Nachhaltigkeits-Marketing in Theorie und Praxis - TUM
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Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Michael Bilharz (Hrsg.)<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />
Deutscher Universitäts-Verlag
Vorwort<br />
Das 5. St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>management mit dem Titel „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />
Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Potenziale“, das am 25. November 2003 an der Universität<br />
St. Gallen stattfand, war der Abschluss des Forschungsprojektes „Susta<strong>in</strong>ability<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland“ (SMS) <strong>und</strong> gleichzeitig die Geburtsst<strong>und</strong>e für das vorliegende<br />
Buch. Beides ist untrennbar mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en.<br />
Das Projekt wurde vom Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen<br />
(IWÖ-HSG) <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />
bewusste Unternehmensführung (ÖBU) <strong>und</strong> The Susta<strong>in</strong>ability Forum (TSF) während<br />
der Jahre 2002 bis 2004 durchgeführt. Möglich gemacht wurde das Projekt durch die<br />
Anschubf<strong>in</strong>anzierung des TSF <strong>und</strong> die beiden Sponsoren Migros <strong>und</strong> Swisscom. Den<br />
fünf Projektpartnern gilt an erster Stelle unser Dank!<br />
Das Buch ist aber mehr als e<strong>in</strong> Tagungsband. Die Tagungsbeiträge wurden gr<strong>und</strong>legend<br />
überarbeitet. Außerdem konnten neue Autoren gewonnen werden, die das Thema<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> aus praktischer <strong>und</strong> theoretischer Sicht weiterentwickelten.<br />
Ohne sie wäre das Buch <strong>in</strong> der vorliegenden Form nicht möglich gewesen. Den Autoren<br />
gebührt deshalb unser herzlicher Dank für ihre Beiträge, ihre Bereitschaft zur Weiterentwicklung<br />
der Textfassungen sowie für ihre Geduld, dass sich die endgültige<br />
Druckfassung ungewollt länger als geplant verzögerte.<br />
Obwohl beide Herausgeber zwischenzeitlich an der Technischen Universität München<br />
(<strong>TUM</strong> Bus<strong>in</strong>ess School) tätig s<strong>in</strong>d, ist das Buch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d des Instituts für Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Ökologie (IWÖ-HSG). Die f<strong>in</strong>anziellen <strong>und</strong> personellen Ressourcen wurden vom<br />
IWÖ-HSG zur Verfügung gestellt. Hierfür danken wir dessen Direktor Prof. Dr. Thomas<br />
Dyllick, der dieses Buchprojekt möglich gemacht hat.<br />
Von der ersten Textfassung bis zur fertigen Druckvorlage ist es bekanntlich e<strong>in</strong> weiter<br />
Weg. Dass dieser Weg erfolgreich abgeschlossen werden konnte, ist nicht zuletzt das<br />
Resultat vieler kritischer Augenpaare. Namentlich genannt seien: Bernhard Balg,<br />
Michel Geelhaar, Gabi Hildesheimer, Birte Karstens, Kathar<strong>in</strong>a Leitner, Jasm<strong>in</strong><br />
Pobisch, Kathar<strong>in</strong>a Sammer, Petra Schoele <strong>und</strong> Mathias Weis.<br />
III<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz
Inhaltsverzeichnis<br />
Teil I: E<strong>in</strong>führung ..................................................................................................... 1<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz:<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>................................................................ 3<br />
Teil II: Konzeptionelle <strong>und</strong> empirische Gr<strong>und</strong>lagen .......................................... 17<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />
Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse ....................................................................... 19<br />
Manfred Kirchgeorg:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive...................................... 41<br />
Ulf Schrader:<br />
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation ..................................... 61<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel: Theoretische<br />
Überlegungen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse.................................................................... 75<br />
Wilfried Konrad/Gerd Scholl:<br />
Die umwelt.plus.karte: Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung e<strong>in</strong>er<br />
K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen ...................................... 99<br />
Teil III: Situative Anwendungen .......................................................................... 117<br />
Bereich Bauen, Wohnen <strong>und</strong> Energie......................................................................... 119<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche:<br />
„Best Practices“ aus der Schweiz ............................................................................... 119<br />
Michael Bilharz:<br />
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e. Kritische Anmerkungen<br />
zur Vermarktung von Ökostrom ................................................................................. 141
VI Inhaltsverzeichnis<br />
Bereich Ernährung ...................................................................................................... 161<br />
Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner:<br />
Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität <strong>und</strong><br />
Fair Trade-Kaffee: E<strong>in</strong>e Analyse der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten............................................. 161<br />
Hugo Skoppek/Birte Karstens:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens<br />
am Beispiel von EOSTA <strong>und</strong> „Nature & More“................................. 181<br />
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer:<br />
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation .................. 197<br />
Bereich Telekommunikation....................................................................................... 211<br />
Andreas Walser:<br />
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozialökologischen<br />
Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen.................................................... 211<br />
Fabian Bucher:<br />
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche.............................. 227<br />
Teil IV: Perspektiven............................................................................................. 241<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz:<br />
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen durch<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Implikationen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>............................ 243<br />
Autorenangaben .......................................................................................................... 255
Teil I:<br />
E<strong>in</strong>führung
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
1 Nachhaltigkeit <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />
Nachhaltige Entwicklung kann man gemäß der von den Vere<strong>in</strong>igten Nationen e<strong>in</strong>gesetzten<br />
Weltkommission für Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung („Br<strong>und</strong>tland-Kommission“)<br />
def<strong>in</strong>ieren als e<strong>in</strong>e Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generationen<br />
auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse<br />
befriedigen können (World Commission on Environment and Development 1987).<br />
Dah<strong>in</strong>ter steht die Idee der <strong>in</strong>ter- <strong>und</strong> <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit. Seit der UN-<br />
Konferenz <strong>in</strong> Rio de Janeiro 1992 hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung weite<br />
Verbreitung <strong>und</strong> Anerkennung gef<strong>und</strong>en. Gemäß dem Verantwortungspr<strong>in</strong>zip ist jeder<br />
E<strong>in</strong>zelne <strong>und</strong> jede gesellschaftliche Gruppe, jede Organisation <strong>und</strong> damit auch jedes<br />
Unternehmen für die Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitpr<strong>in</strong>zip<br />
tragen alle Menschen <strong>in</strong> allen Ländern Verantwortung für den Erhalt <strong>und</strong> die<br />
Sicherung der natürlichen <strong>und</strong> sozialen Lebensgr<strong>und</strong>lagen der Menschen (Meffert/<br />
Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4). Die Beziehungen zwischen ökonomischen,<br />
ökologischen <strong>und</strong> sozialen Zielen s<strong>in</strong>d nicht immer komplementär, sondern<br />
vielfach konfliktär. Die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verlangt<br />
von Entscheidungsträgern <strong>in</strong> der Wirtschaft e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle Synthese<br />
von ökologischen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten (Dyllick/Hockerts 2002,<br />
S. 130-141; Kirchgeorg 2002, S. 4).<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist ebenso wie Nachhaltigkeit e<strong>in</strong> schillernder Begriff, der e<strong>in</strong>er kurzen Erläuterung<br />
bedarf: Zunächst kann <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als e<strong>in</strong>e operative Unternehmensfunktion<br />
(Absatz, Verkauf oder Vertrieb) verstanden werden, <strong>in</strong> der die vier klassischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />
Produkt, Preis, Kommunikation <strong>und</strong> Distribution zum E<strong>in</strong>satz kommen<br />
(Mc Carthy 1960). Darüber h<strong>in</strong>aus kann <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> aber auch als Führungsphilosophie<br />
aufgegriffen werden, d.h. als K<strong>und</strong>enorientierung von den Beschaffungsmärkten<br />
her zu den Absatzmärkten h<strong>in</strong>, die alle Unternehmensbereiche <strong>und</strong> -funktionen<br />
durchdr<strong>in</strong>gt. Sowohl <strong>in</strong> der <strong>Theorie</strong> als auch <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> wird <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vielfach als<br />
„duale Führungskonzeption“ aufgefasst, d.h. als operative Unternehmensfunktion ne-
4 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
ben Beschaffung <strong>und</strong> Produktion e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> als normative Leitidee der Unternehmensführung<br />
andererseits (Meffert 1995, Sp. 1474; Becker 1998, S. 1-3).<br />
Wie ist die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu sehen? Welche<br />
Wechselwirkungen bestehen zwischen den beiden Konzepten? Aus der Sicht der<br />
Nachhaltigkeit ist kommerzielles <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> höchst ambivalent (Raffée 1979,<br />
S. 13-27): Die positiven Wirkungen des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Versorgungsleistungen <strong>und</strong><br />
Wohlstandseffekten zu sehen. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> erfüllt die Funktion, die Bevölkerung <strong>in</strong> ausreichendem<br />
Maße mit geeigneten Gütern zu versorgen. In der Wohlstands- bzw. Überflussgesellschaft<br />
werden diese Effekte vielfach als Selbstverständlichkeit angesehen.<br />
E<strong>in</strong> zentrales Ziel des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht <strong>in</strong> der Bee<strong>in</strong>flussung der Nachfrage, um dadurch<br />
Absatz <strong>und</strong> Gew<strong>in</strong>n von Unternehmen zu steigern. Damit gehen negative Wirkungen<br />
auf die gesellschaftliche <strong>und</strong> natürliche Umwelt e<strong>in</strong>her, die gekennzeichnet<br />
werden können mit der Ökonomisierung des Lebens, der Überhöhung des materiellen<br />
Konsums („Haben statt Se<strong>in</strong>“) sowie der Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen<br />
als Quelle <strong>und</strong> Senke. Die Probleme werden im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung<br />
e<strong>in</strong>gehend diskutiert. Insofern kann die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Diskussion dem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
wichtige neue Impulse verleihen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> münden.<br />
Dieses müsste nicht nur ökonomischen Erfolg sichern, sondern im S<strong>in</strong>ne der Nachhaltigkeit<br />
e<strong>in</strong>en Beitrag zur Lösung von sozialen <strong>und</strong> ökologischen Problemlagen liefern.<br />
Gr<strong>und</strong>legend stellt sich die Frage, um welche <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme es geht: Stehen<br />
die <strong>Nachhaltigkeits</strong>wirkungen der Unternehmenstätigkeit im Vordergr<strong>und</strong> oder die<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme der Gesellschaft? Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche<br />
Referenzpunkte, die beide für die unternehmerische Nachhaltigkeit von Bedeutung<br />
s<strong>in</strong>d (Dyllick 2003, S. 236-237): Für Unternehmen stehen zunächst die Auswirkungen<br />
der eigenen Tätigkeiten auf die ökologische <strong>und</strong> soziale Umwelt im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Von Unternehmen wird gefordert, dass sie ihre eigenen Prozesse <strong>und</strong> Produkte<br />
möglichst umwelt- <strong>und</strong> sozialverträglich gestalten. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür wären Autos,<br />
die e<strong>in</strong>en niedrigen Benz<strong>in</strong>verbrauch aufweisen <strong>und</strong> besonders sicher für Fahrer <strong>und</strong><br />
Fußgänger s<strong>in</strong>d. Solche Maßnahmen schaffen Akzeptanz <strong>und</strong> sichern den (kurzfristigen)<br />
Erfolg der Unternehmen im Wettbewerb. Für die Gesellschaft stehen zumeist andere<br />
Probleme im Vordergr<strong>und</strong> wie etwa der weltweit steigende Energieverbrauch, die<br />
hohe Abhängigkeit vom Erdöl <strong>und</strong> der Treibhauseffekt. Gesellschaftliche Anspruchsgruppen<br />
bemessen Unternehmen vor allem daran, welchen Beitrag sie zur Bewältigung<br />
dieser <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme leisten (Dyllick 2003, S. 238). Zur Lösung derartiger<br />
Probleme bedarf es der Entwicklung <strong>und</strong> erfolgreichen Vermarktung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Innovationen<br />
auf der Produkt- <strong>und</strong> Systemebene. Hier ist <strong>in</strong>sbesondere das
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 5<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gefordert. E<strong>in</strong> Beispiel aus der Automobilbranche wären<br />
Brennstoffzellenautos, die ke<strong>in</strong>e Schadstoffemissionen aufweisen <strong>und</strong> durch solar erzeugten<br />
Wasserstoff betrieben werden (Belz 2002, S. 20-21).<br />
2 Begriffliche Bestimmung <strong>und</strong> Abgrenzung<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Fasst man <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als e<strong>in</strong>e duale Führungskonzeption auf, d.h. als operative Unternehmensfunktion<br />
neben Beschaffung <strong>und</strong> Produktion e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> als normative<br />
Leitidee der Unternehmensführung andererseits, dann kann man <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als duale Führungskonzeption im doppelten S<strong>in</strong>n verstehen (Belz 2003,<br />
S. 352; ähnlich auch Balderjahn 2004, S. 47-50). Neben der Marktorientierung (K<strong>und</strong>en/Konkurrenten)<br />
tritt e<strong>in</strong>e umfassende Umweltorientierung (Ökologie/Soziales), die<br />
alle Unternehmensbereiche durchdr<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e markt- sowie umweltorientierte Koord<strong>in</strong>ation<br />
sicherstellen soll (Abb. 1).<br />
Beschaffungsmärkte<br />
Marktorientierung (K<strong>und</strong>e/Konkurrenz)<br />
als Führungsphilosophie<br />
Beschaffung<br />
Produktion <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Umweltorientierung (Ökologie/Soziales)<br />
als Führungsphilosophie<br />
Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als duale Führungskonzeption im doppelten S<strong>in</strong>n<br />
(Quelle: Belz 2003, S. 353)<br />
Im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> geht es darum, die <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnisse auf<br />
e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise zu befriedigen, dass ökologische Belastungen möglichst vermieden<br />
<strong>und</strong> soziale Anliegen so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dies beschreibt<br />
das für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> immanente Spannungsfeld von K<strong>und</strong>enbedürf-<br />
Absatzmärkte
6 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
nissen, Ökologie <strong>und</strong> Sozialem. E<strong>in</strong> derart verstandenes <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt e<strong>in</strong> umfassendes<br />
Verständnis der Nachhaltigkeit im S<strong>in</strong>ne der Br<strong>und</strong>tland-Kommission zugr<strong>und</strong>e.<br />
Daher wird bewusst der Begriff des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verwendet <strong>in</strong> Abgrenzung<br />
zum nachhaltigen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, welches auf die „nachhaltige“ Wirkung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />
abhebt, ohne sozial-ökologische Problemlagen explizit e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />
So def<strong>in</strong>iert bspw. Christian Belz vom Institut für <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Handel der Universität<br />
St. Gallen (IMH-HSG):<br />
„Nachhaltiges <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ... ist gleichzeitig konstruktives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> bewirkt den langfristig<br />
überdurchschnittlichen Erfolg von Unternehmen ... ist wirksam <strong>und</strong> tragfähig ... stützt sich auf<br />
e<strong>in</strong>e zeitliche Abfolge von Maßnahmen <strong>und</strong> ihren Wirkungen, so dass neue Maßnahmen auf<br />
früheren Aktivitäten aufbauen, sie verstärken <strong>und</strong> erweitern ... fördert klare Positionen von Unternehmen,<br />
entwickelt die Beziehungen zum K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zu weiteren Partnern im Markt. Neue<br />
Lösungen wachsen aus dem Bestehenden heraus. Wichtig s<strong>in</strong>d Verlässlichkeit, Kont<strong>in</strong>uität,<br />
Sorgfalt <strong>und</strong> Vertrauen“ (Belz, C. 2001, S. 3).<br />
Aus dieser Def<strong>in</strong>ition wird deutlich, dass die Idee der Nachhaltigkeit lediglich im Analogieschluss<br />
verwendet <strong>und</strong> vor allem auf die Kont<strong>in</strong>uität der Maßnahmen <strong>und</strong> Dauerhaftigkeit<br />
der K<strong>und</strong>enbeziehungen abgehoben wird. E<strong>in</strong> derart verstandenes nachhaltiges<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich ausschließlich am wirtschaftlichen Erfolg (Belz, C. 2001,<br />
S. 5). Für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, wie es hier verstanden werden soll, ist nicht<br />
alle<strong>in</strong> der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend, sondern auch der ökologische <strong>und</strong><br />
soziale.<br />
Des Weiteren ist <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu unterscheiden vom <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für<br />
Nachhaltigkeit, d.h. vom <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für ökologische <strong>und</strong> soziale Ideen (Schoenheit<br />
1990, S. 208-209; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 274). Ersteres betreiben primär kommerzielle,<br />
auf Gew<strong>in</strong>n ausgerichtete Organisationen, wobei die erfolgreiche Vermarktung<br />
von nachhaltigen Produkten <strong>und</strong> Leistungen im Vordergr<strong>und</strong> steht. Letzteres setzen<br />
meist nicht-kommerzielle Organisationen mit dem Ziel e<strong>in</strong>, ökologische <strong>und</strong> soziale<br />
Ideen erfolgreich zu vermitteln. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird als Sozialtechnologie verstanden<br />
<strong>und</strong> von kommerziellen auf nicht-kommerzielle Organisationen übertragen (Kotler/Zaltman<br />
1971; Kotler 1975). In diesem Zusammenhang spricht man von der Ausweitung<br />
des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Kotler/Levy 1969). Dabei geht es u.a. um die Sensibilisierung<br />
der Bevölkerung für ökologische <strong>und</strong> soziale Problembereiche, die Vermittlung entsprechenden<br />
Wissens sowie das Aufzeigen von sozial-ökologischen Handlungsoptionen<br />
auf <strong>in</strong>dividueller <strong>und</strong> kollektiver Ebene. Die e<strong>in</strong>fache Gegenüberstellung von<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Nachhaltigkeit ist analytisch s<strong>in</strong>nvoll,<br />
lässt sich aber empirisch nicht ohne weiteres aufrechterhalten: E<strong>in</strong>erseits betreiben
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 7<br />
auch Unternehmen als kommerzielle Organisationen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für ökologische <strong>und</strong><br />
soziale Ideen (Raffée/Wiedmann 1995, Sp. 1931), andererseits realisieren nichtkommerzielle<br />
Organisationen nicht ausschließlich <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Nachhaltigkeit, sondern<br />
auch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong>dem sie sozial-ökologische Produkte am<br />
Markt anbieten (Belz 2001, S. 12-13). E<strong>in</strong> Beispiel hierfür wären WWF-Läden, die der<br />
größten <strong>in</strong>ternationalen Umweltschutzorganisation angehören <strong>und</strong> die nachhaltige<br />
Produkte vertreiben.<br />
Der Begriff des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist abzugrenzen gegenüber dem (marktorientierten)<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management. Beiden geme<strong>in</strong>sam s<strong>in</strong>d die Marktorientierung<br />
(K<strong>und</strong>en/Konkurrenz) <strong>und</strong> Umweltorientierung (Ökologie/Soziales) als Führungsphilosophien.<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management ist jedoch weiter gefasst als <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>und</strong> kann als Oberbegriff verstanden werden. Während sich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
primär auf den Absatzbereich bezieht, umfasst <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Management alle Funktionsbereiche der Unternehmung (Beschaffung, Produktion,<br />
Absatz, Logistik, F<strong>in</strong>anzen etc.). Um diese s<strong>in</strong>nvoll zu koord<strong>in</strong>ieren, eignen sich Managementsysteme,<br />
die Umwelt <strong>und</strong> Soziales explizit berücksichtigen: Auf europäischer<br />
Ebene kommt dem Environmental Management and Audit Scheme (EMAS) gemäß<br />
der neuen, überarbeiteten EG-Öko-Audit-Verordnung aus dem Jahr 2001 besondere<br />
Bedeutung zu. EMAS II ist kompatibel zur ISO 14001-Norm, welche auf <strong>in</strong>ternationaler<br />
Ebene maßgebend ist. Die Gr<strong>und</strong>struktur der ISO 14001-Norm besteht aus<br />
e<strong>in</strong>em Plan-Do-Check-Act-Kreislauf. Zentrale Elemente s<strong>in</strong>d: Umweltpolitik, Planung,<br />
Implementierung, Kontrolle <strong>und</strong> Bewertung. Dieser Aufbau <strong>und</strong> diese Logik<br />
lässt sich auch auf soziale Sachverhalte übertragen, wie es im Rahmen der SA 8000<br />
(„Social Accountability“) geschieht. Unabhängig von den Systemen ist e<strong>in</strong> umfassendes<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management e<strong>in</strong>e notwendige, wenn nicht unerlässliche Gr<strong>und</strong>lage<br />
für e<strong>in</strong> langfristig ausgerichtetes, glaubwürdiges <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Erst<br />
wenn die Unternehmung „im eigenen Haus gekehrt hat“, kann sie sich „aus dem Fenster<br />
lehnen“ (Dyllick/Belz 1994, S. 64-67). Die Schlüsselfrage des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lautet:<br />
Wie können Unternehmen e<strong>in</strong>en relevanten Beitrag zur Lösung der sozial-öko-<br />
logischen Probleme leisten, die mit ihren Produkten e<strong>in</strong>hergehen, <strong>und</strong> dadurch e<strong>in</strong>en<br />
K<strong>und</strong>enmehrwert generieren?
8 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
Oder anders formuliert:<br />
Wie können sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen, die e<strong>in</strong>en Beitrag zur Lö-<br />
sung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme leisten, erfolgreich vermarktet werden?<br />
3 Forschungsprojekt „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“<br />
Im Rahmen des anwendungsorientierten Forschungsprojektes „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Switzerland“, kurz: SMS, welches zum 5. St. Galler Forum „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Gr<strong>und</strong>lagen & Potenziale“ <strong>und</strong> zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches<br />
geführt hat, wurde diesen Forschungsfragen nachgegangen. Das Projekt wurde<br />
vom Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) <strong>in</strong><br />
Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />
(ÖBU) <strong>und</strong> The Susta<strong>in</strong>ability Forum (TSF) während der Jahre 2002<br />
bis 2004 durchgeführt. Die ÖBU ist das Kompetenzzentrum der Schweizer Wirtschaft<br />
für unternehmerische Fragen zur Nachhaltigkeit. Sie bietet ihren r<strong>und</strong> 300 Mitgliedsfirmen<br />
konkrete Umsetzungsunterstützung <strong>und</strong> vernetzt Unternehmer, die sich nachhaltigem<br />
Wirtschaften verpflichtet fühlen. The Susta<strong>in</strong>ability Forum Zurich (TSF) fördert<br />
ebenfalls die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung der Nachhaltigkeit. Das Forum bietet<br />
e<strong>in</strong>e Plattform für fruchtbare Dialoge zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit <strong>und</strong><br />
Management, wobei der Schwerpunkt auf der Vermittlung von <strong>Praxis</strong>beispielen liegt.<br />
In der ersten Phase des Projektes leistete TSF e<strong>in</strong>e Anschubf<strong>in</strong>anzierung; <strong>in</strong> der zweiten<br />
Phase beteiligten sich das Schweizer Handelsunternehmen Migros <strong>und</strong> der<br />
Schweizer Telekommunikationsanbieter Swisscom als <strong>Praxis</strong>partner mit f<strong>in</strong>anziellen<br />
<strong>und</strong> personellen Ressourcen. Die wissenschaftliche Leitung des Forschungsprojektes<br />
hatte Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>in</strong>ne, wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong>nen waren Kathar<strong>in</strong>a<br />
Leitner, Kathar<strong>in</strong>a Sammer <strong>und</strong> Rita Pant (alle IWÖ-HSG). Die prozessurale Leitung<br />
des Forschungsprojektes übernahmen Gabi Hildesheimer (ÖBU) <strong>und</strong> Michel Geelhaar<br />
(TSF). Federführend auf Seiten der <strong>Praxis</strong>partner waren Arm<strong>in</strong> Eberle (Migros) <strong>und</strong><br />
Albert Kuhn (Swisscom). Sie wirkten bei der Formulierung der zentralen Fragestellungen,<br />
Zielsetzungen <strong>und</strong> Meilenste<strong>in</strong>e des Forschungsprojektes mit <strong>und</strong> stellten die<br />
Kontakte zur Unternehmenspraxis her. In ihrer Funktion als „reflective practitioners“<br />
gaben sie kritisch-konstruktives Feedback auf erste Fassungen der mündlichen Vorträge<br />
<strong>und</strong> schriftlichen Ausführungen. Wichtige Ziele des Forschungsprojektes waren:
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 9<br />
� Theoretisch-konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu erarbeiten;<br />
� Empirische Untersuchungen <strong>in</strong> ausgewählten Branchen- <strong>und</strong> Unternehmenssituationen<br />
durchzuführen;<br />
� Impulse zur Umsetzung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> zu liefern.<br />
Die <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkte des Forschungsprojekts lagen <strong>in</strong> den Bereichen Bauen/<br />
Wohnen, Ernähren <strong>und</strong> Telekommunikation. Dies lässt sich mit der sozialen, ökologischen<br />
<strong>und</strong> ökonomischen Relevanz dieser Felder begründen. Um den e<strong>in</strong>gangs formulierten<br />
Forschungsfragen nachzugehen, kamen sowohl qualitativ als auch quantitativ<br />
geprägte Methoden zur Erhebung der Daten zum E<strong>in</strong>satz: Insgesamt wurden über 50<br />
halbstrukturierte, offene Interviews mit <strong>Praxis</strong>vertretern aus den drei ausgewählten<br />
Branchen geführt. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden e<strong>in</strong>e Onl<strong>in</strong>e-Befragung bei über 200<br />
schweizerischen Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen (Beitrag Belz) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e mündliche<br />
Befragung bei r<strong>und</strong> 100 K<strong>und</strong>en der Swisscom (Beiträge Bucher <strong>und</strong> Walser) durchgeführt.<br />
Diese beiden Erhebungen beruhten auf standardisierten, schriftlichen Fragebögen.<br />
Das Wechselspiel zwischen <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> im Rahmen des Forschungsprojektes<br />
SMS hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. Das 5. St. Galler Forum „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />
Gr<strong>und</strong>lagen & Potenziale“ (Belz/Bilharz 2003) <strong>und</strong> das vorliegende<br />
Buch, an dem sich sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker beteiligt haben, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>drückliche<br />
Belege dafür.<br />
4 Aufbau des Buches<br />
Der Aufbau des Buches ist dreiteilig. Zuerst werden die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> beschrieben <strong>und</strong> kritisch durchleuchtet. Im Anschluss daran<br />
werden die theoretischen Erkenntnisse <strong>in</strong> den drei Bereichen Bauen, Wohnen &<br />
Energie, Ernährung sowie Telekommunikation vertieft <strong>und</strong> anhand vielfältiger <strong>Praxis</strong>beispiele<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er situativen Relativierung diskutiert. Diese Bereiche wurden<br />
nicht zufällig, sondern aufgr<strong>und</strong> ihrer Bedeutung für den sozial-ökologischen Strukturwandel<br />
ausgewählt. Den Abschluss bildet e<strong>in</strong> Resümee aus der Sicht von <strong>Theorie</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> .<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz stellt <strong>in</strong> dem folgenden Beitrag e<strong>in</strong>en entscheidungsorientierten<br />
Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar, der dem Problemlösungsverhalten <strong>in</strong> der<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis besonders nahe kommt <strong>und</strong> große Offenheit für die Integration von<br />
sozial-ökologischen Aspekten aufweist. Aus entscheidungsorientierter Sicht differenziert<br />
er sechs Schritte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Ausgehend von der Analyse der
10 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
sozial-ökologischen Probleme <strong>und</strong> der K<strong>und</strong>enbedürfnisse folgen die klassischen<br />
Schritte des normativen, strategischen <strong>und</strong> operativen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Als besonders notwendig<br />
für die erfolgreiche Vermarktung nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
wird als sechster Schritt noch das transformative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>geführt.<br />
In dem zweiten Teil des Beitrags stellt Frank-Mart<strong>in</strong> Belz empirische Ergebnisse<br />
zur Verankerung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> vor, die im Oktober<br />
2003 mittels schriftlicher Befragung bei über 200 schweizerischen Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen<br />
erhoben worden s<strong>in</strong>d.<br />
Im zweiten Gr<strong>und</strong>lagenbeitrag weist Manfred Kirchgeorg darauf h<strong>in</strong>, dass Zielgruppen<br />
für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht notwendigerweise <strong>in</strong> den Industrieländern zu suchen<br />
s<strong>in</strong>d. Er zeigt auf, dass gerade bei armen Bevölkerungsschichten <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />
enorme Wachstumspotenziale vorhanden s<strong>in</strong>d. Manfred Kirchgeorg<br />
knüpft an die von Prahalad <strong>und</strong> Hart ausgelöste Diskussion zum <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei e<strong>in</strong>kommensschwachen<br />
<strong>und</strong> armen Bevölkerungsgruppen <strong>in</strong> Entwicklungsländern an.<br />
Dabei legt er se<strong>in</strong>er Argumentation die normative Forderung der <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit<br />
zugr<strong>und</strong>e, welche e<strong>in</strong> wesentlicher Bestandteil des Leitbilds nachhaltiger<br />
Entwicklung darstellt. Dadurch leistet er zweierlei: Erstens erhält das Konzept des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e dr<strong>in</strong>gend notwendige <strong>in</strong>ternationale Perspektive, <strong>in</strong> der<br />
Entwicklungsländer nicht nur als Produktionsstandorte, sondern auch als Absatzmärkte<br />
<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Zweitens erhalten die damit verb<strong>und</strong>enen („konventionellen“)<br />
Wachstumschancen e<strong>in</strong>e normative Legitimation. Manfred Kirchgeorg arbeitet die<br />
hierfür notwendigen konzeptionellen Anforderungen an das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> heraus, illustriert<br />
sie an anschaulichen Beispielen <strong>und</strong> vergisst dabei nicht, auch auf die kritischen<br />
Aspekte – <strong>in</strong>sbesondere h<strong>in</strong>sichtlich ökologischer Belastungen – h<strong>in</strong>zuweisen.<br />
Ulf Schrader beschäftigt sich auf konzeptioneller Basis mit dem Wandel von der Ökowerbung<br />
zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>kommunikation. Im Vergleich zur traditionellen Ökowerbung<br />
zeichnet sich moderne <strong>Nachhaltigkeits</strong>kommunikation durch folgende fünf<br />
Merkmale aus: Neue Kommunikationsargumente (stärkere Berücksichtigung ökonomischer<br />
<strong>und</strong> sozialer Aspekte), neue Kommunikationsobjekte (stärkere Berücksichtigung<br />
der Produktion <strong>und</strong> Produktnutzung), neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente (stärkere<br />
Berücksichtigung der Unternehmensberichterstattung), neue Kommunikationsgestaltung<br />
(stärkere Berücksichtigung emotionaler Elemente) <strong>und</strong> neuen Kommunikatoren<br />
(stärkere Berücksichtigung der Kommunikation durch unabhängige Dritte).<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>und</strong> Daria Ditze gehen auf empirischer Basis näher auf den Wandel<br />
<strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung e<strong>in</strong>. Sie nehmen e<strong>in</strong>e quantitativ-qualitativ geprägten
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 11<br />
Inhaltsanalyse ausgewählter Werbeanzeigen im Zeitraum 1993 bis 2002 vor. Die empirischen<br />
Ergebnisse bestätigen teilweise die konzeptionellen Überlegungen von Ulf<br />
Schrader. Es zeigt sich, dass erstens e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formations- zu emotionsbezogener<br />
Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> zweitens sozial-ökologische Vorteile e<strong>in</strong>es Produktes<br />
nicht mehr per se als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmale hervorgehoben, sondern mit<br />
herkömmlichen Kaufkriterien zu Motivallianzen verknüpft werden.<br />
Wilfried Konrad <strong>und</strong> Gerd Scholl berichten <strong>in</strong> ihrem Beitrag von der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er<br />
K<strong>und</strong>enkarte für sozial-ökologische Dienstleistungen, die sozialwissenschaftlich begleitet<br />
wurde. Sie referieren <strong>in</strong>teressante Ergebnisse, die zeigen, dass es sich lohnt,<br />
konventionelle <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzepte auf nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen zu<br />
übertragen. So können die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungen gestärkt <strong>und</strong> Netzwerkeffekte genutzt<br />
werden. Weiterer Innovationsanstrengungen bedarf es jedoch v.a. bei der Erweiterung<br />
von Zielgruppen für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen.<br />
Die im ersten Teil ausgeführten allgeme<strong>in</strong>en Erkenntnisse zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d wichtige Gr<strong>und</strong>lagen zur erfolgreichen Umsetzung desselben. Nicht<br />
alle Aspekte s<strong>in</strong>d aber für alle Situationen gleichermaßen relevant oder können 1:1<br />
umgesetzt werden. Vielmehr bedarf es e<strong>in</strong>er situativen Relativierung, welche im zweiten<br />
Teil für drei Bereiche geleistet wird, denen besondere ökologische, soziale <strong>und</strong><br />
ökonomische Relevanz zukommt.<br />
Den Anfang unternehmen Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Rita Pant <strong>und</strong> Kathar<strong>in</strong>a Sammer, die <strong>in</strong><br />
ihrer vorgestellten qualitativen Studie „Best Practices“ aus der Schweizer Baubranche<br />
im H<strong>in</strong>blick auf erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> analysieren. Sie führen <strong>in</strong>novative<br />
Beispiele an, die unterstreichen, dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>en konstruktiven<br />
Ansatz darstellt, um im Kontext e<strong>in</strong>es – durch destruktive Markttendenzen<br />
gekennzeichneten – starken Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerbs trotzdem e<strong>in</strong>en<br />
K<strong>und</strong>enmehrwert zu generieren. Im Zentrum der Überlegungen stehen die Verknüpfung<br />
von sozial-ökologischen Aspekten mit <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnissen zu Motivallianzen.<br />
Die Autoren belegen anhand der analysierten Fallbeispielen, dass auf diese<br />
Weise nicht nur die sozial-ökologisch aktiven, sondern auch die sozial-ökologisch<br />
aktivierbaren Bauherren angesprochen werden können. Generell zeige sich, dass diese<br />
Möglichkeiten bei den Bau- <strong>und</strong> Generalunternehmen noch zu wenig zur Profilierung<br />
am Markt genutzt werde. Außerdem können Holzbauunternehmen als Vorreiter im<br />
Bereich des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezeichnet werden. Ihre Kommunikationsstrategien,<br />
die v.a. auf Aspekte wie Ästhetik, Design <strong>und</strong> Komfort setzen, erreichen auch<br />
Zielgruppen „jenseits der Öko-Nische“.
12 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
Michael Bilharz macht die Notwendigkeit der situativen Relativierung am Beispiel der<br />
Vermarktung von Ökostrom besonders deutlich. Ausgangspunkt für ihn ist die Hoffnung<br />
von Wissenschaftlern <strong>und</strong> Unternehmern, wonach der Markt für Ökostrom e<strong>in</strong><br />
ähnliches Wachstum aufweisen wird wie der Markt für Bioprodukte im Lebensmittelbereich.<br />
Michael Bilharz arbeitet strukturelle Unterschiede dieser beiden Märkte heraus,<br />
die e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Ableitung von Wachstumsprognosen sowie die direkte Übertragung<br />
von „Erfolgsrezepten“ nicht ratsam ersche<strong>in</strong>en lassen. Er weist <strong>in</strong>sbesondere auf<br />
die außergewöhnliche Situation h<strong>in</strong>, dass beim Ökostrom aufgr<strong>und</strong> von politischen<br />
Förderungen das Angebot <strong>in</strong> der Regel die Nachfrage übersteigt. Dies führt dazu, dass<br />
gerade die politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die ohne besondere <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>anstrengungen<br />
e<strong>in</strong>en Markterfolg für erneuerbare Energien garantieren, bei den Marktakteuren<br />
heftig umstritten s<strong>in</strong>d. In Form vier provokanter Thesen benennt er deshalb Erfolgsfaktoren<br />
für e<strong>in</strong> erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien,<br />
welches über die e<strong>in</strong>geschränkte Perspektive der Vermarktung von Ökostrom<br />
h<strong>in</strong>ausweist.<br />
Auch im Bereich Ernährung müssen viele Aspekte differenziert gesehen werden. Kathar<strong>in</strong>a<br />
Leitner zeigt <strong>in</strong> ihrer Analyse des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Schweizer<br />
Lebensmittelproduzenten, dass e<strong>in</strong>e situative Relativierung nicht nur zwischen e<strong>in</strong>zelnen<br />
Branchen, sondern auch <strong>in</strong>nerhalb der Ernährungsbranche notwendig ist. Die steigende<br />
Nachfrage nach Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Lebensmitteln bietet zwar pr<strong>in</strong>zipiell für<br />
alle Lebensmittelproduzenten Chancen. Die erfolgversprechenden Strategien von<br />
Kle<strong>in</strong>unternehmen unterscheiden sich jedoch gr<strong>und</strong>legend von denen mittelständischer<br />
Unternehmen ebenso wie von denen mult<strong>in</strong>ationaler Konzerne. Kathar<strong>in</strong>a Leitner<br />
zeigt anhand von drei Fallstudien, welche Strategien für welche Unternehmensgröße<br />
erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> darstellen bzw. ermöglichen.<br />
Wie e<strong>in</strong> solches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konkret im Lebensmittelhandel ausschauen<br />
kann, verdeutlichen exemplarisch die zwei nachfolgenden Beiträge.<br />
Hugo Skoppek <strong>und</strong> Birte Karstens stellen <strong>in</strong> ihrer Fallstudie das Großhandelsunternehmen<br />
EOSTA vor, den größten Importeur für biologisches Obst <strong>und</strong> Gemüse <strong>in</strong> Europa.<br />
Sie arbeiten <strong>in</strong> ihrem Beitrag die Gestaltungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />
heraus, das sich nicht als Konkurrent <strong>und</strong> Nutzenmaximierer, sondern als Partner im<br />
Wertschöpfungsprozess versteht. Der Markterfolg von EOSTA beruht demnach auf<br />
e<strong>in</strong>em ausgewogenen Balanced <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, welches sowohl den Beschaffungsmarkt<br />
als auch den Absatzmarkt im Blick hat. Dabei s<strong>in</strong>d im Fall von EOSTA zwei Merkmale<br />
besonders hervorzuheben: Auf der Seite des Beschaffungsmarktes s<strong>in</strong>d es die lang-
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 13<br />
fristigen Vertragsbeziehungen mit den Erzeugern, die im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em<br />
umfassenden Qualitätssicherungssystem e<strong>in</strong>e wertvolle Vertrauensbasis gebildet haben.<br />
Auf der Seite des Absatzmarktes zeichnet sich EOSTA durch e<strong>in</strong> Höchstmaß an<br />
Transparenz für die <strong>in</strong>teressierten K<strong>und</strong>en aus. Was Ulf Schrader <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag<br />
konzeptionell herausarbeitet, wird hier praktiziert: E<strong>in</strong>e emotional-argumentative<br />
Kommunikationsstrategie auf der Basis des Internets. Man kann den Erzeuger des von<br />
EOSTA gekauften Produktes leicht im Internet f<strong>in</strong>den. Doch zuerst spürt man die Unternehmensphilosophie:<br />
„Healthy, organic and fair“.<br />
Den Abschluss des Themenfelds Ernährung bildet e<strong>in</strong> Gespräch zwischen Fausta Borsani,<br />
Projektleiter<strong>in</strong> Ethik bei Migros (Schweiz), <strong>und</strong> Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiter<strong>in</strong><br />
der Schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />
(ÖBU). In dem Gespräch wird deutlich, dass die Lancierung von Bio-Produktl<strong>in</strong>ien<br />
nicht die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Bereich Ernährung<br />
darstellt. So versucht der Schweizer Migros-Konzern sozial-ökologische Standards im<br />
gesamten Sortiment kont<strong>in</strong>uierlich zu erhöhen. Der K<strong>und</strong>e soll bei allen Produkten e<strong>in</strong><br />
gutes Gefühl haben, nicht nur bei den „grünen“. Dies stellt besondere Anforderungen<br />
an das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, die abschließend am Beispiel des Palmölprojekts<br />
von Migros erläutert werden.<br />
Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien <strong>und</strong> -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer<br />
Gesellschaft von zunehmender wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong> ökologischer Bedeutung.<br />
Beim Bereich der Telekommunikation handelt es sich aber – ähnlich wie beim Strommarkt<br />
– um e<strong>in</strong>en Markt, bei dem bisher sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>e oder nur<br />
e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle spielen.<br />
Andreas Walser untersucht deshalb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag, <strong>in</strong>wieweit sich ökologische <strong>und</strong><br />
soziale Aspekte als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen. Unterstützt<br />
durch e<strong>in</strong>e quantitative Befragung von r<strong>und</strong> 100 Nutzern geht er der Frage nach, ob<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form e<strong>in</strong>e Schnittmenge bei Mobiltelefonen zwischen den ökologischen<br />
<strong>und</strong> sozialen Problemen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits<br />
besteht. Se<strong>in</strong>e Analyse kommt zu e<strong>in</strong>em eher ernüchternden Fazit. Mehrere Faktoren<br />
lassen es unwahrsche<strong>in</strong>lich ersche<strong>in</strong>en, dass sich e<strong>in</strong> „Öko-Handy“ am Markt behaupten<br />
kann. E<strong>in</strong>zig für Handys mit reduzierten Strahlungswerten sieht der Autor aufgr<strong>und</strong><br />
der Befragungsergebnisse se<strong>in</strong>er Studie realistische Marktchancen.<br />
Dieses ernüchternde Ergebnis lenkt den Blick auf andere Aspekte des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> jenseits<br />
der Produktpolitik. Fabian Bucher untersucht deshalb aufbauend auf aktuellen<br />
Trends im Sponsor<strong>in</strong>gbereich sowie e<strong>in</strong>er eigenen quantitativen Befragung die Chan-
14 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />
cen <strong>und</strong> Risiken e<strong>in</strong>es Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g aus der Sicht von Telekommunikationsanbietern.<br />
Anhand vier ausgewählter „Best Practices“ entwickelt er kritische Erfolgsfaktoren<br />
für erfolgreiche Sponsor<strong>in</strong>gprojekte. Insbesondere die klare Fokussierung<br />
auf wenige, dafür aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit<br />
stehenden Projekte wird von Fabian Bucher betont.<br />
Im dritten <strong>und</strong> letzten Teil des Buches ziehen Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Gabi Hildesheimer<br />
<strong>und</strong> Michael Bilharz e<strong>in</strong> Resümee. Sie def<strong>in</strong>ieren zwei große Herausforderungen für<br />
<strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>, die sich aus den Buchbeiträgen ergeben. Zum e<strong>in</strong>en gilt es, die<br />
noch nebene<strong>in</strong>ander stehenden <strong>Praxis</strong>erfahrungen mit Hilfe des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese Weise<br />
können die gemachten Erfahrungen systematisch weiterentwickelt <strong>und</strong> verbessert werden.<br />
Des Weiteren kann <strong>und</strong> sollte herkömmliches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konsequent mit dem<br />
Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konfrontiert <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en werden. Denn<br />
wenn <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> allen Branchen <strong>und</strong> bei allen Unternehmensgrößen<br />
möglich ist, wie es die Beiträge <strong>in</strong> diesem Buch zeigen, dann kann<br />
man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung erwarten,<br />
dass sie dieses auch anwenden. Es liegt – so das Fazit der Autoren – an den Unternehmen,<br />
aus dieser Verantwortung e<strong>in</strong>e Chance für die eigene Unternehmung werden<br />
zu lassen.<br />
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Teil II:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />
<strong>und</strong> empirische Gr<strong>und</strong>lagen
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />
Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
1 Nachhaltigkeit als Herausforderung für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Ökologie <strong>und</strong> Soziales s<strong>in</strong>d Megatrends des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts, die sich nachhaltig auf<br />
die Produkte <strong>und</strong> Märkte von morgen auswirken werden. Erste Anzeichen e<strong>in</strong>es ökologisch<br />
<strong>und</strong> sozial <strong>in</strong>duzierten Wandels s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Märkten festzustellen.<br />
So wird sich bspw. der Energiemarkt <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>schneidend verändern: Es ist<br />
abzusehen, dass während der nächsten 30-50 Jahre nicht-regenerierbare Ressourcen<br />
wie Erdöl durch regenerierbare Ressourcen wie Sonne, W<strong>in</strong>d, Wasser, Erdwärme <strong>und</strong><br />
Biogas ergänzt sowie ersetzt werden. Doch nicht nur auf dem Energiemarkt, sondern<br />
auch im Bau-/Immobilienmarkt (Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser) sowie Lebensmittelmarkt<br />
(Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte) mehren sich die Anzeichen für f<strong>und</strong>amentale<br />
Veränderungen, die e<strong>in</strong>erseits strategische Risiken darstellen, andererseits aber auch<br />
große Chancen für <strong>in</strong>novative Unternehmen eröffnen.<br />
E<strong>in</strong>e zentrale Frage des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lautet, <strong>in</strong>wiefern Unternehmen<br />
relevante Beiträge zur Verbesserung der sozial-ökologischen Probleme liefern <strong>und</strong><br />
gleichzeitig K<strong>und</strong>enmehrwert schaffen können. Damit wird das immanente Spannungsfeld<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von sozial-ökologischen Problemen e<strong>in</strong>erseits<br />
<strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits beschrieben. Im vorliegenden Beitrag wird<br />
zunächst e<strong>in</strong> entscheidungsorientierter Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorgestellt,<br />
der es Unternehmen ermöglicht, dieses Spannungsfeld auszuloten <strong>und</strong> sozialökologische<br />
Aspekte systematisch <strong>in</strong> das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren (Kap. 2). Anschließend<br />
werden empirische Ergebnisse e<strong>in</strong>er Umfrage zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz dargestellt (Kap. 3). Aus der Umfrage vom Oktober<br />
2003 geht hervor, <strong>in</strong>wiefern schweizerische Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
auf der strategischen <strong>und</strong> operativen Ebene umsetzen. Abschließend<br />
werden die wichtigsten Erkenntnisse <strong>und</strong> Erfolgsfaktoren des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kurz zusammengefasst (Kap. 4).
20 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
2 Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Gestaltung e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zeichnet sich durch den bewussten<br />
<strong>und</strong> konsequenten E<strong>in</strong>bezug ökologischer <strong>und</strong> sozialer Kriterien <strong>in</strong> der gesamten Konzeption<br />
aus (Belz 2003, S. 352-355). Aus entscheidungsorientierter Perspektive kann<br />
man dah<strong>in</strong>gehend sechs Schritte differenzieren (Abb. 1).<br />
1. Schritt: Analyse der<br />
sozial-ökol. Probleme<br />
3. Schritt: Normatives<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
4. Schritt: Strategisches<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
5. Schritt: Operatives<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
6. Schritt: Transformatives<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
2. Schritt: Analyse der<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />
Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – E<strong>in</strong> entscheidungsorientierter Ansatz<br />
Die ersten beiden Schritte kennzeichnen die Informationsebene: Dabei geht es e<strong>in</strong>erseits<br />
um die Analyse der ökologischen Belastungen <strong>und</strong> der sozialen Probleme der<br />
Produkte entlang des gesamten Lebenszyklus „von der Wiege bis zur Bahre“, andererseits<br />
um die Analyse der K<strong>und</strong>enbedürfnisse. Dies ist das immanente Spannungsfeld,<br />
welches dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zugr<strong>und</strong>e liegt. Das Ausblenden der sozialökologischen<br />
Aspekte charakterisiert das herkömmliche <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Die Vernachlässigung<br />
der K<strong>und</strong>enperspektive kann man als alternatives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder Anti-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezeichnen, welches allenfalls <strong>in</strong> (Kle<strong>in</strong>st-) Nischen Resonanz f<strong>in</strong>det.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 21<br />
Ausgangspunkt des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die negativen externen Effekte<br />
ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art, die mit der Herstellung <strong>und</strong> Verwendung von Produkten<br />
e<strong>in</strong>hergehen. Erst e<strong>in</strong>e umfassende Analyse entlang des gesamten Produktlebenszyklus<br />
gibt Aufschluss über die zentralen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problembereiche. Hierzu<br />
eignet sich bspw. das Instrument der Produktl<strong>in</strong>ienanalyse, welches die Auswirkungen<br />
von Produkten auf die Natur, Gesellschaft <strong>und</strong> Wirtschaft anhand von E<strong>in</strong>zelkriterien<br />
operationalisiert <strong>und</strong> qualitativ bewertet (Projektgruppe ökologische Wirtschaft 1987).<br />
Das Instrument der Life Cycle Analysis (LCA) erlaubt auch e<strong>in</strong>e Quantifizierung der<br />
Produktauswirkungen auf die natürliche Umwelt (Umweltb<strong>und</strong>esamt 1992). Das<br />
Ausmaß <strong>und</strong> die Art der sozial-ökologischen Probleme während der e<strong>in</strong>zelnen Lebenszyklusphasen<br />
s<strong>in</strong>d unterschiedlich ausgeprägt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Regel produktspezifisch.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich kann man dah<strong>in</strong>gehend zwischen rohstoff-, herstellungs-, gebrauchs-,<br />
entsorgungs- <strong>und</strong> logistik<strong>in</strong>tensiven Produkten unterscheiden (Spiller 1996, S. 52-53).<br />
So entstehen bspw. bei Textilien auf den Stufen der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> der Vorproduktherstellung<br />
e<strong>in</strong>e Vielzahl von ökologischen Belastungen <strong>und</strong> sozialen Problemen<br />
(Meyer 2001, S. 83-96), während bei Automobilen die Gebrauchsphase e<strong>in</strong>e besondere<br />
Rolle spielt (Liebehenschel 1999, S. 172-179; Belz 2001, S. 175-180). Die<br />
Bewertung der Produkte auf die natürliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Umwelt ist nicht trivial<br />
<strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em hohen Maß an Unsicherheit verb<strong>und</strong>en (Kaas 1992, S. 478): Zum<br />
e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d die Umweltauswirkungen von Produkten entlang des gesamten Lebenszyklus<br />
vielschichtig, <strong>in</strong>direkt <strong>und</strong> komplex <strong>und</strong> weit davon entfernt, restlos erforscht zu<br />
werden (exogene Unsicherheit). Zum anderen ist auch das vorhandene Wissen über die<br />
ökologischen <strong>und</strong> sozialen Auswirkungen nur für Wissenschaftler <strong>und</strong> Experten e<strong>in</strong>igermaßen<br />
überschaubar, während es für e<strong>in</strong>en durchschnittlichen Konsumenten<br />
schwierig ist, e<strong>in</strong>en Überblick über die Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit von Produkten<br />
zu erhalten (endogene Unsicherheit).<br />
Die K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen<br />
Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen <strong>und</strong> Kosten analysieren. Der Nutzen umfasst<br />
neben dem Gr<strong>und</strong>nutzen e<strong>in</strong>es Produktes (Gebrauchsnutzen) auch den Zusatznutzen<br />
<strong>in</strong> Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen (Anerkennung<br />
durch andere Personen) <strong>und</strong> Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude<br />
(Vershofen 1940, S. 63-86). Bei den Kosten s<strong>in</strong>d nicht ausschließlich der Produktpreis<br />
zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs- <strong>und</strong> Post-<br />
Verwendungskosten. Die e<strong>in</strong>zelnen Nutzen- <strong>und</strong> Kostenkategorien werden subjektiv<br />
wahrgenommen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuell gewichtet. Ist der Nettonutzen e<strong>in</strong>es sozialökologischen<br />
Produktes aus der Sicht des K<strong>und</strong>en höher als der Nettonutzen e<strong>in</strong>es her-
22 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
kömmlichen Produktes, wird er ersteres bevorzugen. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er solchen<br />
Nutzen-Kosten-Abwägung kann man gr<strong>und</strong>sätzlich drei verschiedene Gruppen<br />
von Verbrauchern unterscheiden: sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive<br />
(Belz 2001, S. 79). Die erste Gruppe ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen<br />
sensibilisiert <strong>und</strong> gut darüber <strong>in</strong>formiert. Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />
e<strong>in</strong>en hohen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen. Daher s<strong>in</strong>d sie eher<br />
bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen zu machen <strong>und</strong> gegebenenfalls höhere Kosten<br />
<strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Die zweite Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />
<strong>und</strong> sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen, ist<br />
aber nicht ohne weiteres bereit, Nutzene<strong>in</strong>bußen oder Kostenerhöhungen dafür zu<br />
nehmen. Nachhaltige Produkte unter Vernachlässigung herkömmlicher Qualitätsmerkmale<br />
kommen für diese Zielgruppe nur sehr bed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Frage. Die dritte Gruppe<br />
sieht ke<strong>in</strong>en Mehrwert <strong>in</strong> sozial-ökologischen Produkteigenschaften <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> der Regel<br />
weder zu Nutzene<strong>in</strong>bußen noch zu Kostenerhöhungen bereit.<br />
Das immanente Spannungsfeld des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von sozial-ökologischen<br />
Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen ist nicht statisch, sondern dynamisch. So kann<br />
sich die E<strong>in</strong>schätzung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Probleme im Laufe der Zeit<br />
gr<strong>und</strong>legend ändern. Sie hängt von mehreren Faktoren wie dem naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisstand (Spiller 1996, S. 389-412), der öffentlichen <strong>und</strong> politischen<br />
Wahrnehmung sowie technologischen Innovationen ab (Ottman 1998, S. 89-93). Aber<br />
auch die K<strong>und</strong>enbedürfnisse ändern sich im Laufe der Zeit. So hat bspw. der Trend<br />
zum Hedonismus weit reichende Konsequenzen für die Vermarktung von sozialökologischen<br />
Produkten. Anstatt allgeme<strong>in</strong> auf sozial-ökologische Probleme abzuheben,<br />
ist es wichtig, <strong>in</strong>dividuelle Nutzen- <strong>und</strong> Kostenvorteile herauszustellen, die mit<br />
derartigen Produkten e<strong>in</strong>hergehen (Beiträge Schrader <strong>und</strong> Belz/Ditze). Das zentrale<br />
Ziel der ersten beiden Schritte ist die Identifikation der Schnittmenge zwischen sozialökologischen<br />
Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen. Diese Schnittmenge ist nicht<br />
statisch <strong>und</strong> objektiv gegeben, sondern sie ist vielmehr dynamisch <strong>und</strong> wird von Entscheidungsträgern<br />
<strong>in</strong> Unternehmen konstruiert <strong>und</strong> teilweise sehr unterschiedlich<br />
wahrgenommen. So kann es vorkommen, dass der Umwelt- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>beauftragte<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen große Chance zur Profilierung im Markt sieht, während<br />
Produkt- oder <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>manager dah<strong>in</strong>gehend sehr skeptisch s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e Analyse der<br />
beiden Pole <strong>und</strong> E<strong>in</strong>schätzung der Lage kann ergeben, dass die Schnittmenge recht<br />
groß ist <strong>und</strong> erhebliche Gestaltungsspielräume für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von<br />
Unternehmen bestehen. Dies ist bspw. im schweizerischen Lebensmittelhandel der<br />
Fall, <strong>in</strong> dem sozial-ökologische Aspekte e<strong>in</strong>e große Rolle im Wettbewerb spielen <strong>und</strong>
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 23<br />
e<strong>in</strong>en zentralen Erfolgsfaktor darstellen (Beiträge Leitner <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer).<br />
Die Analyse kann aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Schnittmenge noch<br />
recht kle<strong>in</strong> ist <strong>und</strong> die Gestaltungsspielräume für aktives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
vorläufig noch e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d. Dies zeigt sich bspw. <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche,<br />
<strong>in</strong> dem sozial-ökologische Probleme zweifelsohne relevant s<strong>in</strong>d, aber aus<br />
K<strong>und</strong>ensicht nur e<strong>in</strong>e nachgelagerte Bedeutung haben. So stehen etwa beim Kauf von<br />
Handys Kriterien wie die Funktionalität, das Design <strong>und</strong> der Preis im Vordergr<strong>und</strong>,<br />
während aus Sicht der K<strong>und</strong>en sozial-ökologische Aspekte kaum e<strong>in</strong>e Rolle spielen<br />
(Beitrag Walser). Dies mag u.a. daran liegen, dass die Anbieter <strong>in</strong> diesem Bereich<br />
noch ke<strong>in</strong>e ernsthaften Initiativen zur Vermarktung unternommen haben.<br />
Die Schritte drei bis fünf charakterisieren die Gestaltungsebene: Ökologische <strong>und</strong> soziale<br />
Aspekte s<strong>in</strong>d durchgehend <strong>und</strong> konsistent auf der normativen, strategischen <strong>und</strong><br />
operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren (Balderjahn 2004,<br />
S. 42-194). Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich am Leitbild des „susta<strong>in</strong>able<br />
development“, der nachhaltigen Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen<br />
Generationen auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen<br />
ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff 1987). Dah<strong>in</strong>ter steht die Idee der <strong>in</strong>ter<strong>und</strong><br />
<strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit. Die Abstraktheit dieser Formel ist Stärke <strong>und</strong><br />
Schwäche zugleich: E<strong>in</strong>erseits f<strong>in</strong>det sie allgeme<strong>in</strong>e Zustimmung, andererseits birgt sie<br />
aber auch die Gefahr der ideologisch verbrämten E<strong>in</strong>engung (Hansen/Schrader 2001,<br />
S. 22). Für e<strong>in</strong>zelne Unternehmen <strong>und</strong> Branchen besteht die Schwierigkeit, das Leitbild<br />
der nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. Der World Bus<strong>in</strong>ess Council for<br />
Susta<strong>in</strong>able Development (WBCSD), e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung von 160 <strong>in</strong>ternationalen Unternehmen<br />
aus über 30 Ländern <strong>und</strong> 20 verschiedenen Branchen, widmet sich bspw.<br />
dieser Aufgabe: Sie unterstützen das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, formulieren<br />
nachhaltige Gr<strong>und</strong>sätze für verschiedene Branchen <strong>und</strong> geben konkrete Handlungsanweisungen<br />
mit „Best Practice“-Beispielen aus der Unternehmenspraxis (Holliday/Schmidhe<strong>in</strong>y/Watts<br />
2002). Dabei fließen jeweils Ökonomie, Ökologie <strong>und</strong> Soziales<br />
als die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit e<strong>in</strong> (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die<br />
von Unternehmen verantwortungsvoll <strong>in</strong>tegriert werden müssen (Dyllick/Hockerts<br />
2002, S. 130-141). Die <strong>in</strong>tegrierte Betrachtung von ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong><br />
sozialen Aspekten führt zu erhöhten Anforderungen im Produkt- <strong>und</strong> Leistungsbereich.<br />
Dabei kann es nicht um die e<strong>in</strong>malige Aussöhnung der Trias gehen. Vielmehr<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierlichen Prozess <strong>und</strong> ständiges Abwägen vor dem<br />
H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sich verändernder Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Die<br />
Ziele im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> können qualitativer oder quantitativer Art se<strong>in</strong>.
24 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
Sie beziehen sich primär auf die K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Produkte <strong>und</strong> sollten handlungsleitenden<br />
Charakter für das Management <strong>und</strong> die Mitarbeiter haben.<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage der vorausgegangenen Analysen <strong>und</strong> der Orientierung am Leitbild<br />
der nachhaltigen Entwicklung s<strong>in</strong>d marktteilnehmerbezogene Strategien festzulegen.<br />
Die zentrale Frage lautet: Welche K<strong>und</strong>engruppen sollen wie mit nachhaltigen Produkten<br />
angesprochen werden? Bei den marktteilnehmerbezogenen Strategien ist zwischen<br />
Handel <strong>und</strong> Endverbraucher zu differenzieren (Bruhn 1992, S. 540-545; Kirchgeorg<br />
1995, S. 1949-1950). In vielen Konsumgüterbranchen nimmt der Handel die Funktion<br />
als sozial-ökologischer Gatekeeper bzw. Diffusionsagent wahr (Hansen 1988; Hansen/Kull<br />
1996). Er spielt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle bei der E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> erfolgreichen<br />
Vermarktung von nachhaltigen Produkten. In diesem Fall bietet sich e<strong>in</strong> vertikal <strong>in</strong>tegriertes<br />
Vorgehen <strong>in</strong> Abstimmung <strong>und</strong> Kooperation mit dem Handel an.<br />
Bei den Endverbrauchern kann man, wie oben ausgeführt, gr<strong>und</strong>sätzlich zwischen sozial-ökologisch<br />
Aktiven, Aktivierbaren <strong>und</strong> Passiven unterscheiden. Für kle<strong>in</strong>ere Pionierunternehmen<br />
mag es <strong>in</strong>teressant e<strong>in</strong>, gezielt die Gruppe der sozial-ökologischen<br />
Aktiven <strong>in</strong> nachhaltigen Nischen anzusprechen. In diesem Fall werden Ökologie <strong>und</strong><br />
Soziales vielfach als dom<strong>in</strong>ante Profilierungsdimensionen neben Qualität <strong>und</strong> Preis<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Für mittlere <strong>und</strong> große Unternehmen ist e<strong>in</strong>e solche Positionierung problematisch,<br />
führt sie doch zu e<strong>in</strong>er Marktverengung. In diesem Fall mag es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>,<br />
Ökologie <strong>und</strong> Soziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension zu verwenden, um<br />
damit die Gruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Gel<strong>in</strong>gt es Unternehmen,<br />
Ökologie <strong>und</strong> Soziales mit herkömmlichen Leistungsmerkmalen wie Design,<br />
Ästhetik, Ges<strong>und</strong>heit, Wirtschaftlichkeit etc. zu sog. „Motivallianzen“ zu verb<strong>in</strong>den<br />
<strong>und</strong> als Mehrwert zu vermarkten, ist diese Gruppe offen für entsprechende Produkt-<br />
<strong>und</strong> Leistungs<strong>in</strong>novationen (Belz 2001, S. 83-84; Meffert/Kirchgeorg 1998,<br />
S. 282-283; Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000, S. 39-41). E<strong>in</strong>e dritte Möglichkeit besteht<br />
dar<strong>in</strong>, die Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit lediglich als flankierende Profilierungsdimension<br />
e<strong>in</strong>zusetzen. In diesem Fall s<strong>in</strong>d sozial-ökologische Aspekte zwar e<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>tegraler Bestandteil der Produktqualität, werden aber nicht besonders hervorgehoben.<br />
E<strong>in</strong>e solche Positionierung ist am ehesten geeignet, um die sozial-ökologisch Passiven<br />
<strong>und</strong> damit den Massenmarkt zu erreichen. Die drei Möglichkeiten machen deutlich,<br />
dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Nische, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Marktsegmenten <strong>und</strong><br />
im Massenmarkt betrieben werden kann. Die Entscheidung für e<strong>in</strong>e dieser strategischen<br />
Optionen hängt <strong>in</strong>sbesondere von der Unternehmensgröße <strong>und</strong> der Stellung am<br />
Markt ab. Auf jeden Fall ist die Marktsegmentierung e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für<br />
die Ableitung <strong>und</strong> Umsetzung von erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 25<br />
(Balderjahn 2004, S. 104): Unter e<strong>in</strong>er nachhaltigkeitsorientierten Marktsegmentierung<br />
ist e<strong>in</strong>erseits die Identifikation, Bildung <strong>und</strong> Beschreibung von sozialökologischen<br />
K<strong>und</strong>engruppen (Markterfassung), andererseits deren Bewertung, Auswahl<br />
<strong>und</strong> segmentspezifischen Bearbeitung zu verstehen (Marktbearbeitung).<br />
Ausgehend von den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien erfolgt die Umsetzung auf<br />
der operativen Ebene. Im Mittelpunkt des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix stehen<br />
nachhaltige Produkte, die <strong>in</strong>dividuelle K<strong>und</strong>enbedürfnisse befriedigen <strong>und</strong> die negativen<br />
externen Effekte ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum reduzieren. In<br />
diesem S<strong>in</strong>n kann man nachhaltige Produkte def<strong>in</strong>ieren als Produkte, die weniger ökologische<br />
Belastungen <strong>und</strong> soziale Probleme als herkömmliche Produkte mit e<strong>in</strong>em<br />
vergleichbaren Gebrauchsnutzen verursachen. Aus dieser Begriffsbestimmung geht<br />
hervor, dass nachhaltige Produkte ke<strong>in</strong>e absoluten, sondern relative Größen darstellen,<br />
die sich entsprechend dem Stand des Wissens, der Technologien <strong>und</strong> dem Anspruchsniveau<br />
im Laufe der Zeit ändern können. E<strong>in</strong> Produkt, dass heute noch als besonders<br />
ökologisch <strong>und</strong>/oder sozial e<strong>in</strong>gestuft wird, kann schon morgen als Standard gelten.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist das vieldiskutierte Drei-Liter-Auto, welches als ökologisches<br />
Produkt angesehen wird, da es weniger Benz<strong>in</strong> verbraucht als herkömmliche am Markt<br />
erhältliche Produkte (Liebeshenschel 1999, S. 211-305; Hoffmann 2002, S. 209-240).<br />
Schreitet die technologische Entwicklung <strong>in</strong> den kommenden Jahren weiter voran <strong>und</strong><br />
wird das E<strong>in</strong>-Liter-Auto entwickelt oder f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Technologiesprung von Benz<strong>in</strong>motoren<br />
zu Brennstoffzellen statt (Belz 2002, S. 20-21), dann wird das Drei-Liter-Auto<br />
zukünftig sicherlich nicht mehr als ökologisches Produkt e<strong>in</strong>gestuft. Bei der Beurteilung<br />
der Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit e<strong>in</strong>es Produktes ist der gesamte Lebenszyklus<br />
„von der Wiege bis zur Bahre“ zu berücksichtigen (Dyllick 1992, S. 400-401).<br />
Weiterführend ist die Idee des Produktlebenszyklus „von der Wiege bis zur Wiege“,<br />
welche sich an der Kreislaufwirtschaft orientiert <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Wiederverwendung/<br />
-verwertung explizit mit e<strong>in</strong>bezieht (Kirchgeorg 1999; ders. 2002). Zwei ausgewählte<br />
Beispiele für nachhaltige Produkte aus den Bedürfnisfeldern Wohnen <strong>und</strong> Ernähren<br />
s<strong>in</strong>d:<br />
� Sozialwohnungen <strong>in</strong> Passivhaus-Bauweise: Aus energetischer Sicht kommt der<br />
Nutzung e<strong>in</strong>es Gebäudes während des gesamten Lebenszyklus e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung<br />
zu (Koller 1995, S. 138; Öko-Institut 1998, S. 26). Passivhäuser, die ohne aktive<br />
Heizsysteme auskommen <strong>und</strong> mit Komfortlüftungen ausgestattet s<strong>in</strong>d, reduzieren<br />
den Energieverbrauch während der Nutzungsphase um den Faktor 5 gegenüber<br />
Neubauten <strong>und</strong> den Faktor 15-20 gegenüber Altbauten (Belz 2001, S. 100-105).<br />
Werden diese von Bau- oder Immobiliengesellschaften zu e<strong>in</strong>em günstigen Miet-
26 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
preis als Sozialwohnungen angeboten, stellt das e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur<br />
CO2-Problematik <strong>und</strong> zur Wohnungsnot dar (Hübner/Hermel<strong>in</strong>k 2002, S. 129-133).<br />
H<strong>in</strong>zu kommt, dass die Mieter gegenüber möglichen Energiepreissteigerungen <strong>in</strong><br />
der Zukunft weitgehend abgesichert s<strong>in</strong>d.<br />
� Fair Trade-Produkte aus biologischem Anbau: Nach Erdöl ist Kaffee der meistgehandelte<br />
Rohstoff der Welt. Die ökologischen Kernprobleme dieses Lebensmittelproduktes<br />
s<strong>in</strong>d nicht im Röstprozess zu sehen, der mittlerweile schon alle<strong>in</strong> aus<br />
Kostengründen sehr energie- <strong>und</strong> wassereffizient ist, sondern vielmehr <strong>in</strong> der Anbauweise<br />
(Belz 1995, S. 167-174). Die Monokulturen <strong>und</strong> die Aufbereitung der<br />
Kaffeekirschen s<strong>in</strong>d mit der Zerschneidung von Ökosystemen, Reduktion der Artenvielfalt,<br />
Belastung von Gewässern <strong>und</strong> Boden sowie Energieverbrauch <strong>und</strong> damit<br />
e<strong>in</strong>hergehenden Luftemissionen verb<strong>und</strong>en. H<strong>in</strong>zu kommen die sozialen Probleme<br />
auf dieser Stufe: Die Kaffeepflücker auf den Monokulturen s<strong>in</strong>d nicht ausreichend<br />
gegen die e<strong>in</strong>gesetzten Agrochemikalien geschützt, leben vielfach unter ärmlichen<br />
Verhältnissen <strong>und</strong> verdienen e<strong>in</strong>en sehr ger<strong>in</strong>gen Lohn; die Kle<strong>in</strong>bauern unter<br />
den Kaffeepflanzern leiden unter der Abhängigkeit von den Zwischenhändlern,<br />
dem weltweiten Überangebot an Kaffee <strong>und</strong> dem Preiszerfall. E<strong>in</strong> Beitrag, um diese<br />
sozialen <strong>und</strong> ökologischen Probleme anzugehen, wäre das Angebot von Fair<br />
Trade-Kaffee aus biologischem Anbau (Belz 1995, S. 189-191).<br />
Werden sozial-ökologische Aktive oder Aktivierbare als K<strong>und</strong>engruppen gezielt angesprochen,<br />
dann besteht i.d.R. e<strong>in</strong> gewisser Preisspielraum. Soll dieser ausgeschöpft<br />
werden, ist es allerd<strong>in</strong>gs unerlässlich, dass die nachhaltigen Produkte e<strong>in</strong>en für die<br />
K<strong>und</strong>en wahrnehmbaren Mehrwert besitzen. E<strong>in</strong>e zentrale Herausforderung <strong>in</strong> der<br />
Kommunikation von nachhaltigen Produkten ist die Transformation des Sozialnutzens<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Individualnutzen (Kaas 1992, S. 476-478; Meffert 1993, S. 51-54; Kirchgeorg<br />
1995, S. 1945-1946). E<strong>in</strong>e Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, den sozialen <strong>und</strong> ökologischen<br />
Mehrwert geschickt mit herkömmlichen Qualitäts- <strong>und</strong> Leistungskriterien zu Motivallianzen<br />
zu verknüpfen (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 282-283; Hoffmann 2002,<br />
S. 117-119). Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d biologische Lebensmittel, die ges<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
schmackhaft s<strong>in</strong>d oder Drei-Liter-Autos, die wirtschaftlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en bestimmten<br />
Lebensstil versprechen. In der Kommunikation gilt es, sich auf dem schmalen Grat<br />
zwischen Animation <strong>und</strong> Information zu bewegen, ohne die Glaubwürdigkeit aus der<br />
Sicht des K<strong>und</strong>en zu verlieren (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). E<strong>in</strong>e Möglichkeit<br />
dazu ist der E<strong>in</strong>satz von emotional-argumentativer Werbung, die neben dem Text vor<br />
allem emotionalisierende (Natur-) Bilder oder assoziative Wörter <strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es verwendet,<br />
um beim Zuschauer bzw. Leser positive Gefühle hervorzurufen (Lichtl 1999,
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 27<br />
S. 53). E<strong>in</strong> anderer Weg besteht <strong>in</strong> der Differenzierung der klassischen (Massen-)<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Public Relations, wie es bspw. DaimlerChrysler vornimmt: Im<br />
Fall des „Smart“ wird <strong>in</strong> der klassischen Kommunikation auf ökologische Argumente<br />
weitgehend verzichtet, während es bei Public Relations e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielt. Um<br />
die sozial-ökologischen Produkteigenschaften glaubhaft gegenüber dem K<strong>und</strong>en zu<br />
vermitteln, ist der E<strong>in</strong>satz von Öko- <strong>und</strong> Sozial-Labels s<strong>in</strong>nvoll, die von dritten, unabhängigen<br />
Organisationen vergeben werden. Genießen derartige Labels Glaubwürdigkeit<br />
aus der Sicht des Konsumenten <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sie allgeme<strong>in</strong> bekannt, können sie erhebliche<br />
Absatzwirkungen entfalten. Sollen nicht nur die sozial-ökologisch Aktiven, sondern<br />
auch die Aktivierbaren <strong>und</strong> möglicherweise Passiven angesprochen werden, dann<br />
ist e<strong>in</strong> hoher Distributionsgrad unabd<strong>in</strong>gbar. Die beiden letzteren K<strong>und</strong>engruppen s<strong>in</strong>d<br />
kaum bereit, höhere Beschaffungskosten <strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Daher s<strong>in</strong>d nachhaltige<br />
Produkte nicht ausschließlich über kle<strong>in</strong>ere Alternativläden, Direktvermarktung <strong>und</strong><br />
Versandhandel zu vertreiben, sondern auch über konventionelle Läden. E<strong>in</strong> weiterer<br />
Distributionsweg besteht <strong>in</strong> neuen „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Zentren“, die nachhaltige Produkte<br />
<strong>und</strong> Leistungen unter e<strong>in</strong>em Dach anbieten (Zander 2002, S. 8-9).<br />
Der sechste <strong>und</strong> letzte Schritt kennzeichnet die Transformationsebene: Innerhalb der<br />
gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d der E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Vermarktung von nachhaltigen<br />
Produkten vielfach enge Grenzen gesetzt. Um die Voraussetzungen für die erfolgreiche<br />
Vermarktung von nachhaltigen Produkten jenseits von Nischen zu schaffen <strong>und</strong><br />
die Schnittmenge zwischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Ökologie/Sozialem zu vergrößern, s<strong>in</strong>d<br />
Veränderungen der öffentlichen <strong>und</strong> politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen notwendig. An<br />
diesen gesellschaftspolitischen Prozessen können sich Unternehmen <strong>und</strong> ihre Verbände<br />
im wohlverstandenen Eigen<strong>in</strong>teresse beteiligen <strong>und</strong> die Weiterentwicklung der freien<br />
Marktwirtschaft zu e<strong>in</strong>er sozial-ökologischen Marktwirtschaft vorantreiben. Aus<br />
dieser Sicht werden Öffentlichkeit <strong>und</strong> Politik als Vorsteuergrößen des Marktes betrachtet<br />
<strong>und</strong> explizit im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> berücksichtigt. Im Schumpeterschen<br />
S<strong>in</strong>n geht es um die schöpferische Zerstörung bestehender Strukturen, die sich<br />
als nicht-nachhaltig erweisen. Die Idee der „branchen- <strong>und</strong> ordnungspolitischen Mitverantwortung“<br />
von Unternehmen stammt aus der <strong>in</strong>tegrativen Unternehmensethik<br />
(Ulrich 1998, S. 429-437) <strong>und</strong> ist auch Bestandteil e<strong>in</strong>es guten Corporate Citizenship<br />
(Schrader 2004, S. 52-60). In Anlehnung an die <strong>in</strong>tegrative Unternehmensethik kann<br />
man zwei Ebenen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tegrativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> differenzieren (Belz<br />
2001, S. 79-99): Normatives, strategisches <strong>und</strong> operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>in</strong>nerhalb der gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zur Veränderung der öffentlichen <strong>und</strong> politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.
28 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
Letzteres dient zur Vergrößerung der Schnittmenge von <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Ökologie/Sozialem.<br />
Ziele des transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bestehen dar<strong>in</strong>,<br />
<strong>in</strong>stitutionelle Veränderung <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen, die<br />
� entweder positive Anreize für den Kauf <strong>und</strong> die Verwendung von sozialökologischen<br />
Produkten<br />
� oder negative Anreize für den Kauf <strong>und</strong> die Verwendung von herkömmlichen Produkten<br />
setzen (Belz 2001, S. 97).<br />
Exemplarische Beispiele für e<strong>in</strong> derart verstandenes transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d: Öffentliche Befürwortung e<strong>in</strong>er aufkommensneutralen ökologischen<br />
Steuerreform; Vere<strong>in</strong>barung von freiwilligen Branchenvere<strong>in</strong>barungen, die sich auf die<br />
Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit von Produkten beziehen; Entwicklung <strong>und</strong> Unterstützung<br />
von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Labels <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Non Governmental Organisations<br />
(NGOs). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Labels werden von dritten unabhängigen Organisationen<br />
vergeben <strong>und</strong> kontrolliert, schaffen Transparenz im Markt <strong>und</strong> signalisieren<br />
dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en sozial-ökologischen Mehrwert. Migros betreibt derartiges transformatives<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong>dem sie sich auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene für die<br />
allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dliche Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>es Labels für nachhaltiges Palmöl e<strong>in</strong>setzt, welches<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Alltagsprodukten wie Margar<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Blätterteig enthalten<br />
ist <strong>und</strong> andere Öle zusehends ersetzt (Borsani 2003, S. 25-26). Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
beschränkt sich jedoch nicht auf Großunternehmen, die <strong>in</strong>ternational<br />
agieren, sondern bezieht sich auch auf kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen,<br />
die auf regionaler <strong>und</strong> nationaler Ebene strukturverändernd wirken können (Schneidew<strong>in</strong>d<br />
1998).<br />
3 Empirische Ergebnisse zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz<br />
Um den Stand des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> zu ermitteln, hat das Institut<br />
für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />
(ÖBU) im Oktober 2003 e<strong>in</strong>e personalisierte Onl<strong>in</strong>e-Befragung bei r<strong>und</strong> 1000<br />
schweizerischen Unternehmen durchgeführt. Davon waren r<strong>und</strong> 300 ÖBU-Mitglieder,<br />
während die restlichen 700 Unternehmen der ÖBU nahe stehen <strong>und</strong> schon e<strong>in</strong>mal Interesse<br />
an der Vere<strong>in</strong>igung bek<strong>und</strong>et haben. Dabei standen folgende Fragen zum strategischen<br />
<strong>und</strong> operativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Vordergr<strong>und</strong> (siehe Anhang):
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 29<br />
� Was s<strong>in</strong>d die Treiber für sozial-ökologisches Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />
� Welche Bedeutung haben Ökologie <strong>und</strong> Soziales als Profilierungsdimensionen neben<br />
Qualität <strong>und</strong> Preis?<br />
� In welchem Maß f<strong>in</strong>den sozial-ökologische Aspekte <strong>in</strong> der Produktgestaltung <strong>und</strong><br />
-kommunikation Berücksichtigung?<br />
� Inwiefern lassen sich sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Aspekten<br />
wie z.B. Geschmack <strong>und</strong> Frische zu sog. „Motivallianzen“ verb<strong>in</strong>den?<br />
� Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften e<strong>in</strong>en Mehrwert für bestimmte<br />
K<strong>und</strong>engruppen?<br />
� Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert e<strong>in</strong>en etwas höheren Preis<br />
zu erzielen?<br />
Der Rücklauf der Umfrage lag bei über 20% (n = 221). Dies ist angesichts der Form<br />
der Befragung <strong>und</strong> der kurzen Antwortzeit von e<strong>in</strong>er Woche bei e<strong>in</strong>em Er<strong>in</strong>nerungsmail<br />
zufrieden stellend. Die Studie erhebt ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Repräsentativität. Die<br />
empirischen Ergebnisse beziehen sich primär auf Unternehmen, die für Umwelt <strong>und</strong><br />
Nachhaltigkeit sensibilisiert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form bereits damit<br />
beschäftigt haben. Mit anderen Worten: Man kann aus den vorliegenden Antworten<br />
durchaus auf die Gruppe der sozial-ökologisch Aktiven <strong>und</strong> Aktivierbaren schließen,<br />
nicht aber auf die Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller schweizerischen Unternehmen, die auch<br />
die sozial-ökologisch Passiven umfasst. Nichtsdestotrotz lassen sich <strong>in</strong>teressante Tendenzaussagen<br />
treffen, <strong>in</strong>sbesondere was die relative Bedeutung von ökologischen <strong>und</strong><br />
sozialen Aspekten auf der strategischen <strong>und</strong> operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrifft.<br />
Der wichtigste Treiber für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die K<strong>und</strong>en: 60% der Unternehmen<br />
geben an, dass die K<strong>und</strong>en der Gr<strong>und</strong> für entsprechende Aktivitäten s<strong>in</strong>d<br />
(Abb. 2). An zweiter <strong>und</strong> dritter Stelle stehen das Management bzw. Unternehmenseigner<br />
<strong>und</strong> die Öffentlichkeit: R<strong>und</strong> die Hälfte der Unternehmen gibt an, dass diese<br />
beiden Treiber e<strong>in</strong>e wichtige Rolle für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d. Dies ist e<strong>in</strong><br />
Unterschied zum herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong> dem der kritischen Öffentlichkeit <strong>in</strong><br />
der Regel nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle zukommt. Offenbar zeigen die Sensibilisierungsarbeit<br />
<strong>und</strong> Kommunikationskampagnen von kritischen Anspruchsgruppen wie<br />
bspw. Greenpeace oder WWF Wirkung, <strong>in</strong> denen sie auf ökologische Probleme <strong>und</strong><br />
soziale Missstände <strong>in</strong> bestimmten Bereichen h<strong>in</strong>weisen.
30 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
K<strong>und</strong>en<br />
Management<br />
Öffentlichkeit<br />
Gesetzgeber<br />
Konkurrenz<br />
23%<br />
27%<br />
47%<br />
50%<br />
60%<br />
n = 221<br />
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%<br />
Abbildung 2: Treiber für sozial-ökologisches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>engagement<br />
E<strong>in</strong>e wichtige strategische Entscheidung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist, welche<br />
Zielgruppen wie angesprochen werden sollen. Aus der Umfrage geht hervor, dass über<br />
die Hälfte der Unternehmen Ökologie bzw. Soziales als flankierende Profilierungsdimensionen<br />
neben Qualität <strong>und</strong> Preis verwenden (Abb. 3).<br />
Ökologie<br />
Soziales<br />
4%<br />
21%<br />
59%<br />
56%<br />
29%<br />
20%<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
Ke<strong>in</strong>e Profilierung Flankierende Profilierung<br />
Gleichberechtigte Profilierung Dom<strong>in</strong>ante Profilierung<br />
Abbildung 3: Sozial-ökologische Positionierung<br />
n = 221<br />
Aus dieser Sicht s<strong>in</strong>d sozial-ökologische Aspekte <strong>in</strong>tegraler Bestandteil der Produkt<strong>und</strong><br />
Prozessqualität. E<strong>in</strong>e solche Positionierung zielt primär auf die Gruppe der sozialökologisch<br />
Aktivierbaren. R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Viertel der Unternehmen sieht Ökologie bzw. So-<br />
8%<br />
4%
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 31<br />
ziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong> Preis an. Lediglich<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit von Unternehmen verwendet Ökologie bzw. Soziales als<br />
dom<strong>in</strong>ante Profilierungsdimensionen. Dabei handelt es sich (fast) ausschließlich um<br />
kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen. Für größere Unternehmen kommt e<strong>in</strong>e solche<br />
Positionierung nicht <strong>in</strong> Frage, führt sie doch zu e<strong>in</strong>er Segmentverengung. Ökologie<br />
<strong>und</strong> Soziales als dom<strong>in</strong>ante Positionierung wie im Fall von alternativen Bio- <strong>und</strong><br />
Dritte Welt-Läden zielen auf die kle<strong>in</strong>e, aber durchaus attraktive Gruppe der sozialökologisch<br />
Aktiven. Generell fällt auf, dass Ökologie durchweg e<strong>in</strong>e größere Rolle als<br />
Profilierungsdimension im Markt spielt als Soziales. Dies kann damit begründet werden,<br />
dass Ökologie seit der Rio-Konferenz 1992 breite Aufmerksamkeit <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />
<strong>und</strong> Wirtschaft erfahren hat, während dies bei sozialen Themen erst seit Beg<strong>in</strong>n<br />
des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts der Fall ist. Weiterh<strong>in</strong> ist <strong>in</strong>teressant, dass der E<strong>in</strong>satz von<br />
Ökologie <strong>und</strong> Sozialem als Profilierungsdimensionen auf unterschiedliche Faktoren<br />
zurückzuführen s<strong>in</strong>d: Im Fall der ökologischen Positionierung s<strong>in</strong>d die Anforderungen<br />
der K<strong>und</strong>en ausschlaggebend. Sie s<strong>in</strong>d die zentralen Treiber für e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
Verankerung auf der strategischen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Im Fall der<br />
sozialen Positionierung hat vor allem die kritische Öffentlichkeit e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss,<br />
während der Gesetzgeber eher e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss ausübt. Dieses zum<strong>in</strong>dest<br />
auf den ersten Blick überraschende Ergebnis lässt sich wie folgt begründen: Werden<br />
soziale Aspekte gesetzlich geregelt, s<strong>in</strong>d sie als M<strong>in</strong>deststandard anzusehen <strong>und</strong> es<br />
bestehen ke<strong>in</strong>e Profilierungsmöglichkeiten im Markt gegenüber den K<strong>und</strong>en.<br />
Kern des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der operativen Ebene ist die Gestaltung des<br />
Produktes nach sozial-ökologischen Kriterien. In Übere<strong>in</strong>stimmung mit den strategischen<br />
Positionierungen gibt die große Mehrheit der Unternehmen, d.h. über 80% an,<br />
dass der sozial-ökologischen Produktgestaltung e<strong>in</strong>e mittlere bis hohe Bedeutung beigemessen<br />
wird (Abb. 4). Bei über der Hälfte der Unternehmen f<strong>in</strong>den ökologische Aspekte<br />
<strong>in</strong> hohem bzw. sehr hohem Maß Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung<br />
(= 56%). Knapp die Hälfte der Unternehmen berücksichtigt soziale Aspekte <strong>in</strong> hohen<br />
bzw. sehr hohem Maß bei der Produktgestaltung (= 45%). Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für<br />
Dienstleistungsunternehmen <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere Unternehmen, bei denen die persönliche<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion mit dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e große Rolle spielen. Der zentrale<br />
Treiber für die sozial-ökologische Produktgestaltung ist das Management.
32 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
Ökologie<br />
Soziales<br />
12%<br />
19%<br />
32%<br />
36%<br />
56%<br />
45%<br />
n = 206<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
Niedrigem Mass Mittlerem Mass Hohem Mass<br />
Abbildung 4: Sozial-ökologische Produktgestaltung<br />
R<strong>und</strong> drei Viertel aller Unternehmen verwenden ökologische Aspekte <strong>in</strong> der Produktkommunikation,<br />
während r<strong>und</strong> zwei Drittel soziale Aspekte hervorheben (Abb. 5).<br />
Nach eigener E<strong>in</strong>schätzung s<strong>in</strong>d die Unternehmen <strong>in</strong> der Produktkommunikation sozial-ökologischer<br />
Aspekte also zurückhaltender als <strong>in</strong> der entsprechenden Produktgestaltung.<br />
Wie lässt sich der Unterschied zwischen sozial-ökologischer Produktgestaltung<br />
<strong>und</strong> -kommunikation erklären? Hierfür gibt es vier Gründe:<br />
1. In e<strong>in</strong>igen Produktbereichen werden (sozial-) ökologische Aspekte von den K<strong>und</strong>en<br />
mittlerweile als Selbstverständlichkeit angesehen (Beispiel: Rücknahme von<br />
PET-Mehrwegflaschen oder Energieeffizienz von Kühlschränken).<br />
2. Für die Mehrheit der K<strong>und</strong>en stellen sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>e entscheidenden<br />
Kriterien beim Kauf der Produkte dar, so dass sie zwar angeboten, nicht<br />
aber explizit kommuniziert werden (Beispiel: Nachhaltiges Palmöl als Bestandteil<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Produkten der Migros).<br />
3. Komplexe sozial-ökologische Sachverhalte lassen sich nicht immer e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> der<br />
Werbung kommunizieren, so dass gänzlich darauf verzichtet wird.<br />
4. Bisher hat noch ke<strong>in</strong> Wettbewerber Ökologie <strong>und</strong> Soziales als Profilierungsmöglichkeit<br />
erkannt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Kommunikation <strong>in</strong>tensiv genutzt.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 33<br />
Ökologie<br />
Soziales<br />
23%<br />
38%<br />
28%<br />
37%<br />
49%<br />
n = 201<br />
25%<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
Niedrigem Mass Mittlerem Mass Hohem Mass<br />
Abbildung 5: Sozial-ökologische Kommunikation<br />
Das Ausmaß der Kommunikation sagt noch nichts über die Art aus: Inwiefern werden<br />
sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien wie bspw. Geschmack, Frische,<br />
Lebensdauer <strong>und</strong> Gebrauchskosten verb<strong>und</strong>en? 40% der Unternehmen ist der<br />
Me<strong>in</strong>ung, dass sich sozial-ökologische Aspekte nur sehr schwer mit herkömmlichen<br />
Kriterien verb<strong>in</strong>den lassen. 60% der Unternehmen h<strong>in</strong>gegen geht davon aus, dass sich<br />
sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kaufkriterien geschickt zu sog. „Motivallianzen“<br />
verknüpfen lassen (Abb. 6). Dabei handelt es sich um überproportional<br />
viele Kle<strong>in</strong>unternehmen, die <strong>in</strong> direktem Kontakt zum K<strong>und</strong>en stehen <strong>und</strong> im persönlichen<br />
Gespräch komplexere Sachverhalte anschaulich <strong>und</strong> überzeugend vermitteln<br />
können.<br />
Preis<br />
Frische<br />
Convenience<br />
Zusatznutzen<br />
Gr<strong>und</strong>nutzen<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Natürlichkeit<br />
Geschmack<br />
Ästhetik<br />
Abbildung 6: K<strong>und</strong>enmehrwert durch Motivallianzen<br />
(In Anlehnung an: Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 283)
34 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
Die Gestaltung <strong>und</strong> Kommunikation der Produkte nach sozial-ökologischen Aspekten<br />
ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen.<br />
Erst wenn der K<strong>und</strong>e die sozial-ökologische Produkt- <strong>und</strong> Prozessqualität<br />
als Mehrwert wahrnimmt <strong>und</strong> gegebenenfalls auch bereit ist, dafür e<strong>in</strong>en<br />
Mehrpreis zu bezahlen, lassen sich Wettbewerbsvorteile erzielen. Immerh<strong>in</strong> drei Viertel<br />
der Unternehmen geben <strong>in</strong> der Umfrage an, dass sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />
für bestimmte K<strong>und</strong>engruppen e<strong>in</strong>en Mehrwert darstellen. Bei der Frage, ob<br />
sich dadurch auch e<strong>in</strong> Mehrpreis erzielen lässt, s<strong>in</strong>d die befragten Unternehmen geteilter<br />
Me<strong>in</strong>ung: Jeweils die Hälfte gibt an, dies sei möglich bzw. nicht möglich. In Konsumgütermärkten<br />
wie bspw. Lebensmittel <strong>und</strong> Textilien ist dies eher der Fall als <strong>in</strong><br />
Investitionsgütermärkten. Zentrale Treiber s<strong>in</strong>d die Bereitschaft der K<strong>und</strong>en, e<strong>in</strong>en<br />
Mehrpreis für sozial-ökologische Aspekte zu bezahlen, <strong>und</strong> das Konkurrenzverhalten.<br />
Die Bedeutung dieser Faktoren lässt sich anhand e<strong>in</strong>es Vergleichs zwischen dem deutschen<br />
<strong>und</strong> schweizerischen Lebensmittelmarkt gut verdeutlichen: In Deutschland<br />
herrscht e<strong>in</strong> ausgeprägter Preiswettbewerb im Lebensmittelbereich. Die Mehrheit der<br />
Deutschen ist überaus preissensibel <strong>und</strong> die großen Lebensmittelketten versuchen sich<br />
vor allem durch den Preis im Wettbewerb zu profilieren. Der schweizerische Lebensmittelmarkt<br />
h<strong>in</strong>gegen kann als Qualitätswettbewerb gekennzeichnet werden, <strong>in</strong> dem<br />
sozial-ökologische Aspekte e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen. Die Mehrheit der Schweizer<br />
ist durchaus bereit, für sozial-ökologische Lebensmittelangebote mit e<strong>in</strong>em wahrnehmbaren<br />
Mehrwert höhere Preise zu bezahlen. Vor allem die beiden führenden<br />
Handelsketten Migros <strong>und</strong> Coop profilieren sich mit entsprechenden Sortimenten im<br />
Wettbewerb (Beiträge Leitner <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer).<br />
4 Zusammenfassung<br />
Als kurze Zusammenfassung <strong>und</strong> Fazit lässt sich sagen: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist<br />
e<strong>in</strong> neuer <strong>in</strong>novativer Ansatz, der große Chancen eröffnet, aber auch gewisse Risiken<br />
birgt. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bewegt sich im Spannungsfeld von sozialökologischen<br />
Problemen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits. Die situationsspezifische<br />
Analyse dieser beiden Pole ist e<strong>in</strong>e unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für die<br />
erfolgreiche Umsetzung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Je größer die Schnittmenge<br />
zwischen sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnisse, desto eher bestehen<br />
Chancen für die erfolgreiche Vermarktung von sozial-ökologischen Produkten <strong>und</strong><br />
Leistungen. Der Schnittmengenbereich ist ke<strong>in</strong>e statische, sondern e<strong>in</strong>e dynamische<br />
Größe, die auch von Unternehmen durch aktives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bee<strong>in</strong>flusst<br />
werden kann. Die empirische Studie zeigt, dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 35<br />
wichtiges Thema für e<strong>in</strong>e Reihe von schweizerischen Unternehmen ist. Zentrale Treiber<br />
für sozial-ökologisches Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die kritische<br />
Öffentlichkeit. Während der erste Treiber nicht überraschen kann, ist der zweite<br />
e<strong>in</strong> Spezifikum des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gegenüber dem herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />
Gemäß den empirischen Ergebnissen wird Ökologie sowohl auf der strategischen<br />
als auch der operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e größere Bedeutung<br />
beigemessen als Sozialem. Diese Gewichtung kann sich im Laufe der Zeit ändern. Erfolg<br />
versprechend im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist, Ökologie <strong>und</strong> Soziales als flankierende<br />
Profilierungsdimensionen neben Qualität <strong>und</strong> Preis e<strong>in</strong>zusetzen, wodurch<br />
breitere Marktsegmente angesprochen werden können <strong>und</strong> größere Spielräume für die<br />
Kommunikation bestehen. Dabei spielt die geschickte Verknüpfung von sozialökologischen<br />
Aspekten mit herkömmlichen Kaufkriterien im S<strong>in</strong>n von Motivallianzen<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />
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38 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />
Anhang: SMS Kurzumfrage „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“<br />
Fragen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
1. In welchem Maß f<strong>in</strong>den ökologische Aspekte Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung?<br />
� � � � � �<br />
sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />
2. In welchem Maß f<strong>in</strong>den soziale Aspekte Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung?<br />
� � � � � �<br />
sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />
3. In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung <strong>in</strong> der Produktkommunikation mit<br />
ökologischen Aspekten?<br />
� � � � � �<br />
sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />
4. In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung <strong>in</strong> der Produktkommunikation mit<br />
sozialen Aspekten?<br />
� � � � � �<br />
sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />
5. In welchem Maß kann man sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien<br />
(z.B. Geschmack, Frische, Lebensdauer) <strong>in</strong> der Produktkommunikation<br />
verb<strong>in</strong>den?<br />
� � � � � �<br />
sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />
6. Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften im Fall Ihrer Unternehmung<br />
e<strong>in</strong>en Mehrwert für bestimmte K<strong>und</strong>engruppen?<br />
� � �<br />
Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht<br />
7. Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert bei bestimmten K<strong>und</strong>engruppen<br />
e<strong>in</strong>en etwas höheren Preis zu erzielen?<br />
� � �<br />
Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 39<br />
8. Welche Bedeutung hat Ökologie als Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong><br />
Preis?<br />
� � � �<br />
ke<strong>in</strong>e flankierende gleichberechtigte dom<strong>in</strong>ante<br />
9. Welche Bedeutung hat Soziales als Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong><br />
Preis?<br />
� � � �<br />
ke<strong>in</strong>e flankierende gleichberechtigte dom<strong>in</strong>ante<br />
10. Was s<strong>in</strong>d im Fall Ihrer Unternehmens zentrale Treiber für sozial-ökologisches<br />
Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>? (Mehrfachnennungen möglich)<br />
K<strong>und</strong>en �<br />
Konkurrenz �<br />
Gesetzgeber �<br />
Öffentlichkeit �<br />
Management/Unternehmenseigner �<br />
Angaben zum Unternehmen<br />
11. In welcher Branche ist Ihre Unternehmung tätig?<br />
Konsumgüter �<br />
Investitionsgüter �<br />
Dienstleistung �<br />
Sonstige �<br />
12. Wie viele MitarbeiterInnen beschäftigt Ihre Unternehmung?<br />
1-99 �<br />
100-249 �<br />
250-999 �<br />
1000 <strong>und</strong> mehr �<br />
13. Ist Ihre Unternehmung Mitglied bei der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />
bewusste Unternehmensführung (ÖBU)?<br />
� � �<br />
Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht<br />
14. Ist Ihre Unternehmung Mitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Verband bzw. Organisation,<br />
die sozial-ökologische Anliegen vertritt?<br />
� � �<br />
Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive<br />
Manfred Kirchgeorg<br />
1 Bezugspunkte <strong>und</strong> Besonderheiten des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet voran <strong>und</strong> damit gew<strong>in</strong>nen auf Beschaffungs-<br />
<strong>und</strong> Absatzmärkten die länderübergreifenden Markttransaktionen zunehmende<br />
Bedeutung. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage, mit welchen spezifischen<br />
Herausforderungen das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf <strong>in</strong>ternationalen Märkten konfrontiert<br />
ist. Ausgehend von der Kennzeichnung der Besonderheiten des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
werden im folgenden Beitrag Implikationen für <strong>in</strong>ternationale <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien<br />
abgeleitet.<br />
Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zielt auf die Planung, Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />
Kontrolle aller markt- <strong>und</strong> nichtmarktbezogenen Transaktionsaktivitäten zur Vermeidung<br />
oder Verr<strong>in</strong>gerung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Probleme, um über e<strong>in</strong>e dauerhafte<br />
Befriedigung der Bedürfnisse aktueller <strong>und</strong> potenzieller K<strong>und</strong>en, unter Ausnutzung<br />
von Wettbewerbsvorteilen <strong>und</strong> bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die<br />
angestrebten Unternehmensziele zu erreichen.<br />
Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Kernaufgabe des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar<strong>in</strong><br />
besteht, durch <strong>in</strong>novative Strategien Umweltvorteile (UEP) <strong>und</strong> Sozialvorteile (SSP)<br />
mit Wettbewerbsvorteilen (UMP) zu verb<strong>in</strong>den. Hierbei gibt es Komplementaritäten<br />
(Schnittmengen) <strong>und</strong> Konflikte, bei denen Umweltschutz- <strong>und</strong> Sozialvorteile die<br />
Wettbewerbsvorteile e<strong>in</strong>schränken. Umwelt- <strong>und</strong> Sozialvorteile gehören vielfach zu<br />
den Vertrauens- <strong>und</strong> Erfahrungseigenschaften, die für e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>en vor dem Kauf<br />
e<strong>in</strong>er Leistung nicht direkt nachprüfbar s<strong>in</strong>d (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 58). Reputation<br />
<strong>und</strong> Signal<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d damit für Konzepte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besonders<br />
wichtige Erfolgsfaktoren.<br />
Gerade im Falle der Konflikte zwischen ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />
Zielsetzungen wird der Dialog mit Anspruchsgruppen <strong>und</strong> der proaktive E<strong>in</strong>satz der<br />
Entscheidungsträger für die Veränderung marktbezogener Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zur<br />
Förderung nachhaltiger Marktleistungen (Vergrößerung der Schnittmengen) vorgeschlagen.<br />
Belz ordnet die Notwendigkeit der Transformation von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen
42 Manfred Kirchgeorg<br />
durch e<strong>in</strong>zelwirtschaftliches Engagement der so genannten transformativen Dimension<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu (Beitrag Belz, Belz 2001, S. 91ff.).<br />
Gegenüber allen bisher entwickelten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzepten ersche<strong>in</strong>t es e<strong>in</strong>zigartig, dass<br />
es weltweit e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Orientierungsrahmen für die nachhaltige Entwicklung<br />
gibt, sodass sich Unternehmen heute <strong>in</strong> allen Ländern der Welt <strong>Nachhaltigkeits</strong>forderungen<br />
von Bevölkerungsgruppen bzw. Anspruchsgruppen gegenüber sehen. Die bereits<br />
<strong>in</strong> den 60er Jahren entwickelten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze des Makro-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder<br />
Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wurden von dem <strong>in</strong> der Betriebswirtschaftslehre damals weit verbreiteten<br />
Ansatz der externen Determ<strong>in</strong>iertheit von Entscheidungen geprägt. Die E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />
der Makro-Umwelt wurden für Unternehmensentscheidungen als unveränderliche<br />
Determ<strong>in</strong>anten für Unternehmensentscheidungen angesehen. Diese Sichtweise<br />
hat sich gr<strong>und</strong>legend geändert <strong>und</strong> die <strong>in</strong> den so genannten Stakeholderansätzen<br />
zum Ausdruck kommende erweiterte Verantwortung von Unternehmen für die Umfeldbed<strong>in</strong>gungen,<br />
die vom sozialen, ökologischen Umfeld bis h<strong>in</strong> zu politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
gehen, erweitern das Transaktions- <strong>und</strong> Interaktionsfeld bei Unternehmensentscheidungen.<br />
Gleichzeitig erweitert sich hiermit auch die Verantwortung<br />
der Entscheidungsträger <strong>in</strong>nerhalb der Unternehmen (Meffert/Kirchgeorg 1993,<br />
S. 34ff.).<br />
K<strong>und</strong>e<br />
Sozial-Effizienz<br />
Soziale Dimension<br />
(Sozial-Effektivität)<br />
Unternehmung<br />
SSP<br />
!<br />
UMP<br />
UEP<br />
!<br />
Öko-Effizienz<br />
Wettbewerber<br />
Ökologiedimension<br />
(Öko-Effektivität)<br />
Legende: UMP = Unique <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Proposition; SSP = Susta<strong>in</strong>able Social Proposition;<br />
UEP = Unique Environmental Proposition<br />
Abbildung 1: Bezugspunkte e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
(Quelle: Kirchgeorg 2002)
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 43<br />
Das Integrationserfordernis ist e<strong>in</strong>e weitere Besonderheit, die im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zum Ausdruck kommt. E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong>haltliche Elemente des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> werden auch <strong>in</strong> den Ansätzen des Makro-, Sozial- <strong>und</strong> Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> isoliert<br />
vone<strong>in</strong>ander thematisiert. Im Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht h<strong>in</strong>gegen<br />
die Notwendigkeit, e<strong>in</strong>e ganzheitliche Betrachtung <strong>und</strong> Integration der verschiedenen<br />
Zieldimensionen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zelner Teilkonzepte des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorzunehmen<br />
(van Dam/Apeldorn 1996, S. 52ff.; Pettie 2001, S. 129ff.; Charter 2002; Kirchgeorg<br />
2002, S. 8ff.; Belz 2003, S. 352ff.; Balderjahn 2004, S. 37ff.). Hierdurch erhöht sich<br />
bei der Situationsanalyse, der Ziel- <strong>und</strong> Strategiediskussion sowie den <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>optionen<br />
auf der Mix- <strong>und</strong> Organisationsebene das Erfordernis, ökonomische, ökologische<br />
<strong>und</strong> soziale Entscheidungskriterien mit ihren komplementären <strong>und</strong> konfliktären Beziehungen<br />
auszubalancieren.<br />
Im Ansatz der Nachhaltigen Entwicklung werden explizit Strategien zur Verbesserung<br />
der <strong>in</strong>tra- <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerativen Gerechtigkeit gefordert. Sie sollen e<strong>in</strong>en Beitrag dazu<br />
leisten, die zunehmende Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard von armen <strong>und</strong><br />
reichen Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> die Übernutzung von Ressourcen zulasten der Entwicklungsfähigkeit<br />
von zukünftigen Generationen zu verr<strong>in</strong>gern. Im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
sich verschärfenden Armutsprobleme ergeben sich für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> neue Herausforderungen.<br />
Während nach dem so genannten Kapazitätspr<strong>in</strong>zip (vgl. zu den Leitpr<strong>in</strong>zipien<br />
des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Wiedmann 1993, S. 169ff.) die Transaktionsfähigkeit der Nachfrager<br />
<strong>in</strong> den Ansätzen des kommerziellen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorausgesetzt wird bzw. Nachfragersegmente<br />
mit fehlender Transaktionsfähigkeit bei der Marktbearbeitung aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer ger<strong>in</strong>gen Attraktivität elim<strong>in</strong>iert werden, so s<strong>in</strong>d im Rahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Strategien <strong>und</strong> Instrumente zu entwickeln, welche die Transaktionsfähigkeit<br />
der armen Bevölkerungssegmente <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Schwellenländern fördern. Im<br />
H<strong>in</strong>blick auf die angestrebte Verbesserung der <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit kann e<strong>in</strong><br />
spezifischer Beitrag des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar<strong>in</strong> liegen, Menschen aus armen<br />
Bevölkerungssegmenten aktiv <strong>in</strong> den Wertschöpfungsprozess zu <strong>in</strong>tegrieren, um hierüber<br />
Verdienstmöglichkeiten zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit zu unterstützen<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig ökonomische Unternehmensziele <strong>in</strong> Wachstumsmärkten zu erschließen.<br />
In gewisser Weise erlangt die Thematik des Co-Produzenten (vgl. zum Konzept<br />
des Co-Produzenten u.a. Meffert/Bruhn 2003, S. 375-376) unter anderen situativen<br />
Kontexten wie <strong>in</strong> Industrieländern hierbei e<strong>in</strong>e besondere Rolle.<br />
Die Forderung nach <strong>in</strong>tergenerativer Gerechtigkeit führt zu dem Problem, dass die Bedürfnisse<br />
der zukünftigen Generationen <strong>in</strong> den aktuellen Markttransaktionen ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung<br />
f<strong>in</strong>den, d.h. es liegt e<strong>in</strong> Gratifikationsproblem vor. Dementsprechend
44 Manfred Kirchgeorg<br />
stellt sich die Frage, welche Anreize durch <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente gefördert werden<br />
können, um die Bedürfnisse zukünftiger Generationen bei heutigen Transaktionsprozessen<br />
bereits zu berücksichtigen. Denkbar wären verschiedene Ausgestaltungsformen<br />
<strong>in</strong>tergenerativer Transaktionsvere<strong>in</strong>barungen, wie sie z.B. <strong>in</strong> der Forstwirtschaft praktiziert<br />
werden. Hier eröffnet sich e<strong>in</strong> neues Forschungsfeld, <strong>in</strong> dem die Möglichkeiten<br />
<strong>und</strong> Grenzen e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zur Lösung von <strong>in</strong>tergenerativen Gratifikationsproblemen<br />
aufzuzeigen s<strong>in</strong>d.<br />
2 Herausforderungen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />
Aufgr<strong>und</strong> der <strong>in</strong>ternationalen Verflechtungen der Absatz- <strong>und</strong> Beschaffungsmärkte<br />
können Markttransaktionen e<strong>in</strong>en erheblichen E<strong>in</strong>fluss auf die ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den am Güteraustausch beteiligten Ländern ausüben. Die Internationalisierung<br />
der Geschäftstätigkeit betrifft heute nicht nur Großunternehmen, sondern<br />
<strong>in</strong> zunehmendem Maße versuchen auch mittelständische wie auch Kle<strong>in</strong>unternehmen<br />
Wachstumspotenziale durch die Ansprache von Zielgruppen <strong>in</strong> anderen Ländermärkten<br />
zu erschließen. Die Analyse, Planung, Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />
Kontrolle der marktbezogenen Unternehmensaktivitäten auf Auslandsmärkten umfassen<br />
die zentralen Aufgaben des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Meffert 2000, S. 1230ff.).<br />
E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Diskussion der Herausforderungen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im<br />
<strong>in</strong>ternationalen Kontext kann im Bereich des Beschaffungs- wie auch Absatzmarket<strong>in</strong>g<br />
ansetzen (Abb. 2).<br />
Die Berücksichtigung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen im <strong>in</strong>ternationalen Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g<br />
erfordert die E<strong>in</strong>beziehung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Anforderungen<br />
bei der Auswahl von Zulieferern <strong>und</strong> der Beschaffung von Roh-, Hilfs- <strong>und</strong> Betriebsstoffen.<br />
Angesichts der weltweiten Vernetzung von Wertschöpfungsketten stellt sich<br />
bereits die Analyse von negativen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Auswirkungen bei den<br />
Vorlieferanten im Ausland als besonders komplex heraus (Merck 2002, S. 25ff.). Auch<br />
die über Ländergrenzen h<strong>in</strong>weg vorzunehmende Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />
Kontrolle von Maßnahmen, die zu e<strong>in</strong>er umwelt- <strong>und</strong> sozialverträglicheren Produktion<br />
von Vorprodukten führen, stellen hohe Anforderungen an das Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g,<br />
zumal je nach Ländermarkt, unterschiedliche umwelt- <strong>und</strong> sozialpolitische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. Die sozialverträgliche <strong>und</strong> umweltgerechte Herstellung<br />
von Vorprodukten ist für Konsumenten vielfach beim Produktkauf unter vertretbaren<br />
Kosten nicht überprüfbar, sie stellen damit Vertrauenseigenschaften dar <strong>und</strong>
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 45<br />
Ländermarkt B<br />
Zulieferer<br />
Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g<br />
Hersteller<br />
Handel<br />
Nachfrager<br />
Ländermarkt A<br />
International vernetzte<br />
Wertschöpfungsketten<br />
Internationale Wachstumsmärkte<br />
Neue Absatzmärkte<br />
Handel<br />
Nachfrager<br />
Handel<br />
Nachfrager<br />
Ländermarkt C Ländermarkt D<br />
Abbildung 2: Gr<strong>und</strong>legende Ansatzpunkte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />
vermitteln häufig ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Nutzenbeitrag. Selbst wenn die E<strong>in</strong>haltung von<br />
sozialen <strong>und</strong> ökologischen Anforderungen von Konsumenten beim Kauf nicht explizit<br />
nachgefragt <strong>und</strong> honoriert wird, so besteht bei Vernachlässigung dieser <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />
die Gefahr, dass Unternehmen durch <strong>in</strong>ternational vernetzte Nichtregierungsorganisation<br />
(NGOs) weltweit zur Durchsetzung von entsprechenden Anforderungen<br />
gezwungen werden.<br />
In zunehmendem Umfang werden länderübergreifend vernetzte Wertschöpfungsketten<br />
von Endproduktherstellern anhand von <strong>in</strong>ternational anerkannten <strong>Nachhaltigkeits</strong>standards<br />
evaluiert, um daraufh<strong>in</strong> gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Sozial- <strong>und</strong><br />
Ökologieverträglichkeit gegenüber den Vorlieferanten ergreifen bzw. empfehlen zu<br />
können. International akzeptierte Kriterienkataloge werden z.B. <strong>in</strong> den Susta<strong>in</strong>ability<br />
Report<strong>in</strong>g Guidel<strong>in</strong>es zusammengestellt (GRI 2002). Internationale Standards können<br />
über Zertifizierungsprozesse umgesetzt <strong>und</strong> kontrolliert werden (Große 2003,<br />
S. 135ff.). Bei erfolgreicher Zertifizierung übernehmen Zertifikate <strong>in</strong> Form von Prüfsiegeln<br />
bei Konsumenten die Funktion von Vertrauenssignalen für e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />
Produktqualität (Merck 2002, S. 26-27; Meffert/Kirchgeorg 1995, S. 95ff.; Balderjahn<br />
2004, S. 189ff.). Im H<strong>in</strong>blick auf die Sozialstandards erlangen Kriterien zur Vermeidung<br />
von K<strong>in</strong>derarbeit, Verh<strong>in</strong>derung von Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> Erhöhung der Arbeitssicherheit<br />
<strong>in</strong> der aktuellen Diskussion e<strong>in</strong>e besondere Relevanz (Kühl 2004, S. 10). Im
46 Manfred Kirchgeorg<br />
Bereich des <strong>in</strong>ternationalen Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g werden z.B. vom Versandhandelsunternehmen<br />
Otto Zertifikate von Vorlieferanten gefordert bzw. Zertifizierungsprozesse<br />
zusammen mit Vorlieferanten <strong>in</strong>itiiert. Mit Zertifikaten wie „PURE WEAR”<br />
oder dem Prüfsiegel der Social Accountability 8000 (SA8000) sowie dem Forest Stuartship<br />
Council (FSC)-Zertifikat werden Produkte aus nachhaltigen Wertschöpfungsketten<br />
<strong>in</strong> den jeweiligen Ländermärkten vermarktet.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Zielsetzung des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt <strong>in</strong> der Erschließung von<br />
Wachstumspotenzialen <strong>in</strong> neuen Ländermärkten, womit die entscheidungsorientierten<br />
Fragestellungen des absatzmarktorientierten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler<br />
Zielgruppen <strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu beantworten s<strong>in</strong>d. In den folgenden<br />
Ausführungen werden spezifische Aspekte der Integration von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />
<strong>in</strong> den Entscheidungsprozess des <strong>in</strong>ternationalen Absatzmarket<strong>in</strong>g betrachtet.<br />
E<strong>in</strong>e Begründung für die Erweiterung der Marktbearbeitung auf <strong>in</strong>ternationale Ländermärkte<br />
liefert z.B. e<strong>in</strong>e Betrachtung länderspezifischer Produktlebenszyklen. S<strong>in</strong>d<br />
die Wachstumspotenziale im Heimatland e<strong>in</strong>es Unternehmens ausgeschöpft, so ermöglicht<br />
der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> neue Ländermärkte die Erschließung neuer Wachstumspotenziale<br />
(Abb. 3).<br />
Marktvolumen<br />
Industrieländer<br />
2003<br />
Zeit<br />
Wachstumschancen<br />
4 Mrd. Menschen<br />
(E<strong>in</strong>kommen < $1.500)<br />
Marktvolumen<br />
2003<br />
Pyramide der Weltbevölkerung<br />
Schwellenländer<br />
Abbildung 3: Zukünftige Wachstumspotenziale im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />
Zeit
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 47<br />
Weil der Grad der Bedürfnisbefriedung <strong>in</strong> den Industrieländern bereits sehr ausgeprägt<br />
ist <strong>und</strong> sich zunehmend Phänomene gesättigter Märkte abzeichnen, verweisen Prahalad<br />
<strong>und</strong> Hart <strong>in</strong> ihrem Ansatz „Bottom L<strong>in</strong>e of the Pyramid“ darauf h<strong>in</strong>, dass im <strong>in</strong>ternationalen<br />
Kontext die zukünftigen Wachstumspotenziale nicht mehr alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> hoch<br />
entwickelten Industrieländern liegen (Prahalad/Hart 2002, S. 3-4). Angesichts des ger<strong>in</strong>gen<br />
Lebensstandards <strong>und</strong> des ger<strong>in</strong>gen Grades an Bedürfnisbefriedigung bei über<br />
vier Milliarden Menschen verweisen sie auf das erhebliche Nachfragepotenzial von<br />
e<strong>in</strong>kommensschwachen bzw. armen Bevölkerungsgruppen. Während vielfach auch <strong>in</strong><br />
Entwicklungsländern die schmale Schicht der e<strong>in</strong>kommensstarken Bevölkerungssegmente<br />
über die traditionellen Ansätze des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bedient wird, so<br />
werden die armen Bevölkerungssegmente im Rahmen der Marktbearbeitung häufig<br />
ausgeschlossen bzw. vernachlässigt. Die Gründe hierfür werden e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der verme<strong>in</strong>tlich<br />
ger<strong>in</strong>gen Marktattraktivität armer Menschen gesehen. Andererseits lassen<br />
sich die häufig von klassischen Wachstumsmärkten <strong>in</strong> Industrieländern geprägten<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien kaum <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den veränderten Anforderungen<br />
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente br<strong>in</strong>gen. Schließlich unterbleibt die<br />
Entwicklung zielgruppenspezifischer <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien angesichts der ger<strong>in</strong>gen<br />
Zielgruppenattraktivität.<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erlangt der Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besondere<br />
Relevanz:<br />
(1) Mit der normativen Forderung nach <strong>in</strong>tragenerativer Gerechtigkeit wird im Leitbild<br />
der Nachhaltigen Entwicklung betont, dass die Vernachlässigung armer Bevölkerungsschichten<br />
<strong>und</strong> das Gefälle im Lebensstandard zwischen Industrie- <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />
langfristig e<strong>in</strong>e sozial-friedliche <strong>und</strong> dauerhaft tragfähige Entwicklung<br />
gefährdet. Im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist explizit die<br />
Frage zu stellen, <strong>in</strong>wieweit es möglich ist, auch die Bedürfnisbefriedigung armer<br />
Bevölkerungssegmente mit bestehenden oder neuen Instrumenten des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu<br />
fördern.<br />
(2) Die Mehrheit der Weltbevölkerung gehört der „Bottom L<strong>in</strong>e of the Pyramid“ an,<br />
sodass e<strong>in</strong>e Verbesserung der Lebensstandards auch e<strong>in</strong>en Anstieg von Ressourcennutzung<br />
<strong>und</strong> Emissionen mit sich br<strong>in</strong>gen wird. Der Gefahr e<strong>in</strong>er extremen Zunahme<br />
der Belastung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde kann nur dann gem<strong>in</strong>dert<br />
werden, wenn es gel<strong>in</strong>gt, umweltverträgliche <strong>und</strong> ökologisch hoch effiziente<br />
Produktions- <strong>und</strong> Produkttechnologien zu entwickeln. Hiermit ist wiederum<br />
die ökologische Dimension des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> angesprochen.
48 Manfred Kirchgeorg<br />
(3) Die Versorgung armer Bevölkerungssegmente wird überwiegend als Aufgabe von<br />
Entwicklungshilfe-Institutionen angesehen. Viele Versuche, die Eigenständigkeit<br />
<strong>und</strong> Erwerbsfähigkeit mit Hilfe von traditionellen Entwicklungshilfekonzepten zu<br />
fördern, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten wenig erfolgreich verlaufen. Damit<br />
stellt sich die Herausforderung, <strong>in</strong>wieweit nationale <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Unternehmen<br />
<strong>in</strong> diesen Ländern e<strong>in</strong>en Beitrag zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit dieser<br />
Bevölkerungsgruppen leisten können <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Komplementarität zwischen der<br />
Verbesserung der Lebensstandards der Bevölkerung <strong>und</strong> ökonomischen Unternehmenszielen<br />
herzustellen ist.<br />
Die Ausführungen verdeutlichen, dass zukünftig die größten Bedürfnis- <strong>und</strong> Zielgruppenpotenziale<br />
im Segment e<strong>in</strong>kommensschwacher Bevölkerungssegmente <strong>in</strong> Schwellenländer<br />
zu erwarten s<strong>in</strong>d. Aus der Sicht des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann e<strong>in</strong>e<br />
proaktive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit diesen Zielgruppen e<strong>in</strong>en Beitrag zur nachhaltigen<br />
Entwicklung (M<strong>in</strong>derung der <strong>in</strong>tragenerativen Ungleichgewichte, Erhöhung der Lebensqualität<br />
unter E<strong>in</strong>satz besonders ökoeffizienter Produkt- <strong>und</strong> Serviceleistungen) <strong>in</strong><br />
den Schwellenländern wie auch <strong>in</strong> den Industrieländern leisten.<br />
3 Vernachlässigte Zielgruppen im <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die im <strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatz geforderte <strong>in</strong>tragenerative Gerechtigkeit stellt <strong>in</strong>sbesondere<br />
auf den Abbau des Nord-Südgefälles bzw. der großen sozialen Unterschiede zwischen<br />
Entwicklungs- <strong>und</strong> Industrieländern ab. In Anlehnung an die Überlegungen von<br />
Prahalad <strong>und</strong> Hart können für die mult<strong>in</strong>ationalen Konzerne aber auch für bestehende<br />
Unternehmen <strong>in</strong> den Auslandsmärkten neue Herausforderungen def<strong>in</strong>iert werden, die<br />
sich auf die gezielte Entwicklung <strong>und</strong> Erschließung von Märkten <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />
beziehen <strong>und</strong> dabei sowohl e<strong>in</strong>en Beitrag zur Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung<br />
wie auch zur Sicherung der Wettbewerbsposition leisten können. In diesem<br />
Zusammenhang ergeben sich für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> spezifische Aufgaben,<br />
die <strong>in</strong>sbesondere aus der fehlenden Transaktionsfähigkeit <strong>und</strong> den sehr unterschiedlichen<br />
Lebensbed<strong>in</strong>gungen potenzieller Nachfrager <strong>in</strong> diesen Ländern resultieren.<br />
Betrachtet man die Weltbevölkerung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>kommenspyramide (Abb. 4), so<br />
zählen zirka vier Milliarden Menschen zu der armen Bevölkerung, die ihre Gr<strong>und</strong>bedürfnisse<br />
nicht befriedigen <strong>und</strong> am Güterangebot <strong>in</strong> den Industrieländern nicht partizipieren<br />
können. Im H<strong>in</strong>blick auf das Weltbevölkerungswachstum werden <strong>in</strong> Szenarien<br />
gerade bei diesen Bevölkerungsgruppen die stärksten Geburtenraten erwartet (vgl. zum
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 49<br />
Jährliche Kaufkraft (<strong>in</strong> $) Bevölkerung (<strong>in</strong> Mrd.)<br />
Über $ 20.000<br />
Unter $ 1.500<br />
E<strong>in</strong>kommenspyramide der Weltbevölkerung<br />
Schicht 1<br />
Tier 2-3<br />
$ 1.500 - 20.000 Schicht 2 & 3<br />
1,5-1,75<br />
Tier 4<br />
Schicht 4<br />
Abbildung 4: E<strong>in</strong>kommenspyramide der Weltbevölkerung<br />
(Quelle: Prahalad/Hart 2002, S. 4)<br />
0,075 - 0,1100<br />
Zusammenhang von Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> Unterentwicklung Khalatbari 1995,<br />
S. 91ff.; Birg 1995, S. 31ff.), während <strong>in</strong> den Industrieländern eher rückläufige Geburtenraten<br />
festzustellen s<strong>in</strong>d (The World Bank 2003a, S. 1-2). Prahalad <strong>und</strong> Hart weisen<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Markterschließung <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />
bei vielen Entscheidungsträgern <strong>in</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen gar<br />
nicht erfolgt <strong>und</strong> entsprechende Optionen nicht <strong>in</strong> das Entscheidungsfeld e<strong>in</strong>bezogen<br />
werden. Vielmehr überwiegen auch im Management von <strong>in</strong>ternational tätigen Unternehmen<br />
häufig folgende (Vor-) Urteile (Prahalad/Hart 2002, S. 4-5):<br />
� Aufgr<strong>und</strong> der bestehenden Kostenstruktur vieler Unternehmen ist die Erschließung<br />
von Segmenten der armen Bevölkerung unter Gew<strong>in</strong>ngesichtspunkten nicht vertretbar;<br />
� Die Versorgung der armen Bevölkerung liegt <strong>in</strong> den Händen von Regierungen <strong>und</strong><br />
Non-Profit-Hilfsorganisationen <strong>und</strong> bietet ke<strong>in</strong>e attraktiven Perspektiven für e<strong>in</strong><br />
privatwirtschaftliches Engagement von Unternehmen;<br />
� Produkt- <strong>und</strong> Serviceleistungen, die für die Industrieländer entwickelt wurden,<br />
können von der armen Bevölkerung <strong>in</strong> Entwicklungsländern nicht genutzt werden;<br />
4
50 Manfred Kirchgeorg<br />
� Nur die Bevölkerung <strong>in</strong> den Industrieländern hat die Zahlungsbereitschaft, um neue<br />
Technologien zu erwerben, während Länder mit armer Bevölkerung sich nur mit<br />
Second Hand-Technologien oder traditionellen Technologien ausstatten können.<br />
Diese Urteile bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e bewusste oder unbewusste Ignoranz möglicher Entwicklungspotenziale<br />
<strong>in</strong> Märkten mit armer Bevölkerung <strong>und</strong> damit auch e<strong>in</strong>e fehlende Bereitschaft,<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>- <strong>und</strong> Management-Know-How für diese potenziellen Märkte<br />
e<strong>in</strong>zusetzen. Tradierte E<strong>in</strong>stellungs- <strong>und</strong> Strategiemuster verengen das Entscheidungsfeld<br />
der Entscheidungsträger, d.h. Handlungsoptionen für diese Zielgruppensegmente<br />
werden gar nicht reflektiert (vgl. zur begrenzten Suche nach Handlungsalternativen bei<br />
neuen <strong>Nachhaltigkeits</strong>problemen z.B. Kirchgeorg 1999, S. 218ff.). Führungskräfte<br />
haben i.d.R. wenig Kenntnisse über Entwicklungsländer <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Industrieländern<br />
sozialisiert worden. Häufig empf<strong>in</strong>den sie ke<strong>in</strong>e besondere Attraktivität, sich mit<br />
den Problemen der armen Bevölkerung aus der Unternehmenssicht zu beschäftigen.<br />
Dementsprechend gel<strong>in</strong>gt es kaum, e<strong>in</strong>en freien Wettbewerb für Lösungen zur Wohlfahrtsförderung<br />
dieser Länder zu entfalten. Soll der Anspruch nach e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tragenerativen<br />
Gerechtigkeit auch nur annähernd <strong>in</strong> die Realität umgesetzt werden, dann s<strong>in</strong>d es<br />
gerade die vier Milliarden armen Menschen, die e<strong>in</strong> Zukunftspotenzial für Markttransaktionen<br />
bilden. Allerd<strong>in</strong>gs erfordert die Erschließung dieser Märkte e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende<br />
Neuausrichtung der bestehenden <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien <strong>und</strong> -<strong>in</strong>strumente. Bei der<br />
Diskussion zukunftsweisender Internationalisierungsstrategien kann e<strong>in</strong>e Orientierung<br />
am Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung als kreativer „Öffner e<strong>in</strong>gefahrener Entscheidungspfade“<br />
verstanden werden.<br />
Angesichts der ökologischen Problemdimension ist die Verbesserung der Wohlfahrt<br />
armer Bevölkerungssegmente kaum durch die Replikation der Erfahrungen <strong>und</strong> Produktions-,<br />
Produktkonzepte sowie <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien aus den Industrieländern möglich.<br />
Vielmehr wird es nur gel<strong>in</strong>gen, die weltweiten ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme<br />
zu lösen, wenn die <strong>in</strong> den Entwicklungsländern e<strong>in</strong>gesetzten Produkte <strong>und</strong> Serviceleistungen<br />
besonders öko-effizient produziert, konsumiert <strong>und</strong> entsorgt werden können.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 51<br />
4 Veränderte konzeptionelle Anforderungen an das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Marktsituation <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />
<strong>und</strong> den sich daraus ergebenden Besonderheiten für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lassen sich die <strong>in</strong> Abbildung 5 skizzierten <strong>und</strong> <strong>in</strong> den nachfolgenden Ausführungen<br />
thematisierten Besonderheiten hervorheben.<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-<br />
Managementprozess<br />
Situationsanalyse<br />
<strong>und</strong> Prognosen<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>organisation<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>controll<strong>in</strong>g<br />
•Analyse der Bedürfnisse armer Bevölkerungsgruppen<br />
•Analyse der spezifischen Bed<strong>in</strong>gungen der Markt-<br />
<strong>und</strong> Makroumwelt<br />
•Förderung der Transaktionsfähigkeit<br />
•Bekanntheitsgrad <strong>und</strong> Image<br />
•Langfristige Gew<strong>in</strong>nerzielung<br />
•Radikale Kostenführerschaft <strong>und</strong> Restrukturierung<br />
der Wertketten<br />
•Standardisierte Massenproduktion<br />
•Umweltgerechte Standardprodukte mit ger<strong>in</strong>ger<br />
Bedienungskomplexität<br />
•Low Marg<strong>in</strong>-Preise, Mikrokredite, Gegenleistungen,<br />
Share-Modelle<br />
•Dezentrale Distributionskonzepte<br />
•Gr<strong>und</strong>kommunikation <strong>und</strong> Ausbildung/<br />
Stakeholder-Dialoge (Politik, Verwaltung)<br />
•Komb<strong>in</strong>ation von zentralen <strong>und</strong> stark dezentralen<br />
Organisationskonzepten; laterale Kooperationen<br />
•Erweiterung des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Controll<strong>in</strong>g für das Vorfeldmarket<strong>in</strong>g<br />
zur Förderung der Transaktionsfähigkeit<br />
Abbildung 5: Integration neuer Entscheidungstatbestände <strong>in</strong> den <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Management-<br />
prozess für die Erschließung e<strong>in</strong>kommensschwacher Zielgruppen <strong>in</strong> Schwellenländern<br />
Situationsanalyse <strong>und</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g<br />
E<strong>in</strong>stellungswandel<br />
im Management<br />
E<strong>in</strong>e f<strong>und</strong>ierte Situationsanalyse ist bei den bisher vernachlässigten Zielgruppen <strong>in</strong> den<br />
Schwellenländern e<strong>in</strong>e zentrale Erfolgsvoraussetzung für die Ableitung von Strategien<br />
<strong>und</strong> Maßnahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Zur F<strong>und</strong>ierung von Entwicklungshilfekonzepten<br />
<strong>und</strong> Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Ansätzen liegen Studien <strong>und</strong> Erfahrungen über<br />
E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Ländern vor.
52 Manfred Kirchgeorg<br />
Zunächst zeigt sich <strong>in</strong>ternational e<strong>in</strong>e sehr hohe Heterogenität im so genannten „BoP-<br />
Segment“, sodass vor der Gefahr gewarnt werden muss, die spezifischen Verhaltensweisen<br />
<strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Vielzahl von Subsegmenten <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />
Ländern zu verkennen. In e<strong>in</strong>er Vielzahl von Studien wird besonders betont, dass<br />
der Erfassung der spezifischen Bedürfnisse <strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dieser Bevölkerungsschichten<br />
e<strong>in</strong>e überaus hohe Bedeutung zukommt, um e<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>legendes Verständnis<br />
zur Entwicklung von zielgruppenspezifischen Maßnahmen zu erlangen. Fehlende<br />
Sek<strong>und</strong>är- <strong>und</strong> Primärdaten führen bei Entscheidungsträgern <strong>in</strong> Unternehmen<br />
dazu, dass bestehende Vorurteile über die Lebens- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommenssituation von e<strong>in</strong>kommensschwachen<br />
oder e<strong>in</strong>kommenslosen Bevölkerungsgruppen nicht entgegengetreten<br />
wird. Gleichwohl f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Literaturdiskussion zunehmend Beiträge,<br />
die sich mit der länderübergreifenden „Ähnlichkeit“ bestimmter Zielgruppenausprägungen<br />
im Segment der e<strong>in</strong>kommensschwachen <strong>und</strong> armen Bevölkerungsgruppen beschäftigen.<br />
Auswertungen von Angebots- <strong>und</strong> Nachfragerstudien <strong>in</strong> Stadtgebieten mit armen Bevölkerungsschichten<br />
liefern sehr <strong>in</strong>teressante <strong>und</strong> unerwartete H<strong>in</strong>weise darüber, dass<br />
bei e<strong>in</strong>em sich entwickelnden Nachfragepotenzial die fehlende K<strong>und</strong>enorientierung<br />
gegenüber armen Bevölkerungsgruppen den Aufbau e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbeziehung vielfach<br />
erschwert. Erhebliche Mängel <strong>in</strong> der Service- <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enorientierung <strong>in</strong> bestehenden<br />
Institutionen des Ges<strong>und</strong>heitswesens werden im World Development Report 2004<br />
hervorgehoben. In diesem Zusammenhang betonte der Präsident der Welt Bank, James<br />
D. Wolfensohn: „Too often, services fail poor people. These failures may be less spectacular<br />
than f<strong>in</strong>ancial crises, but their effects are cont<strong>in</strong>u<strong>in</strong>g and deep nonetheless.”<br />
(The World Bank 2003, S. XV). Deutlich wird hierbei, dass selbst bei e<strong>in</strong>er zunehmenden<br />
Nachfrage<strong>in</strong>tensität die Akteure auf der Angebotsseite e<strong>in</strong> wenig k<strong>und</strong>engerechtes<br />
<strong>und</strong> diskrim<strong>in</strong>ierendes Verhalten zeigen (The World Bank 2003, S. 1ff. sowie<br />
z.B. Grimble et al. 2002, S. 33ff.; Fav<strong>in</strong> 1991, S. 45ff.). Bei e<strong>in</strong>em sich entwickelnden<br />
Nachfragepotenzial <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>kommensschwachen Bevölkerungsgruppen werden jene<br />
Anbieter besondere Chancen erlangen, die auch gegenüber diesen Zielgruppen e<strong>in</strong> hohes<br />
Maß an K<strong>und</strong>enorientierung <strong>und</strong> Sympathie entwickelt haben.<br />
Analysen über die Haushaltsausstattungen <strong>und</strong> Kaufverhaltensweisen dieser Zielgruppen<br />
zeigen <strong>in</strong> zunehmendem Umfang, dass Bewohner <strong>in</strong> den Vorstandslums über e<strong>in</strong>e<br />
Haushaltsausstattung verfügen, die Elektrogeräte bis h<strong>in</strong> zu Fernsehern umfasst. Im<br />
H<strong>in</strong>blick auf die Preise, die <strong>in</strong> entsprechenden Stadtregionen für Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel,<br />
Kreditvergaben <strong>und</strong> Medikamente verlangt werden, zeigt e<strong>in</strong>e vergleichende Analyse<br />
der Preise für Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen <strong>in</strong> Armenvierteln <strong>und</strong> Wohngegenden der
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 53<br />
oberen Mittelschicht <strong>in</strong> Indien (Abb. 6), dass Käufer <strong>in</strong> den Armenvierteln teilweise<br />
extreme Preisnachteile <strong>in</strong> Kauf nehmen müssen. Prahalad <strong>und</strong> Hammond sehen hier<strong>in</strong><br />
besondere Chancen für mult<strong>in</strong>ationale Konzerne, da sie vielfach aufgr<strong>und</strong> der zu realisierenden<br />
Skaleneffekte auch die Versorgung dieser Zielgruppen zu erheblich günstigeren<br />
Preisen sicherstellen können (Prahalad/Hammond 2002, S. 7-8).<br />
Allerd<strong>in</strong>gs besteht häufig e<strong>in</strong>e zu ger<strong>in</strong>ge Kaufkraft <strong>und</strong> Transaktionsfähigkeit, sodass<br />
sich die Frage stellt, <strong>in</strong>wieweit Möglichkeiten bestehen, die Transaktionsfähigkeit armer<br />
Bevölkerungssegmente zu erhöhen. Aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Transaktionsfähigkeit<br />
der Nachfrager ist e<strong>in</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g notwendig, das die Transaktionsfähigkeit entsprechend<br />
fördert. E<strong>in</strong> Verständnis der spezifischen Lebens- <strong>und</strong> Versorgungs<strong>in</strong>frastruktur<br />
sowie der regionalen <strong>und</strong> nationalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen stellt e<strong>in</strong>e zentrale<br />
Voraussetzung für die Ableitung adäquater <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzeptionen dar. Der Aufbau<br />
von Kontakten zu allen relevanten Akteursgruppen <strong>in</strong> den jeweiligen Ländern stellt <strong>in</strong><br />
diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>en wichtigen ersten Schritt dar. Dabei gilt es die wirtschaftlichen,<br />
politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen <strong>und</strong> spezifische<br />
Probleme wie Korruption, Machtstrukturen u.a. zu identifizieren.<br />
Kosten Dharavi<br />
Armenviertel<br />
Warren Road<br />
Obere Mittelschicht<br />
Aufschlag<br />
für die Armen<br />
Kredit (jährliche Z<strong>in</strong>sen) 600-1000% 12-18% Faktor 53<br />
Kommunales Tr<strong>in</strong>kwasser (1 m 3 ) 1,12 $ 0,03 $ Faktor 37<br />
Telefon (pro M<strong>in</strong>ute) 0,04-0,05 $ 0,025 $ Faktor 1,8<br />
Medikament (gegen Diarrhöe) 20 $ 2 $ Faktor 10<br />
Reis (1 kg) 0,28 $ 0,24 $ Faktor 1,2<br />
Abbildung 6: Analyse von Preisniveaudifferenzen zwischen Armen- <strong>und</strong> Wohnvierteln <strong>in</strong> Indien<br />
(Quelle: Prahalad/Hammond 2002, S. 8)<br />
Die E<strong>in</strong>beziehung der potenziellen Nachfrager <strong>in</strong> den Produktions- <strong>und</strong> Vermarktungsprozess<br />
kann e<strong>in</strong>erseits zur Reduzierung von Kosten bzw. Preisen <strong>und</strong> andererseits<br />
zur Schaffung von E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> damit Transaktionsfähigkeit für die arme Bevölkerung<br />
e<strong>in</strong>en Beitrag leisten. Andererseits kann e<strong>in</strong>e Kooperation mit F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitutionen<br />
sowie mit Förder- <strong>und</strong> Sozial<strong>in</strong>stitutionen zur Entwicklung von Mikro-<br />
Kreditangeboten zielführend se<strong>in</strong>. Die UN hat auf dem 1999 Mikrokredit Summit <strong>in</strong>
54 Manfred Kirchgeorg<br />
Kooperation mit mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen <strong>und</strong> Kredit<strong>in</strong>stituten Ziele <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />
für die Vergabe von Mikrokrediten an arme Bevölkerungssegmente abgeleitet.<br />
Diese Sachverhalte s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g sorgfältig zu berücksichtigen.<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele <strong>und</strong> -strategien<br />
Prahalad <strong>und</strong> Hart verweisen darauf, dass die <strong>in</strong> Industrieländern erfolgreich e<strong>in</strong>gesetzten<br />
High-Marg<strong>in</strong>-Strategien mit Qualitätsprodukten für arme Bevölkerungssegmente<br />
nicht erfolgreich se<strong>in</strong> können. Sie fordern, dass mult<strong>in</strong>ationale Konzerne für die Bearbeitung<br />
von Märkten mit armer Bevölkerung e<strong>in</strong>erseits bestehende Kostenpositionen<br />
erheblich reduzieren <strong>und</strong> „Low-Marg<strong>in</strong>-Strategien“ umsetzen sollten. Sie merken<br />
hierzu an: „Do<strong>in</strong>g bus<strong>in</strong>ess with the world´s four billion poorest people – two-third of<br />
the world´s population – will require radical <strong>in</strong>novations <strong>in</strong> technology and bus<strong>in</strong>ess<br />
models.” (Prahalad/Hart 2002, S. 3). Somit sehen sich gerade <strong>in</strong>ternationale Konzerne<br />
mit dem Problem konfrontiert, ggf. unterschiedliche Wettbewerbsstrategien mite<strong>in</strong>ander<br />
zu verb<strong>in</strong>den bzw. unter dem Konzerndach zu entwickeln <strong>und</strong> umzusetzen, was<br />
e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Herausforderung für das Management <strong>und</strong> die Unternehmenskultur<br />
darstellen kann. Vielfach s<strong>in</strong>d ganz neue Bus<strong>in</strong>ess-Modelle für den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong><br />
das BoP-Segment zu entwickeln.<br />
Der Grad der Produktdifferenzierung, der <strong>in</strong> den Industrieländern vielfach mit hohen<br />
Komplexitätskosten e<strong>in</strong>hergeht, erfährt für Massenmärkte, auf denen die Nachfrager<br />
ihre Gr<strong>und</strong>bedürfnisse als nicht befriedigt ansehen, e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung. Hier gilt<br />
es <strong>in</strong>sbesondere die Gr<strong>und</strong>versorgung mit standardisierten Niedrig-Margen-Produkten<br />
sicherzustellen. Die ger<strong>in</strong>gen Deckungsspannen können für Massenmarktstrategien<br />
durchaus mit e<strong>in</strong>er hohen Profitabilität verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>.<br />
Es wird deutlich, dass jene Hersteller, die es mit ihrer Unternehmenskultur bereits verstanden<br />
haben, e<strong>in</strong>e Kostenführerschaft mit ökologischen Anforderungen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang<br />
zu br<strong>in</strong>gen, für die Erschließung entsprechender Märkte bessere Voraussetzungen erfüllen<br />
als Unternehmen, die auf dem Weltmarkt das Luxussegment bedienen.<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix<br />
E<strong>in</strong>e Vielzahl von Anpassungserfordernissen ist bei der Gestaltung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-<br />
Mix-Instrumente zu berücksichtigen, von denen im Folgenden e<strong>in</strong>ige zentrale Aspekte<br />
skizziert werden. Hierbei können auch Erfahrungen über die Wirkungsweise spezifisch<br />
erprobter <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente von <strong>in</strong>ternational tätigen Unternehmen e<strong>in</strong>bezogen<br />
werden, die bereits erfolgreich e<strong>in</strong>e Ansprache armer Bevölkerungsschichten vornehmen.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 55<br />
Im Rahmen der Produktentwicklung erlangt die Konzentration auf kostengünstige,<br />
umweltgerechte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fach zu bedienende Standardprodukte besondere Relevanz.<br />
Bestehende Bildungsdefizite (z.B. Analphabetentum) s<strong>in</strong>d bei der Produktkonzeption<br />
<strong>und</strong> -bedienung zu berücksichtigen. Vielfach erfordert die E<strong>in</strong>führung entsprechender<br />
Standardprodukte <strong>in</strong> den Massenmärkten der Entwicklungsländer auch e<strong>in</strong>e geänderte<br />
Markenstrategie. In ihrem Beitrag führen Prahalad <strong>und</strong> Hart e<strong>in</strong>e Reihe mult<strong>in</strong>ationaler<br />
Konzerne an, die durch die Entwicklung e<strong>in</strong>er entsprechenden Produktl<strong>in</strong>ie <strong>und</strong> den<br />
Aufbau e<strong>in</strong>er Zweitmarke für die Märkte <strong>in</strong> den Entwicklungsländern e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
Position aufbauen konnten. Angesichts der schwach ausgeprägten E<strong>in</strong>kommen bei armen<br />
Bevölkerungsgruppen bietet die Veränderung von Verpackungsgrößen vielfach<br />
e<strong>in</strong>e Möglichkeit, dass Produkte auch <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Mengen angeboten <strong>und</strong> bezahlt<br />
werden können. Hierüber konnten e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>in</strong>ternational tätigen Herstellern wie<br />
z.B. H<strong>in</strong>dustan Lever <strong>in</strong> Indien e<strong>in</strong>en erheblichen Marktanteilszuwachs erzielen (u.a.<br />
Balakrishna et al. 2004).<br />
In diesem Zusammenhang können sich Konflikte im H<strong>in</strong>blick auf zusätzliche Verpackungsabfälle<br />
ergeben, sodass über umweltverträgliche Verpackungsformen bei dieser<br />
Produktanpassung gleichermaßen nachzudenken ist. H<strong>in</strong>dustan Lever Ltd. gehört zum<br />
Unileverkonzern. Nachdem der mult<strong>in</strong>ational tätige Konzern seit über 50 Jahren die<br />
wohlhabenden K<strong>und</strong>ensegmente <strong>in</strong> Indien im Rahmen des traditionellen <strong>in</strong>ternationalen<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatzes bearbeitet hat, ist <strong>in</strong> den 90er Jahren e<strong>in</strong>e spezifische Strategie<br />
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente entwickelt worden. Hierbei zeigt sich,<br />
dass gr<strong>und</strong>legende Anpassungserfordernisse im Bereich der Produkt- <strong>und</strong> Verpackungskonzeption,<br />
im Produktionsprozess (Niedrigkosten-Produktionskonzepte), im<br />
Distributions- <strong>und</strong> Kommunikationssystem sowie <strong>in</strong> der Preispolitik notwendig waren.<br />
Ausschlaggebend für diese Strategie war der Erfolg e<strong>in</strong>es lokalen Unternehmens Nirma,<br />
das sehr erfolgreich e<strong>in</strong>e <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente<br />
entwickelt hat. Sowohl Nirma wie auch H<strong>in</strong>dustan Lever gehören heute<br />
zu den stärksten Anbietern von Re<strong>in</strong>igungsmitteln <strong>in</strong> Indien <strong>und</strong> die Profitabilität im<br />
BoP-Segment wird bei Unilever im Vergleich zu High-End-Produkten um e<strong>in</strong> vielfaches<br />
höher beurteilt (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Insgesamt wird anhand e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />
von Fallbeispielen deutlich, dass die kreative Suche nach Lösungsansätzen zu Produkt<strong>und</strong><br />
Service<strong>in</strong>novationen führt, die wiederum <strong>in</strong> verschiedenen Ländern für e<strong>in</strong> Angebot<br />
im Segment der armen Bevölkerungssegmente genutzt werden <strong>und</strong> sogar auch für<br />
Industrieländer Innovationsimpulse liefern können.<br />
Die Preispolitik ist auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er Niedrig-Margen-Orientierung festzulegen.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Transaktionsfähigkeit s<strong>in</strong>d die oben erwähnten Maßnahmen
56 Manfred Kirchgeorg<br />
des Vorfeldmarket<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>zubeziehen. Für den Marktaufbau ersche<strong>in</strong>en Mischkalkulationen<br />
zwischen Deckungsbeiträgen <strong>in</strong> Industrieländern <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />
den Markte<strong>in</strong>tritt zu erleichtern. Überraschend ersche<strong>in</strong>en im H<strong>in</strong>blick auf die ger<strong>in</strong>gen<br />
verfügbaren E<strong>in</strong>kommen Berichte darüber, dass <strong>in</strong> armen Bevölkerungssegmenten<br />
<strong>in</strong> Anspruch genommene Mikrokredite mit hoher Zuverlässigkeit wieder zurückgezahlt<br />
werden. Prahalad <strong>und</strong> Hart führen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang das Beispiel der<br />
Grameen Bank an, die Rückzahlungsquoten im Bereich der Mikrokredite von 95%<br />
erzielt hat. (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Interviews des Autors mit Experten über die<br />
Vergabe von Mikrokrediten bestätigen diese Erkenntnisse. Shar<strong>in</strong>gmodelle können<br />
genutzt werden, um hohe Anfangs<strong>in</strong>vestitionen für z.B. Internetanschlüsse, Telefone<br />
u.a. auf verschiedene Nutzer aufzuteilen bzw. entsprechende Services gegen e<strong>in</strong>e Nutzungsgebühr<br />
anzubieten. Beispiele zeigen weiterh<strong>in</strong> auf, dass die Realisierung von<br />
Kostenreduktionspotenzialen von 50 bis 70% zu realisieren s<strong>in</strong>d, wenn die Kostentreiber<br />
identifiziert werden <strong>und</strong> dann durch <strong>in</strong>novative Produkt-, Distributions- <strong>und</strong><br />
Kommunikationskonzepte kostengünstige Substitutionstechnologien entwickelt werden,<br />
die jedoch e<strong>in</strong>e solide Qualität <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fache Handhabung sicherstellen.<br />
Erhebliche Anpassungserfordernisse s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich der Distributions- <strong>und</strong> Kommunikationsstrukturen<br />
<strong>in</strong> Schwellenländer zu berücksichtigen. Vielfach existieren die <strong>in</strong><br />
den Industrieländern etablierten Distributionssysteme nicht. E<strong>in</strong>e hohe Fragmentierung<br />
der Absatzkanäle geht i.d.R. mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Infrastruktur- <strong>und</strong> Distributionsdichte<br />
bei der Landbevölkerung e<strong>in</strong>her. Hier stellt sich e<strong>in</strong>e der größten Herausforderung für<br />
das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, unter E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung lokaler Unternehmen <strong>und</strong> zukünftiger<br />
Nachfrager zuverlässige <strong>und</strong> effiziente Distributionsstrukturen aufzubauen. E<strong>in</strong><br />
besonderer Trade off besteht nach Fallanalysen zwischen dem Angebot von Informationsdienstleistungen<br />
(Telefonverb<strong>in</strong>dungen, Internetzugang) <strong>und</strong> der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung von armen Bevölkerungssegmenten. Erfahrungen über die E<strong>in</strong>führung<br />
von City-Telefonen <strong>in</strong> Indien oder die Installation von Internet-Kiosken <strong>in</strong> Chile oder<br />
Indien liefern ähnliche Erkenntnisse. Die Verfügbarkeit von Informationsmedien ermöglicht<br />
es der Landbevölkerung ihr E<strong>in</strong>kommen z.B. durch e<strong>in</strong>e erhöhte Preistransparenz<br />
beim E<strong>in</strong>kauf von Saatgut oder den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen<br />
zu steigern. Gleichzeitig führt die Verfügbarkeit von Informationen über verbesserte<br />
Anbaumethoden auch zu effizienteren Produktionsmethoden (vgl. hierzu die<br />
Beispielfälle unter http://www.digitaldividend.corg/case).<br />
Bei der Gestaltung von Kommunikationsmaßnahmen stellen sich ebenfalls besondere<br />
Herausforderungen. Arme Bevölkerungssegmente verfügen zunehmend über e<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung<br />
an moderne Massenmedien (Radio, Fernsehen, (Mobil-)Telefon), sodass sie
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 57<br />
vielfach Kampagnen bekannter Marken kennen <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong> Markenbewusstse<strong>in</strong> entwickelt<br />
haben. Bei fehlenden Kommunikationsmedien können zentral zugängliche<br />
Internet-Kiosksysteme oder Produktdemostrationsveranstaltungen <strong>in</strong>teressante Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
darstellen. Allerd<strong>in</strong>gs ist bei der Botschaftsgestaltung der<br />
Entwicklung von Produktbeschreibungen <strong>und</strong> Bedienungsanleitungen zu berücksichtigen,<br />
dass aufgr<strong>und</strong> des ger<strong>in</strong>gen Bildungsgrades e<strong>in</strong> hoher Anteil dieser Bevölkerungsgruppen<br />
nur über ger<strong>in</strong>ge Lesefähigkeiten verfügt. Bei fehlender Transaktionsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> Hochpreisstrategien setzt sich Markenbekanntheit <strong>und</strong> Markenpräferenz<br />
jedoch nicht <strong>in</strong> reales Kaufverhalten um. Insgesamt gilt auch für den Bereich der<br />
Kommunikation gegenüber diesen Zielgruppen, dass die Wirkungsweise der Botschaftsgestaltung<br />
<strong>und</strong> Medienauswahl auf spezifischen Marktforschungsdaten aufbauen<br />
sollte, die z.T. unerwartete Ergebnisse über die Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten<br />
offenbaren.<br />
5 Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Die skizzierten Ausführungen zeigen, dass sich im <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> neue<br />
Herausforderungen zur Berücksichtigung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen stellen<br />
<strong>und</strong> zunehmend e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> klassischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen vernachlässigte Zielgruppe <strong>in</strong><br />
den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Bisher haben ansche<strong>in</strong>end tradierte<br />
Denkmuster <strong>in</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> die leichter zu erschließenden Wachstumsmärkte<br />
<strong>in</strong> Industrieländern verh<strong>in</strong>dert, dass armen Bevölkerungssegmenten e<strong>in</strong>e<br />
gebührende Bedeutung zuerkannt wurde. Dabei darf nicht verkannt werden, dass privatwirtschaftliche<br />
Konzepte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei der Zielgruppe armer<br />
Menschen auch nur e<strong>in</strong>e begrenzte Reichweite entwickeln können <strong>und</strong> durch Ansätze<br />
des Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von gesellschaftlichen <strong>und</strong> staatlichen Institutionen unterstützt<br />
bzw. ergänzt werden müssen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs ist die Forderung zu erheben, dass vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />
die Managementlehre (Müller-Christ, Hülsmann 2003, S. 271-272)<br />
<strong>in</strong>sgesamt <strong>und</strong> die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>wissenschaft sowie <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis im Speziellen <strong>in</strong> der<br />
Zukunft aufgefordert ist, sich mit der bisher weitgehend vernachlässigten Zielgruppe<br />
der Mehrheit der armen Weltbevölkerung verstärkt ause<strong>in</strong>ander zusetzen. Nicht nur<br />
zur Erfüllung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen, sondern<br />
auch aus e<strong>in</strong>er ökonomischen Sicht s<strong>in</strong>d Unternehmen aufgefordert, das Zukunftspotenzial<br />
des vernachlässigten Teils unserer Weltbevölkerung zu erkennen. Während die<br />
Erhöhung der Lebensqualität von armen Bevölkerungssegmenten dem Anspruch nach<br />
<strong>in</strong>tragenerativer Gerechtigkeit entspricht, so ist jedoch nicht zu verkennen, dass ange-
58 Manfred Kirchgeorg<br />
sichts der enormen Nachfragepotenziale <strong>in</strong> diesen Segmenten auch die Frage der verantwortungsvollen<br />
Ressourcennutzung für Produktions- <strong>und</strong> Konsumzwecke zu reflektieren<br />
ist. Die bloße Übertragung des Lebensstils der Industrieländer auf die Entwicklungsländer<br />
würde die Resourcen- <strong>und</strong> Immissionsprobleme extrem ansteigen lassen.<br />
Von daher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>telligente <strong>und</strong> <strong>in</strong>novative Lösungen für e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle<br />
Synthese e<strong>in</strong>er verbesserten Lebensqualität von armen Bevölkerungszielgruppen <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>er nachhaltigen Ressourcennutzung <strong>in</strong> Zukunft besonders gefragt.<br />
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Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
Ulf Schrader<br />
1 E<strong>in</strong>führung<br />
„Öko ist out – Werbung mit grünen Argumenten kommt nicht mehr an“ – so lautete<br />
am 1. Juni 2001 die Titelschlagzeile von werben & verkaufen, dem auflagenstärksten<br />
kommunikationspolitischen Fachmagaz<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschland. Demnach seien die klassischen<br />
Öko-Argumente oft <strong>in</strong>haltlich selbstverständlich, langweilig gestaltet <strong>und</strong> generierten<br />
ke<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>ennutzen. An dieser für Umweltbewegte zunächst ernüchternden<br />
Diagnose dürfte sich seit 2001 nicht viel geändert haben. Allerd<strong>in</strong>gs wäre es verfehlt,<br />
daraus auf e<strong>in</strong>e generell fehlende kommunikative Vermittelbarkeit der Inhalte <strong>und</strong> Ergebnisse<br />
e<strong>in</strong>es gesellschaftlich verantwortlichen Managements zu schließen. Der vorliegende<br />
Beitrag soll aufzeigen, wie es Unternehmen gel<strong>in</strong>gen kann, durch e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation Wettbewerbsvorteile zu erlangen.<br />
Ausgangspunkt s<strong>in</strong>d dabei die Gründe für die mangelnde Durchschlagskraft klassischer<br />
Öko-Werbung. Für diese Defizite sollen dann im Hauptteil Lösungsansätze präsentiert<br />
werden, deren Beachtung für den Erfolg der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
notwendig ist. Die Argumentation konzentriert sich dabei auf die Kommunikation gegenüber<br />
Konsumenten <strong>und</strong> auf die Frage, wie diese motiviert <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Lage versetzt<br />
werden können, ihr Konsumverhalten an den Zielen der Nachhaltigkeit auszurichten.<br />
2 Öko-Werbung<br />
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb klassische Öko-Werbung, die sich seit Beg<strong>in</strong>n<br />
der 1980er Jahre entwickelt hat, heute als Auslaufmodell gilt. Insgesamt ist sie oft<br />
nicht <strong>in</strong> der Lage, die Ziele zu erfüllen, die mit erfolgreicher Werbung generell verb<strong>und</strong>en<br />
s<strong>in</strong>d. Die zentralen Versäumnisse sollen hier vorgestellt werden, wobei jedoch<br />
darauf h<strong>in</strong>zuweisen ist, dass die Kritik nur bestimmte Tendenzen herausstreicht <strong>und</strong><br />
nicht verallgeme<strong>in</strong>ert werden darf. Selbstverständlich gab <strong>und</strong> gibt es auch gut gemachte<br />
Umwelt-Kommunikation im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Öko-Werbung im Besonderen.<br />
Oft wurde es jedoch versäumt, den spezifischen <strong>in</strong>dividuellen Nutzen zu vermitteln,<br />
den umweltfre<strong>und</strong>liche Produkte für Konsumenten stiften können. Bei Hopfenbeck/Roth<br />
(1994, S. 88-125) gibt es zahlreiche Beispiele für Öko-Werbung, die sich
62 Ulf Schrader<br />
auf „grüne Argumente“ beschränkt. So wirbt etwa die Hofpfisterei mit „1=4: 1 Laib<br />
Pfister Öko-Bauernbrot entspricht 4 qm Bayern ohne chemische Spritz- <strong>und</strong> Düngemittel“<br />
<strong>und</strong> die AEG stellt ihre Waschmasch<strong>in</strong>enwerbung unter den Slogan: „Um alles<br />
<strong>in</strong> der Welt: weniger Wasser!“. Der ökologische Vorteil alle<strong>in</strong> ist jedoch <strong>in</strong>dividuell<br />
nicht Nutzen stiftend, da die Umwelt e<strong>in</strong> Kollektivgut ist, von dessen Schutz alle profitieren,<br />
also auch die Konsumenten, die sich – z.B. aus Kostengründen – von den ökologischen<br />
Alternativen abwenden (Trittbrettfahrerproblem). Erst wenn es gel<strong>in</strong>gt, e<strong>in</strong>en<br />
ökologisch bed<strong>in</strong>gten <strong>in</strong>dividuellen Nutzen aufzuzeigen, wird der Umweltvorteil<br />
zu e<strong>in</strong>em Kaufargument (z.B. Meffert 1993).<br />
E<strong>in</strong> weiteres Defizit der Öko-Werbung, das ihrem Ansehen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der kritischen<br />
Öffentlichkeit geschadet hat, ist die Konzentration auf Produkte <strong>und</strong> hier z.T. auf relativ<br />
irrelevante Produktmerkmale (Lichtl 1999, S. 22-23). So lag bei Verbrauchsgütern<br />
traditionell e<strong>in</strong> Schwerpunkt auf der Verpackung, bei Gebrauchsgütern auf der Recycl<strong>in</strong>gfähigkeit.<br />
Ökologisch bedeutsamer s<strong>in</strong>d jedoch vielfach die Vorproduktion <strong>und</strong><br />
Produktion, der Transport <strong>und</strong> vor allem die Nutzung von Gütern.<br />
E<strong>in</strong> wichtiger Gr<strong>und</strong> für die Beschränkung der Inhalte liegt dar<strong>in</strong>, dass im Rahmen der<br />
Werbung komplexe Informationen nur schwer vermittelbar s<strong>in</strong>d. Im Kontext e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
Kommunikationsstrategie muss Werbung deshalb mit anderen Instrumenten<br />
verknüpft werden. Lange Zeit haben sich hier die <strong>Praxis</strong> <strong>und</strong> auch die Wissenschaft<br />
zurückgehalten. Während die Öko-Werbung im Standardwerk „Öko-Kommunikation“<br />
von Hopfenbeck/Roth (1994) auf immerh<strong>in</strong> 78 Seiten erläutert wird, erhalten andere<br />
Kommunikations<strong>in</strong>strumente deutlich weniger Raum: Public Relations 14 Seiten,<br />
Öko-Sponsor<strong>in</strong>g 9 Seiten, Verkaufsförderung <strong>und</strong> Interne Kommunikation je 6. Auch<br />
im Gr<strong>und</strong>lagen- <strong>und</strong> Anwendungsteil des Buches dom<strong>in</strong>iert die Werbung.<br />
Um den Adressaten auch im Rahmen der Werbung möglichst viele Informationen zu<br />
vermitteln, ist klassische Öko-Werbung häufig sehr text- <strong>und</strong> faktenorientiert. So wird<br />
etwa der oben zitierte Werbespruch der Hofpfisterei („4 qm Bayern ohne chemische<br />
Spritz- <strong>und</strong> Düngemittel“) illustriert mit e<strong>in</strong>em aufwendigen Berechnungsbeispiel<br />
(Hopfenbeck/Roth 1994, S. 104); ansprechende bildliche Darstellungen sucht man hier<br />
– wie <strong>in</strong> vielen anderen Öko-Werbekampagnen auch – vergeblich. Angesichts der<br />
herrschenden Informationsüberlastung ist jedoch davon auszugehen, dass nur solche<br />
Konsumenten diese Faktenpräsentationen wahrnehmen <strong>und</strong> verarbeiten, für die das<br />
Umweltproblem e<strong>in</strong>en besonders hohen Stellenwert hat. Während der Umweltschutz<br />
Anfang der 1990er Jahre von der b<strong>und</strong>esdeutschen Bevölkerung noch für das wichtigste<br />
gesellschaftliche Problem gehalten wurde, nimmt er mittlerweile nur noch e<strong>in</strong>en
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 63<br />
mittleren Rangplatz e<strong>in</strong> (Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 30-37). Dementsprechend hat<br />
die Mehrheit der Konsumenten gr<strong>und</strong>sätzlich e<strong>in</strong> eher begrenztes Interesse am Umweltthema.<br />
E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>, weshalb <strong>in</strong> der Öko-Werbung die Informationskomponente betont <strong>und</strong> die<br />
Animation durch Emotionalisierung zurückhaltend verwendet wird, s<strong>in</strong>d potenzielle<br />
Glaubwürdigkeitsprobleme (Beitrag Belz/Ditze). Sie resultieren aus den <strong>in</strong>formationsökonomischen<br />
Besonderheiten von Umwelteigenschaften (Kaas 1992, S. 478-480): Es<br />
handelt sich hierbei nicht um Sucheigenschaften, die Konsumenten vor dem Kauf beurteilen<br />
könnten, sondern entweder – wie im Fall von Langlebigkeit <strong>und</strong> Verbrauch –<br />
um Erfahrungseigenschaften, zu deren Beurteilung der eigene Konsum Voraussetzung<br />
ist, oder – wie bei Produktionsbed<strong>in</strong>gungen oder Schadstoffausstoß – um Vertrauenseigenschaften,<br />
bei deren Bewertung Konsumenten auf die Aussagen von Experten angewiesen<br />
s<strong>in</strong>d. Aufgr<strong>und</strong> dieser spezifischen Situation, die e<strong>in</strong>zelne Anbieter <strong>in</strong>sbesondere<br />
<strong>in</strong> der Frühphase des Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für irreführende oder sogar falsche Aussagen<br />
ausgenutzt haben (z.B. Schoenheit 1992, S. 333-336), besteht auf Seiten der<br />
Konsumenten e<strong>in</strong> genereller Glaubwürdigkeitsvorbehalt gegenüber dem ökologischen<br />
Eigenlob von Unternehmen.<br />
Defizite der Öko-Werbung Lösungsansätze<br />
Ger<strong>in</strong>ger Bezug zu <strong>in</strong>dividuellem Nutzen Neue Kommunikationsargumente<br />
E<strong>in</strong>geschränkte Berücksichtigung<br />
relevanter Probleme<br />
Mangelnde Eignung zur Kommunikation<br />
komplexer Zusammenhänge<br />
Inadäquat für ger<strong>in</strong>ger <strong>in</strong>volvierte<br />
Konsumenten<br />
Neue Kommunikationsobjekte<br />
Neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
Neue Kommunikationsgestaltung<br />
Glaubwürdigkeitsdefizite Neue Kommunikatoren<br />
Tabelle 1: Defizite der Öko-Werbung <strong>und</strong> Ansätze zu ihrer Überw<strong>in</strong>dung<br />
Die dargestellten Defizite erfordern spezifische Antworten (Tab. 1): Um den mangelnden<br />
<strong>in</strong>dividuellen Nutzen der klassischen Öko-Werbung zu überw<strong>in</strong>den, s<strong>in</strong>d neue Argumente<br />
zu kommunizieren. Alle relevanten Konsumfolgen lassen sich nur berücksichtigen,<br />
wenn die Kommunikation auf neue Objekte ausgedehnt wird. Die Komplexität<br />
der Inhalte macht neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente erforderlich. Um auch weni-
64 Ulf Schrader<br />
ger <strong>in</strong>volvierte Konsumenten anzusprechen, ist e<strong>in</strong>e andere Kommunikationsgestaltung<br />
notwendig. Und Glaubwürdigkeitsdefizite lassen sich überw<strong>in</strong>den, wenn die<br />
Kommunikation auch durch neue Akteure geleistet wird. Diese Lösungsansätze, die<br />
Bestandteil e<strong>in</strong>er erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation s<strong>in</strong>d, werden im Folgenden<br />
genauer beschrieben.<br />
3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
Neue Kommunikationsargumente<br />
Auch wenn die Ökologie Ausgangspunkt <strong>und</strong> Schwerpunkt der <strong>Nachhaltigkeits</strong>debatte<br />
ist, besteht weitgehend Konsens darüber, dass das Konzept der Nachhaltigkeit (m<strong>in</strong>destens)<br />
drei Dimensionen hat, dass also neben der Umwelt auch soziale <strong>und</strong> ökonomische<br />
Belange zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d (z.B. Enquete-Kommission 1998, S. 27-54;<br />
Dyllick/Hockerts 2002, S. 131-135). Aus <strong>in</strong>dividueller Sicht der Konsumenten kann<br />
ökonomische Nachhaltigkeit als Möglichkeit zur langfristigen Bedürfnisbefriedigung<br />
im Rahmen bestehender Budgetrestriktionen <strong>in</strong>terpretiert werden (Schoenheit 2001,<br />
S. 120-121). Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist ke<strong>in</strong>e Verzichtsideologie, sondern erkennt<br />
das Recht auf Bedürfnisbefriedigung ausdrücklich an. Erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
nimmt – wie jede gelungene Endk<strong>und</strong>enkommunikation – auf<br />
das Streben der Konsumenten nach Bedürfnisbefriedigung Bezug. Sie muss demnach<br />
bestimmte Merkmale von Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen bzw. von Unternehmen so<br />
vermitteln, dass der <strong>in</strong>dividuelle Vorteil für die K<strong>und</strong>en sichtbar wird (Beitrag Belz).<br />
Individueller ökologisch bed<strong>in</strong>gter Nutzen für Konsumenten kann aus e<strong>in</strong>em erhöhten<br />
Gebrauchswert erwachsen <strong>und</strong> beispielsweise im besseren Geschmack von Lebensmitteln<br />
aus ökologischem Landbau oder <strong>in</strong> verbesserter Hautverträglichkeit von Kleidung<br />
aus kontrolliert biologisch angebauter Baumwolle bestehen. E<strong>in</strong>e weitere Kategorie<br />
<strong>in</strong>dividueller Vorteile besteht <strong>in</strong> Kostene<strong>in</strong>sparungen, die etwa durch verbrauchsarme<br />
Gebrauchsgüter oder durch energetisch optimiertes Wohnen zu erreichen s<strong>in</strong>d. Diese<br />
Vorteile s<strong>in</strong>d für alle K<strong>und</strong>en relevant, unabhängig vom jeweiligen Umweltbewusstse<strong>in</strong>.<br />
Liegt dieses vor – <strong>und</strong> entsprechende Umfragen bestätigen trotz relativem Bedeutungsverlust<br />
(siehe Kap. 2) nach wie vor e<strong>in</strong>e weite Verbreitung (z.B. Grunenberg/Kuckartz<br />
2003, S. 39-48) – dann s<strong>in</strong>d die entsprechenden Zielgruppen auch mit<br />
weiteren Argumenten ansprechbar, die sich auf Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen beziehen<br />
(Vershofen 1940, S. 63-86; Schrader 1995, S. 11-17; Belz 2001, S. 70-75).<br />
Selbstachtungsnutzen besteht <strong>in</strong> dem guten Gefühl, auch als Konsument gemäß der<br />
E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Werte zu handeln, derer man sich als Bürger verpflichtet fühlt –
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 65<br />
nach dem auf Abraham L<strong>in</strong>coln (1809-1865) zurückgehenden Motto „When I do good,<br />
I feel good“. Fremdachtungsnutzen bezieht sich auf die Anerkennung durch umweltorientierte<br />
Bezugsgruppen. Es ist ke<strong>in</strong>esfalls akademische Spitzf<strong>in</strong>digkeit, dezidiert<br />
zwischen e<strong>in</strong>em kollektiven ökologischen Nutzen <strong>und</strong> den verschiedenen Arten des<br />
<strong>in</strong>dividuellen ökologisch bed<strong>in</strong>gten Nutzens zu unterscheiden, sondern e<strong>in</strong>e Erfolgsvoraussetzung<br />
der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation. Der kollektive Nutzen e<strong>in</strong>er geschützten<br />
Umwelt ist zwar e<strong>in</strong>e wesentliche Folge aber nicht der wirkliche Gr<strong>und</strong> ökologischen<br />
Handelns. Nur wenn <strong>in</strong>dividueller Nutzen mit dem kollektiven e<strong>in</strong>hergeht,<br />
ist e<strong>in</strong> bewusstes ökologisches Verhalten zu erwarten.<br />
Neue Chancen <strong>und</strong> Risiken entstehen für die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation durch<br />
die zusätzliche Berücksichtigung der sozialen Dimension. Zu den entsprechenden sozialen<br />
Themen gehören etwa Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Produktion <strong>und</strong> bei Zulieferern<br />
entlang der gesamten, oftmals globalen Wertschöpfungskette, aber auch freiwillige,<br />
über die Kernleistung h<strong>in</strong>ausgehende Aktivitäten, mit denen sich e<strong>in</strong> Unternehmen<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Good Corporate Citizenship“ für die sozialen Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />
bzw. die Entwicklung des sozialen Kapitals am jeweiligen Standort e<strong>in</strong>setzt (z.B. Habisch<br />
2003; Schrader 2003). Beispiele für Letzteres s<strong>in</strong>d etwa Bildungs- <strong>und</strong> Breitensport-Sponsor<strong>in</strong>g<br />
oder e<strong>in</strong>e darüber h<strong>in</strong>ausgehende dauerhafte Zusammenarbeit von<br />
Unternehmen mit sozialen E<strong>in</strong>richtungen. Problematisch ist bei der sozialen Dimension,<br />
dass hier im Gegensatz zu den zuvor genannten ökologischen Eigenschaften kaum<br />
von positiven Wirkungen auf den Gebrauchswert von Gütern oder auf die Kosten des<br />
Konsums ausgegangen werden kann. Zwar ist zu vermuten, dass etwa <strong>in</strong> Fabriken mit<br />
angenehmen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> motivierten Mitarbeitern Produkte mit höherer<br />
Qualität hergestellt werden, als etwa <strong>in</strong> sog. Sweatshops, <strong>in</strong> denen die Produktion teilweise<br />
unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen stattf<strong>in</strong>det. Es bleibt aber<br />
offen, wie stark dieser Zusammenhang ist <strong>und</strong> ob er Konsumenten vermittelt werden<br />
kann. Von daher beschränkt sich der <strong>in</strong>dividuelle Vorteil der Berücksichtigung sozialer<br />
Aspekte bei der Kaufentscheidung auf Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen. Dieser<br />
Aspekt darf jedoch nicht zu ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschätzt werden: In Umfragen rangiert etwa die<br />
Vermeidung von K<strong>in</strong>derarbeit regelmäßig deutlich vor Umweltfragen, wenn Konsumenten<br />
nach ihren Forderungen <strong>in</strong> Bezug auf das gesellschaftlich verantwortliche<br />
Verhalten von Unternehmen gefragt werden (z.B. imug 1997, S. 57; imug 2003, S. 3).<br />
Zudem handelt es sich bei der auf den Massenmarkt gerichteten Thematisierung der<br />
sozialen Dimension des unternehmerischen Handelns um e<strong>in</strong>en – im Vergleich zum<br />
Umweltthema – relativ neuen Bereich. Im Neuigkeitswert liegt e<strong>in</strong> spezifischer Kommunikationsvorteil,<br />
denn er erhöht die Aufmerksamkeit auf Seiten der Konsumenten
66 Ulf Schrader<br />
<strong>und</strong> bietet Raum für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>novative Positionierung. Dementsprechend hat beispielsweise<br />
das Pharma- <strong>und</strong> Chemieunternehmen Altana 2002 <strong>und</strong> 2003 e<strong>in</strong>e umfangreiche<br />
Kampagne mit großformatigen Anzeigen unter dem Slogan „th<strong>in</strong>k on“ durchgeführt,<br />
die von der Zeitungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Gesellschaft ZMG als Markenkampagne des Jahres<br />
2002 ausgezeichnet wurde. Im Mittelpunkt stand dabei ke<strong>in</strong> bestimmtes Produkt, sondern<br />
das Unternehmen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Verantwortung für se<strong>in</strong>e verschiedenen Stakeholder.<br />
Diese besondere Berücksichtigung des h<strong>in</strong>ter Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen stehenden<br />
Unternehmens als beworbenem Kommunikationsobjekt ist Element e<strong>in</strong>es generellen,<br />
im Folgenden näher zu betrachtenden Merkmals der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Kommunikation.<br />
Neue Kommunikationsobjekte<br />
Insbesondere zwei Aspekte der <strong>Nachhaltigkeits</strong>def<strong>in</strong>ition machen es zw<strong>in</strong>gend notwendig,<br />
<strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation über die Fokussierung auf das Kommunikationsobjekt<br />
Produkt h<strong>in</strong>auszugehen. Zum e<strong>in</strong>en beschreibt „Nachhaltigkeit“ e<strong>in</strong><br />
Ziel, das nur durch wesentliche <strong>und</strong> nicht durch beliebig kle<strong>in</strong>e ökologische Fortschritte<br />
zu erreichen ist. Genau genommen geht es beim susta<strong>in</strong><strong>in</strong>g im Gegensatz zum green<strong>in</strong>g<br />
um e<strong>in</strong> „Soviel-wie“ <strong>und</strong> nicht nur um e<strong>in</strong> „Weniger-als“ (Matten/Wagner 1998,<br />
S. 52-53). Zum anderen bezieht sich gesellschaftliche Verantwortung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>konzept<br />
nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale Fortschritte. Sowohl<br />
die substantiellen ökologischen Verbesserungen als auch die Berücksichtigung des<br />
Sozialen drücken sich oft nicht <strong>in</strong> Produktmerkmalen aus <strong>und</strong> erfordern die Betrachtung<br />
der gesamten Wertschöpfungskette sowie der Handlungen von Unternehmen <strong>in</strong>sgesamt.<br />
In der Wertschöpfungskette <strong>in</strong>teressieren Produktion <strong>und</strong> Vorproduktion ebenso wie<br />
Transporte, Entsorgung <strong>und</strong> vor allem die Nutzung. Die Nutzung ist bei vielen Gebrauchsgütern<br />
(z.B. Auto, Waschmasch<strong>in</strong>e) hauptverantwortlich für die jeweilige<br />
Ökobilanz – <strong>und</strong> die hier notwendige ökologische Konsumkompetenz lässt sich durch<br />
kommunikative Maßnahmen von Unternehmen bee<strong>in</strong>flussen (z.B. Lichtl 1999, S. 32-<br />
52). Wenn ernsthaft das Ziel verfolgt wird, den Konsumenten durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Kommunikation die Möglichkeit zu verschaffen, an der Supermarktkasse über die sozialen<br />
<strong>und</strong> ökologischen Leistungen von Unternehmen mit abzustimmen (Hansen/Schrader<br />
1997, S. 447), dann wird das gesamte anbietende Unternehmen zum<br />
Kommunikationsobjekt – mit all se<strong>in</strong>en Zulieferverflechtungen <strong>und</strong> Managementaktivitäten<br />
im Vor- <strong>und</strong> Nachkaufbereich (Schoenheit 2001, S. 122-123).
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 67<br />
Neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
Die stärkere Berücksichtigung der Unternehmen, die h<strong>in</strong>ter Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
stehen, erfordert e<strong>in</strong>en zunehmenden E<strong>in</strong>satz spezifischer Kommunikations<strong>in</strong>strumente.<br />
Im Rahmen klassischer Werbung ist es unmöglich, die ganze Komplexität<br />
sozialer <strong>und</strong> ökologischer Konsequenzen der Unternehmenstätigkeit auch nur annähernd<br />
verständlich darzustellen. E<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung, die <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
zunehmend Beachtung gef<strong>und</strong>en hat, ist die erweiterte Unternehmensberichterstattung.<br />
Die klassische ökonomisch orientierte Berichterstattung wurde bereits <strong>in</strong> den 1970er<br />
<strong>und</strong> 80er Jahren durch die so genannte Sozialberichterstattung ergänzt, die sich vor<br />
allem auf die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen im Stammland bezog (z.B. Fischer-W<strong>in</strong>kelmann<br />
1980). Seit Ende der 1980er Jahre publiziert e<strong>in</strong>e zunehmende Zahl von Unternehmen<br />
Umweltberichte, mit denen sie die Transparenz über die ökologischen Auswirkungen<br />
des unternehmerischen Wirtschaftens verbessern (z.B. Fichter 1998). Diese beiden<br />
Traditionen gesellschaftsorientierter Berichterstattung verschmelzen seit Ende der<br />
1990er Jahre zunehmend mite<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> werden mit ökonomischen Informationen<br />
zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichterstattung ergänzt (z.B. IÖW/imug 2002). Obwohl die<br />
Entwicklung dieses Bereichs <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> dynamisch verläuft <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Literatur sehr<br />
<strong>in</strong>tensiv verfolgt wird (z.B. Cornier/Gordon 2001; Kolk/Walha<strong>in</strong>/van de Water<strong>in</strong>gen<br />
2001; Schulz/Burschel/Losen 2001; Adams 2002), konzentriert sich die Berichterstattung<br />
noch immer auf e<strong>in</strong>e relativ begrenzte Zahl größerer Unternehmen. So publizierten<br />
im Jahr 2002 von den DAX-100-Unternehmen 40 gesellschaftsorientierte Unternehmensberichte,<br />
von denen 20 re<strong>in</strong>e Umweltberichte <strong>und</strong> 3 re<strong>in</strong>e Sozialberichte waren.<br />
Nur 17 Unternehmen <strong>in</strong>tegrierten beide Dimensionen im Rahmen von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichten<br />
(Klaffke/Krick 2003, S. 10). Bei kle<strong>in</strong>en <strong>und</strong> mittleren Unternehmen<br />
ist der Anteil berichterstattender Unternehmen noch deutlich ger<strong>in</strong>ger ausgeprägt.<br />
Neben der Anzahl ist auch die Form der bisher publizierten <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichte<br />
im H<strong>in</strong>blick auf die Kommunikation mit Konsumenten stark verbesserungswürdig.<br />
Nach dem fragwürdigen Pr<strong>in</strong>zip „one size fits all“ werden noch immer viele Publikationen<br />
auf e<strong>in</strong>e gedruckte bzw. download-fähige Broschüre beschränkt. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichte<br />
besitzen dabei <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>en mittleren Komplexitätsgrad, der für<br />
kritische Anspruchsgruppen <strong>und</strong> hoch <strong>in</strong>volvierte Konsumenten oft nicht konkret genug<br />
ist, dessen Informationsreichtum bei Durchschnittskonsumenten aber zugleich<br />
e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>formation overload verursacht. Aus dieser Situation wird z.T. geschlossen,<br />
dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichterstattung für die endk<strong>und</strong>engerichtete Kommunikation<br />
generell ungeeignet wäre. Dabei übersieht man allerd<strong>in</strong>gs, dass z.B. über das Internet<br />
e<strong>in</strong>e differenzierte, zielgruppengenaue Ansprache durchaus möglich ist (z.B. Isen-
68 Ulf Schrader<br />
mann/Lenz 2002; Schulz 2003). S<strong>in</strong>d entsprechende Internet gestützte Informationssysteme<br />
erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>stalliert, lässt sich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividualisierte <strong>und</strong> laufend aktualisierte<br />
Informationsbereitstellung realisieren. Gleichzeitig kann e<strong>in</strong> Teil der unspezifischeren<br />
Pr<strong>in</strong>t-Kommunikation ersetzt werden. Wesentlich für e<strong>in</strong>e breite Nutzung entsprechender<br />
Internet-Angebote ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Verknüpfung von Onl<strong>in</strong>e- <strong>und</strong><br />
Offl<strong>in</strong>e-Kommunikation (Wheeler/Elk<strong>in</strong>gton 2001). Das Wissen <strong>und</strong> die Motivation<br />
zur Abfrage der nur onl<strong>in</strong>e erhältlichen Hol<strong>in</strong>formationen muss durch <strong>in</strong>haltlich <strong>und</strong><br />
gestalterisch leicht zugängliche Br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>formationen offl<strong>in</strong>e erzeugt werden (Hansen<br />
u.a. 2003, S. 19-20), beispielsweise durch entsprechende H<strong>in</strong>weise auf Produkten oder<br />
<strong>in</strong> der Werbung.<br />
Neue Kommunikationsgestaltung<br />
Erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation erfordert nicht nur die zuvor beschriebene<br />
Ausweitung von Informationen, sondern gleichzeitig auch e<strong>in</strong>e zunehmende Emotionalisierung.<br />
Beide Ansätze stehen nicht im Widerspruch zue<strong>in</strong>ander, sondern<br />
müssen sich ergänzen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d im H<strong>in</strong>blick auf unterschiedliche Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
<strong>und</strong> Konsumentenzielgruppen differenziert anzuwenden. Die Forderung<br />
nach zunehmender Emotionalisierung bezieht sich vor allem auf die klassische Massenwerbung.<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die Werbegestaltung lässt sich zugespitzt formulieren:<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e nachhaltige oder nicht-nachhaltige Werbung, sondern nur gute oder<br />
schlechte. Nachhaltigkeit sollte sich <strong>in</strong> den Inhalten <strong>und</strong> Zielen der Werbung widerspiegeln,<br />
nicht aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonders sachlichen oder problemfixierten Gestaltung.<br />
Als zentralen Gr<strong>und</strong> für die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Aktivierung über positive Emotionen<br />
lässt sich das Involvement der Konsumenten anführen, also das <strong>in</strong>nere Engagement<br />
e<strong>in</strong>er Person, mit dem sich diese e<strong>in</strong>em Gegenstand oder e<strong>in</strong>er Aktivität zuwendet. Nur<br />
bei hohem Involvement ist zu erwarten, dass Konsumenten die Mühe auf sich nehmen,<br />
Informationen bewusst zu suchen <strong>und</strong> kognitiv so zu verarbeiten, dass sie handlungswirksam<br />
werden (z.B. Kroeber-Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 250). Für die meisten Konsumenten<br />
ist aber zunächst von e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gen Involvement im H<strong>in</strong>blick auf soziale <strong>und</strong><br />
ökologische Implikationen ihrer Kaufentscheidung auszugehen, was e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
Anpassung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation erfordert (Hansen/Schrader 2004).<br />
Folgt man dem Elaboration-Likelihood-Model der E<strong>in</strong>stellungsforschung von Petty/Cacioppo/Schumann<br />
(1983), dann muss im Fall e<strong>in</strong>es ger<strong>in</strong>gen Involvements die zu<br />
verarbeitende Information <strong>in</strong> der Kommunikation peripher angesiedelt se<strong>in</strong>. Die Bereitschaft<br />
zur Informationsverabeitung ergibt sich hier nicht aus den konkreten Inhalten,<br />
sondern aus e<strong>in</strong>em situativen Involvement für ihre „Verpackung“, also für die
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 69<br />
Gestaltung oder für den Sender der Botschaft. E<strong>in</strong> Weg zur Erzeugung e<strong>in</strong>es situativen<br />
Involvements für <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>formationen ist die Betonung von Spaß bzw. generell<br />
von postiver Emotionalität (Kroeber-Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 706-709). Dafür, dass<br />
ökologische Themen unterhaltsam verpackt werden können, gibt es unter dem<br />
Schlagwort „Ecota<strong>in</strong>ment“ (Lichtl 1999) <strong>in</strong>zwischen zahlreiche Beispiele. Die Schaffung<br />
von Involvement über den Sender der Information wird im Rahmen der sog. Celebrity-Werbung<br />
angestrebt. Prom<strong>in</strong>entestes umweltbezogenes Beispiel <strong>in</strong> Deutschland<br />
ist hier die (<strong>in</strong>haltlich durchaus umstrittene) Werbung von Krombacher, <strong>in</strong> der Günther<br />
Jauch <strong>und</strong> Steffi Graf das Engagement der Brauerei für e<strong>in</strong> WWF-Regenwaldprojekt<br />
herausstreichen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zum Erwerb e<strong>in</strong>es Kastens Bier br<strong>in</strong>gen. Ähnliche<br />
Ansätze s<strong>in</strong>d auch bei sozialen Themen denkbar. Nur wenn e<strong>in</strong>e entsprechende emotionale<br />
Aufladung gel<strong>in</strong>gt, lassen sich <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>formationen auch an ger<strong>in</strong>g <strong>in</strong>volvierte<br />
Konsumenten herantragen. Gegebenenfalls entsteht dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten<br />
Schritt auch e<strong>in</strong> kognitiv gefestigtes Involvement für die eigentlichen Inhalte. Bei bereits<br />
hoch <strong>in</strong>volvierten, an Nachhaltigkeit überdurchschnittlich <strong>in</strong>teressierten Konsumenten<br />
kann e<strong>in</strong>e emotionale Ansprache ebenfalls s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, um die vorhandene<br />
Informationsbereitschaft zu festigen <strong>und</strong> auszubauen.<br />
Neue Kommunikatoren<br />
Während e<strong>in</strong>e <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation nach dem Motto „Tue Gutes <strong>und</strong> rede<br />
darüber“ oft als „re<strong>in</strong>e PR“ abgetan wird (Ste<strong>in</strong>ert/Kle<strong>in</strong> 2002, S. 12), können Unternehmen<br />
bestehende Glaubwürdigkeitsvorbehalte überw<strong>in</strong>den, wenn es ihnen gel<strong>in</strong>gt,<br />
die Maßgabe „Tue Gutes <strong>und</strong> lass Andere darüber reden“ umzusetzen. Gerade bei der<br />
gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme kommt es darauf an, dass die eigenen<br />
Aktivitäten von glaubwürdigen Dritten aufgegriffen <strong>und</strong> gegenüber den Konsumenten<br />
kommuniziert werden. Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit dieser Akteure ist ihre<br />
Unabhängigkeit von den kommerziellen Interessen der Unternehmen. Zentral s<strong>in</strong>d<br />
hierbei von Konsumenten als unabhängig wahrgenommene Massenmedien sowie<br />
NGOs <strong>und</strong> Verbraucherorganisationen, die direkt oder ihrerseits über Massenmedien<br />
an die Konsumenten herantreten.<br />
Viel versprechend ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, dass die Stiftung Warentest, deren<br />
Glaubwürdigkeit im H<strong>in</strong>blick auf Verbraucher<strong>in</strong>formationen <strong>in</strong> Deutschland unbestritten<br />
ist, damit begonnen hat, Warentests um sozial-ökologisch ausgerichtete Unternehmenstests<br />
zu ergänzen. E<strong>in</strong> isolierter Unternehmenstest zur Verantwortungsübernahme<br />
<strong>in</strong> der Sportartikelbranche ist bereits <strong>in</strong> der Zeitschrift test erschienen (test 2003) <strong>und</strong><br />
weitere Tests der Corporate Social Responsibility s<strong>in</strong>d geplant. Die Stiftung Warentest
70 Ulf Schrader<br />
arbeitet dabei mit dem Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft zusammen, das bereits<br />
seit Anfang der 1990er Jahre das Konzept e<strong>in</strong>es sozial-ökologischen Unternehmenstests<br />
entwickelt (imug 1997) <strong>und</strong> im Rahmen verschiedener branchenbezogener E<strong>in</strong>kaufsführer<br />
umgesetzt hat (z.B. imug u.a. 1997; imug u.a. 1999; imug 2001). Im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er Kooperation mit dem Vere<strong>in</strong> für Konsumenten<strong>in</strong>formation (VKI), dem österreichischen<br />
Pendant zur Stiftung Warentest, wurde auch die Verknüpfung mit klassischen<br />
Warentests bereits erprobt (Tab. 2).<br />
Vergleichbare Maßnahmen <strong>in</strong> Deutschland könnten Unternehmenstests <strong>in</strong> Zukunft<br />
e<strong>in</strong>e große Bedeutung verschaffen. Durch die besondere Reputation der Stiftung Warentest,<br />
den hohen direkten <strong>und</strong> vor allem – über die Massenmedien – <strong>in</strong>direkten Verbreitungsgrad<br />
der Testergebnisse sowie die Verknüpfung mit den für Konsumenten<br />
kaufrelevanten Warentests ist e<strong>in</strong>e Wirkung zu erwarten, die von ger<strong>in</strong>g verbreiteten<br />
unternehmensbezogenen E<strong>in</strong>kaufsführern nicht zu erzielen ist. Noch bleibt allerd<strong>in</strong>gs<br />
unklar, ob die Ansätze der Stiftung Warentest über das Stadium von Pilotprojekten<br />
h<strong>in</strong>ausgehen <strong>und</strong> dauerhaft E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den Testalltag f<strong>in</strong>den werden.<br />
Testergebnisse Laufschuhe Herren<br />
Marke Asics Nike Adidas<br />
(weitere<br />
Type Gel-Kayano Air Structure<br />
Triax<br />
Cairo<br />
Schuhe im<br />
Test)<br />
Preis <strong>in</strong> € 145,27 108,94 116,20<br />
Test-Urteil Gut Gut Gut …<br />
Hersteller Asics<br />
Nike Inc. Adidas- Salo-<br />
Corporation<br />
mon AG<br />
Japan<br />
USA<br />
Deutschland<br />
Unternehmens-Ethik - + + + +<br />
Achten auf soziale Verantwortung ? + -<br />
E<strong>in</strong>haltung von Sozialstandards + + + + +<br />
Überwachung der Sozialstandards - - + + + +<br />
Lieferbare Größen 41½ - 49 38½ - 51 39½ - 50½<br />
Gewicht pro Schuh <strong>in</strong> g 360 375 340<br />
(35%) Biomech. Eigenschaften Gut Gut Gut<br />
(20%) Orthopädische Beurteilung Sehr gut Sehr gut Gut<br />
(25%) Praktische Prüfung Gut Gut Gut<br />
(20%) Materialeigenschaften Gut Durchschnitt Durchschnitt<br />
(weitere Detailergebnisse) … … … …<br />
Tabelle 2: Beispiel für die Verknüpfung von Waren- <strong>und</strong> Unternehmenstests<br />
(Quelle: Konsument 2000, S. 8)
Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 71<br />
Die Existenz regelmäßiger, breit angelegter <strong>und</strong> weit verbreiteter Unternehmenstests<br />
würde die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation von Unternehmen ke<strong>in</strong>esfalls überflüssig<br />
machen. So besteht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe der Unternehmen<br />
dar<strong>in</strong>, die Test<strong>in</strong>stitutionen mit adäquaten Informationen zu versorgen. Viele der<br />
relevanten Informationen s<strong>in</strong>d nicht frei zugänglich <strong>und</strong> können von den Testern – teils<br />
aus Sach-, teils aus Kostengründen – auch nicht direkt selbst erhoben werden. Von<br />
daher kommt der Bereitschaft von Unternehmen zur freiwilligen Informationsoffenheit<br />
e<strong>in</strong>e wesentliche Bedeutung für die Durchführung sozial-ökologischer Unternehmenstests<br />
zu (Schrader/Schoenheit/Hansen 2003, S. 15). E<strong>in</strong>e weitere Aufgabe der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
ist es, die Ergebnisse der Tests <strong>in</strong> der unternehmensbezogenen<br />
Kommunikation zu nutzen – ähnlich wie dies heute auf breiter Basis im Bereich<br />
von produktbezogener Werbung mit Testergebnissen geschieht.<br />
4 Fazit<br />
Im Artikel wurden verschiedene Ansätze für e<strong>in</strong>e erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Kommunikation aufgezeigt. Vorausgesetzt wurde dabei jedoch, dass das kommunizierende<br />
Unternehmen sowohl qualitativ als auch f<strong>in</strong>anziell attraktive Leistungen anbietet<br />
<strong>und</strong> im Verhältnis zum Durchschnitt se<strong>in</strong>er Mitbewerber tatsächlich e<strong>in</strong>e herausgehobene<br />
Stellung <strong>in</strong> Bezug auf Aspekte der Nachhaltigkeit e<strong>in</strong>nimmt. Die Reputation, e<strong>in</strong><br />
sozial-ökologisch besonders verantwortliches Unternehmen zu se<strong>in</strong>, lässt sich nur aufbauen<br />
<strong>und</strong> langfristig erhalten, wenn tatsächlich e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche Verantwortungsübernahme<br />
besteht. Re<strong>in</strong>es „W<strong>in</strong>dow Dress<strong>in</strong>g“ macht e<strong>in</strong>en langfristigen Kommunikationserfolg<br />
nicht nur unmöglich, sondern birgt <strong>in</strong> sich erhebliche Risiken für<br />
die Reputation <strong>und</strong> den Markenwert von Unternehmen (z.B. Dyllick/Belz 1994, S. 66-<br />
67). Im Vergleich zu abstrakteren <strong>und</strong> subjektiveren Imageausrichtungen wie Dynamik,<br />
Jugendlichkeit, Geborgenheit oder Fre<strong>und</strong>lichkeit lässt sich die sozialökologische<br />
Verantwortungsübernahme von Unternehmen eher an konkreten Standards<br />
festmachen <strong>und</strong> überprüfen. Wer diese selbst gesetzten <strong>und</strong> kommunizierten hohen<br />
Standards durch eigenes Verschulden nicht erreicht, schneidet letztlich schlechter<br />
ab, als e<strong>in</strong> Unternehmen, das <strong>in</strong> diesem Bereich von vornhere<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Profil zeigt.<br />
Wichtige Wettbewerbspotenziale werden jedoch <strong>in</strong> beiden Fällen verschenkt. Je mehr<br />
Unternehmen dies erkennen, umso wahrsche<strong>in</strong>licher wird, dass werben & verkaufen<br />
se<strong>in</strong>e Titelschlagzeile „Öko-Werbung ist out“ bald ergänzt um den wesentlichen Zusatz<br />
„- aber <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation ist <strong>in</strong>!“.
72 Ulf Schrader<br />
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<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel:<br />
Theoretische Überlegungen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
1 E<strong>in</strong>führung<br />
Werbung für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dilemma:<br />
E<strong>in</strong>erseits soll sie gemäß Aussagen von Konsumenten besonders glaubwürdig se<strong>in</strong>,<br />
andererseits aber auch unterhaltsam (Katz 2002, S. 284). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
soll nicht nur wichtige Sach<strong>in</strong>formationen über die sozial-ökologische Vorteilhaftigkeit<br />
von nachhaltigen Produkten <strong>und</strong> Leistungen vermitteln, sondern auch Emotionen<br />
<strong>und</strong> Lebensstil. Mit anderen Worten: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung bewegt sich im Spannungsfeld<br />
von Information <strong>und</strong> Animation (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). In dem<br />
vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass während der 1990er Jahre e<strong>in</strong><br />
Wandel <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen stattgef<strong>und</strong>en hat.<br />
Dies lässt sich bezüglich Gestaltung <strong>und</strong> Argumente der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung wie<br />
folgt spezifizieren:<br />
1. These: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stellt weniger Informationen <strong>und</strong> vermehrt Emotionen<br />
<strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Der Animationsnutzen gew<strong>in</strong>nt gegenüber dem Informationsnutzen<br />
zunehmend an Bedeutung (Gestaltung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung).<br />
2. These: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung hebt die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Vorteile von<br />
Produkten nicht mehr per se als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmale hervor, sondern verknüpft<br />
sie mit <strong>in</strong>dividuellen Nutzen- oder Kostenkriterien zu Motivallianzen (Argumente der<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung).<br />
Diese beiden Thesen werden <strong>in</strong> dem vorliegenden Beitrag näher erläutert <strong>und</strong> empirisch<br />
getestet. Untersuchungs- bzw. Analyseobjekte s<strong>in</strong>d Werbeanzeigen für nachhaltige<br />
Lebensmittelprodukte, die im Zeitraum von Januar 1993 bis Dezember 2002 <strong>in</strong> der<br />
Coop-Zeitung erschienen s<strong>in</strong>d. Die Wahl fiel auf Lebensmittel, weil sie e<strong>in</strong>e große<br />
Rolle im (Alltags-) Leben spielen <strong>und</strong> weil <strong>in</strong> diesem Produktbereich sozialökologische<br />
Aspekte schon seit längerem e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung haben. Unter<br />
nachhaltigen Lebensmittelprodukten werden biologisch angebaute, tierfre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong><br />
fair gehandelte Produkte subsummiert. In der Untersuchung wird biologisch angebau-
76 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
ten <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>lichen Lebensmitteln besonderes Augenmerk geschenkt, die unter<br />
der 1993 lancierten Handelsmarke Coop Naturaplan geführt werden. Im Jahr 2003 belief<br />
sich der Umsatz des Coop Naturaplan auf 1,15 Mrd. Schweizer Franken, wovon<br />
jeweils r<strong>und</strong> die Hälfte des Umsatzes auf biologisch angebaute <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>liche Lebensmittelprodukte<br />
entfielen (Coop 2004a, S. 35-37). Die biologisch angebauten Produkte<br />
des Coop Naturaplan s<strong>in</strong>d mit der Knospe versehen, dem offiziellen Label der<br />
Bio Suisse, dem Dachverband der schweizerischen Biobauern. Mit e<strong>in</strong>em Anteil von<br />
knapp 50% ist Coop klarer Führer im Bio-Markt, welcher sich zu e<strong>in</strong>em wichtigen <strong>und</strong><br />
wachsenden Teilsegment des schweizerischen Lebensmittelmarktes entwickelt hat<br />
(Villiger 2000, S. 223-250; Belz 2004, S. 104-109). Darüber h<strong>in</strong>aus werden <strong>in</strong> der Untersuchung<br />
auch fair gehandelte Lebensmittelprodukte berücksichtigt, die mit dem<br />
Max-Havelaar-Label ausgezeichnet s<strong>in</strong>d. Im Jahr 2003 erzielte Coop e<strong>in</strong>en Umsatz<br />
von mehr als 80 Mio. Schweizer Franken mit Max-Havelaar-Produkten (Kaffee, Tee,<br />
Honig, Bananen usw.). Damit verkauft Coop weltweit am meisten Fair Trade-Produkte<br />
(Coop 2004b, S. 29).<br />
Die Coop-Zeitung ist mit e<strong>in</strong>er offiziell beglaubigten Auflage von mehr als 1,5 Mio.<br />
e<strong>in</strong>e der größten Wochenzeitungen der Schweiz. Sie wird kostenlos an <strong>in</strong>teressierte<br />
Haushalte versendet <strong>und</strong> enthält neben Werbeanzeigen Artikel zu aktuellen gesellschaftspolitischen,<br />
sozialen, kulturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Themen. Im untersuchten<br />
Zeitraum 1993-2002 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt über 500 Coop-Zeitungen erschienen. Um den<br />
Aufwand für die Datenerhebung überschaubar zu halten, wurde e<strong>in</strong>e Teilerhebung<br />
vorgenommen, d.h. jede zehnte Wochenzeitung berücksichtigt. Insgesamt wurden 363<br />
Anzeigen aus fünfzig Coop-Zeitungen kategorisiert, systematisiert <strong>und</strong> anhand e<strong>in</strong>er<br />
quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Inhaltsanalyse näher untersucht. E<strong>in</strong>e derartige Inhaltsanalyse<br />
kann def<strong>in</strong>iert werden als e<strong>in</strong>e empirische Forschungsmethode zur systematischen<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong>tersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung <strong>und</strong> Analyse <strong>in</strong>haltlicher<br />
<strong>und</strong> formaler Merkmale von Mitteilungen (Früh 2001, S. 119; Mayr<strong>in</strong>g 2002). „Mitteilungen“<br />
be<strong>in</strong>halten neben Texten auch Bilder. „Systematisch“ bedeutet, dass neben der<br />
klaren Festlegung der Untersuchungsobjekte, des Untersuchungszeitraums <strong>und</strong> der<br />
Stichprobe für die Beschreibung <strong>und</strong> Analyse der Mitteilungen bereits vor der Inhaltsanalyse<br />
e<strong>in</strong> Kategorien- bzw. Auswertungsschema erarbeitet wird. Die Erstellung e<strong>in</strong>es<br />
e<strong>in</strong>heitlichen Kategoriensystems ist e<strong>in</strong> zentraler Schritt im Rahmen der empirischen<br />
Inhaltsanalyse (Mayr<strong>in</strong>g 1997, S. 56-95; Früh 2001, S. 141-151). E<strong>in</strong>e notwendige<br />
Voraussetzung für die Konstruktion e<strong>in</strong>es brauchbaren Kategoriensystems ist –<br />
wie bei anderen Erhebungsmethoden auch – e<strong>in</strong>e gründliche theoretische Aufarbeitung<br />
des Forschungsproblems (Flick 2002; Mayr<strong>in</strong>g 2002). Das Kategoriensystem zur Er-
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 77<br />
fassung <strong>und</strong> Analyse der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte leitet<br />
sich aus den beiden Thesen <strong>und</strong> den entsprechenden theoretischen (Vor-)<br />
Überlegungen ab. Es besteht aus 24 Variablen wie Ersche<strong>in</strong>ungsjahr, Anzeigentyp,<br />
Anzeigengröße, Bildflächenanteil, Textanteil, Bildmotive, Headl<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Produktgruppe<br />
(siehe Anhang). Die umfangreichen Datensätze wurden <strong>in</strong> Version 11 von SPSS<br />
(Statistical Package for the Social Sciences) e<strong>in</strong>gegeben <strong>und</strong> näher analysiert<br />
(Bühl/Zöfel 2002).<br />
Das Kapitel 2 widmet sich der These, dass während der letzten Jahre e<strong>in</strong> Wandel von<br />
<strong>in</strong>formations- zu emotionsbezogener <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat. Das<br />
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der These, dass sozial-ökologische Vorteile e<strong>in</strong>es Produktes<br />
nicht mehr per se vermarktet werden, sondern mit herkömmlichen Kaufkriterien<br />
zu Motivallianzen verknüpft werden. Dabei wird jeweils zweistufig vorgegangen:<br />
Im ersten Schritt werden die beiden Thesen anhand von theoretischen Überlegungen<br />
hergeleitet <strong>und</strong> im zweiten Schritt empirisch anhand des Datenmaterials untersucht. Im<br />
Kapitel 4 folgen e<strong>in</strong>e kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse sowie<br />
Schlussfolgerungen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>.<br />
2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Spannungsfeld<br />
von Information <strong>und</strong> Animation<br />
Theoretische Überlegungen<br />
Aus <strong>in</strong>formationsökonomischer Sicht kann man drei verschiedene Produkteigenschaften<br />
unterscheiden: Such-, Erfahrungs- <strong>und</strong> Vertrauenseigenschaften (Darby/Karni<br />
1973, S. 67-88; Kaas 1990a, S. 542-543). Die Sucheigenschaften e<strong>in</strong>es Produktes lassen<br />
sich von den Konsumenten vor oder während des Kaufs durch bloße Inspektion<br />
feststellen (z.B. Farbe oder Preis e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes). Erfahrungseigenschaften<br />
können erst nach dem Kauf, also erst durch den Gebrauch oder Verbrauch e<strong>in</strong>es<br />
Produktes, ermittelt werden (z.B. Geschmack oder Kochzeit e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes).<br />
Vertrauenseigenschaften dagegen können von den Konsumenten weder vor<br />
noch nach dem Kauf festgestellt oder nur zu prohibitiv hohen Kosten überprüft werden<br />
(z.B. Anbauweise e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes).<br />
Sozial-ökologische Produkteigenschaften können Such-, Erfahrungs-, Vertrauenseigenschaften<br />
oder e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation der drei Eigenschaftstypen se<strong>in</strong>: Bei Recycl<strong>in</strong>gpapier<br />
kann man aus der grauen Farbe schließen, dass es aus Altpapier besteht (Sucheigenschaft).<br />
Der Benz<strong>in</strong>verbrauch e<strong>in</strong>es Autos lässt sich beim Gebrauch ermitteln (Erfahrungseigenschaft).<br />
Ob Fair Trade-Produkte tatsächlich ohne K<strong>in</strong>der- oder Sklaven-
78 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
arbeit hergestellt werden, kann vom K<strong>und</strong>en kaum oder nur zu prohibitiv hohen Kosten<br />
überprüft werden (Vertrauenseigenschaft). E<strong>in</strong> Produkt mit komb<strong>in</strong>ierten Eigenschaftstypen<br />
ist bspw. e<strong>in</strong> frisches Bio-Brot mit knuspriger Kruste (Sucheigenschaft),<br />
das gut schmeckt (Erfahrungseigenschaft) <strong>und</strong> aus biologisch angebautem Getreide<br />
hergestellt wurde (Vertrauenseigenschaft) (Kaas/Busch 1996, S. 244). Bestehen die<br />
sozial-ökologischen Produkteigenschaften aus Erfahrungs- <strong>und</strong>/oder Vertrauenseigenschaften,<br />
erhöhen sich für den Nachfrager die Informations- <strong>und</strong> Kontrollkosten. Die<br />
Überprüfbarkeit ist bei sozial-ökologischen Sucheigenschaften am größten, nimmt bei<br />
sozial-ökologischen Erfahrungseigenschaften ab <strong>und</strong> ist bei sozial-ökologischen Vertrauenseigenschaften<br />
nur noch durch zusätzliche Maßnahmen von Anbietern oder Dritten<br />
wie bspw. durch den Staat oder durch Verbraucherorganisationen möglich.<br />
Sozial-ökologische Merkmale führen also je nach Produkteigenschaften zu unterschiedlich<br />
großer Unsicherheit bei den K<strong>und</strong>en, die zum Nichtkauf e<strong>in</strong>es sozialökologischen<br />
Produktes führen kann (Bänsch 1990, 375-376; Hüser 1993, S. 269).<br />
Daraus folgt, dass die Vermittlung von sachbezogenen Informationen e<strong>in</strong>e große Rolle<br />
bei der Werbung für nachhaltige Produkte spielt. Dies kommt <strong>in</strong> Werbeanzeigen zum<br />
Ausdruck, die schlicht gestaltet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> längere erläuternde Textpassagen mit H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen<br />
zu sozial-ökologischen Themen enthalten. E<strong>in</strong>e solche <strong>in</strong>formationslastige<br />
Werbung mag zwar <strong>in</strong> hohem Maß glaubwürdig se<strong>in</strong>, ist jedoch wenig animierend.<br />
Hier kommt das „Informationsparadoxon“ zum Tragen: Konsumenten können<br />
Informationen erst dann richtig bewerten, wenn sie den Inhalt kennen; werden sie<br />
aber nicht durch e<strong>in</strong>fache Signale animiert, nehmen sie die <strong>in</strong> der Werbung enthaltenen<br />
Informationen nicht auf (Kaas 1990b, S. 497). Mit anderen Worten: Werbung bef<strong>in</strong>det<br />
sich im Spannungsfeld von Information <strong>und</strong> Animation. Dies gilt für Werbung im Allgeme<strong>in</strong>en<br />
<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Besonderen (Hüser/Mühlenkamp 1992,<br />
S. 151-152). Dabei ist zu beachten, dass die Konsumenten es mit der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Werbung genauer nehmen <strong>und</strong> diese besonders argwöhnisch betrachten. Dies ist damit<br />
zu begründen, dass es sich bei Ökologie <strong>und</strong> Nachhaltigkeit um ernsthafte Themen<br />
handelt <strong>und</strong> dass Öko-/<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Produkte <strong>in</strong> der Regel mehr kosten (Katz 2002,<br />
S. 276).<br />
Der Informations- <strong>und</strong> Animationsnutzen der Werbung wird nicht von allen Personen<br />
gleich beurteilt. Es gibt personenspezifische Unterschiede <strong>in</strong> der Nachfrage nach Werbung<br />
(Kaas 1990b, S. 496). Im Kontext der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung ist es s<strong>in</strong>nvoll,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Annäherung zwischen drei verschiedenen Gruppen zu unterscheiden:<br />
Sozial-ökologische Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe<br />
ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert <strong>und</strong> bereit, sich damit
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 79<br />
näher ause<strong>in</strong>ander zu setzen. Sie s<strong>in</strong>d generell eher skeptisch gegenüber der Werbung<br />
e<strong>in</strong>gestellt <strong>und</strong> erwarten, dass sie <strong>in</strong>formativ <strong>und</strong> glaubwürdig ist. Die zweite Gruppe<br />
ist zwar offen gegenüber sozial-ökologischen Anliegen, aber nur bed<strong>in</strong>gt bereit, dafür<br />
Zeit <strong>und</strong> Mühe auf sich zu nehmen. Sie s<strong>in</strong>d offener gegenüber Werbung <strong>und</strong> erwarten,<br />
dass sie nicht nur <strong>in</strong>formiert, sondern auch animiert. Die dritte Gruppe kann wenig<br />
mit sozial-ökologischen Argumenten anfangen <strong>und</strong> schätzt den Informationsnutzen<br />
sehr niedrig e<strong>in</strong>. Es ist davon auszugehen, dass diese Gruppen von e<strong>in</strong>fach gestalteten<br />
Schwarz-Weiß-Anzeigen <strong>und</strong> langen Textpassagen eher abgeschreckt als angesprochen<br />
werden.<br />
Je nachdem, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen, ist der Informationsoder<br />
Animationsnutzen stärker zu gewichten: In diesem Zusammenhang kann man<br />
zwischen sachlich-argumentativer, emotional-argumentativer <strong>und</strong> re<strong>in</strong> emotionaler<br />
Werbung unterscheiden (Lichtl 1999, S. 53-57). Sachlich-argumentative Werbung basiert<br />
primär auf Textargumentationen <strong>und</strong> erwartet vom Empfänger e<strong>in</strong>e rationale<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Informationen. Emotional-argumentative Werbung verwendet<br />
emotionale Stilmittel wie bspw. schöne Naturbilder, assoziative Wörter <strong>und</strong><br />
Headl<strong>in</strong>es, um positive Gefühle beim Rezipienten auszulösen. Die zentralen Werbebotschaften<br />
bleiben zwar sachlich-argumentativ, werden aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en emotionalisierenden<br />
Kontext e<strong>in</strong>gebettet. Re<strong>in</strong> emotionale Werbung, sog. „Ecota<strong>in</strong>ment“, welches<br />
sich aus „Ecology“ <strong>und</strong> „Enterta<strong>in</strong>ment“ ableitet, geht <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht am weitesten<br />
<strong>und</strong> vermittelt die Botschaften emotional unter Verzicht auf sachliche Argumente<br />
(Lichtl 1999, S. 57). Informativ-argumentative Werbung eignet sich <strong>in</strong>sbesondere, um<br />
die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktiven anzusprechen. Emotional-argumentative<br />
Werbung richtet sich an die sozial-ökologisch Aktivierbaren, während radikalemotionale<br />
Werbung möglicherweise auch die sozial-ökologisch Passiven anspricht<br />
<strong>und</strong> Verhaltensveränderungen bewirkt (Belz 2001, S. 87-90). E<strong>in</strong>e solche Zuordnung<br />
ist idealtypisch <strong>und</strong> beruht auf e<strong>in</strong>er statischen Betrachtung. Die Tonalität der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
kann sich im Zeitablauf erheblich ändern: So hat bspw. e<strong>in</strong>e Inhaltsanalyse<br />
von ausgewählten Publikumszeitschriften (Stern, Manager Magaz<strong>in</strong>, Natur,<br />
Brigitte, ADAC, Hörzu, Spiegel) im Zeitraum von 1985 bis 1991 e<strong>in</strong>e deutliche<br />
H<strong>in</strong>wendung zu e<strong>in</strong>er stärker emotionalen Werbung ergeben (Meffert/Kirchgeorg<br />
1998, S. 318-319). Es liegt die Vermutung nahe, dass die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
e<strong>in</strong>e Art Lebenszyklus durchläuft <strong>und</strong> – ähnlich wie die herkömmliche Werbung –<br />
immer weniger Text, dafür aber um so mehr Bilder <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e zunehmend erlebnisbetonte<br />
Ansprache der Konsumenten verwendet (Kroeber-Riel 1993, S. 8-9). Diese Annahme<br />
wird im nächsten Kapitel am Beispiel von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten im
80 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
schweizerischen Lebensmittelmarkt untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass<br />
während der 1990er Jahre e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formativ-argumentativer zu emotionalargumentativer<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung zu erkennen ist, d.h. dass der Animationsnutzen<br />
gegenüber dem Informationsnutzen <strong>in</strong> der Werbung für Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-<br />
Produkte zunehmend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt.<br />
Empirische Untersuchung<br />
Betrachtet man die Werbung für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> der Coop-Zeitung<br />
1993-2002, fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Anzeigen <strong>in</strong> diesem<br />
Zeitraum erheblich gestiegen ist: Waren es 1993-1997 maximal 15 Anzeigen jährlich,<br />
so nahm die Anzahl <strong>in</strong> den Folgejahren kont<strong>in</strong>uierlich zu. Im Jahr 2002 schaltete Coop<br />
bereits über 100 Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> der<br />
Coop-Zeitung, was durchschnittlich etwa zwei Anzeigen pro Ausgabe entspricht. Dies<br />
lässt auf die zunehmende Bedeutung <strong>und</strong> strategische Relevanz der Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte<br />
im Rahmen des Coop-Sortiments schließen. Neben der re<strong>in</strong> quantitativen<br />
Steigerung fallen aber auch qualitative Veränderungen der Werbeanzeigen h<strong>in</strong>sichtlich<br />
Bildflächenanteil, Bildmotive, Anzeigentypen, Anzeigengröße <strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es auf.<br />
Untersucht man das Bild-Text-Verhältnis, so wäre im S<strong>in</strong>ne der Emotionalisierung anzunehmen,<br />
dass der durchschnittliche Bildflächenanteil im Laufe der Jahre stetig zulasten<br />
des Textanteil steigt. Dies ist überraschenderweise nicht festzustellen. Sowohl<br />
am Anfang als auch am Ende der untersuchten Zeitperiode beträgt der durchschnittliche<br />
Bildflächenanteil e<strong>in</strong>er Werbeanzeige r<strong>und</strong> 60%, während der Textflächenanteil<br />
40% ausmacht. Dieses Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Text ist mit Ausnahme von zwei Jahren<br />
relativ konstant. 1995 ist e<strong>in</strong>e Abnahme der Bildfläche zugunsten des Textanteils<br />
erkennbar. 1996 beträgt der Bildflächenanteil nur noch 35%. In den folgenden Jahren<br />
wächst der Bildflächenanteil wieder bis zum Ausgangswert. Untersucht man das Bild-<br />
Text-Verhältnis differenziert nach der Anzeigengröße, ergibt sich e<strong>in</strong> vergleichbares<br />
Ergebnis: Sowohl die Anzeigen, welche m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Seite groß s<strong>in</strong>d, als auch die<br />
Anzeigen, welche höchstens 0,25 Seiten betragen, weisen 1993 <strong>und</strong> 2002 praktisch das<br />
gleiche Bild-Text-Verhältnis auf. E<strong>in</strong>zig bei den 0,5-0,75-seitigen Anzeigen ist e<strong>in</strong>e<br />
Steigerung des Bildflächenanteils, <strong>in</strong> den Jahren 2001 <strong>und</strong> 2002 bis zu 100%, feststellbar.<br />
Auch hier s<strong>in</strong>d 1995 <strong>und</strong> 1996 die „bildflächenschwächsten“ bzw. „textflächenstärksten“<br />
Jahre.<br />
Vergleicht man die Verwendung der Bildmotive zwischen 1993 <strong>und</strong> 2002, so dom<strong>in</strong>ieren<br />
<strong>in</strong> allen Jahren Produktabbildungen. 1995 gew<strong>in</strong>nen jedoch andere Bildmotive, wie<br />
z.B. Bauernmotive, Landschafts- <strong>und</strong> Tierabbildungen an Bedeutung. In den nächsten
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 81<br />
Jahren rücken Produktabbildungen wieder <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
untersuchten Anzeigentypen kann man unterscheiden zwischen:<br />
� Produktanzeigen ohne Text,<br />
� Produktanzeigen mit Text,<br />
� redaktionelle Textbeiträge,<br />
� Rezepte <strong>und</strong><br />
� Anzeigen e<strong>in</strong>er Kompetenzmarke ohne Produktbezug.<br />
Die Werbeanzeigen mit der Kompetenzmarke ohne Produktbezug haben vor allem <strong>in</strong><br />
der E<strong>in</strong>führungsphase des Coop Naturaplan 1993-1995 e<strong>in</strong>e besondere Relevanz gehabt.<br />
Seit dem Jahr 1996 kommen diese Anzeigen nicht mehr oder nur noch sehr selten<br />
vor. Die Produktanzeigen s<strong>in</strong>d 1995 erstmals <strong>in</strong> der Coop-Zeitung erschienen <strong>und</strong><br />
nehmen seither kont<strong>in</strong>uierlich zu. Im Jahr 2002 hatten sie mit 75% aller Anzeigentypen<br />
die bei weitem größte Bedeutung. Die redaktionellen Textbeiträge s<strong>in</strong>d 1995 am<br />
stärksten vertreten <strong>und</strong> ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den darauf folgenden Jahren nur noch selten. Bei<br />
näherer Betrachtung der redaktionellen Beiträge fällt auf, dass von 1995 bis 1997 vermehrt<br />
über das transformative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) von Coop<br />
berichtet wird. In den übrigen Jahren s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Besonderheiten oder Regelmäßigkeiten<br />
bezüglich der Art des redaktionellen Textbeitrags festzustellen. Ab dem Jahr 1997<br />
f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> jeder Ausgabe der Coop-Zeitung Rezepte, bei welchen die Zutaten, die<br />
<strong>in</strong> biologischer Qualität <strong>in</strong> den Coop-Läden erhältlich s<strong>in</strong>d, besonders gekennzeichnet<br />
werden.<br />
Die Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> den Jahren 1993 <strong>und</strong> 1994 weisen e<strong>in</strong>en vorwiegend <strong>in</strong>formativen<br />
<strong>und</strong> aufklärenden Charakter auf. Coop <strong>in</strong>formiert die Konsumenten über die neue<br />
Handelsmarke Coop Naturaplan <strong>und</strong> fordert sie gleichzeitig zu umweltbewusstem<br />
Handeln auf: „Was es mit Naturaplan, Natural<strong>in</strong>e <strong>und</strong> OECOplan auf sich hat“, „Über<br />
Bio aufklären“, „Damit schützen wir die Natur“ oder „Coop Naturaplan. Br<strong>in</strong>gen<br />
wir die Natur <strong>und</strong> Umwelt <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang. Helfen Sie mit!“. In e<strong>in</strong>zelnen Headl<strong>in</strong>es werden<br />
neben den biologischen Aspekten auch herkömmliche Produkteigenschaften angesprochen:<br />
„Eier aus natürlicher Haltung. Und darum so gut“. Von 1995 bis 1996<br />
werden mit den Headl<strong>in</strong>es Bauern für e<strong>in</strong>e künftige Zusammenarbeit motiviert: „Was<br />
nun Bauern“, „Coop sucht Bauern mit Hang zum Biologischen“. Auch tritt der Aspekt<br />
der Glaubwürdigkeit <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Coop versucht das Vertrauen der Konsumenten<br />
zu stärken: „Coop hält ihr Versprechen“ oder auch „Scharf kontrollierte<br />
Bauern“. Der Aspekt der Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> des Vertrauens hat durchgehend e<strong>in</strong>e
82 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
große Bedeutung <strong>und</strong> wird immer wieder <strong>in</strong> den Werbeanzeigen betont. Als Beispiel<br />
sei e<strong>in</strong>e Anzeige der Coop-Zeitung Nr. 1 des Jahres 2003 genannt: „Sie s<strong>in</strong>d kritisch<br />
gegenüber Bio-Produkten? Wir auch“. Zwischen 1997 <strong>und</strong> 2002 beziehen sich die<br />
Headl<strong>in</strong>es vor allem auf herkömmliche Kaufkriterien wie z.B. Frische, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Genuss, Convenience etc.: „So grün wie frisch“, „Der Geschmack von Freiheit <strong>und</strong><br />
Abenteuer“, „Wahrhaftig kernges<strong>und</strong>“, „Aus Liebe zum Leben“, „Stück für Stück e<strong>in</strong><br />
natürlicher Genuss“, „Frischteigwaren von Coop Naturaplan: E<strong>in</strong> schneller Genuss“.<br />
2001 ist e<strong>in</strong>e weitere Besonderheit <strong>in</strong> der Entwicklung der Headl<strong>in</strong>es erkennbar. Die<br />
sozial-ökologischen Produkte werden häufig mit Lebensfreude, Spaß <strong>und</strong> Lifestyle <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung gebracht: „So macht’s Freude“, „Erlebnistage für die ganze Familie“,<br />
„Lebensfreude“, „Bio-Chipsen macht Spaß“ oder auch „An jeder Party mit von der<br />
Partie“.<br />
Wie lassen sich diese empirischen Daten <strong>in</strong>terpretieren? Betrachtet man den Bild-Text-<br />
Anteil <strong>in</strong> den Anzeigen, so lässt sich ke<strong>in</strong>e Ausweitung der Bildfläche feststellen. Die<br />
meisten größeren Anzeigen weisen e<strong>in</strong>ige Textzeilen auf, welche über die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen,<br />
die Kompetenzmarken oder die Labels berichten. Der Text vermittelt<br />
Sach<strong>in</strong>formationen, die e<strong>in</strong>gesetzten Labels (Knospe, Max Havelaar) Vertrauen <strong>und</strong><br />
Glaubwürdigkeit. Bei den Bildmotiven werden mehrheitlich Produktabbildungen statt<br />
emotionale (Natur-) Bilder verwendet. Unter diesen beiden Gesichtspunkten kann die<br />
These nicht bestätigt werden, dass es zu e<strong>in</strong>er stärkeren Emotionalisierung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
kommt. Anders sieht es aus, wenn man sich die Anzeigentypen<br />
<strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es betrachtet: Während die <strong>in</strong>formativen Anzeigen <strong>und</strong> redaktionellen<br />
Textbeiträge immer seltener werden, gew<strong>in</strong>nen die Kle<strong>in</strong>anzeigen <strong>und</strong> neue emotionalere<br />
Anzeigentypen vermehrt an Bedeutung (Beispiel: Rezepte, die mit schön gestalteten<br />
Farbbildern von Gerichten versehen werden). Und während die Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> der<br />
E<strong>in</strong>führungsphase des Coop Naturaplan vor allem zur Information der Konsumenten<br />
e<strong>in</strong>gesetzt wurden, prägen gegen Ende der Untersuchungsperiode vermehrt emotionale<br />
<strong>und</strong> assoziative Wörter den Stil der Kopfzeilen. Im Jahr 2001 s<strong>in</strong>d mit der Organisation<br />
von Erlebnistagen oder mit den positiven <strong>und</strong> lebensfre<strong>und</strong>lichen Assoziationen die<br />
ersten Ansätze e<strong>in</strong>es Ecota<strong>in</strong>ments erkennbar. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte<br />
kann die e<strong>in</strong>gangs formulierte These bestätigt werden. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
weist vermehrt emotionale Stilelemente auf.<br />
Interessant ist die Entwicklung der Anzeigen <strong>in</strong> den Jahren 1995 <strong>und</strong> 1996: Während<br />
der Bildanteil zugunsten des Textanteils abnimmt, erreichen die redaktionellen Textbeiträge<br />
1995 ihren höchsten Stand. Dabei wird hauptsächlich über das transformative<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Coop oder über die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen berichtet.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 83<br />
Das Jahr 1995 kann bezüglich Bildmotiven als das variationsreichste Jahr bezeichnet<br />
werden. Häufig werden Bauernmotive, Landschafts- oder Tierabbildungen e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Die Headl<strong>in</strong>es der Anzeigen richten sich vermehrt an potenzielle Bio-Bauern oder unterstreichen<br />
den Aspekt der Glaubwürdigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Engpass<br />
nicht im Absatz-, sondern vielmehr im Beschaffungsmarkt. Daher hat Coop im<br />
S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Gleichgewichts-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht nur Absatz-, sondern auch e<strong>in</strong> aktives<br />
Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g betrieben (Belz 1997, S. 88-89). Mit den Werbeanzeigen wird<br />
Phase Jahre<br />
Bild-Text-<br />
Verhältnis<br />
Informativ 1993-1994 � 60% Bild<br />
Informativpolitisch <br />
Informativemotional <br />
Emotional<strong>in</strong>formativ<br />
� 40% Text<br />
1995-1996 � 39% Bild<br />
� 61% Text<br />
1997-1999 � 58% Bild<br />
� 42% Text<br />
2000-2002 � 52% Bild<br />
� 48% Text<br />
Vorwiegendes<br />
Bildmotiv<br />
Vorwiegender<br />
Anzeigentyp<br />
� Produkt � Produktanzeigen<br />
mit Text<br />
� Produkt<br />
� Bauernmotiv<br />
� Person<br />
� Tier<br />
� Landschaft<br />
� Natur<br />
� Produkt<br />
� Andere<br />
� Produkt<br />
� Andere<br />
� Kompetenzmarkenanzeige<br />
� Redaktioneller<br />
Textbeitrag<br />
� Redaktioneller<br />
Textbeitrag<br />
� Produktanzeigen<br />
mit Text<br />
� Kompetenzmarkenanzeige<br />
� Produktanzeigen<br />
mit Text<br />
� Kle<strong>in</strong>anzeigen<br />
� Rezepte<br />
� Redaktioneller<br />
Textbeitrag<br />
� Produktanzeigen<br />
mit Text<br />
� Kle<strong>in</strong>anzeigen<br />
Tabelle 1: Vier Phasen der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte 1993-2002<br />
Headl<strong>in</strong>es<br />
� Aufklärung <strong>und</strong><br />
Information der<br />
Konsumenten<br />
� Motivation<br />
künftiger Bio-<br />
Bauern<br />
� Weiterer Aufbau<br />
von Vertrauen<br />
� Bekräftigung<br />
der Glaubwürdigkeit<br />
� Herkömmliche<br />
Kaufkriterien<br />
� Herkömmliche<br />
Kaufkriterien<br />
das Engagement von Coop für die Umwelt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e artgerechte Tierhaltung unterstrichen.<br />
Aussagekräftige Bild- <strong>und</strong> Wortmeldungen aus dem Schweizer Bio-Landbau<br />
sollen das neue Image von Coop prägen (Wienröder 2001, S. 36-37).
84 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
Zusammenfassend kann die Entwicklung der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte,<br />
<strong>in</strong>sbesondere Bio-Produkte, am Beispiel der Coop-Zeitung <strong>in</strong> vier Phasen<br />
unterteilt werden: Informative, <strong>in</strong>formativ-politische, <strong>in</strong>formativ-emotionale <strong>und</strong><br />
emotional-<strong>in</strong>formative Phase (Tab. 1).<br />
Die <strong>in</strong>formative Phase ist mit der Lancierung des Coop Naturaplan gleichzusetzen<br />
(1993-1994). Sowohl Produktanzeigen als auch Kompetenzmarken-Anzeigen bestehen<br />
zu ungefähr 60% aus Bild <strong>und</strong> zu 40% aus Text. Das Hauptmotiv stellt <strong>in</strong> den meisten<br />
Fällen das Produkt selbst dar. Der Text bezieht sich auf die biologischen Produkteigenschaften<br />
oder liefert Informationen zu den verschiedenen Kompetenzmarken. Auch<br />
die Headl<strong>in</strong>es stehen im Lichte der Aufklärung von biologischen Produkteigenschaften<br />
oder der Überzeugung von Konsumenten.<br />
Die <strong>in</strong>formativ-politische Phase bezieht sich auf die Jahre 1995 <strong>und</strong> 1996. Während<br />
ganzseitige Anzeigen um künftige Bio-Bauern werben, <strong>in</strong>formieren zahlreiche redaktionelle<br />
Beiträge über das Engagement von Coop für die Schweizer Bio-<br />
Landwirtschaft e<strong>in</strong>erseits oder über die sozial-ökologischen Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />
andererseits. Die meisten Abbildungen zeigen Bauernmotive, Tier- oder Naturbilder.<br />
Die Headl<strong>in</strong>es richten sich gezielt an die schweizerischen Bauern als Lieferanten der<br />
Bioprodukte. Darüber h<strong>in</strong>aus sendet Coop aber auch positive Signale an die schweizerische<br />
Agrarpolitik, die vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der GATT-Verhandlungen <strong>und</strong> der<br />
schrittweisen Liberalisierung der weltweiten Agrar- <strong>und</strong> Lebensmittelmärkte seit Anfang<br />
der 1990er e<strong>in</strong>e Reformpolitik für „Mehr Markt <strong>und</strong> mehr Ökologie“ verfolgt<br />
(Schweizerischer B<strong>und</strong>esrat 1992, S. 283-292; Belz 2004, S. 104-109).<br />
Die Jahre 1997-1999 kennzeichnen die <strong>in</strong>formativ-emotionale Phase. Die <strong>in</strong>formativen<br />
Aspekte beziehen sich dabei auf den hohen Textanteil der Anzeigen, die vorwiegenden<br />
Produktabbildungen sowie Headl<strong>in</strong>es, welche auf umwelt- <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>lichen Produkteigenschaften<br />
basieren. Die emotionale Seite wird durch die E<strong>in</strong>führung der Naturaplan-Rezepte,<br />
aber auch durch die immer größer werdende Anzahl von Headl<strong>in</strong>es,<br />
welche vermehrt herkömmliche Produkteigenschaften (Geschmack, Genuss, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Frische etc.) ansprechen, bestimmt.<br />
Die Jahre von 2000 bis 2002 können als emotional-<strong>in</strong>formative Phase bezeichnet werden.<br />
Neben den emotionalen Aspekten, die verstärkt <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> treten, spielen<br />
<strong>in</strong>formative Aspekte <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung nach wie vor e<strong>in</strong>e Rolle.<br />
Zum e<strong>in</strong>en beziehen sich die Bildmotive immer noch mehrheitlich auf die Produkte<br />
selbst, zum anderen werden immer wieder ganzseitige Anzeigen den Informationen zu<br />
den Kompetenzmarken oder der Glaubwürdigkeit nachhaltiger Produkteigenschaften
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 85<br />
gewidmet. Dabei ist zu beachten, dass wegen des für nachhaltige Produkte spezifischen<br />
Glaubwürdigkeitsproblems die Werbeanzeigen auch <strong>in</strong> Zukunft immer zu e<strong>in</strong>em<br />
gewissen Teil aus Informationen bestehen werden.<br />
Als Fazit kann festgehalten werden: Die erste These kann weitgehend bestätigt werden.<br />
Anhand der empirischen Daten lässt sich belegen, dass im schweizerischen Lebensmittelmarkt<br />
e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formativ-argumentativer zu emotional-<strong>in</strong>formativer<br />
Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat. Der Animationsnutzen gew<strong>in</strong>nt gegenüber dem Informationsnutzen<br />
zunehmend an Bedeutung. Um die Glaubwürdigkeit jedoch auf Dauer zu<br />
erhalten, s<strong>in</strong>d sachbezogene Informationen <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung unerlässlich.<br />
E<strong>in</strong>e Besonderheit der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung besteht dar<strong>in</strong>, dass der Beschaffungsmarkt<br />
<strong>und</strong> die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e große Rolle spielen. Wichtige Adressaten<br />
der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung s<strong>in</strong>d nicht nur die Konsumenten, sondern auch die<br />
Produzenten, die Politik <strong>und</strong> die (kritische) Öffentlichkeit. Insofern kann die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
auch transformative Wirkung entfalten.<br />
3 Motivallianzen <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />
Theoretische Überlegungen<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen<br />
Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen <strong>und</strong> Kosten analysieren (Beitrag Belz).<br />
Der Nutzen umfasst neben dem Gr<strong>und</strong>nutzen e<strong>in</strong>es Produktes (Gebrauchsnutzen) auch<br />
den Zusatznutzen <strong>in</strong> Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen<br />
(Anerkennung durch andere Personen) <strong>und</strong> Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude<br />
(Vershofen 1940, S. 63-86). Bezogen auf Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte<br />
besteht der Gebrauchsnutzen zunächst im Stillen des Hungers <strong>und</strong> Löschen des Durstes,<br />
darüber h<strong>in</strong>aus aber auch im guten Geschmack der Lebensmittel. Der Selbst- <strong>und</strong><br />
Fremdachtungsnutzen besteht dar<strong>in</strong>, etwas für die natürliche Umwelt (Bioprodukte)<br />
oder soziale Umwelt (Fair Trade-Produkte) getan zu haben <strong>und</strong> dadurch Anerkennung<br />
vor sich selber oder vor anderen zu erfahren. Der Erbauungsnutzen kann durch die<br />
Zubereitung der Speisen entstehen, wobei sich jedoch biologische Lebensmittelprodukte<br />
nicht von herkömmlichen unterscheiden. Bei den Kosten s<strong>in</strong>d nicht ausschließlich<br />
der Produktpreis zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs-<br />
<strong>und</strong> Post-Verwendungskosten. Die Kosten können monetär oder nicht-monetär<br />
se<strong>in</strong>. Im H<strong>in</strong>blick auf Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte spielt der Mehrpreis gegenüber<br />
herkömmlichen Lebensmittelprodukten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, doch s<strong>in</strong>d auch die Beschaffungskosten<br />
<strong>in</strong> Form von Such-, Informations- <strong>und</strong> Wegkosten zu berücksichti-
86 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
gen. Durch die breit angelegte Werbung <strong>und</strong> den nationalen Vertrieb von Bio- <strong>und</strong> Fair<br />
Trade-Produkten hat Coop e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag geleistet, derartige Beschaffungskosten<br />
aus der Sicht des K<strong>und</strong>en zu senken <strong>und</strong> breitere Schichten für solche<br />
Produkte zu gew<strong>in</strong>nen. Bei den Verwendungskosten spielt <strong>in</strong>sbesondere die Zeit für<br />
die Zubereitung der Lebensmittel e<strong>in</strong>e Rolle. Convenience-Produkte wie bspw. frisch<br />
zubereiteter Salat oder Fertiggerichte, die nur noch erwärmt werden müssen, senken<br />
die Verwendungskosten. Post-Verwendungskosten betreffen v.a. die Abfallgebühren.<br />
Die e<strong>in</strong>zelnen Nutzen- <strong>und</strong> Kostenkategorien werden subjektiv wahrgenommen <strong>und</strong><br />
<strong>in</strong>dividuell gewichtet. Ist der Nettonutzen e<strong>in</strong>es sozial-ökologischen Produktes aus der<br />
Sicht des K<strong>und</strong>en höher als der Nettonutzen e<strong>in</strong>es herkömmlichen Produktes, wird er<br />
ersteres bevorzugen. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er solchen Nutzen-Kosten-Abwägung<br />
kann man gr<strong>und</strong>sätzlich drei verschiedene Gruppen von Verbrauchern unterscheiden:<br />
Sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe<br />
ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert <strong>und</strong> gut darüber <strong>in</strong>formiert.<br />
Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften e<strong>in</strong>en hohen Selbst<strong>und</strong><br />
Fremdachtungsnutzen. Daher s<strong>in</strong>d sie eher bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen<br />
zu machen <strong>und</strong> gegebenenfalls höhere Kosten <strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Zu dieser<br />
Gruppe kann man die e<strong>in</strong>gefleischten Bio-Fans <strong>und</strong> „Körnlipicker“ zählen. Die zweite<br />
Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften <strong>und</strong> sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
gewissen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen, ist aber nicht ohne weiteres bereit,<br />
Nutzene<strong>in</strong>bußen oder Kostenerhöhungen dafür zu akzeptieren. Die dritte Gruppe sieht<br />
ke<strong>in</strong>en Mehrwert <strong>in</strong> sozial-ökologischen Produkteigenschaften <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> der Regel<br />
weder zu Nutzene<strong>in</strong>bußen noch zu Kostenerhöhungen bereit. Soll nicht nur die Zielgruppe<br />
der sozial-ökologisch Aktiven, sondern auch die der sozial-ökologisch Aktivierbaren<br />
angesprochen werden, gilt es, den sozial-ökologischen Zusatznutzen nicht<br />
e<strong>in</strong>seitig <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu rücken, sondern geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien<br />
wie Geschmack, Ges<strong>und</strong>heit, Frische, Aussehen <strong>und</strong> Convenience zu „Motivallianzen“<br />
zu verb<strong>in</strong>den (Beiträge Belz <strong>und</strong> Schrader). Ob <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit dies im Fall<br />
von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten geschieht, wird im folgenden Kapitel näher untersucht.<br />
Empirische Untersuchung<br />
Nimmt man e<strong>in</strong>e Frequenzanalyse vor <strong>und</strong> betrachtet die Häufigkeit der Anzeigen, die<br />
Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelprodukte behandeln, dann ergeben<br />
sich <strong>in</strong>teressante Ergebnisse. In Abbildung 1 wird der jährliche Anteil der Anzeigen<br />
dargestellt, die Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelproduk-
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 87<br />
te hervorheben. Daraus wird ersichtlich, dass die Entwicklungen der Anzeigen mit<br />
Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekten im Zeitraum 1993-2002 ganz unterschiedlich verlaufen.<br />
Schon im Jahre 1993 f<strong>in</strong>den sich vere<strong>in</strong>zelt Anzeigen, die sowohl sozial-ökologische<br />
als auch herkömmliche Nutzenaspekte bewerben. Bis 1998 nimmt der Anteil dieser<br />
Werbeanzeigen zu <strong>und</strong> geht dann <strong>in</strong> den Jahren zwischen 1999 <strong>und</strong> 2002 markant zurück.<br />
Die Anzeigen, welche sich auf Kosten-Aspekte beziehen, ersche<strong>in</strong>en erstmals im<br />
Jahre 1995. Seitdem steigt ihr Anteil im Vergleich zu den anderen Anzeigen kont<strong>in</strong>uierlich.<br />
2002 f<strong>in</strong>den sich 84 Anzeigen, die sich auf Kosten-Aspekte wie Preisaktionen,<br />
Bonuspunkte oder Convenience beziehen. Dies entspricht knapp 80% sämtlicher Anzeigen<br />
<strong>in</strong> diesem Jahr. Die steigende Bedeutung der Preis- <strong>und</strong> Bonusaktionen lässt auf<br />
e<strong>in</strong>e höhere Wettbewerbs<strong>in</strong>tensität schließen, die sich durch den E<strong>in</strong>tritt der Migros <strong>in</strong><br />
das Bio-Segment <strong>und</strong> der Lancierung des M-Bio-Programms 1996/97 ergeben hat<br />
(Beitrag Borsani/Hildesheimer).<br />
Prozent der Anzeigen<br />
100%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />
Nutzen-Aspekte Kosten-Aspekte<br />
Abbildung 1: Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die Nutzen-Aspekte lässt sich differenzieren zwischen Geschmack/Genuss,<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Frische oder Lifestyle. In Abbildung 2 wird die Anzahl<br />
der Anzeigen im Zeitverlauf dargestellt, welche die unterschiedlichen Nutzen-Aspekte<br />
hervorheben. Daraus geht hervor, dass <strong>in</strong> den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan<br />
vor allem Geschmack/Genuss nachhaltiger Lebensmittelprodukte im Vordergr<strong>und</strong><br />
steht, während die anderen Nutzen-Aspekte noch nicht erwähnt werden. Im Jahr<br />
1995 werden die sozial-ökologischen Produkte erstmals mit den Adjektiven „frisch“<br />
<strong>und</strong>/oder „ges<strong>und</strong>“ beschrieben <strong>und</strong> 1997 mit „Lifestyle“ <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht.
88 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
Während die Nutzen-Aspekte Geschmack/Genuss <strong>und</strong> Lifestyle <strong>in</strong> den darauf folgenden<br />
Jahren immer häufiger genannt werden, rücken die Aspekte Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Frische<br />
immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />
Anzahl der Anzeigen<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />
Geschmack, Genuss<br />
Lifestyle<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Frische<br />
Abbildung 2: Entwicklung der Nutzen-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />
Wie lässt sich dieser Verlauf erklären? Die stärkere Betonung von Geschmack/Genuss<br />
<strong>und</strong> Lifestyle sche<strong>in</strong>t geeignet, um die nachhaltigen Lebensmittelprodukte aus der Nische<br />
herauszuführen <strong>und</strong> neben den sozial-ökologischen Aktiven <strong>in</strong>sbesondere auch<br />
die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Warum spielt die<br />
Ges<strong>und</strong>heit ke<strong>in</strong>e große Rolle <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Die Bio- <strong>und</strong> Fair<br />
Trade-Produkte werden vom Konsumenten zwar als gesünder erachtet, damit jedoch<br />
aktiv zu werben, könnte sich aus zwei Gründen als problematisch erweisen: Zum e<strong>in</strong>en<br />
fehlt der wissenschaftliche Nachweis, dass Bio-/Fair Trade-Produkte tatsächlich gesünder<br />
als herkömmliche Lebensmittelprodukte s<strong>in</strong>d. Darüber h<strong>in</strong>aus garantiert die<br />
biologische Anbauweise auch ke<strong>in</strong>e Schadstofffreiheit der Produkte. Zum anderen<br />
könnte sich e<strong>in</strong>e solche positive Auslobung diskrim<strong>in</strong>ierend auf den Rest des Coop-<br />
Food-Sortiments auswirken, welches aus konventioneller Landwirtschaft oder <strong>in</strong>tegrierter<br />
Produktion stammt.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich der Kosten können drei Aspekte differenziert werden: Preisaktionen, Bonuspunkte<br />
im Rahmen e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte (Coop Card) <strong>und</strong> „Convenience“-<br />
Eigenschaften. Letztere reduzieren die Verarbeitungskosten <strong>und</strong> werden deshalb zu<br />
den Kosten-Aspekten gezählt (z.B. tiefgekühltes Bio-Gemüse oder Bio-<br />
Fertiggerichte). Im Gegensatz zu den Nutzen-Aspekten treten die Kosten-Aspekte <strong>in</strong>
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 89<br />
den Werbeanzeigen wesentlich später auf: 1995 ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> biologisches Lebensmittelprodukt<br />
erstmals <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Preisaktion. 1997 beg<strong>in</strong>nt die Entwicklung<br />
der „Convenience“-Produkte <strong>und</strong> im Jahre 2002 können mit biologischen Lebensmittelprodukten<br />
erstmals Bonuspunkte gesammelt werden. In den darauf folgenden<br />
Jahren nimmt die Anzahl dieser Anzeigen fortwährend zu (Abb. 3).<br />
Anzahl der Anzeigen<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />
Preisaktion<br />
Convenience<br />
K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungsprogramme<br />
Abbildung 3: Entwicklung der Kosten-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />
Den stärksten Zuwachs weisen dabei die Anzeigen der Preisaktionen auf. Auffallend<br />
ist, dass die Produktgruppe Fleisch, Geflügel <strong>und</strong> Fisch am häufigsten zusammen mit<br />
Kosten-Aspekten <strong>in</strong> Anzeigen ersche<strong>in</strong>t. Bei Brot, Getreide- <strong>und</strong> Milchprodukten ist<br />
dies nur ab <strong>und</strong> zu der Fall. Obst, Gemüse, Kaffee, Tee <strong>und</strong> Honig ersche<strong>in</strong>en kaum <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung mit Kosten-Aspekten. Während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben<br />
die BSE-Krise <strong>und</strong> andere Fleischskandale zu e<strong>in</strong>er Verunsicherung der Konsumenten<br />
geführt, die zeitweise zu erheblichen Umsatze<strong>in</strong>brüchen führten. Davon waren<br />
auch Produkte aus tierfre<strong>und</strong>licher Haltung betroffen. Um den Fleischabsatz für die<br />
schweizerischen Biobauern zu sichern <strong>und</strong> die Konsumenten zum Kauf anzuregen, hat<br />
Coop während dieser Zeit vermehrt Preis- <strong>und</strong> Bonusaktionen <strong>in</strong> diesem Produktbereich<br />
durchgeführt.<br />
Die Bedeutung der Motivallianzen, d.h. der Komb<strong>in</strong>ation von sozial-ökologischen<br />
Produkteigenschaften mit Nutzen-Kosten-Aspekten, spiegelt sich auch <strong>in</strong> den Headl<strong>in</strong>es<br />
wieder. Während <strong>in</strong> den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan noch primär<br />
die biologische Qualität der Lebensmittelprodukte als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal hervorgehoben<br />
wird, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den Jahren 1995-1999 immer mehr Headl<strong>in</strong>es, die sich
90 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
auf Nutzen- <strong>und</strong>/oder Kosten-Aspekte beziehen. In der Zeit zwischen 2000 <strong>und</strong> 2002<br />
f<strong>in</strong>den sich be<strong>in</strong>ahe nur noch Headl<strong>in</strong>es, die sich auf herkömmliche Kaufkriterien beziehen.<br />
Um die Relevanz von Motivallianzen zu verdeutlichen, werden ausgewählte<br />
Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Tabelle 2 aufgeführt. E<strong>in</strong> gutes Beispiel für erfolgreiche Motivallianzen<br />
ist die Entwicklung der Bio-Brot-Werbung: Während 1993 die biologischen Produkteigenschaften<br />
im Vordergr<strong>und</strong> stehen, ersche<strong>in</strong>en die Bio-Brot-Anzeigen 1996 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
mit gutem Geschmack <strong>und</strong> 2003 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Monatsaktion.<br />
Frische „So grün wie frisch“ (1997)<br />
Headl<strong>in</strong>es<br />
Geschmack, Genuss „Ohne was drauf schmeckt unser Naturaplan-<br />
Bauernbrot fast am besten“ (1996)<br />
„Stück für Stück e<strong>in</strong> natürlicher Genuss“ (2001)<br />
Ges<strong>und</strong>heit „Wahrhaftig kernges<strong>und</strong>“ (1999)<br />
Lifestyle „Naturaplan im Trend“ (1997)<br />
„Ostererwachen“ (2002)<br />
„An jeder Party mit von der Partie“ (2002)<br />
Preisaktion „2 Wochen lang Naturprodukte mit den 4 Öko-Labels<br />
zu Aktionspreisen“ (2000)<br />
Convenience „E<strong>in</strong> halber Liter Vollmilch <strong>in</strong> der wiederverschließbaren<br />
Verpackung“ (1999)<br />
„Frischteigwaren von Naturaplan:<br />
E<strong>in</strong> schneller Genuss“ (2001)<br />
Tabelle 2: Headl<strong>in</strong>es am Beispiel der verschiedenen Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte<br />
Fazit: Die zweite These kann für den untersuchten Produktbereich <strong>und</strong> Zeitraum ebenfalls<br />
bestätigt werden. Die sozial-ökologischen Aspekte werden mit den herkömmlichen<br />
Leistungsmerkmalen von Lebensmittelprodukten zu „Motivallianzen“ verknüpft<br />
<strong>und</strong> als Mehrwert vermarktet. Dabei rücken die Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte immer<br />
stärker <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Die sozial- <strong>und</strong> umweltgerechten Lebensmittelprodukte<br />
entsprechen vermehrt den Ansprüchen der sozial-ökologisch Aktivierbaren. So gibt es<br />
<strong>in</strong> der Zwischenzeit viele Produkte <strong>in</strong> Bio-Qualität, die noch Anfang der 1990er Jahre<br />
<strong>und</strong>enkbar gewesen wären. Damit kommt auch der Wandel vom idealistisch geprägten<br />
zum ich-betonten Öko-/<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Konsum zum Ausdruck. Wie die steigenden
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 91<br />
Umsätze zeigen, entsprechen Convenience- <strong>und</strong> Fast Food-Produkte <strong>in</strong> Bio-Qualität<br />
offenbar e<strong>in</strong>em Teil der Konsumentenwünsche (z.B. Bio-Chips, Bio-Ketchup, Bio-<br />
Fertigpizza). Kritisch stellt sich die Frage, wie e<strong>in</strong> solches Angebot angesichts von<br />
Übergewicht <strong>und</strong> Adipositas aus ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>und</strong> gesellschaftspolitischer Perspektive<br />
zu beurteilen <strong>und</strong> <strong>in</strong>wiefern es auf Dauer glaubwürdig ist.<br />
4 Zusammenfassung<br />
Die beiden e<strong>in</strong>gangs formulierten Thesen können <strong>in</strong> der empirischen Untersuchung<br />
von Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte zwischen 1993 <strong>und</strong><br />
2002 bestätigt werden: Im H<strong>in</strong>blick auf die Gestaltung lässt sich sagen, dass <strong>in</strong> der<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung vermehrt emotionale (Stil-)Elemente verwendet werden,<br />
ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Bezüglich der verwendeten<br />
Argumente ist festzustellen, dass die biologische Anbauweise, die tierfre<strong>und</strong>liche<br />
Haltung <strong>und</strong> der faire Handel nicht mehr als (Alle<strong>in</strong>stellungs-)Merkmale hervorgehoben<br />
werden, sondern herkömmliche Kaufkriterien wie Geschmack/Genuss, Lifestyle,<br />
Convenience <strong>und</strong> Preis im Vordergr<strong>und</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stehen.<br />
Damit emanzipieren sich Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte von konventionell hergestellten<br />
<strong>und</strong> gehandelten Lebensmitteln: Erstere s<strong>in</strong>d letzteren h<strong>in</strong>sichtlich der herkömmlichen<br />
Kaufkriterien meist nicht nur ebenbürtig, sondern teilweise überlegen. Damit erhält<br />
der K<strong>und</strong>e von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten nicht nur e<strong>in</strong>en ideellen, sondern<br />
auch e<strong>in</strong>en reellen Mehrwert.<br />
Welche Implikationen ergeben sich aus der empirischen Studie für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>?<br />
Aus praktischer Sicht lassen sich zum<strong>in</strong>dest drei wichtige Erkenntnisse aus der<br />
Studie ableiten:<br />
1. Informationen <strong>und</strong> Aufklärung bezüglich der sozial-ökologischen Produkteigenschaften<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der ersten Phase e<strong>in</strong>er langfristig angelegten Werbekampagne unerlässlich,<br />
um auf Dauer Vertrauen <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit aufzubauen.<br />
2. Erst auf dieser Gr<strong>und</strong>lage können <strong>in</strong> der zweiten Phase der Werbekampagne für<br />
nachhaltige Produkte vermehrt emotionale (Stil-)Elemente aufgegriffen werden,<br />
ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Darüber h<strong>in</strong>aus können<br />
<strong>in</strong>dividuelle Nutzen-Kosten-Aspekte verstärkt <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> gestellt<br />
werden. Durch die Emotionalisierung der Gestaltung <strong>und</strong> die Individualisierung der<br />
Argumente werden breitere K<strong>und</strong>ensegmente angesprochen, wie die steigenden<br />
Umsätze des Coop Naturaplan zeigen.
92 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
3. Die erfolgreiche E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Vermarktung von nachhaltigen Produkten bzw.<br />
Sortimenten setzt strategisches Denken <strong>und</strong> langfristiges Engagement voraus. Diese<br />
Aussage bezieht sich gerade auch auf die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung. E<strong>in</strong> exemplarisches<br />
Beispiel hierfür ist der Coop Naturaplan, der systematisch über e<strong>in</strong> Jahrzehnt<br />
beworben, behutsam aufgebaut <strong>und</strong> kommunikativ weiterentwickelt worden<br />
ist.<br />
Aus theoretischer Sicht stellt sich die Frage nach der Verallgeme<strong>in</strong>erbarkeit <strong>und</strong> Übertragbarkeit<br />
der Resultate: Inwiefern lässt sich der Verlauf von <strong>in</strong>formativer zu emotional-<strong>in</strong>formativer<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung auch <strong>in</strong> anderen Produkt- bzw. Sortimentsbereichen<br />
<strong>und</strong> Ländern feststellen? In welchen Zeiträumen? Werden auch <strong>in</strong> anderen<br />
Werbekampagnen für nachhaltige Produkte bzw. Sortimente vermehrt <strong>in</strong>dividuelle<br />
Nutzen-Kosten-Argumente hervorgehoben anstatt sozial-ökologische Eigenschaften<br />
e<strong>in</strong>seitig als (Alle<strong>in</strong>stellungs-)Merkmale <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen? In der Untersuchung<br />
wurden ausschließlich Werbeanzeigen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wochenzeitung analysiert.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus ist zu fragen: Wie gestaltet sich die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />
<strong>in</strong>sgesamt? Welche klassischen <strong>und</strong> nicht-klassischen Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
(Tageszeitungen, Zeitschriften, Fachzeitschriften, Fernsehen, Außenwerbung, Internet,<br />
Sponsor<strong>in</strong>g etc.) werden e<strong>in</strong>gesetzt, um nachhaltige Produkte bzw. Sortimente erfolgreich<br />
zu vermarkten? Wie werden die Instrumente aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt <strong>und</strong> <strong>in</strong>tegriert?<br />
Welche Ziele werden damit verfolgt <strong>und</strong> wie werden sie kontrolliert? Welche<br />
Rolle spielt die Transformation <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Wo liegen die Grenzen<br />
der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Diese weitgehend offenen <strong>und</strong> unbeantworteten<br />
Fragen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Anregungen für weitere Forschung <strong>in</strong> diesem spannenden Teilgebiet<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 93<br />
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<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 95<br />
Anhang<br />
Variablennummer<br />
1 Jahr<br />
Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />
2 Ausgabennummer<br />
3 Anzeigentyp � Kle<strong>in</strong>anzeige mit Foto<br />
� Kle<strong>in</strong>anzeige ohne Foto<br />
� Produktanzeige mit Text<br />
� Redaktioneller Textbeitrag<br />
� Rezept<br />
� Beilage<br />
� Anzeige e<strong>in</strong>er Kompetenzmarke<br />
(ohne Produktbezug)<br />
� Andere<br />
4 Redaktioneller Textbeitrag � Knospen-Information<br />
� Naturaplan-Information<br />
� Cooperación-Information<br />
� Max Havelaar-Information<br />
� Produktions-Information<br />
� Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
� Umsatzzahlen, Marktanteile<br />
� Externe Beurteilung des Engagements von Coop<br />
� Andere<br />
5 Coop Naturaplan � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
6 Knospe � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
7 Cooperación � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
8 Max Havelaar � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong>
96 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />
Variablennummer<br />
Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />
9 Verhältnis von Knospe zu<br />
Coop Naturaplan<br />
� Größer<br />
� Kle<strong>in</strong>er<br />
� Gleich<br />
10 Anzeigengröße � 1 Seite<br />
� Nicht beide vorhanden<br />
� 0,75 Seiten<br />
� 0,5 Seiten<br />
� 0,25 Seiten<br />
� < 0,25 Seiten<br />
� Andere<br />
� > 1 Seite<br />
11 Bildflächenanteil � In Prozent<br />
12 Textanteil<br />
� In Prozent<br />
13 Bildmotiv � Ke<strong>in</strong><br />
14 Headl<strong>in</strong>e<br />
� Produkt<br />
� Person<br />
� Tier<br />
� Landschaft, Natur<br />
� Label im Vordergr<strong>und</strong><br />
� Bauernmotiv<br />
� Andere<br />
15 Produkt � Ke<strong>in</strong><br />
� Obst, Gemüse<br />
� Brot, Getreideprodukte<br />
� Milchprodukte<br />
� Fisch, Geflügel, Fleisch<br />
� Fertigprodukte<br />
� Kaffee, Tee<br />
� Honig<br />
� Andere
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 97<br />
Variablennummer<br />
Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />
16 Frische � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
17 Geschmack, Genuss � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
18 Ges<strong>und</strong>heit � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
19 Lifestyle � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
20 Ästhetik � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
21 Spaß � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
22 Preisaktion � Ja<br />
23 K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungs-<br />
programm<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
� Ja<br />
� Ne<strong>in</strong><br />
24 „Convenience“ � Ja<br />
� Ne<strong>in</strong>
Die umwelt.plus.karte: Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung e<strong>in</strong>er<br />
K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Nach Angaben des Umweltb<strong>und</strong>esamtes s<strong>in</strong>d m<strong>in</strong>destens 30 bis 40 Prozent aller Umweltprobleme<br />
direkt oder <strong>in</strong>direkt auf die herrschenden Konsummuster zurückzuführen<br />
(UBA 1997, S. 221). In der <strong>Nachhaltigkeits</strong>debatte spielt daher die Veränderung<br />
nicht nachhaltiger Konsumgewohnheiten e<strong>in</strong>e große Rolle. Wenngleich die allmählich<br />
voranschreitende gesellschaftliche Verankerung des Themas durch zahlreiche Beispiele<br />
belegt werden kann (Scherhorn/Weber 2002), bleibt dies e<strong>in</strong>e der wichtigsten Zukunftsaufgaben<br />
entwickelter Gesellschaften – so e<strong>in</strong>e der zentralen Forderungen des<br />
Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung 2002 <strong>in</strong> Johannesburg. Dabei wird es unter<br />
anderem darum gehen, Strategien zu entwickeln, mit denen Barrieren wie die mangelnde<br />
Sichtbarkeit von Handlungsalternativen oder der mit ökologischem Verhalten<br />
häufig verb<strong>und</strong>ene zusätzliche zeitliche <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Aufwand (UBA 2002, S. 16)<br />
überw<strong>und</strong>en werden können.<br />
Parallel zur Herausbildung des politischen Handlungsfeldes nachhaltiger Konsum haben<br />
sich die Konsumgütermärkte <strong>in</strong> den letzten Jahren verändert. Die zunehmende<br />
Marktsättigung, die allgeme<strong>in</strong>e Konsumzurückhaltung <strong>und</strong> <strong>in</strong>folgedessen s<strong>in</strong>kende<br />
Handelsmargen haben die Anbieter dazu gedrängt, nach neuen Möglichkeiten der<br />
K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung zu suchen (bspw. Diller 1996; H<strong>in</strong>terhuber 1999; Bruhn/Homburg<br />
2003). Unter K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung können „sämtliche Maßnahmen e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />
(verstanden werden), die darauf abzielen, sowohl die bisherigen Verhaltensweisen als<br />
auch die zukünftigen Verhaltensabsichten e<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>en (...) positiv zu gestalten“<br />
(Bruhn/Homburg 2003, S. 8). Mit verbesserter K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung sollen positive Wirkungen<br />
auf das Wiederkaufs- <strong>und</strong> Cross-Buy<strong>in</strong>g-Verhalten, auf das Weiterempfehlungsverhalten<br />
<strong>und</strong> nicht zuletzt auf die Preiserhöhungsakzeptanz erreicht werden<br />
(ebd., S. 9). Dem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> stehen hierfür verschiedene Instrumente zur Verfügung.<br />
Auf der Ebene der Produktpolitik s<strong>in</strong>d dies beispielsweise Leistungsgarantien <strong>und</strong> Zusatzleistungen,<br />
auf der Ebene der Distributionspolitik Direktlieferungen oder Abon-
100 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
nements, auf kommunikationspolitischer Ebene Direct-Mail<strong>in</strong>gs oder K<strong>und</strong>enzeitschriften<br />
<strong>und</strong> im Rahmen der Preispolitik K<strong>und</strong>enkarten- bzw. Rabattsysteme (ebd.,<br />
S. 22).<br />
Doch wie lässt sich die Forderung nach zukunftsfähigen Lebensstilen mit <strong>in</strong>novativen<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen zur K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung verknüpfen? Diese Frage markierte den Ausgangspunkt<br />
e<strong>in</strong>es Forschungsprojektes, dessen Ziel die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung<br />
e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen war (Scholl 2003).<br />
Der vorliegende Beitrag stellt die Entstehung des Konzepts der „umwelt.plus.karte“<br />
dar (Kap. 2). Neben der Erarbeitung geeigneter <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien gehörten<br />
dazu Marktforschungsaktivitäten sowie die Erstellung e<strong>in</strong>es Kommunikationskonzeptes.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus werden erste Erfahrungen mit der Karte präsentiert, die auf der<br />
Basis e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbefragung r<strong>und</strong> neun Monate nach Markte<strong>in</strong>führung erhoben worden<br />
s<strong>in</strong>d (Kap. 3). Der Beitrag schließt mit e<strong>in</strong>er kritischen Würdigung des Konzepts<br />
(Kap. 4).<br />
2 Die umwelt.plus.karte – Konzept,<br />
Entwicklungsprozess <strong>und</strong> Marktdiffusion<br />
Die umwelt.plus.karte ist e<strong>in</strong>e der wenigen <strong>in</strong> Deutschland existierenden K<strong>und</strong>enkarten<br />
mit ökologisch-sozialer Zielsetzung. Sie unterscheidet sich von herkömmlichen<br />
Kartensystemen nicht <strong>in</strong> ihrer Funktionsweise, wohl aber h<strong>in</strong>sichtlich der Zielsetzung<br />
der Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens <strong>und</strong> den daraus resultierenden Vermarktungsstrategien.<br />
Die umwelt.plus.karte ist im Rahmen des vom B<strong>und</strong>esforschungsm<strong>in</strong>isteriums<br />
(BMBF) geförderten Projekts „Produkte länger <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiver<br />
nutzen“ geme<strong>in</strong>sam vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), dem<br />
Agenda-Büro der Stadt Heidelberg, dem von lokalen Akteuren aus dem Umwelt- <strong>und</strong><br />
Sozialbereich getragenen Vere<strong>in</strong> Weitergeben e.V. <strong>und</strong> der Agentur ID-<br />
Kommunikation (Mannheim) entwickelt worden. Sie wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vierstufigen Prozess<br />
<strong>in</strong> den Markt e<strong>in</strong>geführt:<br />
1. Formulierung der konzeptionellen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />
(August bis Oktober 2002),<br />
2. Durchführung der Marktforschung (November 2002 bis Januar 2003),<br />
3. Erstellung des Kommunikationskonzeptes (Februar bis März 2003),<br />
4. Erstellung der Kommunikationsstrategie sowie Auswahl <strong>und</strong> Erstellung der<br />
Kommunikations<strong>in</strong>strumente (April 2003).
Die umwelt.plus.karte 101<br />
Die Akquisition der Anbieter erfolgte parallel zu den Phasen 2 <strong>und</strong> 3 von November<br />
2002 bis März 2003. Seit Mai 2003 ist die Karte <strong>in</strong> Heidelberg auf dem Markt.<br />
Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />
Ausgangspunkt der Entwicklung e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte mit ökologisch-nachhaltigem Zuschnitt<br />
war das Ziel, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives Instrument zu schaffen, das<br />
� Attraktivität <strong>und</strong> Absatz nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen fördert <strong>und</strong><br />
� das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung bei regionalen Anbietern verbessert.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich der Ausgestaltung des Funktionspr<strong>in</strong>zips der Karte orientierte man sich<br />
bewusst an herkömmlichen Kartensystemen, um die weith<strong>in</strong> bestehende Vertrautheit<br />
zur Senkung der Nutzungsbarrieren der geplanten ökologischen K<strong>und</strong>enkarte zu nutzen.<br />
Konkret wurde die Karte an das Modell der Bahncard als e<strong>in</strong>es der verbreitesten<br />
Rabattsysteme angelehnt. Die Karte sollte gegen e<strong>in</strong>e jährliche Gebühr von 25 Euro<br />
erworben werden können <strong>und</strong> ihren Inhabern das Recht e<strong>in</strong>räumen, bei den teilnehmenden<br />
Geschäften e<strong>in</strong>en Rabatt zu erhalten. Die Gewährung der Vergünstigung an<br />
den K<strong>und</strong>en sollte direkt beim Kauf gegen Vorlage der gültigen Karte erfolgen. E<strong>in</strong>e<br />
Möglichkeit zur Kumulierung oder Verrechnung von Rabatten oder das Sammeln von<br />
Punkten wurde nicht vorgesehen. Die Rabatthöhe sollte je nach Geschäft zwischen<br />
drei <strong>und</strong> zehn Prozent liegen.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich der Vermarktung der Karte wurden von der Agentur ID-Kommunikation<br />
die Entwicklung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Gestaltungskonzepts aus Wort- (Name <strong>und</strong> Claim)<br />
<strong>und</strong> Bildmarke (Layout-L<strong>in</strong>ie), die weitflächige Verteilung von Werbematerialien<br />
(Postwurfsendung e<strong>in</strong>es Flyers), die regelmäßige Nutzerkommunikation (Newsletter,<br />
Homepage) <strong>und</strong> Direktmarket<strong>in</strong>gaktionen seitens der teilnehmenden Anbieter als zentrale<br />
Elemente e<strong>in</strong>er erfolgreichen Markte<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Diffusion gesehen.<br />
Unter dem Dach der K<strong>und</strong>enkarte sollten nicht nur im klassischen Ökobereich verankerte<br />
Geschäfte (z.B. Naturkosthändler) zusammengeschlossen werden, sondern – dem<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>gedanken folgend – auch Anbieter von Dienstleistungen für e<strong>in</strong>e längere<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong>tensivere Produktnutzung (z.B. Reparatur, Gerätevermietung, Car-Shar<strong>in</strong>g),<br />
Hersteller <strong>und</strong> Händler langlebiger Güter (z.B. Öko-Möbel, Fahrräder) oder soziokulturelle<br />
E<strong>in</strong>richtungen (z.B. Kunstvere<strong>in</strong>, Volkshochschule).<br />
Zur Prüfung konkreter Geschäfte auf ihre Eignung zur Teilnahme an der Karte wurden<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien formuliert, die auf den folgenden zwei Pr<strong>in</strong>zipien basieren:
102 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
� Nutzung von Zertifizierungssystemen Dritter: Es wurden ke<strong>in</strong>e eigenen Kriterien<br />
entwickelt, sondern man stützte sich auf die Richtl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> die Glaubwürdigkeit<br />
e<strong>in</strong>geführter Kennzeichnungssysteme wie dem Bio-Siegel, dem TransFair-Label<br />
oder dem „Blauen Engel”.<br />
� Selbstverpflichtung der Anbieter: Alle Anbieter sollten sich im Rahmen e<strong>in</strong>er Kooperationsvere<strong>in</strong>barung<br />
mit dem Kartenbetreiber dazu verpflichten, ihre Geschäftsaktivitäten<br />
an den <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien der Karte zu orientieren. Beispielsweise<br />
müssen Lebensmittelgeschäfte die Kriterien des Gütesiegels „’N’ Naturkost<br />
<strong>und</strong> Naturwaren” erfüllen oder Anbieter von Holzmöbeln den Anforderungen der<br />
hier e<strong>in</strong>schlägigen Umweltzeichen (z.B. FSC, Eco-Timber) genügen. Das Pr<strong>in</strong>zip<br />
der Selbstverpflichtung hat dabei für den Kartenbetreiber den Vorteil, dass der mit<br />
e<strong>in</strong>er Eignungsprüfung verb<strong>und</strong>ene Aufwand ger<strong>in</strong>g gehalten werden kann.<br />
Für die teilnehmenden Geschäfte wurden die folgenden Vorteile der Kartenkonzeption<br />
gesehen:<br />
� K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungseffekt: Da der Karten<strong>in</strong>haber e<strong>in</strong>en Anreiz hat, die Karte möglichst<br />
oft zu nutzen, damit sich se<strong>in</strong>e Anfangs<strong>in</strong>vestition beim Kauf der Karte rechnet,<br />
kann die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung gestärkt <strong>und</strong> der Absatz gefördert werden. Durch Dialogmaßnahmen<br />
(z.B. Newsletter) wird die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung verstetigt.<br />
� Netzwerkeffekt: Mit der Karte wird e<strong>in</strong>e Werbegeme<strong>in</strong>schaft für nachhaltige Produkte<br />
<strong>und</strong> Dienstleistungen aus der Region Heidelberg <strong>in</strong>itiiert. Dadurch können<br />
Synergiepotenziale zwischen den Anbietern, etwa im Rahmen geme<strong>in</strong>samer Werbemaßnahmen,<br />
ausgeschöpft werden. Zudem werden via Karte die K<strong>und</strong>en des e<strong>in</strong>en<br />
Anbieters auf die Angebote der anderen Leistungspartner aufmerksam. Aus<br />
Anbietersicht kann dadurch das angestammte K<strong>und</strong>enpotenzial systematisch erweitert<br />
werden.<br />
Aus Sicht potenzieller Käufer beziehungsweise Nutzer der Karte wurden folgende<br />
Punkte als vorteilhaft angesehen:<br />
� Sparen: Ab e<strong>in</strong>em gewissen Umsatz <strong>in</strong> den teilnehmenden Geschäften rechnet sich<br />
die Anfangs<strong>in</strong>vestition <strong>in</strong> die Karte, bei jedem weiteren E<strong>in</strong>kauf wird Geld gespart.<br />
� Nachhaltiges Konsumhandeln: Mit der Karte werden nachhaltige Angebote aus der<br />
Region identifizierbar <strong>und</strong> der damit e<strong>in</strong>hergehende Suchaufwand für die Konsumenten<br />
verr<strong>in</strong>gert. Die Umsetzung ökologischer Konsumorientierungen <strong>in</strong> entsprechendes<br />
Konsumverhalten wird damit unterstützt.
Die umwelt.plus.karte 103<br />
� Exklusivität: Karten<strong>in</strong>haber erhalten neben den monetären Vergünstigungen exklusive<br />
Informationen über neue Angebote aus dem Kreis der Anbieter über mehrmals<br />
jährlich ersche<strong>in</strong>ende Newsletter.<br />
Ergebnisse der Fokusgruppen<br />
Zur Ermittlung des Marktpotenzials der Innovation e<strong>in</strong>er nachhaltigkeitsorientierten<br />
K<strong>und</strong>enkarte wurde das <strong>in</strong> der Marktforschung bewährte qualitative Instrument der<br />
Fokusgruppe e<strong>in</strong>gesetzt. Dabei handelt es sich um moderierte Gruppendiskussionen,<br />
bei denen sich die Teilnehmer mit e<strong>in</strong>em vorgegebenen Thema anhand vorbereiteter<br />
Materialien befassen (Lamnek 1998; Dürrenberger/Behr<strong>in</strong>ger 1999).<br />
Ende November 2002 wurden vier Fokusgruppen à zwei St<strong>und</strong>en durchgeführt, an<br />
denen jeweils acht bis neun Heidelberger Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger teilgenommen haben<br />
(<strong>in</strong>sgesamt: 34). Diese wurden auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>es Fragebogens von e<strong>in</strong>em<br />
Heidelberger Marktforschungs<strong>in</strong>stitut rekrutiert, der <strong>in</strong>sbesondere Fragen zur Häufigkeit<br />
der Nutzung verschiedener für die K<strong>und</strong>enkarte wichtiger Geschäfte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen<br />
<strong>und</strong> zu E<strong>in</strong>stellungen zum Thema ökologischer Konsum umfasste. Die Gruppen<br />
wurden dann nach Alter <strong>und</strong> Nutzungshäufigkeit unterteilt (Tab. 1) – ausgehend<br />
von der Annahme, dass junge Stammk<strong>und</strong>en aufgr<strong>und</strong> ihrer vermutlich höheren Umweltorientierung<br />
<strong>und</strong> Aufgeschlossenheit gegenüber e<strong>in</strong>em modernen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatz<br />
besonders gut für das Konzept ansprechbar s<strong>in</strong>d, h<strong>in</strong>gegen ältere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en<br />
nur sehr schwer zu gew<strong>in</strong>nen se<strong>in</strong> dürften.<br />
Jüngere (20 – 40 Jahre) Ältere (41 – 65 Jahre)<br />
Stammk<strong>und</strong>en 1. Jüngere Stammk<strong>und</strong>en 2. Ältere Stammk<strong>und</strong>en<br />
Gelegenheitsk<strong>und</strong>en 3. Jüngere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en 4. Ältere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en<br />
Tabelle 1: Fokusgruppen<br />
In den Diskussionen zeigte sich, dass die K<strong>und</strong>enkarte erwartungsgemäß besonders<br />
positiv von den Befragten aufgenommen wird, die mit der Idee umweltfre<strong>und</strong>lichen<br />
Konsums sympathisieren <strong>und</strong> sich gleichzeitig hohe E<strong>in</strong>sparungen versprechen. Im<br />
E<strong>in</strong>zelnen wurden die folgenden Aspekte als positiv wahrgenommen:<br />
� Vielzahl der unterschiedlichen Anbieter, die für die K<strong>und</strong>enkarte vorgesehen s<strong>in</strong>d;<br />
� E<strong>in</strong>sparungen, die sich dann rechnen, wenn man e<strong>in</strong>zelne Anbieter regelmäßig<br />
nutzt, große E<strong>in</strong>käufe tätigt oder viele Anbieter komb<strong>in</strong>iert;
104 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
� ökologische Ausrichtung, die Unterstützung von Bioprodukten <strong>und</strong> ressourcenschonenden<br />
Angeboten;<br />
� Unterstützung des regionalen Fachhandels <strong>und</strong> der kle<strong>in</strong>en Betriebe als Gegenentwurf<br />
zu großen Konzernen <strong>und</strong> Ketten.<br />
Dieser Vielfalt an positiven Aspekten standen Zweifel gegenüber, die auf der ökonomischen<br />
Tragfähigkeit der Karte beruhten. Insbesondere die geplante Jahresgebühr<br />
von 25 Euro rief Bedenken hervor, dass man beim Kauf der Karte letztlich mehr <strong>in</strong>vestiert<br />
als man durch Rabatte e<strong>in</strong>zusparen <strong>in</strong> der Lage ist.<br />
Der heterogene Charakter der vorgesehenen Anbieter sorgte e<strong>in</strong>erseits für e<strong>in</strong>e gewisse<br />
Verwirrung, da e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same L<strong>in</strong>ie nur schwer entdeckt werden konnte („Was hat<br />
Kultur mit Ökologie zu tun?“). Andererseits hatte dieses breite Spektrum auch zur<br />
Folge, dass e<strong>in</strong>dimensionale <strong>und</strong> klischeeartige Zuschreibungen begrenzt werden<br />
konnten. Als e<strong>in</strong>e Zielgruppe der K<strong>und</strong>enkarte wurden zwar „Ökos mit Bewusstse<strong>in</strong>sdenken“<br />
angeführt. Aber <strong>in</strong> der K<strong>und</strong>enkarte wurde durchaus das Potenzial gesehen,<br />
über diese eng umgrenzte Gruppe h<strong>in</strong>aus Attraktivität zu entfalten – für kulturell Interessierte,<br />
für Familien <strong>und</strong> <strong>in</strong> gewissem Maße auch für überdurchschnittlich preisbewusste<br />
<strong>und</strong> qualitätsorientierte Käuferschichten – die so genannten „Smart Shopper“<br />
(Grey Strategic Plann<strong>in</strong>g 1996).<br />
Die Inanspruchnahme der Rabatte sollte direkt am Verkaufsort stattf<strong>in</strong>den, damit der<br />
K<strong>und</strong>e die Ersparnis sofort spürt. Bei e<strong>in</strong>er Karte, die zuvor gekauft werden muss,<br />
wird die direkte Vergütung geradezu erwartet. Andere Modelle, wie Rabattheftchen<br />
oder Punktesammeln, wurden abgelehnt.<br />
Bezüglich Name <strong>und</strong> Claim der Karte wurde deutlich, dass diese entsprechend ihrer<br />
mehrdimensionalen Zielrichtung sowohl ökologische Bezüge aufweisen als auch den<br />
Sparaspekt zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen müssten. Das Layout von Karte <strong>und</strong> Werbemitteln<br />
sollte die Vielfalt der K<strong>und</strong>enkarte zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>formativ wirken <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />
moderne Ästhetik aufweisen.<br />
Konturen des Kommunikationskonzepts<br />
Aufbauend auf den Ergebnissen der Fokusgruppen wurde e<strong>in</strong> Kommunikationskonzept<br />
für die K<strong>und</strong>enkarte entwickelt, das die Elemente Zielgruppenbestimmung <strong>und</strong><br />
Positionierung be<strong>in</strong>haltet.
Die umwelt.plus.karte 105<br />
Zielgruppen<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die Bestimmung der Zielgruppen der Karte ist zunächst festzuhalten,<br />
dass sie besonders <strong>in</strong>teressant für K<strong>und</strong>en ist, die bereits überdurchschnittlich ökologisch<br />
orientiert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> häufig <strong>in</strong> entsprechenden Läden e<strong>in</strong>kaufen. Sie ist darüber<br />
h<strong>in</strong>aus für e<strong>in</strong>en Personenkreis <strong>in</strong>teressant, der zwar partiell umweltbewusst e<strong>in</strong>gestellt<br />
ist, ohne dabei aber vom Milieu her „öko“ zu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Teil dieser Gruppe kann sogar<br />
ausgesprochen abwehrend auf Begrifflichkeiten <strong>und</strong> Aussagen reagieren, die dem<br />
„Öko-Milieu“ zugesprochen werden. Mit dieser konzeptionellen Ausrichtung wird e<strong>in</strong><br />
nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung adressiert, wie die folgende Tabelle zeigt.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich erreichbar dürften die „konsequenten“ <strong>und</strong> „e<strong>in</strong>stellungsungeb<strong>und</strong>enen“<br />
Umweltschützer (<strong>in</strong>sgesamt 58% der Bevölkerung) bzw. die „Umwelt-Aktiven“ <strong>und</strong><br />
„Umwelt-Aktivierbaren“ (<strong>in</strong>sgesamt 62% der Bevölkerung) se<strong>in</strong>.<br />
Typologie nach Preisendörfer (1999, S. 94ff.) Typologie „umweltfre<strong>und</strong>liches Verhalten“<br />
nach Infratest (Stern 1995, S. 364f.)<br />
1. „konsequente Umweltschützer“<br />
(E<strong>in</strong>stellung hoch, Verhalten positiv; 30%)<br />
2. „e<strong>in</strong>stellungsungeb<strong>und</strong>ene Umweltschützer“<br />
(E<strong>in</strong>stellung niedrig, Verhalten positiv; 28%)<br />
3. „Umweltrhetoriker“<br />
(E<strong>in</strong>stellung hoch, Verhalten niedrig; 32%)<br />
4. „Umweltignoranten“<br />
(E<strong>in</strong>stellung niedrig, Verhalten niedrig; 10%)<br />
Tabelle 2: Umweltbezogene Typologien<br />
1. „Umwelt-Aktive“ (39%)<br />
2. „Umwelt-Aktivierbare“ (22%)<br />
3. „Umwelt-Passive“ (39%)<br />
Diese Ausgangssituation ist für die gesamte Kommunikation von Belang, bedeutet sie<br />
doch nichts weniger als e<strong>in</strong>e neue, milieuübergreifende Ansprache für Begrifflichkeiten<br />
wie „umweltorientiert“ <strong>und</strong> „nachhaltig“ zu f<strong>in</strong>den. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> lassen<br />
sich gr<strong>und</strong>sätzlich aus den Produktvorteilen der Karte sowie dem Feedback der Fokusgruppen<br />
folgende Zielgruppen ableiten:<br />
� K<strong>und</strong>en ökologisch orientierter Läden <strong>und</strong> Dienstleistungen,<br />
� Personen mit zum<strong>in</strong>dest partiell umweltbewusster E<strong>in</strong>stellung,<br />
� Familien, die durch ihren höheren Umsatz die Kosten der Karte schneller amortisieren<br />
können,
106 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
� Personenkreise der unteren <strong>und</strong> mittleren E<strong>in</strong>kommensgruppen, da hier das Kostenbewusstse<strong>in</strong><br />
höher ist <strong>und</strong> somit die Vorteile der Karte besser vermittelt werden<br />
können,<br />
� Personen mit e<strong>in</strong>em überdurchschnittlich hohen Kultur- <strong>und</strong> Freizeit<strong>in</strong>teresse, wie<br />
zum Beispiel Studenten <strong>und</strong> Berufsanfänger.<br />
Positionierung<br />
E<strong>in</strong> wesentliches Merkmal der Karte ist, dass ihr Angebot <strong>in</strong> dieser Form e<strong>in</strong>malig ist<br />
<strong>und</strong> somit auch e<strong>in</strong>e Marktnische besetzt. E<strong>in</strong> weiteres Merkmal ist, dass von den<br />
K<strong>und</strong>engruppen her sowohl Personenkreise anzusprechen s<strong>in</strong>d, die dem ökologischen<br />
Milieu zuzuordnen s<strong>in</strong>d, als auch solche, die trotz partieller Umweltorientierung von<br />
ihren Lebenswelten her anderen Milieus zuzurechnen s<strong>in</strong>d.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> muss die Karte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Form positioniert werden, die e<strong>in</strong>e moderne,<br />
selbstbewusste <strong>und</strong> genussfreudige Kommunikation zu den Produktvorteilen „ökologisch<br />
s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> nachhaltig“ zulässt <strong>und</strong> die sich bewusst von engen Vorstellungen<br />
<strong>und</strong> „alten“ Bildern abgrenzt. Zentrale Elemente hierfür s<strong>in</strong>d Name, Claim <strong>und</strong> Preis<br />
der Karte, für die im Zuge der Erarbeitung des Kommunikationskonzepts <strong>und</strong> im Lichte<br />
der Fokusgruppen folgende Festlegungen getroffen wurden. Als Name der Karte<br />
wurde „umwelt.plus.karte“, als ihr Claim „Gutes günstig genießen“ gewählt. Die ursprüngliche<br />
Preisvorstellung wurde um zehn Euro auf 15 Euro pro Jahr reduziert.<br />
In der Komb<strong>in</strong>ation des Namens „umwelt.plus.karte“ <strong>und</strong> dem Claim „Gutes günstig<br />
genießen“ mit der niedrigen Jahresgebühr werden die unterschiedlichen Facetten der<br />
K<strong>und</strong>enkarte verknüpft <strong>und</strong> „Motivallianzen“ (Beitrag Belz; Empacher et al. 2002,<br />
S. 134ff.) systematisch hergestellt. Die Verknüpfung deutet auf ökologische <strong>und</strong> qualitativ<br />
hochwertige Produkte ebenso h<strong>in</strong> wie auf monetäre Vergünstigungen. Gleichzeitig<br />
weist sie darüber h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt mit Genuss <strong>und</strong> dem „Plus“ e<strong>in</strong> sehr positives<br />
Element <strong>in</strong>s Spiel, das Bezug zu den Kultur- <strong>und</strong> Freizeitangeboten der Karte hat. Damit<br />
sollen umweltbewusste Käufer angesprochen <strong>und</strong> andere, stärker konsumorientierte<br />
nicht abgeschreckt gewerden. Gleichzeitig bekommt die Karte mit dieser Ausrichtung<br />
auch e<strong>in</strong> besonderes Profil, das der Eigenständigkeit des Angebots entspricht.
Die umwelt.plus.karte 107<br />
Kommunikationsstrategie <strong>und</strong> -<strong>in</strong>strumente<br />
Ausgehend von den im Kommunikationskonzept entwickelten Anforderungen an die<br />
Vermarktung der umwelt.plus.karte wurde e<strong>in</strong>e Kommunikationsstrategie erstellt. Diese<br />
legt fest, mit welcher Zielsetzung die oben aufgeführten positionierungsrelevanten<br />
Botschaften den identifizierten Zielgruppen der Karte vermittelt werden sollen. Im<br />
Kern war die Strategie darauf ausgerichtet, e<strong>in</strong>e möglichst vollständige Abdeckung der<br />
Stadtteile Heidelbergs mit dem höchsten Anteil von Bewohnern aus den identifizierten<br />
Zielgruppen durch Werbung <strong>und</strong> PR zu erreichen. Ziel war es, im Verlauf von e<strong>in</strong>em<br />
Jahr r<strong>und</strong> 1.000 umwelt.plus.karten abzusetzen. E<strong>in</strong>e starke optische Präsenz <strong>in</strong> den<br />
teilnehmenden Geschäften sollte die Werbe- <strong>und</strong> Informationsmöglichkeiten vervollständigen.<br />
Dazu wurden folgende Schritte geplant:<br />
� Sämtliche Haushalte <strong>in</strong> den def<strong>in</strong>ierten Stadtteilen sollen e<strong>in</strong>e umfassende Information<br />
zur E<strong>in</strong>führung der umwelt.plus.karte erhalten.<br />
� Mittels Presse<strong>in</strong>formationen <strong>und</strong> PR-Artikeln <strong>in</strong> Stadt(teil)zeitungen soll e<strong>in</strong>e möglichst<br />
vollständige Presseabdeckung für den gesamten Geltungsbereich erzielt werden.<br />
� Durch Werbematerialien am Po<strong>in</strong>t of Sale (POS) soll <strong>in</strong> den Geschäften aller Anbieter<br />
auf die umwelt.plus.karte h<strong>in</strong>gewiesen werden.<br />
Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />
Die im Rahmen der Kommunikationsstrategie zum E<strong>in</strong>satz kommenden Instrumente<br />
wurden entsprechend den folgenden Gestaltungsl<strong>in</strong>ien entwickelt (Primärdesign):<br />
� Viel Weißraum mit kontrapunktisch gestalteten Flächen zur Schaffung e<strong>in</strong>es belebten,<br />
frischen Auftritts.<br />
� Darstellung der Produktangebote <strong>in</strong> Bildfeldern zur schnellen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fachen Erfassung<br />
der Vielfalt des Angebots der umwelt.plus.karte.<br />
� Verwendung von Fotomaterial, das Freude am Konsum vermittelt <strong>und</strong> damit vom<br />
üblichen Klischee e<strong>in</strong>es traditionellen „Öko“-Milieus abweicht.<br />
Hierdurch wird e<strong>in</strong> Produktdesign geschaffen, das die kommunikative Brücke zwischen<br />
ökologisch orientierten Personen <strong>und</strong> solchen Käuferschichten schaffen kann,<br />
die nicht diesem Milieu zuzurechnen s<strong>in</strong>d. Im E<strong>in</strong>zelnen kamen zur Markte<strong>in</strong>führung<br />
der umwelt.plus.karte die folgenden Instrumente zum E<strong>in</strong>satz:
108 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
� Zentrales Medium zur Information über die Karte war e<strong>in</strong> Booklet. In dieser<br />
26-seitigen Broschüre konnte der Interessent alles über die Karte, ihre Konditionen<br />
sowie das Sortiment der Anbieter erfahren. Das Booklet wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage<br />
von 30.000 Stück gedruckt <strong>und</strong> per Postwurfsendung an alle 22.000 Haushalte der<br />
gewählten Stadtteile versandt. Die restliche Auflage wurde <strong>in</strong> den Geschäften sowie<br />
im Büro des Kartenbetreibers (Weitergeben e.V.) ausgelegt.<br />
� E<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>nspiel sowie e<strong>in</strong>e Subskriptionsfrist von fünf Wochen sollten den notwendigen<br />
Anreiz zum schnellen Erwerb der Karte schaffen. Mit e<strong>in</strong>em speziellen<br />
Flyer wurde über diese beiden Aktionen <strong>in</strong>formiert; er wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage von<br />
10.000 Stück gedruckt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den teilnehmenden Geschäften sowie an anderen Orten<br />
ausgelegt.<br />
� Parallel zur Produkte<strong>in</strong>führung wurde e<strong>in</strong> Internetauftritt zur umwelt.plus.karte<br />
umgesetzt, der das Kartenangebot <strong>in</strong> ähnlicher Weise wie Booklet <strong>und</strong> Flyer präsentiert.<br />
� Als POS-Werbematerialien wurden e<strong>in</strong> Plakat, Bockständer vor den Geschäften,<br />
Deckenabhänger <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Infostand gewählt.<br />
� Last but not least die umwelt.plus.karte selbst. Gestaltet im Scheckkartenformat<br />
<strong>und</strong> versehen mit Bildmotiven aus dem Produkt- <strong>und</strong> Dienstleistungsspektrum der<br />
Anbieter schafft die Karte den Bezug zu den Angeboten, die mit ihr genutzt werden<br />
können.<br />
Abbildung 1: umwelt.plus.karte
Die umwelt.plus.karte 109<br />
Akquisition der Anbieter<br />
Die Anbieterakquisition, die überwiegend im Zeitraum von November 2002 bis März<br />
2003 stattfand, wurde auf der Basis von Gesprächen mit <strong>in</strong> der Regel den Geschäfts<strong>in</strong>habern<br />
durchgeführt. E<strong>in</strong>e bei diesen Gesprächen ausgehändigte, professionell gestaltete<br />
Verkaufsmappe mit Informationen zu allen wesentlichen Aspekten der Karte ermöglichte<br />
den Geschäften im Nachgang des Gesprächs e<strong>in</strong>e gezielte Entscheidungsf<strong>in</strong>dung<br />
h<strong>in</strong>sichtlich der Teilnahme an der Karte. Insgesamt wurden, neben zahlreichen<br />
telefonischen Gesprächen, 60 persönliche Akquisitionsgespräche geführt, die <strong>in</strong> 23<br />
Fällen <strong>in</strong> den Abschluss e<strong>in</strong>er Kooperationsvere<strong>in</strong>barung zur Teilnahme an der Karte<br />
mündeten. Die Vere<strong>in</strong>barung be<strong>in</strong>haltet u.a. die ausgehandelten Rabatte, Kündigungsklauseln<br />
<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien. 37 Anbieter entschlossen sich also, nicht an<br />
dem Kartensystem teilzunehmen. Die wichtigsten hierfür genannten Gründe waren<br />
� die generelle Ablehnung von K<strong>und</strong>enkarten (<strong>und</strong> damit z.T. auch von Rabatten),<br />
� Zweifel an den Erfolgsaussichten des Projekts sowie<br />
� mangelnde f<strong>in</strong>anzielle Mittel, um beispielsweise im Booklet Anzeigenplatz zu erwerben.<br />
Markte<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Diffusion<br />
Die Markte<strong>in</strong>führung der umwelt.plus.karte erfolgte Anfang Mai 2003 mit der Verteilung<br />
des Booklets, der Platzierung von Werbematerialien – <strong>in</strong>sbesondere den Gew<strong>in</strong>nspielflyern<br />
– bei den teilnehmenden Geschäften, der Freischaltung der Homepage<br />
www.umweltpluskarte.de <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Pressegespräch. Zu diesem Zeitpunkt umfasste<br />
das Portfolio der Anbieter 23 Geschäfte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen aus den Bereichen Lebensmittel,<br />
Dienstleistungen (Reparatur, Waschsalon, Car-Shar<strong>in</strong>g, W<strong>in</strong>delservice,<br />
Gerätevermietung, Copy-Shop), Spielwaren, Möbel, Fahrräder, Handwerk (Maler,<br />
Schre<strong>in</strong>er) <strong>und</strong> Kultur (Kunstvere<strong>in</strong>, Musikveranstalter, Sprachkurse). Diese bieten<br />
den Kartennutzern Rabatte zwischen drei (z.B. Lebensmittel) <strong>und</strong> zehn Prozent (z.B.<br />
Spielwaren, Musikveranstaltungen, W<strong>in</strong>delservice). In manchen Fällen beschränken<br />
sich die Rabatte auf E<strong>in</strong>malvergünstigungen, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>en Nachlass bei der<br />
Aufnahmegebühr zum Car-Shar<strong>in</strong>g.<br />
Die umwelt.plus.karte konnte sich sehr viel rascher als <strong>in</strong> der Kommunikationsstrategie<br />
geplant im Markt behaupten – Anfang März 2004 waren bereits 1.262 Karten verkauft,<br />
davon 937 (74,2%) Hauptkarten <strong>und</strong> 325 (25,8%) Zusatzkarten für Familienmitglieder<br />
oder Lebenspartner, die zum Preis von 1,50 Euro abgegeben werden. Geht<br />
man davon aus, dass alle<strong>in</strong> für den Bereich der Bio-Lebensmittel 4 Prozent aller weib-
110 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
lichen B<strong>und</strong>esbürger angeben, diese häufig zu kaufen (Gruner+Jahr AG & Co 2002,<br />
S. 93) – was für Heidelberg <strong>in</strong> etwa 3.000 Haushalten entspricht –, so kann die Ausschöpfung<br />
des Zielgruppenpotenzials der Karte als gut bezeichnet werden. Dieser Erfolg<br />
war e<strong>in</strong> wichtiger Anreiz für weitere Heidelberger Geschäfte, sich der umwelt.plus.karte<br />
anzuschließen. Im März 2004 zählten 29 Anbieter zu den Teilnehmern<br />
an dem Rabattsystem der umwelt.plus.karte (drei weitere Anbieter waren geplant), von<br />
denen e<strong>in</strong>ige von sich aus mit der Bitte um Aufnahme an den Kartenbetreiber (seit Dezember<br />
2003 der Umweltvere<strong>in</strong> Ökostadt Rhe<strong>in</strong>-Neckar) herangetreten s<strong>in</strong>d.<br />
3 Ergebnisse der Befragung der Nutzer der umwelt.plus.karte<br />
Im Dezember 2003 wurde geme<strong>in</strong>sam mit der Ausgabe des umwelt.plus.<strong>in</strong>fo, dem<br />
Newsletter der umwelt.plus.karte, den Nutzern e<strong>in</strong> Fragebogen des IÖW zugeschickt,<br />
der auf zwei Seiten Fragen <strong>in</strong>sbesondere zur Verwendung <strong>und</strong> Bewertung der Karte<br />
<strong>und</strong> zu soziodemografischen Parametern stellt. Der auf diese Weise an 903 Inhaber<br />
von Hauptkarten (Zweitkartenbesitzer erhalten ke<strong>in</strong> eigenes Exemplar des umwelt.plus.<strong>in</strong>fo)<br />
versandte Fragenbogen wurde von 157 Personen beantwortet, was e<strong>in</strong>er<br />
Rücklaufquote von 17,4 Prozent entspricht.<br />
Soziodemografische Charakterisierung der Nutzer <strong>und</strong> Kaufmotive<br />
Drei Viertel der Karten<strong>in</strong>haber s<strong>in</strong>d Frauen. H<strong>in</strong>sichtlich der Altersstruktur der Nutzer<br />
ist e<strong>in</strong> deutlicher Schwerpunkt von Menschen mittleren Alters festzustellen: Mit 43,9<br />
Prozent bef<strong>in</strong>den sich die meisten Nutzer <strong>in</strong> der Altersgruppe der 40 bis 49-jährigen,<br />
gefolgt von den 30 bis 39-jährigen (28,7%). Lediglich sieben Prozent der Kartenbesitzer<br />
s<strong>in</strong>d unter 30 Jahre alt, <strong>und</strong> nur 17,8 Prozent s<strong>in</strong>d über 50 Jahre alt.<br />
Das Ausbildungsniveau der Nutzer der umwelt.plus.karte ist überdurchschnittlich<br />
hoch, denn alle Befragten waren entweder auf e<strong>in</strong>er weiterführenden Schule oder haben<br />
Abitur. Alle<strong>in</strong> zwei Drittel von ihnen haben e<strong>in</strong> Studium absolviert. Menschen mit<br />
e<strong>in</strong>em niedrigeren Ausbildungsniveau s<strong>in</strong>d unter den Nutzern der umwelt.plus.karte<br />
praktisch nicht vertreten.<br />
Der Großteil der Nutzer der umwelt.plus.karte ist entweder voll (38,2%) oder teilberufstätig<br />
(33,2%). Schüler, Auszubildende <strong>und</strong> Studenten auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong><br />
Rentner auf der anderen Seite s<strong>in</strong>d – wie angesichts der oben dargestellten Altersstruktur<br />
nicht anders zu erwarten – nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Umfange vertreten (jeweils 6,4%).<br />
Zur Ermittlung der Motive für den Erwerb e<strong>in</strong>er umwelt.plus.karte wurden vier hierfür<br />
<strong>in</strong> Frage kommende Begründungsmöglichkeiten vorgegeben: „Ich spare beim E<strong>in</strong>-
Die umwelt.plus.karte 111<br />
kauf“, „Ich tue etwas für die Umwelt“, „Ich unterstütze regionale Anbieter“ <strong>und</strong> „Ich<br />
unterstütze kle<strong>in</strong>e Geschäfte“. Anzugeben war jeweils, ob das Motiv für den Befragten<br />
e<strong>in</strong>e große, mittlere oder ger<strong>in</strong>ge Bedeutung hat. Gemessen an der Ausprägung „Große<br />
Bedeutung“ zeigt sich, dass das Sparmotiv die meisten (66,2%) <strong>und</strong> die Unterstützung<br />
kle<strong>in</strong>er Geschäfte die wenigsten Nennungen (49,0%) erhält. Be<strong>in</strong>ahe gleichauf <strong>und</strong><br />
nahezu exakt zwischen diesen beiden Kaufbegründungen liegen die Motive Umweltschutz<br />
<strong>und</strong> Unterstützung regionaler Anbieter, denen von 58,0 beziehungsweise 56,7<br />
Prozent e<strong>in</strong>e große Relevanz beigemessen wird.<br />
Altersspezifische Unterschiede lassen sich <strong>in</strong>soweit feststellen, als dass die 20 bis<br />
29-jährigen den Spar- <strong>und</strong> Umweltschutzmotiven e<strong>in</strong>e überdurchschnittlich hohe Relevanz<br />
beimessen <strong>und</strong> das für die 50 bis 59-jährigen die Aspekte der Unterstützung<br />
regionaler <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>er Geschäfte überproportional von Bedeutung s<strong>in</strong>d; im Gegensatz<br />
zu allen anderen Altersgruppen bewerten sie diese Motive im Rahmen ihrer altersgruppen<strong>in</strong>ternen<br />
Rangliste der Kaufmotive höher als die Spar- <strong>und</strong> Umweltthematik.<br />
Nutzungs- <strong>und</strong> Bewertungsmuster<br />
Die umwelt.plus.karte ist <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong> Begleiter des täglichen E<strong>in</strong>kaufs. Nur<br />
8,9 Prozent der Nutzer geben an, sie fast täglich e<strong>in</strong>zusetzen, die große Mehrheit von<br />
etwas über 50 Prozent tut dies dagegen nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche, mehr als<br />
e<strong>in</strong> Drittel sogar nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Monat oder noch seltener.<br />
Auf die Vielfalt des Anbieterspektrums greifen die Kartenbesitzer nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr<br />
e<strong>in</strong>geschränkten Maße zurück. So setzen die meisten Nutzer (56,1%) die umwelt.plus.karte<br />
nur bei e<strong>in</strong>em oder bei zwei Anbietern e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> gutes Fünftel nutzt sie<br />
bei drei Anbietern <strong>und</strong> e<strong>in</strong> weiteres Fünftel bei immerh<strong>in</strong> vier bis sieben Geschäften.<br />
Der dar<strong>in</strong> zum Ausdruck kommende ungleich verteilte E<strong>in</strong>satz der umwelt.plus.karte<br />
bei den Anbietern hängt natürlich eng mit der Struktur des Angebotsportfolios zusammen,<br />
das sowohl Güter des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) als auch seltener<br />
nachgefragte Waren <strong>und</strong> Dienstleistungen (z.B. Fährräder, Gerätevermietung) umfasst.<br />
So ist es ke<strong>in</strong> Zufall, dass die an der Karte teilnehmenden Naturkostläden die am häufigsten<br />
frequentierten Anbieter s<strong>in</strong>d.<br />
Die Frage, ob die Mitwirkung an der umwelt.plus.karte den Leistungspartnern neue<br />
K<strong>und</strong>en gebracht hat, lässt sich auf der Basis der erhobenen Daten nicht e<strong>in</strong>deutig beantworten.<br />
Die Antworten hierzu deuten zwar darauf h<strong>in</strong>, dass fast alle Anbieter aufgr<strong>und</strong><br />
der Karte e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enzuwachs zu verzeichnen haben. Die Aussagekraft dieser<br />
Ergebnisse ist jedoch aufgr<strong>und</strong> der sehr kle<strong>in</strong>en Fallzahlen, potenzieller Mitnahmeeffekte<br />
im Rahmen e<strong>in</strong>er bereits gefällten Entscheidung <strong>und</strong> möglicher Miss<strong>in</strong>terpreta-
112 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
tionen der entsprechenden Formulierung im Fragebogen mit e<strong>in</strong>em großen Fragezeichen<br />
zu versehen.<br />
Das unter dem Dach der umwelt.plus.karte zusammengeschlossene Anbieterspektrum<br />
wird von den Kartenbesitzern als gut bewertet (der auf Basis der Vergabe von Noten<br />
von 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend ermittelte Durchschnitt beträgt 1,8). Bei den Rabatten<br />
dagegen fällt die E<strong>in</strong>schätzung mit e<strong>in</strong>em Durchschnittswert von 3,0 deutlich<br />
zurückhaltender aus, was sich <strong>in</strong>sbesondere aus den schlechten Beurteilungen von<br />
E<strong>in</strong>malrabatten oder von Angeboten erklärt, bei denen bestimmte Warengruppen (z.B.<br />
Frischwaren) von der Rabattierung ausgeschlossen werden.<br />
E<strong>in</strong> sehr wichtiges Indiz für den Grad der Zufriedenheit mit der umwelt.plus.karte ist<br />
schließlich dar<strong>in</strong> zu sehen, ob die Kartennutzer nach dem Ablauf der Gültigkeitsfrist<br />
von e<strong>in</strong>em Jahr e<strong>in</strong>e weitere Karte erwerben wollen oder nicht. Auf die <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
gestellt Frage „Würden Sie die umwelt.plus.karte <strong>in</strong> ihrer jetzigen Form<br />
für e<strong>in</strong> weiteres Jahr erwerben?“ antwortete e<strong>in</strong> gutes Drittel mit „ja“, e<strong>in</strong> weiteres<br />
knappes Drittel mit „wahrsche<strong>in</strong>lich“. Unentschieden („vielleicht“) gibt sich e<strong>in</strong> Fünftel<br />
<strong>und</strong> nur für e<strong>in</strong> Achtel der Kartennutzer kommt e<strong>in</strong> Neuerwerb wahrsche<strong>in</strong>lich oder<br />
sicher nicht <strong>in</strong> Frage.<br />
Fazit der Fragebogenaktion<br />
Soziodemografisch s<strong>in</strong>d die Inhaber der unwelt.plus.karte überwiegend dem bildungsbürgerlichen<br />
Mittelschichtmilieu zuzurechnen, aus dem sich ökologisch <strong>und</strong> nachhaltig<br />
orientierte Konsumenten für gewöhnlich rekrutieren. Damit konnte das im Kommunikationskonzept<br />
anvisierte Ziel, als Kartennutzer auch Personen aus für nachhaltigen<br />
Konsum untypischen Bevölkerungsschichten zu gew<strong>in</strong>nen, bislang weitgehend<br />
nicht erreicht werden. Konkret handelt es sich bei den Kartenbesitzern <strong>in</strong> der Regel um<br />
Frauen mittleren Alters (30-49), die e<strong>in</strong> Studium absolviert haben, teil- oder vollberufstätig<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong>in</strong> Familien oder Lebensgeme<strong>in</strong>schaften mit e<strong>in</strong>em oder zwei<br />
K<strong>in</strong>dern leben. Männer, unter 30-jährige (<strong>und</strong> damit Studenten) <strong>und</strong> über 60-jährige<br />
(<strong>und</strong> damit Rentner), ger<strong>in</strong>g Qualifizierte, S<strong>in</strong>gles <strong>und</strong> Haushalte ohne K<strong>in</strong>der spielen<br />
im Kreis der Kartennutzer dagegen e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Die nach Umsatz <strong>und</strong><br />
K<strong>und</strong>enzahl bislang wichtigsten Leistungspartner s<strong>in</strong>d „klassische“ Öko-Anbieter<br />
(z.B. Naturkostläden), die aufgeschlossene, aber konventionelle Käuferschichten nur<br />
bed<strong>in</strong>gt ansprechen. Zudem stellt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der kostenpflichtigen<br />
umwelt.plus.karte aus Sicht von weniger umweltorientierten K<strong>und</strong>en möglicherweise<br />
als nicht attraktiv genug dar.
Die umwelt.plus.karte 113<br />
Alles <strong>in</strong> allem wird der umwelt.plus.karte von ihren Nutzern e<strong>in</strong> gutes Zeugnis ausgestellt,<br />
das gerade <strong>in</strong> der überwiegend geäußerten Absicht, die Karte für e<strong>in</strong> weiteres<br />
Jahr erwerben zu wollen <strong>und</strong> der hohen Wertschätzung der unter ihrem Dach versammelten<br />
Anbieter zum Ausdruck kommt. Von e<strong>in</strong>er ungebrochenen Zufriedenheit mit<br />
den Anwendungsmöglichkeiten der Karte kann jedoch nicht ausgegangen werden.<br />
Vielmehr gibt es deutliche H<strong>in</strong>weise darauf, dass die hauptsächlich aufgr<strong>und</strong> des<br />
Sparmotivs angeschaffte umwelt.plus.karte oftmals die diesbezüglich <strong>in</strong> sie gesetzten<br />
Erwartungen nicht erfüllt. In diese Richtung weisen die im Vergleich zum Anbieterspektrum<br />
recht kritisch bewerteten Rabattangebote, der vielfach auf wenige (Lebensmittel-)Geschäfte<br />
begrenzte E<strong>in</strong>satzbereich <strong>und</strong> der hohe Anteil derjenigen, die die<br />
Karte nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Monat oder seltener benutzen.<br />
4 Kritische Würdigung der umwelt.plus.karte<br />
Die umwelt.plus.karte stellt sich derzeit als Erfolg dar. Ihre Akzeptanz ist zu e<strong>in</strong>em<br />
Großteil auf die „E<strong>in</strong>fachheit“ des Konzepts zurückzuführen. So erweist sich das Pr<strong>in</strong>zip<br />
der Selbstverpflichtung der Anbieter h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />
im praktischen Betrieb der Karte als äußerst effizient. Die K<strong>und</strong>ennachfrage ist<br />
auf die offenbar weitgehend e<strong>in</strong>gelöste Motivallianz aus Ökologie-, Spar- <strong>und</strong> Genuss-<br />
Orientierung zurückzuführen. Darüber h<strong>in</strong>aus schafft der Gr<strong>und</strong>satz „direkte Vergünstigung<br />
pro E<strong>in</strong>kauf“ Transparenz bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Karte<br />
<strong>und</strong> sche<strong>in</strong>t im Vergleich zu Bonus- <strong>und</strong> Verrechnungssystemen als die attraktivere<br />
Kartenlogik. Wie jedoch die Umfrage unter den Kartenbesitzern gezeigt hat, stellt das<br />
Rabattsystem die „Achillesferse“ des Konzepts dar. Nicht nur mittels substantieller<br />
Vergünstigungen, sondern erst durch möglichst e<strong>in</strong>heitliche <strong>und</strong> direkte monetäre Benefits<br />
wird dem Kartenbesitzer e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Bestimmung des break even-Punktes<br />
möglich, was auf Dauer e<strong>in</strong>e notwendige Akzeptanzbed<strong>in</strong>gung darstellt.<br />
Die Kostenpflichtigkeit der umwelt.plus.karte kann <strong>in</strong> diesem Zusammenhang – teilweise<br />
entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Kartenentwickler – <strong>in</strong> der K<strong>und</strong>enwahrnehmung<br />
weniger als Hemmschuh, denn vielmehr als „Qualitätsmerkmal“<br />
e<strong>in</strong>es hochwertigen, marktfähigen Produktes betrachtet werden. Als weitere Erfolgsfaktoren<br />
erwiesen sich die Breite des Angebotsspektrums <strong>und</strong> der Neuigkeitsgehalt des<br />
Konzepts <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlichen Vertrautheit mit K<strong>und</strong>enkarten.<br />
Ebenso dürfte die Tatsache förderlich gewesen se<strong>in</strong>, dass die umwelt.plus.karte e<strong>in</strong><br />
Multi-Partner-Programm darstellt, also nicht für jeden e<strong>in</strong>zelnen Anbieter e<strong>in</strong>e K<strong>und</strong>enkarte<br />
benötigt wird.
114 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />
Die bisherigen Erfahrungen machen aber auch Grenzen des Ansatzes deutlich: Die<br />
umwelt.plus.karte hat bislang nicht <strong>in</strong> signifikantem Maße zu Verhaltensänderungen<br />
führen können. Bisher belohnt sie primär das E<strong>in</strong>kaufsverhalten der bereits Umwelt-<br />
Aktiven. Pr<strong>in</strong>zipiell aktivierbare, weil den Zielsetzungen der Karte gegenüber tendenziell<br />
aufgeschlossene Zielgruppen wie etwa Senioren oder Studenten konnten mit dem<br />
Konzept <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jetzigen Form nicht erreicht werden. Die unterschiedlich gewichteten<br />
Nutzungsmotive von älteren (Unterstützung regionaler <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>erer Anbieter) <strong>und</strong><br />
jüngeren Nutzern (Spar- <strong>und</strong> Umweltschutzmotive) weisen jedoch auf Entwicklungspotenziale<br />
h<strong>in</strong>, auf die im Rahmen zukünftiger Diffusions- <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere Kommunikationsmaßnahmen<br />
stärker gesetzt werden könnte. E<strong>in</strong> weitere Schwäche <strong>in</strong> der aktuellen<br />
Umsetzung illustriert der Bef<strong>und</strong>, dass Synergiepotenziale zwischen den Leistungspartnern<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Werbegeme<strong>in</strong>schaft bislang nicht beziehungsweise <strong>in</strong> nur<br />
sehr wenigen E<strong>in</strong>zelfällen entfaltet werden konnten. Hatten sich die Kartenentwickler<br />
hier e<strong>in</strong>e gewisse Eigendynamik versprochen, so zeigt sich mittlerweile, dass für derartige<br />
Maßnahmen wie zum Beispiel geme<strong>in</strong>same Sonder- oder Werbeaktionen Anschubaktivitäten<br />
seitens des Kartenbetreibers unabd<strong>in</strong>gbar s<strong>in</strong>d.<br />
Insgesamt haben sich die lokal-regionalen Bed<strong>in</strong>gungen für die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung<br />
e<strong>in</strong>er ökologisch-sozialen K<strong>und</strong>enkarte als günstig erweisen. In Heidelberg<br />
leben überdurchschnittlich viele umweltorientierte Konsumenten <strong>und</strong> es haben sich<br />
zahlreiche Anbieter nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen auf begrenztem Raum<br />
etablieren können. Der Trend zur Ausweitung des Öko-Angebotes ist ungebrochen.<br />
Auf Kommunen mit ähnlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen wird das Konzept daher aller<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nach übertragbar se<strong>in</strong>. Ob dies auch für veränderte Ausgangsvoraussetzungen<br />
gilt, ist e<strong>in</strong>e offene Frage, die jedoch im Rahmen zukünftiger Bemühungen<br />
um e<strong>in</strong>en Transfer des Konzepts beantwortet werden soll.
Die umwelt.plus.karte 115<br />
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Teil III:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />
Situative Anwendungen
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche:<br />
„Best Practices“ aus der Schweiz<br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ist der schweizerische Baumarkt durch e<strong>in</strong> stagnierendes<br />
bis rückläufiges Gesamtvolumen <strong>und</strong> große Überkapazitäten auf der Anbieterseite<br />
gekennzeichnet. Dies führt zu e<strong>in</strong>em ausgeprägten Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerb.<br />
Die ger<strong>in</strong>ge Spezialisierung <strong>und</strong> Differenzierung vieler Bauunternehmen, die<br />
starke Produktorientierung, das reaktive Kurzfristmarket<strong>in</strong>g <strong>und</strong> die mangelnde Innovationsfähigkeit<br />
verstärken die destruktiven Markttendenzen (Bächi 2000, S. 64-76).<br />
Um als Bauunternehmen auf Dauer im Wettbewerb zu bestehen, ist e<strong>in</strong> konstruktiver<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatz vonnöten, der sich an den Bedürfnissen der K<strong>und</strong>en ausrichtet, e<strong>in</strong>e<br />
klare Positionierung anstrebt <strong>und</strong> nutzenorientierte Leistungssysteme be<strong>in</strong>haltet (ebd.,<br />
S. 77-199). E<strong>in</strong> solcher konstruktiver Ansatz kann im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bestehen,<br />
welches bestrebt ist, die K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mit ökologischen <strong>und</strong><br />
sozialen Anliegen zu br<strong>in</strong>gen (Beitrag Belz).<br />
Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht dar<strong>in</strong>, die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche am Beispiel der Schweiz zu erk<strong>und</strong>en,<br />
wobei der Fokus auf Wohn- <strong>und</strong> Bürohäusern liegt (Neubau <strong>und</strong> Sanierung bzw. Modernisierung).<br />
Der Gr<strong>und</strong> für die Schwerpunktsetzung auf Wohn- <strong>und</strong> Bürohäuser liegt<br />
<strong>in</strong> der wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Bedeutung, die diesem Bereich zukommt.<br />
In die Untersuchung werden direkt <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkt am Bauprozess beteiligte Unternehmen<br />
e<strong>in</strong>bezogen, d.h. Planer, Architekten, Baumateriallieferanten, Bauelementelieferanten,<br />
Bau- <strong>und</strong> Generalunternehmen. Bauunternehmen erbr<strong>in</strong>gen die Bauleistungen,<br />
d.h. sie stellen die Gebäude vor Ort her. Generalunternehmen übernehmen zusätzlich<br />
zu den Bauleistungen auch Planungsleistungen, d.h. sie planen <strong>und</strong> koord<strong>in</strong>ieren<br />
alle Tätigkeiten, die zur Erstellung des Gebäudes notwendig s<strong>in</strong>d. Da es den Rahmen<br />
der Untersuchung sprengen würde, können Tiefbau (Verkehr, Ver-/ Entsorgung)<br />
<strong>und</strong> gewerblicher Hochbau (Industriebauten) nicht näher betrachtet werden. Die empirischen<br />
Ergebnisse beruhen primär auf 19 teilstandardisierten, offenen Interviews mit<br />
27 Experten aus der Baubranche, welche die Autoren zwischen August <strong>und</strong> Dezember
120 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
2002 persönlich geführt haben. Zu den befragten Unternehmen bzw. Institutionen zählen:<br />
ABB, Alfred Müller AG, Allreal, Amste<strong>in</strong> + Walthert, Baugenossenschaft Milchbuck,<br />
Blumer-Lehmann, Flumroc, Forbo, Häusle & Koller, HG Commerciale, Industrial<br />
Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g, Landis, Metron, M<strong>in</strong>ergie, Schweizer Metallbau, Sarnafil International,<br />
Schweizer Normenvere<strong>in</strong>igung, Swiss Susta<strong>in</strong>able Systems, <strong>und</strong> WWF. Die fünf<br />
Leitfragen der Interviews lauteten:<br />
� Was s<strong>in</strong>d nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen im Bereich Bauen <strong>und</strong> Wohnen?<br />
� Wor<strong>in</strong> kann der K<strong>und</strong>enmehrwert sozialer <strong>und</strong> ökologischer Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />
bestehen?<br />
� Welche Maßnahmen ergreift Ihr Unternehmen auf der strategischen <strong>und</strong> operativen<br />
Ebene, um den K<strong>und</strong>en soziale <strong>und</strong> ökologische Aspekte näher zu br<strong>in</strong>gen?<br />
� Werden durch die Orientierung am Leitbild der Nachhaltigkeit neue K<strong>und</strong>en gewonnen<br />
oder resultiert daraus e<strong>in</strong>e stärkere K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung?<br />
� Wie werden die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für nachhaltiges Bauen festgelegt? Wer s<strong>in</strong>d<br />
die zentralen Akteure?<br />
Die Interviews dauerten jeweils zwischen 60 <strong>und</strong> 120 M<strong>in</strong>uten, wurden digital aufgezeichnet<br />
<strong>und</strong> als Ergebnisprotokolle schriftlich festgehalten. Ergänzend wurden (Unternehmens-)Dokumentationen<br />
erhoben <strong>und</strong> systematisch im H<strong>in</strong>blick auf Aspekte des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ausgewertet. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Literatur-<br />
<strong>und</strong> Internetrecherche betrieben. Anfang 2003 erfolgte e<strong>in</strong>e schriftliche (Konsens-<br />
)Validierung der empirischen Ergebnisse mit ausgewählten Experten.<br />
Der Aufbau des vorliegenden Beitrags ist wie folgt: Zunächst werden die K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />
sowie die sozial-ökologischen Probleme analysiert, die mit der Herstellung,<br />
Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von Gebäuden e<strong>in</strong>hergehen (Kap. 2). Damit wird das für das<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> immanente Spannungsfeld von K<strong>und</strong>enbedürfnissen <strong>und</strong><br />
sozial-ökologischen Problemen beschrieben. Im Hauptteil der Arbeit werden die Möglichkeiten,<br />
aber auch die Grenzen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche<br />
dargestellt (Kap. 3). Die Beispiele von Unternehmen aus der schweizerischen Baubranche<br />
haben exemplarischen Charakter. Es handelt sich um erste identifizierte „Best<br />
Practices“ im S<strong>in</strong>ne des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Abschließend erfolgen e<strong>in</strong>e kurze<br />
Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerungen.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 121<br />
2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der Baubranche im Spannungsfeld<br />
von sozial-ökologischen Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen<br />
Analyse der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme<br />
Die Bauwirtschaft (Planung, Bauhauptgewerbe, Ausbaugewerbe <strong>und</strong> Zuliefer<strong>in</strong>dustrie)<br />
zählt zu den wichtigsten Branchen der schweizerischen Volkswirtschaft. Im Jahr 1997<br />
beschäftigte die Baubranche <strong>in</strong>sgesamt 570.000 Arbeitnehmer (= 21% aller Beschäftigten)<br />
<strong>und</strong> erzielte e<strong>in</strong>en Anteil von r<strong>und</strong> 10% des schweizerischen Brutto<strong>in</strong>landsproduktes<br />
(Schweizerischer Baumeisterverband 1998, S. 1ff.). Mit der Erstellung von<br />
Wohngebäuden befriedigt die Baubranche gr<strong>und</strong>legende menschliche Bedürfnisse<br />
(Schutz, soziales Zusammenleben, Selbstverwirklichung etc.). Dieser hohen Wertschöpfung<br />
steht e<strong>in</strong> nicht unerhebliches Maß an ökologischer <strong>und</strong> sozialer Schadschöpfung<br />
gegenüber, der verstärkt Rechnung zu tragen ist. Die Analyse der negativen<br />
Effekte ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art, die mit Herstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung<br />
von Gebäuden e<strong>in</strong>hergehen, ist e<strong>in</strong>e unerlässliche Informationsgr<strong>und</strong>lage für das<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche. Tabelle 1 gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die<br />
sozial-ökologische Schadschöpfung von Gebäuden entlang des Lebenszyklus von der<br />
Wiege bis zur Bahre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Datenlage <strong>und</strong> -qualität<br />
der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekte unterschiedlich zu beurteilen s<strong>in</strong>d: Während<br />
die Umweltbelastungen <strong>in</strong> der Zwischenzeit umfassend untersucht, teilweise quantitativ<br />
belegbar <strong>und</strong> gut dokumentiert s<strong>in</strong>d (bspw. Koller 1994; ders. 1995; Öko-Institut<br />
1996; dass. 1998), besteht bei den sozialen Problemen <strong>und</strong> Anliegen u.E. noch erheblicher<br />
Forschungsbedarf. Die entsprechenden hier gemachten Aussagen s<strong>in</strong>d als vorläufiger<br />
Entwurf <strong>und</strong> als Diskussionsgr<strong>und</strong>lage zu verstehen. Die Vertiefung der sozialen<br />
Aspekte bleibt weiterer Forschung vorbehalten.<br />
Aus ökologischer Sicht kommt der Erstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von Gebäuden<br />
e<strong>in</strong>e sehr große Bedeutung zu. R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel aller Stoff- <strong>und</strong> Energieflüsse <strong>und</strong> der<br />
damit verb<strong>und</strong>enen Umweltprobleme s<strong>in</strong>d dem Bedürfnisfeld Bauen/Wohnen zuzuordnen<br />
(Behrensmeier/Br<strong>in</strong>gezu 1995; BUND/Misereor 1997, S. 102-109).<br />
� Auf der ersten Stufe der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung/Baumaterialherstellung ist zunächst<br />
der hohe Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen zu nennen (Koller 1995,<br />
S. 122-145). Der Rohstoffabbau stellt e<strong>in</strong>en tiefen E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die bestehende Natur<br />
dar <strong>und</strong> hat negative Auswirkungen auf die Ökosysteme. Die Herstellung von Baustoffen<br />
wie Zement, Ziegeln, Kunststoffen, Dämmstoffen, B<strong>in</strong>demitteln usw. ist<br />
mit hohen Energieverbräuchen <strong>und</strong> Luftemissionen verb<strong>und</strong>en.
122 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
� Die Planungsphase selbst verursacht ke<strong>in</strong>e wesentlichen negativen ökologische<br />
Effekte. Allerd<strong>in</strong>gs werden <strong>in</strong> diesem Stadium Ausmaß <strong>und</strong> Art der negativen ökologischen<br />
Effekte während der Bau-, Verwendungs- <strong>und</strong> Post-Verwendungsphase<br />
wesentlich bee<strong>in</strong>flusst.<br />
� In der Bauphase ist darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass im Gegensatz zur Modernisierung<br />
von Altbauten die Erstellung neuer Gebäude mit Bodenverbrauch verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Bezüglich der Ökologie ist es e<strong>in</strong>e zentrale Frage, ob es sich um e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>familienhaus<br />
auf der grünen Wiese ohne Anschluss an den öffentlichen Verkehr handelt<br />
oder um e<strong>in</strong>e Wohnsiedlung <strong>in</strong> gut erschlossenem Gebiet. Ersteres ist mit e<strong>in</strong>em<br />
vergleichsweise hohen Flächenverbrauch verb<strong>und</strong>en (<strong>in</strong>klusive Zufahrtswege) <strong>und</strong><br />
<strong>in</strong>duziert <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> hohes Maß an motorisiertem Individualverkehr, während<br />
letzteres aus ökologischer Sicht besser zu beurteilen ist. In dicht besiedelten Ländern<br />
wie der Schweiz ist Boden e<strong>in</strong>e knapp werdende Ressource. Zudem fallen<br />
beim Bauprozess alkalische Abwässer an, die neben Zementrückständen auch zahlreiche<br />
Schadstoffe be<strong>in</strong>halten <strong>und</strong> die Böden sowie das Gr<strong>und</strong>wasser gefährden.<br />
� Auf der Stufe der Nutzung s<strong>in</strong>d die direkten <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkten Umwelte<strong>in</strong>wirkungen<br />
besonders hoch. Während der Nutzung e<strong>in</strong>es Gebäudes wird <strong>in</strong> etwa zehnmal soviel<br />
Energie verbraucht wie bei der Erstellung. Die entscheidende Größe für den<br />
Energieverbrauch während der Nutzungsphase ist die Raumwärme. Neben dem<br />
Nutzerverhalten hängt der Energieverbrauch entscheidend vom Stand der Technik<br />
ab. Seit Mitte der 1970er Jahre s<strong>in</strong>d erhebliche Fortschritte <strong>in</strong> der Wärmedämmung<br />
<strong>und</strong> Isolation erzielt worden, die zu e<strong>in</strong>er Erhöhung der Energieeffizienz führten.<br />
Dieser Aspekt gew<strong>in</strong>nt auch <strong>in</strong> der Altbausanierung zunehmend an Bedeutung,<br />
kann doch hier die ökologische Schadschöpfung durch spezifische Baumaßnahmen<br />
e<strong>in</strong>gedämmt werden. Die nachweislich erzielten Energieeffizienzvorteile aufgr<strong>und</strong><br />
verbesserter Baumaterialien werden jedoch durch e<strong>in</strong>e Änderung des Wohn- <strong>und</strong><br />
Nutzerverhaltens, dem sog. Rebo<strong>und</strong>-Effekt (über-)kompensiert: Der gesamte Energieverbrauch<br />
im Wohnbereich ist seit den 1970er Jahren nicht gesunken, sondern<br />
sogar leicht angestiegen aufgr<strong>und</strong> der Zunahme an Komfortansprüchen <strong>und</strong><br />
Wohnfläche pro Kopf. E<strong>in</strong>e zweite wichtige Umweltbelastung auf der Stufe Nutzung/Betrieb<br />
ist der hohe Frisch- bzw. Tr<strong>in</strong>kwasserverbrauch der Privathaushalte.<br />
� Auf der letzten Stufe der Wiederverwertung/Entsorgung besteht das ökologische<br />
Kernproblem <strong>in</strong> den großen Abfallmengen: In der Schweiz entstehen jährlich r<strong>und</strong><br />
7 Mio. Tonnen Bauabfälle, die wiederzuverwerten bzw. zu entsorgen s<strong>in</strong>d. Dies<br />
entspricht r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Tonne Bauabfall pro Kopf <strong>und</strong> Jahr. Teilweise werden die mit
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 123<br />
toxischen Substanzen zersetzten Bauabfälle <strong>in</strong> Deponien zwischen- oder endgelagert,<br />
die noch nicht mit wirkungsvollen Abdichtungs- <strong>und</strong> Kontrollsystemen ausgestattet<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong> Langzeitrisiko für Boden, Gr<strong>und</strong>wasser <strong>und</strong> Oberflächengewässer<br />
auf lokaler bzw. regionaler Ebene darstellen.<br />
Branchen-<br />
stufe<br />
Negative<br />
Effekte<br />
Ökologische<br />
Rohstoff-<br />
gew<strong>in</strong>nung/<br />
Baumaterialherstellung<br />
Hoher Verbrauch<br />
an nicht<br />
erneuerbaren<br />
Ressourcen<br />
E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> Ökosysteme<br />
beim<br />
Rohstoffabbau<br />
Hoher Energieverbrauch<br />
<strong>und</strong><br />
Luftemissionen<br />
bei Baumaterialherstellung<br />
Soziale Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
(Ges<strong>und</strong>heit)<br />
...<br />
Planung Bauprozess/<br />
Transport<br />
... Bodenver-<br />
siegelung<br />
Nicht altersgerechterWohnraum<br />
Nicht beh<strong>in</strong>dertengerechter<br />
Wohnraum<br />
Ungenügende<br />
Partizipation der<br />
Nutzer <strong>in</strong> der<br />
Planungsphase<br />
Alkalische Abwässer <br />
Energieverbrauch<br />
Lärm-/Luft-<br />
emissionen<br />
(beim Transport) <br />
Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
(Sicherheit,<br />
Ges<strong>und</strong>heit)<br />
...<br />
Gebäude-<br />
nutzung<br />
Hoher Energieverbrauch(abhängig<br />
vom<br />
Nutzerverhalten<br />
<strong>und</strong> dem Stand<br />
der Technik)<br />
Luftemissionen<br />
Hoher Frischwasserverbrauch<br />
Wohngifte<br />
Ungenügender<br />
Benutzer-/<br />
Wohnkomfort<br />
Mangel an<br />
preisgünstigen<br />
Wohnungen<br />
<strong>in</strong> städtischen<br />
Agglomerationsgebieten<br />
...<br />
Gebäude-<br />
entsorgung<br />
Große Abfallmengen(teilweise<br />
toxisch)<br />
...<br />
Schleichende<br />
Umweltvergiftung<br />
Tabelle 1: Sozial-ökologische Schadschöpfung von Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäuden entlang des gesamten<br />
Lebenszyklus (Eigene Darstellung nach Koller 1994, 1995; Öko-Institut 1996, 1998;Belz 2001)<br />
Bei den sozialen Problemen, die <strong>in</strong> der schweizerischen Baubranche anzutreffen s<strong>in</strong>d,<br />
handelt es sich <strong>in</strong> der Regel nicht um e<strong>in</strong>e Frage des Überlebens, sondern eher um<br />
Fragen des guten Lebens. Fast ausschließlich alle Schweizer haben „e<strong>in</strong> Dach über<br />
dem Kopf“. Die Zahl der Obdachlosen ist verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g.
124 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
� Auf der ersten Stufe der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung/Baumaterialherstellung können ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Probleme am Arbeitsplatz entstehen.<br />
� In der Planung der Wohngebäude ist zukünftig vermehrt dem demographischen<br />
Wandel Rechnung zu tragen, d.h. dem Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> der Zunahme<br />
der älteren Bevölkerung. Das Angebot von altersgerechten Wohnformen ist e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Herausforderung für die Baubranche. Darüber h<strong>in</strong>aus ist auch an M<strong>in</strong>derheiten<br />
zu denken, <strong>in</strong>sbesondere Beh<strong>in</strong>derte.<br />
� Auf der Stufe der Bauerstellung stellt sich die Frage der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen (Sicherheit,<br />
Ges<strong>und</strong>heit). Da der Bau vor Ort bei fast jedem Wetter durchgeführt werden<br />
muss, s<strong>in</strong>d die körperlichen Belastungen für die Arbeitnehmer vergleichsweise<br />
hoch. E<strong>in</strong>e Forderung der Gewerkschaft ist daher die Frühpensionierung der Bauarbeiter.<br />
� Auf der Stufe der Nutzung s<strong>in</strong>d zunächst die Wohngiftbelastungen zu nennen.<br />
Zahlreiche Baumaterialien <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungsgegenstände können die Luftqualität<br />
im Innenraum negativ bee<strong>in</strong>trächtigen <strong>und</strong> toxisch-allergische Wirkungen entfalten<br />
(Schwarz 1991). Versteht man Ges<strong>und</strong>heit nicht nur als die Abwesenheit von<br />
Krankheiten, sondern im umfassenden S<strong>in</strong>n als Wohlfühlen, dann kommt dem Benutzer-<br />
<strong>und</strong> Wohnkomfort e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu, der sich <strong>in</strong> Behaglichkeit,<br />
Licht, Wärme <strong>und</strong> Ästhetik ausdrückt. Altbauten, die diesen Standards nicht mehr<br />
gerecht werden, bee<strong>in</strong>trächtigen die Wohnqualität negativ. Aus sozialer Sicht spielt<br />
vermehrt der Mangel an bezahlbaren größeren Wohnungen <strong>in</strong> städtischen Agglomerationsgebieten<br />
e<strong>in</strong>e Rolle. Vielfach sehen sich Familien aus Kostengründen gezwungen,<br />
<strong>in</strong> das Umland zu ziehen. Arbeiten die Eltern <strong>in</strong> der Agglomeration, entstehen<br />
nicht-<strong>in</strong>tendierte sozial-ökologische Nebenfolgen durch den beruflich bed<strong>in</strong>gten<br />
Pendelverkehr (sog. „Zwangsmobilität“).<br />
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass sowohl bei der Herstellung als auch bei<br />
der Nutzung von Gebäuden ökologische <strong>und</strong> soziale Probleme entstehen können. Aus<br />
den Interviews mit den Experten wird deutlich, dass der Sensibilisierungsgrad für ökologische<br />
Fragen <strong>in</strong> der Baubranche allgeme<strong>in</strong> recht hoch ist. Sozialen Problemen <strong>und</strong><br />
Anliegen, die im Zusammenhang mit der Erstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von<br />
Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäuden stehen, werden h<strong>in</strong>gegen noch weniger Aufmerksamkeit<br />
geschenkt. Wird von Unternehmen der Baubranche e<strong>in</strong> konstruktiver Ansatz im S<strong>in</strong>ne<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verfolgt, dann ist sowohl sozialen als auch ökologischen<br />
Aspekten Rechnung zu tragen. E<strong>in</strong> Schlüsselpunkt zur Reduktion der sozialökologischen<br />
Schadschöpfung besteht <strong>in</strong> der Planungsphase sowohl bei Neubauten als
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 125<br />
auch bei Modernisierungen. Hier kann zum Beispiel E<strong>in</strong>fluss genommen werden auf<br />
den Energieverbrauch während der Nutzungsphase, den E<strong>in</strong>satz umweltfre<strong>und</strong>licher<br />
<strong>und</strong> schadstofffreier Baumaterialien sowie die Schaffung beh<strong>in</strong>dertengerechten Wohnraums<br />
<strong>und</strong> flexibler Wohn- <strong>und</strong> Bürokonzepte.<br />
Analyse der K<strong>und</strong>engruppen <strong>und</strong> -bedürfnisse<br />
Das gesamte Wohnungsbauvolumen betrug <strong>in</strong> der Schweiz im Jahr 1997 knapp<br />
11 Mrd. Euro (B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1998, S. 45ff.). Auf den Neubau entfallen<br />
8,3 Mrd. Euro (= 75%) <strong>und</strong> auf die Erneuerung der bestehenden Infrastruktur 2,7 Mrd.<br />
Euro (= 25%). Während der letzten zwei Jahrzehnte ist der Anteil der Instandhaltung<br />
<strong>und</strong> Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen kont<strong>in</strong>uierlich von 19% auf<br />
25% gestiegen (B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1998). Diesem Segment kommt auch <strong>in</strong> Zukunft<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle als Wachstumsmotor <strong>in</strong> der Baubranche zu. Insgesamt ist der<br />
Wohnungsbaumarkt jedoch stagnierend, wenn nicht sogar rückläufig. Gegenüber der<br />
Hochphase der Bauwirtschaft während der 1980er Jahre hat das gesamte Marktvolumen<br />
um fast 20% abgenommen. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann man im Wohnungsbaumarkt drei<br />
verschiedene K<strong>und</strong>engruppen unterscheiden, die unterschiedliche Ziele, Wertorientierungen,<br />
bevorzugte Objekte <strong>und</strong> Merkmale aufweisen: Selbstnutzende, kommerziell<br />
orientierte <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>nützig orientierte Eigentümer.<br />
R<strong>und</strong> 30% der Bauherren benutzen die neu erstellten Wohne<strong>in</strong>heiten bzw. Häuser selber.<br />
Dabei handelt es sich ausschließlich um Privatpersonen, die sich den „Traum vom<br />
Eigenheim“ erfüllen (Bächi 2000, S. 32-33). Im Vergleich zu anderen westeuropäischen<br />
Ländern wie bspw. Norwegen, Schweden, F<strong>in</strong>nland, Großbritannien, Spanien,<br />
Österreich <strong>und</strong> Frankreich ist die Wohneigentumsquote <strong>in</strong> der Schweiz sehr niedrig.<br />
Für die selbstnutzenden Eigentümer s<strong>in</strong>d der Gebrauchswert <strong>und</strong> die Tragbarkeit der<br />
Gesamtkosten zentral. Bevorzugte Objekte s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>familienhäuser. Entsprechend hoch<br />
ist der Flächenbedarf. E<strong>in</strong> typisches Merkmal dieser Gruppe ist, dass sie ke<strong>in</strong>e oder<br />
wenig Bauerfahrung besitzt. Die Expertise entwickelt sich allenfalls im Laufe des<br />
Bauprojektes. Daraus resultiert zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Anfangsphase e<strong>in</strong>e hohe Abhängigkeit<br />
vom Architekten bzw. Planer. Nichtsdestotrotz f<strong>in</strong>den sich nach den Aussagen der<br />
Interviewpartner gerade bei den Privatpersonen e<strong>in</strong>e Reihe von Öko- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Pionieren.<br />
Dabei handelt es sich ke<strong>in</strong>esfalls um e<strong>in</strong>e homogene Zielgruppe. Wie<br />
e<strong>in</strong>e breit angelegte Längsschnittstudie mit 500 Käufern von Niedrigenergiehäusern <strong>in</strong><br />
Deutschland zeigt, kann man im H<strong>in</strong>blick auf die Wertüberzeugungen <strong>und</strong> typischen<br />
Aktivitäten drei verschiedene Lebensstilgruppen bzw. Käufersegmente differenzieren<br />
(W<strong>in</strong>kler/Niedergesäss 2000, S. 3): Für die Gruppe der „moralisch Umweltorientier-
126 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
ten“ spielen neben den ökologischen Werten auch die sozialen Werte e<strong>in</strong>e große Rolle.<br />
Umwelt- <strong>und</strong> sozialpolitische Anliegen werden eher emotional <strong>und</strong> moralisch als strategisch-praktisch<br />
gesehen <strong>und</strong> angegangen. Diese Gruppe ist sehr skeptisch gegenüber<br />
technischem Fortschritt e<strong>in</strong>gestellt. Im Gegensatz dazu steht die Gruppe der „technisch-praktisch<br />
Umweltorientierten“, die Umweltschutz <strong>und</strong> Energiesparen als wichtige<br />
gesellschaftspolitische Ziele betrachten <strong>und</strong> offen gegenüber modernen Technologien<br />
bzw. technischen Lösungen s<strong>in</strong>d. Dieses Segment ist sehr praktisch veranlagt <strong>und</strong><br />
sieht zahlreiche Möglichkeiten, eigene Beiträge zum Umweltschutz zu liefern. Für die<br />
dritte Gruppe der „wirtschaftlich Erfolgsorientierten“ haben Umweltschutz <strong>und</strong> Energiesparen<br />
e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Stellenwert. Sie s<strong>in</strong>d vor allem an der Familie <strong>und</strong> dem<br />
beruflichen Erfolg <strong>in</strong>teressiert. Ökologische Angebote wie das Niedrigenergiehaus<br />
beurteilen sie vorrangig im H<strong>in</strong>blick auf die Wirtschaftlichkeit <strong>und</strong> die f<strong>in</strong>anzielle Belastung.<br />
Im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gilt es, den unterschiedlichen sozialökologischen<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnissen aufzuspüren <strong>und</strong> <strong>in</strong> der konkreten Umsetzung<br />
Rechnung zu tragen.<br />
Die kommerziell orientierten Eigentümer, die e<strong>in</strong>en Anteil von ca. 60% am gesamten<br />
Wohnungsbaumarkt haben, s<strong>in</strong>d beim Häuserbau vor allen D<strong>in</strong>gen an e<strong>in</strong>er sicheren<br />
Geldanlage <strong>und</strong> der Wertsteigerung <strong>in</strong>teressiert (Bächi 2000, S. 33-34). Dabei handelt<br />
es sich um so unterschiedliche Gruppen wie Privatpersonen, <strong>in</strong>stitutionelle Anleger<br />
sowie Bau- <strong>und</strong> Immobiliengenossenschaften. Für sie s<strong>in</strong>d der Tauschwert <strong>und</strong> die<br />
Marktfähigkeit der Wohnung, d.h. die Miete, zentral. Anstatt E<strong>in</strong>familienhäuser bevorzugen<br />
sie <strong>in</strong> der Regel Mehrfamilienhäuser, die e<strong>in</strong>e größere Rendite versprechen.<br />
Bei <strong>in</strong>stitutionellen Anlegern dürfen im Gegensatz zu den Privatpersonen gute Baukenntnisse<br />
vorausgesetzt werden.<br />
Geme<strong>in</strong>nützig orientierte Eigentümer wie Wohnungsbaugenossenschaften, die öffentliche<br />
Hand, Stiftungen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e haben e<strong>in</strong>en Anteil von r<strong>und</strong> 10% am schweizerischen<br />
Wohnungsbaumarkt. Für sie steht die Geme<strong>in</strong>nützigkeit im Vordergr<strong>und</strong>. Wohnungsbaugenossenschaften<br />
nehmen e<strong>in</strong>e Doppelrolle e<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>erseits s<strong>in</strong>d sie Nachfrager<br />
nach Leistungen am Wohnungsbaumarkt, andererseits Anbieter von Leistungen am<br />
Mietwohnungsmarkt (ebd., S. 35). Wohnungsbaugenossenschaften stellen vorwiegend<br />
günstige Mietwohnungen für sozial Schwächere <strong>in</strong> städtischen Agglomerationsgebieten<br />
zur Verfügung. E<strong>in</strong> gutes Beispiel ist die Baugenossenschaft Milchbuck (bgm), die<br />
r<strong>und</strong> 1000 Wohnungen im Großraum Zürich verwaltet <strong>und</strong> vermietet (bgm 2002). Die<br />
Unternehmenspolitik der bgm orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. In den<br />
Unternehmensgr<strong>und</strong>sätzen heißt es (bgm 1997): „Wir agieren: ökologisch bewusst,<br />
sozial verantwortlich, ökonomisch erfolgreich.“ Ökologisch bewusst heißt für die bgm
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 127<br />
vor der Beschaffung bereits an die Entsorgung zu denken, ökologische Baumaterialien<br />
e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> auf Alternativenergien umzusteigen (z.B. Sonnenkollektoren, Holzschnitzel,<br />
Fernwärme). Die soziale Verantwortung wird <strong>in</strong> der Form wahrgenommen,<br />
dass der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit auf familien- <strong>und</strong> k<strong>in</strong>derfre<strong>und</strong>lichen<br />
Wohnungen liegt, dass preisgünstige Alterswohnungen erhalten bzw. erweitert werden<br />
<strong>und</strong> dass überbaute Wohnungen rollstuhlgängig gemacht werden. Der ökonomische<br />
Erfolg bemisst sich <strong>in</strong> der Vermeidung jeglichen Leerwohnungsbestandes, der dauerhaften<br />
Wertsicherung des Vermögens <strong>und</strong> der überdurchschnittlichen Verz<strong>in</strong>sung des<br />
Anteilsche<strong>in</strong>kapitals. Mit diesen Zielsetzungen leistet die bgm substantielle Beiträge<br />
zur Reduktion der sozial-ökologischen Schadschöpfung <strong>und</strong> gibt als Nachfrager von<br />
Bauleistungen wichtige Impulse für die vorgelagerten Stufen, d.h. für die Bauunternehmen<br />
<strong>und</strong> Baumaterialhersteller.<br />
3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Unternehmen <strong>in</strong> der Baubranche<br />
Normative Ebene<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung,<br />
welche die Bedürfnisse der heutigen Generation auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigen<br />
will, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff<br />
1987). Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen Ökonomie, Ökologie <strong>und</strong><br />
Soziales (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die von Unternehmen verantwortungsvoll <strong>in</strong>tegriert<br />
werden müssen (Dyllick/Hockerts 2002, S. 130-141). Die <strong>in</strong>tegrierte Betrachtung<br />
von ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten erhöht die Anforderungen im<br />
Produkt- <strong>und</strong> Leistungsbereich (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Dabei geht es nicht um die<br />
e<strong>in</strong>malige Aussöhnung der Trias, sondern vielmehr um e<strong>in</strong> permanentes Abwägen vor<br />
dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sich verändernder Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Die Verankerung der Nachhaltigkeit<br />
<strong>in</strong> Unternehmensleitbildern <strong>und</strong> -gr<strong>und</strong>sätzen erleichtert diese anspruchsvolle<br />
Aufgabe <strong>und</strong> gibt normative Orientierungen für das Management <strong>und</strong> die Mitarbeiter<br />
(Beitrag Belz). E<strong>in</strong> exemplarisches Beispiel für die Verankerung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>gedankens<br />
im Unternehmensleitbild ist die Ernst Schweizer AG, die mit knapp<br />
500 Mitarbeitern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Umsatz von 72 Mio. Euro im Jahr 2003 e<strong>in</strong>es der größten<br />
Metallbauunternehmen der Schweiz ist (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 2).<br />
Sie bietet Lösungen für den Neubau <strong>und</strong> die Instandhaltung <strong>und</strong> Modernisierung von<br />
Wohn- <strong>und</strong> Bürohäusern an <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> den Bereichen Fassaden, Fenster, Metallbau <strong>und</strong><br />
Sonnenenergie tätig. Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau<br />
besteht aus vier Eckpfeilern (Abb. 1).
128 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
MitarbeiterInnen<br />
Gesellschaft<br />
K<strong>und</strong>enorientierung<br />
Schweizer<br />
Wirtschaftlichkeit<br />
Umwelt<br />
Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau<br />
(Quelle: Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 4)<br />
An erster <strong>und</strong> oberster Stelle des Leitbilds steht die K<strong>und</strong>enorientierung. Zentrale Erfolgsfaktoren<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>novative Lösungen, die den Bedürfnissen der K<strong>und</strong>en entsprechen,<br />
<strong>und</strong> Zuverlässigkeit im H<strong>in</strong>blick auf Qualität <strong>und</strong> Zeit, der im Laufe e<strong>in</strong>es Bauprojektes<br />
sehr große Bedeutung zukommt. Durch k<strong>und</strong>enorientiertes Verhalten <strong>und</strong><br />
aktive Kommunikation werden langfristige K<strong>und</strong>enbeziehungen geschaffen. In dem<br />
zweiten Punkt kommt die Mitarbeiter- <strong>und</strong> Gesellschaftsorientierung zum Ausdruck.<br />
Die Ernst Schweizer AG Metallbau reduziert ihre Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
nicht auf die Rolle als Arbeitskräfte, sondern sieht sie im umfassenden S<strong>in</strong>n als Menschen.<br />
Sie <strong>in</strong>formiert offen über die wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Aspekte<br />
ihrer Geschäftstätigkeit, setzt sich für korrektes, ehrliches Geschäftsverhalten e<strong>in</strong><br />
<strong>und</strong> unterstützt e<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaftsentwicklung. Damit wird auch die gesellschaftspolitische<br />
Mitverantwortung angesprochen, welche die Unternehmungsleitung<br />
<strong>und</strong> die Führungskräfte der Unternehmung aktiv wahrnehmen. In Verbänden <strong>und</strong><br />
Gremien setzen sie sich für soziale <strong>und</strong> ökologische Anliegen e<strong>in</strong>. Neben der Qualität<br />
<strong>und</strong> der Zuverlässigkeit ist die Umweltorientierung e<strong>in</strong> weiterer Erfolgsfaktor der<br />
Ernst Schweizer AG Metallbau. Sie achtet auf e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Umweltbelastung entlang<br />
des gesamten Lebenszyklus der Produkte von der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung über die<br />
Herstellung, Montage <strong>und</strong> Anwendung bis zum Recycl<strong>in</strong>g <strong>und</strong> zur Entsorgung. E<strong>in</strong>en<br />
besonderen Umweltbeitrag leistet die Ernst Schweizer AG durch ihre Produkte zur
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 129<br />
Energiee<strong>in</strong>sparung <strong>und</strong> Sonnenenergienutzung. Die Wirtschaftlichkeit <strong>und</strong> der Erfolg<br />
als vierter Eckpunkt ist nicht e<strong>in</strong> Wert per se, sondern dient der Werterhaltung <strong>und</strong><br />
Weiterentwicklung der Unternehmung, dem Mitarbeiterbonus <strong>und</strong> der Dividende. E<strong>in</strong>e<br />
ausreichende Eigenkapitalf<strong>in</strong>anzierung ist notwendig, um die Selbständigkeit als Familienunternehmen<br />
auf Dauer zu bewahren (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004).<br />
Elemente der Nachhaltigkeit f<strong>in</strong>den sich auch <strong>in</strong> der Unternehmensphilosophie der<br />
Renggli AG, e<strong>in</strong>em Familienunternehmen, welches 1923 <strong>in</strong> Schötz (Luzern) gegründet<br />
wurde. Mit e<strong>in</strong>er Reihe von Innovationen gehört die Renggli AG zu den führenden<br />
Holzbauunternehmen der Schweiz: 1995 wurde e<strong>in</strong> neues Werk für <strong>in</strong>dustrielle Fertigung<br />
von Holzbauelementen e<strong>in</strong>geweiht, 1998 wurden die ersten M<strong>in</strong>ergiehäuser der<br />
Schweiz erstellt <strong>und</strong> 1999 die erste Passivhaus-Siedlung der Schweiz. Zahlreiche Auszeichnungen<br />
belegen die <strong>in</strong>novativen Leistungen im Bereich des nachhaltigen Bauens.<br />
Die Unternehmensphilosophie lautet „Das Ziel heißt Zukunft“: „Das Empf<strong>in</strong>den für<br />
Schönheit ist <strong>in</strong>dividuell. Stil ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Die Bauten von<br />
Renggli setzen Ihre Wünsche an den Wohnkomfort der Zukunft schon heute um. Bei<br />
uns stehen Sie im Mittelpunkt. Das ständige Streben nach Verbesserungen hat zu neuen<br />
Dimensionen <strong>in</strong> der Produktionstechnologie geführt. Die Renggli Produktionstechnologie<br />
ist führend, nachhaltiges Bauen <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>satz von umweltschonenden Materialien<br />
ist selbstverständlich. Der Rohstoff Holz vermittelt hohen Wohnkomfort <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong> angenehmes Wohnklima. Holz ist der e<strong>in</strong>zige nachwachsende Baustoff – e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligentes,<br />
natürliches Hightech Material. Nutzen wir die Gelegenheit!“ Im ersten Teil<br />
der Philosophie kommt die K<strong>und</strong>en-, Zukunfts- <strong>und</strong> Qualitätsorientierung der Unternehmung<br />
zum Ausdruck. Im zweiten Teil wird die Bedeutung des Holzes als e<strong>in</strong> Element<br />
nachhaltigen Bauens hervorgehoben <strong>und</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Wünschen der<br />
K<strong>und</strong>en nach hohem Wohnkomfort <strong>und</strong> angenehmem Wohnklima gebracht (Renggli<br />
AG 2005).<br />
In beiden Fällen handelt es sich um mittelständische Familienunternehmen, die tragende<br />
Säulen der schweizerischen Wirtschaft darstellen <strong>und</strong> nicht lediglich auf das<br />
nächste Quartal fixiert, sondern langfristig orientiert s<strong>in</strong>d. Viele solcher Familienunternehmen<br />
empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e besondere ökonomische, ökologische <strong>und</strong> soziale Verantwortung,<br />
die <strong>in</strong> den Leitbildern zum Ausdruck kommt. Durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Eigenkapitalf<strong>in</strong>anzierung<br />
bewahren sie sich die Selbständigkeit. Anders sieht es bei großen<br />
Bau-/Generalunternehmen aus, die an der Börse kotiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> besonderem Maß<br />
gegenüber Fremdkapitalgebern verpflichtet s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> solches Beispiel wäre die Allreal<br />
Hold<strong>in</strong>g, die im Bau- <strong>und</strong> Immobilienmarkt tätig ist. Ihr Motto lautet: „Allreal schafft<br />
Werte“. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dabei ke<strong>in</strong> umfassender Wert-
130 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
begriff im S<strong>in</strong>ne der Nachhaltigkeit zugr<strong>und</strong>e gelegt wird, sondern dass Unternehmenswert<br />
<strong>und</strong> Shareholdervalue sehr stark im Vordergr<strong>und</strong> stehen.<br />
Damit die Leitbilder handlungsleitende Wirkung entfalten, ist die Erweiterung der<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele um ökologische <strong>und</strong> soziale Kriterien s<strong>in</strong>nvoll. So könnte sich e<strong>in</strong><br />
Bau-/Generalunternehmen etwa zum Ziel setzen, den Anteil an energieeffizienten<br />
Häusern zukünftig zu steigern. Doch wie verhalten sich die ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />
Zielsetzungen zu den ökonomischen? S<strong>in</strong>d die Zielbeziehungen komplementär, konkurrierend<br />
oder <strong>in</strong>different? Diese Fragen lassen sich kaum allgeme<strong>in</strong> beantworten,<br />
sondern allenfalls <strong>in</strong> Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmung <strong>und</strong> Situation.<br />
So bekommt man bspw. aus den Interviews mit diversen Branchenvertretern den E<strong>in</strong>druck,<br />
dass Holzbauunternehmen trotz der angespannten Wirtschaftslage größere<br />
Handlungsspielräume zur Verknüpfung von Ökonomie <strong>und</strong> Ökologie sehen als Massivbauunternehmen.<br />
Liegt das <strong>in</strong> der „Natur der Sache“, sprich <strong>in</strong> dem regenerierbaren<br />
Rohstoff Holz, oder s<strong>in</strong>d die Holzbauunternehmen generell agiler als Massivbauunternehmen?<br />
Strategische Ebene<br />
Wie e<strong>in</strong>gangs dargestellt, ist der schweizerische Baumarkt durch e<strong>in</strong> stagnierendes bis<br />
rückläufiges Volumen gekennzeichnet. Die Stagnation bzw. der Rückgang des Gesamtvolumens<br />
sollte jedoch nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass es Teilsegmente im<br />
schweizerischen Baumarkt gibt, die im Wachsen begriffen s<strong>in</strong>d. Seit den 1980er Jahren<br />
s<strong>in</strong>d Instandhaltung bzw. Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen <strong>in</strong><br />
der Schweiz kont<strong>in</strong>uierlich von 19% auf 25% gestiegen. Dieses Teilsegment weist<br />
wirtschaftliches Wachstum auf, erweist sich gegenüber dem Neubau als ökologisch<br />
vorteilhaft <strong>und</strong> kann bei bedürfnisgerechtem Umbau e<strong>in</strong>en sozialen Mehrwert generieren<br />
(z.B. betreutes, altersgerechtes Wohnen). Für Unternehmen der schweizerischen<br />
Baubranche, die den Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verfolgen, ist es wichtig,<br />
sich als führender Anbieter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Teilsegment klar zu positionieren. E<strong>in</strong>e<br />
solche Positionierung weist bspw. die Batimo AG Bau <strong>und</strong> Energie auf, e<strong>in</strong> Architektur-<br />
<strong>und</strong> Planungsbüro, welches 1987 gegründet worden ist <strong>und</strong> sich ausschließlich auf<br />
die Planung <strong>und</strong> Realisierung von Bauerneuerungsprojekten fokussiert (Batimo 2005).<br />
Beim Umbau spielen aus der Sicht der Batimo AG Nutzungsanforderungen <strong>und</strong> deren<br />
Veränderung, Substanzerhaltung <strong>und</strong> Erneuerung, Verbesserung <strong>und</strong> Optimierung der<br />
funktionalen <strong>und</strong> räumlichen Qualität e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle. Neben re<strong>in</strong> ökonomischen<br />
Kriterien werden auch soziale <strong>und</strong> ökologische Aspekte <strong>in</strong> den Bauerneuerungsprojekten<br />
berücksichtigt, so z.B. <strong>in</strong> der Modernisierung e<strong>in</strong>es Mehrfamilienhauses im
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 131<br />
Kanton Aargau, die energetisch als mustergültig gilt (Bürgi/Raaflaub 1998, S. 16-19;<br />
Belz 2001, S. 124-125).<br />
E<strong>in</strong> wachsendes Teilsegment im Neubau s<strong>in</strong>d energieeffiziente Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäude,<br />
worunter Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser subsummiert werden können. Erstere<br />
weisen e<strong>in</strong>en Energieverbrauch von 30-70 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche<br />
<strong>und</strong> Jahr auf, während letztere bei etwa 10-15 kWh liegen. Beiden ist geme<strong>in</strong>sam, dass<br />
sie sehr gut gedämmt s<strong>in</strong>d, Fenster mit Dreifachverglasung <strong>und</strong> kontrollierte Lüftungssysteme<br />
haben. Passivhäuser verzichten auf e<strong>in</strong> aktives Heizsystem <strong>und</strong> nutzen die<br />
Energie der Sonnene<strong>in</strong>strahlung, der Körperwärme <strong>und</strong> der Elektrogeräte, die im<br />
Haushalt verwendet werden. In der Schweiz können energieeffiziente Häuser mit dem<br />
M<strong>in</strong>ergie-Label ausgezeichnet werden, was für e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Energie steht. Das<br />
M<strong>in</strong>ergie-P-Label kennzeichnet Passivhäuser, das M<strong>in</strong>ergie-Label Niedrigenergiehäuser<br />
(Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie 2004, S. 4-6; Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie 2005). Das Architekturbüro Donat<br />
Kamber mit Sitz <strong>in</strong> Basel, welches 1986 gegründet worden ist, fokussiert sich ausschließlich<br />
auf energieeffiziente <strong>und</strong> nachhaltige Architektur. Alle Neu- <strong>und</strong> Umbauten<br />
werden gemäß Niedrigenergie- oder Passivhaus-Standard verwirklicht (Donat<br />
Kamber Architekt 2005). In der Realisierung arbeitet das Architekturbüro eng mit der<br />
Renggli AG zusammen, dem führenden Hersteller von ökologischen, <strong>in</strong>dustriell vorgefertigten<br />
Holz-Systembauten <strong>in</strong> der Schweiz. Durch die langjährige Erfahrung <strong>und</strong> die<br />
<strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit können nicht nur energie-, sondern auch kosteneffiziente<br />
Lösungen realisiert werden. Durch die strategische Kooperation zwischen dem Architekturbüro<br />
<strong>und</strong> der Bau-/Generalunternehmung entsteht e<strong>in</strong>e Situation, die beiden<br />
Partnern zugute kommt <strong>und</strong> Mehrwert für die Bauherren stiftet. Die oben angeführten<br />
Unternehmen konzentrieren sich bewusst auf (nachhaltige) Nischen bzw. Segmente<br />
anstatt den gesamten Markt zu bedienen. Sie verfolgen e<strong>in</strong>e sog. Nischenstrategie.<br />
Damit gehen Vor- <strong>und</strong> Nachteile e<strong>in</strong>her: E<strong>in</strong> Vorteil besteht dar<strong>in</strong>, dass sie K<strong>und</strong>en<br />
besser oder kostengünstiger bedienen können. E<strong>in</strong> Nachteil ist <strong>in</strong> der hohen Abhängigkeit<br />
von e<strong>in</strong>em Produkt- bzw. Marktsegment zu sehen.<br />
Um vom Wachstum der (nachhaltigen) Segmente zu profitieren <strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong> zu großes<br />
Risiko e<strong>in</strong>zugehen, bietet es sich für etablierte Unternehmen an, e<strong>in</strong>e neue strategische<br />
Geschäftssparte oder -e<strong>in</strong>heit zu gründen, die zwar auf die Ressourcen der Gesamtunternehmung<br />
zurückgreifen kann, aber eigenständig mit Gew<strong>in</strong>nverantwortung<br />
<strong>in</strong> den neu entstehenden Marktsegmenten agiert. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist die Kästli AG<br />
Bauunternehmung, die mit r<strong>und</strong> 200 Mitarbeitern vor allem im Erd-, Tief-, Straßen<strong>und</strong><br />
Belagsbau tätig ist. Die Kästli AG hat die Eckste<strong>in</strong>e der Nachhaltigkeit („wirtschaftlich<br />
– gesellschaftlich – ökologisch“) im Leitbild verankert. Die Umsetzung wird
132 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
durch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Managementsystem sichergestellt, welches gemäß ISO 9001 <strong>und</strong><br />
ISO 14001 <strong>in</strong>klusive Arbeitssicherheit zertifiziert ist. Im Jahr 2002 hat die Kästli AG<br />
e<strong>in</strong>e neue Geschäftssparte etabliert, die sich am gesamten Bauzyklus (Planung, Erstellung,<br />
Nutzung, Unterhalt, Rückbau, Verwertung) ausrichtet. Die Sparte „Umweltbau“<br />
bietet ihren K<strong>und</strong>en Leistungen wie Umweltbauberatung, Coach<strong>in</strong>g, Bauvorbereitung<br />
<strong>und</strong> -erstellung, die phasenübergreifend s<strong>in</strong>d (Kästli AG Bauunternehmung 2005). E<strong>in</strong><br />
weiteres Beispiel ist die Ernst Schweizer AG Metallbau, welche oben mit dem Unternehmensleitbild<br />
bereits vorgestellt worden ist. Die Produktpalette der Ernst Schweizer<br />
AG Metallbau umfasst neben Fassaden, Fenstern <strong>und</strong> Metallbau auch Sonnenergie<br />
(Sonnenkollektoren, Solarkompaktanlagen, Transparente Wärmedämmung). Der<br />
Kerngedanke der Produkte besteht <strong>in</strong> der passiven <strong>und</strong> aktiven Sonnenenergienutzung.<br />
Nach Ansicht der Ernst Schweizer AG Metallbau werden Fassaden zukünftig vermehrt<br />
die Rolle von aktiven Energielieferanten übernehmen. Die Geschäftse<strong>in</strong>heit Sonnenergie<br />
wurde bereits Anfang der 1980er Jahre aufgebaut. Trotz großer Anstrengungen <strong>und</strong><br />
Investitionen macht die Geschäftse<strong>in</strong>heit aufgr<strong>und</strong> der schwierigen Marktbed<strong>in</strong>gungen<br />
auch nach 25 Jahren immer noch e<strong>in</strong>en relativ kle<strong>in</strong>en Anteil des Gesamtumsatzes aus.<br />
Viele Unternehmen, die ausschließlich auf dieses Segment gesetzt haben, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />
Zwischenzeit wieder Konkurs gegangen oder aufgekauft worden. Dessen ungeachtet<br />
hält die Ernst Schweizer AG Metallbau konsequent an der aktiven Sonnenenergienutzung<br />
fest <strong>und</strong> setzt konsequent auf weitere Produkt- <strong>und</strong> System<strong>in</strong>novationen (Ernst<br />
Schweizer AG Metallbau 2004, S. 11).<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich stellt sich für die Unternehmen die Frage, <strong>in</strong> welchem Maß die sozialökologischen<br />
Aspekte im Wettbewerb herausgestellt werden sollen: Dienen Ökologie<br />
<strong>und</strong> Soziales als dom<strong>in</strong>ante, gleichberechtigte oder flankierende Profilierungsdimensionen<br />
neben Preis, Qualität <strong>und</strong> Zeit? E<strong>in</strong>e solche Positionierungsentscheidung ist situativ<br />
zu entscheiden <strong>und</strong> hängt von produkt-, k<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> wettbewerbsbezogenen<br />
Faktoren ab (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 280-281). Wie e<strong>in</strong>gangs dargestellt, herrscht<br />
<strong>in</strong> der Baubranche e<strong>in</strong> ausgeprägter Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerb. Die Kosten<br />
<strong>und</strong> der Preis s<strong>in</strong>d neben Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Term<strong>in</strong>treue ausschlaggebende Kriterien<br />
für die Vergabe von Aufträgen (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 558). Aufgr<strong>und</strong> des ausgeprägten<br />
Preis- <strong>und</strong> Zeitwettbewerbs während der letzten 10 Jahre hat die Möglichkeit,<br />
sich über Ökologie <strong>und</strong> Soziales zu profilieren, nach E<strong>in</strong>schätzung der Experten<br />
eher ab- als zugenommen. Daher ist von der Option e<strong>in</strong>er dom<strong>in</strong>anten Positionierung<br />
abzuraten, die zu e<strong>in</strong>er unnötigen Markt- bzw. Segmentverengung führt. Gemäß Aussagen<br />
der Interviewpartner ist die große Mehrheit der Bauherren <strong>und</strong> Architekten nicht<br />
(von sich aus) sozial-ökologisch aktiv. Für sie stellen sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 133<br />
(primäres) Entscheidungskriterium dar. Viele Bauherren <strong>und</strong> Architekten s<strong>in</strong>d jedoch<br />
sozial-ökologisch sensibilisiert <strong>und</strong> aktivierbar. Dieser Gruppe der sozial-ökologisch<br />
Aktivierbaren s<strong>in</strong>d herkömmliche <strong>und</strong> bewährte Nutzenaspekte wie Qualität, Sicherheit,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ästhetik wichtig. Um sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />
für diese Zielgruppe attraktiv zu gestalten, muss es gel<strong>in</strong>gen, Ökologie <strong>und</strong> Soziales<br />
mit herkömmlichen Kaufkriterien s<strong>in</strong>nvoll zu verknüpfen <strong>und</strong> dadurch e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enmehrwert<br />
zu schaffen, d.h. zum Beispiel Ökologie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Design, Ästhetik,<br />
Wohnkomfort <strong>und</strong> Werterhaltung, soziale Aspekte <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Lebensqualität<br />
<strong>und</strong> Kostenersparnis zu br<strong>in</strong>gen (Lehmann 2003, S. 33-34). Nachhaltigkeit<br />
kann so bei der Ansprache der sozial-ökologisch Aktivierbaren e<strong>in</strong>e flankierende Profilierungsdimension<br />
neben den herkömmlichen Produkteigenschaften darstellen <strong>und</strong><br />
dem K<strong>und</strong>en zur Steigerung des Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen dienen. In diesem<br />
Fall ergeben sich durchaus gewisse Preisspielräume.<br />
E<strong>in</strong> Vergleich ausgewählter Bau-/Generalunternehmen zeigt, dass auch segment- <strong>und</strong><br />
größenspezifische Unterschiede bestehen: Holzbauunternehmen können offenbar eher<br />
von der Ökologie als flankierende oder gleichberechtigte Profilierungsdimension Gebrauch<br />
machen als Massivbauunternehmen. Dies hängt damit zusammen, dass Holz<br />
e<strong>in</strong> nachwachsender Rohstoff ist, der von den Bauherren als besonders umwelt- <strong>und</strong><br />
ges<strong>und</strong>heitsverträglich wahrgenommen wird. Beispiele für Holzbauunternehmen, die<br />
sehr <strong>in</strong>novativ s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich erfolgreich mit sozial-ökologischen Aspekten im Wettbewerb<br />
profilieren, s<strong>in</strong>d die Blumer-Lehmann AG <strong>und</strong> die Renggli AG. E<strong>in</strong> weiterer Unterschied<br />
besteht <strong>in</strong> der Unternehmensgröße, der Marktabdeckung <strong>und</strong> der Anteilseignerstruktur.<br />
Kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen, die im Familienbesitz s<strong>in</strong>d,<br />
können offenbar eher sozial-ökologische Segmente ansprechen <strong>und</strong> abdecken als<br />
Großunternehmen, die führend im Gesamtmarkt <strong>und</strong> an der Börse kotiert s<strong>in</strong>d (z.B.<br />
Allreal).<br />
Operative Ebene<br />
In der Untersuchung wurden die Experten befragt, was sie unter nachhaltigen Produkten<br />
<strong>und</strong> Leistungen verstehen bzw. welche Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Produktgestaltung<br />
berücksichtigt werden. Dabei wurden u.a. folgende Aspekte hervorgehoben:<br />
� Ökologie: Energieeffizienz/-e<strong>in</strong>sparung, Recycl<strong>in</strong>g, Verwendung nachwachsender<br />
<strong>und</strong> natürlicher Rohstoffe, verdichtetes Bauen.
134 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
� Soziales: Lebensstil gerechtes Bauen (z.B. Angebote für sozial Benachteiligte, familienfre<strong>und</strong>liche<br />
Bauweise).<br />
� Ökonomie: Wirtschaftlichkeit der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Bauweise.<br />
Der Expertenspiegel zur nachhaltigen Produktgestaltung zeigt, dass Energieeffizienz<br />
<strong>und</strong> der E<strong>in</strong>satz von nachwachsenden Rohstoffen zwei Leitthemen im schweizerischen<br />
Baumarkt s<strong>in</strong>d. Sie eignen sich zur erfolgreichen Ansprache von potenziellen Bauherren,<br />
wie auch die Marktanteile belegen: Im Jahr 2000 wurden <strong>in</strong> der Schweiz r<strong>und</strong><br />
30.000-35.000 Wohnungse<strong>in</strong>heiten erstellt. Dies bedeutet e<strong>in</strong>en Rückgang von ca.<br />
25% gegenüber dem Jahr 1990. Während der Bausektor <strong>in</strong>sgesamt rückläufig ist,<br />
konnte der Holzbau e<strong>in</strong>en deutlichen Anstieg während der 1990er Jahre verzeichnen.<br />
Im Neubau liegen die Anteile von Holz mittlerweile bei knapp 20% <strong>und</strong> im Umbau bei<br />
r<strong>und</strong> 10% (Holzmarktbericht des Waldwirtschaftsverbandes St. Gallen 2003). Auch<br />
die Anteile von energieeffizienten Häusern haben im Neubau während der letzten Jahre<br />
zugenommen. Im Jahr 2003 wurden über 750 Neubauten mit dem M<strong>in</strong>ergie-Label<br />
ausgezeichnet, was e<strong>in</strong>em Marktanteil von r<strong>und</strong> 13% entspricht (Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie<br />
2004, S. 5). Niedrigenergiehäuser (M<strong>in</strong>ergie) weisen e<strong>in</strong>en Energieverbrauch von<br />
max. 45 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche <strong>und</strong> Jahr auf, während Passivhäuser (M<strong>in</strong>ergie-P)<br />
weniger als 15 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche <strong>und</strong> Jahr verbrauchen.<br />
M<strong>in</strong>ergie-Häuser werden ökologischen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Kriterien gerecht:<br />
Sie weisen e<strong>in</strong>en niedrigeren Energieverbrauch während der Nutzungsphase auf, verursachen<br />
weniger Heizkosten <strong>und</strong> steigern den Wohnkomfort aufgr<strong>und</strong> des angenehmen<br />
Raumluftklimas (Belz/Egger 2001, S. 3-14). Die Erfüllung des M<strong>in</strong>ergie-<br />
Standards ist <strong>in</strong> der Schweiz ke<strong>in</strong>e gesetzliche Pflicht, sondern beruht auf Freiwilligkeit.<br />
Warum weisen M<strong>in</strong>ergie-Häuser ke<strong>in</strong>e höheren Anteile im Baumarkt auf? Wor<strong>in</strong><br />
bestehen die zentralen Kaufbarrieren?<br />
E<strong>in</strong>e zentrale Barriere für die Diffusion von energieeffizienten Häusern ist der höhere<br />
Anschaffungspreis, der auf die bessere Dämmung <strong>und</strong> das kontrollierte Lüftungssystem<br />
zurückzuführen ist <strong>und</strong> bis zu 5-10% gegenüber herkömmlichen Gebäuden betragen<br />
kann. E<strong>in</strong> solcher Mehrpreis hält viele potenzielle K<strong>und</strong>en vom Kauf ab. Insbesondere<br />
für selbst nutzende Eigentümer stellt der Hausbau e<strong>in</strong>e hohe f<strong>in</strong>anzielle Belastung<br />
dar, die nur wenig Spielraum für zusätzlich anfallende Kosten lässt. E<strong>in</strong>e zweite<br />
Barriere ist <strong>in</strong> der Unsicherheit zu sehen, die mit den neuen Technologien verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Vielfach s<strong>in</strong>d die privaten <strong>und</strong> kommerziellen Bauherren skeptisch im H<strong>in</strong>blick auf<br />
die Funktionsweise <strong>und</strong> Zuverlässigkeit von Niedrigenergie-/Passivhäusern. Wie können<br />
diese Barrieren überw<strong>und</strong>en werden? Welche Instrumente setzen Bauunternehmen
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 135<br />
e<strong>in</strong>, um Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser erfolgreich jenseits von Nischen zu vermarkten?<br />
E<strong>in</strong>e Möglichkeit zur Überw<strong>in</strong>dung der Preisbarriere besteht <strong>in</strong> dem Ausnutzen von<br />
Kostensenkungspotenzialen <strong>und</strong> dem Schaffen von Preisgestaltungsspielräumen. Vielfach<br />
ist festzustellen, dass die Pioniere des ökologischen Bauens auch Vorreiter im<br />
Bereich des Kosten sparenden Bauens s<strong>in</strong>d (Belz 2001, S. 114). Um die Mehrkosten,<br />
verursacht durch erhöhte Dämmung, Dreifachverglasungen der Fenster <strong>und</strong> kontrollierte<br />
Lüftung, auszugleichen, sahen sich die Anbieter gezwungen, andere Kostensenkungspotenziale<br />
konsequent auszunutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Solche<br />
Kostensenkungspotenziale bestehen zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen Gr<strong>und</strong>riss <strong>und</strong> dem<br />
frühzeitigen E<strong>in</strong>bezug aller beteiligten Handwerksbetriebe zwecks Verkürzung der<br />
Plan- <strong>und</strong> Bauzeit. E<strong>in</strong> weiteres Kostensenkungspotenzial ist <strong>in</strong> der Verwendung von<br />
Elementen zu sehen, die auf modernen Produktionsanlagen serienmäßig hergestellt<br />
werden. Insbesondere die führenden schweizerischen Holzbauunternehmen wie die<br />
Renggli AG <strong>in</strong> Schötz (Luzern) <strong>und</strong> die Blumer-Lehmann AG <strong>in</strong> Gossau (St. Gallen)<br />
haben sich während der 1990er Jahre von traditionellen Handwerksbetrieben zu modernen<br />
Industrieunternehmen weiterentwickelt. Die Holzbauelemente werden <strong>in</strong>dustriell<br />
gefertigt. Dadurch werden hohe Qualitätstandards sichergestellt <strong>und</strong> Kosten gesenkt.<br />
Auf der Baustelle vor Ort werden die e<strong>in</strong>zelnen Elemente <strong>in</strong>nerhalb kürzester<br />
Zeit zusammengefügt. Die Renggli AG geht <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht noch e<strong>in</strong>en Schritt weiter<br />
<strong>und</strong> verfolgt e<strong>in</strong>e Strategie der Massen<strong>in</strong>dividualisierung (mass customization). Sie<br />
bietet ihren K<strong>und</strong>en fünf verschiedene Haustypen <strong>in</strong> drei unterschiedlichen Baustandards<br />
(Economy, M<strong>in</strong>ergie oder Passivhaus) <strong>und</strong> mit verschiedenen Zusatzmodulen an<br />
(Beispiel: Solarkollektoren). Jeder K<strong>und</strong>e kann sich – ähnlich wie <strong>in</strong> der Automobil<strong>in</strong>dustrie<br />
– <strong>in</strong>dividuell nach se<strong>in</strong>en Wünschen <strong>und</strong> Preisvorstellungen bestimmte Haustypen,<br />
Baustandards <strong>und</strong> Zusatzmodule auswählen. Aufgr<strong>und</strong> der Standardisierung<br />
kann die Renggli AG die Kosten senken <strong>und</strong> feste Preis- <strong>und</strong> Term<strong>in</strong>zusagen machen,<br />
was die Unsicherheit beim K<strong>und</strong>en abbaut.<br />
Nimmt man e<strong>in</strong>e gesamthafte Betrachtung der Kosten vor, s<strong>in</strong>d nicht nur der Anschaffungspreis,<br />
sondern auch die Verwendungs- <strong>und</strong> Post-Verwendungskosten zu berücksichtigen<br />
(Belz 2001, S. 105-109). Die Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern<br />
im Vergleich zu herkömmlichen kommt erst durch e<strong>in</strong>e Betrachtung der gesamten<br />
Lebenszykluskosten zum Tragen. Vielfach werden diese bei der Entscheidung für den<br />
Kauf e<strong>in</strong>es Hauses nicht oder nur ungenügend berücksichtigt. Dabei kann es sich <strong>in</strong>sbesondere<br />
für Eigentümer, die das Haus selber nutzen, alle<strong>in</strong> aus ökonomischen Gründen<br />
schnell bezahlbar machen, <strong>in</strong> moderne energieeffiziente Häuser <strong>und</strong> Anlagen wie
136 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
bspw. solare Warmwasseraufbereitung zu <strong>in</strong>vestieren. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aufgabe der Anbieter<br />
ist es, den K<strong>und</strong>en auf die Lebenszykluskosten aufmerksam zu machen <strong>und</strong> die Vorteilhaftigkeit<br />
ggf. mittels verschiedener Szenarien aufzuzeigen (nach dem Motto: „Was<br />
wäre, wenn der Preis für Heizöl bis zum Jahr 2010 um 50% oder 100% steigt?“).<br />
Sicherlich ist es <strong>in</strong> der Kommunikation wichtig, den Investitionscharakter der höheren<br />
Anschaffungskosten <strong>und</strong> die langfristige Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern<br />
zu vermitteln. Es wäre jedoch problematisch, lediglich auf Kostenaspekte <strong>und</strong><br />
rationale Argumente abzuheben. Ebenso wichtig, wenn nicht viel wichtiger s<strong>in</strong>d Nutzenaspekte<br />
<strong>und</strong> emotionale Ansprache der potenziellen Bauherren (Beitrag Schrader).<br />
E<strong>in</strong> exemplarisches Beispiel hierfür ist das Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann,<br />
welches <strong>in</strong> der Kommunikation <strong>in</strong>sbesondere gegenüber privaten Bauherren, die ihr<br />
Haus selber nutzen, e<strong>in</strong> Zwei-Ebenen-Konzept von Emotio <strong>und</strong> Ratio verwendet. In<br />
diesem Segment s<strong>in</strong>d die Vorbehalte gegenüber dem Produkt besonders groß, so dass<br />
auf der ersten Ebene (z.B. mittels Informationsbroschüren) versucht wird, vorwiegend<br />
mit emotionalen Argumenten (wohlige Atmosphäre, modernes Design) „das Eis zu<br />
brechen“ <strong>und</strong> Interesse zu wecken. Fühlt sich der K<strong>und</strong>e angesprochen, dann folgt e<strong>in</strong><br />
persönliches Gespräch. Hier wird mittels emotionaler Argumente auf e<strong>in</strong> vorrangiges<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnis selbst nutzender Eigentümer – die Erfüllung eigener Wünsche – e<strong>in</strong>gegangen.<br />
Zugleich werden auf der zweiten Kommunikationsebene verstärkt rationale<br />
Argumente (Energiee<strong>in</strong>sparung, Ressourcenschonung, etc.) e<strong>in</strong>gesetzt, für die der<br />
K<strong>und</strong>e nach der vorausgegangenen Interessensweckung offener ist. Bei den kommerziell<br />
nutzenden K<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d die anfänglichen Vorbehalte ger<strong>in</strong>ger, so dass von Beg<strong>in</strong>n<br />
an eher rationale Argumente e<strong>in</strong>gesetzt werden (Blumer-Lehmann 2005, Blumer-<br />
Lehmann 2003 o.J.). Herkömmliche Leistungs- <strong>und</strong> Qualitätskriterien wie Design, Ästhetik<br />
<strong>und</strong> Behaglichkeit werden geschickt mit ökologischen Kriterien (Energieeffizienz,<br />
Holz als nachwachsender Rohstoff) zu Motivallianzen verknüpft (Lehmann<br />
2003, S. 33-34). Neben der K<strong>und</strong>enkommunikation s<strong>in</strong>d auch Markt- <strong>und</strong> Mitarbeiterkommunikation<br />
sehr wichtig (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 562-563). Als Geschäftsführer<strong>in</strong><br />
hält Kathar<strong>in</strong>a Lehmann jährlich e<strong>in</strong>e Reihe von Fach- <strong>und</strong> Publikumsvorträgen,<br />
<strong>in</strong> denen sie das Unternehmen, die <strong>in</strong>novativen Holzprodukte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
vorstellt. Um das Segment der kommerziell orientierten Nutzer zu erreichen, wird<br />
auf Referenzprojekte <strong>und</strong> die Zusammenarbeit mit Architekten gesetzt, durch die<br />
kommerziell orientierte K<strong>und</strong>en aufmerksam werden. So beteiligte sich Blumer-<br />
Lehmann mit Holzbauten an der Weltausstellung 2000 <strong>in</strong> Hannover <strong>und</strong> an der<br />
Schweizer Expo 2002.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 137<br />
Die Entscheidung für den Bau e<strong>in</strong>es Wohn- oder Bürogebäudes ist mit hohen f<strong>in</strong>anziellen<br />
<strong>und</strong> persönlichen Risiken verb<strong>und</strong>en. Insbesondere private Bauherren verfügen<br />
über wenig bis ke<strong>in</strong>erlei Erfahrung bezüglich Bauplanung <strong>und</strong> -erstellung. Daher besteht<br />
e<strong>in</strong> beträchtliches Maß an Unsicherheit. Darüber h<strong>in</strong>aus bestehen aufgr<strong>und</strong> der<br />
Langfristigkeit <strong>und</strong> Komplexität von Bauprojekten Informationsasymmetrien zu Lasten<br />
der Nachfrager (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 556). Das hohe Maß an Unsicherheit<br />
<strong>und</strong> Informationsasymmetrien wird durch neue Technologien wie die Niedrigenergie-<br />
/Passivhausbauweise zusätzlich noch verstärkt. In solchen Situationen verhalten sich<br />
potenzielle K<strong>und</strong>en vielfach risikoavers <strong>und</strong> greifen auf Bewährtes zurück, um das<br />
Risiko zu m<strong>in</strong>imieren. Um energieeffiziente Häuser erfolgreich zu vermarkten, ist es<br />
für den Anbieter unerlässlich, Unsicherheit <strong>und</strong> Informationsasymmetrien abzubauen.<br />
Dies kann <strong>in</strong> persönlichen Gesprächen <strong>und</strong> durch den Aufbau e<strong>in</strong>er Vertrauensbeziehung<br />
geschehen. Darüber h<strong>in</strong>aus ist der Verweis auf langjährige Erfahrung <strong>und</strong> Referenzprojekte<br />
im Bereich energieeffizienter Häuser wichtig. Um die Vertrauenseigenschaften<br />
<strong>in</strong> Quasi-Sucheigenschaften zu überführen, erweist sich auch der E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es<br />
Labels als s<strong>in</strong>nvoll, welches von e<strong>in</strong>er unabhängigen Organisation vergeben wird.<br />
E<strong>in</strong> solches Label ist M<strong>in</strong>ergie bzw. M<strong>in</strong>ergie-P, welches beim Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie für<br />
Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser beantragt werden kann. Nach der Akkreditierung<br />
<strong>und</strong> Zertifizierung kann der e<strong>in</strong>zelne Anbieter das M<strong>in</strong>ergie-Label kommunikativ e<strong>in</strong>setzen.<br />
Zur Steigerung des Bekanntheitsgrades <strong>und</strong> dem Aufbau e<strong>in</strong>es positiven<br />
Images betreibt der Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie auch Kommunikation auf der Verbandsebene.<br />
Dabei werden <strong>in</strong>sbesondere herkömmliche Nutzenaspekte wie Wohnkomfort, Lebensqualität<br />
<strong>und</strong> Werterhalt der Liegenschaften neben der Energieeffizienz hervorgehoben.<br />
4 Zusammenfassung<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist e<strong>in</strong> konstruktiver Ansatz, um den destruktiven Markttendenzen<br />
<strong>in</strong> der schweizerischen Baubranche entgegenzuwirken. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> generiert K<strong>und</strong>enmehrwert durch Ökologie <strong>und</strong> Soziales. Die vorliegende<br />
Studie zeigt, dass diese Möglichkeit zur Profilierung am Markt noch zu wenig genutzt<br />
wird, obwohl durchaus e<strong>in</strong>e Schnittmenge zwischen sozial-ökologischen Problemen<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnissen besteht. Im H<strong>in</strong>blick auf das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kommt den Holzbauunternehmen e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle zu, der sich nicht nur<br />
auf den E<strong>in</strong>satz regenerativer Roh- bzw. Baustoffe begründet. Generell verstehen es<br />
<strong>in</strong>sbesondere kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Pionierunternehmen, sozial-ökologische Aspekte<br />
<strong>in</strong> der Kommunikation geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien wie Ästhetik,<br />
Design, Komfort, Ges<strong>und</strong>heit, Umwelt <strong>und</strong> Zukunftsorientierung zu Motivallianzen zu
138 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />
verb<strong>in</strong>den. Dadurch sprechen sie nicht nur die kle<strong>in</strong>e Gruppe der sozial-ökologisch<br />
aktiven Bauherren an, sondern auch die größere Gruppe der sozial-ökologisch aktivierbaren<br />
Bauherren. Anstatt e<strong>in</strong>seitig den Preis <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen, heben<br />
sie verstärkt die Nutzenaspekte hervor. Um Kosten e<strong>in</strong>zusparen <strong>und</strong> Preisspielräume<br />
zu vergrößern, verfolgen sie Ansätze der Massen<strong>in</strong>dividualisierung, d.h. sie bieten<br />
Konzepthäuser mit frei wählbaren Energiestandards (z.B. Niedrigenergiehaus, Passivhaus)<br />
<strong>und</strong> Zusatzmodulen an (z.B. Ges<strong>und</strong>heit, Feng Shui). Für schweizerische Bau<strong>und</strong><br />
Generalunternehmen gilt es angesichts des sich verstärkenden Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerbs<br />
vermehrt zu prüfen, ob der Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
nicht auch für sie erfolgversprechend se<strong>in</strong> kann. Bei der Konzeptionalisierung s<strong>in</strong>d die<br />
verschiedenen Ebenen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu berücksichtigen (normative,<br />
strategische <strong>und</strong> operative), damit der Ansatz Stoßkraft entfalten kann <strong>und</strong> auf Dauer<br />
glaubwürdig ist.<br />
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vom 15.03.02.
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e. Kritische Anmerkungen<br />
zur Vermarktung von Ökostrom 1<br />
Michael Bilharz<br />
1 Ökostrom-Angebote: E<strong>in</strong> neuer Markt entsteht<br />
Die Liberalisierung der Strommärkte <strong>in</strong> vielen Ländern hat Strom zu e<strong>in</strong>em Produkt<br />
werden lassen, das beworben werden muss. Sie hat gleichzeitig Hoffnungen genährt,<br />
dass Ökostrom zu e<strong>in</strong>em Produkt werden könnte, das nachgefragt wird. Viele Umweltverbände<br />
sehen deshalb <strong>in</strong> der neu entstandenen Wahlmöglichkeit die Chance e<strong>in</strong>er<br />
„Abstimmung mit den Füßen“ zugunsten e<strong>in</strong>er umweltfre<strong>und</strong>licheren Stromversorgung.<br />
Unternehmen sprechen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von e<strong>in</strong>er neuen „Spielführer-Rolle<br />
für den K<strong>und</strong>en“ (Süss 2000, S. 68). Für etablierte <strong>und</strong> neue Stromhändler<br />
ergibt sich hierdurch e<strong>in</strong> Differenzierungspotenzial „zum gew<strong>in</strong>norientierten regenerativen<br />
Marktauftritt“ (ebd., S. 70). Dem professionellen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird für e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
Markterschließung durch Ökostrom-Produkte geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle<br />
zugewiesen, um von der Öko-Nische zum ökologischen Massenmarkt zu gelangen<br />
(Wüstenhagen 2000). Mit Blick auf die weitere Marktentwicklung stellen sich u.a. folgende<br />
Fragen:<br />
1. Wird der Markt für Ökostrom zukünftig e<strong>in</strong> ähnliches Wachstum aufweisen wie<br />
bspw. Bioprodukte im Lebensmittelbereich? Lassen sich daraus im Analogieschluss<br />
Handlungsempfehlungen für Unternehmen ableiten?<br />
2. Welche Bedeutung kommt bei der Entwicklung des Ökostrom-Marktes der Angebotsseite<br />
zu? Was s<strong>in</strong>d die zentralen Erfolgsfaktoren für e<strong>in</strong> Marktpotenzial jenseits<br />
der Nische? Welche Konsequenzen be<strong>in</strong>haltet dies für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Ökostrom?<br />
Im folgenden Beitrag werden diese beiden Fragenkomplexe unter der Perspektive des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) e<strong>in</strong>gehend diskutiert. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterscheidet sich vom Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dadurch, dass soziale Aspekte neben<br />
ökonomischen <strong>und</strong> ökologischen explizit bei <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>entscheidungen Berücksichtigung<br />
f<strong>in</strong>den.
142 Michael Bilharz<br />
Zuerst werden im S<strong>in</strong>ne des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> die sozial-ökologischen Problemlagen<br />
<strong>und</strong> die K<strong>und</strong>enbedürfnisse im Stromsektor analysiert, um Aussagen über<br />
ihre (potenzielle) Schnittmenge treffen zu können. Anschließend wird auf der Ebene<br />
des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix der Frage nachgegangen, ob der Ökostrom-Markt mit dem Bio-<br />
Lebensmittelmarkt vergleichbar ist. Dieser wird deshalb als Vergleichsmaßstab gewählt,<br />
weil er als besonders erfolgreiches Beispiel für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
jenseits der Öko-Nische gilt (Beitrag Leitner). Der Vergleich liefert erste H<strong>in</strong>weise auf<br />
die Bedeutung von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> damit auch auf die Bedeutung von transformativem<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) im Ökostrom-Markt. Zur Beantwortung der<br />
zweiten Frage wird deshalb das im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Best Practice“ ausgewählte Fallbeispiel<br />
Deutschland im H<strong>in</strong>blick auf Angebot <strong>und</strong> Nachfrage nach Ökostrom analysiert.<br />
Die gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich im letzten Kapitel zusammengefasst<br />
<strong>und</strong> po<strong>in</strong>tiert <strong>in</strong> Form von vier Thesen dargestellt.<br />
2 Sozial-ökologische Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />
Es s<strong>in</strong>d zwei gr<strong>und</strong>sätzliche ökologische Problembereiche, die direkt mit der konventionellen,<br />
d.h. fossilen <strong>und</strong> atomaren Stromerzeugung verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d: Die Endlichkeit<br />
der Ressourcen <strong>und</strong> die Umweltbelastungen durch ihre Umwandlung <strong>in</strong> Strom. Nicht<br />
nur die Erdölreserven gehen nach heutigem Kenntnisstand im Laufe des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
bei unverändertem Verbrauch zur Neige. Auch beim Uran reicht die statische<br />
Reichweite der weltweit nachgewiesenen Reserven nur noch weniger als 50 Jahre<br />
(BMU 2002c, S. 8). Bei der Stromerzeugung wären <strong>in</strong>sbesondere die CO2-Belastung<br />
(„Treibhauseffekt“) sowie der radioaktive Fallout („Restrisiko“) zu nennen. In Schwellen-<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsländern führen unzureichende Filtertechniken nach wie vor zu<br />
gravierenden Versauerungsproblemen („Waldsterben“).<br />
Die Endlichkeit sowie die zentrale Verteilung der Vorkommen auf wenige Regionen<br />
hat aber auch zwei bedeutsame gesellschaftspolitische Aspekte. Zum e<strong>in</strong>en besteht die<br />
Gefahr von kurzfristig stark ansteigenden Energiepreisen aufgr<strong>und</strong> von Verknappung<br />
mit den bekannten negativen wirtschafts-, <strong>in</strong>sbesondere arbeitsmarktpolitischen Folgen.<br />
Zum anderen führt die zentrale Verteilung zu geopolitischen Krisenherden mit<br />
dauernder Kriegsgefahr wie dies seit etlichen Jahren im Nahen Osten zu beobachten<br />
ist. Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 haben e<strong>in</strong> weiteres Problemfeld offenbart:<br />
Gas- <strong>und</strong> Ölpipel<strong>in</strong>es, aber auch AKWs stellen e<strong>in</strong> mögliches Ziel für terroristische<br />
Angriffe dar. Die gezielte Herbeiführung e<strong>in</strong>es Super-GAUs <strong>und</strong> damit die Kontam<strong>in</strong>ierung<br />
e<strong>in</strong>er großen Zahl von Menschen mit radioaktivem Fallout rückt damit <strong>in</strong> den<br />
Bereich des Möglichen (Stollberger 2004). Die zentrale Energieerzeugungsstruktur
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 143<br />
führt zusätzlich im Falle e<strong>in</strong>es Strukturwandels zu wirtschaftspolitischen <strong>und</strong> sozialen<br />
Problemgebieten (vgl. z.B. die Kohleabbauregionen <strong>in</strong> Deutschland).<br />
Die Förderung bzw. der Ausbau erneuerbarer Energien ist – neben Energiesparen<br />
durch Effizienz <strong>und</strong> Suffizienz – e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> anerkannte <strong>und</strong> geförderte Strategie,<br />
um die hier nur kurz skizzierten ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme zu reduzieren.<br />
Sie s<strong>in</strong>d erneuerbar, erzeugen CO2-freien bzw. CO2-neutralen Strom <strong>und</strong> reduzieren<br />
ges<strong>und</strong>heitliche sowie gesellschaftspolitische Gefahrenquellen. Durch regionale Wertschöpfung<br />
tragen erneuerbare Energien aufgr<strong>und</strong> ihrer <strong>in</strong> der Regel dezentralen Erzeugungsstruktur<br />
zum Erhalt <strong>und</strong> Ausbau von Arbeitsplätzen bei. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />
geht von mittlerweile ca. 130.000 Arbeitsplätzen im Bereich der neuen erneuerbaren<br />
Energien aus (BMU 2003, S. 20).<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die K<strong>und</strong>enbedürfnisse kann man feststellen, dass die Zustimmungswerte<br />
für erneuerbare Energien beachtlich s<strong>in</strong>d. In e<strong>in</strong>er zwischen 1984 <strong>und</strong> 2003 regelmäßig<br />
durchgeführten repräsentativen Studie für Deutschland spiegelt sich dies wider<br />
(Abb. 1): R<strong>und</strong> die Hälfte der Bevölkerung erwartet von der Solarenergie e<strong>in</strong>en<br />
wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung <strong>in</strong> den nächsten 20-30 Jahren. Die diesbezüglichen<br />
Erwartungen an die Kernenergie s<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der Tendenz seit 1987 <strong>und</strong><br />
wurden 2003 erstmalig von den Erwartungen an die W<strong>in</strong>denergie übertroffen. Diese<br />
Entwicklung läuft parallel zum <strong>in</strong> Deutschland realisierten Ausbau der W<strong>in</strong>denergie.<br />
Anteil <strong>in</strong> Prozent (Deutschland-West)<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
68<br />
48<br />
Frage: Welche Energieträger werden <strong>in</strong> den nächsten 20, 30 Jahren<br />
den grössten Beitrag zur Energieversorgung leisten?<br />
70<br />
42<br />
17 16<br />
60<br />
53<br />
24<br />
61<br />
58<br />
34<br />
50 52<br />
1984 1987 1989 1991 1999 2003<br />
Abbildung 1: Wandel der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung zur Bedeutung e<strong>in</strong>zelner Energieträger<br />
(Quelle: Allensbach 2003, S. 10).<br />
40<br />
35<br />
46<br />
42<br />
Kernenergie<br />
Sonnenenergie<br />
W<strong>in</strong>denergie
144 Michael Bilharz<br />
Für die Segmentierung des Marktes ist <strong>in</strong>teressant, dass die Erwartungshaltung um so<br />
höher ist, je jünger die Befragten s<strong>in</strong>d. Außerdem s<strong>in</strong>d auch konservative (72%) <strong>und</strong><br />
liberale (63%) Wähler für e<strong>in</strong>e weitere Förderung der erneuerbaren Energien auf m<strong>in</strong>destens<br />
dem aktuellen Niveau (Allensbach 2003, S. 23). Dies ist e<strong>in</strong> starkes Indiz für<br />
die breite Diffusion der positiven Wertschätzung von erneuerbaren Energien.<br />
Die Bevölkerung f<strong>in</strong>det die Förderung erneuerbarer Energien aber nicht nur „gut“,<br />
sondern ist – im Gegensatz zu Energiesparaktionen – von ihnen regelrecht fasz<strong>in</strong>iert.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Fasz<strong>in</strong>ationsskala von 0 bis10 rangieren die alternativen Energien mit e<strong>in</strong>em<br />
Wert von 5,0 noch vor Formel 1 Rennen mit 3,7 oder der Fußball-B<strong>und</strong>esliga mit 3,3<br />
(IRES 2003). Betrachtet man die allgeme<strong>in</strong>en hohen Zustimmungswerte für erneuerbare<br />
Energien genauer im H<strong>in</strong>blick auf das theoretische Marktpotenzial für Ökostrom-<br />
Angebote, bleiben die Ergebnisse ähnlich. Bei e<strong>in</strong>er repräsentativen Befragung <strong>in</strong><br />
Deutschland äußerten 11% der Befragten, dass sie bereits Ökostrom beziehen oder<br />
dies beabsichtigen, <strong>und</strong> 45% gaben an, dass sie ihn vielleicht beziehen werden. 44%<br />
wollen h<strong>in</strong>gegen explizit ke<strong>in</strong>en Ökostrom kaufen (Kuckartz/Grunenberg 2002, S. 78).<br />
In der erwähnten Befragung von Allensbach waren 21% bereit, mehr für erneuerbare<br />
Energien zu zahlen, 62% waren hierzu nicht bereit <strong>und</strong> 17% wollten sich nicht festlegen<br />
(Allensbach 2003, S. 24-25).<br />
Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die zentralen Voraussetzungen für<br />
e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Energiebereich gegeben s<strong>in</strong>d. Es existiert e<strong>in</strong> Produkt<br />
(Ökostrom) 2 , das sowohl die sozial-ökologischen Probleme verr<strong>in</strong>gern hilft, als<br />
auch bei K<strong>und</strong>en auf breite positive Resonanz stößt.<br />
3 Marktpotenzial analog zu Bio-Lebensmitteln?<br />
Die Vermarktung biologisch angebauter Lebensmittel (kurz: Bio-Lebensmittel) kann<br />
auf e<strong>in</strong>e jahrzehntelange Entwicklung zurückblicken. Sie gilt – <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der<br />
Schweiz, aber auch <strong>in</strong> anderen europäischen Ländern – als Beispiel für erfolgreiches<br />
<strong>in</strong>tegratives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beiträge Belz/Ditze <strong>und</strong> Leitner). Kann die<br />
Vermarktung von Ökostrom auf e<strong>in</strong>e ähnliche Entwicklung hoffen? Ist die Vermarktung<br />
der beiden Produktbereiche vergleichbar <strong>und</strong> damit der Verkaufserfolg von Ökostrom<br />
prognostizierbar? Die vergleichende Betrachtung von Bio-Lebensmitteln <strong>und</strong><br />
Ökostrom anhand der vier Teilbereiche des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix liefert erste Antworten auf<br />
diese Fragen.
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 145<br />
Produkt: Ökostrom ist nicht erfahrbar.<br />
Bio-Lebensmittel s<strong>in</strong>d gegenständliche Produkte, die man kaufen, tragen, lagern <strong>und</strong><br />
verzehren kann. Letzteres be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e hohe persönliche Betroffenheit. Dies erklärt,<br />
dass für viele Menschen der ges<strong>und</strong>heitliche Aspekt e<strong>in</strong>e starke Motivation zum Kauf<br />
von Bio-Lebensmitteln darstellt (Schäfer 2002, S. 64). Sie unterscheiden sich sowohl<br />
real als auch <strong>in</strong> der Wahrnehmung der K<strong>und</strong>en von konventionellen Produkten im Geschmack,<br />
<strong>in</strong> den Zutaten <strong>und</strong> teilweise auch im Aussehen. Während letzteres <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren als negativ für den Verkaufserfolg betrachtet wird, hatte der „schrumplige“<br />
Apfel oder der „verlauste“ Salat zu Beg<strong>in</strong>n der Öko-Bewegung vermutlich<br />
durchaus e<strong>in</strong>e wichtige vertrauensbildende Funktion. „Bio“ war ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Vertrauens-,<br />
sondern auch e<strong>in</strong>e Sucheigenschaft. Der K<strong>und</strong>e erhält bei Bio-Lebensmitteln e<strong>in</strong>en<br />
z.T. s<strong>in</strong>nlich erfahrbaren Zusatznutzen für se<strong>in</strong> Geld.<br />
Anders verhält es sich beim Ökostrom. Zu der bei der Vermarktung von nachhaltigen<br />
Produkten üblichen Schwierigkeit, den Sozial- <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Individualnutzen zu überführen<br />
(Kaas 1992, S. 476; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 26), kommt beim Ökostrom erschwerend<br />
h<strong>in</strong>zu, dass Strom erstens nicht sichtbar ist, zweitens der Strom auch ohne<br />
Kaufentscheidungen aus der Steckdose kommt <strong>und</strong> drittens sich Ökostrom nicht „unvermischt“<br />
zum K<strong>und</strong>en „transportieren“ lässt. Er ist zwar e<strong>in</strong> materielles, aber sehr<br />
abstraktes <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der Normierung von Spannung <strong>und</strong> Frequenz e<strong>in</strong> völlig homogenes<br />
Commodity-Gut (Timpe/Fritsche 2000, S. 2). Dies ist <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong> Problem,<br />
weil Befragungen zeigen, dass Ökostrom-K<strong>und</strong>en gerne den Strom genau von der von<br />
ihnen geförderten Anlage beziehen würden (Wortmann et al. 1996, S. 27). Damit hat<br />
Ökostrom gegenüber Bio-Lebensmitteln e<strong>in</strong>en gr<strong>und</strong>sätzlichen Erfahrungsnachteil.<br />
Dieser be<strong>in</strong>haltet auch die Kontrollmöglichkeit. Neben dem erwähnten Augensche<strong>in</strong><br />
ist – theoretisch – die Kontrolle der Bio-Lebensmittel durch den K<strong>und</strong>en denk- bzw.<br />
durchführbar. Er kann direkt auf dem Bauernhof e<strong>in</strong>kaufen oder diesen besichtigen.<br />
Die Kontrolle des Bezugs von Ökostrom ist h<strong>in</strong>gegen ausschließlich <strong>in</strong> Form der Überprüfung<br />
der Buchhaltung möglich. Man kann zwar e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>drad des Ökostrom-<br />
Händlers besuchen, aber man kann dort nicht „se<strong>in</strong>en“ Strom mitnehmen. Das Stromnetz<br />
verh<strong>in</strong>dert die Erfahrbarkeit der Kontrolle.<br />
Der Verkauf von Ökostrom ist nichts anderes als e<strong>in</strong> Versprechen, dass der verbrauchte<br />
Strom <strong>in</strong> dieser Menge (gegebenenfalls auch zur gleichen Zeit) ökologisch erzeugt<br />
wird. Ökostrom ist demnach <strong>in</strong> viel stärkerem Maße von Vertrauenseigenschaften gekennzeichnet<br />
als dies bei Bio-Lebensmitteln der Fall ist, ohne dass er e<strong>in</strong>en Zusatznutzen<br />
stiftet. Po<strong>in</strong>tiert ausgedrückt: Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e! Deshalb legen die Pro-
146 Michael Bilharz<br />
dukteigenschaften e<strong>in</strong>en höheren Verkaufserfolg von Bio-Lebensmitteln nahe als von<br />
Ökostrom-Produkten.<br />
Preis: Hohe Preissensibilität ermöglicht nur ger<strong>in</strong>ge Preisaufschläge.<br />
Die Abstraktheit e<strong>in</strong>es Produktes ist nicht gr<strong>und</strong>sätzlich e<strong>in</strong> Verkaufsh<strong>in</strong>dernis. Aber<br />
es verr<strong>in</strong>gert das Differenzierungspotenzial <strong>und</strong> erhöht die Preisdom<strong>in</strong>anz. Diese erwartbare<br />
Preissensibilität wird verstärkt durch die Tatsache, dass es sich beim Strommarkt<br />
primär um e<strong>in</strong>en Bus<strong>in</strong>ess-to-Bus<strong>in</strong>ess-Markt handelt. Nur 28% des Stromverbrauchs<br />
wird von den Privathaushalten verbraucht (VDEW 2001, S. 1). Die hohe<br />
Preissensibilität lässt sich empirisch bestätigen (Bird et al. 2002, S. 532). Die billigsten<br />
Ökostrom-Anbieter haben mit Abstand die höchsten K<strong>und</strong>enzahlen. Größere Umsatzsteigerungen<br />
gibt es nur bei den „Preisbrechern“ (Lichtblick, NaturEnergie <strong>und</strong> EWS<br />
Schönau). Zwar wird auch das Marktwachstum bei Bio-Lebensmitteln zunehmend von<br />
niedrigeren Verkaufspreisen <strong>in</strong> Lebensmittelketten gegenüber Bioläden getragen.<br />
Trotzdem werden weiterh<strong>in</strong> bei Bio-Lebensmitteln Preisaufschläge von teilweise<br />
100% <strong>und</strong> mehr von den K<strong>und</strong>en toleriert. Selbst Premium-Ökostrom-Produkte kommen<br />
h<strong>in</strong>gegen meist mit e<strong>in</strong>em Aufschlag von max. 30% aus. E<strong>in</strong>e mögliche Erklärung<br />
könnte der unterschiedliche Zahlungszeitpunkt <strong>und</strong> e<strong>in</strong> unterschiedliches Preisbewusstse<strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>. Die Stromrechnung erhält man e<strong>in</strong>mal im Jahr. Anhand des<br />
Verbrauchs von Kilowattst<strong>und</strong>en lässt sich der Preis e<strong>in</strong>fach mit anderen Anbietern<br />
vergleichen. Bei e<strong>in</strong>em normalen Drei-Personen-Haushalt s<strong>in</strong>d dies bei 30% Aufschlag<br />
r<strong>und</strong> 180 Euro im Jahr 3 . Bei Bio-Lebensmitteln werden jedoch im Normalfall ke<strong>in</strong>e<br />
„Jahresmehrverbrauchsrechnungen“ gemacht, sondern Kilo- oder E<strong>in</strong>zelpreise mite<strong>in</strong>ander<br />
verglichen. Diese s<strong>in</strong>d absolut betrachtet viel ger<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> liegen <strong>in</strong> der Größenordnung<br />
von Cents oder wenigen Euros. Würde man h<strong>in</strong>gegen die Kosten auf das Jahr<br />
umrechnen, würde man feststellen, dass der gezahlte Preisaufschlag vermutlich weit<br />
über dem Preisaufschlag von Ökostrom liegt.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Aspekt ist die Konkurrenzsituation. Sowohl für den Lebensmittel- als<br />
auch für den Strommarkt gilt, dass e<strong>in</strong> Produkt um so günstiger angeboten werden<br />
kann, desto weniger ökologische Aspekte berücksichtigt werden (Bsp.: EU-<br />
Zertifizierung versus Demeter-Label). Im Bio-Lebensmittelmarkt werden größtenteils<br />
zertifizierte Produkte vermarktet. Das unterste Preisniveau wird durch das Label mit<br />
den ger<strong>in</strong>gsten Anforderungen bestimmt (= EU-Zertifizierung). Beim Ökostrom-Markt<br />
gibt es h<strong>in</strong>gegen (noch) ke<strong>in</strong>en Labelstandard. Da es zudem mit der Großwasserkraft<br />
e<strong>in</strong>e erneuerbare Energie gibt, die erstens im konventionellen Strommarkt konkurrenzfähig<br />
<strong>und</strong> zweitens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Umfang vorhanden ist, der e<strong>in</strong> Vielfaches der Nachfrage
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 147<br />
der heutigen Ökostrom-K<strong>und</strong>en darstellt 4 , orientiert sich das unterste am konventionellen<br />
Preisniveau. Konsequenterweise werben Ökostrom-Anbieter damit, dass Strom aus<br />
erneuerbaren Energien nicht teuer se<strong>in</strong> müsste: „Sparen Sie sich Atomstrom. Und sparen<br />
Sie dabei Geld“ (Lichtblick 2002). Die Stiftung Warentest überschrieb ihren Ökostrom-Anbieter-Test<br />
mit „Grün, gut, günstig“ (Stiftung Warentest 2001). Der günstige<br />
Preis erhöht die potenzielle K<strong>und</strong>enzahl bei „grau-grünen“ Anbietern, während er für<br />
Premium-Anbieter die Marktsituation erschwert. Möglicherweise ist beim Ökostrom<br />
auch e<strong>in</strong>e stärkere Staatsorientierung vorhanden, die e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Preisbereitschaft<br />
beim K<strong>und</strong>en für <strong>in</strong>dividuelle Aufschläge nach sich zieht. So existieren <strong>in</strong> allen Ländern<br />
Förderprogramme, die e<strong>in</strong>e Nachfrage nach teureren erneuerbaren Energien auch<br />
jenseits der Nachfrage von Endverbrauchern garantieren (Kap. 4).<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf den Preis gibt es demnach ebenfalls gr<strong>und</strong>legende Unterschiede. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
ist deren Wirkungsrichtung auf das K<strong>und</strong>enpotenzial nicht e<strong>in</strong>deutig. Ger<strong>in</strong>gere<br />
relative Preisaufschläge legen aber längerfristig e<strong>in</strong> höheres K<strong>und</strong>enpotenzial von<br />
Ökostrom-Produkten nahe. Die Preisentwicklung selbst ist dabei u.a. abhängig von<br />
den Anforderungen <strong>und</strong> der Akzeptanz e<strong>in</strong>es Ökostrom-Labels.<br />
Kommunikation: Hohe Werbeanstrengungen s<strong>in</strong>d nötig.<br />
Zwei Erklärungsprobleme können im H<strong>in</strong>blick auf die Kommunikationsanstrengungen<br />
für Ökostrom unterschieden werden:<br />
� Wie kommt der Ökostrom zum K<strong>und</strong>en?<br />
� Warum ist Ökostrom besser als konventioneller Strom?<br />
Beim ersten Aspekt liegt der Unterschied zu Bio-Lebensmitteln auf der Hand. Die Gegenständlichkeit<br />
von Lebensmitteln ist e<strong>in</strong> zentraler Kommunikations-Vorteil gegenüber<br />
Ökostrom. Beim zweiten Erklärungsaspekt ist es s<strong>in</strong>nvoll, zwei Ebenen im H<strong>in</strong>blick<br />
auf die K<strong>und</strong>enbedürfnisse zu unterscheiden: „Umweltstandard der Stromlieferung“<br />
<strong>und</strong> „Förderwirkung“ (Markard/Timpe 2000, S. 204). Im e<strong>in</strong>en Fall genügt es<br />
den K<strong>und</strong>en, die <strong>in</strong>dividuelle Ökobilanz zu optimieren (Bilharz 2003, S. 31). Dies be<strong>in</strong>haltet,<br />
dass ihre verbrauchte Strommenge mit erneuerbaren Energien erzeugt wird.<br />
Da es bereits e<strong>in</strong> großes Angebot an erneuerbaren Energien jenseits der Nische gibt<br />
(v.a. Großwasserkraft), lassen sich somit ohne Änderungen <strong>in</strong> der Produktionsstruktur<br />
e<strong>in</strong>e große Anzahl von K<strong>und</strong>en mit Ökostrom-Angeboten versorgen, die die Optimierung<br />
der <strong>in</strong>dividuellen Ökobilanz anstreben. Diesen genügt der H<strong>in</strong>weis „Strom aus<br />
erneuerbaren Energien“. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d derartige Angebote e<strong>in</strong>em hohen Rechtfertigungsdruck<br />
gegenüber Anspruchsgruppen, <strong>in</strong>sbesondere Umweltschutzverbänden,
148 Michael Bilharz<br />
ausgesetzt. Für diese steht ebenso wie für den „global engagierten K<strong>und</strong>en“ (Markard/Timpe<br />
2000, S. 204) die Frage der Förderwirkung im Vordergr<strong>und</strong>: Wäre der<br />
Ökostrom auch ohne ihre Zahlungsbereitschaft produziert worden? Die Ermittlung der<br />
zusätzlichen Förderwirkung ist jedoch bei vielen Ökostrom-Angeboten schwierig <strong>und</strong><br />
strittig (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 41). Dieser Aspekt der „zusätzlichen Förderwirkung“<br />
erfordert daher wiederum verstärkte Kommunikationsanstrengungen, die <strong>in</strong><br />
dieser Ausprägung im Bio-Lebensmittelbereich nicht notwendig s<strong>in</strong>d. Dort gilt: Je<br />
mehr ökologische Lebensmittel verkauft werden, um so mehr werden produziert <strong>und</strong><br />
um so größer ist die ökologische Förderwirkung.<br />
Auch beim gefühlsmäßigen Erfassen haben Bio-Lebensmittel trotz allgeme<strong>in</strong>er hoher<br />
Zustimmungswerte für erneuerbare Energien möglicherweise Vorteile. Pestizide haben<br />
negative Auswirkungen auf Pflanzen <strong>und</strong> Tiere (Schädl<strong>in</strong>ge wie Nützl<strong>in</strong>ge). Was andere<br />
Lebewesen tötet, erweckt – verständlicherweise – e<strong>in</strong> ungutes Gefühl, zumal<br />
wenn die Produkte verzehrt werden <strong>und</strong> die Gefahr besteht, dass man Pestizidrückstände<br />
mitisst. Daneben ist die emotionalisierende Wirkung der Massentierhaltung<br />
bekannt. Der Ökostrom bemüht sich auf e<strong>in</strong>em abstrakteren Niveau um Anerkennung:<br />
Atomare Strahlung <strong>und</strong> Treibhauseffekt s<strong>in</strong>d unsichtbar <strong>und</strong> müssen erst „erlebbar“<br />
gemacht werden. Zudem ist die anhaltende Zustimmung zu erneuerbaren Energien mit<br />
zunehmendem Erfolg nicht garantiert. W<strong>in</strong>dräder stören den „freien Blick“, Biomasse-<br />
Kraftwerke produzieren auch Abgase, Wasserkraftwerke müssen den ökologischen<br />
E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die Gewässer rechtfertigen. Nicht umsonst erhält bisher die Photovoltaik als<br />
emissionsfreie <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>flächige Erzeugungsanlage die höchsten Zustimmungswerte.<br />
Diese Überlegungen sowie die bisherigen empirischen Ergebnisse zeigen, dass für<br />
Ökostrom sehr hohe Kommunikations-Anstrengungen nötig s<strong>in</strong>d (Beitrag Schrader).<br />
Das seit Jahrzehnten relativ ger<strong>in</strong>ge Energiewissen <strong>in</strong> der Bevölkerung (Borsutzky/Nöldner<br />
1989, S. 30; Dietrich-Damm 1994, S. 119; Gräsel/Bilharz 2002; Allensbach<br />
2003) erleichtert diese Aufgabe nicht. Es macht aber verständlich, dass bisher<br />
fast alle Ökostrom-Anbieter (noch) rote Zahlen schreiben. Der hohe notwendige Werbeaufwand<br />
würde e<strong>in</strong>e Vermarktung v.a. über größere Unternehmen nahe legen. Neben<br />
der bisher allgeme<strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>gen Wechselbereitschaft <strong>in</strong> Deutschland (TrendProfile<br />
2002) sprechen auch Aspekte der Distribution gegen diesen Schritt.<br />
Distribution: Gatekeeper mit gegenläufigen Interessen.<br />
Biologische Lebensmittel kann jeder Bauer auf dem Wochenmarkt ohne große Werbeanstrengungen<br />
verkaufen. Betrachtet man die historische Entwicklung des Biomarktes,<br />
so war genau dies der Fall (Belz 2004). Beim Ökostrom s<strong>in</strong>d größere Kommunikati-
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 149<br />
onsanstrengungen notwendig <strong>und</strong> die Netzgeb<strong>und</strong>enheit von Strom verh<strong>in</strong>dert e<strong>in</strong>en<br />
Verkauf analog zum Wochenmarkt. Allerd<strong>in</strong>gs hat man beim Stromhandel aufgr<strong>und</strong><br />
der Netzgeb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> der historisch gewachsenen monopolistischen Struktur die<br />
besondere Situation, dass man mit relativ ger<strong>in</strong>gem Mehraufwand sämtliche K<strong>und</strong>en<br />
erreichen kann. Da fast jeder Energieversorger e<strong>in</strong> spezielles Ökostrom-Angebot im<br />
Portfolio hat, kann man davon ausgehen, dass die flächendeckende K<strong>und</strong>enansprache<br />
zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> rudimentärer Form tatsächlich geschieht.<br />
Doch die Netzbetreiber s<strong>in</strong>d im Stromsektor die zentralen Gatekeeper. Aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> wurde 1990/91 <strong>in</strong> Deutschland das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz (StrEG) verabschiedet,<br />
um den Betreibern von erneuerbaren Energieanlagen überhaupt erst die Möglichkeit<br />
zu geben, Strom verkaufen zu können (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 14).<br />
Auch nach der Liberalisierung der Strommärkte stellen die – gewollten oder ungewollten<br />
– Beh<strong>in</strong>derungen durch die Netzbetreiber sowohl bei konventionellen als auch bei<br />
Ökostrom-Händlern e<strong>in</strong> zentrales Wettbewerbsh<strong>in</strong>dernis dar. Es ist die Logik der dezentralen<br />
Energieversorgung, die den ökonomischen Interessen der traditionellen<br />
Stromversorger, die gleichzeitig auch Netzbetreiber s<strong>in</strong>d, gr<strong>und</strong>sätzlich widerspricht.<br />
Neue erneuerbare Energien führen im Normalfall zu e<strong>in</strong>er dezentralen Produktion.<br />
Ausnahmen davon stellen Offshore-W<strong>in</strong>danlagen <strong>und</strong> solarthermische Kraftwerke dar.<br />
Die dezentrale Produktion von erneuerbaren Energien geht e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren<br />
Kapitalbedarf pro Kraftwerk, d.h. die Markte<strong>in</strong>trittsbarrieren s<strong>in</strong>d wesentlich niedriger<br />
<strong>und</strong> die potenzielle Konkurrenz entsprechend größer. Auf die Netzbetreiber<br />
kommen neue Anforderungen aufgr<strong>und</strong> der durch unterschiedliche Witterungsbed<strong>in</strong>gungen<br />
verursachten Angebotsschwankungen (Volatilität) h<strong>in</strong>zu. Das unternehmerische<br />
Interesse an neuen erneuerbaren Energien ist dementsprechend bei den meisten<br />
traditionellen Stromversorgern eher nebensächlich bis negativ. Folgerichtig werden<br />
Projekte <strong>in</strong> diesem Bereich aus dem Werbeetat f<strong>in</strong>anziert. 5<br />
Im Lebensmittelsektor h<strong>in</strong>gegen gilt der Handel als Gatekeeper. Dies hat lange Zeit<br />
e<strong>in</strong> stärkeres Wachstum im Bio-Sektor verh<strong>in</strong>dert. Inzwischen hat sich dies v.a. <strong>in</strong> der<br />
Schweiz, aber auch <strong>in</strong> Deutschland gr<strong>und</strong>legend gewandelt, weil sich autonome Distributionskanäle<br />
als erfolgreich erwiesen <strong>und</strong> die Gatekeeper-Stellung des konventionellen<br />
Handels unterlaufen konnten. Der Handel hat darauf nicht nur mit eigenen Bio-<br />
Sortimenten reagiert (z.B. „Füllhorn“ (Rewe), „Naturk<strong>in</strong>d“ (Tengelmann)), sondern<br />
nutzt diese auch proaktiv zur Differenzierung <strong>und</strong> zur Gew<strong>in</strong>nsteigerung im Wettbewerb<br />
(Beitrag Belz/Ditze <strong>und</strong> Leitner). Im Gegensatz zum Stromsektor besteht hier<br />
ke<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>sätzlicher Interessenskonflikt beim Gatekeeper, da durch das Bio-Sortiment
150 Michael Bilharz<br />
lediglich die Produktvielfalt erhöht wird, aber nicht gr<strong>und</strong>legend neue Anforderungen<br />
gestellt werden.<br />
Unter der Perspektive der Distribution zeichnet der Vergleich zwar ebenfalls e<strong>in</strong> ambivalentes<br />
Bild. Der gr<strong>und</strong>legendere Interessenskonflikt bei den Gatekeepern im<br />
Stromsektor legt aber auch hier e<strong>in</strong>e vorsichtigere Marktschätzung als beim Lebensmittelsektor<br />
nahe. Dies kann sich ändern, wenn der Interessenskonflikt durch staatliche<br />
Regelungen aufgelöst wird. So erreichten <strong>in</strong> Holland <strong>in</strong>nerhalb von zwei Jahren Ökostrom-Angebote<br />
e<strong>in</strong>en Marktanteil von r<strong>und</strong> 30% bei Haushaltsk<strong>und</strong>en, weil jene u.a.<br />
von der Ökosteuer befreit wurden <strong>und</strong> dadurch <strong>in</strong> etwa auf dem Preisniveau konventioneller<br />
Angebote lagen (Sambeek/Thuijl 2003). Damit wird aber die Marktabschätzung<br />
<strong>und</strong> -entwicklung auf e<strong>in</strong>e politische Ebene verlagert <strong>und</strong> es stellt sich die Frage,<br />
wie Unternehmen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es transformativen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> hierauf E<strong>in</strong>fluss üben<br />
können.<br />
4 Ökostrom-Markt: „Anders als andere“<br />
Bio-Lebensmittel <strong>und</strong> Ökostrom: Der Vergleich h<strong>in</strong>kt<br />
Sowohl im Lebensmittel- als auch im Strommarkt fallen zentrale soziale <strong>und</strong> ökologische<br />
Probleme auf den Stufen der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> der Produktion an. Die<br />
Wahrnehmung des Zusatznutzens der Öko-Varianten durch den K<strong>und</strong>en ist h<strong>in</strong>gegen<br />
der kritische Faktor für das Marktpotenzial. So fördert der zugeschriebene Ges<strong>und</strong>heitsnutzen<br />
den Absatz von Bio-Lebensmitteln, während der Mangel an vergleichbaren<br />
Motivallianzen vermutlich e<strong>in</strong> wichtiges H<strong>in</strong>dernis für die Vermarktung von Ökostrom<br />
darstellt. Da Ökostrom der direkte Zusatznutzen (mit Ausnahme des guten Gewissens)<br />
fehlt, geht der Bezug von Ökostrom nicht über den Status e<strong>in</strong>er „Spende für<br />
erneuerbare Energien“ h<strong>in</strong>aus. Es ist e<strong>in</strong> äußerst abstraktes Produkt, das e<strong>in</strong>en hohen<br />
Erklärungsaufwand erfordert. Die bisher auf dem Markt bef<strong>in</strong>dlichen Angebote lassen<br />
ke<strong>in</strong> Potenzial für Prestige oder Statuseffekte erkennen (im Gegensatz z.B. zum Besitz<br />
von Photovoltaik-Anlagen; Hübner/Felser 2001, S. 25). E<strong>in</strong>e Ausnahme könnten hierbei<br />
Gewerbek<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>, die mit dem Bezug von Ökostrom werben können, wie erste<br />
Beispiele <strong>in</strong> Deutschland (z.B. Rittersport, Deutsche Post) <strong>und</strong> der Schweiz (z.B.<br />
Swisscom) zeigen. Allerd<strong>in</strong>gs dürfte hier ebenfalls der Preis e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielen.<br />
Die Unterschiede zu Bio-Lebensmitteln s<strong>in</strong>d demnach zu groß, als dass man aus<br />
deren Marktentwicklung f<strong>und</strong>ierte Rückschlüsse für die Marktentwicklung von Ökostrom<br />
ziehen könnte. Es wird deutlich, dass die Vermarktung von Ökostrom vor e<strong>in</strong>er
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 151<br />
Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten steht, welche die Unterstützung durch staatliche<br />
Maßnahmen notwendig ersche<strong>in</strong>en lassen (Wüstenhagen 2000, S. 198).<br />
Angebot größer als die Nachfrage: Dom<strong>in</strong>anz politischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
Allerd<strong>in</strong>gs bezog sich die bisherige Argumentation <strong>und</strong> die damit e<strong>in</strong>hergehende skeptische<br />
E<strong>in</strong>schätzung des Marktpotenzials auf das Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, d.h. auf den<br />
Verkauf von Ökostrom. Betrachtet man h<strong>in</strong>gegen die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren<br />
Energien, lässt sich e<strong>in</strong>e dynamische Marktentwicklung <strong>in</strong> vielen Ländern<br />
feststellen. Dabei ergibt sich im allgeme<strong>in</strong>en die sche<strong>in</strong>bar paradoxe Situation, dass<br />
das Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien weit über der Nachfrage nach Ökostrom<br />
liegt (Abb. 2). Der Gr<strong>und</strong> liegt <strong>in</strong> politischen Förder<strong>in</strong>strumenten, die die Erzeugung<br />
<strong>und</strong> nicht den Verbrauch von Ökostrom honorieren.<br />
Mrd. kWh<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
1 1,3 1,6<br />
2,3<br />
2,8<br />
Angebot <strong>und</strong> Nachfrage<br />
3,7<br />
4,8<br />
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003<br />
6,8<br />
0,1<br />
7,9<br />
0,7<br />
13,2<br />
1<br />
17,8<br />
1,3<br />
21<br />
1,6<br />
25<br />
1,7<br />
Angebot (ohne<br />
Großwasserkraft)<br />
Nachfrage nach<br />
Ökostrom<br />
Abbildung 2: Angebot von Strom aus neuen erneuerbaren Energien <strong>und</strong> Nachfrage nach Ökostrom <strong>in</strong><br />
Deutschland (Quelle: BMU 2002a, S. 7; VDEW 2004; eigene Berechnungen)<br />
Deutschland hat es auf diese Weise trotz suboptimaler geografischer Voraussetzungen<br />
zum Marktführer h<strong>in</strong>sichtlich neuer erneuerbarer Energien geschafft. Im Jahr 2003<br />
entfielen <strong>in</strong>nerhalb der EU bspw. r<strong>und</strong> 50% der neu <strong>in</strong>stallierten Leistung an W<strong>in</strong>denergie<br />
auf Deutschland (B<strong>und</strong>esverband W<strong>in</strong>denergie 2004). Von 1991 bis 2003 vervielfachte<br />
sich die durch neue erneuerbare Energien erzeugte Strommenge von e<strong>in</strong>er<br />
auf 25 Mrd. kWh (Abb. 2). Damit verdoppelte sich im gleichen Zeitraum der Anteil<br />
aller erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von r<strong>und</strong> 4% auf 8%. Gr<strong>und</strong> für
152 Michael Bilharz<br />
dieses Wachstum s<strong>in</strong>d die seit 1991 gültigen M<strong>in</strong>destvergütungen durch das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz<br />
(StrEG) bzw. seit 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
(EEG). Wesentliche Elemente des EEG wurden von verschiedenen Ländern, z.B. den<br />
Nachbarländern Frankreich <strong>und</strong> Tschechien, übernommen (BMU 2002b, S. 7).<br />
Demgegenüber nehmen sich die Absatzzahlen für Ökostrom relativ ger<strong>in</strong>g aus. Im Jahr<br />
2003 lag das Marktvolumen für Ökostrom bei 1,7 Mrd. kWh (Abb. 2) bzw. r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />
halben Million K<strong>und</strong>en (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 37). Hieraus errechnet sich e<strong>in</strong><br />
Marktanteil <strong>in</strong> Höhe von 0,4% bezogen auf den gesamten Stromverbrauch. Dies entspricht<br />
<strong>in</strong> etwa dem durchschnittlichen Marktvolumen im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich,<br />
welches Bird et al. <strong>in</strong> ihrer Untersuchung mit kle<strong>in</strong>er als 1% beziffern (dies. 2002,<br />
S. 534).<br />
An dieser Dom<strong>in</strong>anz des EEG als zentralem Fördermechanismus für erneuerbare Energien<br />
wird sich auch bis auf weiteres nichts ändern. Die Gründe hierfür liegen auf<br />
der Hand. Das EEG bietet den Investoren e<strong>in</strong>en Individualnutzen <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er (wahrsche<strong>in</strong>lichen)<br />
Kapitalverz<strong>in</strong>sung. Der Kauf von Ökostrom hat h<strong>in</strong>gegen den Charakter<br />
e<strong>in</strong>er Spende für die Umwelt. Es gilt: „Wer erneuerbare Energien fördern bzw. wer die<br />
Umwelt schützen will, der muss zahlen.“ Die Marktentwicklung beim Verkauf von<br />
Ökostrom h<strong>in</strong>kt auf diese Weise der Marktentwicklung bei der Erzeugung von Ökostrom<br />
dauerhaft h<strong>in</strong>terher.<br />
5 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien: Vier Thesen<br />
Die bisherigen Ausführungen lassen sich zusammenfassen als Kritik am Optimismus<br />
<strong>in</strong> Bezug auf die Vermarktung von Ökostrom. Dieser Optimismus ignoriert die Besonderheiten<br />
des Ökostrom-Marktes. Das Marktpotenzial ebenso wie dessen ökologische<br />
Förderwirkungen s<strong>in</strong>d sowohl beim Vergleich mit dem Bio-Lebensmittelmarkt als<br />
auch aufgr<strong>und</strong> der Analyse der erfolgreichen Marktentwicklung von erneuerbaren Energien<br />
<strong>in</strong> Deutschland eher skeptisch e<strong>in</strong>zuschätzen. „Skeptisch“ heißt aber nicht „überflüssig“.<br />
Denn es gibt mehr Gründe zum Optimismus, wenn man die Perspektive<br />
vom Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf e<strong>in</strong> umfassenderes Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien erweitert (Abb. 3). Dieses fokusiert nicht nur auf<br />
den Verkauf von Ökostrom an Endk<strong>und</strong>en, wie dies beim Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der<br />
Fall ist (Pfeil 4), sondern stellt den Ausbau erneuerbarer Energien <strong>in</strong> den Mittelpunkt.<br />
Hierdurch geraten zusätzliche Ansatzpunkte für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong>s Blickfeld (Pfeile<br />
1-5). 6 Vier gr<strong>und</strong>legende Aspekte gilt es hierbei zu berücksichtigen. Diese werden<br />
<strong>in</strong> Form von vier Thesen abschließend diskutiert.
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 153<br />
Fokus des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
für erneuerbare Energien<br />
Ausbau<br />
erneuerbarer<br />
Energien<br />
�<br />
�<br />
Produzent<br />
�<br />
Stromhändler<br />
�<br />
�<br />
Fokus des Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Investor<br />
Konsument<br />
Abbildung 3: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien <strong>und</strong> Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />
These 1: Maßstab für erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist der Ausbau von<br />
erneuerbaren Energien.<br />
Während bei Bio-Lebensmitteln im Laufe der letzten Jahrzehnte im Wechselspiel zwischen<br />
Angebot, Nachfrage <strong>und</strong> staatlichen Maßnahmen e<strong>in</strong> Markt auch jenseits der<br />
Öko-Nische aufgebaut wurde, war <strong>und</strong> ist der Ökostrom-Markt sehr stark von staatlichen<br />
Förderbed<strong>in</strong>gungen geprägt. Diese Förderbed<strong>in</strong>gungen haben e<strong>in</strong> Marktwachstum<br />
jenseits der Öko-Nische ohne entsprechende Konsumnachfrage bewirkt. Umgekehrt<br />
führt die Nachfrage nach Ökostrom nicht automatisch zum Ausbau von erneuerbaren<br />
Energien, solange das Angebot größer als die Nachfrage ist. Dies bedeutet, dass<br />
die Gleichsetzung von K<strong>und</strong>ennachfrage <strong>und</strong> sozial-ökologischem Fördereffekt, wie<br />
sie im Lebensmittelmarkt gr<strong>und</strong>sätzlich möglich ist, im Ökostrom-Markt ke<strong>in</strong>e Gültigkeit<br />
besitzt. Primäres Erfolgskriterium e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare<br />
Energien, welches zur Verr<strong>in</strong>gerung der sozial-ökologischen Problemlagen beiträgt,<br />
kann daher nur der ausgelöste Ausbau von erneuerbaren Energien se<strong>in</strong>. Dabei müssen<br />
sowohl die direkt <strong>in</strong>stallierten Kapazitäten als auch die durch das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong>direkt ausgelösten Effekte berücksichtigt werden (z.B. öffentliche Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />
durch Werbung für erneuerbare Energien).<br />
Aufgr<strong>und</strong> der für K<strong>und</strong>en kaum durchschaubaren Komplexität im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Förderwirkung von Ökostrom-Angeboten kommt Labels e<strong>in</strong>e wichtige ordnende
154 Michael Bilharz<br />
Funktion zu. Sie sollten die Komplexität <strong>und</strong> Varietät für <strong>in</strong>teressierte K<strong>und</strong>en handhabbar<br />
machen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en über staatliche Fördermaßnahmen h<strong>in</strong>ausgehenden Umweltnutzen<br />
sicher stellen (vgl. z.B. die beiden Labels „ok-power“ sowie „Grüner Strom“ <strong>in</strong><br />
Deutschland).<br />
These 2: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien fokussiert primär auf<br />
die Erzeugung, weniger auf den Konsum von Ökostrom.<br />
Der erfolgreiche Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgt bisher über die Förderung<br />
der Erzeugung von Ökostrom (wie z.B. mittels M<strong>in</strong>destvergütungen <strong>in</strong> Deutschland),<br />
nicht jedoch über die Förderung des Bezugs von Ökostrom. Letzteres ist bspw. <strong>in</strong> Holland<br />
ohne nennenswerten Ausbaueffekt geschehen. Zwar führten entsprechende Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> Holland (z.B Befreiung von der Ökosteuer) zu e<strong>in</strong>em Marktanteil<br />
von Ökostrom-Angeboten von r<strong>und</strong> 30% bei Haushaltsk<strong>und</strong>en im Jahr 2002. Der<br />
Strom wurde aber fast ausschließlich aus bestehenden Anlagen im Ausland bezogen<br />
(primär Wasserkraft <strong>und</strong> Biomasse <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien), so dass kaum Wachstum bei erneuerbaren<br />
Energien vorzuweisen war. Dies führte u.a. zur Wiedere<strong>in</strong>führung von<br />
M<strong>in</strong>destvergütungen, um auch <strong>in</strong> Holland e<strong>in</strong>e Neubauleistung bei erneuerbaren Energien<br />
realisieren zu können (Sambeek/Thuijl 2003).<br />
Erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sollte sich deshalb <strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> im<br />
H<strong>in</strong>blick auf das Leistungsangebot nicht so sehr auf die Vermarktung des Konsums<br />
von Ökostrom, sondern viel stärker auf die Vermarktung der Erzeugung von Ökostrom<br />
konzentrieren, wie es verschiedene Unternehmen bereits vormachen (Wüstenhagen<br />
2004, S. 25). Dies schließt die Endverbraucher als Zielgruppe nicht aus. Verschiedene<br />
Optionen s<strong>in</strong>d hier denkbar. Als Beispiele seien genannt:<br />
� Beteiligungen an erneuerbaren Energien <strong>in</strong> Ländern mit M<strong>in</strong>destvergütungen können<br />
über Ländergrenzen h<strong>in</strong>weg vermarktet werden.<br />
� E<strong>in</strong> freiwilliger Aufpreis auf den Strompreis könnte zum Aufbau e<strong>in</strong>er Kapitalbeteiligung<br />
an erneuerbaren Energien genutzt werden (im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Solar-<br />
Sparens“ <strong>in</strong> Analogie zum Bausparen).<br />
� Neue Formen dezentraler Energieversorgungssysteme (z.B. Brennstoffzellen)<br />
könnten auch von klassischen Stromversorgern erfolgreich vermarktet werden.<br />
� Je nach Unternehmung können auch andere Aspekte e<strong>in</strong>er nachhaltigen Energieversorgung<br />
Teil des Leistungsangebots werden (z.B. erneuerbare Energien im Bereich<br />
von Wärmeerzeugung oder Treibstoffen; Dienstleistungen zur Energiee<strong>in</strong>sparung).
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 155<br />
� Erneuerbare Energien können im Rahmen spezieller Kommunikationsmaßnahmen<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen (z.B. Sponsor<strong>in</strong>g von Elektrifizierungsprojekten <strong>in</strong><br />
ländlichen Regionen der „Dritten Welt“).<br />
These 3: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien basiert auf e<strong>in</strong>er konsistenten<br />
Ausrichtung aller <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Schritte.<br />
Die hohe Akzeptanz erneuerbarer Energien führt dazu, dass Stromversorger <strong>in</strong> ihrer<br />
Kommunikationspolitik ihr Engagement zur Förderung erneuerbarer Energien betonen.<br />
Da die dezentrale Erzeugungsstruktur jedoch den Interessen etablierter Stromversorger<br />
widerspricht (Kap. 3), besteht die Gefahr, dass das Engagement nicht über den<br />
Status e<strong>in</strong>es „grünen Mäntelchens“ h<strong>in</strong>aus geht oder gar auf transformativer Ebene<br />
konterkariert wird. So wurden <strong>und</strong> werden <strong>in</strong> Deutschland die offensichtlich erfolgreichen<br />
gesetzlichen M<strong>in</strong>destvergütungen (StrEG, EEG) von etablierten Stromversorgern<br />
weder unterstützt noch akzeptiert. Vielmehr klagten <strong>und</strong> klagen sie aktiv öffentlich<br />
<strong>und</strong> rechtlich gegen das StrEG <strong>und</strong> das EEG. Exemplarisch sei auf die abgewiesene<br />
Klage gegen das StrEG vor dem Europäischen Gerichtshof verwiesen sowie auf die<br />
Vielzahl an verunsichernden Formulierungen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>speiseverträgen mit Photovoltaikbetreibern<br />
(von Fabeck 2001).Vielerorts kam <strong>und</strong> kommt es auch zu Beh<strong>in</strong>derungen<br />
<strong>und</strong> Des<strong>in</strong>formationen privater Anlagenbetreiber durch die Netzbetreiber. Vertreter<br />
von Stromversorgern betonen gewöhnlich die unterstellte Ineffizienz des EEG <strong>und</strong> die<br />
Unvere<strong>in</strong>barkeit des EEG mit e<strong>in</strong>em liberalisierten Markt: „In dieser Zeit [vor der Liberalisierung;<br />
M.B.] entstandene Förderkonzepte wie das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz<br />
basierten auf der Überlegung, dass man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em monopolähnlichen System Förderwege<br />
beschreiten könne, die für marktwirtschaftlich operierende Branchen <strong>und</strong>enkbar<br />
wären“ (Süss 2000, S. 68).<br />
Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann demnach e<strong>in</strong>e Strategie im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Anti- oder Pseudo-<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> se<strong>in</strong>:<br />
� Auf strategischer Ebene kann Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf die Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften<br />
gerichtet se<strong>in</strong>, ohne dass e<strong>in</strong> realer Beitrag an zusätzlicher<br />
Umweltleistung erbracht oder angestrebt wird. Bei vielen traditionellen Stromversorgern<br />
werden dementsprechend Ökostrom-Angebote primär als defensive Marktabsicherungsstrategien<br />
e<strong>in</strong>gesetzt (Graehl et al. 2001, S. 225). Dies kann trotzdem<br />
e<strong>in</strong>hergehen mit positiven <strong>in</strong>direkten Effekten (z.B. durch hohe Werbeausgaben für<br />
erneuerbare Energien; Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 49).
156 Michael Bilharz<br />
� Auf transformativer Ebene kann Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>gesetzt werden, um offensiv<br />
gegen effektivere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu argumentieren. Motive können<br />
die gr<strong>und</strong>sätzliche Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es Marktes für erneuerbare Energien oder die<br />
Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es größeren Marktwachstums se<strong>in</strong>. In beiden Fällen wird aber gegen<br />
den Ausbau von erneuerbaren Energien gearbeitet.<br />
Abgesehen davon, dass letztlich nur e<strong>in</strong>e kritische Öffentlichkeit Unternehmen an<br />
Pseudo-<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> h<strong>in</strong>dern kann, besteht e<strong>in</strong> weiteres Problem <strong>in</strong> der<br />
Tatsache, dass die Frage nach den „richtigen“ Rahmenbed<strong>in</strong>gungen durchaus kontrovers<br />
diskutiert wird. Dies erfordert e<strong>in</strong>e weitere Klärung.<br />
These 4: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterstützt auf transformativer Ebene die erfolgreichsten<br />
Strukturen zur Förderung erneuerbarer Energien.<br />
Im Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen sowie der<br />
unternehmerischen Verantwortung zur Gestaltung derselben e<strong>in</strong> besonderer Stellenwert<br />
zugewiesen (Beitrag Belz). Dies geschieht auf der Basis der Idee: Je sozialökologischer<br />
die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d, desto besser s<strong>in</strong>d auch die Marktchancen<br />
für nachhaltige Produkte. Legitimieren lässt sich dies durch Verweis auf die durch sozial-ökologische<br />
Probleme verursachten externen Kosten, die von den Marktpreisen<br />
nicht erfasst werden. Unter sozial-ökologischer Perspektive ist es daher e<strong>in</strong> zentrales<br />
Ziel, diese externen Kosten zu <strong>in</strong>ternalisieren. Dies kann durch Unternehmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
ersten Schritt durch die Bildung von Motivallianzen geschehen (Beitrag Belz). In e<strong>in</strong>em<br />
weiteren Schritt gilt es, die Internalisierung der externen Kosten durch die Änderung<br />
von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu erreichen, woran sich auch Unternehmen – im positiven<br />
wie im negativen S<strong>in</strong>ne – beteiligen (können) (Schneidew<strong>in</strong>d 1998). Unter dieser<br />
Perspektive sei es daher legitim, dass Unternehmen sich im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „wohlverstandenen<br />
Eigen<strong>in</strong>teresses“ für bessere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>setzen (transformatives<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>; Beitrag Belz).<br />
Das Beispiel Deutschland hat aber gezeigt, dass das Eigen<strong>in</strong>teresse von Anbietern von<br />
Ökostrom-Produkten (nämlich der höhere Absatz von Ökostrom) nicht automatisch<br />
zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen führt. Bei genauerer Betrachtung<br />
lässt sich feststellen, dass Stromversorger eher auf die Vermarktung von Ökostrom-<br />
Produkten an die Endk<strong>und</strong>en bzw. auf den „freien Markt“ setzen, während Betreiber<br />
<strong>und</strong> Hersteller<strong>in</strong>dustrie eher die staatlichen Fördergesetze unterstützen. E<strong>in</strong>e zentrale<br />
Ursache v.a. <strong>in</strong> Bezug auf die re<strong>in</strong>en Ökostrom-Händler liegt dar<strong>in</strong>, dass M<strong>in</strong>destvergütungen<br />
die Preise für „förderwürdigen Strom“ tendenziell verteuern, da ke<strong>in</strong> Erzeuger<br />
se<strong>in</strong>en Ökostrom unterhalb der Höhe der gesetzlich garantierten M<strong>in</strong>destvergütun-
Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 157<br />
gen verkaufen wird. Die Absatzchancen von Ökostrom werden deshalb durch M<strong>in</strong>destvergütungen<br />
verr<strong>in</strong>gert (Langniss/Markard 1999, S. 276). D.h. aber, dass es im<br />
Eigen<strong>in</strong>teresse von Ökostrom-Anbietern liegen würde, wenn es ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>destvergütungen<br />
für erneuerbare Energien gäbe. Mit anderen Worten: E<strong>in</strong> langsameres Marktwachstum<br />
bei den erneuerbaren Energien wäre für die Ökostrom-Anbieter vorteilhaft.<br />
Dies macht deutlich, dass das „wohlverstandene Eigen<strong>in</strong>teresse“ auf dem Markt für<br />
erneuerbare Energien nicht homogen ist, sondern dass <strong>in</strong>sbesondere die Interessen von<br />
Stromhändlern <strong>und</strong> Netzbetreibern auf der e<strong>in</strong>en sowie der Hersteller <strong>und</strong> Projektierer<br />
auf der anderen Seite divergieren. Der Aufruf zum E<strong>in</strong>satz von transformativem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
muss deshalb <strong>in</strong> diesem Falle kritisch <strong>in</strong> Bezug zu der eigentlichen<br />
Zielgröße nachhaltiger Entwicklung, nämlich der Verr<strong>in</strong>gerung sozialökologischer<br />
Probleme h<strong>in</strong>terfragt werden. Wenn – wie im Falle der erneuerbaren Energien<br />
– die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dem strategischen Schnittmengen-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorauseilen,<br />
kann man im Rahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> das Rad nicht zurückdrehen<br />
wollen. Statt für den Erhalt alter, wenig nachhaltiger Strukturen zu kämpfen,<br />
müssen Ökostrom-Unternehmen über ihren eigenen Schatten spr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />
ihr Leistungsangebot an die neuen Strukturen anpassen (Abb. 3). Denn e<strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>teresse<br />
bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte ist nur dann e<strong>in</strong> „wohlverstandenes“,<br />
wenn es zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen beiträgt. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
ist demnach ebenso wie das <strong>Nachhaltigkeits</strong>konzept <strong>in</strong>sgesamt ke<strong>in</strong><br />
Konsenskonzept (Brand 1997, S. 12), sondern muss unterschiedliche Interessen aufdecken<br />
<strong>und</strong> berücksichtigen. Mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Herausforderung für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>!<br />
1 Als Ökostrom wird Strom aus erneuerbaren oder anderen umweltverträglichen Energieträgern bezeichnet.<br />
Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrifft demnach die Vermarktung dieses Stroms an Endk<strong>und</strong>en<br />
(Wüstenhagen 2004, S. 19). Dabei kann man unterscheiden zwischen „neuen“ (W<strong>in</strong>dkraft, Photovoltaik,<br />
Biomasse- <strong>und</strong> Biogasanlagen) <strong>und</strong> solchen erneuerbaren Energien, welche schon länger<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden (z.B. größere Wasserkraftanlagen). Der Begriff „neue erneuerbare Energien“<br />
wird hier <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne verwendet.<br />
2 Da es sich beim Begriff Ökostrom um e<strong>in</strong>en geläufigen Fachterm<strong>in</strong>us handelt, wird an diesem Begriff<br />
festgehalten <strong>und</strong> nicht von „nachhaltigem Strom“ gesprochen, auch wenn dieses Produkt e<strong>in</strong>en<br />
Beitrag zur Verr<strong>in</strong>gerung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Probleme liefert.<br />
3 Die Vere<strong>in</strong>igung der deutschen Elektrizitätswirtschaft geht von durchschnittlichen Kosten <strong>in</strong> Höhe<br />
von 50 Euro pro Monat für e<strong>in</strong>en Drei-Personen-Haushalt mit e<strong>in</strong>em Jahresverbrauch von 3.500<br />
kWh aus (VDEW 2003).<br />
4 So beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung <strong>in</strong> Deutschland ca. 8% <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
der Schweiz sogar ca. 60%. Daraus folgt, dass <strong>in</strong> Deutschland ca. 25% <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Schweiz 100%<br />
der Privatk<strong>und</strong>en bereits heute mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden könnten.
158 Michael Bilharz<br />
5 Im Workshop „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Strombranche: E<strong>in</strong>e Chance für die Kle<strong>in</strong>en?" auf<br />
dem 5. St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management am 25.11.2003 (Belz/Bilharz 2003)<br />
wurde diese Aussage z.B. von Franco Milani, <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Leiter der Rätia Energie, bestätigt. Rätia<br />
Energie ist e<strong>in</strong>er der erfolgreichsten Schweizer Ökostrom-Anbieter.<br />
6 Durch den E<strong>in</strong>bezug von Energieeffizienztechnologien <strong>und</strong> Dienstleistungen zur Energiee<strong>in</strong>sparung<br />
ließe sich das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien nochmals zu e<strong>in</strong>em <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
für Energie erweitern. Diese <strong>in</strong>teressante Perspektive würde jedoch den<br />
Rahmen dieses Beitrags sprengen.<br />
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Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität<br />
oder Fair Trade-Kaffee: E<strong>in</strong>e Analyse der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten<br />
Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
1 E<strong>in</strong>führung<br />
Lebensmittelproduzenten sprechen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwei K<strong>und</strong>engruppen<br />
an, den Detailhandel als Absatzmittler <strong>und</strong> den Endverbraucher. Der Lebensmittelhandel<br />
agiert als „Diffusionsagent“ für sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />
(Kull 1998, S. 86-91; Hansen/Kull 1996, S. 92-93) <strong>und</strong> kontrolliert somit die<br />
Schnittstelle zum Endverbraucher (Feige 1996, S. 5-8). Es obliegt se<strong>in</strong>er Entscheidung,<br />
welche sozial-ökologischen Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> den Handelsregalen zu f<strong>in</strong>den<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> wie sie positioniert werden. Die Lebensmittelhersteller versuchen daher<br />
die Sortimentsentscheidungen durch e<strong>in</strong>e handelsgerichtete Absatzförderung zu bee<strong>in</strong>flussen<br />
<strong>und</strong> die Produkte mittels Push-Strategie durch den Absatzkanal zu „drücken“<br />
(Kotler/Bliemel 2001, S. 920-921). Mit Hilfe e<strong>in</strong>er Pull-Strategie sprechen die Unternehmen<br />
den Endverbraucher direkt an <strong>und</strong> erzeugen e<strong>in</strong>e vom Konsumgütermarkt<br />
ausgehende Sogwirkung. Die Lebensmittelprodukte werden durch Stimulierung der<br />
Nachfrage durch den Distributionskanal „gezogen“.<br />
Die Nachfragemacht des Handels hat durch Konzentrationsprozesse im stagnierenden<br />
Lebensmittelmarkt <strong>in</strong> den letzten Jahren erheblich zugenommen (Gordon 1998,<br />
S. 102-110; Feige 1996, S. 5-12; Schmidt/Jasper 2001, S. 64-65; Tansey/Worsley<br />
1995, S. 124-125). Sie manifestiert sich <strong>in</strong> den Preiskonditionen für die Produzenten,<br />
<strong>in</strong> den Regalgebühren bei der Lancierung neuer Produkte <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Auslistung von<br />
Artikeln, wenn die Bed<strong>in</strong>gungen des Handels nicht akzeptiert werden (Gordon 1998,<br />
S. 104). Generell haben Industriemarken im Vergleich zu Handelsmarken <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren an Bedeutung verloren, <strong>und</strong> „es ist der Industrie <strong>in</strong> den meisten Fällen nicht<br />
mehr möglich, die eigenen Konzepte durch den Handel h<strong>in</strong>durch zu steuern“ (Feige<br />
1996, S. 6). Das verschärft den horizontalen Wettbewerb zwischen den Herstellern, die<br />
bei der Vermarktung ihrer Produkte <strong>in</strong> zunehmendem Maße auf die Sortiments- <strong>und</strong><br />
Distributionspolitik des Handels angewiesen s<strong>in</strong>d (Hofer 2001, S. 164-168; Tan-
162 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
sey/Worsley 1995, S. 124-125). In diesem Kontext bietet <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
den Lebensmittelunternehmen möglicherweise Profilierungspotenzial im stagnierenden<br />
Markt <strong>und</strong> die Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber dem Handel.<br />
Die folgende Untersuchung soll anhand von drei Fallstudien aufzeigen, unter welchen<br />
Umständen es kle<strong>in</strong>en, mittelständischen <strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Schweizer Lebensmittelproduzenten<br />
gel<strong>in</strong>gen kann, sich durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu profilieren<br />
<strong>und</strong> Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es gilt festzustellen, <strong>in</strong>wieweit die Größe <strong>und</strong><br />
Marktausrichtung der Unternehmen die Gestaltung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatzes<br />
<strong>und</strong> dessen Erfolgspotenzial bestimmen. In Ahnlehnung an den entscheidungsorientierten<br />
Ansatz (Belz 2003, S. 352-355, Beitrag Belz) werden die gewählten<br />
Fallstudien auf drei Ebenen analysiert.<br />
1. Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Formulierung des Leitbilds, der <strong>Nachhaltigkeits</strong>gr<strong>und</strong>sätze<br />
<strong>und</strong> -ziele des Unternehmens<br />
2. Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Gestaltung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie<br />
<strong>und</strong> Umsetzung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix<br />
3. Transfomatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Mitgestaltung sozial-ökologischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> der Lebensmittelbranche.<br />
Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kle<strong>in</strong>er Anbieter wird mittels der unternehmerischen<br />
Selbsthilfeorganisation Napfmilch dargestellt. Das Familienunternehmen BAER dient<br />
als Beispiel für mittelständische Lebensmittelproduzenten. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis <strong>in</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen wird anhand des Lebensmittelkonzerns<br />
Nestlé erörtert. Die Wahl fiel auf diese drei Unternehmen, da<br />
� sie als Öko- bzw. <strong>Nachhaltigkeits</strong>pioniere <strong>in</strong> der Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie gelten<br />
(SAM 2003; Belz 1995, S. 77-79; Siebenhaar-Ofner 2002, S. 36-37),<br />
� sie wirtschaftlich erfolgreich s<strong>in</strong>d,<br />
� sie e<strong>in</strong>e unterschiedliche Größe <strong>und</strong> Marktausrichtung haben,<br />
� Dokumentation über ihre <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze erhältlich ist,<br />
� Entscheidungsträger <strong>in</strong> den Unternehmen am anwendungsorientierten Forschungsprojekt<br />
„Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“ <strong>in</strong>teressiert waren <strong>und</strong> für<br />
Interviews zur Verfügung standen (Anhang).
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 163<br />
2 Fallstudie Napfmilch<br />
Die Napfmilch AG wurde im Jahr 1998 von Kle<strong>in</strong>bauern aus dem Napfgebiet gegründet<br />
(geografische Lage: Luzerner H<strong>in</strong>terland bis Emmental). Die Selbsthilfeorganisation<br />
führt die Kernkompetenzen der Landwirte der Region <strong>in</strong> Milchherstellung <strong>und</strong><br />
Kräuteranbau zusammen <strong>und</strong> produziert e<strong>in</strong>en Kräuterfrischkäse, der nahezu die e<strong>in</strong>zige<br />
Alternative zu den über 90% importierten Kräuterkäseprodukten darstellt. Das Sortiment<br />
von Napfmilch umfasst heute 30 Produkte. Das Unternehmen beschäftigt sechs<br />
Mitarbeiter <strong>und</strong> erwirtschaftete im Jahr 2002 r<strong>und</strong> 2,3 Millionen Euro Umsatz.<br />
Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Für Napfmilch ist der ökonomische Erfolg ke<strong>in</strong> Selbstzweck, sondern die Unternehmensentwicklung<br />
ist eng mit der nachhaltigen Entwicklung der Napfregion verb<strong>und</strong>en.<br />
Daher ist e<strong>in</strong> wichtiger Gr<strong>und</strong>satz des Unternehmens, vorwiegend Produkte aus dieser<br />
Region zu verwenden <strong>und</strong> – wenn das nicht möglich ist – Schweizer Produkte.<br />
„Die Napfmilch AG ist bestrebt, ihr Sortiment unter E<strong>in</strong>bezug der Ressourcen der Napfregion zu<br />
pflegen <strong>und</strong> auszubauen. E<strong>in</strong>e besonders wichtige Rolle spielt dabei die Napfregion als Kompetenzzentrum<br />
für den Anbau von Kräutern.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />
Die langfristige ökonomische Entwicklung des Unternehmens dient der Erhöhung der<br />
Wertschöpfung <strong>in</strong> der Region, <strong>und</strong> kurzfristige ökonomische Ziele sichern das Überleben<br />
der Aktiengesellschaft.<br />
� „Die Napfmilch AG will dazu beitragen, die bäuerlichen E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der Napfregion für<br />
die Zukunft zu sichern.<br />
� Die Napfmilch AG will <strong>in</strong> der Napfregion Arbeitsplätze schaffen.<br />
� Die Napfmilch AG ist bestrebt, die Attraktivität der Napfregion als Wirtschaftsgebiet zu<br />
fördern.<br />
� Die Napfmilch AG verfolgt das Ziel, genügend Gesamtkapitalrendite zu erwirtschaften, um<br />
ihre Z<strong>in</strong>sen <strong>und</strong> Abschreibungen zu f<strong>in</strong>anzieren.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />
Wichtige soziale bzw. ökologische Zielsetzungen s<strong>in</strong>d die „Pflege“ der Mitarbeiter<br />
<strong>und</strong> der Umwelt.<br />
� „Die Napfmilch AG betrachtet ihre Mitarbeitenden als den wichtigsten Erfolgsfaktor <strong>und</strong><br />
geht entsprechend pfleglich mit ihnen um.“<br />
� Die Napfmilch AG will helfen, die Napfregion als unversehrte Region zu erhalten.<br />
� Die Napfmilch AG geht mit den Ressourcen der Napfregion sorgsam um <strong>und</strong> pflegt bei ihrer<br />
Tätigkeit die Gr<strong>und</strong>sätze der Ökologie.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />
Die K<strong>und</strong>enperspektive wird im Leitbild vernachlässigt, obwohl Napfmilch marktorientiert<br />
wirtschaftet.
164 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Napfmilch AG vermarktet Lebensmittel aus Integrierter Produktion (IP) <strong>und</strong> aus<br />
biologischem Landbau. 50% der Milchprodukte (gemessen am Umsatz) stammen aus<br />
IP <strong>und</strong> werden unter der Marke Napfmilch als regionale Spezialitäten schweizweit im<br />
Detailhandel angeboten (z.B. Waro, Jumbo, Carrefour <strong>und</strong> Spar). 50% der Produkte<br />
werden für die Bio-Programme des Handels hergestellt (z.B. Manor Bio Natur Plus,<br />
Coop Naturaplan). Außerdem beziehen <strong>in</strong>dustrielle Großk<strong>und</strong>en Frischkäseprodukte<br />
bei Napfmilch (z.B. Hiestand).<br />
Die Listung von Produkten im Detailhandel verdankt das Kle<strong>in</strong>-Unternehmen u.a.<br />
� e<strong>in</strong>er Vertriebspartnerschaft mit dem Käse-Hersteller Emmi, welche die für e<strong>in</strong><br />
Kle<strong>in</strong>unternehmen ungewöhnlich effiziente <strong>und</strong> professionelle Logistikstruktur<br />
gewährleistet,<br />
� <strong>in</strong>novativen, teilweise mit Preisen ausgezeichneten Produktideen<br />
� <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er professionellen Kommunikation.<br />
Da die Landwirte der Region gleichzeitig Lieferanten <strong>und</strong> Aktionäre von Napfmilch<br />
s<strong>in</strong>d, ist das Engagement groß. Sie s<strong>in</strong>d die Hauptvermittler der Werbebotschaft <strong>und</strong><br />
betreiben M<strong>und</strong>-zu-M<strong>und</strong> Werbung für Napfmilch Produkte auf lokalen Märkten. E<strong>in</strong><br />
Kontakt auf dem Bauernmarkt führte z.B. zu e<strong>in</strong>em wöchentlichen Lieferauftrag von<br />
Bio-Produkten nach Hongkong. Außerdem veranstalten die Landwirte 300 Degustationstage<br />
im Jahr <strong>in</strong> Coop Filialen, auf Messen <strong>und</strong> Veranstaltungen. Konsumenten<br />
empf<strong>in</strong>den die Kommunikation durch die Erzeuger der Lebensmittel als besonders<br />
glaubwürdig. Deshalb tragen die Degustationen wesentlich zur Absatzsteigerung der<br />
Napfmilchprodukte bei. Neben Direktmarket<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Verköstigungen s<strong>in</strong>d PR-<br />
Aktivitäten e<strong>in</strong>e Stärke der Selbsthilfeorganisation. Napfmilch hat z.B. die aus dem<br />
Napfgebiet stammende Sänger<strong>in</strong> Franc<strong>in</strong>e Jordi als Werbeträger<strong>in</strong> unter Vertrag, koord<strong>in</strong>ierte<br />
Werbeaktivitäten beim Auftritt der Sänger<strong>in</strong> beim Grand Prix d’Eurovision<br />
mit Coop <strong>und</strong> sicherte sich somit e<strong>in</strong>en TV-Auftritt. E<strong>in</strong>e weitere <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>schiene<br />
stellt die Schaukäserei des Unternehmens dar, welche auch Restauration von regionalen<br />
Produkten <strong>in</strong> den Kellergewölben <strong>und</strong> die Organisation von Tages-Events anbietet.<br />
Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die als Aktionäre an dem Unternehmen beteiligten Landwirte „setzen e<strong>in</strong> Zeichen für<br />
e<strong>in</strong>e neue, selbstbewusste <strong>und</strong> eigenverantwortliche Landwirtschaftspolitik“ (Napfmilch<br />
2003). Sie unterstützen die regionale Entwicklung <strong>und</strong> wirken somit „der Entkopplung<br />
von Produktionsprozess <strong>und</strong> Konsum“ entgegen (Hofer/Stalder 2000, S. 41).
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 165<br />
Die von Napfmilch verwendete Face-to-Face Kommunikation spielt e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle bei der Bildung von E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Handlungen im Ernährungsbereich (Hofer/Stalder<br />
2000, S. 135) <strong>und</strong> sensibilisiert möglicherweise den Konsumenten für<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>themen <strong>in</strong> der Schweizer Landwirtschaft.<br />
3 Fallstudie BAER<br />
Der Schweizer Familienbetrieb BAER wurde 1922 <strong>in</strong> Küssnacht am Rigi im Kanton<br />
Luzern gegründet. Das Unternehmen stellt Weich-, Schmelz- <strong>und</strong> Halbhartkäse, vegetarische<br />
Produkte <strong>und</strong> Käse-Fertig-Produkte her. Die Aktiengesellschaft beschäftigt ca.<br />
170 Mitarbeiter <strong>und</strong> generierte r<strong>und</strong> 28,5 Millionen Euro Umsatz <strong>und</strong> 400.000 Euro<br />
Gew<strong>in</strong>n im Jahr 2002 (Aktionäre: Familie Baer 65%, Emmi AG 35%). BAER ist die<br />
führende Marke im Weich-Käse sowie Käse-Convenience Bereich am Schweizer<br />
Markt <strong>und</strong> genießt e<strong>in</strong>en hohen Bekanntheitsgrad (gestützt: 85%, IHA-GfM 2003).<br />
Seit dem Jahr 2001 verfolgt das Familienunternehmen e<strong>in</strong>e Internationalisierungsstrategie,<br />
die zurzeit vor allem auf den deutschen Weichkäse-Markt ausgerichtet ist.<br />
Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
BAER legt im Leitbild explizit die wirtschaftliche, ökologische <strong>und</strong> soziale Stoßrichtung<br />
des Unternehmens fest.<br />
„Wir entwickeln unser Unternehmen wirtschaftlich, sozial <strong>und</strong> ökologisch nachhaltig erfolgreich:<br />
� Wir begeistern unsere K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sichern damit unseren wirtschaftlichen<br />
Erfolg.<br />
� Wir pflegen e<strong>in</strong>e partnerschaftliche Kultur – so erbr<strong>in</strong>gen wir geme<strong>in</strong>sam hervorragende<br />
Leistungen, entwickeln uns weiter <strong>und</strong> erreichen persönliche Zufriedenheit.<br />
� Wir tragen unserer natürlichen Umwelt Sorge <strong>und</strong> helfen damit, die Lebensgr<strong>und</strong>lagen für<br />
uns <strong>und</strong> die nachfolgenden Generationen zu sichern.“ (BAER 2003, S. 3)<br />
Es wird außerdem im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Bericht erklärt, wie das Familienunternehmen<br />
die im Leitbild festgehaltenen Werthaltungen <strong>in</strong> die <strong>Praxis</strong> umsetzt. K<strong>und</strong>enzufriedenheit<br />
ist der Maßstab für ökonomischen Erfolg, <strong>und</strong> der Ausbau der Stärken, wie z.B.<br />
Natürlichkeit, K<strong>und</strong>ennähe oder Innovationskraft, ist e<strong>in</strong> zentrales Unternehmensziel.<br />
Soziale Nachhaltigkeit bedeutet für BAER „gegen <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> außen e<strong>in</strong>e partnerschaftliche<br />
Kultur zu leben“ (BAER 2003, S. 8). Dazu gehört unternehmerisches Denken<br />
<strong>und</strong> Handeln des E<strong>in</strong>zelnen, gegenseitige Wertschätzung, offene <strong>und</strong> konfliktfähige<br />
Kommunikation, Zusammenarbeit <strong>und</strong> Lernbereitschaft. Außerdem ist die Förderung<br />
der fachlichen <strong>und</strong> sozialen Kompetenz des Mitarbeiters e<strong>in</strong>e zentrale Zielsetzung des
166 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatzes. Zur Erfolgskontrolle erhebt das Unternehmen soziale Kennzahlen<br />
u.a. über die Mitarbeiterzufriedenheit <strong>und</strong> die Langfristigkeit der Lieferantenbeziehungen.<br />
Aus ökologischer Perspektive übernimmt BAER explizit Verantwortung<br />
für die Erhaltung der Lebensgr<strong>und</strong>lagen jetzt <strong>und</strong> für die Zukunft. Den Weg zur Sicherung<br />
der natürlichen Ressourcen führt für den Familienbetrieb e<strong>in</strong>erseits über die Öko-<br />
Effizienz <strong>und</strong> andererseits über „ökologisch bewusstes Handeln über die Grenzen des<br />
eigenen Unternehmens h<strong>in</strong>aus“ (BAER 2003, S. 3). Damit deutet das Lebensmittelunternehmen<br />
das Engagement für sozial- <strong>und</strong> ökologisch-fortschrittliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
auch im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> an.<br />
Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
BAER gelang zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre als erstem Schweizer Lebensmittelhersteller<br />
e<strong>in</strong> Bio-Markenprodukt im Detailhandel zu lancieren. Der Öko-Tomme – Marke<br />
BAER – war das erste Produkt aus biologischem Anbau, das schweizweit im Handelsunternehmen<br />
Coop vertrieben wurde. Zu diesem Zeitpunkt existierte die ökologische<br />
Handelsmarke Coop Naturaplan noch nicht.<br />
Die Markte<strong>in</strong>führung des Öko-Tomme wurde von e<strong>in</strong>er Pull-Strategie begleitet. Degustationen<br />
<strong>und</strong> PR-Maßnahmen sollten den Bekanntheitsgrad des Bio-Käse erhöhen<br />
(z.B. Medientag mit Besuch beim Biobauern, Pressekonferenz, Plakatkampagne).<br />
BAER profitierte von dem Image-Gew<strong>in</strong>n als Öko-Pionier <strong>und</strong> entwickelte e<strong>in</strong> Bio-<br />
Sortiment bestehend aus Öko-Tomme, Öko-Chäs <strong>und</strong> Öko-Hüttenkäse (Belz 1995,<br />
S. 105), das mit dem Knospen-Label der Bio Suisse gekennzeichnet wurde. Den steigenden<br />
Bedarf an Bio-Milch deckte das Unternehmen durch ökologisches Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>,<br />
das zahlreiche Landwirtschaftsbetriebe aus der Region zum Umstieg<br />
auf biologische Produktion veranlasste. In den Folgejahren, als Coop das Naturaplan-<br />
Sortiment aufbaute, hatte BAER die Möglichkeit, Bio-Produkte mit Dual-Brand<strong>in</strong>g<br />
(Coop Naturaplan/BAER) zu vermarkten. Seit 2001 existiert diese Option jedoch nicht<br />
mehr. Heute ist der Familienbetrieb e<strong>in</strong> Produzent für die Handelsmarken Coop Naturaplan<br />
<strong>und</strong> Manor Bio Natur Plus, wie viele mittelständische Lebensmittelhersteller <strong>in</strong><br />
der Schweiz. Der Handlungsspielraum des Unternehmens hat sich im Bio-Sektor im<br />
Vergleich zum Lebensmittelhandel <strong>in</strong> den letzten Jahren stark verr<strong>in</strong>gert.<br />
Neue Vertriebskanäle für Bio-Markenprodukte zu erschließen, ist für BAER aufgr<strong>und</strong><br />
der gegebenen Markt- <strong>und</strong> Machtverhältnisse fast unmöglich. Spezialproduktkanäle <strong>in</strong><br />
der Schweiz s<strong>in</strong>d für das mittelständische Unternehmen wegen ger<strong>in</strong>ger Absatzmengen<br />
unrentabel. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Spezialisten rieten BAER zudem davon ab, Bio-Produkte<br />
im Export <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Österreich anzubieten, da die Schweizer Käsepreise im
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 167<br />
europäischen Vergleich sehr hoch seien, <strong>und</strong> der Schweizerkäse ohneh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Öko-<br />
Image habe. Da sich das Lebensmittelunternehmen kaum noch mit der Marke BAER<br />
im Bio-Markt profilieren kann, beschränken sich die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten auf konventionelle<br />
Produkte. Mit der Kampagne „Voller Persönlichkeit“ versucht BAER im Jahr<br />
2002 das Markenimage zu stärken <strong>und</strong> den Bekanntheitsgrad der Unternehmensmarke<br />
zu erhöhen. Der langjährige Slogan „Natürlich schmeckts besser“ wurde aufgegeben,<br />
da „naturnah“ den Bio-Handelsmarken vorbehalten ist, <strong>und</strong> sich deshalb mit Natürlichkeit<br />
„ke<strong>in</strong>e scharfe Kampagne mehr fahren lässt“ (Interview Baer/BAER). Die e<strong>in</strong>zige<br />
Maßnahme im sozial-ökologischen Bereich ist heute die jährliche Publikation des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichtes. 30.000 Stück werden bei Degustationen geme<strong>in</strong>sam mit<br />
Produktprospekten abgegeben <strong>und</strong> an Interessierte versandt.<br />
Neben Bio-Produkten vermarktet BAER auch vegetarische Lebensmittel. 1986 wurde<br />
Yasoya, e<strong>in</strong> vegetarisches Frischprodukt, am Schweizer Markt lanciert. In den ersten<br />
Jahren nach der E<strong>in</strong>führung wurde die Produktgruppe aktiv gefördert (z.B. durch<br />
Kochkurse). Da der Ertrag im Vergleich zum Aufwand jedoch ger<strong>in</strong>g war, schränkte<br />
man die Aktivitäten e<strong>in</strong>. Heute ist die ursprüngliche BAER-Marke Yasoya mit Dual-<br />
Brand<strong>in</strong>g (BAER/Coop Handelsmarke Betty Bossi) oder <strong>in</strong> Bioqualität als Coop Naturaplan<br />
Produkt erhältlich. Im Gegensatz zu den Sojaprodukten, deren Absatz stabil ist,<br />
s<strong>in</strong>d die Bio-Burger des Unternehmens „extreme Nischenprodukte“ (Interview Baer/BAER).<br />
Sie wurden ebenfalls zuerst als Markenartikel geführt <strong>und</strong> später <strong>in</strong> Coop<br />
Naturaplan Programm <strong>in</strong>tegriert.<br />
Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
BAER hat zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre, als noch ke<strong>in</strong>e Bio-Handelsmarke existierte,<br />
zur Entwicklung des Biomilch-Sektors <strong>in</strong> der Schweiz beigetragen. Die Voraussetzungen<br />
für die breite Vermarktung des Öko-Tomme hatte das Unternehmen e<strong>in</strong>erseits<br />
durch Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, das die Landwirte zum Umstieg auf Bio-Landbau bewog,<br />
<strong>und</strong> andererseits durch Platzierung e<strong>in</strong>es Bio-Produktes im Detailhandel, geschaffen.<br />
BAER hatte damit e<strong>in</strong> Zeichen gesetzt, dass der Verkauf von Bio-Produkten<br />
nicht nur auf alternative Läden beschränkt se<strong>in</strong> muss, sondern dass die Möglichkeit<br />
besteht, diese Produkte über konventionelle Distributionskanäle zu vermarkten.<br />
Außerdem hat das ökologische Pionierunternehmen wesentlich zur Bekanntmachung<br />
des Knospen-Labels beigetragen <strong>und</strong> sich politisch für ökologische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> Unternehmensverbänden e<strong>in</strong>gesetzt (z.B. Schweizerische Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />
bewusste Unternehmensführung – ÖBU) (Belz 1995, S. 106-111). Auch zur
168 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
Bekanntmachung der Sojaprodukte engagierte sich BAER <strong>in</strong> Verbänden <strong>und</strong> gründete<br />
den Yasoya-Fond für Ernährung, Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung.<br />
4 Fallstudie Nestlé<br />
Nestlé wurde 1866 gegründet <strong>und</strong> ist heute der weltweit größte Lebensmittelkonzern.<br />
Das Unternehmen beschäftigt 254.000 Mitarbeiter <strong>und</strong> erwirtschaftete 59 Milliarden<br />
Euro Umsatz <strong>und</strong> 5 Milliarden Euro Nettogew<strong>in</strong>n im Jahr 2002. Nestlés Hauptproduktgruppen<br />
s<strong>in</strong>d Kaffee, M<strong>in</strong>eralwasser/Getränke, Milchprodukte, Schokolade/Süßwaren<br />
<strong>und</strong> Fertiggerichte (Betsch<strong>in</strong>ger/Meisterhans/Wallimann 1998, S. 32).<br />
Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Unternehmenswerte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Nestlé-Gr<strong>und</strong>sätzen festgehalten, welche die neun<br />
Gr<strong>und</strong>sätze im Bereich Umwelt, Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Menschenrechte des UN<br />
Global Compact widerspiegeln (Nestlé 2002a). Sie sollen respektiert, mit Anspruchsgruppen<br />
diskutiert <strong>und</strong> umgesetzt werden (Nestlé 2004, S. 26-31).<br />
Nestlé verb<strong>in</strong>det nachhaltige Entwicklung mit wirtschaftlich nachhaltiger, langfristiger<br />
Unternehmensentwicklung. Das Unternehmen verpflichtet sich, ke<strong>in</strong>en kurzfristigen<br />
Gew<strong>in</strong>n auf Kosten der Nachhaltigkeit zu machen.<br />
„At Nestlé, we def<strong>in</strong>e susta<strong>in</strong>able development as the process of <strong>in</strong>creas<strong>in</strong>g the world's access to<br />
higher quality food, while contribut<strong>in</strong>g to long term social and economic development, and preserv<strong>in</strong>g<br />
the environment for future generations.<br />
In the 135-year life of Nestlé, our f<strong>und</strong>amental approach to bus<strong>in</strong>ess has been the creation of<br />
long term susta<strong>in</strong>able value for our consumers, customers, employees, shareholders, and society<br />
as a whole. The Nestlé Corporate Bus<strong>in</strong>ess Pr<strong>in</strong>ciples state openly that we favour long term<br />
bus<strong>in</strong>ess development over short term profit. While we are committed to mak<strong>in</strong>g a healthy<br />
profit, we <strong>in</strong>struct managers not to do so at the expense of long term, susta<strong>in</strong>able development.”<br />
(Nestlé 2002b, S. 2)<br />
Der <strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatz des Lebensmittelkonzerns beruht auf der Verbesserung unterschiedlicher<br />
Unternehmensaktivitäten nach sozial-ökologischen Gesichtspunkten.<br />
Das entspricht der Qualitätsorientierung von Nestlé, die z.B. auch e<strong>in</strong>e treibende Kraft<br />
für die Beschaffung nachhaltig produzierter Rohstoffe darstellt (Nestlé 2002b, S. 3). In<br />
der Forschung & Entwicklung <strong>und</strong> im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sche<strong>in</strong>t h<strong>in</strong>gegen die nachhaltige Unternehmensentwicklung<br />
eher e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge strategische Rolle zu spielen. Es gibt ke<strong>in</strong>e<br />
H<strong>in</strong>weise auf sozial-ökologische Produkt<strong>in</strong>novation, <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder<br />
die Erschließung neuer sozial-ökologischer Geschäftsfelder <strong>in</strong> Nestlé Publikationen.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 169<br />
Auch Sozial-Kennzahlen, die den <strong>Nachhaltigkeits</strong>fortschritt belegen könnten, fehlen<br />
im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Bericht des Unternehmens.<br />
Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Bedeutung biologisch produzierter <strong>und</strong> fair gehandelter Güter am Weltmarkt ist<br />
ger<strong>in</strong>g. Der Anteil der Bio-Produkte am globalen Markt wird im Jahr 2002 auf ca.<br />
1-3% geschätzt (Kortbesch-Olesen 2002, S. 29-32). Daher ist man bei Nestlé überzeugt,<br />
dass trotz hoher Marktwachstumsraten Lebensmittel aus biologischem Anbau<br />
oder Fairem Handel Nischenprodukte bleiben werden, <strong>und</strong> dass auch <strong>in</strong> Zukunft nur<br />
relativ ger<strong>in</strong>ges K<strong>und</strong>en<strong>in</strong>teresse für diese bestehen wird (Interview Jöhr/Nestlé).<br />
Nichtsdestotrotz startete das Unternehmen e<strong>in</strong>en Versuch, sich im Bio-Kaffeemarkt zu<br />
profilieren <strong>und</strong> lancierte e<strong>in</strong>en biologischen Nescafé am schwedischen Markt. Dieser<br />
wurde jedoch wegen schlechter Umsatzzahlen wieder e<strong>in</strong>gestellt. Im Babynahrungsbereich<br />
betreibt Nestlé seit den 1980er Jahren teilweise Bio-Vertragsanbau für die Marke<br />
Alete (Alete 2004), <strong>und</strong> das Lebensmittelunternehmen stellte die im Jahr 1998 akquirierte<br />
Babynahrungs-Marke Milasan auf biologisch produzierte Inhaltsstoffe um<br />
(Kreuzer 2004). Milasan wird als preiswerte Bio-Marke unter dem Motto „Gutes muss<br />
bezahlbar se<strong>in</strong>“ – „Bio-Qualität zum Baby-Preis“ am deutschen Markt positioniert<br />
(Milasan 2004). Sie steht <strong>in</strong> Konkurrenz mit der marktführenden, qualitätsorientierten<br />
Unternehmensmarke des Bio-Pioniers Hipp.<br />
Ferner testet Nestlé <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Projekten, ob <strong>und</strong> wie e<strong>in</strong>e globale Beschaffung<br />
nachhaltiger Rohstoffe funktionieren könnte (z.B. Milchprojekt <strong>in</strong> Pakistan, Kaffeeprojekt<br />
auf den Philipp<strong>in</strong>en). Das Ziel ist, die konventionellen Lebensmittelprodukte<br />
des Unternehmens nach sozialen <strong>und</strong> ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern.<br />
E<strong>in</strong>e Kennzeichnung dieser Lebensmittel <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Preis- <strong>und</strong> Produktpolitik im S<strong>in</strong>ne<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist jedoch nicht vorgesehen. Die Verb<strong>in</strong>dung sozialökologischer<br />
mit herkömmlichen Qualitätsdimensionen ist Teil des Beschaffungsmanagement<br />
<strong>und</strong> der Qualitätssicherung, dient jedoch nicht als Profilierungsdimension im<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Die Motive für das Engagement Nestlés <strong>in</strong> der Landwirtschaft s<strong>in</strong>d u.a. die<br />
Vermeidung von Imageschaden, Erhaltung der nicht bzw. bed<strong>in</strong>gt erneuerbaren Ressourcen<br />
<strong>und</strong> Qualitätsprobleme durch zu ger<strong>in</strong>ge Weltmarktpreise.<br />
Das Unternehmen bezieht e<strong>in</strong>en Großteil se<strong>in</strong>er Rohstoffe über Großhändler, Makler<br />
<strong>und</strong> Exporteure zu Weltmarktpreisen, weil es ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Betriebe besitzt.<br />
85% des Rohstoffs Kaffee werden von Nestlé auf diese Weise beschafft. 15% des<br />
Kaffees kauft der Konzern direkt bei Produzenten, Genossenschaften oder Pflanzerverbänden.<br />
Da Nestlé durch Direktkauf <strong>in</strong> der Regel zahlreiche Zwischenstellen aus-
170 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
schaltet <strong>und</strong> Qualitätsprämien an die Produzenten ausbezahlt, profitiert e<strong>in</strong>erseits das<br />
Unternehmen von den s<strong>in</strong>kenden Beschaffungskosten, anderseits erzielt der Produzent<br />
e<strong>in</strong>en höheren Verkaufspreis (Nestlé 2000, S. 14-15). Das Lebensmittelunternehmen<br />
verweist darauf, dass man durch Direkte<strong>in</strong>kauf 110.000 Tonnen Kaffee jährlich erwirbt<br />
<strong>und</strong> dem Landwirt somit e<strong>in</strong> höheres E<strong>in</strong>kommen sichert, wobei der Anteil des<br />
mit Fair Trade-Labeln gehandelten Rohkaffees im Vergleich nur bei 25.000 Tonnen<br />
liegt (Nestlé 2003, S. 4). Inwieweit die Beschaffungsstrategie Nestlés jedoch jener von<br />
Fair Trade-Organisationen ähnelt, bleibt unklar, da außer der Bezahlung von Preisaufschlägen<br />
für Qualitätskaffee <strong>und</strong> der Beratung von Landwirten ke<strong>in</strong>e sozialen Kriterien<br />
publiziert wurden.<br />
Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelproduzenten engagieren sich für nachhaltige Entwicklung<br />
<strong>in</strong> der globalen Landwirtschaft im Rahmen der Susta<strong>in</strong>able Agriculture Initiative<br />
(SAI). Nestlé ist neben Danone <strong>und</strong> Unilever e<strong>in</strong> Gründungsmitglied dieses Unternehmensverbandes.<br />
E<strong>in</strong>e Motivation zur Lancierung der Initiative war, sozialökologische<br />
Probleme <strong>in</strong> der konventionellen Landwirtschaft zu verr<strong>in</strong>gern.<br />
Bei der „anonymen“ Beschaffung über Dritthändler kennt Nestlé die Herkunft <strong>und</strong><br />
Vorgeschichte der verwendeten Rohstoffe nicht, ist aber gegenüber dem Konsumenten<br />
für ökologische oder soziale Probleme am Beg<strong>in</strong>n der Lebensmittelkette verantwortlich.<br />
Die unbefriedigende Situation ist vom Unternehmen nicht im Alle<strong>in</strong>gang z.B.<br />
durch e<strong>in</strong> verbessertes Beschaffungsmanagement <strong>und</strong> -market<strong>in</strong>g zu lösen. Politische<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>und</strong> gesellschaftliche Spielregeln <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />
s<strong>in</strong>d nur zwei von zahlreichen Faktoren, welche nicht-nachhaltige<br />
Agrar- <strong>und</strong> Handelspraktiken unterstützen. Nestlé gründete daher mit se<strong>in</strong>en Mitbewerbern<br />
die SAI mit den Zielsetzungen, den Dialog über sozial-ökologische Themen<br />
<strong>in</strong> der Lebensmittelkette anzuregen, <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien zu<br />
entwickeln. Ihre Aktivitäten stellt die SAI folgendermaßen dar:<br />
“SAI Platform's ultimate goal is the def<strong>in</strong>ition and implementation of commodity-specific guidel<strong>in</strong>es<br />
for susta<strong>in</strong>able agriculture which are harmonised along the food cha<strong>in</strong>. In this view, SAI<br />
Platform conducts a number of activities aro<strong>und</strong> four ma<strong>in</strong> themes: 1) Stakeholder <strong>in</strong>volvement;<br />
2) Knowledge build<strong>in</strong>g & management; 3) Awareness rais<strong>in</strong>g; and 4) Support to the implementation<br />
of SAI practices (with<strong>in</strong> the supply cha<strong>in</strong> as well as <strong>in</strong> compliance with trade policies and<br />
regulations).” (SAI Platform 2003)<br />
Seit der Gründung im Jahr 2001 s<strong>in</strong>d den ersten drei Mitgliedern noch vierzehn weitere<br />
gefolgt. Mehr als die Hälfte davon s<strong>in</strong>d Kaffeeproduzenten, welche die „Work<strong>in</strong>g
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 171<br />
Group on Green Coffee“ bilden. Diese erarbeitet Richtl<strong>in</strong>ien für nachhaltige Kaffeeproduktion.<br />
Das Engagement der Unternehmen hat neben sozial-ökologischen auch<br />
ökonomische Gründe. Da der Weltmarktpreis für Kaffee <strong>in</strong> den letzten Jahren erheblich<br />
gesunken ist <strong>und</strong> kaum die Kosten der Produzenten deckt, hat Nestlé Schwierigkeiten,<br />
qualitativ hochwertigen Kaffee über den <strong>in</strong>ternationalen Handel zu beziehen.<br />
Außerdem führen die zu niedrigen Kaffeepreise unweigerlich zu Preisschwankungen<br />
<strong>und</strong> zukünftigen Preissteigerungen (Nestlé 2002b, S. 15).<br />
5 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Schweizer<br />
Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie: E<strong>in</strong>e situative Betrachtung<br />
Die gewählten Fallstudien verdeutlichen die Unterschiede zwischen den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen<br />
der kle<strong>in</strong>en, mittelständischen <strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Schweizer<br />
Lebensmittelunternehmen. Daher ist <strong>in</strong> der folgenden Analyse der Profilierungs- <strong>und</strong><br />
Wettbewerbschancen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e situative Relativierung<br />
gemäß Unternehmenstyp vorzunehmen.<br />
Kle<strong>in</strong>e Produzenten<br />
Die Napfmilch AG ist e<strong>in</strong> Teil der breit gefächerten <strong>und</strong> heterogenen Regional-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Szene <strong>in</strong> der Schweiz, der Produzenten mit unterschiedlicher Ausrichtung<br />
sowie Organisations- <strong>und</strong> Rechtsform angehören. Das Spektrum „Regionaler Produktorganisationen“<br />
reicht von „landwirtschaftlichen Selbsthilfeprojekten“ bis zu „regionalen<br />
Verbandskonglomeraten“ (Hofer/Stalder 2000, S. 57-86). Geme<strong>in</strong>same Zielsetzungen<br />
regionaler Anbieter s<strong>in</strong>d erstens, die Sicherung bestehender bzw. die Erschließung<br />
von neuen Absatzmärkten <strong>und</strong> zweitens, die Wahrung der Autonomie regionaler Produktionsstrukturen<br />
(Hofer/Stalder 2000, S. 85). Die Kle<strong>in</strong>-Unternehmen verb<strong>in</strong>den<br />
häufig – wie auch das Leitbild von Napfmilch zeigt – regionale Wertschöpfungsziele<br />
mit unternehmensspezifischen Zielen. Sie bedienen alternative Handelskanäle mit ökologischen<br />
<strong>und</strong> regionalen Produkten, s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> vielen Fällen auf e<strong>in</strong>en national<br />
agierenden Absatzpartner angewiesen, da der Verkaufsanteil der Lebensmittelprodukte<br />
<strong>in</strong> der Region häufig nur 1-10% beträgt (Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 7-37).<br />
Die Bio-, IP- <strong>und</strong> die vor kurzem entstandenen Regional-Marken des Handels eröffnen<br />
den Kle<strong>in</strong>-Unternehmen Marktchancen <strong>und</strong> ermöglichen ihnen e<strong>in</strong>e flächendeckende<br />
Distribution am nationalen Markt. Kritisch für die Gew<strong>in</strong>nung des Schweizer Detailhandels<br />
als Marktpartner ist jedoch die Bereitstellung e<strong>in</strong>er professionellen Distributions-<br />
<strong>und</strong> Logistik<strong>in</strong>frastruktur (Interview Fraefel/Napfmilch). Napfmilch hat z.B. diese<br />
Hürde durch e<strong>in</strong>e Vertriebspartnerschaft mit Emmi überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> konnte dadurch
172 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
Coop als ersten Großk<strong>und</strong>en gew<strong>in</strong>nen. In abgelegenen Regionen können unterschiedliche<br />
Kooperationsformen <strong>in</strong> Verarbeitung Distribution <strong>und</strong> Logistik zwischen Regionalproduzenten<br />
die effiziente Belieferung des Bio-Absatzkanals unterstützen<br />
(Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 42-43).<br />
Die Kooperation mit e<strong>in</strong>em bedeutenden Handelspartner hat jedoch nicht nur Vorteile<br />
für kle<strong>in</strong>e Produzenten, sondern birgt auch das Risiko der Abhängigkeit von Abnahmegarantien.<br />
Deshalb gew<strong>in</strong>nen Pull-Strategien zur Vergrößerung des Handlungsspielraums<br />
der Hersteller zunehmend an Bedeutung. Wie das Beispiel Napfmilch zeigt,<br />
tragen <strong>in</strong>novative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kommunikation, Degustationen <strong>und</strong> PR<br />
maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg der kle<strong>in</strong>en Lebensmittelproduzenten bei.<br />
Auch durch die Nutzung alternativer Vermarktungskanäle, wie z.B. Wochenmärkte,<br />
Hausbelieferung, Schaukäsereien, können die Unternehmen erfolgreich ihre Botschaften<br />
vermitteln. Neue Vermarktungsoptionen bietet u.a. das Internet als Distributions<strong>und</strong><br />
Kommunikationsmedium, das Erlebnis-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder die Vernetzung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze<br />
mit Unternehmen anderer Branchen. E<strong>in</strong> Beispiel für die<br />
Verb<strong>in</strong>dung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> Lebensmittelerzeugung <strong>und</strong> Tourismus<br />
stellt der Vere<strong>in</strong> Ökomarkt Graubünden dar (Villiger 2000, S. 114-115; Hofer/Stalder<br />
2000, S. 74). Er unterstützt die Erzeugung <strong>und</strong> den Vertrieb ökologischer, regional<br />
produzierter Lebensmittelprodukte mit dem Ziel, Wirtschaftskreisläufe <strong>in</strong> der Region<br />
aufzubauen. Nebst Bündner Hotels, die sich durch ökologische Betriebsführung <strong>und</strong><br />
Abnahme von lokalen Bio-Produkten für die Auszeichnung mit dem „Öko-Grischun“<br />
(Bündner Ste<strong>in</strong>bock) qualifizieren, können auch Lebensmittelproduzenten das Zeichen<br />
erhalten. Dabei spielen nicht nur die biologische Herstellung, sondern auch die Distribution,<br />
Entsorgung <strong>und</strong> soziale Aspekte e<strong>in</strong>e Rolle.<br />
Kritiker bezweifeln jedoch, dass regionale Produktion e<strong>in</strong>en positiven Beitrag zur<br />
nachhaltigen Entwicklung der Schweiz leistet. Kle<strong>in</strong>e Lebensmittelhersteller unterstützen<br />
zwar die Erhaltung der Wertschöpfung oder die Pflege der Kulturlandschaft <strong>in</strong><br />
ihrer Region. Aber es besteht die Gefahr, dass durch die Lösung der wirtschaftlichen<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichen Problematiken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region, ähnliche Schwierigkeiten <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er anderen Schweizer Region entstehen bzw. sich verstärken (Hofer/Stalder 2000,<br />
S. 106). Zudem s<strong>in</strong>d Lebensmittel aus regionaler, <strong>in</strong>tegrierter Produktion <strong>in</strong> der<br />
Schweiz wegen hoher Umweltstandards <strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>und</strong> kurzer Transportwege<br />
kaum ökologischer als herkömmliche Produkte (Jungbluth 2000, S. 200-216).<br />
Dennoch können kle<strong>in</strong>e Lebensmittelhersteller durch transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>direkten, schwierig nachzuweisenden <strong>Nachhaltigkeits</strong>beitrag leisten.<br />
Sie <strong>in</strong>formieren Schweizer Konsumenten über <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme im Le-
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 173<br />
bensmittelbereich <strong>und</strong> unterstützen unter Umständen als idealistisch motivierte Pioniere<br />
die Bewusstse<strong>in</strong>sbildung für sozial-ökologische Probleme <strong>in</strong> der Schweizer Landwirtschaft.<br />
Sie haben ferner <strong>in</strong> den 1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren durch ihre „Sensibilisierungsarbeit“<br />
möglicherweise den Weg für e<strong>in</strong>flussreichere Akteure wie z.B. <strong>Nachhaltigkeits</strong>pioniere<br />
im Detailhandel bereitet (Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000,<br />
S. 32-36).<br />
Mittelständische Produzenten<br />
Mittelständische Pionierunternehmen verankerten sehr früh – wie am Beispiel BAER<br />
ersichtlich – <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen im Unternehmensleitbild <strong>und</strong> setzten sich<br />
für sozial-ökologisch bewusstes Handeln im <strong>und</strong> außerhalb des Unternehmens e<strong>in</strong>. Sie<br />
versuchten außerdem, sich mit Umwelt <strong>und</strong> Sozialem im Wettbewerb zu profilieren<br />
<strong>und</strong> hatten zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre bei der Vermarktung von Bio-Produkten im<br />
Detailhandel e<strong>in</strong>e Pionierrolle <strong>in</strong>ne. Die Leader-Unternehmen betrieben <strong>in</strong>formativargumentative<br />
Kommunikation, um e<strong>in</strong>e Pull-Wirkung für die <strong>in</strong>novativen Lebensmittelprodukte<br />
zu erzeugen. Ihre Kapazitäten <strong>in</strong> Distribution <strong>und</strong> Logistik, die bereits auf<br />
die Bedürfnisse des Detailhandels ausgerichtet waren, verschafften ihnen e<strong>in</strong>en Wettbewerbsvorteil<br />
gegenüber kle<strong>in</strong>en Herstellern. Da Rohstoffe <strong>in</strong> biologischer Qualität<br />
nicht <strong>in</strong> entsprechender Menge verfügbar waren, versuchten die mittelständischen Produzenten<br />
ihre Lieferanten von den Vorteilen des Umstiegs von konventioneller oder<br />
<strong>in</strong>tegrierter auf biologische Produktion zu überzeugen. Außerdem waren sie Mitglieder<br />
sozial-ökologischer Unternehmensverbände <strong>und</strong> sensibilisierten mit möglicherweise<br />
größerer Breitenwirkung als kle<strong>in</strong>e Lebensmittelunternehmen die Öffentlichkeit.<br />
Mit steigender Beliebtheit <strong>und</strong> Professionalisierung der sozial-ökologischen Handelsprogramme<br />
verr<strong>in</strong>gerte sich jedoch der Wettbewerbsvorteil der Pioniere stetig. Während<br />
der Lebensmittelhandel sehr zufrieden mit den Umsatzwachstumszahlen der sozial-ökologischen<br />
Marken ist <strong>und</strong> teilweise ehrgeizige Wachstumsziele verfolgt, sprechen<br />
mittelständische Lebensmittelunternehmen von Nischenprodukten. Der Handel<br />
erreicht die steigenden Umsatzzahlen mit Sortimentserweiterungen <strong>und</strong> mit der Kreation<br />
neuer ökologischer <strong>und</strong> sozialer Programme. Den Lebensmittelherstellern h<strong>in</strong>gegen<br />
gel<strong>in</strong>gt es nicht, genügend <strong>in</strong>novative sozial-ökologische Produkte <strong>in</strong> den Supermarktregalen<br />
zu platzieren, um so gleichermaßen vom Wachstum der Handelsprogramme<br />
zu profitieren. Außerdem kann <strong>in</strong> stagnierenden Marktsegmenten e<strong>in</strong>e Kannibalisierung<br />
konventioneller Produkte auftreten, die absatzstärker als Bio-Produkte<br />
s<strong>in</strong>d. Das Beispiel BAER zeigt, dass sich der Handlungsspielraum der Produzenten<br />
trotz <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahren deutlich verr<strong>in</strong>gert hat. Für man-
174 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
che Unternehmen sche<strong>in</strong>t es heute fast unmöglich zu se<strong>in</strong>, sich mit sozial-ökologischen<br />
Produkten von der Konkurrenz zu differenzieren. Es ist e<strong>in</strong> relativ hoher f<strong>in</strong>anzieller<br />
Aufwand nötig, um <strong>in</strong>novative, sozial-ökologische Produkte zu lancieren <strong>und</strong> am<br />
Markt zu etablieren, aber Pioniervorteile s<strong>in</strong>d oft nur kurzfristig zu erzielen. BAER<br />
konnte z.B. den Vorsprung im Bio-Sektor nicht bewahren, da die Bio-<br />
Milchverarbeitung ke<strong>in</strong>e spezifische Kernkompetenz des Unternehmens darstellt. Bei<br />
gesichertem Rohstoffangebot ist oft nur e<strong>in</strong>e Warenflusstrennung <strong>in</strong> der Fabrikation<br />
vorzunehmen, um den Bio-Käse herzustellen (Interview Baer/BAER). Das Familienunternehmen<br />
agiert daher als e<strong>in</strong> Anbieter unter vielen <strong>in</strong> der wettbewerbs<strong>in</strong>tensiven<br />
Milchbranche. Auch transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sche<strong>in</strong>t kaum zur<br />
langfristigen Marktdifferenzierung beizutragen.<br />
Kle<strong>in</strong>ere Lebensmittelunternehmen h<strong>in</strong>gegen, die auf die Produktion von „Private Labels“<br />
des Handels oder der Industrie spezialisiert s<strong>in</strong>d, nutzen Exportmöglichkeiten<br />
<strong>und</strong> beliefern teilweise alternative Handelskanäle. Die Molkerei Biedermann (40 Mitarbeiter)<br />
zum Beispiel, die ke<strong>in</strong>e namhafte Marke herstellt, vertreibt Milchprodukte im<br />
Biofachhandel <strong>und</strong> begann im Jahr 2001 Bio-Yoghurt nach Deutschland zu exportieren<br />
(Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 32-33). Obwohl es heute kaum noch mittelständische<br />
Schweizer Markenartikelhersteller gibt, die Bio-Marken am Schweizer<br />
Markt vertreiben, gel<strong>in</strong>gt es dem mittelständischen Schweizer Müsli-Hersteller Familia,<br />
Bio-Müsli sowohl im Schweizer Lebensmittelhandel (z.B. Manor, Spar, Volg) als<br />
auch im deutschen E<strong>in</strong>zelhandel unter der Unternehmensmarke Familia zu vertreiben.<br />
Gründe für den größeren Handlungsspielraum von Familia gegenüber BAER s<strong>in</strong>d unter<br />
Umständen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Konkurrenz im Schweizer Müsli- als im Käse-Markt<br />
<strong>und</strong> unterschiedlich hohe Subventionszahlungen des B<strong>und</strong>es zur Angleichung der<br />
Schweizer Rohstoffpreise an das <strong>in</strong>ternationale Preisniveau. Milch wird im wesentlich<br />
ger<strong>in</strong>geren Maße subventioniert als Rohstoffe, die man im Rahmen des „Schoggigesetzes“<br />
fördert (Baer 2003, S. 6-7).<br />
Mult<strong>in</strong>ationale Produzenten<br />
Die Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung ist für mult<strong>in</strong>ationale sozialökologische<br />
Pionierunternehmen e<strong>in</strong>e Voraussetzung für wirtschaftlich-nachhaltige<br />
Unternehmensentwicklung. Sie beg<strong>in</strong>nen daher ihre Lebensmittelprodukte nach sozialen<br />
<strong>und</strong> ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern. Dieser „Upgrad<strong>in</strong>g Conventionals“<br />
Weg wurde <strong>in</strong> der Vergangenheit kaum als Marktoption angesehen, da „im <strong>in</strong>tensiven<br />
Preiswettbewerb <strong>in</strong> der Regel die Spielräume für ökologische Optimierungsmaßnahmen<br />
fehlen“ (Villiger 2000, S. 108). Das Lenkungssystem Politik wurde als
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 175<br />
Initiator der Anhebung sozial-ökologischer Standards betrachtet (Villiger 2000,<br />
S. 108). Jedoch zeigen die transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze mult<strong>in</strong>ationaler<br />
Lebensmittelunternehmen, dass die Marktakteure nicht nur auf Impulse des<br />
Gesetzgebers reagieren, sondern „freiwillig“ zur Entwicklung sozial-ökologischer<br />
Branchenstandards beitragen. Den Antrieb, sich mit <strong>Nachhaltigkeits</strong>problemen zu beschäftigen,<br />
gibt wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>erseits das erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
sozial-ökologischer Nischenanbieter <strong>in</strong> der Lebensmittelbranche <strong>und</strong> andererseits die<br />
zunehmend kritische Haltung des Konsumenten gegenüber konventioneller Landwirtschaft<br />
<strong>und</strong> „Massenproduktion“.<br />
Die Unternehmen reagieren u.a. mit der Lancierung von <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>itiativen auf<br />
diese Impulse. Dabei stellt sich die Frage, <strong>in</strong>wieweit die Lebensmittelhersteller von der<br />
Erhöhung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Qualität ihrer herkömmlichen Produkte profitieren<br />
können, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren oder von NGOs des Pseudo-<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezichtigt zu werden. Manche Produzenten wie z.B. Unilever<br />
versuchen, durch die Kommunikation des <strong>Nachhaltigkeits</strong>engagements das Image<br />
ihrer Marken zu stärken <strong>und</strong> deklarieren <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen (z.B. <strong>Nachhaltigkeits</strong>projekt<br />
Erbsen) Initiativen auf Produktverpackungen (Forum for the Future 2002, S. 26). Sie<br />
b<strong>in</strong>den außerdem unterschiedliche Anspruchsgruppen wie etwa Umweltschutzgruppen<br />
oder Forschungs<strong>in</strong>stitute <strong>in</strong> die Entwicklung <strong>und</strong> Durchführung der Projekte mit e<strong>in</strong>.<br />
Andere Unternehmen fürchten die Reaktion kritischer Anspruchsgruppen <strong>und</strong> kommunizieren<br />
Fortschritte von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Initiativen kaum.<br />
Neben der Verbesserung konventioneller Produkte versuchen mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelunternehmen<br />
durch Akquisitionen <strong>und</strong> strategische Partnerschaften mit Bio- <strong>und</strong><br />
Fair Trade-Pionieren von den Wachstumsraten „alternativer“ Märkte zu profitieren.<br />
Der französische Lebensmittelkonzern Danone erwarb z.B. im Jahr 2001 e<strong>in</strong>en Anteil<br />
von 40% an Stonyfield Farm, dem größten US Produzenten für Bio-Yoghurt. He<strong>in</strong>z ist<br />
e<strong>in</strong>e strategische Partnerschaft mit der Ha<strong>in</strong> Celestial Group e<strong>in</strong>gegangen, e<strong>in</strong>em Spezialanbieter<br />
für koschere, zuckerfreie <strong>und</strong> biologisch produzierte Produkte. Unilever<br />
Bestfoods akquirierte im Jahr 2000 den britischen Saucen & Suppenhersteller „Go Organics“,<br />
<strong>und</strong> weitere Unilever Unternehmen wie z.B. Ben & Jerry’s sowie Eskimo-Iglo<br />
lancierten Bio-Produkte. Diese Beispiele weisen darauf h<strong>in</strong>, dass sich die Lebensmittelkonzerne<br />
ihren Anteil am sozial-ökologischen Wachstumssegment zu sichern versuchen.
176 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
6 Chancen <strong>und</strong> Risiken im Vergleich<br />
E<strong>in</strong> wichtiger Erfolgsfaktor für kle<strong>in</strong>e, mittelständische sowie mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen<br />
ist die Listung der sozial-ökologischen Produkte im Detailhandel. Dabei haben<br />
zahlreiche Pull-Anreize e<strong>in</strong>e sehr große Bedeutung für den Erfolg e<strong>in</strong>er Marke<br />
beim Handel (Feige 1996, S. 192-204). Push-Anreize haben h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge<br />
Wirkung (mit Ausnahme mittelständischer Unternehmen). Das heißt, bei Verwendung<br />
e<strong>in</strong>er Markenstrategie ist nach der Listung im Lebensmittelhandel <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der<br />
Konsument durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vom Mehrwert der sozial-ökologischen<br />
Produkte zu überzeugen. Für kle<strong>in</strong>e, aber auch mittelständische Lebensmittelunternehmen<br />
mit beschränkten Ressourcen ist die direkte Kommunikation e<strong>in</strong> zentrales<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument, das Glaubwürdigkeit vermittelt. Außerdem s<strong>in</strong>d Innovativität <strong>in</strong><br />
der Produktentwicklung, Professionalität <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kommunikation<br />
<strong>und</strong> Zusammenarbeit mit Marktpartnern möglicherweise ausschlaggebend<br />
für die erfolgreiche Lancierung von Produkten im Detailhandel. Mult<strong>in</strong>ationale<br />
Hersteller, die zwar über hohe <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kompetenz <strong>und</strong> -ressourcen verfügen, haben<br />
h<strong>in</strong>gegen unter Umständen Probleme, das Vertrauen der Konsumenten zu gew<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d zur Verm<strong>in</strong>derung von Glaubwürdigkeitsdefiziten auf Partnerschaften mit<br />
NGOs oder auf unabhängige Berichterstattung durch „neue Kommunikatoren“ angewiesen<br />
(Beitrag Schrader).<br />
Ger<strong>in</strong>ges Profilierungspotenzial für Markenartikelhersteller besteht <strong>in</strong> aktuellen Wettbewerbsfeldern<br />
(z.B. ökologische Anbauweise <strong>und</strong> Tierhaltung) <strong>und</strong> <strong>in</strong> qualitätsorientierten<br />
Märkten mit renommierten, professionell geführten sozial-ökologischen<br />
Handelsmarken (z.B. Österreich, Schweiz), da der Detailhandel wenig an der Unterstützung<br />
von Konkurrenzprodukten <strong>in</strong>teressiert ist. Im Schweizer Markt können mittelständische<br />
<strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen auch kaum von der Erschließung neuer<br />
sozial-ökologischer Wettbewerbsfelder profitieren, da für die beiden dom<strong>in</strong>ierenden<br />
Detailhandelsunternehmen Coop <strong>und</strong> Migros „Umwelt“ <strong>und</strong> „Soziales“ hohe strategische<br />
Relevanz hat, <strong>und</strong> sie bereits e<strong>in</strong>e Vielfalt an sozial-ökologischen Handelsmarken<br />
<strong>und</strong> -programmen <strong>in</strong> unterschiedlichen Wettbewerbsfeldern entwickelt haben (Beitrag<br />
Hildesheimer/Borsani). Kle<strong>in</strong>e Unternehmen haben h<strong>in</strong>gegen unter Umständen die<br />
Möglichkeit, alternative Handelskanäle aufzubauen, vorhandene Vertriebswege verstärkt<br />
zu nutzen <strong>und</strong> Nischenprodukte weiterh<strong>in</strong> im Detailhandel zu platzieren (z.B.<br />
regional erzeugte Delikatessen).
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 177<br />
Marktchancen eröffnen sich auch für kle<strong>in</strong>e <strong>und</strong> mittelständische Lebensmittelunternehmen,<br />
die auf die Produktion von Handelsmarken spezialisiert s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>ige Schweizer<br />
Unternehmen verfolgen heute im konventionellen Bereich e<strong>in</strong>e Markenstrategie<br />
<strong>und</strong> ergänzen diese durch die Produktion für sozial-ökologische Handelsprogramme.<br />
Schwierigkeiten treten auf, wenn durch diese Strategie e<strong>in</strong>e Kannibalisierung herkömmlicher<br />
Markenprodukte durch Handelsmarken stattf<strong>in</strong>det, oder die duale Ausrichtung<br />
als Marken- <strong>und</strong> „Private Label“- Hersteller zu Kompetenzverlusten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />
mangelnden Innovativität führt. Mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen produzieren i.d.R. ke<strong>in</strong>e<br />
sozial-ökologischen Marken für den Handel. Sie versuchen entweder sozialökologische<br />
Marken zu akquirieren oder durch strategische Partnerschaften bzw. Co-<br />
Brand<strong>in</strong>g vom Image bekannter sozial-ökologischer Pioniere zu profitieren.<br />
Für die Konzerne stehen auch am Weltmarkt viele Möglichkeiten offen, da e<strong>in</strong>kommensschwache<br />
Bevölkerungsschichten <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Schwellen- <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />
bisher kaum als K<strong>und</strong>engruppen erkannt wurden, <strong>und</strong> ihre Bedürfnisse im<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bisher wenig Beachtung gef<strong>und</strong>en haben (Beitrag Kirchgeorg).<br />
Auch sozial-ökologisch Passive, die aus unterschiedlichen Gründen nicht<br />
durch das derzeitige Angebot bzw. durch das praktizierte <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
erreicht werden (z.B. Preispolitik oder Kommunikationspolitik), s<strong>in</strong>d potenzielle K<strong>und</strong>en<br />
für mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelunternehmen. Die K<strong>und</strong>enakquisition <strong>in</strong> beiden<br />
Zielsegmenten erfordert die Entwicklung neuer <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze.<br />
Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>itiativen der Konzerne zur Verbesserung konventioneller<br />
Lebensmittel s<strong>in</strong>d möglicherweise e<strong>in</strong> erster Schritt <strong>in</strong> diese Richtung, können<br />
jedoch aus dem Blickw<strong>in</strong>kel der nachhaltigen Entwicklung auch als Rückschritt <strong>in</strong>terpretiert<br />
werden. Die Grenzen zwischen biologisch produzierten, fair gehandelten <strong>und</strong><br />
konventionellen Produkten verschwimmen zusehends. Im Fair Trade-Sektor kreieren<br />
z.B. mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen heute eigene Marken oder werden mit Labels zertifiziert,<br />
die nur niedrige Sozial-Standards (z.B. „Better Banana“ für Chiquita Bananen)<br />
vorschreiben (Murray/Raynolds, 2000, S. 70). Das bewirkt e<strong>in</strong>e „Verwässerung“ des<br />
Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Begriffs, trägt zur Verwirrung des Konsumenten bei <strong>und</strong> führt<br />
möglicherweise zu Glaubwürdigkeitsverlust des gesamten „alternativen“ Marktes. Die<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>herausforderung für die Lebensmittelunternehmen besteht somit <strong>in</strong> der<br />
gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>genden Vermarktung von <strong>in</strong>novativen Lebensmittelprodukten für sozialökologisch<br />
aktivierbare als auch passive K<strong>und</strong>en bei gleichzeitigem Erhalt der Ideale<br />
der Öko- <strong>und</strong> Fair Trade-Bewegung.
178 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
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180 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />
Anhang<br />
Interviewpartner<br />
Unternehmen/<br />
Organisation<br />
Namen der Interviewpartner<br />
Funktion der Interviewpartner<br />
BAER Herr Baer Geschäftsführender<br />
Eigentümer<br />
Ort <strong>und</strong> Datum des<br />
Interviews<br />
Küssnacht, 30.10.2002<br />
Napfmilch Herr Fraefel Geschäftsführer Bern, 12.11.2002<br />
Nestlé Herr Jöhr Head of Agro-Bus<strong>in</strong>ess Vevey, 6.11.2002<br />
Leitfragen der Interviews<br />
� Was verstehen Sie unter <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Bereich Ernährung? Was<br />
s<strong>in</strong>d Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach die Chancen <strong>und</strong> Risiken des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>in</strong> diesem Bereich?<br />
� Was ist der ökologische <strong>und</strong> soziale K<strong>und</strong>ennutzen im Lebensmittelbereich?<br />
� Was ist die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie des Unternehmens? Wie wird die<br />
Strategie umgesetzt?<br />
� Betreibt das Unternehmen transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens<br />
am Beispiel von EOSTA <strong>und</strong> „Nature & More“<br />
Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
1 EOSTA als sozial-ökologischer Diffusionsagent<br />
zwischen Erzeuger <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e<br />
Unternehmensportrait<br />
Das holländische Unternehmen EOSTA ist e<strong>in</strong>es der führenden Großhandelsunternehmen<br />
<strong>in</strong> Europa, welches mit biologisch <strong>und</strong> biologisch-dynamisch angebautem<br />
Obst <strong>und</strong> Gemüse handelt. Das Kerngeschäft besteht im E<strong>in</strong>kauf <strong>und</strong> der Vermarktung<br />
von Obst aus der südlichen Hemisphäre (<strong>in</strong>sbesondere Äpfel, Birnen <strong>und</strong> Mangos) <strong>und</strong><br />
Gemüse aus holländischen Gewächshäusern (<strong>in</strong>sbesondere Tomaten, Paprika <strong>und</strong><br />
Gurken). Vom Firmensitz <strong>in</strong> Wadd<strong>in</strong>xveen bei Rotterdam beliefert das Unternehmen<br />
Naturkost-Großhändler <strong>und</strong> Lebensmittel-E<strong>in</strong>zelhandelsketten <strong>in</strong> ganz Europa, aber<br />
auch <strong>in</strong> den USA. EOSTA beschäftigt derzeit ca. 40 Mitarbeiter <strong>und</strong> hat neben dem<br />
Geschäft mit Obst <strong>und</strong> Gemüse auch andere Produkte zur Marktreife gebracht. E<strong>in</strong><br />
Beispiel dafür ist FLORGANICS, e<strong>in</strong> Sortiment biologisch erzeugter Blumen, welches<br />
heute erfolgreich von e<strong>in</strong>em anderen Anbieter vertrieben wird.<br />
Seit der Firmengründung im Jahr 1982 ist EOSTA beständig gewachsen, doch dem<br />
Gr<strong>und</strong>satz, ausschließlich mit biologischen <strong>und</strong> biologisch-dynamischen Produkten zu<br />
handeln, ist das Unternehmen über die Jahre treu geblieben. Die drei Firmengr<strong>und</strong>sätze<br />
lauten „healthy“, „organic“ <strong>und</strong> „fair“. Für EOSTA s<strong>in</strong>d Ökologie, Soziales <strong>und</strong><br />
Ökonomie untrennbar mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en. Das Unternehmen verpflichtet sich <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>en Leitl<strong>in</strong>ien, globales ökonomisches Denken mit lokalem ökologischem <strong>und</strong> sozialem<br />
Handeln zu verb<strong>in</strong>den. Dies spiegelt sich auch im Firmenslogan „EOSTA – where<br />
ECOLOGY meets ECONOMY” wider. E<strong>in</strong>e ges<strong>und</strong>e wirtschaftliche Ausgangsposition<br />
stellt für EOSTA die Gr<strong>und</strong>lage für ökologisches <strong>und</strong> soziales Engagement dar.<br />
Um diese Gr<strong>und</strong>lage auszubauen, hat sich das Unternehmen von Anfang an um starke<br />
partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen bemüht, die auf geme<strong>in</strong>samen Werten basieren<br />
<strong>und</strong> langfristig allen Beteiligten e<strong>in</strong>en Nutzen stiften. EOSTA versteht sich weniger<br />
als Händler, sondern vielmehr als Vermittler zwischen Angebot <strong>und</strong> Nachfrage
182 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
<strong>und</strong> engagiert sich deshalb entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Anbau<br />
beim Erzeuger bis h<strong>in</strong> zur Vermarktung beim Endk<strong>und</strong>en. Folgende Fragestellungen<br />
stehen dabei im Vordergr<strong>und</strong>:<br />
� Welcher Form der Zusammenarbeit bedarf es, um gute biologische Lebensmittel zu<br />
erzeugen? Wie können Landwirte ermutigt werden, nachhaltige Landwirtschaft zu<br />
betreiben? (<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Beschaffungsseite).<br />
� Wie ist Qualität im umfassenden S<strong>in</strong>n zu def<strong>in</strong>ieren? Wie kann der sozialökologische<br />
(Mehr-) Wert von Lebensmitteln vermarktet werden? Lässt sich das<br />
Internet nutzen, um Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Transparenz zu schaffen? (<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
auf der Absatzseite).<br />
Um e<strong>in</strong> Produkt vermarkten zu können, welches e<strong>in</strong>erseits den hohen biologischen<br />
Anforderungen gerecht <strong>und</strong> andererseits auch vom K<strong>und</strong>en nachgefragt wird, bemüht<br />
sich EOSTA neben der Orientierung am direkten K<strong>und</strong>en (Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen)<br />
auch darum, se<strong>in</strong>e Lieferanten <strong>und</strong> die Endverbraucher besser zu verstehen.<br />
Insbesondere die Erzeuger werden gezielt <strong>in</strong> den Vermarktungsprozess e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> mit der Unternehmensphilosophie vertraut gemacht.<br />
E<strong>in</strong> Unternehmen, welches e<strong>in</strong>e zentrale Stellung <strong>in</strong> der Wertkette e<strong>in</strong>nimmt <strong>und</strong> großen<br />
E<strong>in</strong>fluss auf die Verbreitung nachhaltiger Produkte hat, kann man als sozialökologischen<br />
Diffusionsagenten bezeichnen (Hansen/Kull 1996, S. 90-93). EOSTA<br />
nimmt als Großhandelsunternehmen diese Rolle aktiv wahr <strong>und</strong> versucht sowohl auf<br />
die Angebotsseite (ecology-push-Strategien) als auch auf die Beschaffungsseite (ecology-pull-Strategien)<br />
<strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>zuwirken, dass mehr sozial-ökologische Produkte<br />
angebaut <strong>und</strong> verkauft werden. Als Vermittler zwischen Anbietern <strong>und</strong> Verbrauchern<br />
ist EOSTA am Erfolg aller Beteiligten <strong>in</strong>teressiert.<br />
Die Rolle e<strong>in</strong>es Diffusionsagenten kann e<strong>in</strong> Großhandelsunternehmen <strong>in</strong>sbesondere<br />
daher gut erfüllen, weil im Unternehmen die Kenntnisse über die Produktentwicklung<br />
der Erzeuger <strong>und</strong> die Bedürfniswünsche der K<strong>und</strong>en zusammenlaufen (Abb. 1). Während<br />
auf der Stufe des Erzeugers das Interesse an <strong>und</strong> das Wissen um die Produktentwicklung<br />
sehr hoch ist, s<strong>in</strong>kt es im Verlauf der Wertschöpfungskette. Die Wahrnehmung<br />
der K<strong>und</strong>enbedürfnisse ist h<strong>in</strong>gegen beim Erzeuger am ger<strong>in</strong>gsten <strong>und</strong> steigt im<br />
Verlauf der Wertschöpfungskette immer weiter an. Im Schnittpunkt beider Kurven<br />
steht z.B. als importierendes Großhandelsunternehmen EOSTA, welches sowohl um<br />
die Vorgänge bei der Produktentwicklung auf der Stufe der Erzeuger als auch um die
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 183<br />
Bedürfnisse se<strong>in</strong>er Konsumenten weiß. Als Diffusionsagent kann EOSTA so beide<br />
Enden der Wertschöpfungskette, den Erzeuger <strong>und</strong> den Verbraucher berücksichtigen<br />
<strong>und</strong> auch selber E<strong>in</strong>fluss nehmen.<br />
Produktentwicklung<br />
Bedürfniswahrnehmung<br />
hoch<br />
niedrig<br />
Erzeuger<br />
Im <strong>und</strong><br />
Export<br />
Großhandel<br />
Diffusionsagent<br />
E<strong>in</strong>zelhandel<br />
Wahrnehmung der<br />
Konsumentenbedürfnisse<br />
Verbraucher<br />
Kenntnisse<br />
zur Produktentwicklung<br />
Abbildung 1: Kenntnis zur Produktentwicklung <strong>und</strong> zur Bedürfniswahrnehmung<br />
Akteure<br />
der Wertschöpfungskette<br />
Abbildung 2 stellt die Weiterentwicklung von Abbildung 1 dar <strong>und</strong> symbolisiert <strong>in</strong><br />
Form e<strong>in</strong>er Lemniskate den „unendlichen Dialog“, der <strong>in</strong>nerhalb des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette geführt werden muss,<br />
um die vorhandenen Informationsasymmetrien zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den Verbrauchern<br />
<strong>in</strong> Bezug auf die Produktentwicklung <strong>und</strong> die Bedürfniswahrnehmung zu<br />
überw<strong>in</strong>den. Während auf der Seite des Erzeugers das Bestreben dar<strong>in</strong> besteht, das<br />
Wissen um die sozial-ökologischen Produkteigenschaften zu den Verbraucher zu<br />
transportieren, hat auf der anderen Seite der Verbraucher konkrete Produktvorstellungen<br />
<strong>und</strong> Bedürfnisse, die den Erzeugern vermittelt werden müssen.<br />
Als Großhändler nimmt EOSTA daher zwei unterschiedliche Aufgaben wahr: Zum<br />
e<strong>in</strong>en muss das Unternehmen den Verbraucher auf die sozial-ökologischen Produkteneigenschaften<br />
aufmerksam zu machen, die e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Mehrwert darstellen<br />
<strong>und</strong> zum anderen muss EOSTA die Erzeuger von den Bedürfnissen der Konsumen-
184 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
ten überzeugen. Um erfolgreich zusammenzuarbeiten ist es daher unumgänglich, dass<br />
e<strong>in</strong> großer „unendlicher Dialog“ zwischen allen Beteiligten der Wertschöpfungskette<br />
geführt wird, der e<strong>in</strong>en ständigen Informationsfluss zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den<br />
Verbrauchern garantiert. Ziel ist neben dem f<strong>in</strong>anziellen Erfolg, dass bei den Erzeugern<br />
e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> für die Verbraucher erzeugt wird <strong>und</strong> umgekehrt. E<strong>in</strong> derartiges<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zeigt allen Akteuren der Wertschöpfungskette ihre gegenseitige<br />
Abhängigkeit auf <strong>und</strong> fördert somit e<strong>in</strong>e konstruktive Zusammenarbeit.<br />
Erzeuger<br />
Im- <strong>und</strong><br />
Export<br />
Großhandel<br />
Wahrnehmung der Konsumentenbedürfnisse<br />
Kenntnisse zur Produktentwicklung<br />
E<strong>in</strong>zelhandel<br />
Abbildung 2: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als „unendlicher“ Dialog<br />
Beschaffungs- <strong>und</strong> Absatzmärkte<br />
Verbraucher<br />
Akteure<br />
der Wertschöpfungskette<br />
EOSTA legt e<strong>in</strong>en besonderen Fokus auf den Beschaffungsmarkt, d.h. auf die Herkunft<br />
der Produkte. So wird das Obst ausschließlich <strong>in</strong> der südlichen Hemisphäre angebaut.<br />
Dies hat zur Folge, dass EOSTA im Frühjahr frisch geerntetes Obst liefern kann, wenn<br />
andere Anbieter Waren auf den Markt br<strong>in</strong>gen, die bereits drei bis fünf Monate gelagert<br />
wurden. Neben Äpfel, Birnen <strong>und</strong> Mangos wird das Obstsortiment durch Zitrusfrüchte,<br />
Tafeltrauben <strong>und</strong> Avocados ergänzt. Im Gegensatz zur Herkunft des Obstes<br />
wird der größte Teil des Gemüses <strong>in</strong> niederländischen Gewächshäusern angebaut. Es<br />
handelt sich dabei vorwiegend um Tomaten, Paprika <strong>und</strong> Gurken. Deshalb ist EOSTA
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 185<br />
sowohl beim Obst als auch beim Gemüse <strong>in</strong> der Lage, auch dann Ware anzubieten,<br />
wenn lokal wenig erzeugt wird.<br />
EOSTA sieht sich jedoch mit der Frage konfrontiert, ob importierte biologische Produkte<br />
nicht aufgr<strong>und</strong> des langen Transportwegs umweltbelastender s<strong>in</strong>d als e<strong>in</strong>heimische<br />
konventionelle Produkte (Carbotech 1994, Konsument<strong>in</strong>nenforum Schweiz/<br />
Greenpeace Schweiz 1994, Geier 2003, S. 31). Zum e<strong>in</strong>en müssen aber die Energie<strong>und</strong><br />
Ressourcenaufwendungen für die Lagerung <strong>und</strong> Haltbarmachung regionaler Produkte<br />
dagegen gerechnet werden <strong>und</strong> zum anderen trägt der Transport – bezogen auf<br />
den gesamten Produktlebenszyklus – häufig nicht <strong>in</strong> dem Maße zur Umweltbelastung<br />
bei, wie vielfach angenommen wird (Jungbluth 2000, S. 27). So beträgt bspw. im Fall<br />
von Kaffee der Energieverbrauch für den Schiffstransport von den Erzeugerländern<br />
nach Westeuropa gerade mal e<strong>in</strong> Zehntel des Energieverbrauchs für den Röstprozess<br />
(Belz 1995, S. 169). Neben der Transportentfernung haben <strong>in</strong>sbesondere die Art des<br />
gewählten Transportmittels, die Transportauslastung <strong>und</strong> die sogenannten „versteckten“<br />
Transporte e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss auf die Höhe der Umweltbelastung (Jungbluth<br />
2000, S. 26). Während bspw. Conta<strong>in</strong>erschiffe e<strong>in</strong>en wesentlich ger<strong>in</strong>geren Anteil zur<br />
Umweltbelastung bezogen auf den gesamten Produktlebenszyklus beitragen, führt der<br />
Transport mit dem Flugzeug zu e<strong>in</strong>er sehr viel größeren ökologischen Belastung, die<br />
die Umweltentlastungen durch den biologischen Anbau im jeweiligen Anbaugebiet bei<br />
weitem übertreffen. Die pauschalisierende Aussage, dass das Importieren ökologisch<br />
<strong>und</strong> sozial verträglicher Produkte aufgr<strong>und</strong> der hohen Umweltbelastungen beim<br />
Transport negative Auswirkungen auf die Umwelt hätte, ist daher differenziert zu betrachten.<br />
Bei effizienteren Anbaubed<strong>in</strong>gungen können sich unter Umständen auch weitere<br />
Transportwege ökologisch lohnen (Jungbluth 2000, S. 28). Daher kann nicht generell<br />
behauptet werden, dass Produkte, die e<strong>in</strong>en weiten Transportweg zurücklegen, über<br />
e<strong>in</strong>e schlechtere Umweltbilanz verfügen als regionale Produkte. EOSTA importiert<br />
se<strong>in</strong>e Produkte fast ausschließlich mit dem Conta<strong>in</strong>erschiff, um so die Umweltbelastung<br />
trotz des langen Transportes so ger<strong>in</strong>g wie möglich zu halten.<br />
Der Absatzmarkt von EOSTA konzentriert sich auf fast alle Länder Europas sowie auf<br />
e<strong>in</strong>zelne K<strong>und</strong>en <strong>in</strong> Nordamerika. Dabei werden unterschiedliche Absatzkanäle bedient.<br />
EOSTA hat früh erkannt, dass es wichtig ist, sowohl an den Naturkosthandel als<br />
auch an herkömmliche Supermärkte zu liefern, um den Markt für biologische Lebensmittel<br />
weiter zu entwickeln <strong>und</strong> zu vergrößern. Mit der Umstellung von immer mehr<br />
landwirtschaftlichen Betrieben auf biologische Anbaumethoden war es dem Naturkosthandel<br />
nicht länger möglich, die gesamte am Markt angebotene Menge zu verkaufen.<br />
Supermärkte spielen daher e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, um den Absatzmarkt für biolo-
186 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
gisch erzeugte Produkte zu erweitern, auch wenn der Anteil biologischer Produkte <strong>in</strong><br />
Supermärkten nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Teil ihres gesamten Angebots ausmacht. Heute beliefert<br />
EOSTA den Großteil der führenden Supermarktketten <strong>in</strong> Europa u.a. <strong>in</strong> Deutschland<br />
die REWE Gruppe, Edeka <strong>und</strong> Tengelmann sowie <strong>in</strong> der Schweiz Coop <strong>und</strong> Migros.<br />
2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Beschaffungsseite<br />
In den 1980er Jahren, als EOSTA gegründet wurde, stieg die Nachfrage nach biologischen<br />
Nahrungsmitteln <strong>in</strong> Westeuropa <strong>und</strong> den USA vermehrt an. Die Gründe dafür<br />
lagen <strong>in</strong> der zunehmenden Sensibilisierung der Konsumenten im H<strong>in</strong>blick auf Umweltthemen<br />
im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> auf mögliche Schadstoffe <strong>in</strong> konventioneller Nahrung<br />
im Speziellen. Doch EOSTA konnte dieser steigenden Nachfrage zu Beg<strong>in</strong>n nicht<br />
nachkommen. Es gab häufiger Lieferprobleme, da zum e<strong>in</strong>en die Nachfrage nach biologischen<br />
Produkten größer als das Angebot <strong>und</strong> zum anderen die (biologische) Qualität<br />
e<strong>in</strong>iger Bioprodukte zweifelhaft war. In dieser Situation beschloss EOSTA, sich auf<br />
die Suche nach vertrauenswürdigen Erzeugern zu machen. Es g<strong>in</strong>g darum, e<strong>in</strong>erseits<br />
neue glaubwürdige Erzeuger zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> andererseits bereits bekannte Erzeuger <strong>und</strong><br />
deren Arbeitsweisen genauer kennenzulernen, die Erzeuger zu beraten <strong>und</strong> Beziehungen<br />
zu pflegen. Im Rückblick war dieser Schritt für die Entwicklung von EOSTA von<br />
großer Bedeutung, da so das Unternehmen vertrauenswürdige Erzeuger f<strong>in</strong>den konnte,<br />
um erfolgversprechende <strong>und</strong> langfristige Geschäftsbeziehungen e<strong>in</strong>zugehen. Strategische<br />
Überlegungen müssen allerd<strong>in</strong>gs bei ethisch orientierten Unternehmen zu Beg<strong>in</strong>n<br />
der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten nicht im Vordergr<strong>und</strong> stehen. Sie können sich im Laufe der<br />
Zeit aus e<strong>in</strong>er ethisch motivierten Anfangsidee des Unternehmens heraus entwickeln<br />
(Ulrich 1998, S. 430-433). Dies war auch bei EOSTA der Fall. Die Strategien waren<br />
Resultat des Wechselspiels von Unternehmensphilosophie <strong>und</strong> Unternehmenspraxis<br />
<strong>und</strong> stellten sich zunehmend als sehr erfolgreich heraus.<br />
Im Umgang mit den Erzeugern wurde nicht nur darauf geachtet, dass biologische Anbaurichtl<strong>in</strong>ien<br />
e<strong>in</strong>gehalten wurden, sondern es wurden auch Hilfestellungen geleistet,<br />
sofern diese notwendig waren. Ob es sich um landwirtschaftliche Beratung, Abnahmezusagen<br />
oder Vorauszahlungen handelte, h<strong>in</strong>g ganz von den <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen<br />
des Erzeugers ab. Bei den f<strong>in</strong>anziellen Leistungen g<strong>in</strong>g es nicht darum, e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren<br />
Preis zu erzielen oder Lieferanten <strong>in</strong> Abhängigkeit zu br<strong>in</strong>gen, sondern darum,<br />
engagierte biologische Anbauer langfristig für EOSTA zu gew<strong>in</strong>nen. Es wurde<br />
dabei auch schnell ersichtlich, dass viele Erzeuger bereits e<strong>in</strong> besonderes Interesse an<br />
biologischer oder sogar biologisch-dynamischer Landwirtschaft hatten. In vielen Fäl-
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 187<br />
len fehlten jedoch die Kenntnisse <strong>und</strong> die Erfahrungen, um erfolgreich auf diese Form<br />
der Lebensmittelerzeugung umzustellen. Herkömmliche Hochschulen <strong>und</strong> Universitäten<br />
hatten zwar <strong>in</strong> Europa vere<strong>in</strong>zelt Lehrstühle für biologische Landwirtschaft e<strong>in</strong>gerichtet,<br />
aber <strong>in</strong> den Erzeugerländern waren diese Anbaumethoden noch unbekannt.<br />
EOSTA war nicht das e<strong>in</strong>zige Unternehmen, das sich bemühte, diese Lücke zu schließen.<br />
Wie auch andere Unternehmen <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong> den USA stellte EOSTA Berater<br />
e<strong>in</strong>, die den Erzeugern helfen sollten, auf biologische Anbaumethoden umzustellen<br />
oder diese weiter zu verbessern (Belz 2004, S. 142). Diese langfristig angelegten Beratungstätigkeiten<br />
bei den Erzeugern bestehen noch heute.<br />
Um den hohen Erwartungen der kritischen Verbraucher gerecht zu werden, legt<br />
EOSTA großen Wert auf e<strong>in</strong> umfangreiches Qualitätsentwicklungssystem, welches im<br />
Rahmen des „Nature & More“ Konzeptes (Kap. 3) durchgeführt wird. Für die Entwicklung<br />
<strong>und</strong> Überprüfung der unterschiedlichen Qualitätskriterien bei den Erzeugern<br />
verwendet das Unternehmen e<strong>in</strong>en Fragebogen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Auditformular. Diese beiden<br />
Methoden zur Weiterentwicklung der Qualität s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere darauf ausgelegt, diejenigen<br />
Aspekte zu erfassen, die die e<strong>in</strong>zelnen Erzeuger vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.<br />
Durch offene Fragen sollen die selbst gesteckten Ziele der Erzeuger erfasst werden.<br />
Dabei geht es nicht nur um das E<strong>in</strong>halten von vorgeschriebenen Regeln <strong>und</strong> Normen,<br />
sondern <strong>in</strong>sbesondere um Eigen<strong>in</strong>itiative, Innovation <strong>und</strong> Kreativität. Erzeuger haben<br />
die Möglichkeit, sich <strong>und</strong> ihren Betrieb darzustellen. Sie können selbst beschreiben,<br />
wie sie als Landwirte biologischen Landbau betreiben <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit sie sich als sozial<br />
verantwortliche Arbeitgeber betrachten. Die <strong>in</strong>tensiven Gespräche zwischen EOSTA<br />
<strong>und</strong> den Erzeugern tragen zu e<strong>in</strong>er ständigen Weiterentwicklung <strong>und</strong> Verbesserung der<br />
Qualitäten bei <strong>und</strong> bedeuten e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierlichen Lernprozess auf beiden Seiten.<br />
Um die von den Erzeugern gemachten Qualitätsangaben zu überprüfen, wird jeder Erzeuger<br />
durch EOSTA e<strong>in</strong>mal pro Jahr zusätzlich zu den regulären Kontrollen beurteilt.<br />
Da es für außergewöhnlich gute „biologische Leistungen“ kaum festgelegte Kriterien<br />
gibt, ist es wichtig genau zu verstehen, welche Ziele e<strong>in</strong> Erzeuger verfolgt <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit<br />
diese mit denen EOSTAs übere<strong>in</strong>stimmen. Dazu ist häufig e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiver Dialog<br />
zwischen EOSTA <strong>und</strong> den Erzeugern notwendig. Diese müssen <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> zu<br />
beweisen, dass das von ihnen Dargestellte wirklich zu e<strong>in</strong>er besseren Umwelt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />
größeren sozialen Gerechtigkeit beiträgt. Deshalb werden auch Akten e<strong>in</strong>gesehen,<br />
Felder besichtigt <strong>und</strong> Mitarbeiter mit <strong>in</strong> die Gespräche e<strong>in</strong>bezogen. Die endgültige<br />
Entscheidung über die Bewertung der unterschiedlichen Qualitäten wird im Konsens<br />
mit dem Erzeuger getroffen, denn es geht bei diesem Prozess auch um den Aufbau von<br />
Vertrauen <strong>und</strong> von langfristigen Geschäftsbeziehungen.
188 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
Auch wenn EOSTA <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Erzeuger geme<strong>in</strong>same Ziele verfolgen wie Umweltschutz<br />
<strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit, so zeigen sich doch immer wieder unterschiedliche<br />
Beurteilungen e<strong>in</strong>zelner Maßnahmen. Um diese Unterschiede auszugleichen <strong>und</strong><br />
sichtbar zu machen, hat EOSTA e<strong>in</strong> Bewertungssystem entwickelt, welches die Ziele<br />
EOSTAs im Detail beschreibt. Anhand dieses Systems ist es möglich, geme<strong>in</strong>sam zu<br />
e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen <strong>und</strong> vergleichbaren Beurteilung zu kommen. Dieses Bewertungssystem<br />
erlaubt es, die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der e<strong>in</strong>zelnen Erzeuger<br />
aufzuzeigen: Während der e<strong>in</strong>e fortschrittlicher im biologischen Landbau ist, zeigt der<br />
andere e<strong>in</strong> stärkeres Engagement im sozialen Bereich. Diese unterschiedlichen Bewertungen<br />
machen den e<strong>in</strong>zelnen Erzeugern aber auch klar, wo sie sich noch verbessern<br />
können. Anhand e<strong>in</strong>es Punktesystems werden die unterschiedlichen Qualitäten beurteilt<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesamtnote dargestellt.<br />
Dieses <strong>in</strong>tensive Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> führt zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen,<br />
zur Sicherung des Beschaffungsmarktes <strong>und</strong> zur Früherkennung von Risiken <strong>und</strong><br />
Möglichkeiten. Im Bereich des Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> arbeitet EOSTA häufig mit<br />
anderen Unternehmen zusammen, die e<strong>in</strong>en anderen Markt bedienen, aber die gleichen<br />
Ansprüche an die Erzeuger stellen. Aufgr<strong>und</strong> dieser engen Zusammenarbeit genießen<br />
sowohl EOSTA als auch die kooperierenden Unternehmen großes Vertrauen bei den<br />
Lieferanten <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>en, da die <strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit Loyalität <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit<br />
signalisiert. EOSTA konnte so <strong>in</strong> den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile<br />
aufbauen <strong>und</strong> sich von der Konkurrenz im Markt absetzen. Auch die zusätzlichen<br />
Leistungen wie die Vorf<strong>in</strong>anzierung <strong>und</strong> die Abnahmezusagen, die EOSTA ihren Erzeugern<br />
gewährt, machen sich bezahlt. Stellten sie zunächst noch e<strong>in</strong>en zusätzlichen<br />
Kostenfaktor dar, rentierten sich diese anfänglichen Mehrkosten im Laufe der Zusammenarbeit.<br />
So war EOSTA <strong>in</strong> der Vergangenheit aufgr<strong>und</strong> der Abnahmezusagen <strong>und</strong><br />
Vorf<strong>in</strong>anzierungen häufig lieferfähig, wenn Konkurrenten nicht mehr über ausreichende<br />
Mengen an Produkten verfügten. Aber auch die umfangreiche Beratungstätigkeit<br />
zahlt sich aus. Diese beschränkt sich nicht nur auf Aspekte des biologischen Anbaus.<br />
Oft müssen auch entsprechende Nach-Ernte Verfahren entwickelt oder logistische<br />
Probleme gelöst werden. Sowohl EOSTA als auch die Erzeuger ziehen daraus e<strong>in</strong>en<br />
Vorteil, denn kostenspielige Schäden können so vermieden werden. Über diese direkte<br />
Kostenvermeidung h<strong>in</strong>aus spielt der Berater auch e<strong>in</strong>e wichtige Rolle <strong>in</strong> der Beziehungspflege<br />
zwischen EOSTA <strong>und</strong> den Erzeugern. Aufgr<strong>und</strong> der engen Zusammenarbeit<br />
mit dem Erzeuger lernt der Berater den Anbaubetrieb häufig besser kennen als e<strong>in</strong><br />
externer Inspektor e<strong>in</strong>er biologischen Kontrollbehörde. Der Berater übernimmt so für<br />
EOSTA e<strong>in</strong>e wichtige Vertrauensfunktion.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 189<br />
Dieses beschaffungsmarktorientierte <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist neben dem absatzmarktorientierten<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Teil des „Balanced <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>” (Raffée<br />
1979, S. 5). Bei diesem so genannten Gleichgewichts-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> werden sowohl<br />
auf dem Absatzmarkt als auch auf dem Beschaffungsmarkt <strong>in</strong>tensive <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>bemühungen<br />
durchgeführt (Belz/Dyllick 1996, S. 174-175, Fallbeispiel Coop Naturaplan<br />
Schweiz; Villiger 2000, S. 136). E<strong>in</strong>e wesentliche Stärke EOSTAs liegt also <strong>in</strong> der<br />
konsequenten Ausrichtung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf den Erzeuger <strong>und</strong> dessen<br />
ständige E<strong>in</strong>beziehung <strong>in</strong> den Wertschöpfungsprozess.<br />
3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Absatzseite<br />
Die Geschäftsidee, biologische <strong>und</strong> biologisch-dynamische Produkte zu verkaufen,<br />
kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Abnehmer bereit s<strong>in</strong>d, den<br />
Mehrpreis, den diese Produkte kosten, auch zu bezahlen. Um dieses zu erreichen, ist es<br />
zum e<strong>in</strong>em notwendig, dass die <strong>in</strong>dividuell wahrgenommene Nutzen-Kosten-Bilanz,<br />
die jeder Konsument für sich aufstellt, e<strong>in</strong>en Nettonutzen ausweist (Belz 2001, S. 78)<br />
<strong>und</strong> zum anderen, dass die ökologischen <strong>und</strong> sozialen Produkteigenschaften mit herkömmlichen<br />
Kaufkriterien zu so genannten Motivallianzen komb<strong>in</strong>iert werden (Beitrag<br />
Belz).<br />
Um den geschaffenen Mehrwert auch für Verbraucher sichtbar zu machen <strong>und</strong> beurteilen<br />
zu können, wurde von EOSTA das Konzept „Nature & More” entwickelt. Dabei<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong> Qualitätsforum, das die sozial-ökologische Qualität der Erzeugung<br />
<strong>und</strong> die Produktqualität offenlegt <strong>und</strong> den Akteuren der Wertschöpfungskette die<br />
Möglichkeit geben soll, sich über die verschiedenen Qualitätseigenschaften der Produkte<br />
zu <strong>in</strong>formieren. Die Qualität wird <strong>in</strong> drei verschiedenen Kategorien bewertet:<br />
Die Beurteilung der ökologischen Anbauweise, die Beurteilung der sozialen Verträglichkeit<br />
sowie die Beurteilung der Produktqualität. Die Ziele von „Nature & More”<br />
bestehen dar<strong>in</strong>, zum e<strong>in</strong>en die Qualität der angebotenen Produkte immer weiter zu erhöhen<br />
<strong>und</strong> zum anderen größere Transparenz <strong>in</strong> Bezug auf die Qualitätseigenschaften<br />
der Produkte zu liefern.<br />
Die Untersuchungsresultate der verschiedenen Qualitäten stehen <strong>in</strong>sbesondere den<br />
Endverbrauchern, aber auch den Erzeugern <strong>und</strong> den Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhändlern zur<br />
Verfügung. Die verschiedenen Handelspartner können so diejenigen Obst- <strong>und</strong> Gemüsesorten<br />
auswählen, die ihren Qualitätsansprüchen genügen. Sie können sich somit im<br />
Markt von ihren Konkurrenten differenzieren.
190 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus bezeichnet „Nature & More” EOSTAs eigene Marke. Auf jedem Produkt<br />
von EOSTA bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Aufkleber, der den Käufer auf die „Nature<br />
& More“ Internetseite aufmerksam macht (Abb. 3).<br />
Welcome to the Nature & More Forum!<br />
ENTER<br />
at:<br />
www.natureandmore.com<br />
HEALTHY �<br />
ORGANIC �<br />
FAIR �<br />
Enter the code form your<br />
product sticker right here<br />
You are seconds away<br />
from learn<strong>in</strong>g about the<br />
product you have just<br />
purchased.<br />
ENTER WITH CODE<br />
ENTER WITHOUT CODE<br />
Abbildung 3: „Nature & More“: E<strong>in</strong>gangsseite zum Qualitätsforum im Internet<br />
„Nature & More“ stellt ke<strong>in</strong>e zusätzliche Zertifizierung dar <strong>und</strong> konkurriert auch nicht<br />
mit bestehenden Bio- oder Fair Trade-Zertifizierern. Es ist primär e<strong>in</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument,<br />
um e<strong>in</strong>erseits die Erzeuger für die von ihnen geschaffenen ökologischen <strong>und</strong><br />
sozialen Werte zu entlohnen <strong>und</strong> andererseits den Verbrauchern e<strong>in</strong>e Möglichkeit zu<br />
bieten, sich umfangreich zu <strong>in</strong>formieren. Damit spricht „Nature & More“ den mündigen<br />
Verbraucher an, der e<strong>in</strong> landwirtschaftliches Erzeugnis nicht nur als Nahrungsmittel,<br />
sondern auch als Ergebnis e<strong>in</strong>er ökologischen <strong>und</strong> sozio-kulturellen Wertschöpfung<br />
versteht. Erzeuger, die e<strong>in</strong>en solchen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, haben<br />
dadurch e<strong>in</strong>e Möglichkeit, Verbraucher zu f<strong>in</strong>den, die bereit s<strong>in</strong>d, für diese außergewöhnliche<br />
Leistung auch mehr zu bezahlen. Oder anders ausgedrückt: Verbraucher<br />
können mit Hilfe des „Nature & More” Forums die Werte f<strong>in</strong>den, die sie suchen.
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 191<br />
Die „Nature & More” Produkte erfüllen alle die „Nature & More” Qualitätsgr<strong>und</strong>sätze,<br />
die folgende Bereiche umfassen (Tab. 1).<br />
Kriterien der<br />
ökologischen Qualität:<br />
Kriterien der<br />
sozialen Qualität:<br />
Kriterien der<br />
Produktqualität:<br />
� Bodenpflege <strong>und</strong> -fruchtbarkeit<br />
� Erhaltung der Artenvielfalt<br />
� Verantwortungsvolle Bewässerung<br />
� Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung <strong>und</strong> Krankheitsprävention<br />
� Instandhaltung, Sauberkeit <strong>und</strong> Hygiene<br />
� Nach-Ernte-Verfahren<br />
� Recycl<strong>in</strong>g, Natur- <strong>und</strong> Kulturschutz<br />
� Forschung <strong>und</strong> Innovation<br />
� Verträge <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>barungen<br />
� Arbeitszeiten <strong>und</strong> Freizeit<br />
� Gehälter <strong>und</strong> Löhne<br />
� Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung<br />
� Arbeitsplatz <strong>und</strong> Sicherheit<br />
� Gegenseitiger Respekt <strong>und</strong> Anerkennung<br />
� Hierarchie der Unternehmensstruktur<br />
� Entwicklung der Geme<strong>in</strong>schaft<br />
� Rückstandsfreiheit von Düngerstoffen, Pflanzenschutzmitteln<br />
<strong>und</strong> Gen-Technik<br />
� Analyse der physiologischen Inhaltstoffe<br />
� Sensorische Beurteilung<br />
� Vitalitätsbestimmung<br />
Tabelle 1: Kriterien der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Qualität sowie der Produktqualität<br />
Ökologische Qualität<br />
Die ökologische Qualität von „Nature & More” zeichnet sich dadurch aus, dass alle<br />
Produkte die European Council Regulation 2092/91 oder den U.S. Organic Foods Production<br />
Act (OFPA) erfüllen. Sie unterliegen ständigen Kontrollen durch zertifizierende<br />
Stellen. Darüber h<strong>in</strong>aus werden die biologischen <strong>und</strong> biologisch-dynamischen Produkte<br />
nach den nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Standards wie EKO <strong>und</strong> Demeter angebaut.<br />
EOSTA begreift den Anbau biologischer <strong>und</strong> biologisch-dynamischer Produkte<br />
als Teil e<strong>in</strong>er komplexen Umwelt mit dem Ziel diese zu schützen:
192 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
„At EOSTA, we encourage farmers to consider the larger context and the uniqueness<br />
of their farm<strong>in</strong>g operation, because as stewards of the land, they are not only produc<strong>in</strong>g<br />
crops, but contribut<strong>in</strong>g actively towards improv<strong>in</strong>g the environment.”<br />
(EOSTA 2004)<br />
Soziale Qualität<br />
Verbraucher wählen heute <strong>in</strong> zunehmendem Maße auch ganz bewusst Produkte aus,<br />
die neben ökologischen auch soziale Aspekte berücksichtigen. Im Fall von Obst <strong>und</strong><br />
Gemüse stehen Produkte im Mittelpunkt, die fair gehandelt werden. Als global agierendes<br />
Handelsunternehmen sieht sich EOSTA <strong>in</strong> der Verantwortung, jedem Mitglied<br />
der Wertschöpfungkette e<strong>in</strong> menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Ziel der<br />
sozialen Qualität, deren Inhalte auf der Erklärung der Menschenrechte basieren, ist die<br />
Menschen dabei zu unterstützen e<strong>in</strong> würdevolles <strong>und</strong> selbstbestimmtes Leben zu führen.<br />
EOSTA betrachtet sich selbst als e<strong>in</strong>en fairen Handelspartner. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
müssen sich auch EOSTAs Lieferanten, d.h. die Erzeuger, für bessere soziale Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> ihren Unternehmen e<strong>in</strong>setzen. Darunter fallen Maßnahmen wie die Schaffung<br />
besserer Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, die Bereitstellung mediz<strong>in</strong>ischer Leistungen sowie<br />
Fortbildungs- <strong>und</strong> Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />
Produktqualität<br />
Unabhängig von der Anbaumethode erwartet der Verbraucher von biologischen Lebensmitteln,<br />
dass sie besser schmecken <strong>und</strong> gesünder s<strong>in</strong>d. Insbesondere sollen die<br />
Produkte frei von möglichen ges<strong>und</strong>heitsschädlichen Rückständen se<strong>in</strong>. Deshalb werden<br />
die unter der Marke „Nature & More” verkauften Lebensmittel rout<strong>in</strong>emäßig auf<br />
e<strong>in</strong>e Vielzahl von möglichen Rückständen untersucht, um das Risiko von Verunre<strong>in</strong>igungen<br />
so ger<strong>in</strong>g wie möglich zu halten. Aber auch Geschmack <strong>und</strong> Nährwert werden<br />
im Rahmen von „Nature & More” getestet <strong>und</strong> beurteilt. Zunächst geht es dabei um<br />
e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Nährstoffanalyse, d.h. um die Bestimmung von Kohlehydraten, Eiweißen,<br />
Fetten <strong>und</strong> Vitam<strong>in</strong>en. Ferner werden die Produkte von e<strong>in</strong>em Expertenteam<br />
sensorisch beurteilt. Dabei stehen Kriterien wie das Aussehen, der Geruch <strong>und</strong> der Geschmack<br />
im Vordergr<strong>und</strong>. Um weitere Aussagen über die Haltbarkeit zu machen, werden<br />
die Produkte auch e<strong>in</strong>em Vitalitätstest unterzogen.<br />
Kooperationsbereitschaft <strong>in</strong> Form von Beratungstätigkeit, Abnahmeverpflichtungen,<br />
Vorauszahlungen <strong>und</strong> Loyalität s<strong>in</strong>d wichtige Voraussetzungen, die für die jeweiligen<br />
Partner <strong>in</strong> der Wertschöpfungskette von großer Bedeutung s<strong>in</strong>d, um geme<strong>in</strong>sam gute<br />
biologische Produkte auf den Markt zu br<strong>in</strong>gen. Dennoch spielen diese Voraussetzun-
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 193<br />
gen für viele Verbraucher nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle, da es diesen <strong>in</strong> den meisten<br />
Fällen beim Verzehr biologischer Produkte um ihre Ges<strong>und</strong>heit geht. Die weit verbreitete<br />
(jedoch noch nicht bewiesene) Annahme, dass biologisch erzeugte Lebensmittel<br />
gesünder seien als herkömmliche Produkte, macht es zwar e<strong>in</strong>facher, kurzfristig biologische<br />
Ware zu vermarkten, doch reichen derartige Verkaufsargumente nicht aus, um<br />
langfristig das Vertrauen der K<strong>und</strong>en zu gew<strong>in</strong>nen. Die Qualitätsbewertung von „Nature<br />
& More” wird <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Qualitäts<strong>in</strong>dexes als e<strong>in</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument für die<br />
Absatzseite verwendet. Jedes e<strong>in</strong>zelne „Nature & More” Produkt wird mit e<strong>in</strong>em eigenen<br />
dreistelligen Code ausgewiesen. Dieser bef<strong>in</strong>det sich auf e<strong>in</strong>em Aufkleber an jedem<br />
Produkt <strong>und</strong> verweist den Käufer für detailliertere Informationen zu den Produktqualitäten<br />
auf die Internetseite. Anhand des dreistelligen Codes erhält der Verbraucher<br />
Zugang zu der produktspezifischen Internetseite (Abb. 4, Birne mit dem Code 111).<br />
Dort kann sich jeder K<strong>und</strong>e schnell e<strong>in</strong>en Überblick sowohl über die Gesamtbewertung<br />
als auch über die E<strong>in</strong>zelbewertungen der drei Qualitäten e<strong>in</strong>es Produktes verschaffen.<br />
Die Qualitätsbeurteilung wird numerisch dargestellt. Die Informationen beziehen<br />
sich ganz spezifisch auf e<strong>in</strong> Produkt e<strong>in</strong>es bestimmten Erzeugers. Der Verbraucher<br />
kann nicht nur das Herkunftsland <strong>und</strong> die Sorte des Produktes <strong>in</strong> Erfahrung br<strong>in</strong>gen,<br />
sondern auch den Namen des Erzeugers. Weitere Informationen zu untergeordneten<br />
Qualitätskategorien s<strong>in</strong>d durch „Anklicken“ des Bewertungsbalkens abrufbar. Das<br />
„Nature & More“ Forum wurde im Februar 2004 lanciert. In der Startphase verzeichnete<br />
das Forum bereits knapp 1000 Zugriffe pro Tag.<br />
Durch die mit Bildern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er „Slideshow“ gestützte Präsentation der Ergebnisse im<br />
Internet schafft EOSTA e<strong>in</strong>e emotionale B<strong>in</strong>dung zwischen se<strong>in</strong>en Erzeugern, se<strong>in</strong>en<br />
Abnehmern <strong>und</strong> dem Endverbraucher. Die Fülle an Informationen wird zunächst <strong>in</strong><br />
den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gestellt, so dass sich der Betrachter nicht überfordert fühlt. Die<br />
Kommunikation verläuft auf e<strong>in</strong>er emotional-argumentativen Ebene. Dies ist bei der<br />
Vermarktung biologischer Lebensmittel von großer Bedeutung (Lichtl 1999, S. 19), da<br />
die oftmals komplizierte Darstellung re<strong>in</strong>er Informationen die meisten Verbraucher<br />
nicht <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> somit auch nicht anspricht (Beitrag Schrader). Kritische Käufer,<br />
die e<strong>in</strong>en tieferen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>zelkriterien wünschen, f<strong>in</strong>den auf zusätzlichen<br />
Internetseiten weiterführende <strong>und</strong> detailliertere Informationen.<br />
Damit stellt der Internetauftritt des „Nature & More“ Forums e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Instrument<br />
dar, die Informationsasymmetrie zwischen Erzeugern <strong>und</strong> Endverbrauchern zu<br />
reduzieren (Beitrag Schrader). Gerade bei sozial-ökologischen Produkten herrscht<br />
große Unsicherheit bezüglich ihrer zugesicherten ökologischen Eigenschaften (Kaas
194 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
PRODUCTS<br />
GROWERS<br />
OUR MISSION<br />
QUALITY<br />
OUR VALUES<br />
ABOUT US<br />
NEWS<br />
MEDIA<br />
Enter Product Code<br />
�<br />
The Pear you are hold<strong>in</strong>g <strong>in</strong> your hand is a<br />
Alexander Lucas, it was grown by Fruempac<br />
Farms <strong>in</strong> Argent<strong>in</strong>a and has been awarded<br />
6.4 po<strong>in</strong>ts on the Nature & More Quality Index<br />
100% certified organic<br />
PRODUCT QUALITY<br />
5.0<br />
ECOLOGICAL QUALITY<br />
7.4<br />
SOCIAL QUALITY<br />
6.9<br />
Organic Certification: Argencert – Produccion Organica Cerificada<br />
Abbildung 4: „Nature & More”: Internetseite zur Qualitätsbeurteilung<br />
Did You Know . . .<br />
… that many European<br />
pear varieties came<br />
from the orchards of<br />
monasteries and<br />
convents because the<br />
friars and nuns were<br />
highly educated people.<br />
Also On This Farm . . .<br />
Apple<br />
Apple Braeburn<br />
Gala (Royal Braeburn Gala)<br />
Granny Smith Gala (Royal Gala)<br />
Red Delicious Granny Smith<br />
Pear Red Delicious<br />
Abate Fetel<br />
Pear<br />
Alexander Lucas<br />
Abate Fetel<br />
Beurre Bosc<br />
Beurre � d‘Anjou Alexander Lucas<br />
Conderence Beurre Bosc<br />
Packhams Beurre d‘Anjou<br />
Red Anjou Conderence<br />
Red Bartlett Packhams<br />
Williams Bartlett Red Anjou<br />
Williams Bartlett<br />
1992, S. 478-479). Zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>en bzw. Konsumenten besteht<br />
e<strong>in</strong>e Informationsasymmetrie: Während der Erzeuger meist sehr gute Kenntnisse<br />
über die verschiedenen Eigenschaften se<strong>in</strong>es Produktes hat, besitzt der Konsument so<br />
gut wie ke<strong>in</strong>e Informationen (Hüser 1996, S. 27-30). Die ökologische Produkteigenschaft<br />
stellt <strong>in</strong> den meisten Fällen e<strong>in</strong>e Vertrauenseigenschaft dar (Kaas 1992, S. 481-<br />
482; Hüser 1996, S. 29). EOSTA versucht diesem Glaubwürdigkeitsproblem mit Hilfe<br />
von „Nature & More” entgegenzuwirken. Durch die Offenlegung der Informationen<br />
signalisiert das Unternehmen ihren K<strong>und</strong>en Transparenz <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit der<br />
Qualitäten. Darüber h<strong>in</strong>aus senkt dieses Forum die Informations- <strong>und</strong> Kontrollkosten<br />
der Konsumenten, die bei Produkten mit Vertrauenseigenschaften e<strong>in</strong>en großen Anteil<br />
an der <strong>in</strong>dividuell wahrgenommenen Kosten-Bilanz haben (Belz 2001, S. 76).<br />
Hauptanliegen des Qualitäts<strong>in</strong>dex ist es, die unterschiedlichen Qualitätsaspekte der<br />
verschiedenen Erzeuger schnell <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fach zu kommunizieren, um den Verbrauchern<br />
die Möglichkeit zu geben, genau die biologischen Produkte zu kaufen, die sie sich<br />
auch wünschen. Dies gilt <strong>in</strong> gleicher Weise für den Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhandel wie für<br />
den Endverbraucher. Der Qualitäts<strong>in</strong>dex ist zur Zeit noch stark numerisch gewichtet,
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 195<br />
kann aber entsprechend mit mehr Information ausgestattet werden, wenn ersichtlich<br />
wird, dass die Verbraucher der „Nature & More” Marke dieses wünschen. Ziel ist es,<br />
dem Verbraucher die Informationen anzubieten, die er benötigt, um der Marke zu vertrauen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs geht es hier nicht um (leere) Versprechungen, sondern um nützliche<br />
Informationen, die auch den Tatsachen entsprechen <strong>und</strong> den Bedürfnissen der Verbraucher<br />
gerecht werden. Ohne Zweifel lässt sich der <strong>in</strong>tensive Dialog, der bereits zur<br />
Erzeugerseite besteht, auch weiter zur Verbraucherseite ausdehnen. Im Gegensatz zu<br />
den traditionellen Medien ermöglicht das Internet e<strong>in</strong>en direkten Dialog zwischen allen<br />
Akteuren der Wertschöpfungskette. Das „Nature & More” Forum möchte <strong>in</strong> der<br />
Zukunft Erzeuger <strong>und</strong> Verbraucher an e<strong>in</strong>em virtuellen Marktstand zusammen br<strong>in</strong>gen,<br />
um so neben der re<strong>in</strong>en Informationsdarstellung auch e<strong>in</strong> konstruktives „Gespräch“<br />
mit gegenseitigem Informationsaustausch zu ermöglichen.<br />
4 Zusammenfassung<br />
EOSTA hat e<strong>in</strong>en sehr hohen Anspruch an die ökologische <strong>und</strong> soziale Qualität sowie<br />
an die Produktqualität ihrer Obst- <strong>und</strong> Gemüsesorten. Mit der konsequenten Bewertung<br />
<strong>und</strong> der langfristigen Sicherung der unterschiedlichen Qualitäten will EOSTA<br />
diesen hohen Qualitätsanspruch verdeutlichen <strong>und</strong> ihre Glaubwürdigkeit erhöhen.<br />
Durch Offenheit <strong>und</strong> Ehrlichkeit soll Vertrauen geschaffen werden. EOSTA erreicht<br />
dieses Ziel <strong>in</strong>sbesondere durch das lückenlose Engagement entlang der gesamten<br />
Wertschöpfungskette vom Erzeuger bis zum Endverbraucher. Die gleichgewichtige<br />
Ausrichtung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten sowohl auf den Beschaffungs- als auch auf den<br />
Absatzmarkt führt dazu, dass EOSTA großes Vertrauen <strong>in</strong> ihre sozial-ökologischen<br />
Produkte hat <strong>und</strong> dieses dem K<strong>und</strong>en auch <strong>in</strong> Form des „Nature & More“ Forums signalisieren<br />
kann. Den zentralen Erfolgsfaktor auf der Beschaffungsseite stellt dabei die<br />
auf lange Sicht angelegte Zusammenarbeit mit den Erzeugern dar. Hieraus ergeben<br />
sich für EOSTA Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern. Auf der Absatzseite<br />
ist das „Nature & More“ Forum im Internet e<strong>in</strong> geeignetes <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument<br />
um die Verbraucher emotional-argumentativ anzusprechen <strong>und</strong> um mehr Transparenz<br />
<strong>und</strong> Glaubwürdigkeit zu signalisieren. Mit Hilfe dieser Eigenschaften hat EOSTA es<br />
geschafft, sich erfolgreich als Großhandelsunternehmen im europäischen Markt für<br />
Bio-Gemüse <strong>und</strong> -Obst zu profilieren <strong>und</strong> etablieren.
196 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />
Literaturverzeichnis<br />
Belz, F.-M. (1995): Ökologie <strong>und</strong> Wettbewerbsfähigkeit <strong>in</strong> der Schweizer Lebensmittelbranche,<br />
Bern, Stuttgart, Wien.<br />
Belz, F.-M. (2001): Integratives Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, Erfolgreiche Vermarktung ökologischer<br />
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Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation<br />
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Migros ist die größte Detailhandelskette der Schweiz. Sie besteht aus 10 Genossenschaften<br />
<strong>und</strong> besitzt über 580 Filialen. Supermärkte, Läden <strong>und</strong> Fachmärkte erwirtschaften<br />
r<strong>und</strong> zwei Drittel des Konzernumsatzes <strong>in</strong> Höhe von 20 Mrd. SFr (Anhang 1).<br />
Migros gilt nach dem IHA GfK Image Barometer als die angesehenste Firma <strong>und</strong> die<br />
bekannteste Marke der Schweiz (Brand Asset Valuator 2003). Bereits der Gründung<br />
der Migros durch Gottlieb Duttweiler lagen starke soziale Motive zu Gr<strong>und</strong>e. Im<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Rank<strong>in</strong>g der Züricher Kantonalbank erreichte Migros fast die höchste<br />
Bewertung (AA auf e<strong>in</strong>er Skala AAA bis C). Migros war e<strong>in</strong>er der Hauptpartner des<br />
Forschungsprojektes Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS).<br />
Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiter<strong>in</strong> der schweizerischen Unternehmensvere<strong>in</strong>igung<br />
für ökologisch bewusstes Wirtschaften sprach mit Fausta Borsani, Projektleiter<strong>in</strong> Ethik<br />
<strong>und</strong> Umwelt bei Migros, über das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Migros-<strong>Praxis</strong>.<br />
2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei Migros<br />
Hildesheimer: Wenn wir der Konzeption des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> folgen, wie<br />
sie Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>in</strong> diesem Buch ausgeführt hat, steht am Anfang die Analyse der<br />
sozial-ökologischen Problemfelder. Als Detailhändler stehen Sie vor der Schwierigkeit,<br />
dass Sie angesichts der Produktvielfalt im Pr<strong>in</strong>zip mit allen Problemen konfrontiert<br />
werden, die durch unseren Konsum verursacht werden. Wie f<strong>in</strong>den Sie als Verantwortliche<br />
für Umwelt <strong>und</strong> Ethik sich <strong>in</strong> diesem Problem-Dickicht zurecht? Auf<br />
welche Weise setzen Sie Tätigkeitsschwerpunkte für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />
Borsani: Wir werden direkt von Anspruchsgruppen (z.B. Nicht-Regierungsorganisationen)<br />
angesprochen <strong>und</strong> erfahren, was sie bewegt <strong>und</strong> womit sie sich beschäftigen.<br />
Aber – das sche<strong>in</strong>t mir noch wichtiger – wir s<strong>in</strong>d alle Menschen mit e<strong>in</strong>em<br />
eigenen Verstand <strong>und</strong> eigenen ethischen Vorstellungen. Jede <strong>und</strong> jeder von uns hat die<br />
Möglichkeit zu erkennen, wo er oder sie <strong>in</strong> dem jeweiligen Arbeitsgebiet Verbesse-
198 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
rungen vorschlagen kann. Daraus – aus dem Gefühl der kollektiven Verantwortung –<br />
s<strong>in</strong>d die meisten Projekte der Migros entstanden: Im Bereich der Betriebsökologie<br />
(z.B. großer E<strong>in</strong>satz für Solarstrom oder für den Schienentransport), im Bereich Beschaffung<br />
(z.B. das Palmölprojekt, unser Engagement beim Kaffee), das sortimentsumfassende<br />
Projekt des Verhaltenskodex Non-Food oder auch die KIDS Schule.<br />
Hildesheimer: Das kl<strong>in</strong>gt nach e<strong>in</strong>em „bottom-up-approach“. Haben Sie besonders<br />
motivierte Mitarbeiter oder fördern Sie gezielt das E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen von eigenen Ideen<br />
durch die Mitarbeiter?<br />
Borsani: Beides: Gute Projekte setzen e<strong>in</strong> gutes Arbeitsklima voraus. Außerdem haben<br />
wir e<strong>in</strong> gutes, breit abgestütztes neues Leitbild (Anhang 2). Der Kernsatz dar<strong>in</strong> lautet:<br />
„Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität<br />
se<strong>in</strong>er K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>setzt.“ Dieses Leitbild wurde von e<strong>in</strong>er<br />
großen Arbeitsgruppe entwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv diskutiert. Es basiert auf den Gr<strong>und</strong>werten<br />
Gottlieb Duttweilers <strong>und</strong> dient als Leitstern für alle Aktivitäten auf allen Stufen.<br />
Hildesheimer: Kennen Sie die Bedürfnisse Ihrer K<strong>und</strong>en?<br />
Borsani: Wir s<strong>in</strong>d am Markt <strong>und</strong> merken unmittelbar, was Konsument<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Konsumenten<br />
wollen. Wir kommunizieren sehr direkt mit ihnen <strong>und</strong> merken zum Beispiel,<br />
wie sie mit dem Portemonnaie entscheiden, was sie kaufen oder eben nicht kaufen. Als<br />
Ergänzung führen wir natürlich auch K<strong>und</strong>enbefragungen durch.<br />
3 Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Hildesheimer: Migros hat e<strong>in</strong>e lange Tradition im H<strong>in</strong>blick auf ethisches Wirtschaften,<br />
von Gottlieb Duttweiler bis heute …<br />
Borsani: Der E<strong>in</strong>satz der Migros, der auf der Gr<strong>und</strong>lage der Ideen des Gründers Gottlieb<br />
Duttweiler gewachsen ist, ist heute immer noch wichtiger Teil der Unternehmenskultur,<br />
e<strong>in</strong>e Art Imprägnierung.<br />
Hildesheimer: Migros macht sich mit diesen hohen Ansprüchen aber gleichzeitig auch<br />
angreifbar. Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Umweltorganisationen oder<br />
Gewerkschaften sie bei „Fehltritten“ ertappen.<br />
Borsani: Das s<strong>in</strong>d die zwei Seiten derselben Medaille bei Migros: E<strong>in</strong>erseits ist sie<br />
Schrittmacher<strong>in</strong>, andererseits exponiert sie sich durch die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den<br />
Anspruchsgruppen. Doch dieser Austausch bewirkt auch etwas, das f<strong>in</strong>de ich gut. Das<br />
ist für mich der Motor des Fortschritts. Kritische Leute geben Impulse.
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 199<br />
Hildesheimer: Wir haben bisher nicht explizit zwischen Food <strong>und</strong> Non-Food unterschieden.<br />
Vor kurzem hat Migros den Verhaltenskodex für Non-Food-Produkte e<strong>in</strong>geführt.<br />
Produzenten, die diesem Kodex, der unter anderem etwa den Verzicht auf K<strong>in</strong>derarbeit<br />
enthält, nicht nachkommen, werden von der Liste gestrichen. Ist dies auch<br />
e<strong>in</strong> Element der Philosophie, das ganze, breite Produktsortiment auch im Non-Food-<br />
Bereich mit sozial-ökologischen Standards anzuheben?<br />
Borsani: Unsere Politik lautet: Wir wollen, dass die Konsument<strong>in</strong> <strong>und</strong> der Konsument<br />
überall <strong>in</strong>s Migros-Regal greifen können <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gutes Gewissen dabei haben. Das<br />
bedeutet doch, dass alle, d.h. auch Non-Food-Produkte <strong>in</strong> der Migros e<strong>in</strong>em m<strong>in</strong>imalen<br />
Standard <strong>in</strong> ökologischer <strong>und</strong> sozialer H<strong>in</strong>sicht entsprechen müssen. Das ist e<strong>in</strong>e Art<br />
E<strong>in</strong>trittspforte <strong>in</strong> die Migros. Konkret bedeutet dies z.B. Eurepgap-Standards im Food-<br />
Bereich (Anhang 3) oder Verhaltenskodex Migros im Non-Food-Bereich (Anhang 4).<br />
Wir wollen gr<strong>und</strong>sätzlich bestehende Lieferantenbeziehungen erhalten. Wir wollen die<br />
Lieferanten durch Beratung <strong>und</strong> Information auf den Standard des Kodex br<strong>in</strong>gen.<br />
Wenn wir aber sehen, dass e<strong>in</strong> Lieferant nicht mitmacht <strong>und</strong> diese Standards nicht<br />
fristgerecht umsetzt, wird ihm <strong>in</strong> letzter Konsequenz gekündigt.<br />
4 Strategisches <strong>und</strong> operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Hildesheimer: Das Unternehmen Migros hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit ökologische <strong>und</strong><br />
soziale Ansprüche, nimmt se<strong>in</strong>e Verantwortung <strong>in</strong>tegral wahr. Aber <strong>in</strong>teressiert denn<br />
das die Konsument<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Konsumenten? Kann e<strong>in</strong> solches Engagement für das<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nutzbar gemacht werden? Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass primär für<br />
Produkte <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrieben werden kann, weniger für Haltungen.<br />
Borsani: Wir gehen da e<strong>in</strong>en anderen Weg. Migros ist immerh<strong>in</strong> die angesehenste <strong>und</strong><br />
bekannteste Marke der Schweiz. Durch unser breites Engagement für Mensch, Tier<br />
<strong>und</strong> Natur laden wir diese Marke Migros auf. Schließlich geht es auch darum, dafür zu<br />
sorgen, dass die Konsumenten weiterh<strong>in</strong> bei uns e<strong>in</strong>kaufen, weil sie uns als verantwortungsvoll<br />
wahrnehmen.<br />
Hildesheimer: Unterstützt Migros sie dabei? Denken Sie an den viel zitierten „Labelsalat“.<br />
Migros wurde vorgeworfen, dass die Vielzahl unterschiedlicher Labels – ich<br />
glaube, es s<strong>in</strong>d 11 Stück – statt Transparenz zu schaffen nur Verwirrung stiften <strong>und</strong> die<br />
Motivation der an sich verantwortungsbewussten Käufer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Käufer eher verr<strong>in</strong>gern<br />
würden.
200 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Borsani: Mit dem Dachlabel „Engagement“ haben wir den so genannten „Labelsalat“<br />
sehr viel transparenter gemacht. Labels wie die 7-Punkte-Fleisch-Garantie (M-7) oder<br />
IP-Suisse haben e<strong>in</strong>e deutliche Differenzierung zur konventionellen Produktion <strong>und</strong><br />
haben e<strong>in</strong>en großen Marktanteil. Labels wie Max Havelaar <strong>und</strong> Bio s<strong>in</strong>d Premium-<br />
Labels, sie haben aber e<strong>in</strong>en sehr kle<strong>in</strong>en Marktanteil. Für Migros ist es vor allem<br />
wichtig, dass viele profitieren, nicht nur wenige. Mit Produkten, die deutlich ökologischer<br />
<strong>und</strong> sozialer als die konventionellen produziert werden, deren Produktionskosten<br />
aber nicht so hoch s<strong>in</strong>d wie bei den Premium-Labels, erreichen wir e<strong>in</strong>e breite Käuferschicht.<br />
Dieser bieten wir e<strong>in</strong>en Mehrnutzen mit e<strong>in</strong>em günstigen Preis-<br />
/Leistungsverhältnis an. Die mittlere Ebene wie M-7 oder IP-Suisse weist zwar weniger<br />
strenge Richtl<strong>in</strong>ien auf, hat aber – weil sie e<strong>in</strong>en größeren Markt abdeckt – viel<br />
bewirkt. Migros will sich nicht nur <strong>in</strong> den Marktnischen der obersten Label positionieren.<br />
Bio-Produkte machen 2,9% des Food-Anteils aus, mit M-7 visieren wir 70% beim<br />
Fleisch an. Das s<strong>in</strong>d doch andere Zahlen <strong>und</strong> sie zeigen die Philosophie der Migros:<br />
Wir wollen den Massenmarkt verbessern – das heißt, den Boden anheben <strong>und</strong> nicht<br />
den Himmel ausbauen. Es ist legitim <strong>und</strong> nötig, auch die H<strong>in</strong>tergründe der „mittleren“<br />
<strong>und</strong> nicht nur der Premium-Labels zu kommunizieren.<br />
Hildesheimer: Konnte durch die E<strong>in</strong>führung des Dachlabels „Engagement“ der Umsatz<br />
gesteigert werden? Gibt es e<strong>in</strong>en Imagegew<strong>in</strong>n?<br />
Borsani: Im Jahr 2003 hatten wir e<strong>in</strong> erneutes Umsatzwachstum mit den Labelprodukten<br />
(Anhang 5). Unsere K<strong>und</strong>schaft hat das Dachlabel „Engagement“ begrüßt <strong>und</strong> verstanden.<br />
Ob wir wegen dem Dachlabel „Engagement“ mehr Chips oder Unterhosen<br />
verkaufen, kann ich nicht sagen. Aber sicher trägt unser E<strong>in</strong>satz auch dazu bei, dass<br />
unser Gesamtumsatz im letzten Jahr wieder gewachsen ist – trotz schwierigem Markt.<br />
Hildesheimer: Sie erwarten e<strong>in</strong> weiteres Wachstum der Engagement-Produkte?<br />
Borsani: Trotz der schwierigen konjunkturellen Lage haben diese Produkte großes<br />
Potenzial. 2010 wollen wir 2,5 Milliarden Franken mit Labelprodukten umsetzen.<br />
Daneben verbessert sich auch die konventionelle Produktion stark. Die großen Konzerne<br />
s<strong>in</strong>d dabei, vermehrt ökologische <strong>und</strong> soziale Basisstandards zu formulieren <strong>und</strong><br />
durchzusetzen (z.B. Chiquita).<br />
Hildesheimer: Gleichzeitig boomt der Umsatz am unteren Ende der Skala, bei<br />
M-Budget. Wie ist das zu verstehen?<br />
Borsani: Mit der Tiefpreisl<strong>in</strong>ie M-Budget wollen wir der starken Nachfrage e<strong>in</strong>er ganzen<br />
Reihe von K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en entsprechen, die bestimmte Artikel zu günsti-
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 201<br />
gen Preisen zu kaufen wünschen. Auch bei M-Budget wollen wir e<strong>in</strong>e gute ökologische<br />
<strong>und</strong> soziale Qualität gewährleisten. Die Preisdifferenz lässt sich durch verschiedene<br />
Faktoren erklären. E<strong>in</strong>mal kalkuliert Migros auf diesen Produkten weniger Marge,<br />
dann ist die Verpackung recht e<strong>in</strong>fach gehalten. Die Rezepturen s<strong>in</strong>d ebenfalls anders<br />
zusammengestellt. Dies führt zu Kostenreduktionen im Produktionsprozess. In<br />
der M-Budget-L<strong>in</strong>ie bieten wir auch meist größere Packungen an, die klar auf Familien<br />
<strong>und</strong> Großhaushalte ausgerichtet s<strong>in</strong>d, was diese Artikel ebenfalls vergünstigt. Ansonsten<br />
unterliegen die Produkte der gleichen Qualitätskontrolle wie unser gesamtes<br />
Sortiment. Mit dem M-Budget-Sortiment geht es Migros weniger darum, neue Käuferschichten<br />
zu erschließen, sondern darum, die bestehenden - speziell <strong>in</strong> ökonomisch<br />
schwierigen Zeiten - nicht an Discounter zu verlieren. Dieses Ziel konnte erreicht werden.<br />
Hildesheimer: Wie b<strong>in</strong>den Sie denn Engagement-Produkte <strong>in</strong> Ihre Werbekampagnen<br />
e<strong>in</strong>? Gibt es e<strong>in</strong>e bestimmte Engagement-Quote (z.B. 10% der Sonderangebote s<strong>in</strong>d<br />
Engagement-Produkte)? Oder werden diese Produkte mit eigenständigen Kampagnen<br />
beworben?<br />
Borsani: Es gibt ke<strong>in</strong>e Quoten. Wir machen eigenständige Kampagnen, um die H<strong>in</strong>tergründe<br />
<strong>und</strong> die Bedeutung von „Engagement“ zu erklären.<br />
Hildesheimer: Erfordern die Engagement-Produkte besondere Anstrengungen <strong>in</strong> der<br />
Distribution? In welcher Größenordnung schlägt sich dies im Preis wieder?<br />
Borsani: Das ist von Produkt zu Produkt sehr verschieden. Ziel bleibt es, der Konsument<strong>in</strong><br />
<strong>und</strong> dem Konsumenten unabhängig vom Portemonnaie ethisch gute Produkte<br />
anzubieten. Natürlich kostet die E<strong>in</strong>führung neuer Standards, es geht um höhere Logistikkosten,<br />
es geht um Qualitätssicherung, es geht um Kontrollkosten. Bessere Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />
schlagen sich aber nicht immer im Verkaufspreis nieder, weil e<strong>in</strong><br />
besseres Management aus ethischer Sicht auch häufig hilft, <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht zu<br />
sparen.<br />
5 Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Hildesheimer: Im Lebensmittel-Workshop auf dem St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>management<br />
am 25.11.2003 waren mehrheitlich ausländische Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> Teilnehmer anwesend. Wiederholt wurde auf den „Sonderfall Schweiz“ verwiesen.<br />
Migros <strong>und</strong> Coop beherrschen den Markt <strong>und</strong> liefern sich nicht nur e<strong>in</strong>en Kampf<br />
um die Umsatz-Spitzenposition, sondern – das wurde beneidet – auch um die Position<br />
als <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leader. Können Sie diese Beobachtung kommentieren?
202 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Borsani: Die Beobachtung stimmt. Und das br<strong>in</strong>gt die Nachhaltigkeit sicher weiter.<br />
Hildesheimer: Trotzdem liegt auch <strong>in</strong> der Schweiz das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Gold nicht auf<br />
der Straße. Sie nannten 2.9% Bio-Anteil bei Lebensmitteln, das Bedürfnis von K<strong>und</strong>en<br />
nach billigen Produkten. Was unternimmt Migros jenseits strategisch-operativer Maßnahmen,<br />
um die Grenzen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu verschieben, den potenziellen<br />
Markt für nachhaltige Produkte zu vergrößern?<br />
Borsani: Migros war an vielen politischen Veränderungen <strong>in</strong> der Schweiz beteiligt.<br />
Wir haben die Schweizer Landwirtschaftspolitik bereits vor Jahren durch die <strong>in</strong>tegrierte<br />
Produktion (IP) revolutioniert. Diese wurde von Migros lanciert <strong>und</strong> ist heute <strong>in</strong> der<br />
Schweizer Landwirtschaft Standard. Wir haben die Tierhaltung auf breiter Basis verbessert<br />
(7-Punkte-Fleisch-Garantie). Nun s<strong>in</strong>d wir daran, dasselbe bei den tropischen<br />
Gütern wie dem Palmöl zu tun. Dies s<strong>in</strong>d wichtige Beispiele für das so genannte transformative<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, wo die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen verändert werden<br />
<strong>und</strong> so der E<strong>in</strong>fluss weit über die eigenen Unternehmensgrenzen h<strong>in</strong>aus ausgedehnt<br />
wird.<br />
6 Das Palmöl-Projekt<br />
Hildesheimer: Das ist e<strong>in</strong> gutes Stichwort. Mir sche<strong>in</strong>t, dass an diesem Palmöl-Projekt<br />
sehr viel von dieser schon oft zitierten Migros-Philosophie sichtbar wird. Wie kamen<br />
Sie denn auf das Palmöl?<br />
Borsani: Palmöl ist e<strong>in</strong> Rohstoff, der <strong>in</strong> den unterschiedlichsten Endprodukten vorkommt,<br />
z.B. <strong>in</strong> Backwaren, Fertigsuppen, aber auch <strong>in</strong> Kosmetika. Die Produktion des<br />
Rohstoffs ist sehr häufig verknüpft mit erheblichen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problemen<br />
(z.B. Brandrodungen <strong>und</strong> Verlust der Subsistenzgr<strong>und</strong>lagen). 1999 beendete der<br />
Tages-Anzeiger e<strong>in</strong>en Bericht über die Problematik mit den Worten: „Die ahnungslosen<br />
Konsumenten des Palmöls sitzen <strong>in</strong> Europa. Dieselben umweltbewussten Bürger,<br />
die e<strong>in</strong>en Importboykott für Tropenhölzer aus nicht nachhaltigem Anbau unterstützten,<br />
verspeisen den Regenwald zum Frühstück, schmieren ihn auf ihre Lippen <strong>und</strong> halten<br />
ihre delikaten Hände zart.“<br />
Hildesheimer: Was hat Migros hieraus für Schlüsse gezogen?<br />
Borsani: Migros kontaktierte den WWF Schweiz, als sich die Umweltorganisation<br />
selber mit dem Thema zu beschäftigen begann. Wir erarbeiteten zusammen mit engagierten<br />
Umweltfachleuten Kriterien für e<strong>in</strong>en verantwortungsvollen Anbau von Palmöl.<br />
Nachhaltiges Palmöl stammt nicht aus Plantagen, für die kürzlich Naturwald gero-
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 203<br />
det wurde. Die Plantage muss möglichst alle Auswirkungen des Palmölanbaus auf die<br />
natürliche Umwelt untersuchen <strong>und</strong> Pläne zur M<strong>in</strong>imierung der negativen Auswirkungen<br />
ausarbeiten. Der verbleibende natürliche Wald wird geschützt. Faire Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Muss, ausbeuterische K<strong>in</strong>derarbeit ist verboten. Die Plantage muss<br />
sich mit weiteren sozialen Auswirkungen ause<strong>in</strong>ander setzen. Diese betreffen Fragen<br />
wie Landzugang, Wanderbewegungen <strong>in</strong> <strong>und</strong> aus e<strong>in</strong>er Region, Nahrungsmittelbeschaffung,<br />
Sicherheit, Ges<strong>und</strong>heit sowie kulturelle E<strong>in</strong>flüsse.<br />
Hildesheimer: Frank-Mart<strong>in</strong> Belz zeigte am Beispiel der Kaffeeproduktion, wie den<br />
ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problemen mit e<strong>in</strong>em Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkt umfassend<br />
begegnet werden kann. Ist Ihr Palmöl ohne biologischen Anbau überhaupt nachhaltig?<br />
Borsani: Bio <strong>und</strong> Fair Trade alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Fall ke<strong>in</strong>e optimale Lösung. Sehen<br />
Sie: Es ist möglich, e<strong>in</strong> Stück Regenwald zu roden, <strong>und</strong> darauf e<strong>in</strong>e Bio-Plantage zu<br />
errichten. Somit kann mit Bio alle<strong>in</strong> die Zerstörung des Tropenwaldes nicht aufgehalten<br />
werden. Außerdem werden die meisten Plantagen aufgr<strong>und</strong> der höheren Produktionskosten<br />
<strong>in</strong> nächster Zukunft nicht auf Bio umsteigen. Da müssen wir die Frage beantworten:<br />
Wollen wir drei Plantagen weltweit oder wollen wir die Palmölproduktion<br />
auf den großen Flächen etwa <strong>in</strong> Malaysia <strong>und</strong> Indonesien nachhaltig verändern? Wollen<br />
wir die wertvollen verbleibenden Naturwaldgebiete schnell schützen, <strong>in</strong>dem wir<br />
alle Akteure e<strong>in</strong>beziehen? Die Antwort hieß für uns: Möglichst viel, möglichst gut,<br />
möglichst schnell. Unter dieser Voraussetzung kann man zwar Bio anvisieren, aber<br />
nicht sofort vorschreiben. Bio kostet pro Tonne 1000 SFr. mehr als der Weltmarktpreis,<br />
das wäre ökonomisch nicht tragbar für die Industrie. Und wir wollten ja die ganze<br />
<strong>in</strong>dustrielle Produktion im Food-Bereich möglichst schnell umstellen, um auch <strong>in</strong>ternational<br />
Signale zu senden. Wir wollten nicht e<strong>in</strong> paar tugendhafte Produkte verwirklichen,<br />
sondern e<strong>in</strong>e neue Beschaffungspolitik für das gesamte Palmöl von Migros<br />
realisieren.<br />
Hildesheimer: Das Palmölprojekt gelang, weil e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der Migros die Verantwortlichen<br />
für Produktion, Detailhandel <strong>und</strong> Nachhaltigkeit ganz nahe beie<strong>in</strong>ander<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> andererseits weil <strong>in</strong>tensive Beziehungen zu den Anspruchsgruppen bestehen<br />
(Umweltorganisationen, Interessenvertreter von sozialen Gruppen etc.). Heute ist der<br />
gesamte Eigenbedarf der Migros im Nahrungsmittelbereich aus nachhaltiger Produktion.<br />
Können Sie weitere Erfolgsfaktoren beschreiben, weshalb dieses doch sehr anspruchsvolle<br />
Projekt <strong>in</strong> überraschend kurzer Zeit umsetzungsreif war?
204 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Borsani: Wir haben das Glück, e<strong>in</strong>e Eigen<strong>in</strong>dustrie zu haben, das heißt, sobald Migros<br />
als Ganzes überzeugt war, das Projekt durchzuführen, konnte man loslegen <strong>und</strong> anders<br />
e<strong>in</strong>kaufen. Das wird bei den Lieferanten von Produkten, die wir nicht selbst herstellen,<br />
langwieriger se<strong>in</strong>.<br />
Hildesheimer: In der Schweiz hat sich nun auch Coop entschlossen, Palmöl aus nachhaltiger<br />
Produktion e<strong>in</strong>zusetzen. Und die Idee wird weiter <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus getragen:<br />
Zusammen mit dem WWF wurde e<strong>in</strong> „R<strong>und</strong>er Tisch“ mit vielen betroffenen Akteuren<br />
<strong>in</strong>itiiert. Man versucht analog zur <strong>in</strong>tegrierten Produktion (IP) diesmal die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
auf dem <strong>in</strong>ternationalen Parkett zu bee<strong>in</strong>flussen. Hat dieser „R<strong>und</strong>e Tisch“<br />
schon etwas bewirken können?<br />
Borsani: Zusammen mit dem WWF <strong>und</strong> anderen wichtigen Akteuren der Palmöl<strong>in</strong>dustrie<br />
hat Migros im August 2003 e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Konferenz zum Thema Palmöl organisiert.<br />
Deren Ziel war die Förderung der Produktion <strong>und</strong> Nachfrage von nachhaltigem<br />
Palmöl. In diesem Fall wurde für die nachhaltige Gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>es wichtigen<br />
Rohstoffes e<strong>in</strong> Lösungsprozess e<strong>in</strong>geleitet, an dem wirklich alle <strong>in</strong>teressierten <strong>und</strong> betroffenen<br />
Parteien teilnahmen. Nun werden weitere konkrete Schritte folgen. Als<br />
nächstes s<strong>in</strong>d die Formulierung <strong>und</strong> die Umsetzung geme<strong>in</strong>samer Regeln geplant. Diese<br />
Regeln werden ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte e<strong>in</strong>schließen, wie auch die geeigneten<br />
Gebiete für Neupflanzungen def<strong>in</strong>ieren, damit der natürliche Tropenwald <strong>in</strong>takt<br />
bleibt. Das Beispiel hat gezeigt, dass e<strong>in</strong>e nachhaltige Produktion von Palmöl möglich<br />
ist. Die Migros-Kriterien für nachhaltiges Palmöl sowie die Erfahrungen, welche wir<br />
gemacht haben, werden hierzu e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag liefern.<br />
Hildesheimer: Und was sagen die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en? Kann Migros <strong>in</strong> Bereichen<br />
aktiv se<strong>in</strong>, wo diese von sich aus gar ke<strong>in</strong>e Bedürfnisse haben? Kann Migros hier aufklären<br />
<strong>und</strong> letztlich sogar neue Bedürfnisse schaffen? Oder konkret gefragt: Gehen Sie<br />
davon aus, dass die Investitionen <strong>in</strong> das Palmöl-Projekt rentabel werden, weil mehr<br />
entsprechende Margar<strong>in</strong>e verkauft wird?<br />
Borsani: Natürlich muss Migros immer e<strong>in</strong>en Schritt voraus denken, gerade weil sie<br />
auf <strong>in</strong>ternationalen Märkten aktiv ist <strong>und</strong> sie sehr sensibilisiert ist auf Probleme, die<br />
mit der Beschaffung zusammenhängen. Unsere Kommunikation beschränkt sich deswegen<br />
nicht auf klassische Werbung. Wir br<strong>in</strong>gen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>berichte <strong>in</strong> unseren Eigenmedien,<br />
<strong>in</strong>formieren Medienschaffende umfassend <strong>und</strong> ohne zu beschönigen über<br />
Probleme <strong>und</strong> Lösungsansätze, über Fortschritte <strong>und</strong> Rückschläge. Es ist bei diesen<br />
Projekten nicht wichtig, mehr Margar<strong>in</strong>e zu verkaufen, obwohl wir sicher die nachhaltigste<br />
Margar<strong>in</strong>e auf dem Markt haben (lacht), sondern die Marke Migros aufzuladen:
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 205<br />
Migros setzt sich Ziele, versucht überall, wo sie kann, Verantwortung zu übernehmen,<br />
Verbesserungen zu erreichen, Probleme zu lösen.<br />
Hildesheimer: Sie sagen, wo Migros kann. Wo können Sie? Was ist Ihre Strategie zur<br />
Festlegung von Schwerpunkten?<br />
Borsani: E<strong>in</strong>erseits überlegen wir uns, wo wir uns engagieren können, wo unsere Verantwortung<br />
im Feld der Nachhaltigkeit liegt. Wir stellen also den Zusammenhang dar<br />
zwischen unserem Kerngeschäft, der Beschaffung <strong>und</strong> dem Wiederverkauf von Waren,<br />
<strong>und</strong> den Imperativen der Nachhaltigkeit: Soziale Beschaffung, ökologische Produktion<br />
<strong>und</strong> Erfolg am Markt. Aus diesen drei Gesichtspunkten leiten wir unsere Strategie<br />
ab. So ist die Entstehung des Dachlabels „Engagement“ zu erklären, welches der<br />
K<strong>und</strong>schaft den Mehrnutzen des gelabelten Produkts, aber auch die Orientierung im<br />
Laden, sowie vertiefte H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>s<strong>in</strong>formation br<strong>in</strong>gt. Aus der stetigen Analyse der<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme, mit denen wir als<br />
Beschaffer konfrontiert werden, entstehen dann auch Projekte, die e<strong>in</strong>en eher transformativen<br />
Charakter haben wie z.B. das Palmölprojekt. Die Projekte von Migros s<strong>in</strong>d<br />
zwar e<strong>in</strong>erseits pionierhaft, aber immer auch sehr realistisch. Es werden alle Aspekte<br />
analysiert, bevor e<strong>in</strong> Produkt auf den Markt gelangt: Kann man das Projekt über e<strong>in</strong>e<br />
längere Zeit durchziehen, kann man es auch weiterverfolgen, wenn die Konjunktur<br />
schlecht läuft? Auch <strong>in</strong> den letzten zwei, drei Jahren der Konjunkturflaute hat Migros<br />
an solchen Projekten festgehalten. Das kann man auch als nachhaltig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ökonomischen<br />
S<strong>in</strong>ne sehen, denn nur glaubwürdige Unternehmen bestehen im Konkurrenzkampf.<br />
Hildesheimer: Zum Abschluss: Im bereits erwähnten Workshop wurden die Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> Teilnehmer gefragt, welche Erfolgsfaktoren für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wichtig s<strong>in</strong>d. Zwei Begriffe wurden als absolut zentral <strong>und</strong> unabd<strong>in</strong>gbar<br />
genannt: Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Durchhaltevermögen. Haben Sie dem noch etwas h<strong>in</strong>zuzufügen?<br />
Borsani: Mut, etwas anzupacken, auch wenn die Lösung noch nicht perfekt ist <strong>und</strong><br />
man sich Kritiken aussetzt. Demut, auch mal e<strong>in</strong>e Entscheidung zu überdenken.
206 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Anhang 1: Migros <strong>in</strong> Kürze<br />
Die Migros …<br />
… wurde 1925 von Gottlieb Duttweiler <strong>in</strong> der Schweiz gegründet.<br />
… fühlt sich hohen sozialen <strong>und</strong> ökologischen Werten verpflichtet.<br />
… ist die grösste Detailhandelskette <strong>in</strong> der Schweiz.<br />
… hat über 580 Filialen.<br />
… besteht aus 10 regionalen Genossenschaften.<br />
… hat zentrale Unternehmens-Funktionen im Migros-Genossenschaftsb<strong>und</strong> zusammengefasst.<br />
… besitzt Supermärkte, Läden <strong>und</strong> Fachmärkte (zwei Drittel des Konzernumsatzes)<br />
sowie die Globus-Gruppe, Produktionsbetriebe <strong>und</strong> Dienstleistungsunternehmen<br />
(e<strong>in</strong> Drittel des Konzernumsatzes).<br />
… hatte 2003 e<strong>in</strong>en Konzernumsatz von r<strong>und</strong> 20 Mrd. SFr.<br />
… beschäftigt 81.600 Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter.<br />
… ist <strong>in</strong> der Schweiz die angesehenste Firma <strong>und</strong> die preisgünstigste Marke.<br />
Quelle:<br />
Food:<br />
9.9 Mrd.<br />
SFr.<br />
Aufteilung des Detailhandelumsatzes<br />
Non-Food:<br />
5.3 Mrd.<br />
SFr.<br />
http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=901
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 207<br />
Anhang 2: Unternehmensleitbild <strong>und</strong> -gr<strong>und</strong>sätze von Migros<br />
"Unser Engagement für die Lebensqualität"<br />
Leitsatz:<br />
Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität<br />
se<strong>in</strong>er K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>setzt.<br />
Migros 2010: Unternehmensauftrag<br />
Als Schrittmacher<strong>in</strong> am Markt wollen wir unsere Marktführerschaft ausbauen, <strong>in</strong>dem<br />
wir unser Leistungsangebot für unsere K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en noch attraktiver machen.<br />
Im kulturellen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Engagement bleiben wir beispielhaft.<br />
K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en: Unser Engagement<br />
Wir bieten Qualitätsprodukte <strong>und</strong> -dienstleistungen zu günstigen Preisen an.<br />
Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter: Unser Engagement<br />
Als vorbildliche Arbeitgeber<strong>in</strong> schaffen wir Voraussetzungen für e<strong>in</strong> motivierendes<br />
<strong>und</strong> leistungsorientiertes Arbeitsklima, das die besten Kräfte anzieht.<br />
Lieferanten: Unser Engagement<br />
(…) Wir verbessern Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen laufend <strong>und</strong> setzen zudem ökologische<br />
<strong>und</strong> soziale Standards bei Arbeits- <strong>und</strong> Produktionsbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Genossenschafter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Genossenschafter: Unser Engagement<br />
Gegenüber unseren Genossenschafter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Genossenschaftern verpflichten wir<br />
uns Werte zu schaffen, die den langfristigen <strong>und</strong> unabhängigen Fortbestand der Migros<br />
sicherstellen.<br />
Gesellschaft: Unser Engagement<br />
(…) Mit dem Kulturprozent unterstützen wir e<strong>in</strong>erseits das aktive künstlerische Schaffen<br />
<strong>und</strong> damit die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Gesellschaft, andererseits fördern wir<br />
den breiten Zugang zu Kultur <strong>und</strong> Bildung. (…)<br />
(…)<br />
Quelle:<br />
Unternehmensleitbild von Migros, Download unter:<br />
http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=451
208 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Anhang 3: Migros-Verhaltenskodex Non-Food<br />
Aus der Präambel:<br />
"Migros trägt e<strong>in</strong>e große Verantwortung für alle Aktivitäten des Unternehmens weltweit<br />
(…). Migros anerkennt, dass diese Verantwortung sich auf alle ArbeitnehmerInnen<br />
erstreckt, die Produkte für die Migros herstellen, unabhängig davon, ob sie Beschäftigte<br />
von Migros s<strong>in</strong>d oder nicht.<br />
Um E<strong>in</strong>fluss auf sozialverträgliche Produktionsbed<strong>in</strong>gungen zu nehmen <strong>und</strong> damit<br />
e<strong>in</strong>e Verbesserung der Lebensverhältnisse <strong>in</strong> den Produktionsländern zu bewirken, hat<br />
Migros e<strong>in</strong>en Verhaltenskodex entwickelt. Diesem Verhaltenskodex s<strong>in</strong>d weltweit alle<br />
Kontraktnehmer der Migros im Bereich Non-Food unterworfen. (…)<br />
Migros (…) möchte bestehende Geschäftsbeziehungen aufrecht erhalten (…) <strong>und</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />
der nächsten Jahre e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Verbesserung erreichen. Dadurch werden<br />
unsere Kontraktnehmer auf bestehende <strong>und</strong> zukünftige Markt- <strong>und</strong> gesetzliche<br />
Anforderungen vorbereitet. Die Sozialperformance unserer Kontraktnehmer <strong>und</strong> ihrer<br />
Hersteller soll systematisch verbessert <strong>und</strong> Boykotteffekte vermieden werden. (…)<br />
Die Sozial-Kriterien werden <strong>in</strong> zwei Schritten erreicht. Sowohl «Basis-» wie auch<br />
«Optimierungskriterien» müssen erfüllt werden. (…)"<br />
Der Verhaltenskodex umfasst Angaben zu folgenden Sozial-Standards:<br />
� Gewerkschaftsfreiheit<br />
� Gleichbehandlung/Verbot der Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />
� Entlohnung<br />
� Arbeitszeiten<br />
� Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sicherheit<br />
� Beschäftigungssicherheit<br />
� Verbot von K<strong>in</strong>derarbeit<br />
� Freiwillige Beschäftigung.<br />
Die Lieferanten müssen sich zur E<strong>in</strong>haltung des Migros Verhaltenskodex Non-Food<br />
verpflichten. Dies be<strong>in</strong>haltet z.B. auch das Recht der Migros, <strong>in</strong> den Betrieben Audits<br />
durchführen zu dürfen.<br />
Quelle:<br />
Migros: Verhaltenskodex Non-Food, Download unter:<br />
http://www.miosphere.ch/d/library/pdf/Verhaltenskodex_d.pdf
Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 209<br />
Anhang 4: Umsätze Engagement-Produkte (2003)<br />
Quelle:<br />
7-Punkte-Fleisch-Garantie: 657,5 Mio. Franken<br />
Migros-Bio: 285,6 Mio. Franken<br />
IP-Suisse: 224,4 Mio. Franken<br />
Max Havelaar: 50,5 Mio. Franken<br />
Delph<strong>in</strong> Safe: 29,1 Mio. Franken<br />
Mar<strong>in</strong>e Stewardship Council (MSC): 12,4 Mio. Franken<br />
Eco: 410,8 Mio. Franken<br />
Bio-Baumwolle: 3,7 Mio. Franken<br />
Mioplant natura: 115,2 Mio. Franken<br />
Forest Stewardship Council (FSC): 28,2 Mio. Franken<br />
http://www.engagement.ch/d/produkte/labels.php3
210 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />
Anhang 5: EUREPGAP "Obst <strong>und</strong> Gemüse"<br />
EUREGAP ist e<strong>in</strong> weltweiter Produktionsstandard für Obst <strong>und</strong> Gemüse für <strong>in</strong>ternationale<br />
Zertifizierung, akkreditiert nach ISO 65 (EN 45011).<br />
EUREPGAP startete 1997 als Initiative des Lebensmittele<strong>in</strong>zelhandels (LEH) <strong>und</strong><br />
wird <strong>in</strong>zwischen von Vertretern der gesamten Lebensmittelkette des Obst- <strong>und</strong> Gemüsesektors<br />
getragen. E<strong>in</strong> technischer Beirat, bestehend aus Mitgliedern der E<strong>in</strong>zelhandels-<br />
<strong>und</strong> Erzeuger/Lieferantenstufe, ist verantwortlich für die korrekte <strong>und</strong> effiziente<br />
Umsetzung <strong>und</strong> die ständige Verbesserung von EUREPGAP.<br />
EUREPGAP ist e<strong>in</strong> Weg zur Anwendung des Integrierten Pflanzenschutzes (IPS) <strong>und</strong><br />
des Integrierten Pflanzenbaus (IPB). Die Anwendung von IPS/IPB wird von den EU-<br />
REPGAP Mitgliedern als notwendig für die Verbesserung <strong>und</strong> Nachhaltigkeit der<br />
landwirtschaftlichen Produktion angesehen. EUREPGAP unterstützt die Pr<strong>in</strong>zipien der<br />
Gefahrenanalyse (HACCP) <strong>und</strong> fördert deren Anwendung.<br />
Alle Produzenten müssen darlegen können, dass sie die sie betreffenden Vorschriften<br />
nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Rechts e<strong>in</strong>halten. Alle Produzenten sollten darlegen<br />
können, dass sie sich gegenüber folgenden Punkten verpflichtet fühlen:<br />
a) Wahrung des Verbrauchervertrauens <strong>in</strong> die Qualität von Lebensmitteln<br />
b) M<strong>in</strong>imierung von negativen E<strong>in</strong>flüssen auf die Umwelt<br />
c) Reduzierung des E<strong>in</strong>satzes von Pflanzenschutzmitteln<br />
d) Effizienzsteigerung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen<br />
e) Verantwortliches Handeln im H<strong>in</strong>blick auf die Ges<strong>und</strong>heit der Beschäftigten.<br />
Erzeugergeme<strong>in</strong>schaften oder E<strong>in</strong>zelerzeuger erhalten die EUREPGAP Anerkennung<br />
durch das EUREPGAP Zertifikat, welches von e<strong>in</strong>er EUREPGAP anerkannten Zertifizierungsstelle<br />
ausgestellt wird. EUREPGAP anerkannte Zertifizierungsstellen werden<br />
regelmäßig geschult <strong>und</strong> geprüft <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d auf der EUREPGAP Website <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aktuellen<br />
Liste veröffentlicht. Bestehende nationale oder regionale Qualitätssicherungssysteme<br />
können durch e<strong>in</strong> spezielles Anerkennungsverfahren, die Benchmark<strong>in</strong>g Option,<br />
ihre Übere<strong>in</strong>stimmung mit den EUREPGAP Anforderungen nachweisen. Dadurch<br />
werden Mehrfachaudits beim Produzenten vermieden <strong>und</strong> die Entwicklung von regionalen<br />
Qualitätssicherungssystemen des <strong>in</strong>tegrierten Anbaus vorangetrieben.<br />
Quelle:<br />
http://www.eurep.or
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen<br />
Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen<br />
Andreas Walser<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />
modernen Gesellschaft des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts von großer wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong><br />
ökologischer Bedeutung. Alle<strong>in</strong> das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste<br />
betrug im Jahr 2001 <strong>in</strong> den EU-Ländern <strong>und</strong> der Schweiz r<strong>und</strong> 225 Mrd. Euro, wovon<br />
85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste entfallen. Insbesondere der Markt für Mobilfunk<br />
weist e<strong>in</strong> sehr dynamisches Wachstum auf. In Abbildung 1 wird die Entwicklung des<br />
schweizerischen Mobilfunkmarktes 1993-2001 dargestellt. Daraus geht hervor, dass<br />
das schweizerische Gesamtvolumen von Handys 2001 bei über 5.000.000 Mio. <strong>und</strong> die<br />
Penetrationsrate bei r<strong>und</strong> 75% lag.<br />
6.000.000<br />
5.000.000<br />
4.000.000<br />
3.000.000<br />
2.000.000<br />
1.000.000<br />
0<br />
Jan 93<br />
Jan 94<br />
Jan 95<br />
Jan 96<br />
Jan 97<br />
Jan 98<br />
Jan 99<br />
Jan 00<br />
Marktvolumen Penetration <strong>in</strong> %<br />
Abbildung 1: Penetration <strong>und</strong> Teilnehmerzahl im Schweizer Mobilfunkmarkt<br />
(Quelle: B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003, S. 66)<br />
Jan 01<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%
212 Andreas Walser<br />
Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Anbietern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese <strong>in</strong> der Zwischenzeit aus der<br />
Sicht der K<strong>und</strong>en bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. In der Folge entwickelte<br />
sich e<strong>in</strong> harter Preiskampf, um bestehende K<strong>und</strong>en halten <strong>und</strong> neue gew<strong>in</strong>nen<br />
oder von der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich e<strong>in</strong>e Stabilisierung<br />
der Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt,<br />
dass sich die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen<br />
werden (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003, S. 54-56 <strong>und</strong> S. 69-73). E<strong>in</strong>e solche<br />
Möglichkeit besteht im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Mobiltelefone.<br />
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob sich ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte<br />
als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen <strong>und</strong> ob diese aus der Sicht des<br />
K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert stiften. Dabei wird untersucht, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form bei<br />
Mobiltelefonen e<strong>in</strong>e Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong><br />
den K<strong>und</strong>enwünschen besteht. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt werden die ökologischen Belastungen<br />
<strong>und</strong> sozialen Aspekte von Mobiltelefonen analysiert (Kap. 2). Die Ergebnisse<br />
basieren auf Dokumentenanalysen <strong>und</strong> halbstrukturierten, offenen Interviews mit Experten<br />
aus der Mobilfunkbranche. Im zweiten Schritt werden die K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />
respektive -wünsche untersucht (Kap. 3). In e<strong>in</strong>em dritten Schritt werden die Schnittmenge<br />
zwischen sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen ausgelotet<br />
sowie Handlungsfelder für Mobilfunkanbieter identifiziert (Kap. 4).<br />
2 Sozial-ökologische Probleme von Mobiltelefonen<br />
Bei den sozial-ökologischen Problemen kann unterschieden werden zwischen wissenschaftlichen<br />
Analysen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der Wahrnehmung bzw. Interpretation dieser Analysen<br />
durch die K<strong>und</strong>en andererseits (Dyllick/Belz 1994, S. 22-26; Schneidew<strong>in</strong>d<br />
1995, S. 49-53; Dyllick/Belz/Schneidew<strong>in</strong>d 1997, S. 10-12 <strong>und</strong> S. 28-30). Erstere<br />
wurden mittels Literaturanalysen recherchiert. Die darauf basierenden Erkenntnisse,<br />
<strong>in</strong>sbesondere die ökologische Belastungsmatrix, wurden zusätzlich durch Interviews<br />
<strong>und</strong> Diskussionsr<strong>und</strong>en mit Experten e<strong>in</strong>er Konsensvalidierung unterzogen. Die<br />
Wahrnehmung der K<strong>und</strong>en, die für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Bedeutung ist, wurde durch<br />
Literaturrecherche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e eigene Umfrage erhoben. Die Umfrage wurde im Sommer<br />
2003 mittels e<strong>in</strong>es standardisierten Fragebogens durchgeführt (Walser 2004). Der Fragebogen<br />
bestand aus <strong>in</strong>sgesamt 10 Fragen <strong>und</strong> Unterfragen zu den Teilbereichen Produkte,<br />
Dienstleistungen <strong>und</strong> Sponsor<strong>in</strong>g, sowie Angaben zu Geschlecht <strong>und</strong> Alter der<br />
jeweils befragten Personen. Befragt wurden K<strong>und</strong>en vor den Swisscom Shops der<br />
Städte Genf, Freiburg (Schweiz), Bern, St. Gallen <strong>und</strong> Thun. Insgesamt haben 104
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 213<br />
Personen den Fragenbogen vollständig ausgefüllt. Die Studie ist als explorativ <strong>und</strong><br />
nicht repräsentativ anzusehen. Gut e<strong>in</strong> Drittel der Befragten waren Frauen. Die meisten<br />
der Befragten lagen im Alter von 20 bis 60 Jahren.<br />
Ökologische Belastungen – Analyse<br />
Die ökologischen Belastungen e<strong>in</strong>es Mobiltelefons von der Rohstoffentnahme bis zur<br />
Entsorgung lassen sich <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er ökologischen Belastungsmatrix darstellen<br />
(Tab. 1). Auf der horizontalen Achse der Belastungsmatrix f<strong>in</strong>den sich die verschiedenen<br />
Stufen des Produktlebenszyklus <strong>und</strong> auf der vertikalen Achse die unterschiedlichen<br />
Belastungsdimensionen wieder. Die weißen Felder entsprechen e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen,<br />
die grauen e<strong>in</strong>er mittleren <strong>und</strong> die schwarzen Felder e<strong>in</strong>er hohen Belastung. Auf diese<br />
Weise lassen sich die größten ökologischen Belastungen aufzeigen: Energieverbrauch<br />
bei der Herstellung <strong>und</strong> der Nutzung, der Ressourcenverbrauch sowie die Entsorgung<br />
des Mobiltelefons.<br />
Abfall<br />
Ökosysteme<br />
Luft<br />
Lärm<br />
Energie<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Ressourcenverbrauch<br />
Rohstoff- &<br />
Komponentenherstellung<br />
Transport Montage &<br />
Herstellung<br />
Nutzung &<br />
Betrieb<br />
Entsorgung<br />
Ger<strong>in</strong>ge Umweltbelastung Mittlere Umweltbelastung Hohe Umweltbelastung<br />
Tabelle 1: Ökologische Belastungsmatrix von Mobiltelefonen<br />
(Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Dyllick/Belz 1994, S. 23)
214 Andreas Walser<br />
Betrachtet man den Energieverbrauch e<strong>in</strong>es Mobiltelefons entlang des gesamten Lebenszyklus,<br />
so kann festgestellt werden, dass über 50% der Energie für die Rohmaterialien<br />
<strong>und</strong> Herstellung der Komponenten verbraucht wird vor allem für Leiterplat<strong>in</strong>en<br />
<strong>und</strong> Mikroprozessoren. Etwas weniger als 50% des Gesamtenergieverbrauchs wird <strong>in</strong><br />
der Nutzungsphase des Mobiltelefons benötigt. Die Produktion beim Mobiltelefon-<br />
Hersteller hat nur sehr ger<strong>in</strong>ge Auswirkungen auf das Gesamtresultat (Stutz o.J.). Der<br />
Energieverbrauch <strong>in</strong> der Nutzungsphase wird stark durch das Konsumentenverhalten<br />
bee<strong>in</strong>flusst. Hier wird Energie für das Aufladen der Akkus benötigt, wobei technische<br />
Eigenheiten der Ladegeräte ebenfalls e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Auch im Stand-by-Betrieb<br />
verbrauchen Ladegeräte Energie. Durch das Wegnehmen des Ladegerätes vom Netz<br />
während der Nicht<strong>in</strong>anspruchnahme der Ladeleistung könnte <strong>in</strong> diesem Bereich bis zu<br />
20% des Energieverbrauchs gespart werden.<br />
E<strong>in</strong> wichtiger ökologischer Aspekt von Mobiltelefonen ist ihre materielle Zusammensetzung.<br />
Moderne Handys zeichnen sich trotz ihrer ger<strong>in</strong>gen Maße <strong>und</strong> Größe durch<br />
e<strong>in</strong>e hohe Materialvielfalt aus. In der prozentualen Zusammensetzung haben Kunststoffe<br />
<strong>in</strong> Gehäuse, Leiterplatten <strong>und</strong> Komponenten mit fast 60% den größten Anteil.<br />
Der vergleichbar hohe Anteil von Edelmetallen (ca. 25%) ist e<strong>in</strong> weiteres charakteristisches<br />
Merkmal. Neben Kupfer <strong>und</strong> Kupferlegierungen, die etwa 16% ausmachen,<br />
f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>e Vielzahl anderer Metalle <strong>und</strong> Legierungen (Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002,<br />
S. 8). Beim Recycl<strong>in</strong>g spielt die Materialvielfalt <strong>und</strong> die Beigabe teils toxischer Elemente<br />
e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle: So wird der auf den ersten Blick unkritische Kunststoffanteil<br />
durch die Beigabe halogenisierter Flammenhemmer sowie durch die Vielzahl<br />
der zum E<strong>in</strong>satz kommenden Kunststoffe <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> werkstoffliches Recycl<strong>in</strong>g<br />
zum Problem (Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002, S. 8).<br />
Ökologische Belastungen – Wahrnehmung durch die K<strong>und</strong>en<br />
Dass die Mobilkommunikation ökologische Belastungen mit sich br<strong>in</strong>gt, ist den Konsumenten<br />
durchaus bekannt. In der Befragung, die im Sommer 2003 vor Swisscom-<br />
Shops durchgeführt worden ist, waren sich 78% bewusst, dass Mobiltelefone ökologische<br />
Belastungen verursachen. Nur 13% waren gegenteiliger Me<strong>in</strong>ung. Der Rest hat<br />
ke<strong>in</strong>e Angaben dazu gemacht. Auf die Frage nach den Arten der Belastungen nannten<br />
91% die elektromagnetische Strahlung als e<strong>in</strong>e der Hauptbelastungen, gefolgt vom<br />
Elektronikschrott mit 54% <strong>und</strong> dem Stromverbrauch mit nur 33% aller Nennungen<br />
(Abb. 2). Die Gewichtung der ökologischen Belastungen durch die K<strong>und</strong>en ist demnach<br />
konträr zur Gewichtung <strong>in</strong> der ökologischen Belastungsmatrix. Vermutlich lässt<br />
sich die hohe Zahl der Nennungen von Elektrosmog darauf zurückführen, dass Elekt-
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 215<br />
rosmog e<strong>in</strong> kontroverses Thema ist, welches <strong>in</strong> den Medien hohe Aufmerksamkeit erfährt.<br />
Die Antworten zwischen den jeweiligen Altersklassen waren jedoch unterschiedlich.<br />
So sche<strong>in</strong>t die Altersklasse der 41- bis 60-jährigen elektromagnetische Strahlung<br />
kritischer zu betrachten, da <strong>in</strong> dieser Altersklasse Elektrosmog von jeder (!) Person<br />
genannt wurde. Es ist davon auszugehen, dass sich die Menschen mit zunehmendem<br />
Alter vermehrt Gedanken über die eigene Ges<strong>und</strong>heit machen, was die sehr hohe Zahl<br />
der Nennungen <strong>in</strong> der Altersklasse der über 41-jährigen zu erklären vermag. Die Tatsache,<br />
dass der Stromverbrauch nicht als zentrales Problem wahrgenommen wird,<br />
kann damit zusammenhängen, dass Handys neuerer Generationen über (theoretische)<br />
Betriebszeiten von weit über 200 St<strong>und</strong>en verfügen. Man wird demnach als Nutzer<br />
seltener daran er<strong>in</strong>nert, dass Mobiltelefone ständig Energie benötigen.<br />
Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />
100%<br />
75%<br />
50%<br />
25%<br />
0%<br />
91%<br />
54%<br />
33%<br />
Elektrosmog Elektroschrott Stromverbrauch<br />
Abbildung 2: Zentrale ökologische Belastungen aus K<strong>und</strong>ensicht<br />
(Quelle: Eigene K<strong>und</strong>enbefragung)<br />
Soziale Probleme – Analyse<br />
Zentrale soziale Problembereiche bei Mobiltelefonen s<strong>in</strong>d: Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen beim<br />
Abbau wichtiger Rohstoffe, ges<strong>und</strong>heitliche Gefährdung durch Elektrosmog <strong>und</strong> Verschuldungsprobleme<br />
bei <strong>in</strong>tensiver Nutzung.<br />
Der Abbau von Rohstoffen – nicht nur für Mobiltelefone – f<strong>in</strong>det meist <strong>in</strong> Entwicklungs-<br />
oder Schwellenländer statt, nicht selten unter Missachtung gr<strong>und</strong>legender
216 Andreas Walser<br />
Menschenrechte. Im Falle des Mobiltelefons lässt sich dies <strong>in</strong>sbesondere für den Rohstoff<br />
Tantal sehr gut nachvollziehen, da dieser e<strong>in</strong>erseits für die Elektro<strong>in</strong>dustrie unersetzlich<br />
ist <strong>und</strong> sich andererseits 80% der weltweiten Vorkommen <strong>in</strong> der Demokratischen<br />
Republik Kongo bef<strong>in</strong>den. Dort wird Tantal vielfach von Hand <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>fachsten<br />
Mitteln unter sozial <strong>und</strong> ökologischen bedenklichen Bed<strong>in</strong>gungen abgebaut<br />
(Werner/Weiss 2001, S. 50-51). Der Hauptanteil der Weltproduktion wird für elektronische<br />
Kondensatoren verwendet <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det vor allem <strong>in</strong> Mobiltelefonen, Computern<br />
<strong>und</strong> Spielkonsolen se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz (Werner/Weis 2001, S. 50-51).<br />
Bei der Nutzung von Mobiltelefonen steht die ges<strong>und</strong>heitliche Gefährdung durch elektromagnetische<br />
Strahlung im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das Maß für<br />
die Feldstärke der Strahlung ist die spezifische Absorbtionsrate, kurz SAR-Wert genannt<br />
(Jörn 2003, S. 41). Hierbei herrscht jedoch große Unsicherheit h<strong>in</strong>sichtlich der<br />
Bewertung der Gefährdung. Elektromagnetische Wellen dienen seit r<strong>und</strong> 100 Jahren<br />
der Übertragung von Informationen. Sie s<strong>in</strong>d Gr<strong>und</strong>lage für das Fernsehen, das Radio<br />
<strong>und</strong> die Mobilkommunikation. Das Spektrum reicht von niederfrequenten langen Wellen<br />
bis zu hochfrequenten sehr kurzen Wellen. Ab e<strong>in</strong>er bestimmten Frequenz haben<br />
die elektromagnetischen Wellen genügend Energie, um Moleküle zu spalten. In diesem<br />
Zusammenhang spricht man von ionisierender Strahlung. Die elektromagnetischen<br />
Wellen der Mobilfunkkommunikation dagegen s<strong>in</strong>d nicht energiereich genug,<br />
um Moleküle zu spalten. Sie besitzen e<strong>in</strong>e tiefere Frequenz, die dafür aber günstigere<br />
Eigenschaften für die drahtlose Kommunikation haben (Steyer o.J., S. 31). Elektromagnetische<br />
Wellen dr<strong>in</strong>gen jedoch <strong>in</strong>s menschliche Gewebe e<strong>in</strong>. Bei den typischerweise<br />
<strong>in</strong> der Mobilkommunikation verwendeten Frequenzbändern ist das etwa e<strong>in</strong><br />
Zentimeter. Diese Wellen werden vom Körper absorbiert <strong>und</strong> produzieren dadurch<br />
Wärmeenergie. Diese Wärme wird durch die natürliche Wärmeregulation des Organismus<br />
abgegeben. Bisher hat noch ke<strong>in</strong>e Studie nachweisen können, dass Strahlungen<br />
unterhalb der <strong>in</strong>ternationalen Grenzwerte ges<strong>und</strong>heitsschädigende Wirkungen haben.<br />
Es ist jedoch anzumerken, dass sich die meisten Studien zu diesem Thema mit der<br />
Aussetzung durch elektromagnetische Strahlen des ganzen Körpers befassten <strong>und</strong><br />
nicht mit e<strong>in</strong>er lokalen Belastung, wie es beim Mobiltelefon üblicherweise der Fall ist.<br />
Nach dem aktuellen Stand des Wissens gilt es als unwahrsche<strong>in</strong>lich, dass elektromagnetische<br />
Strahlung, wie sie durch die Mobilkommunikation entsteht, die Entstehung<br />
von Krebs verursacht oder begünstigt. Nimmt man jedoch die hohe Zahl von 1,3 Milliarden<br />
Mobilfunkk<strong>und</strong>en im Jahr 2003 weltweit, so könnten bereits kle<strong>in</strong>ste ges<strong>und</strong>heitsschädigende<br />
Effekte große Auswirkungen auf die öffentliche Ges<strong>und</strong>heit haben<br />
(WHO 2000).
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 217<br />
E<strong>in</strong> weiteres soziales Problem ist die Verschuldung Jugendlicher aufgr<strong>und</strong> erhöhter<br />
Kommunikationskosten. Schuldenberater schätzen, dass jeder dritte Schweizer unter<br />
25 Jahren verschuldet ist. Knapp 25% aller Deutschschweizer zwischen 16 <strong>und</strong> 25 Jahren<br />
geben mehr Geld aus als sie sich leisten können (Rigend<strong>in</strong>ger 2003, S. 46). Verme<strong>in</strong>tliche<br />
Gratishandys animieren zum Sofortkauf. Drei viertel aller jungen Schweizer<br />
besitzen zwei oder mehr Handys (Rigend<strong>in</strong>ger 2003, S. 44). Zu beachten gilt auch<br />
die Tatsache, dass vier von fünf Menschen, die im erwachsenen Alter verschuldet s<strong>in</strong>d,<br />
schon als Jugendliche verschuldet waren. Und vielfach beg<strong>in</strong>nt die Verschuldung bereits<br />
mit dem Mobiltelefon. Das Handy gehört neben Auto, Ausgang <strong>und</strong> Kleidern zu<br />
den vier wichtigsten Gründen, warum Jugendliche Kredite aufnehmen (Rigend<strong>in</strong>ger<br />
2003, S. 50). Der Wettbewerb im Telekommunikationssektor ist jedoch groß <strong>und</strong> die<br />
Jugendlichen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige Zielgruppe. Deshalb werden sie <strong>in</strong>tensiv umworben.<br />
Gerade hier spielen die verme<strong>in</strong>tlichen Gratisangebote der Anbieter e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />
Denn das „Gratis“ bezieht sich ausschließlich auf den Produktpreis, jedoch nicht<br />
auf die regelmäßig anfallenden Verwendungskosten.<br />
Soziale Probleme – Wahrnehmung durch die K<strong>und</strong>en<br />
Auch die Verschuldung Jugendlicher durch erhöhte Kommunikationskosten ist den<br />
Konsumenten als Problem bewusst. Über 65% aller Befragten erachteten Verschuldung<br />
als Problem, 30% davon als sehr starkes Problem. Dieser hohe Wert lässt sich<br />
sicherlich auch damit erklären, dass im Jahr 2003 <strong>in</strong> der Schweiz zahlreiche Artikel <strong>in</strong><br />
namhaften Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften mit dem Thema der Jugendverschuldung befassten.<br />
Weitere mit Mobiltelefonen verb<strong>und</strong>ene soziale Probleme wurden h<strong>in</strong>gegen<br />
nicht genannt <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d dem K<strong>und</strong>en offenbar nicht bewusst.<br />
3 Klassische Kaufkriterien <strong>und</strong> sozial-ökologische Aspekte<br />
Der Kauf e<strong>in</strong>es Mobiltelefons befriedigt gewisse K<strong>und</strong>enbedürfnisse. Soll e<strong>in</strong> Mobiltelefon,<br />
das sozial-ökologischen Anforderungen gerecht wird, vom K<strong>und</strong>en akzeptiert<br />
werden <strong>und</strong> auf dem Markt erfolgreich se<strong>in</strong>, müssen bisherige K<strong>und</strong>enbedürfnisse berücksichtigt<br />
werden. Im Folgenden werden deshalb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt verschiedene<br />
Kosten- <strong>und</strong> Nutzen-Aspekte e<strong>in</strong>es Öko-Handys analysiert. Die Ergebnisse werden<br />
dann <strong>in</strong> Beziehung gesetzt zu klassischen Kaufkriterien e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> zu sozialökologischen<br />
K<strong>und</strong>enwünschen andererseits.
218 Andreas Walser<br />
Kosten-Nutzen-Analyse e<strong>in</strong>es Öko-Handys<br />
Die zentrale Aufgabe des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht dar<strong>in</strong>, den Nettonutzen<br />
nachhaltiger Produkte aus Sicht des K<strong>und</strong>en zu erhöhen, d.h. den Nutzen zu steigern<br />
<strong>und</strong>/oder die Kosten zu senken (Belz 2001, S. 78). Aus dieser Sicht lässt sich e<strong>in</strong>e<br />
Kosten-Nutzen-Analyse e<strong>in</strong>es möglichen Öko-Handys erstellen (Tab. 2). Hieraus können<br />
nachfolgend geeignete Handlungsfelder ausgewählt <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Maßnahmen<br />
abgeleitet werden, die den Nutzen erhöhen oder die Kosten senken.<br />
� Risikovorsorge aufgr<strong>und</strong> tieferer<br />
Strahlung<br />
Nutzen Kosten<br />
� gutes ökologisches Gewissen (Selbstachtungsnutzen)<br />
� evtl. Anerkennung bei Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
Bekannten (Fremdachtungsnutzen)<br />
Tabelle 2: Kosten-Nutzen Analyse e<strong>in</strong>es Öko-Handys<br />
� höherer Produktpreis<br />
� höhere Informations-, Such-, <strong>und</strong><br />
Kontrollkosten<br />
� „niedrigere“ Energiekosten während<br />
der Nutzungsphase<br />
Auf der Kostenseite ist zunächst der höhere Produktpreis für e<strong>in</strong> Öko-Handy zu nennen.<br />
Dieser ergibt sich hauptsächlich aus gestiegenen Produktionsanforderungen <strong>und</strong><br />
niedrigeren Absatzzahlen. Positiv könnten sich jedoch mögliche Energiee<strong>in</strong>sparungen<br />
während der Nutzungsphase auf die Kosten auswirken, da moderne Ladegeräte im<br />
Stand-by-Betrieb ke<strong>in</strong>e Leistungsaufnahme besitzen. Gemäß eigenen Berechnungen<br />
liegt das E<strong>in</strong>sparpotenzial aber lediglich <strong>in</strong> der Größenordnung von wenigen Rappen,<br />
so dass hierdurch die Kosten-Nutzen-Analyse kaum bee<strong>in</strong>flusst wird. Des Weiteren<br />
fallen höhere Informations-, Such- <strong>und</strong> Kontrollkosten für die K<strong>und</strong>en bei der Beschaffung<br />
e<strong>in</strong>es Öko-Handys an. So kann z.B. der Käufer nicht ohne größeren Aufwand<br />
überprüfen, ob die angegebenen ökologischen oder sozialen Produkteigenschaften<br />
auch wahrheitsgemäß s<strong>in</strong>d. Der Käufer muss den Angaben des Herstellers respektive<br />
des Anbieters vertrauen. Auch s<strong>in</strong>d die Informationskosten höher, wenn die Produkte<br />
nicht entsprechend gekennzeichnet s<strong>in</strong>d.<br />
Auf der Nutzenseite spielt wiederum die elektromagnetische Strahlung e<strong>in</strong>e entscheidende<br />
Rolle. Aufgr<strong>und</strong> der tieferen Strahlungswerte des Öko-Handys im Vergleich zu<br />
konventionellen Mobiltelefonen bietet das Öko-Handy die Möglichkeit e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />
Risikovorsorge bezüglich ges<strong>und</strong>heitlichen Auswirkungen. Hierbei ist es nicht
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 219<br />
von großer Bedeutung, dass noch ke<strong>in</strong>e direkten Auswirkungen der elektromagnetischen<br />
Strahlung wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Vielmehr ist die K<strong>und</strong>ensicht,<br />
d.h. die vom K<strong>und</strong>en wahrgenommene Gefährdung der eigenen Ges<strong>und</strong>heit,<br />
entscheidend. E<strong>in</strong> weiterer Nutzen liegt sicherlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em guten ökologischen Gewissen,<br />
das sich e<strong>in</strong>stellen kann, wenn der Konsument sich zum Kauf e<strong>in</strong>es Öko-<br />
Handys entscheidet. Des Weiteren ist auch e<strong>in</strong> Fremdachtungsnutzen durch die Anerkennung<br />
bei Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten denkbar. Dies hängt jedoch maßgeblich von der<br />
jeweiligen Bezugsgruppe ab.<br />
Kaufkriterien <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enwünsche<br />
Das Handy dient e<strong>in</strong>er Vielzahl von K<strong>und</strong>en vor allem als Kommunikations<strong>in</strong>strument.<br />
Deshalb s<strong>in</strong>d Displaygröße <strong>und</strong> Bedienerfre<strong>und</strong>lichkeit zentrale Kaufkriterien.<br />
Bei der Kaufentscheidung spielen aber auch weitere Aspekte e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So<br />
lässt sich bei vielen Käufern e<strong>in</strong>e starke Markenb<strong>in</strong>dung nachweisen. Häufig s<strong>in</strong>d<br />
Konsumenten nicht bereit die Marke zu wechseln, sondern bleiben aus Gewohnheitsgründen<br />
lieber bei der bisherigen Marke. