nr. I, C 24<br />
berg zum ordentlichen Professor ernannt,<br />
so dass Halle jetzt zwei staatswissenschaftliche<br />
Ordinarien aufzuweisen hatte.<br />
Als Friedberg, der von 1886 bis 1920 als<br />
nationalliberaler Abgeordneter dem preußischen<br />
Landtag und zwischendurch auch<br />
dem Reichstag angehörte, 1904 aus dem<br />
Staatsdienst ausschied, wurde aus Münster<br />
Heinrich Waentig auf das zweite Ordinariat<br />
berufen, Waentig lehrte von 1909 bis zum<br />
Frühjahr 1914 in Tokio und war dazu offiziell<br />
beurlaubt worden.<br />
Auf eigenen Wunsch wurde Conrad mit<br />
Wirkung vom Wintersemester 1914/15<br />
emeritiert. Er starb wenig später, am 25.<br />
April 1915. Mit ihm ging eine Epoche zu<br />
Ende. Zwar war auch er schon im wesentlichen<br />
Nationalökonom, aber in der Lehre, in<br />
seinen statistischen Forschungen – zum<br />
Beispiel zur zeitgenössischen Hochschulstatistik<br />
–, besonders aber im fächerübergreifenden<br />
Projekt des erwähnten Hand-<br />
buchs, zeigte sich noch jene Einheit der<br />
Staatswissenschaften, an die heutige Sozialwissenschaften<br />
immer wieder anzuknüpfen<br />
versuchten. Methoden und Gegenstände<br />
der Historischen Schule wurden mit seinem<br />
Tod nicht plötzlich obsolet, sie fanden<br />
unter seinem Nachfolger Kurt Wiedenfeld<br />
und ab 1919 unter dessen Nachfolger Gustav<br />
Aubin ihre Fortsetzung. Der Paradigmenwechsel<br />
in der Volkswirtschaftslehre<br />
hin zu einer modellorientierten, die quantitativen<br />
Aspekte stärker berücksichtigenden<br />
Analyse, der sich – im internationalen Vergleich<br />
– in Deutschland erst mit Verspätung<br />
während der 1920er Jahre allmählich<br />
durchsetzte, erreichte Halle daher zunächst<br />
kaum.<br />
In einem Punkt war man in Halle allerdings<br />
kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />
weiter gekommen: Die Juristische Fakultät<br />
hatte bereits 1897 beim preußischen Kultusminister<br />
beantragt, »... das Lehrgebiet<br />
der Juristischen Fakultät auf die Staatswissenschaften<br />
auszudehnen und sie dadurch<br />
zu einer Rechts- und Staatswissenschaftlichen<br />
Fakultät umzugestalten«. Mit Rücksicht<br />
auf »... die älteren Vertreter der<br />
Staatswissenschaften, die bereits eine längere<br />
Reihe von Jahren Mitglieder der Philosophischen<br />
Fakultät waren ... «, und denen<br />
man den Fakultätswechsel offenbar nicht<br />
zumuten wollte, hatte das Ministerium seinerzeit<br />
den Antrag abgelehnt. Im Sommer<br />
1914 kam es schließlich doch zu einem<br />
Ministerialerlass, mit dem vom folgenden<br />
Wintersemester an die Juristische Fakultät<br />
in eine »Rechts- und Staatswissenschaftliche<br />
Fakultät« umgewandelt wurde. Die<br />
staatswissenschaftlichen Professuren in<br />
der Philosophischen Fakultät sollten dann<br />
anschließend in die Rechts- und Staatswissenschaften<br />
überführt werden. Alles deutet<br />
darauf hin, dass man die Emeritierung von<br />
Johannes Conrad abgewartet hatte, ehe der<br />
ministerielle Erlass erging. Auch in dieser<br />
Hinsicht brachte das Jahr 1914 einen Einschnitt,<br />
der allerdings mit dem Kriegsausbruch<br />
ausnahmsweise nichts zu tun hatte.<br />
■<br />
Der Verfasser, Jahrgang 1942, lehrte und<br />
forschte (nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre<br />
und Geschichte in Heidelberg,<br />
Besançon, Basel und Marburg) in Marburg,<br />
Darmstadt und Florenz (Promotion 1971,<br />
Habilitation 1986). Seit April 1995 wirkt er<br />
als Universitätsprofessor für Wirtschaftsund<br />
Sozialgeschichte am Institut für Geschichte<br />
der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg.
JÜDISCHE GELEHRTE AN DER UNIVERSITÄT HALLE<br />
DEUTUNG UND DEFINITION<br />
Giuseppe Veltri<br />
An der Schwelle zum 19. Jahrhundert genoss das Judentum theoretisch mehr Freiheit und<br />
Rechte als früher im Ghetto. Emanzipation bedeutete aber nicht unbedingt Genuss aller<br />
Freiheiten, die dem christlichen Nachbarn wie selbstverständlich zustanden. Leopold Zunz<br />
hat dies mit dem berühmten Satz beschrieben: »Das Ghetto ist gesprengt, aber die Verweisung<br />
noch nicht aufgehoben«. Der Kampf um die kulturelle Emanzipation, die die Anerkennung<br />
des Eigenen und die kritische Wahrnehmung des Allgemeinen beinhaltet, beschreibt<br />
den geistigen Zustand vieler jüdischer Gelehrter, angefangen – um in Sachsen-Anhalt<br />
zu bleiben – mit den Philosophen Moses Mendelssohn aus Dessau, Hermann Cohen<br />
aus Coswig und dem Hallenser Emil Fackenheim, der, an unserer Universität bis 1938 immatrikuliert<br />
und danach für 3 Monate in ein Konzentrationslager verschleppt, seine Heimatstadt<br />
Anfang 1939 verlassen musste. Verteidigt wurde die eigene Identität, die aus Geschichte<br />
und Gegenwart, Tradition und Sittlichkeit, Eigenart und Vergleichbarkeit besteht.<br />
Dieser historische Kampf ist gescheitert:<br />
Die Stimme des jüdischen Gelehrten wurde<br />
im deutschem Raum kaum wahrgenommen.<br />
Noch heute gibt es Erstaunen über die Existenz<br />
jüdisch-deutscher Literatur, darüber,<br />
dass eine »jüdische« Philosophie oder<br />
Theologie entwickelt wurden und vor allem<br />
darüber, wie sich die Juden Deutschlands<br />
bemüht haben, deutsches Bürgersein und<br />
jüdische Religion zu verbinden. Vergeblich,<br />
wie man weiß.<br />
Wenn man heute dennoch nach einer jüdischen<br />
Gelehrsamkeit sucht, die an der Universität<br />
in Halle gewirkt hat, stößt man auf<br />
die Hauptfrage: War die jüdische Identität<br />
für einen Gelehrten »jüdischen Glaubens«<br />
so maßgebend, dass man von jüdischer Gelehrsamkeit<br />
sprechen kann? Oder geht es<br />
uns nur um Gelehrte, die mehr oder weniger<br />
bewusst Juden waren? Die Frage ist<br />
nicht an den Haaren herbeigezogen, sie<br />
trifft den Kern der Sache. Denn bei der<br />
Hervorhebung einer »jüdischen« Gelehrsamkeit<br />
ist man gut beraten, von zwei Arten<br />
von jüdischer »Identität« auszugehen:<br />
Die eine betont den jüdischen Beitrag zur<br />
europäischen Geschichte – in diesem Fall<br />
haben wir es mit einer inneren Selbstdefinition<br />
zu tun –, die andere basiert auf einer<br />
recht zweifelhaften identitätsstiftenden<br />
Zugehörigkeit, die eher aus politischen und<br />
rassistischen Gründen entstand: »Jude«<br />
und »jüdisch« wird dann von außen her definiert.<br />
Konsequenzen nationalsozialistischer<br />
Gesetzgebung in Halle<br />
Beginnen wir mit der zweiten. Indem die<br />
Universitätsgremien die Rassengesetze fast<br />
widerstandslos angewendet, Studenten<br />
zwangsexmatrikuliert und Mitarbeiter entlassen<br />
haben, trugen sie dazu bei, die Akademie<br />
von der Rasse her zu bestimmen,<br />
mit der Konsequenz, eine (Über-)Identität<br />
zu kreieren, die nichts mit der Gelehrsam-<br />
Hermann Cohen (1842–1918)<br />
Zeichung von Unbekannt<br />
keit zu tun hatte. In diesem Sinne ist es bedenklich,<br />
bei denjenigen von jüdischer Gelehrsamkeit<br />
zu sprechen, die – obwohl<br />
Gelehrte – wegen ihres »Voll-, Halb- und<br />
Viertel-Jude«-Seins (nach Nazi-Definition)<br />
offiziell nicht mehr deutsche Gelehrte sein<br />
durften.<br />
Die Namen sind bekannt:<br />
— der Kunsthistoriker Paul Frankl (1878–<br />
1962), der Spezialist für Baukunst der Renaissance,<br />
Dekan und Mitglied des Akademischen<br />
Senats 1932 und 1933 war;<br />
— der Soziologe Friedrich Otto Hertz<br />
(1878–1964), der sich mit seinen Studien<br />
über Rassen und Nationalitäten gegen die<br />
nationalsozialistischen Irrlehren stellte und<br />
daher zum gehassten Feind der halleschen<br />
nationalsozialistischen Studentenführer<br />
wurde;<br />
— der Rechtshistoriker Guido Kisch<br />
(1888–1985), der 1925/26 Dekan der<br />
Rechtswissenschaftlichen Fakultät war;<br />
— der Jurist Friedrich Kitzinger (1872–<br />
1943);<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
FB Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften<br />
...............................................................................<br />
— der Ordinarius für Philosophie Emil<br />
Utitz (1883–1956);<br />
— der Mathematiker Reinhold Baer (1902–<br />
1979);<br />
— der Privatdozent Rudolf Bernstein<br />
(1880-?), der 1911 an der Landwirtschaftlichen<br />
Fakultät habilitierte;<br />
— der Wirtschaftshistoriker Georg Brodnitz<br />
(1876–1941);<br />
— der Gestaltpsychologe Adhémar Gelb<br />
(1887–1936);<br />
— der Direktor des Seminars für Genossenschaftswesen<br />
Ernst Grünfeld (1883–1938);<br />
— die erste Privatdozentin der Universität<br />
Halle, Betty Heimann (1888–1961), die<br />
1923 den Lehrauftrag für Sanskrit erhielt<br />
und 1931 zur außerordentlichen Professorin<br />
für Indologie ernannt wurde.<br />
Ihnen allen wurde die Lehrbefugnis entzogen<br />
und sie wurden zwangsweise in den<br />
Ruhestand versetzt. Das geschah nach der<br />
Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung<br />
des Berufsbeamtentums und vor<br />
den Nürnberger Gesetzen.<br />
Später verloren auch die Professoren Otto<br />
Bremer (1862–1936, Professor für Phonetik),<br />
Max Fleischmann (1872–1943, Professor<br />
für Staatsrecht, Kolonialrecht und<br />
Landwirtschaftsrecht; vgl. auch den Text<br />
von Cordula Günther, S. 19), Paul Friedländer<br />
(1882–1932, Professor für Gräzistik),<br />
Arnold Japha (1877–1943, Professor<br />
für Anthropologie) und Richard Laqueur<br />
(1881–?, Professor für Alte Geschichte),<br />
ihren Stellen und wurden zwangsemeritiert<br />
bzw. beurlaubt.<br />
Prof. Dr. Arnold Japha (1877–1943)<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 40, Nr. I, J 17<br />
17
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
FB Geschichte, Soziologie und Sozialwissenschaften<br />
................................................................................<br />
Die hallesche Universität war nicht beson-<br />
18 ders eifrig in ihrem Widerstand gegen Hitler<br />
und zog die passive Gehorsamkeit vor, wie<br />
der Mediziner Theodor Brugsch in seinen<br />
Erinnerungen anmerkt: »Bereits in den Jahren<br />
1931 bis 1933 konnte man verfolgen,<br />
wie der Nazismus in große Teile der Bevölkerung<br />
eindrang und von nicht wenigen widerstandslos<br />
akzeptiert wurde. In den<br />
Kreisen, die ich kannte, geschah das aber<br />
oft nicht einmal aus Überzeugung, sondern<br />
aus einer gewissen Furcht heraus, daß man<br />
den Anschluß verpassen könnte«.<br />
Nach der Nazi-Diktatur fing die Diktatur<br />
des Proletariats an, die, nach den Worten<br />
Professor Victor Klemperers am 12. <strong>Oktober</strong><br />
1949, ersterer allzu ähnlich sah: »›Die<br />
deutsche demokratische Republik‹. Das<br />
tobt seit gestern im Rundfunk [...]. Mir ist<br />
nicht wohl dabei. Ich weiß, wie alles gestellt<br />
und zur Spontaneität und Einstimmigkeit<br />
vorbereitet ist. Ich weiß, daß es nazistisch<br />
genauso geklungen hat und zugegangen<br />
ist. Ich weiß, wie wenig Realität dahinter<br />
steckt.«<br />
Zur Lektüre empfohlen:<br />
300 Jahre Juden in Halle. Leben, Leistung,<br />
Leiden, Lohn. Festschrift zum 300-jährigen<br />
Bestehen der Jüdischen Gemeinde zu Halle,<br />
hgg. von der Jüdischen Gemeinde zu Halle,<br />
Mitteldeutscher Verlag GmbH Halle 1992,<br />
543 Seiten, Best.-Nr. ISBN 3-354-00786-9<br />
Jüdische Gelehrsamkeit an der<br />
Alma Mater Halensis im 19. Jahrhundert<br />
Wenden wir uns der anderen (ersten) Art<br />
zu. Allerdings sind jüdische Gelehrte, die<br />
das Judentum als wesentlichen Teil ihrer<br />
Selbstdefinition betrachtet haben und mit<br />
der Universität Halle in Verbindung gestanden<br />
haben, viel weniger bekannt.<br />
Seit 1847 durften Juden kraft eines Gesetzes<br />
von König Friedrich Wilhelm IV. Dozenten<br />
(Privatdozenten und Professoren)<br />
werden, jedoch lediglich in den medizinischen,<br />
mathematischen, geographischen<br />
und sprachwissenschaftlichen Fächern.<br />
Das Recht zur Promotion war längst Praxis.<br />
Nicht nur der Literaturhistoriker Leopold<br />
Zunz (1794–1886), sondern auch der<br />
Exeget und Rabbiner Esriel Hildesheimer<br />
(1820–1899) und der Philosoph Hermann<br />
Cohen (1842–1918), der der erste jüdische<br />
Philosophieprofessor Deutschlands (in<br />
Prof. Dr. Betty Heymann (1888–1961)<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 40, Nr. I, H 2<br />
Marburg) werden sollte, zählen zu den jüdischen<br />
Doktoren der halleschen Philosophischen<br />
Fakultät.<br />
Leopold Zunz, dessen Aufenthalt in Halle<br />
kaum mehr als ein paar Stunden betrug,<br />
kommentiert das unkomplizierte Verfahren<br />
der Fakultät in einem Brief an dieselbe: »Es<br />
macht mir Vergnügen aufs neue eine Gelegenheit<br />
zu haben, wodurch ich mich bei<br />
Ew. Wohlgeb. in Erinnerung bringe, und<br />
nicht wenig Freude liegt für mich in der<br />
Cultivirung der Wissenschaft schon darin,<br />
daß ich dadurch mit würdigen Gelehrten in<br />
nähere Berührung komme«. Sicherlich war<br />
dies rhetorische Emphase, aber auch Anerkennung<br />
für die Leistung einer Fakultät, die<br />
in wenigen Tagen die Arbeit Zunz’ gelesen<br />
und begutachtet und ihm sein Doktordiplom<br />
zugeschickt hatte. Halle war auch für<br />
zwei weitere jüdische deutsche Literaten<br />
von außerordentlicher Bedeutung.<br />
Prof. Dr. Paul Frankl (1878–1962)<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 40, Nr. I, F 7<br />
Ludwig Börne (1786–1837) studierte ab<br />
1803 Medizin bei Johann Christian Reil.<br />
1823 schrieb Börne Die Apostaten des Wissens,<br />
darin heißt es: »Ich erinnere mich mit<br />
Entzücken jener akademischen Jahre, die<br />
ich in Halle gelebt. In Halle herrschte damals<br />
ein frisches, seelenvolles, höchst bewegtes<br />
wissenschaftliches Leben. Die weise<br />
und gütige Sorgfalt der preußischen Regierung<br />
hatte einen Verein von akademischen<br />
Lehrern gebildet, die, ohne sich vom<br />
alten Bewährten abzukehren, dem Neuen<br />
zugewendet werden.«<br />
Der Philosoph Edmund Husserl (1859–<br />
1938), der 1886 in Wien zum Christentum<br />
konvertierte, war von 1887 bis 1900 Privatdozent<br />
in Halle. Zum 200. Universitätsjubiläum<br />
(1894) wurde ihm zwar der Titel<br />
Professor verliehen, jedoch ohne den entsprechenden<br />
finanziellen Status. Im Jahr<br />
1900 erhielt er gegen den Widerstand der<br />
Philosophischen Fakultät Göttingen auf<br />
Drängen der preußischen Regierung ein<br />
etatmäßiges Extraordinariat. Über seine<br />
hallesche Zeit bemerkte er 1930 anerkennend:<br />
»Und schließlich ist in den schweren<br />
14 Jahren meiner Hallenser Privatdozentenzeit<br />
doch ein Anfang geworden – die<br />
Logischen Untersuchungen, die mir nunmehr<br />
Halt und Hoffnung gaben. Mit ihnen<br />
habe ich mich selbst kuriert«.<br />
So ist also jüdische Gelehrsamkeit im doppelten<br />
und umfassenden Sinn durchaus von<br />
Belang für die Geschichte der halleschen<br />
Universität; und nicht zufällig hat sich hier<br />
in den letzten Jahren ein in Forschung und<br />
Lehre leistungsfähiges Seminar für Jüdische<br />
Studien etabliert, das mit dem Wittenberger<br />
Leopold-Zunz-Zentrum (LZZ) zur Erforschung<br />
des europäischen Judentums auf<br />
das engste kooperiert.<br />
■<br />
Der Verfasser, Jg. 1958, studierte 1978 bis<br />
1986 in Viterbo und Rom Philosophie,<br />
Theologie und Bibelwissenschaft. Seit 1997<br />
ist er Professor für Judaistik und Jüdische<br />
Studien an der Martin-Luther-Universität<br />
und seit 1998 Direktor des LLZ.<br />
Schwerpunkte seiner Forschung sind die<br />
Philosophie des Judentums, politische und<br />
ökonomische Theorien vom 16. bis 18.<br />
Jahrhundert und Biographienforschung.
