Oktober 2001
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DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT HALLE<br />
Ein ganzes Bündel von politischen Erwägungen<br />
ließ die SED von ihren Plänen abrücken.<br />
Im Gegenzug versuchten die<br />
Machthaber, Zusammensetzung und Studiengang<br />
der Theologischen Fakultäten zu<br />
beeinflussen, um die vor allem in der Frühzeit<br />
der DDR unbotmäßige Pfarrerschaft<br />
politisch zu indoktrinieren und so die<br />
evangelische Kirche perspektivisch zu unterwerfen.<br />
Dass letztere aber selbst über<br />
drei staatlich niemals anerkannte Kirchliche<br />
Hochschulen verfügte, erschwerte dieses<br />
Vorhaben erheblich:<br />
Je mehr politischer Druck auf die Fakultäten<br />
ausgeübt wurde, desto mehr Studenten<br />
wanderten an die Kirchlichen Hochschulen<br />
in Naumburg, Leipzig und Berlin ab. Die<br />
Studierenden der Theologie besaßen so als<br />
einzige eine reale alternative Studienmöglichkeit<br />
und genossen deshalb auch weitaus<br />
mehr Freiräume, da der SED-Staat ja interessiert<br />
war, möglichst viele Bewerber von<br />
den Kirchlichen Hochschulen fernzuhalten<br />
und an die staatlichen Universitäten zu<br />
bringen.<br />
Beispielsweise konnten gediente Bausoldaten<br />
(von einigen Ausnahmen abgesehen)<br />
eigentlich nur Theologie studieren; weniger<br />
als die Hälfte aller Theologen waren Mitglieder<br />
der FDJ; die Wahlbeteiligung lag oft<br />
gerade bei 50 Prozent – die Sektion Theologie<br />
in Halle war die staatliche Institution<br />
mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in der<br />
gesamten DDR; nur hier konnten Nicht-<br />
FDJler in den Leitungsgremien der Sektion<br />
mitarbeiten.<br />
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scientia halensis 3/<strong>2001</strong><br />
Theologische Fakultät<br />
THEOLOGIE AN EINER SO GENANNTEN »SOZIALISTISCHEN« UNIVERSITÄT<br />
Friedemann Stengel<br />
Es hat immer Erstaunen hervorgerufen, dass der SED-Staat sechs Theologische Fakultäten,<br />
ab 1970/71 Sektionen Theologie, an seinen sozialistischen Universitäten duldete und damit<br />
die Ausbildung zukünftiger Pfarrer förderte. Diese Möglichkeit bestand in sämtlichen anderen<br />
Staaten des Ostblocks nicht. Auch die SED hatte zu Beginn der fünfziger Jahre erwogen,<br />
die Fakultäten zu schließen, da sie schlecht mit der atheistischen und kirchenfeindlichen<br />
Bildungsdoktrin zu vereinbaren waren und sich nach Auffassung des Marxismus<br />
Kirche und Religion als Rudimente der bürgerlichen Gesellschaft in absehbarer Zukunft<br />
von selbst auflösen würden.<br />
Daran sei insbesondere im Hinblick auf die<br />
Gefahren erinnert, denen Nichttheologen<br />
ausgesetzt waren, wenn sie sich oppositionell<br />
oder auch nur resistent verhielten.<br />
Dennoch kam es auch in Halle zwischen<br />
dem Lehrkörper und opponierenden Studenten<br />
zu Auseinandersetzungen – insbesondere<br />
in den achtziger Jahren, als manche<br />
Protestanliegen der kirchlichen Opposition<br />
auf Sektionsebene ausgetragen wurden.<br />
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Einschneidend waren 1950 die politisch<br />
begründete Zwangsversetzung Erich Faschers,<br />
der auch stellvertretender Landesvorsitzender<br />
der noch nicht gleichgeschalteten<br />
CDU war, nach Greifswald und 1958<br />
die Entlassung des renommierten Kirchenhistorikers<br />
Kurt Aland nach einer beispiellosen<br />
Kampagne gegen ihn und den Spiritus-Kreis,<br />
der aus bürgerlich-christlichen<br />
Professoren mehrerer Fakultäten bestanden<br />
hatte. Manchem Schüler der Fakultät blieb<br />
eine akademische Laufbahn aus politischen<br />
Gründen verwehrt.<br />
Diese Einschnitte sowie die dauerhafte<br />
Ungewissheit über die Zukunft der Fakultäten<br />
haben zwar die Anpassung der Theologen<br />
an die politischen Strukturen befördert<br />
– dennoch ist es der SED insbesondere<br />
in Halle nicht gelungen, Theologie inhalt-<br />
Weiterführende Lektüre zum Thema aus der Feder des Verfassers:<br />
— Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik<br />
des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71.<br />
Leipzig 1998. 824 S. (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. 3),<br />
— Zur Rolle der Theologischen Fakultäten in der DDR 1980–1990. In: Zehn Jahre<br />
danach: die Verantwortung von Theologie und Kirche in der Gesellschaft (1989–<br />
1999), hrsg. von Kurt Nowak und Leonore Siegele-Wenschkewitz. Leipzig 2000,<br />
32–78,<br />
— Zur Kirchen- und Hochschulpolitik der SED am Beispiel der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg in den fünfziger Jahren. In: Vorträge und Abhandlungen<br />
zur Wissenschaftsgeschichte 1999/2000, hrsg. von Wieland Berg, Sybille<br />
Gerstengarbe, Andreas Kleinert, Benno Parthier. Heidelberg 2000 (Acta Historica<br />
Leopoldina 36/2000), 25–61.<br />
Es hat in diesem Zusammenhang sowohl<br />
auf Studenten- als auch auf der Ebene des<br />
Lehrkörpers auch Inoffizielle Mitarbeiter<br />
für das MfS gegeben, wenn auch in geringerem<br />
Umfang als an anderen Theologischen<br />
Fakultäten.<br />
Die staatlichen Eingriffe in die Autonomie<br />
der Theologischen Fakultäten vor allem in<br />
den ersten 20 Jahren der DDR waren zum<br />
Teil drakonisch, in Berlin und Leipzig mit<br />
gravierenden Ergebnissen. Halle wurde von<br />
der SED als »reaktionärste« aller Theologischen<br />
Fakultäten angesehen. Der langjährige<br />
Rektor Leo Stern forderte Ulbricht vertraulich<br />
auf, sie zu schließen. So blieb Halle<br />
von Repressionen nicht verschont. Insgesamt<br />
fünfmal musste die Fakultät staatlicherseits<br />
oktroyierte Professoren und<br />
Dozenten gegen ihren Willen hinnehmen,<br />
allerdings ohne die von der SED erwünschten<br />
politischen Resultate.<br />
lich zu beeinflussen. Sie verblieb vielmehr<br />
im Kontext eines traditionell geprägten<br />
Wissenschaftsverständnisses und – das<br />
war ein Markenzeichen Halles – bewahrte<br />
sich eine starke Orientierung an den landeskirchlichen<br />
Positionen. Sie betrieb zum Teil<br />
international anerkannte Forschungen und<br />
hatte innerhalb der tristen geisteswissenschaftlichen<br />
Landschaft in der DDR einen<br />
kritischen Alternativcharakter, wenn auch<br />
in einer vom MfS misstrauisch beobachteten<br />
Nischenexistenz.<br />
■<br />
Der Verfasser, Jg. 1966, studierte in Halle<br />
Theologie und ist derzeit wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät.<br />
Er hat bereits mehrere Arbeiten zur Kirchlichen<br />
Zeitgeschichte vorgelegt.<br />
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