VORLÄUFER EINER MODERNEN DISZIPLIN<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften<br />
AUF DEN SPUREN DER GESCHICHTE DES INSTITUTS FÜR ZEITUNGSWESEN<br />
Cordula Günther<br />
Die Medien- und Kommunikationswissenschaften sind eine junge Fachrichtung, die auf<br />
eine kurze, aber expansive wissenschaftliche Tradition zurückblickt. Der Aufstieg des Faches<br />
liegt nicht zuletzt an der gegenwärtigen Medienentwicklung, dem Anschluss an die<br />
globalen digitalen Informationsnetze, an dem kein Bereich der Gesellschaft vorbeikommt.<br />
Eine ähnliche Situation und Argumentation<br />
führte Ende der zwanziger Jahre in Halle<br />
schon einmal dazu, das Studium der modernen<br />
Medien, damals der Zeitung, zu institutionalisieren.<br />
Diese Institutsgründung<br />
kann als Vorgeschichte der Medien- und<br />
Kommunikationswissenschaften in Halle<br />
angesehen werden.<br />
Im Wintersemester 1927 begann der Lehrbetrieb<br />
am »Institut für Zeitungswesen«.<br />
Es war der Jurist, der Völker- und Staatsrechtler<br />
Max Fleischmann, der das Studium<br />
der Zeitungskunde fächer- und disziplinenübergreifend<br />
als eine gesellschaftliche Notwendigkeit<br />
ansah und die Institutsgründung<br />
durchgesetzt hatte. Die Zeitungswissenschaft<br />
musste seiner Meinung nach<br />
integrierender Bestandteil aller Disziplinen<br />
sein, interdisziplinär und aus den Erfordernissen<br />
der Praxis heraus erforscht werden.<br />
(vgl. Hans Bursian, S. 484 ff)<br />
Eine studentische Projektgruppe der Medien-<br />
und Kommunikationswissenschaften<br />
betreibt derzeit Geschichtsschreibung in eigener<br />
Sache und erforscht die wechselvolle<br />
und lückenhaft dokumentierte Geschichte<br />
des Instituts für Zeitungswesen mit dem<br />
Ziel, eine Ausstellung zur Geschichte des<br />
Instituts und zur Biographie von Max<br />
Fleischmann zu organisieren.<br />
Literatur über Max Fleischmann:<br />
Hans Bursian, Max Fleischmann und das Institut für Zeitungswesen der Universität<br />
Halle/Wittenberg. In: Publizistik 4/92<br />
Walter Pauly: Max Fleischmann (1872–1943) und das Öffentliche Recht in Halle.<br />
In: Derselbe (Hg.), Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft<br />
(= Hallesche Schriften zum Recht, Bd. 1), Köln, Berlin, Bonn, München 1996<br />
Von der Gründungsphase des Instituts bis<br />
1935 ist die Institutsgeschichte untrennbar<br />
verbunden mit der Lebensgeschichte des<br />
konvertierten Juden Max Fleischmann, der<br />
1935 aufgrund der Rassengesetze von allen<br />
universitären Ämtern »entpflichtet« wurde<br />
und 1943 in Berlin Selbstmord beging, um<br />
der Deportation zu entkommen.<br />
Die Projektgruppe verfolgt zwei inhaltliche<br />
Schwerpunkte, die sich aus der Situation<br />
nach 1935 ergeben und die sich wie folgt<br />
skizzieren lassen:<br />
– die weitere Geschichte des Instituts in<br />
der Zeit des Nationalsozialismus unter der<br />
Leitung von Theodor Lüddecke bis 1938<br />
und Angliederung an die Philosophische<br />
Fakultät; eine Phase der faktischen Auf-<br />
lösung bzw. Nichtexistenz des Institutes;<br />
Wiedergründungsversuche nach 1946; institutionelle<br />
und politische Gründe der<br />
Schließung;<br />
– die Umsiedlung Max Fleischmanns nach<br />
Berlin; seine Lebensumstände in Berlin bis<br />
zu seinem Freitod im Jahr 1943; die Rückkehr<br />
seiner Witwe nach Halle, ihre Unterstützungsgesuche<br />
an die Universität; die<br />
Umbenennung der Fehrbellinstraße in<br />
Max-Fleischmann-Straße 1946, die seine<br />
Witwe noch erlebte; der Tod von Frau<br />
Fleischmann 1949 in Halle unter ärmlichen<br />
Umständen.<br />
Obwohl ein Nachlass Max Fleischmanns<br />
nicht aufgefunden wurde, ist seine Biographie<br />
kein wissenschaftliches Neuland. Bislang<br />
ehrte man vor allem den jüdischen<br />
Rechtsgelehrten Max Fleischmann und es<br />
wurden seine Verdienste um die Juristische<br />
Fakultät gewürdigt. (vgl. Walter Pauly) So<br />
weisen die Biographie und die Geschichte<br />
des Institutes zahlreiche Lücken auf. Diese<br />
will die Forschungsgruppe u. a. mit Hilfe<br />
der Methode der mündlichen Geschichte<br />
so weit wie möglich schließen.<br />
Hier setzt die Suche nach Zeitzeugen an,<br />
die mit ihren Erinnerungen und aus der Perspektive<br />
der Beteiligten dazu beitragen<br />
können, die weißen Flecke in der Geschich-<br />
te des Instituts und in der Biographie Max<br />
Fleischmanns aufzuarbeiten.<br />
Hinter Sätzen wie »Die Neugründung des<br />
Halleschen Instituts für Zeitungswesen im<br />
Studienjahr 1947/48 blieb eine wenig bedeutende<br />
Episode. Rudolf Agricola, vorher<br />
Lizenzträger der ›Rhein-Neckar-Zeitung‹<br />
in Heidelberg und Vorsitzender der Deutschen<br />
Allgemeinen Nachrichtenagentur, der<br />
...............................................................................<br />
die Leitung des Instituts übernommen hatte,<br />
wurde schon im Sommer 1948 mit der<br />
Einrichtung eines Instituts für Politische<br />
Ökonomie beauftragt.« (Hans Bursian, S.<br />
491) verbergen sich politische Entscheidungen,<br />
institutionelle Weichenstellungen<br />
und persönliche Lebenswege, deren Tragweite<br />
man nur erahnen kann.<br />
Max Fleischmann als 230. Rektor der Alma<br />
mater halensis in den Jahren 1925/26<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 40, Nr. I, F 6<br />
Die Forschungsgruppe hofft deshalb auf<br />
persönliche Erinnerungen und Lebenszeugnisse,<br />
die den bloßen Aktennotizen<br />
Leben einhauchen können.<br />
■<br />
Die Autorin studierte 1972–1976 Deutsch<br />
und Französisch an der Martin-Luther-<br />
Universität. Nach Forschungsstudium und<br />
Promotion in Literaturtheorie/-soziologie<br />
war sie wiss. Mitarbeiterin an der MLU,<br />
ab 1984 wiss. Mitarbeiterin am Zentralinstitut<br />
für Jugendforschung in Leipzig. Seit<br />
1992 Projektmitarbeiterin und ab 1995<br />
Leiterin der Außenstelle Leipzig des KWI<br />
(Kulturwissenschaftliches Institut NRW).<br />
Seit 1998 ist sie wiss. Mitarbeiterin in der<br />
Abteilung Medien- und Kommunikationswissenschaften<br />
der halleschen Universität.<br />
AUFRUF:<br />
Wer erinnert sich?<br />
Wer erinnert sich an das Institut für Zeitungswesen, hat dort<br />
gearbeitet oder kennt Personen, die mit seiner Geschichte<br />
verbunden sind?<br />
Wer erinnert sich an die Neugründungsversuche nach 1945?<br />
Meldungen werden erbeten an<br />
Dr. Cordula Günther, Medien- und Kommunikationswissenschaften<br />
Rudolf-Breitscheidstraße 10, 06110 Halle<br />
Tel: 0345 / 552 35 75, E-Mail: guenther@medienkomm.uni-halle.de<br />
19
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />
»... MIT MÄNNLICHER GEDIEGENHEIT DER GEDANKEN GESCHRIEBEN«<br />
DISSERTATIONEN VON FRAUEN AN DER UNIVERSITÄT HALLE (1898–1933)<br />
Edith Glaser<br />
................................................................................<br />
Dorothea Christiana Erxleben wurde bereits im Jahr 1754 als erste deutsche Ärztin zur<br />
20 Doktorin der Medizin promoviert. Sie war zugleich die erste Frau, die an der Universität<br />
Halle einen Doktortitel erhielt. Über sie ist schon viel berichtet worden; seit 1994 steht –<br />
eingeweiht im Rahmen der Feierlichkeiten aus Anlass der 300-Jahr-Feier der Alma mater<br />
halensis – ihre Büste (von Marianne Traub) auf dem Freigelände des Klinikums Kröllwitz.<br />
Die zweite Frau, die an der Vereinigten<br />
Fridericiana den Doktorgrad erwarb, folgte<br />
erst 144 Jahre später. Am Ende des Wintersemesters<br />
1897/98 hatte Hildegard<br />
Ziegler ihr Studium an der Philosophischen<br />
Fakultät abgeschlossen. Auf diese Zeit zurückblickend,<br />
schrieb sie in ihren 1953 veröffentlichten<br />
Lebenserinnerungen:<br />
»Meine Doktorarbeit machte ich bei Professor<br />
Droysen, und zwar über die Chronik<br />
des Cario [...]. In Philosophie war Benno<br />
Erdmann mein Lehrer, dessen Logikkolleg<br />
ich viel verdanke [...]. Zum erstenmal stand<br />
ich in der Zeitung, und der ›Kladderadatsch‹<br />
spendete mir sogar ein Gedicht. Ich<br />
war froh, aus Halle wegzukommen.«<br />
Dorothea Erxleben und Hildegard Ziegler<br />
stellten Ausnahmen dar, denn sie waren<br />
promoviert worden (lange) bevor Frauen<br />
an deutschen Universitäten überhaupt im-<br />
matrikuliert werden durften. Erxlebens<br />
Promotion stellt ein singuläres Ereignis in<br />
der halleschen Universitätsgeschichte dar;<br />
Zieglers Doktortitel – und überhaupt ihr<br />
Studium an der Philosophischen Fakultät –<br />
war ein lokaler Zwischenerfolg auf dem<br />
langen Weg zur Zulassung von Studentinnen<br />
an preußischen Universitäten zum<br />
Wintersemester 1908/09.<br />
Dieser beiden Akademikerinnen erinnert<br />
man sich vor allem immer dann, wenn Pioniertaten<br />
öffentlich als Plaketten der Fortschrittlichkeit<br />
ans Revers geheftet werden.<br />
Über die nachfolgenden Studentinnen an<br />
der halleschen Universität, die bis zum<br />
Systemwechsel 1933 studierten, über deren<br />
Bildungsbiographie, Studium und wissenschaftliche<br />
Leistungen ist aber fast<br />
nichts bekannt. Ausgehend von Untersuchungen,<br />
die sich mit einer frühen Frauen-<br />
forschung in der Nationalökonomie und in<br />
der Soziologie beschäftigten, wurden in einem<br />
studentischen Forschungsprojekt die<br />
wissenschaftlichen Leistungen von Frauen<br />
untersucht, genauer gesagt: wie viele Frauen<br />
ihr Studium in Halle mit einer Promotion<br />
abschlossen, über welche Themen bei<br />
welchen Professoren promoviert wurde<br />
und wie diese Arbeiten beurteilt wurden.<br />
Nach den bisherigen Erhebungen schlossen<br />
bis zum Jahr 1933 insgesamt 149 Frauen<br />
ihr Studium an der Vereinigten Friedrichs-<br />
Universität Halle-Wittenberg mit einer<br />
Promotion ab. Von diesen hatten zwei<br />
Drittel ihre Doktorarbeiten in der Philosophischen<br />
Fakultät eingereicht. Das übrige<br />
Drittel verteilte sich in etwa gleichmäßig<br />
auf die Rechts- und Staatswissenschaftliche,<br />
auf die Naturwissenschaftliche und<br />
auf die Medizinische Fakultät. Die hohe<br />
Zahl der gerade in Halle an der Philosophischen<br />
Fakultät eingereichten Promotionen<br />
hängt auch damit zusammen, dass bis 1923<br />
die naturwissenschaftlichen Disziplinen<br />
noch zur Philosophischen Fakultät gehörten.
Doktorurkunde für Luise Schoeps, ausgestellt am 22. November 1915 unter dem Rektorat von Otto Kern und<br />
dem Dekanat von Eugen Hultzsch an der Philosophischen Fakultät der halleschen Universität<br />
Universitätsarchiv Halle, Rep. 21, II, Nr. 203<br />
Dem Beispiel Hildegard Wegscheider (geb.<br />
Ziegler) folgten vor 1908 noch weitere<br />
Frauen: Einige Medizinerinnen, die bereits<br />
den Großteil ihrer akademischen Ausbildung<br />
an Schweizer Universitäten absolviert<br />
hatten, erwarben in Halle Doktortitel und<br />
medizinisches Staatsexamen. Unter den<br />
weiteren vier angehenden Akademikerinnen<br />
der Philosophischen Fakultät waren auch<br />
zwei Amerikanerinnen aus Illinois, die mit<br />
einem literaturhistorischen bzw. einem<br />
pädagogischen Thema bei dem Anglisten<br />
Albrecht Wagner bzw. bei dem Historiker<br />
Gustav Droysen promoviert wurden.<br />
Typisch für diese vier Doktorinnen war,<br />
dass sie schon Ende zwanzig waren, als sie<br />
ihre akademische Ausbildung beendeten.<br />
Nach der Öffnung der Universität für Frauen<br />
haben bis zum Ende des Kaiserreichs<br />
insgesamt 42 Studentinnen promoviert, davon<br />
fast zwei Drittel in den Kriegsjahren<br />
1914 bis 1918. In ihren Bildungswegen hin<br />
zur Promotion spiegelt sich die Bildungssituation<br />
von Frauen im späten Kaiserreich<br />
wieder: Knapp die Hälfte hatte vor Aufnahme<br />
des Studiums schon eine Berufsausbildung<br />
in der Wohlfahrtspflege absolviert<br />
oder als Lehrerinnen gearbeitet und waren<br />
damit zum Zeitpunkt der Promotion eben-<br />
falls schon Ende zwanzig. Da die Mehrheit<br />
der Frauen in diesen Jahren aufgrund ihrer<br />
Vorbildung und der beruflichen Perspektiven<br />
an der Philosophischen Fakultät studierten,<br />
finden wir auch hier die meisten<br />
Promotionen.<br />
In der Weimarer Republik wurde ein akademisches<br />
Studium für junge Mädchen aus<br />
bürgerlichen Kreisen weitaus üblicher; neue<br />
Berufsfelder hatten sich formal geöffnet.<br />
Daher stieg nicht nur die Zahl der Studentinnen<br />
Ende der 20er Jahre auf über 10<br />
Prozent, auch die Zahl der Promotionen<br />
nahm zu: 1930 und 1933 sind jeweils 13<br />
Dissertationen in der Statistik zu finden.<br />
Die Promovendinnen wurden jünger und<br />
ihre Bildungswege gradliniger.<br />
Der Anglist Max Deutschbein gehörte neben<br />
dem Nationalökonomen Carl Aubin<br />
und dem Philosophen Paul Menzer zu den<br />
Hochschullehrern, die relativ viele Dissertationen<br />
betreuten. Diese Arbeiten müssen<br />
überdurchschnittlich gut ausgefallen sein,<br />
denn beispielsweise beurteilte Deutschbein<br />
die Arbeit von Hildegard Harz 1917:<br />
»Frl. Harz versucht nun eine neue – gerade<br />
zu geniale Erklärung.... Ich muß bekennen,<br />
daß so weittragende Untersuchungen mir<br />
von Studierenden noch nicht zu Gesicht<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />
...............................................................................<br />
gekommen sind ... Die Verfasserin hat aber<br />
nicht nur eine fruchtbare Idee verwertet,<br />
sondern sie zeigt bei der Durchführung dieser<br />
Idee so viel Denkenergie, daß sie besonders<br />
dieser ihre guten Resultate verdankt.«<br />
Der Historiker Richard Fester bescheinigte<br />
seiner Promovendin: »Fräulein Schoeps hat<br />
sie mit männlichem Verstand und mit<br />
männlicher Gediegenheit der Gedanken geschrieben<br />
... Es ist die erste in Halle eingereichte<br />
Arbeit, die der Fakultät ohne vorausgegangene<br />
Umarbeitung vorgelegt werden<br />
konnte.«<br />
Diese Lobreden fanden nicht immer ihren<br />
Niederschlag in den Noten. Die höchste<br />
Note, »summa cum laude«, wurde nur<br />
zwei Mal vergeben. Die häufigste Zensur<br />
war »magna cum laude«. Aufschlussreicher<br />
als der Notenspiegel für die Beurteilung<br />
wissenschaftlicher Leistungen sind die<br />
Gutachten der Hochschullehrer. Fast alle<br />
Gutachten, die mit den Noten »magna cum<br />
laude« oder »cum laude« endeten, bescheinigten<br />
den Doktorandinnen Fleiß. Für den<br />
einen war die Dissertation »eine fleißige<br />
Untersuchung«, der andere bescheinigt,<br />
dass »die Arbeit mit Fleiß durchgeführt«<br />
wurde und ein dritter attestiert der Verfasserin<br />
»rühmenswerten Fleisse«.<br />
Auch wenn sich in der Weimarer Republik<br />
die akademische Ausbildung von Frauen<br />
durchgesetzt zu haben scheint, so zeigen<br />
doch gerade diese, vor allem den Fleiß betonenden<br />
oder die Leistungen an männlichen<br />
Normen messenden Urteile, dass wissenschaftliche<br />
Leistungen von Akademikerinnen<br />
noch nicht als selbstverständlich<br />
galten.<br />
■<br />
Die Autorin ist Privatdozentin am FB Erziehungswissenschaften<br />
der Martin-Luther-<br />
Universität. Sie studierte von 1974 bis<br />
1980 in Tübingen Pädagogik, Geographie<br />
und Mathematik, war dann an den Universitäten<br />
Tübingen und Bielefeld tätig (Promotion<br />
1989 in Erziehungswissenschaften).<br />
Von 1994 bis 2000 war sie wiss. Assistentin<br />
in Halle und arbeitet z.Zt. als wiss. Angest.<br />
in der Abt. Historische Erziehungswissenschaft<br />
der Humboldt-Universität zu Berlin.<br />
21<br />
Dieser Beitrag basiert auf einem im Wintersemester<br />
2000/01 am Institut für Pädagogik angebotenen<br />
Projektseminar »›Weibliche Wissenschaft‹ im<br />
Kaiserreich und in der Weimarer Republik?«.<br />
Die Studentinnen Anja Becker, Petra Fink, Dana<br />
Jung, Susanna Kovács und Jessika Piechocki haben<br />
die Daten im Universitätsarchiv erhoben und<br />
eine erste Auswertung vorgenommen.
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Universitätsgeschichte<br />
................................................................................<br />
22<br />
DAS »SCHLEIERMACHER-HAUS«<br />
EIN GESCHICHTSTRÄCHTIGES GEBÄUDE IM ZENTRUM HALLES<br />
Hans-Joachim Kertscher<br />
Dass Halle an der Saale seit Jahrhunderten eine Universitätsstadt ist, spiegelt sich auch in<br />
den Namen von Straßen und Plätzen wider. Das Andenken an viele Geistesgrößen der<br />
Alma mater halensis (et vitebergensis) bleibt so für die Nachwelt bewahrt. Eine Straße im<br />
Herzen der Stadt, unmittelbar vom Marktplatz – dem Standort des ersten Universitätsgebäudes,<br />
der Alten Waage – ausgehend, war eine besonders bevorzugte Wohngegend von<br />
Professoren des 18. und 19. Jahrhunderts: die Große Märkerstraße. Hier erinnern zahlreiche<br />
Tafeln an die illustren Bewohner von einst.<br />
Eines der alten Häuser trägt sogar den Namen seines berühmtesten Besitzers: Es wird bis<br />
heute das »Schleiermacher-Haus« genannt.<br />
Auf der Suche nach älteren Baudenkmälern<br />
in der Stadt Halle wird man schwer an dem<br />
in der Großen Märkerstaße gelegenen Haus<br />
21/22 vorübergehen können. Dem Betrachter<br />
bietet sich zunächst der Anblick eines<br />
stattlichen Renaissancehauses, dessen Entstehung<br />
in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts<br />
fällt. Beeindruckend ist die Länge<br />
des dreigeschossigen Baus, der in den oberen<br />
Etagen mit zwanzig Fensterachsen ausgestattet<br />
ist und im Erdgeschoss einer halb-<br />
runden Toreinfahrt Platz bietet. Im Hof,<br />
links neben dieser Einfahrt, wird der Betrachter<br />
mit einem Wendelstein der Spätrenaissance<br />
konfrontiert, über den die einzelnen<br />
Geschosse zu erreichen sind. Im<br />
Hof selbst sind Reste eines rechteckigen<br />
Bruchsteingebäudes gefunden worden, das<br />
aus spätromanisch-frühgotischer Zeit um<br />
etwa 1200 stammt und damit zu den ältesten<br />
nachweisbaren Bauzeugnissen Halles<br />
zu zählen ist. Nach der Teilung (um 1700)<br />
Das »Schleiermacher-Haus« im desolaten Zustand der Vorwende-Zeit (September 1985)<br />
Foto: Seidel, Stadtarchiv Halle, Bilderkasten Nr. 15<br />
des ehemals einer Familie gehörenden Hauses<br />
erhielt die später als Nummer 22 in den<br />
Urkunden geführte Hälfte des Hauses als<br />
Eingang ein barockes Portal. Nach mehrmaligem<br />
Besitzerwechsel kaufte 1679 der<br />
Kammerdiener des letzten Administrators<br />
des Erzbistums Magdeburg (Herzog August<br />
von Sachsen), der Hugenotte Michel<br />
Milié, genannt la Fleur, das Haus.<br />
Hier nun beginnt die für unsere Universitätsgeschichte<br />
interessante Historie des<br />
Gebäudes. Sie steht in direktem Zusammenhang<br />
mit einer Bestimmung des Westfälischen<br />
Friedens (1648) der zufolge das<br />
Territorium des Erzbistums nach dem Tod<br />
Augusts dem Kurfürstentum Brandenburg<br />
einverleibt werden sollte. August starb<br />
1680, worauf der in Halle etablierte Hof<br />
wieder seinen Sitz in Weißenfels nahm.<br />
Milié, der sein Haus gerade erst bezogen<br />
hatte, erhielt vom Berliner Hof das Privileg<br />
zur Errichtung einer »Exercitien-Akademie,<br />
in welcher in Leibesübungen und den neuen<br />
Sprachen Unterricht ertheilt werden sollte«<br />
(Hoffbauer).<br />
Halle und die Musen<br />
Diese Akademie fand ihren Sitz in unserem<br />
Haus und wurde 1688 unter dem Direktorat<br />
des Stallmeisters Anton Günther v.<br />
Berghorn zu einer Ritterakademie umgewandelt,<br />
indem der Fächerkanon eine erhebliche<br />
Erweiterung, u. a. durch die Einbeziehung<br />
der Mathematik, erfuhr. Paul v.<br />
Fuchs beschreibt die – seiner Ansicht nach<br />
maßgeblichen – Gründe für die Erweiterung<br />
in höchst anschaulicher, freilich auch euphemistischer<br />
Weise: »die sehr beqvehme<br />
situation, die Fruchtbarkeit des herumliegenden<br />
Grund und Bodens, der überfluß alles<br />
dessen, was zu einer beqvehmen und<br />
angenehmen Lebens Art erfordert wird, die<br />
Zierlichkeit und Lustigkeit der Stadt, die<br />
gantz höfflichen Sitten der Einwohner<br />
[sic!], dergleichen diejenigen haben müssen,<br />
welche die Musen aufnehmen und beherbergen<br />
wollen, die reine und nette Sprache,<br />
derer sie sich gebrauchen, dieses alles, welches<br />
der Stadt Halle fast eigenthümlich zu<br />
kömmt, hätte auch wohl vor diesem die<br />
Musen selbst von ihren Residenz-Bergen,<br />
dem Helikon und Parnaß, zu sich herab<br />
locken können.«<br />
Die 1694 gegründete Fridericiana basierte<br />
im wesentlichen auf den geistigen Vorarbeiten,<br />
die im Hause Miliés geleistet wurden.<br />
Der kam freilich als Lehrer der neuen<br />
Hochschule nicht in Frage, durfte jedoch
Das renovierte »Schleiermacher-Haus« Mitte der 90er Jahre<br />
Foto: Stadtarchiv Halle, Bilderkasten Nr. 918<br />
»in Ansehung seiner [...] erwiesenen treufleißigen<br />
Sorge und Bemühung, [...] in seinem<br />
Hause [...] privatim Sprach- und<br />
Exerzitienschule und Tisch-Bursche [...]<br />
halten« (Piechocki). Zudem betrieb er einen<br />
Weinausschank. Dennoch war das<br />
Haus für derlei Zwecke zu groß angelegt,<br />
so dass er sich zu einer Teilung entschloss,<br />
was letztlich mancherlei Umbauten erforderlich<br />
machte. Die zum Markt hin gelegene<br />
eine Hälfte, später Nr. 22, verkaufte er,<br />
die andere bewohnten er bzw. seine Erben<br />
bis 1740. Letztere verkauften es 1742 an<br />
Christoph Kersten. Schließlich übernahm<br />
der Professor für Rechtswissenschaften<br />
Johann Friedrich Joachim das Haus und<br />
nutzte es für Wohn- und Unterrichtszwecke.<br />
Schon vorher, 1734, war das benachbarte<br />
Teilhaus, später die Nr. 21, in<br />
den Besitz des bedeutenden Aufklärungstheologen<br />
Siegmund Jakob Baumgarten<br />
übergegangen, der es zu einer Heimstätte<br />
der Wissenschaft und der Geselligkeit<br />
machte. Allein seine Bibliothek, »mit der<br />
sich die damalige kleine Universitätsbibliothek<br />
nicht messen konnte« (Niemeyer),<br />
nutzten sowohl Universitätskollegen als<br />
auch Studenten. Ab 1748 gab er mit den<br />
»Nachrichten von einer hallischen Bibliothek«<br />
eine im Reich viel gelesene Zeitschrift<br />
heraus, die sich, so der »Vorbericht«,<br />
»vornehmlich alten Büchern« verpflichtet<br />
fühlte. In seinem Haus fand denn<br />
auch im März 1753 jene Zusammenkunft<br />
zwischen Voltaire, Christian Wolff und<br />
dem Hausherrn statt, von der später der<br />
Universitätskanzler August Hermann Niemeyer<br />
berichten wird: »Als der undeutsche<br />
Voltaire einst durch Halle kam, äußerte er<br />
nach einem Besuche bei Baumgarten: ›Wer<br />
die Krone deutscher Gelehrten sehen wolle,<br />
müsse nach Halle reisen.‹« Und er dachte<br />
dabei nicht an Wolff, sondern an Baumgarten.<br />
Die Erben des Theologen verkauften das<br />
Haus 1803 an den Zeitungsverleger Friedrich<br />
Wilhelm v. Czlolbzacsky, der sich<br />
auch – artikulationsfreundlicher – Colbatzky<br />
nannte. Der hatte aus dem einstigen gelehrten<br />
Mitteilungsblatt der Franckeschen<br />
Stiftungen, der »Hällischen Zeitung«, die<br />
weder unter der Ägide ihres Gründers noch<br />
der seines Sohnes Gotthilf August, auch<br />
nicht unter der Leitung des Postmeisters<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Universitätsgeschichte<br />
...............................................................................<br />
Johann Christian Bertram, zu bedeutendem<br />
Ansehen gekommen war, eine Zeitung für<br />
breite Schichten der Bevölkerung gemacht.<br />
Seine Bemühungen fanden jedoch im Zuge<br />
der französischen Besetzung Halles (1806)<br />
ein frühes Ende.<br />
Schleiermachers hallesche Zeit<br />
Dies gilt auch für die Tätigkeit des Theologen<br />
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher,<br />
der 1804 das Teilhaus Nr. 21 bezog. Er gab<br />
mit seinem Wirken in Halle dem Haus den<br />
Namen, den es bis in die Gegenwart hinein<br />
trägt. Dabei konnte er in diesem Domizil<br />
nur für kurze Zeit eine Gastlichkeit entfalten,<br />
die geradezu sprichwörtlich war. Hier<br />
fanden zwei für die hallesche Universitätsgeschichte<br />
so bedeutende Gelehrte wie<br />
Schleiermacher und der Naturphilosoph<br />
Henrik Steffens zueinander.<br />
Doch, wie gesagt, die aus der französischen<br />
Besatzung resultierende Schließung der<br />
Universität ließ es dem Theologen finanziell<br />
unmöglich werden, das Haus weiterzuführen.<br />
»Wir entschlossen uns nun«, so<br />
Steffens in seiner Autobiographie, »die<br />
kleine Summe, über die wir zu gebieten<br />
hatten, vereint zu benutzen, und eine gemeinschaftliche<br />
Wirthschaft zu führen.<br />
Schleiermacher bezog meine kleine beschränkte<br />
Wohnung.«<br />
Damit endete auch die Hoch-Zeit der beiden<br />
Teilhäuser. Sie wurden bis in die siebziger<br />
Jahre des vergangenen Jahrhunderts<br />
für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt<br />
und befanden sich am Ende der DDR in einem<br />
ruinösen Zustand. Die ›Wende‹ kam<br />
gerade noch rechtzeitig, um dem Bauwerk,<br />
das nunmehr vom Landesamt für Denkmalpflege<br />
genutzt wird, zu einer gesicherten<br />
Existenz zu verhelfen.<br />
■<br />
Der Verfasser studierte Germanistik und<br />
Geschichte in Jena und Halle, lehrte und<br />
forschte an der Universität Halle und an<br />
der Technischen Hochschule Ilmenau (Promotion<br />
[1978] und Habilitation [1987] an<br />
der halleschen Universität); seit 1990 ist er<br />
an der Internationalen Forschungsstätte<br />
für Europäische Aufklärung (heute IZEA)<br />
tätig und für die Bereiche Germanistische<br />
Literaturwissenschaft, Ästhetik, Kulturgeschichte<br />
und Standortforschung verantwortlich;<br />
derzeit arbeitet er an einem Projekt<br />
zur Erforschung der literarischen<br />
Kultur der Stadt Halle im 18. Jahrhundert.<br />
23
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Fachbereich Ingenieurwissenschaften<br />
TECHNIKWISSENSCHAFTEN<br />
DER WEG EINER PRAKTISCHEN DISZIPLIN ZUR UNIVERSITÄT<br />
Wolfgang Fratzscher<br />
................................................................................<br />
Im 20. Jahrhundert verfügte die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zunächst<br />
24 nicht über eigenständige technikwissenschaftliche Bereiche. Es gab lediglich in der landwirtschaftlichen<br />
Fakultät auf Grund der wissenschaftsautarken Strukturierung technische<br />
Lehrstühle. In der technischen Chemie und auch in der Pharmazie wurden üblicherweise<br />
technisch-technologische Sachverhalte in der Ausbildung vermittelt.<br />
Die Technikwissenschaften hatten sich aber im Verlaufe des letzten Jahrhunderts endgültig<br />
in alle wissenschaftlichen Institutionen eingebracht. Als letzter Bereich des wissenschaftlichen<br />
Establishments gründeten einige Akademien technikwissenschaftliche Klassen oder<br />
Sektionen, so kürzlich auch die älteste deutsche Akademie, die Leopoldina. An vielen Universitäten<br />
gibt es technikwissenschaftliche Fachbereiche oder Fakultäten, die auf Profilerweiterungen,<br />
Neugründungen oder auch Fusionen zurückzuführen sind. Damit sind die<br />
Technikwissenschaften letzten Endes ein Bestandteil der universitas litterarum geworden,<br />
was dem modernen Niveau unserer Kultur entspricht. Im sich abzeichnenden Paradigmenwechsel<br />
von der Technik zur Technologie repräsentieren sie eine Einheit von Natur- und<br />
Geisteswissenschaften.<br />
Das gilt auch für die hallesche Universität.<br />
Schon 1945 wurden in ihrer Naturwissenschaftlichen<br />
Fakultät unter dem Dekanat<br />
von Professor Heinrich Brandt Überlegungen<br />
zum Aufbau technischer Bereiche angestellt.<br />
Die Beendigung des II. Weltkrieges<br />
führte dazu, dass in dieser Zeit der Universität<br />
ein erfahrener Ingenieur, Prof. Dr. Johannes<br />
Faltin, beauftragt wurde, Konzepte<br />
für den Aufbau von Bereichen zur Ausbil-<br />
dung von Maschinenbauern, Elektrotechnikern<br />
sowie Hoch- und Tiefbauingenieuren<br />
auszuarbeiten. Über das Stadium erster<br />
Vorstellungen kamen diese Ansätze nicht<br />
hinaus: Einerseits wurde Faltin entlassen<br />
und andererseits standen die vorgesehenen<br />
Gebäude und das Gelände nicht mehr zur<br />
Verfügung. Es war das die Heidekaserne,<br />
die zu dieser Zeit von der Sowjetarmee in<br />
Anspruch genommen wurde.<br />
Seit 1993 – infolge der Eingliederung dieser<br />
Bereiche der ehemaligen Technischen<br />
Hochschule Merseburg nach der Wende –<br />
gehörten zur Martin-Luther-Universität<br />
die Fachbereiche Verfahrenstechnik und<br />
Werkstoffwissenschaften, die 1998 zum<br />
Fachbereich Ingenieurwissenschaften fusionierten.<br />
Also stellte dieser Bereich keine<br />
Neugründung dar, sondern brachte bereits<br />
eine etwa 40-jährige Geschichte mit. Er ist<br />
in Verbindung mit den Neugründungen<br />
Technischer Hochschulen in den fünfziger<br />
Jahren entstanden.<br />
In Merseburg entstand 1954 eine Technische<br />
Hochschule für Chemie, die nach dem<br />
Willen ihrer Gründerväter in erster Linie<br />
technisch-technologisch orientierte Akademiker<br />
für die chemische Industrie ausbilden<br />
sollte. Das gelang so nicht sofort, da es<br />
ganz einfach zu dieser Zeit an Hochschullehrern<br />
fehlte, die eine solche Orientierung<br />
aus eigener Erfahrung vertreten konnten.<br />
Relativ rasch konnten dagegen die Ausbildungen<br />
von Chemikern und Ökonomen<br />
aufgebaut werden. Die Ausbildung von<br />
Verfahrenstechnikern, die dieser technisch-
technologischen Orientierung am ehesten<br />
entsprachen, wurde erst nach massiven äußeren<br />
Eingriffen in den Jahren 1958/59 direkt<br />
aufgenommen. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
dass sich das so geprägte<br />
Ingenieurprofil in Deutschland gegenüber<br />
anderen Ländern nur schwer herausgebildet<br />
hatte. Das Ausbildungsprofil des deutschen<br />
Ingenieurs an den Technischen<br />
Hochschulen war vordergründig der Konstrukteur.<br />
Noch in den fünfziger Jahren gab<br />
es an der Fakultät für Maschinenwesen der<br />
Technischen Hochschule Dresden bis auf<br />
eine Ausnahme nur an bestimmten Maschinen<br />
und Apparaten orientierte Fachrichtungen.<br />
Der Verfahrenstechniker dagegen<br />
ist ein Ingenieur, den in erster Linie die<br />
in den Apparaten ablaufenden Prozesse,<br />
die Gesamtheit der Technologie, interessieren.<br />
Natürlich setzt eine solche Betrachtung<br />
voraus, dass der Apparat beherrscht<br />
wird. Es ist deshalb nicht zufällig, dass<br />
sich die Fachrichtung Verfahrenstechnik in<br />
Dresden aus einer Fachrichtung heraus entwickelte,<br />
die nicht vorrangig konstruktiv<br />
orientiert war: der Wärmetechnik.<br />
Von dieser Position aus wurde 1959 in<br />
Merseburg eine Fakultät für Verfahrenstechnik<br />
gegründet, die damals die erste ihrer<br />
Art im deutschsprachigen Raum war.<br />
Sie umfasste das Institut für Verfahrenstechnik,<br />
das die thermische und mechanische<br />
Verfahrenstechnik, die Reaktionstechnik,<br />
die Thermodynamik und die Energietechnik<br />
vertreten musste, das Institut<br />
für Maschinenkunde, das Institut für<br />
Werkstoffkunde und mechanische Technologie,<br />
das Institut für Automatisierung sowie<br />
Grundlageninstitute wie Mathematik,<br />
Physik und Technische Physik. Mit der<br />
Entwicklung und den Berufungen änderten<br />
sich die jeweils wahrzunehmenden disziplinären<br />
Verantwortlichkeiten. Das Institut<br />
für Verfahrenstechnik wurde unter recht<br />
schwierigen Bedingungen als letztes gegründet.<br />
Es ist an dieser Stelle interessant anzumerken,<br />
dass erst mit den Berufungen von<br />
Günter Adolphi (s. Foto Mitte) für Thermische<br />
Verfahrenstechnik und von Wilhelm<br />
Jugel (s. Foto rechts oben) für Mechanische<br />
Verfahrenstechnik/Apparatewesen die<br />
personellen Voraussetzungen für eine stabile<br />
Entwicklung der Verfahrenstechnik in<br />
Merseburg gegeben waren. Beide waren erfahrene<br />
Praktiker. Adolphi bemühte sich<br />
darüber hinaus durch Übersetzungen, die<br />
prekäre Lehrbuchsituation auf dem Gebiet<br />
der Verfahrenstechnik entscheidend zu verbessern.<br />
Mit diesen beiden Berufungen wird deutlich,<br />
dass Entwicklungsprozesse im Hochschulwesen<br />
nicht allein als Sachprozesse<br />
behandelt werden können, sondern primär<br />
Persönlichkeiten verlangen.<br />
Auf der Grundlage dieser Konstellation gelang<br />
es, einen eigenständigen Grundstudienplan<br />
für das Verfahrensingenieurwesen<br />
zu entwickeln und neben Merseburg auch<br />
an einigen anderen Hochschulen der DDR<br />
einzuführen. Zum anderen orientierten sich<br />
die werkstofflichen und konstruktiven Bereiche<br />
in Erweiterung der klassischen Aufgaben<br />
an den Kunststoffen und der Polymerentechnik,<br />
was dann auch zu entsprechenden<br />
Strukturierungen in der Werkstofftechnik<br />
führte. Darüber hinaus entstand bei<br />
der Auseinandersetzung mit der Erzeugung<br />
und Anwendung der Hochpolymeren das<br />
Gebiet der Verarbeitungstechnik, das die<br />
Lücke zwischen den Technologien der Verfahrenstechnik,<br />
deren Arbeitsgegenstände<br />
in der Regel fluid sind, und der Fertigungstechnik<br />
mit festen Arbeitsgegenständen zu<br />
schließen in der Lage war.<br />
Prof. Dr. Günther Adolphi (1902–1982)<br />
Foto: Archiv<br />
Für all diese Überlegungen erwies sich die<br />
Differenzierung in Prozess- und Systemtechnik<br />
als fruchtbar. Diese der Kybernetik<br />
entnommenen Begriffe sollen unterschiedliche<br />
Betrachtungsweisen kennzeichnen. Sie<br />
können sowohl der Ausbildungs- wie auch<br />
der Forschungsprofilierung zugrundegelegt<br />
werden. Die Prozesstechnik führt von empirischen<br />
Betrachtungen zur Modellierung<br />
auf der Basis von Mikroprozessen und<br />
-strukturen und knüpft so zwanglos an<br />
moderne Entwicklungen an. Die Systemtechnik<br />
betrachtet, technisch gesehen, das<br />
Gesamtverfahren und schließt deshalb die<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Fachbereich Ingenieurwissenschaften<br />
...............................................................................<br />
25<br />
Prof. Dr. Wilhelm Jugel (1916–1996)<br />
Foto. privat<br />
Ver- und Entsorgung, die energetische und<br />
wirtschaftliche Dimension, die Sicherheitsund<br />
die Umwelttechnik ein.<br />
Auf der Grundlage dieser Konzepte sind in<br />
der Vergangenheit mehr als 6 000 Diplom-<br />
Ingenieure ausgebildet worden, haben ca.<br />
650 den wissenschaftlichen Grad eines<br />
Doktor-Ingenieurs und 50 die Lehrbefähigung<br />
zum Dr.-Ing. habil. erworben. Wie<br />
uns bestätigt worden ist, haben sich die<br />
Absolventen nicht nur in der Vergangenheit<br />
bewährt, sondern sind auch mit den neuen<br />
Bedingungen nach der Wende im allgemeinen<br />
gut zurecht gekommen. Das Konzept<br />
hat seine Leistungsfähigkeit erwiesen.<br />
Das gilt ebenso für die Profilierung des<br />
Fachbereiches nach der Wende, zunächst in<br />
Richtung Umwelttechnik und dann in<br />
Richtung Bioingenieurwesen und Materialwissenschaften.<br />
Die auf methodischen<br />
Überlegungen basierenden Grundlagen lassen<br />
derartige Entwicklungen logisch und<br />
folgerichtig nachvollziehen. Das betrifft<br />
sicher auch künftige Aufgabenstellungen,<br />
die beispielsweise aus der Orientierung der<br />
Martin-Luther-Universität an den Lebenswissenschaften<br />
wesentliche Impulse erwarten<br />
lassen.<br />
■<br />
Der Verfasser studierte 1951–56 an der<br />
TH Dresden (Promotion 1959, Habilitation<br />
1964); seit 1964 lehrte und forschte er<br />
an der TH Merseburg, vornehmlich auf<br />
dem Gebiet der Technischen Thermodynamik.<br />
1993 bis 1997 war er Dekan des<br />
Fachbereichs Verfahrenstechnik der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg.<br />
1998 wurde er emeritiert.
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Theologische Fakultät<br />
CHRISTLICHE UNTERNEHMER DES 19. JAHRHUNDERTS IN HALLE<br />
LUDWIG WUCHERER – CARL AUGUST JACOB – CARL ADOLPH RIEBECK<br />
Sebastian Kranich<br />
................................................................................<br />
Riebeckplatz und Ludwig-Wucherer-Straße: Zwei Namen, die jeder kennt. Weniger be-<br />
26 kannt ist die Jacobstraße in Glaucha, unweit der Stelle gelegen, an der Ende der 1830er Jahre<br />
mit der Jacobschen Zuckersiederei die erste moderne Fabrik Halles entstand. Dass die<br />
Namensgeber Unternehmer waren, werden bei Riebeck viele, bei Wucherer manche, bei<br />
Jacob wohl nur einzelne wissen. Aber christliche Unternehmer? Die folgende Darstellung<br />
ihres Wirkens in Halle und für die Bewohner der Stadt wird dies belegen.<br />
Vieles verdankt Halle Ludwig Wucherer<br />
(1790–1861), der als junger Mann in der<br />
Schlacht von Waterloo kämpfte und später<br />
in die erste Kammer der Frankfurter Nationalversammlung<br />
berufen wurde. Sein Lebenswerk<br />
ist die Gestaltung der Stadt zum<br />
Eisenbahnknotenpunkt und der Ausbau<br />
der Saaleschifffahrt. Selbst Golgasfabrikant,<br />
widmet er sich der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung als erster Präsident der Handelskammer<br />
und macht sich einen Namen<br />
als Förderer der halleschen Zuckerindustrie.<br />
Ludwig Wucherer<br />
Wucherers christliche Hintergründe lassen<br />
sich an seiner Biographie ablesen: Der Vater,<br />
aus einer schwäbischen Predigerfamilie<br />
stammend, gehört zu den Anhängern des<br />
theologischen enfant terrible der Aufklärung,<br />
Karl Friedrich Bahrdt. Wucherer<br />
selbst schließt sich dem Familienkreis des<br />
Universitätskanzlers und Direktors der<br />
Franckeschen Stiftungen August Hermann<br />
Niemeyer an und kommt während einer<br />
kaufmännischen Ausbildung in Berlin über<br />
seine Schwester Karoline in Kontakt zum<br />
Kreis um Friedrich Schleiermacher. Diese<br />
Grundlinie zieht sich durch sein Wirken als<br />
Vorsteher im Kirchenkollegium der Liebfrauenkirche<br />
und sein soziales städtisches<br />
Engagement: Als Kommunalpolitiker und<br />
-beamter ist er an der Reform des Schulund<br />
Armenwesens, der Erbauung des städtischen<br />
Hospitals und der städtischen<br />
Arbeitsanstalt beteiligt. Im Hilfsverein für<br />
die Betroffenen der Choleraepidemie von<br />
1831, der Geld und Naturalien beschafft<br />
sowie ein Lazarett und eine Speiseanstalt<br />
betreibt, arbeitet er mit anderen Fabrikanten,<br />
Kaufleuten, Pfarrern und Professoren<br />
zusammen. Darüber hinaus ist er am 1845<br />
gebildeten Bürger-Rettungs-Institut beteiligt<br />
und sorgt für die Gründung eines Vereins<br />
zum Bau von Familienwohnungen.<br />
Von seinem sozialethischen Selbstverständnis<br />
als Unternehmer zeugt die These über<br />
die Zuckerindustrie: Man dürfe »von der<br />
Mehrzahl der Betheiligten an diesem Unternehmen<br />
mit fester Überzeugung aussprechen<br />
..., daß sie nur zur Förderung<br />
guter Zwecke, nicht aber des Gewinnes<br />
wegen sich vereinigt hätten ...«. Und im<br />
Blick auf die Eindämmung von Elend, Bettelnot,<br />
Arbeitslosigkeit und Hunger stellt<br />
er die Frage: »Welche andere Fabrikation<br />
könnte sich in ihren staatswirtschaftlichen<br />
und moralischen Ergebnissen der Rübenzuckerfabrikation<br />
an die Seite stellen?«<br />
(nachzulesen bei Erich Neuß: Carl August<br />
Jacob, Halle/S. 1929, Seiten 111 und 76)<br />
Carl August Jacob<br />
Von der herausragenden Bedeutung dieser<br />
Industrie ist auch Wucherers Nachfolger im<br />
Amt des Präsidenten der Handelskammer,<br />
der Zuckerfabrikant Carl August Jacob<br />
(1789–1866) überzeugt. Sein Eintreten für<br />
die Fabrikation des Rübenzuckers als<br />
»Nationalprodukt« zeugt von Verständnis<br />
für volkswirtschaftlich-sozialpolitische<br />
Zusammenhänge. Als Mandatsträger im<br />
preußischen Abgeordnetenhaus lässt er<br />
1853 sein Auditorium bei der Debatte um<br />
die Zuckerbesteuerung wissen: »Wenn Sie<br />
... gehört hätten, wie vor zwei Jahren die<br />
Leute mit Thränen und Klagen zu uns kamen,<br />
daß sie oft wochenlang nur mit gekochtem<br />
Gras ihr Leben fristen mußten,<br />
wenn Sie an Ihnen die Freude gesehen hätten,<br />
nun zu Brod zu kommen, dann würden<br />
Sie sagen, daß es wohl der Mühe wert<br />
ist, solche Industrie, die Tausenden von<br />
Hungernden Brot schafft, zu erhalten.«<br />
(a. a. O., Seite 174)<br />
Im großen Rahmen sozialpolitisch aktiv ist<br />
der überzeugte Freihändler im Centralverein<br />
für das Wohl der Arbeitenden Klassen<br />
(seit 1864 im Vorstand) neben dem zweiten<br />
Mitglied aus der Provinz Sachsen: dem<br />
christlichen Sozialreformer Victor Aimé<br />
Huber. Lokal arbeitet er als ehrenamtlicher<br />
Geschäftsführer des von Wucherer initiier-<br />
ten Wohnungsbauvereins. Nach seinem<br />
Tod finden sich in seinen Büchern 130<br />
Konten, die zeigen, »wie bereitwillig seine<br />
Hand sich öffnete, um Wunden zu heilen«<br />
(a. a. O., Seite 274, zitiert nach zeitgenössischer<br />
Quelle) – Wie aber gehen kapitalistisch-wirtschaftlicher<br />
Erfolg und soziales<br />
Denken beim Begründer der mitteldeutschen<br />
Zuckerindustrie zusammen? Neuß<br />
verweist hier auf christlichen Glauben,<br />
protestantische Berufsethik und Orientierung<br />
am Mitmenschen: Die »Hoffnung,<br />
welche die christlichen Bekenntnisse spenden,<br />
erfüllte ihn ...; sonst war er ein ... auf<br />
Carl August Jacob (1789–1866)<br />
Foto: Stadtarchiv Halle, A 1565<br />
das Diesseitige eingestellter Mensch, und<br />
gerade deshalb auch ein religiöser Mensch.«<br />
Der pflichtbewusste und arbeitsame Jacob<br />
verzichtete darauf, seine Religiosität »nach<br />
Außen zu betonen« oder die Stellung in der<br />
Kirchgemeinde zur »Verbindung von Kirchlichkeit<br />
und Erwerbsegoismus« auszunutzen.<br />
Doch: »In aller Stille ... übte er praktische<br />
Nächstenliebe.« (a. a. O., Seite 262 f.)<br />
Carl Adolph Riebeck<br />
Aus dürftigen Verhältnissen stammt Carl<br />
Adolph Riebeck (1821–1883). Wegen zu<br />
geringer Bildung ist dem Bergmannssohn<br />
der berufliche Aufstieg in der Sächsisch-<br />
Thüringischen Aktiengesellschaft für<br />
Braunkohleverwertung verwehrt; aber er<br />
wird zum Gründer der mitteldeutschen<br />
Braunkohle- und chemischen Industrie.
Ludwig Wucherer (1790–1861), Gemälde<br />
von Theodor Neu (1828); Dauerleihgabe der<br />
Familie Schede (Wilhelmshaven) an das<br />
Stadtarchiv Halle Foto: Stadtarchiv<br />
In den 1870er Jahren werden seine Paraffinkerzen<br />
bis nach England, Skandinavien,<br />
Marokko und Südamerika verkauft. Politisch<br />
konservativ, sprunghaft und autokratisch<br />
– so sehen ihn Zeitgenossen. Tatsächlich<br />
ist der praktisch veranlagte Mann, der<br />
seinen Einsatz in der Revolution von 1848<br />
mit einer Freiheitsstrafe büßte, als Unternehmer<br />
ein typischer Vertreter des lutherisch-patriarchalischen<br />
»Herr-im-Hause-<br />
Standpunktes«.<br />
Kathedersozialisten und christlichen Sozialisten<br />
wirft er 1878 vor, den Kommunisten<br />
in die Hände zu spielen, indem sie Unzufriedenheit<br />
unter den Arbeitern schüren.<br />
Ihre Lehren »verstoßen wider Gottes Ordnung«.<br />
Eine besondere Kritik trifft den<br />
Berliner Oberhofprediger Adolf Stöcker:<br />
Wenn sogar ein »Seelsorger(s) der so genannten<br />
christlich-sozialen Partei« den<br />
Staat für mangelhafte soziale Verhältnisse<br />
verantwortlich macht, dann »nimmt der<br />
Sinn auch der besten Arbeiter oft eine verkehrte<br />
Richtung.« Das Gebot der Zeit sei<br />
dagegen, dass »jeder auf seinem Platze fest,<br />
treu und fleißig« arbeitet. Riebeck ist davon<br />
überzeugt, dass dem geschickten und<br />
sparsamen Arbeiter der Aufstieg »selbst<br />
zum Fabrikherrn und Besitzer« möglich<br />
ist. Dem Unternehmer aber weist er die<br />
Rolle des gerechten Hausvaters zu, der sich<br />
um die ihm Anvertrauten und Untergebenen<br />
sorgt. Seine Aufgabe ist es, »sich mit<br />
wahrer Liebe und Besorgniß um das geistige<br />
und leibliche Wohl seiner Arbeiter zu<br />
kümmern.« Er hat für Lohngerechtigkeit zu<br />
sorgen, darf in Krankheits- und Notfällen<br />
»seine Arbeiter« und deren Familien »nicht<br />
verlassen«. In Unglücksfällen hat er auch<br />
dann zu zahlen, wenn Selbstverschulden<br />
der Arbeiter vorliegt. Schließlich darf der<br />
»Fabrikherr« sich »nicht zu hoch über seine<br />
Leute stellen«, sondern muss »der erste<br />
Arbeiter selbst sein«.<br />
Die Grenzen dieses auf sozialer Nahbeziehung<br />
basierenden Konzepts in der Hochindustrialisierung<br />
sieht Riebeck: »Früher<br />
sorgten ... die Arbeitgeber ... besser für die<br />
Arbeiter.« Sie »waren ständig ... in den Fabriken,<br />
deren es allerdings damals weit weniger<br />
gab.« Auch der mentale Wandel durch<br />
das schnelle moderne Leben, das »die Arbeit<br />
aus den häuslichen Werkstätten in große<br />
Fabrikationsstätten trug« und sich in<br />
»falschen Vorstellungen« der Art spiegelt,<br />
»daß jeder für sich selbst sorgen müsse«,<br />
wird von ihm reflektiert. (Ansprache Riebecks<br />
an seine Arbeiter, in: A. Riebecksche<br />
Montanwerke. Die Geschichte einer mitteldeutschen<br />
Bergwerksgesellschaft, München<br />
1933, S.42–45). Zur Revision seines<br />
Denkens führt das allerdings nicht.<br />
Gestalt gewinnen Riebecks soziale Vorstellungen<br />
im Aufbau einer betrieblichen Kranken-,<br />
Invaliden-, und Pensionskasse für die<br />
Arbeiter, die nicht der Knappschaft angehören.<br />
Er spendet für die Innere Mission<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Theologische Fakultät<br />
...............................................................................<br />
und stellt große Summen für die Armenpflege<br />
in Halle, Weißenfels und Harzgerode<br />
zu Verfügung.<br />
Wegen seiner finanziellen Opferbereitschaft<br />
während der Choleraepidemie 1866<br />
in Halle und im Krieg von 1870/71 wird<br />
der Bergmannssohn zum preußischen<br />
Kommerzienrat ernannt. Die wohltätige<br />
Familientradition setzt sein 1889 verstorbener<br />
Sohn Paul mit der Gründung eines<br />
Altenheims fort, das heute noch als »Paul-<br />
Riebeck-Stift« besteht.<br />
■<br />
Der Autor, geboren 1969 in Dresden, studierte<br />
Theologie in Leipzig, war 1997 bis<br />
1999 wiss. Mitarb. im SFB 537 (Thema:<br />
Institutionalität und Geschichtlichkeit) und<br />
am Institut für Evangelische Theologie an<br />
der TU Dresden. Seit 1999 ist er Assistent<br />
in der Systematischen Theologie in Halle.<br />
Carl Adolph Riebeck (1821–1883), anonyme Zeichnung Foto: Stadtarchiv Halle, A 564<br />
27
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
FB Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften<br />
DEUTSCHE BURGENVEREINIGUNG UND UNIVERSITÄT<br />
AUS DER ARBEIT DER LANDESGRUPPE SACHSEN-ANHALT DER BURGENVEREINIGUNG<br />
Irene Roch-Lemmer<br />
................................................................................<br />
Im Raum zwischen Altmark, Harz, mittlerer Elbe, Saale und Unstrut – einer aufgrund der<br />
28 historischen Entwicklung und der landschaftlichen Gegebenheiten ungemein burgenreichen<br />
Gegend – hat die Burgenforschung eine lange Tradition. Besonders die wissenschaftlichen<br />
Arbeiten von Paul Grimm (1907–1993), Hermann Wäscher (1887–1961) und Hans-Joachim<br />
Mrusek (1920–1994) belegen das.<br />
Mrusek und Wäscher gaben der Burgenforschung bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
eine Heimstatt am Institut für Kunstgeschichte der halleschen Universität, der<br />
einzigen Universität der DDR, an der Burgenforschung betrieben wurde. Eine Reihe von<br />
Dissertationen und Diplomarbeiten zu Burgenthemen entstand. 1962 erschienen Wäschers<br />
zwei Bände »Feudalburgen in den Bezirken Halle und Magdeburg«, die – obwohl in Einzelheiten<br />
natürlich überholt – für unsere Gegend immer noch ein Standardwerk sind. . Das<br />
Institut bewahrt auch den Nachlass von Hermann Wäscher (Wäscher-Archiv).<br />
Übersichtskarte der Burgen in Sachsen-Anhalt und<br />
angrenzenden Gebieten (H. Wäscher).<br />
Wäscher-Archiv, Institut für Kunstgeschichte, MLU<br />
Diese Forschungsarbeiten sowie die von<br />
Mrusek ins Leben gerufene Burgenkommission<br />
und die 1987 von der Autorin aus<br />
Anlass von Hermann Wäschers 100. Geburtstag<br />
gegründete Interessengemeinschaft<br />
»Burgen und Schlösser« stellten die Grundlage<br />
für die nach der »Wende« gebildete<br />
Landesgruppe Sachsen-Anhalt der Deutschen<br />
Burgenvereinigung e. V. (DBV) dar.<br />
Die Landesgruppe Sachsen-Anhalt der<br />
DBV wurde am 25. November 1990 auf<br />
der Burg Querfurt, einer der ältesten und<br />
größten deutschen Burgen, gegründet. Den<br />
Festvortrag an diesem Tag hielt Prof. Dr.<br />
Manfred Lemmer (Germanistisches Institut<br />
der Martin-Luther-Universität) über<br />
»Die Neuenburg (bei Freyburg/Unstrut) in<br />
Geschichte, Kunst und Literatur Thüringens<br />
im Mittelalter« (vgl. Burgen und<br />
Schlösser 32 [1991], Sonderheft »Neue<br />
Bundesländer«, Seiten 45–49; in erweiterter<br />
Form: Lemmer, Manfred: Die Neuenburg<br />
in Geschichte, Literatur und Kunst<br />
des hohen Mittelalters. Freyburg/Unstrut<br />
1993 (novum castrum. Schriftenreihe des<br />
Vereins zur Rettung und Erhaltung der<br />
Neuenburg e. V., Heft 2).<br />
Wie die zeitgleich gebildeten Landesgruppen<br />
Sachsen und Thüringen trat die Landesgruppe<br />
Sachsen-Anhalt den seit langem<br />
in den alten Bundesländern arbeitenden<br />
neun Landesgruppen der Deutschen<br />
Burgenvereinigung zur Seite. Fachliche<br />
Kontakte zwischen der im Jahr 1899 gegründeten<br />
DBV (Sitz: Marksburg über<br />
Braubach/Rhein) und dem östlichen<br />
Deutschland bestanden jedoch schon während<br />
der jahrzehntelangen Trennung, vor<br />
allem durch die seit 1960 herausgegebene<br />
Fachzeitschrift »Burgen und Schlösser«.<br />
Auf den eigenen Aktivitäten, Kenntnissen<br />
und Erfahrungen basierend, weiß sich die<br />
Landesgruppe Sachsen-Anhalt eins mit den<br />
Zielen der DBV. Ihnen dienen öffentliche<br />
Anlässlich des 100. Geburtstages<br />
von Hermann Wäscher fand ein<br />
vielbeachtetes wissenschaftliches<br />
Kolloquium statt, durchgeführt<br />
vom Institut für Kunstgeschichte<br />
der Universität, der Galerie<br />
Moritzburg Halle, der Burgenkommission<br />
und dem halleschen<br />
Institut für Denkmalpflege (heute<br />
Landesamt für Denkmalpflege<br />
Sachsen-Anhalt). Die dort gehaltenen<br />
Vorträge wurden publiziert in:<br />
Beiträge zur Burgenforschung. Hermann<br />
Wäscher zum 100. Geburtstag.<br />
Hg. Irene Roch, Halle (Saale)<br />
1989 (Wiss. Beiträge Univ. Halle<br />
1989/24 [H 12]).<br />
Vorträge und Fachexkursionen zu Burgen,<br />
Schlössern und Herrenhäusern in Sachsen-<br />
Anhalt, aber auch darüber hinaus (zum Teil<br />
gemeinsam mit den Landesgruppen Westfalen-Lippe,<br />
Rheinland, Sachsen und Thüringen),<br />
Berater- und Gutachtertätigkeit sowie<br />
die Herausgabe der Mitteilungen der<br />
Landesgruppe »Burgen und Schlösser in<br />
Sachsen-Anhalt« (Redaktion: Irene Roch-<br />
Lemmer, Reinhard Schmitt), von denen seit<br />
1992 neun Hefte und zwei Sonderhefte erschienen<br />
sind.<br />
Die Beiträge umfassen Bau- und Nutzungsgeschichte,<br />
Kunstgeschichte sowie Denkmalpflege<br />
von und an Burgen, Schlössern<br />
und Herrenhäusern. Doch ebenso wird der<br />
kulturgeschichtliche Aspekt berücksichtigt.<br />
Diese Veröffentlichungen – zusammen mit<br />
den später folgenden Jahresschriften der<br />
Landesgruppen Sachsen und Thüringen die<br />
Ziele der Deutschen Burgenvereinigung:<br />
– Erhaltung der historischen Wehr- und<br />
Wohnbauten als Zeugnisse der Geschichte und<br />
Kultur, als Denkmäler der Bau- und Kunstgeschichte,<br />
als prägende Elemente unserer<br />
Kulturlandschaft,<br />
– Förderung der Erforschung historischer<br />
Wehr- und Wohnbauten sowie die Verbreitung<br />
der Forschungsergebnisse,<br />
– Stärkung des öffentlichen Interesses an den<br />
historischen Profanbauten,<br />
– Mitwirkung bei Denkmalschutz, Denkmalpflege<br />
und Landschaftsschutz.<br />
einzigen Publikationen von Landesgruppen<br />
innerhalb der DBV – bezeugen den Reichtum<br />
und die Vielfalt der mitteldeutschen<br />
Burgenlandschaft sowie fachliches Vermögen<br />
und Kompetenz der Autoren (unter ihnen<br />
auch Angehörige und Absolventen der<br />
halleschen Universität).<br />
Mitglieder der Landesgruppe arbeiten im<br />
Wissenschaftlichen Beirat der DBV sowie<br />
in der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung<br />
von Burgen und Schlössern mit.<br />
Drei Mitglieder sind in dem von der DBV<br />
mit internationaler Beteiligung 1999 herausgegebenen<br />
zweibändigen Handbuch<br />
»Burgen in Mitteleuropa« mit Beiträgen<br />
vertreten.<br />
Seit der Gründung legte die Landesgruppe<br />
besonderes Augenmerk auf die Schnellinventarisierung<br />
der etwa 1600 bis 1700<br />
Burgen, Schlösser und Herrenhäuser in<br />
Sachsen-Anhalt; sie bildet die Grundlage<br />
für die Erarbeitung langfristiger Nutzungskonzeptionen<br />
und denkmalpflegerischer<br />
Zielstellungen.
Freyburg (Unstrut), Schloss Neuenburg, Gesamtansicht von Süden. Landesamt für Denkmalpflege<br />
Sachsen-Anhalt, Nr. 2856 A Foto Ulbrich<br />
Inzwischen hat die Inventarisierung für den<br />
Süden von Sachsen-Anhalt einen gewissen<br />
Abschluss erreicht.<br />
Die mit den Nutzungsmöglichkeiten zusammenhängenden<br />
Probleme, die sich aufgrund<br />
der veränderten und sich ständig verändernden<br />
Besitzverhältnisse als besonders<br />
dringend erweisen, machen derzeit einen<br />
beträchtlichen Teil der Arbeit der Landesgruppe<br />
aus. Zahlreiche Burgen und Schlösser<br />
(und Ruinen!) wie auch Herrenhäuser<br />
müssen vielfach – da die bisherige Nutzung<br />
(Alters- und Kinderheime, Kindergärten<br />
u. a.) in Frage gestellt ist – einer sinnvollen<br />
neuen Nutzung zugeführt werden, um ihre<br />
bauliche Erhaltung zu sichern, ohne die historische<br />
Bausubstanz zu schädigen. Zugleich<br />
wird die althergebrachte Nutzung<br />
tradiert, jedoch auf moderne Ansprüche<br />
abgestimmt. Ein Kolloquium der Landesgruppe<br />
befasste sich 1992 auf Schloss Allstedt<br />
mit der Nutzung der Burgen, Schlösser<br />
und Herrenhäuser für das Hotel- und<br />
Gaststättenwesen. Der damit verbundenen<br />
musealen Nutzung war ein weiteres Kolloquium<br />
1992 auf der Neuenburg (Freyburg/<br />
Unstrut), in Allstedt und Querfurt gewidmet.<br />
Auch ein Erfahrungsaustausch über<br />
Probleme bei der Restaurierung und Instandsetzung<br />
von Burgen, Schlössern und<br />
Herrenhäusern, den die Landesgruppe<br />
1993 auf der 1991/92 vorbildlich instandgesetzten<br />
Rudelsburg/Bad Kösen veranstaltete,<br />
hing damit eng zusammen.<br />
Mit dem Landesamt für Denkmalpflege<br />
Sachsen-Anhalt und dem Landesheimatbund<br />
Sachsen-Anhalt führte die Landesgruppe<br />
öffentliche Veranstaltungen zu diesen<br />
Themen durch. 1998 fand eine Tagung<br />
zur »Nutzung von Schlössern und Herrenhäusern<br />
für soziale Zwecke« im Schloss<br />
Peseckendorf bei Oschersleben statt.<br />
Bei einer Gesprächsrunde über Nutzungsund<br />
Finanzierungskonzepte von Schlössern<br />
und Herrenhäusern im Jahre 2000 in<br />
Schloss Teutschenthal berichteten private<br />
und kommunale Eigentümer, Fördervereine<br />
und Verbände über ihre Erfahrungen bei der<br />
Nutzung von Bauten wie Schloss Seeburg,<br />
Schloss Droyßig, Schloss Walbeck, Herrenhaus<br />
Ermlitz. Das zweite Teutschenthaler<br />
Gespräch im April <strong>2001</strong> führte diese Thematik<br />
fort.<br />
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scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
FB Kunst-, Orient- und Altertumswissenschaften<br />
...............................................................................<br />
zu den Fördervereinen Kultur-Gut Ermlitz<br />
und Schloss Dieskau. Dabei wird auch<br />
deutlich, in wie hohem Maß Burgen und<br />
Schlösser ein Tourismusfaktor sind.<br />
Die Landesgruppe zählt zur Zeit etwa 110<br />
Mitglieder (Historiker, Kunsthistoriker,<br />
Archäologen, Prähistoriker, Architekten,<br />
Denkmalpfleger, Germanisten, Lehrer, Besitzer<br />
von Schlössern und Herrenhäusern)<br />
und 17 korporative Mitglieder (Burg- und<br />
Schlossmuseen, Denkmalschutzbehörden,<br />
Kommunen u. a.). Gründungsvorsitzende<br />
war die Verfasserin. Vorsitzende ist gegenwärtig<br />
die Historikerin Frau Dr. Elisabeth<br />
Schwarze-Neuß, Tochter des bekannten<br />
ehemaligen Professors für Landesgeschichte<br />
an unserer Universität, Erich Neuß. Ihr<br />
steht ein sechsköpfiger Vorstand zur Seite,<br />
zu dem auch Angehörige und Absolventen<br />
der Universität gehören.<br />
Auf der Homepage der Landesgruppe –<br />
www.Burgen-in-sachsenanhalt.de – können<br />
alle Informationen über Veranstaltungen,<br />
Veröffentlichungen u. a. abgerufen werden.<br />
■<br />
Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, Oberburg. Aquarellierte Zeichnung, anonym, älteste<br />
bekannte Darstellung der Burg (um 1600) Foto: Archiv<br />
Zur Öffentlichkeitsarbeit der Landesgruppe<br />
gehört ferner das Bemühen, gute Kontakte<br />
zu Vereinen zu pflegen, deren Ziele<br />
mit den unsrigen übereinstimmen, so etwa<br />
zum Verein zur Rettung und Erhaltung der<br />
Neuenburg, zum Förderkreis Konradsburg,<br />
Die Autorin studierte in Halle und Leipzig<br />
Kunstgeschichte und Arabistik und wurde<br />
1966 in Halle promoviert. Von 1962 bis<br />
1998 war sie wiss. Mitarbeiterin am Institut<br />
für Kunstgeschichte der MLU. Sie ist<br />
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der<br />
Deutschen Burgenvereinigung (DBV,<br />
Marksburg/Rhein) und stellvertretende<br />
Vorsitzende der Landesgruppe Sachsen-<br />
Anhalt der DBV.<br />
29
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
................................................................................<br />
30<br />
Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, Oberburg mit Torturm/Bergfried, rekonstruierten<br />
Mauerzügen vom Wohnturm mit romanischem Mittelpfeiler (vermutlich als »Leuchtpfeiler«<br />
genutzt) im Vordergrund und Palas links (Aufnahme 2000) Foto: Preuß
HISTORISCHE LANDNUTZUNG<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Landwirtschaftliche Fakultät<br />
CHRONOLOGISCHE ANALYSEN AUF DER QUERFURT-MERSEBURGER PLATTE<br />
Rolf Diemann und Oliver Arndt<br />
(Die Veränderungen von Landschaften infolge technogener Eingriffe vollziehen sich, historisch<br />
gesehen, mit zunehmender Geschwindigkeit. Bereits durch die Entwicklung der<br />
Produktivkräfte im 19. Jahrhundert und besonders durch die Intensivierung der Landwirtschaft<br />
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichte die Dynamik der Landschaftsveränderungen<br />
auch im Agrarraum ein sehr hohes Tempo (vgl. Ausgabe 2/1995, S. 36–38:<br />
Friedrich-Wilhelm Kirchhoff, »Sachsen-Anhalt im Wandel des 19. Jahrhunderts von der<br />
Agrarregion zur Industrie-Agrarregion«).<br />
Um die Veränderungen der Kulturlandschaft als historischen Prozess begreifen und Spezifika<br />
der regionalen Entwicklung bei räumlichen Planungen berücksichtigen zu können, werden<br />
in Deutschland seit etlichen Jahren Untersuchungen zur historischen Landnutzung<br />
durchgeführt. Solche historisch-geographischen Arbeiten dienen einer umweltrelevanten<br />
Zielsetzung. Die Nutzung von Archivalien – vorrangig von historischen Karten – gehört<br />
zum methodischen Instrumentarium sowohl der historischen Geographie wie der Landschaftsplanung.<br />
Während bei den meisten dieser Studien Landschaften bearbeitet wurden,<br />
die eine besondere Bedeutung für den Naturschutz besitzen, geht es bei der Querfurt-<br />
Merseburger Platte um ein intensiv genutztes Ackerbaugebiet mit Böden höchster Bonität.<br />
Der Schwerpunkt der Untersuchungen<br />
liegt auf der Entwicklung der Landnutzung<br />
seit Anfang des 18. Jahrhunderts, in dem<br />
mit systematischen Landesaufnahmen begonnen<br />
wurde und aus dem zunehmend<br />
verlässliche kartographische Darstellungen<br />
auf Grund der schnellen Entwicklung der<br />
Vermessungs- und Kartentechnik vorliegen.<br />
Zu diesen Kartenwerken gehören die 15<br />
Blätter der Karte von Sachsen im Maßstab<br />
1:170 000 des preußischen Offiziers I. J. v.<br />
Petri aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges<br />
(1756–1763), als Preußen Ende August<br />
1756 in Sachsen einfiel.<br />
Die Karte unten zeigt einen Ausschnitt des<br />
Untersuchungsgebietes nach dem Exemplar<br />
der Universitäts- und Landesbibliothek<br />
(ULB), die bereits einen großen Teil ihres<br />
Bestandes an historischen Karten in das<br />
Internet gestellt hat.<br />
Für die Zeit vor dem 18. Jahrhundert wird<br />
nach Urkundenbelegen, Flurnamen und<br />
Karten des frühen 18. Jahrhunderts noch<br />
von einem erheblichen Wald- bzw. Gehölzbestand<br />
ausgegangen. Er erstreckte sich als<br />
Markwald besonders entlang der Grenzen<br />
der spätmittelalterlichen bis frühneuzeitlichen<br />
Territorialherrschaften.<br />
...............................................................................<br />
Die Landnutzungsstruktur der Agrarlandschaft<br />
mit sehr langen Ackerparzellen und<br />
dazwischen liegenden Rainen (Bild oben,<br />
S. 20) blieb bis zur Separation Mitte des<br />
19. Jahrhunderts im Wesentlichen konstant.<br />
Die Acker- und Wegraine mit einer<br />
Breite zwischen 2 und 20 m dienten als<br />
Grenzmarkierungen und als Viehtrift. Sie<br />
stellten in der Ackerflur ein charakteristisches<br />
Landschaftselement mit ökologischen<br />
Funktionen dar. Für einen beträchtlichen<br />
Teil der Querfurter Stadtflur blieb ein<br />
Plan von 1752 erhalten, der diese Strukturierung<br />
in großem Maßstab abbildet.<br />
Folgen der Separation<br />
Die im Zuge der preußischen Agrarreformen<br />
durchgeführte Separation bewirkte<br />
eine völlige Neustrukturierung der Fluren<br />
bäuerlich geprägter Gemeinden. Für das<br />
Untersuchungsgebiet wurden die betreffenden<br />
Katasterpläne zwischen 1838 und<br />
1855 angefertigt. Sie gehören jetzt zum<br />
Archivbestand des Katasteramtes Halle.<br />
Durch die Separation wurde die Gemengelage<br />
beseitigt, die Zersplitterung des Landbesitzes<br />
der Hofstellen stark vermindert<br />
und ein systematisches Wegenetz für die<br />
Bewirtschaftung der Produktionsflächen<br />
Ausschnitt aus: Petri, I. J. v.: Gantz neue und vollständige geographische General-Charte vom gantzen Churfürstenthum Sachsen (nach 1762)<br />
Quelle: http://karten.bibliothek.uni-halle.de/altkt/kart_8_248_7/index.htm<br />
31
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Landwirtschaftliche Fakultät<br />
................................................................................<br />
32<br />
angelegt. Außerdem entfiel die Vielzahl der<br />
Raine, des kleinflächigen Grünlandes und<br />
Gehölzbestandes. Der Anteil des Ackerlandes<br />
erhöhte sich – trotz der zusätzlichen<br />
Flächenbeanspruchung durch das<br />
neue Wegenetz – im Untersuchungsgebiet<br />
um ca. 5 Prozent. Der erstmals vermessene<br />
und planmäßig angelegte Agrarraum wurde<br />
nunmehr durch geradlinige Strukturen bestimmt<br />
(Bild unten), die sich allenfalls<br />
noch in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung<br />
an einem historisch gewachsenen Rahmen<br />
orientierten.<br />
Die Bepflanzung der Raine der Ortsverbindungsstraßen<br />
und der hauptsächlichen<br />
Feldwege mit Obstbäumen – auf der Querfurt-Merseburger<br />
Platte meist mit Kirschen<br />
– führte zu einem neuartigen Biotoptyp<br />
und Landschaftselement. Die Obstbaumalleen<br />
sind von da an für die Ackerfluren<br />
des Schwarzerdegebietes landschaftsbildprägend<br />
und zeichnen in einem<br />
bestimmten Maße deren Strukturierung<br />
nach.<br />
Großflächenbewirtschaftung<br />
Die Struktur der Agrarlandschaft erfuhr<br />
vor allem mit der Durchsetzung der Großflächenbewirtschaftung<br />
nach 1970 eine<br />
weitere, wesentliche Veränderung. Ein Indiz<br />
dafür ist die Ausdünnung des landwirt-<br />
schaftlichen Wegenetzes, in einigen Gemeinden<br />
auf weniger als 50 Prozent der<br />
früher vorhandenen Weglänge. Reihen von<br />
Hybridpappeln als Windschutzstreifen<br />
wurden besonders in den fünfziger Jahren<br />
im Raum Schafstädt und im Raum Barnstädt<br />
als neues Landschaftselement etabliert.<br />
Diese Pappeln entsprechen nicht<br />
den Standortbedingungen des Schwarzerdegebietes<br />
und brechen inzwischen auch<br />
altersbedingt zusammen.<br />
Das Untersuchungsgebiet nach der Separation mit der weiteren Strukturierung bis ca. 1945<br />
Das Untersuchungsgebiet vor der Separation (vor 1850) Grafik (2 x): Arndt<br />
Die Neustrukturierung der Landwirtschaft<br />
nach 1990/91 zog keine wesentlichen<br />
strukturellen Veränderungen in der Agrarlandschaft<br />
nach sich, so dass der Dichtewert<br />
der linearen Strukturen bis heute dem<br />
Wert aus der Zeit der LPG-Großflächenbewirtschaftung<br />
entspricht. Das Fruchtartenspektrum<br />
wurde allerdings erheblich<br />
eingeengt, nicht zuletzt durch die starke<br />
Reduzierung des Ackerfutteranbaus in Folge<br />
des Rückgangs der Viehbestände.<br />
Die Thematik war auch Gegenstand eines<br />
Fachvortrages auf dem Deutschen Geographentag<br />
2000, der im September in Leipzig<br />
stattfand. Außerdem wird eine ausführliche<br />
Fassung der Analysenergebnisse zur Publikation<br />
vorbereitet.<br />
■<br />
Dr. rer. nat. Rolf Diemann ist seit 1979<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter für Agrargeographie<br />
und Raumordnung; er ist für<br />
die Agrarlandschaftsforschung und die naturwissenschaftlich<br />
orientierte räumliche<br />
Planung im ländlichen Raum zuständig. Zu<br />
seinen Lehraufgaben gehören die Fächer<br />
Landschaftslehre, Landschaftsplanung und<br />
Flurneuordnung für die Studienrichtung<br />
Bodenschutz und Landschaftsgestaltung<br />
der Landwirtschaftlichen Fakultät.<br />
Dipl. Ing. agr. Oliver Arndt ist seit 1994<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter für eine Reihe<br />
von Drittmittelprojekten und Doktorand<br />
der Landwirtschaftlichen Fakultät.
GESCHICHTE DER AUGENKLINIK ZU HALLE<br />
Die Anfänge der Augenheilkunde in Halle<br />
sind bis in die Gründerzeit 1694 belegt.<br />
Das Interesse an dem Fach wurde mit Disputationen<br />
über ophthalmologische Themen<br />
von den ersten beiden Ordinarien der<br />
Medizinischen Fakultät Friedrich Hoffmann<br />
(1660–1742) und Georg Ernst Stahl<br />
(1659–1734) dokumentiert. Oblag zu jener<br />
Zeit die Versorgung aller medizinischen Bereiche<br />
den Hauptvertretern der Medizin,<br />
so bahnte sich 1718 mit der Etablierung<br />
des 3. medizinischen Lehrstuhls für Anatomie,<br />
Chirurgie und Botanik die Abzweigung<br />
des chirurgisch-ophthalmiatrischen<br />
Spezialbereichs an. Eigenständige Vorlesungen<br />
über Augenheilkunde hielt von 1721<br />
bis 1754 der aus Bremen stammende Heinrich<br />
Bass (1690–1754; Professor extraordinarius<br />
für Anatomie und Chirurgie).<br />
Raummangel als Handicap<br />
Der Mangel an universitären Gebäuden<br />
und Räumlichkeiten ermöglichte fast ausschließlich<br />
eine theoretische studentische<br />
Ausbildung. Das 1717 von Johann Juncker<br />
(1679–1759) auf dem Waisenhaus zu Halle<br />
institutionierte Collegium clinicum Halense<br />
wertete das Studium der Medizin mit der<br />
nunmehr auch praktischen Ausbildung auf.<br />
Von Johann Junckers Sohn, Friedrich<br />
Christian Juncker (1730–1770) wurde dieser<br />
praxisbezogene studentische Unterricht<br />
fortgeführt – Philipp Adolf Böhmer<br />
(1717–1789) jedoch reduzierte ihn drastisch<br />
und »verhalf« so dem Collegium<br />
clinicum zum Untergang.<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Medizinische Fakultät<br />
VOM WAISENHAUS ÜBER DEN DOMPLATZ IN DIE MAGDEBURGER STRASSE<br />
Jutta Herde<br />
Die Geschichte der Ophthalmologie (Augenheilkunde) an der halleschen Universität reicht<br />
mehr als drei Jahrhunderte zurück. Neben Theologen, Juristen und Philosophen bildeten<br />
die Mediziner die vierte der klassischen Fakultäten, die in der Regel an allen Universitäten<br />
jener Zeit präsent waren.<br />
Lange Zeit wurden die angehenden Ärzte jedoch – in der Augenheilkunde wie in anderen<br />
Disziplinen nur theoretisch ausgebildet. Erst später trat, hier wie in anderen Bereichen, die<br />
Möglichkeit praktischer Ausbildung, erstmals im so genannten »Halleschen Klinikum«,<br />
hinzu und versetzte die jungen Mediziner in die Lage, ihren Berufsweg von Anfang an mit<br />
einem, wenn auch bescheidenen, Fundus an praktischen Kenntnissen zu beschreiten.<br />
Nach H. Bass sind zwischen 1788 und<br />
1806 Augenvorlesungen von Leberecht<br />
Supprian (1723–1789), dem erwähnten Ph.<br />
A. Böhmer (1717–1789), Ernst Anton<br />
Nikolai (1722–1802) und vor allem Johann<br />
Christian Reil (1759–1813) nachgewiesen.<br />
Nach dem Tode von Johann Friedrich<br />
Gottlieb Goldhagen (1742–1788) übernahm<br />
Reil die Leitung der aus dem vom<br />
Magistrat eingerichteten Lazarett hervorgegangenen<br />
Schola clinica. Diese zweite klinische<br />
Einrichtung in Halle diente ihm, der<br />
als Stadtphysikus und Lazarettarzt auch<br />
augenärztlich tätig war, zur konservativen<br />
und chirurgischen Behandlung seiner<br />
Augenpatienten. Reils Bemühungen um<br />
Abgrenzung der Augenheilkunde von der<br />
Chirurgie schlugen fehl, da die von Karl<br />
Eberhardt Schelling (1783–1854) geforderten<br />
Konditionen – unter anderem der Bau<br />
eines augenärztlichen Klinikums – nicht<br />
bewilligt wurden.<br />
Augenheilkundler am Domplatz<br />
Nachdem die chirurgisch-ophthalmiatrische<br />
Klinik als Interimslösung in das alte reformierte<br />
Gymnasium neben dem Dom eingezogen<br />
war, wurde der Westflügel der Residenz<br />
im Jahre 1811 Carl Heinrich Dzondi<br />
(1770–1835) für die chirurgisch-ophthalmologische<br />
Klinik zugewiesen. Politische<br />
Gründe und Intrigen von Johann Friedrich<br />
Meckel d. Jüngeren (1781–1833) und Kurt<br />
Polykart Joachim Sprengel (1766–1833)<br />
führten 1817 zur Absetzung Dzondis. Das<br />
Direktorat der Chirurgischen Klinik wurde<br />
Prof. Dr. Gernot I. W. Duncker, Prof. Dr. Manfred Tost und Prof. Dr. Hans Gert Struck<br />
(v. l. n. r.) beim Lehrstuhlwechsel am 1. August 1995 Foto: Herde<br />
...............................................................................<br />
33<br />
Alfred Graefe Artur v. Hippel<br />
Eugen v. Hippel Hermann Schmidt-Rimpler<br />
Franz Schieck Wilhelm Clausen<br />
Günther Badtke Karl-Ernst Krüger<br />
Die ersten Ordinarien der halleschen Universitätsklinik für<br />
Augenheilkunde<br />
Fotos (8): Archiv der Universitäts-Augenklinik
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Medizinische Fakultät<br />
................................................................................<br />
34<br />
nun Carl August Weinhold (1782–1829)<br />
übertragen. Dzondi richtete sich im gleichen<br />
Jahr die Privatklinik Nosocomium<br />
ophthalmo-chirurgicum ein, die er bis zu<br />
seinem Tode 1835 betrieb. Die Nachfolge<br />
von Weinhold trat 1830 Carl Wilhelm<br />
Wutzer an. Der schnelle Ruf nach Bonn<br />
ließ keinen herausragenden Aufschwung<br />
der Klinik zu. Erst die Berufung von<br />
Ernst Blasius (1802–1875) sorgte dank<br />
seines 36 Jahre dauernden Direktorates,<br />
seiner praxisbezogenen Lehrtätigkeit und<br />
seines klinisch-wissenschaftlichen Arrangements<br />
für ein qualitativ und quantitativ<br />
höheres Niveau. 1861 zog die Klinik in<br />
das Gebäude des heutigen Zoologischen<br />
Institutes am Domplatz um. Die in diese<br />
Zeit (1858) fallende Habilitation von Alfred<br />
Graefe (1830–1899), die Fortschritte<br />
in der Diagnostik und Therapie sowie in<br />
der Technik verliehen der Separierung der<br />
Ophthalmologie von der Chirurgie spürbaren<br />
Auftrieb.<br />
Novum: Ophthalmologische Ordinariate<br />
Die endgültige Bewilligung der Einrichtung<br />
des Ordinariats Ophthalmologie in<br />
Deutschland initiierte Ludwig Jacobson in<br />
Königsberg. Graefe richtete sich 1859 am<br />
Steinweg 21 eine private Augenklinik ein.<br />
Diese wurde 1873 infolge der Zuerkennung<br />
des Lehrstuhles für Ophthalmologie<br />
an Alfred Graefe und der staatlichen Subventionierung<br />
mit 2 400 Mark pro Jahr<br />
die erste Universitäts-Augenklinik in Halle.<br />
1884 zog Graefe schließlich – gemeinsam<br />
mit dem HNO-Lehrstuhl unter Hermann<br />
Schwartze (1837–1910) – in die<br />
nach seinen Plänen gebaute Universitätsklinik<br />
in der Magdeburger Straße ein.<br />
Der ursprünglich der Augen- und Ohrenklinik<br />
zugedachte Bauplatz wurde, wegen<br />
der von Julius Bernstein (1839–1917) gefürchteten<br />
Lärmbelästigung von der Straße<br />
her, mit dem der Physiologie getauscht.<br />
Hör- und OP-Saal waren zur Nutzung beider<br />
Fachgebiete konzipiert; hinsichtlich aller<br />
anderen Bereiche, auch der Eingänge, erfolgte<br />
eine strikte Trennung. Die Augenklinik<br />
bekam drei Viertel, die HNO-Klinik ein<br />
Viertel der Räumlichkeiten zugeteilt. Der<br />
Eingang zum Hof war den Patienten, der<br />
zur Nordseite dem Personal und den Studenten<br />
vorbehalten.<br />
Graefes Nachfolger, Artur v. Hippel (1841<br />
–1916) erwirkte die Bewilligung zum Anbau<br />
des Hörsaals, der 1894 zur Nutzung<br />
freigegeben wurde. Sein Sohn Eugen v.<br />
Hippel (1867–1939) setzte 1909 den Anbau<br />
eines Tierstalls (zu Forschungszwecken)<br />
und 1913 den Auszug der Ohrenklinik<br />
durch. Der von Hermann Schmidt-<br />
Rimpler (1838–1915) und Eugen v. Hippel<br />
geplante Erweiterungsbau der Universitäts-Augenklinik<br />
– damit verfügte die Klinik<br />
seit 1934 über 168 Betten – gelang erst<br />
Wilhelm Clausen (1878–1961), dem Nachfolger<br />
von Franz Schieck (1871–1945), der<br />
das Lehramt von 1914 bis 1925 versah.<br />
Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
Von 1955 bis 1966 hatte Günther Badtke<br />
(1910–1967), von 1966 bis 1976 Karl-<br />
Ernst Krüger (1918–1976) und von 1976<br />
bis 1995 Manfred Tost (*1930) den Lehrstuhl<br />
inne. Nach 2-jährigem kommissarischen<br />
Direktorat durch Hans Georg Struck<br />
übernahm am 1. August 1997 Gernot I. W.<br />
Duncker den halleschen Lehrstuhl für<br />
Ophthalmologie. Das Graefesche Profil der<br />
Blick von der Terrasse der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde auf das<br />
Gebäude der Universitätsklinik für Augenheilkunde Fotos (2): Herde<br />
Eingang zur Universitätsklinik für Augenheilkunde<br />
in der Magdeburger Straße<br />
Klinik erfuhr einerseits bei den neun folgenden<br />
Ordinarien hohe Wertschätzung,<br />
andererseits wurde es den jeweils aktuellen<br />
Bedingungen, dem wissenschaftlichen und<br />
technischen Fortschritt und den Subspezialisierungen<br />
adaptiert. Neben der ophthalmologisch-praktischen<br />
und chirurgischen<br />
Tätigkeit kristallisierten sich die Teratologie<br />
sowie die klinische und experimentelle<br />
Genetik – beginnend bei A. Graefe, A. u.<br />
E. v. Hippel, H. Schmidt-Rimpler, aber besonders<br />
bei G. Badtke und M. Tost – heraus<br />
und erreichten ihren wissenschaftspublizistischen<br />
Höhepunkt im Missbildungsband<br />
des Handbuches »Der Augenarzt«<br />
(Hg. K. Velhagen, 1897–1990) von Günther<br />
Badtke (1. Aufl., Bd. I.IV 1958/61)<br />
und Manfred Tost (2. Aufl., Bd. XI 1986).<br />
Graefe und Schieck verfassten je ein mehrbändiges<br />
Handbuch (Graefe-Saemisch<br />
1874–77, Schieck-Brückner 1930–32). Unter<br />
Krüger wurde frühzeitig die Mikrochirurgie<br />
einbezogen, während Motilitätsstörung<br />
und Schielkrankheit herausragende<br />
Arbeitsgebiete von Graefe und Krüger waren.<br />
Beide v. Hippel (1891 und 1897),<br />
Leonhard Koeppe (1884–1969; 1922) und<br />
Velhagen (1949) wurden für ihre Werke mit<br />
dem Graefepreis geehrt.<br />
In der kurzen Lehramtszeit seit August<br />
1997 gründete Professor Duncker die erste<br />
mitteldeutsche Hornhautbank, führte Umbau<br />
und Modernisierung von OP-Trakt<br />
und Stationen durch und veranstaltete vier<br />
Symposien. Die Zuordnung der Patienten<br />
zu den Spezialsprechstunden gewährleistet<br />
gezielte Diagnostik und Therapie. Heute<br />
sind in der halleschen Universitäts-Augenklinik<br />
alle Bereiche der Ophthalmologie<br />
nach neuestem Erkenntnisstand präsent.<br />
■<br />
Die Autorin studierte von 1961–67 in Sofia,<br />
und Berlin Medizin; es folgten 1967–72 die<br />
Facharztausbildung (Promotion 1968, Habilitation<br />
1990), seit 1972 Lehre/Forschung<br />
an der hiesigen Medizinischen Fakultät.
BERUFUNGEN UND MITTEILUNGEN<br />
Hallescher Mediziner<br />
Vorstandsmitglied und Schatzmeister<br />
Prof. Dr. med. Hermann M. Behre, Universitätsprofessor<br />
und Leiter der Andrologie in<br />
der Universitätsklinik und Poliklinik für<br />
Urologie an der Medizinischen Fakultät der<br />
Martin-Luther-Universität (Direktor: Prof.<br />
Dr. Paolo Fornara), wurde am 18. Juni <strong>2001</strong><br />
auf dem Weltkongress der International<br />
Society of Andrology (ISA) in Montreal/Kanada<br />
mit großer Mehrheit für die nächsten<br />
vier Jahre in den Vorstand und zum Schatzmeister<br />
der Gesellschaft gewählt.<br />
Hallescher Ophthalmologe<br />
zum Ehrenmitglied gewählt<br />
Im Sommer <strong>2001</strong> (Nachricht vom 2. Juli)<br />
wurde Prof. em. Dr. med. Manfred Tost,<br />
vormals Direktor der Klinik und Poliklinik<br />
für Augenheilkunde der halleschen Universität<br />
(siehe Seite 32 unten, Mitte) zum Ehrenmitglied<br />
der Europäischen Ophthalmologischen<br />
Gesellschaft – der Societas Ophthalmologica<br />
Europaea – gewählt.<br />
Hallescher Viszeralchirurg<br />
Mitglied des Royal Colleg of Surgeons<br />
Prof. Dr. Henning Dralle, Direktor der Universitätsklinik<br />
und Poliklinik für Allgemein-,<br />
Viszeral- und Gefäßchirurgie der Medizinischen<br />
Fakultät, wurde im August <strong>2001</strong> in<br />
London zum Mitglied im Royal College of<br />
Surgeons – Fellowship des Royal College of<br />
Surgeons of England – ernannt.<br />
Ehrenpreis für hallesche<br />
Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
Dr. Silke Markau aus der halleschen Universitätsklinik<br />
und Poliklinik für Innere Medizin<br />
II und Dr. Kirsten Leineweber aus dem<br />
Institut für Pharmakologie und Toxikologie<br />
wurden auf dem Kongress der Europäischen<br />
Gesellschaft für Nierenkrankheiten, Dialyse<br />
und Nierentransplantation im Juni <strong>2001</strong> in<br />
Wien für ihren Beitrag über Rezeptoren am<br />
Herzen in der chronischen Niereninsuffizienz<br />
mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet.<br />
Ihren Vortrag zählte das Programmkomitee<br />
zu den 20 besten von insgesamt über 1 000.<br />
..............................................................................<br />
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Personalia<br />
...............................................................................<br />
Prof. Dr. Markus Pietzsch<br />
FACHBEREICH<br />
INGENIEUR-<br />
WISSENSCHAFTEN<br />
Universitätsprofessor für Aufarbeitung biotechnischer<br />
Produkte am FB Ingenieurwissenschaften<br />
seit 1. September <strong>2001</strong>.<br />
Geboren am 28. Mai 1964 in Braunschweig.<br />
Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:<br />
1983–1989 Studium der Chemie an der TU<br />
Braunschweig<br />
1989–1992 wiss. Mitarbeiter an der o. g. TU<br />
1992 Promotion zum Dr. rer. nat.<br />
1992–1993 wiss. Assistent an der o. g. TU<br />
1993–1998 Habilitand, wiss. Mitarbeiter an<br />
der Universität Stuttgart; Leiter<br />
der Arbeitsgruppe Biokatalyse<br />
und Enzymtechnologie<br />
1998–1999 Freier Mitarbeiter und Habilitand<br />
an der Universität Stuttgart<br />
1999 Habilitation<br />
1999–<strong>2001</strong> Lehrauftrag an der Bergakademie<br />
Freiberg; Vertretungsprofessur<br />
an der TU Braunschweig<br />
<strong>2001</strong> Universitätsprofessor in Halle<br />
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:<br />
Vereinfachte Aufarbeitung von löslichen und<br />
membranständigen Proteinen, Entwicklung<br />
rationaler Methoden zur Immobilisierung<br />
von Enzymen, Modifikation von Proteinen,<br />
Biokatalyse<br />
Publikationen (Auswahl):<br />
— Ragnitz, K., Syldatk, C. und Pietzsch, M.<br />
(<strong>2001</strong>). Optimization of the immobilization<br />
parameters and operational stability of<br />
immobilized hydantoinase and L-N-carbamoylase<br />
from Arthrobacter aurescens for the<br />
production of optically pure L-amino acids.<br />
In: Enzyme Microb. Technol., 28, 713–720.<br />
— Pietzsch, M., Wiese, A., Ragnitz, K.,<br />
Wilms, B., Altenbuchner, J., Mattes, R. und<br />
Syldatk, C. (2000). Purification of recombinant<br />
hydantoinase and L-N-carbamoylase<br />
from Arthrobacter aurescens expressed in<br />
Escherichia coli: Comparison of wild-type<br />
and genetically modified proteins. In: J.<br />
Chromatogr. B, 737, 179–186.<br />
— Beumer, R., Bubert, C., Cabrele, C., Vielhauer,<br />
O., Pietzsch, M. und Reiser, O. (in<br />
press). The synthesis of diastereo- and enantiomerically<br />
pure ß-aminocyclopropane<br />
carboxylic acids. In: J. Org. Chem.<br />
— Pietzsch, M. und Hopf, H. (1999). The<br />
synthesis of optically active [2.2]paracyclophanes<br />
by biotransformations. In: Bioorganic<br />
Chemistry (Diederichsen, U., Lindhorst,<br />
T. K., Westermann, B. und Wessjohann, L.<br />
A., eds.), Wiley-VCH, Weinheim, 111–120.<br />
35
scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
...............................................................................<br />
Rätsel / AutorInnen<br />
................................................................................<br />
Zeigt das nebenstehende Foto<br />
36<br />
a) ein ausgetrocknetes Flussbett in Zentralafrika,<br />
b)Ausgrabungen hallescher Archäologen in<br />
Ostgeorgien<br />
oder<br />
c) etwas ganz Anderes – und wenn ja, was?<br />
Die Lösung finden Sie im nächsten Heft.<br />
AutorInnen dieser Ausgabe<br />
Postanschrift für alle AutorInnen (außer<br />
Medizinische Fakultät und Privatadressen):<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
... Fakultät / FB ... / Institut für ...<br />
06099 Halle (Saale)<br />
Dr. Ralf-Torsten Speler<br />
Leiter der Zentralen Kustodie und des<br />
Universitätsarchivs<br />
(Universitätsplatz 11)<br />
Tel.: 0345 / 552 17 33<br />
Fax: 0345 / 552 71 62<br />
E-Mail: r.-t.speler@kustodie.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. Pia Schmid / Dr. Bertold Ebert /<br />
Jessika Piechocki<br />
FB Erziehungswissenschaften<br />
Institut für Pädagogik<br />
(Franckeplatz 1, Haus 2–7)<br />
Tel.: 0345 / 552 37 90 / 39 70<br />
Fax: 0345 / 552 71 33<br />
E-Mail: schmid@paedagogik.uni-halle.de<br />
E-Mail: ebert@paedagogik.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. Hermann Goltz<br />
Theologische Fakultät<br />
Institut für Historische Theologie<br />
(Franckeplatz 1, Haus 30)<br />
Tel: 0345 / 552 30 30/31<br />
Fax: 0345 / 552 70 97<br />
E-Mail: goltz@theologie.uni-halle.de<br />
Dr. Friedemann Stengel<br />
Theologische Fakultät<br />
Institut für Historische Theologie<br />
(Franckeplatz 1, Haus 30)<br />
Tel: 0345 / 552 30 50<br />
Fax: 0345 / 552 72 40<br />
E-Mail: stengel@theologie.uni-halle.de<br />
Dr. Norbert Hauschke<br />
FB Geowissenschaften<br />
Institut für Geologische Wissenschaften und<br />
Geiseltalmuseum<br />
(Domplatz 5)<br />
Tel: 0345 / 552 61 15<br />
Fax: 0345 / 552 72 15<br />
E-Mail: hauschke@geologie.uni-halle.de<br />
Die Abbildung in der Ausgabe 2/01 zeigte die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines<br />
Positiv-Abdruckes einer Hautfurche (stark geneigt; 200 µm, Foto: Herrmann/Seydewitz)<br />
Dr. Wieland Berg / Dr. Sybille Gerstengarbe<br />
Deutsche Akademie der Naturforscher<br />
Leopoldina, Red. Acta Historica Leopoldina<br />
Postfach 11 05 43<br />
06019 Halle (Saale)<br />
Tel.: 0345 / 472 39 30<br />
Fax: 0345 / 472 39 19<br />
E-Mail: berg@leopoldina.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. Peter Hertner<br />
FB Geschichte, Philosophie und Sozialwiss.<br />
Institut für Geschichte<br />
(Kröllwitzer Straße 44)<br />
Tel.: 0345 / 552 42 97<br />
Fax: 0345 / 552 70 42<br />
E-Mail: hertner@geschichte.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. Giuseppe Veltri<br />
FB Kunst-, Orient- und Altertumswiss.<br />
Institut für Orientalistik<br />
(Mühlweg 15)<br />
Tel: 0345 / 552 40 60<br />
Fax: 0345 / 552 72 00<br />
E-Mail: veltri@orientphil.uni-halle.de<br />
Dr. Cordula Günther<br />
FB Sprach- und Literaturwissenschaften<br />
Abt. Medien- und Kommunikationswiss.<br />
(Rudolf-Breitscheid-Straße 10)<br />
Tel: 0345 / 552 35 75<br />
Fax: 0345 / 552 35 71<br />
E-Mail: guenther@medienkomm.uni-halle.de<br />
PD Dr. Edith Glaser<br />
Tschaikowskistr. 22<br />
04105 Leipzig<br />
Tel.: 0341 / 980 01 30<br />
E-Mail: edith.glaser@web.de<br />
Doz. Dr. Hans-Joachim Kertscher<br />
Interdisziplinäres Zentrum für die<br />
Erforschung der Europäischen Aufklärung<br />
(Franckeplatz 1, Haus 54)<br />
Tel: 0345 / 552 17 74<br />
Fax: 0345 / 552 72 52<br />
E-Mail: kertscher@izea.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. Wolfgang Fratzscher<br />
Marsstraße 13<br />
06118 Halle (Saale)<br />
Tel.: 0345 / 522 55 35<br />
Dipl.-Theol. Sebastian Kranich<br />
Theologische Fakultät<br />
Institut für Systematische Theologie<br />
(Franckeplatz 1, Haus 30)<br />
Tel: 0345 / 552 30 10<br />
Fax: 0345 / 552 70 88<br />
E-Mail: kranich@theologie.uni-halle.de<br />
Dr. Irene Roch-Lemmer<br />
Hoher Weg 14<br />
06120 Halle (Saale)<br />
Tel.: 0345 / 550 40 59<br />
Dr. Rolf Diemann / Dipl.-Ing. Oliver Arndt<br />
Landwirtschaftliche Fakultät<br />
Institut für Agrarökonomie und Agrarraumgestaltung<br />
(Adam-Kuckhoff-Str. 15)<br />
Tel: 0345 / 552 24 41<br />
Fax: 0345 / 552 71 14<br />
E-Mail: diemann@landw.uni-halle.de<br />
Prof. Dr. med. Jutta Herde<br />
Medizinische Fakultät<br />
Universitätsklinik und Poliklinik für Augenheilkunde<br />
(Magdeburger Straße 8)<br />
Tel.: 0345 / 557 18 78<br />
Fax: 0345 / 557 18 48<br />
E-Mail: j.herde@medizin.uni-halle.de<br />
___________________________________<br />
Errata<br />
Auf Seite 10 der Ausgabe 2/01 des Wissenschaftsjournals<br />
wurde im Artikel von Jürgen<br />
Vogel und Jörg Kreßler: »Wechselwirkungen<br />
zwischen Lebewesen und Material« POREX<br />
fälschlicherweise als ein Polyethylen niederer<br />
Dichte beschrieben.<br />
Richtig muss es heißen: POREX ist ein lineares<br />
Polyethylen hoher Dichte. Die Abbildungen<br />
gingen aus der gemeinsamen Forschung<br />
mit der Arbeitsgruppe Prof. Dr. Alexander<br />
Berghaus (HNO-Klinik) hervor und wurden<br />
von Dr. Dagobert Glanz (Medizinische Fakultät,<br />
Physiologische Chemie) mit Hilfe der<br />
konfokalen Laser-Scanning-Mikroskopie<br />
gewonnen.<br />
E-Mail: juergen.vogel@iw.uni-halle.de
VEREINIGUNG DER FREUNDE UND FÖRDERER DER<br />
MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG E.V.<br />
Ehrenvorsitzender des Kuratoriums: Senator e. h. Dr. h. c. mult. Hans-Dietrich Genscher<br />
EMPORIUM. 500 JAHRE UNIVERSITÄT HALLE–WITTENBERG<br />
Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2002<br />
Am 31. <strong>Oktober</strong> beginnt das Akademische<br />
Festjahr, mit dem die<br />
Martin-Luther-Universität das 500jährige<br />
Bestehen ihres Wittenberger<br />
Zweigs feiert. Um möglichst<br />
breite Kreise der Öffentlichkeit für<br />
das Jubiläum zu interessieren, wird<br />
am 23. April 2002 die sozialhistorische<br />
Landesausstellung “EMPO-<br />
RIUM. 500 Jahre Universität<br />
Halle–Wittenberg“ eröffnet.<br />
Die Exposition wahrer Schätze der<br />
deutschen Kultur- und Geistesgeschichte<br />
von Weltrang wird auf<br />
rund 1.300 m 2 im gesamten Hauptgebäude<br />
der Universität opulent<br />
inszeniert. Sie zeigt repräsentative<br />
und traditionsbegründende Objekte<br />
wie Stiftungsurkunde, Universitätsinsignien,<br />
Matrikelbücher, Jubiläumsmedaillen,Professorengemälde,<br />
Porträtbüsten und grafische<br />
Ansichten von Wittenberg und<br />
Halle. Herausragendes Exponat ist<br />
zweifelsohne das von Jacob Jo-<br />
Vorsitzender des Kuratoriums: Senator e. h. Dr. Gerhard Holland<br />
Präsident: Senator e. h. Dr. Wolfgang Röller<br />
hann Marchand gestaltete barocke<br />
Disputkatheder aus der Leucorea.<br />
Die Ausstellung wird sich auch<br />
intensiv mit der Universitätsgeschichte<br />
im 20. Jahrhundert auseinandersetzen<br />
und bietet nicht<br />
zuletzt sehenswerte Inszenierungen<br />
aktueller Forschung, beispielsweise<br />
die Beobachtung der Formen und<br />
Farben bei der mikroskopischen<br />
Arbeit mit Flüssigkristallen. Zum<br />
Ausstellungskonzept gehört die<br />
„ARENA“, eine Bühne direkt vor<br />
dem Löwengebäude, auf der vielfältige<br />
Veranstaltungen die Schnittstelle<br />
zwischen Universität und<br />
Stadt markieren werden.<br />
Die Landesausstellung wird von<br />
der VFF unterstützt. Hauptsponsor<br />
ist die Dresdner Bank. Eine umfangreiche<br />
Förderung stellte auch<br />
die Lotto-Toto GmbH Sachsen-<br />
Anhalt bereit.<br />
Geschäftsführer: Peter Weniger<br />
c/o Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 06099 Halle (Saale)<br />
Telefon: (03 45) 55-2 10 24/25<br />
Telefax: (03 45) 55-2 70 85<br />
e-mail: PWeniger@vff.uni-halle.de<br />
Internet: http://www.uni-halle.de/vff/<br />
Für Mitgliedsbeiträge und Spenden wurden folgende Konten eingerichtet:<br />
Dresdner Bank Halle,<br />
Konto-Nr. 8 573 621 00, BLZ 800 800 00<br />
Stadt- und Saalkreissparkasse Halle,<br />
Konto-Nr. 3 863 007 62, BLZ 800 537 62<br />
Flüssigkristalle unter dem Mikroskop<br />
Spenden zur Verwirklichung der Ziele der Vereinigung und zum Nutzen der Universität sind jederzeit willkommen. Diese Spenden können<br />
an eine Zweckbestimmung gebunden sein. Die Vereinigung ist berechtigt, steuerwirksame Spendenbescheinigungen auszustellen<br />
Aufnahme: Gerhard Pelzl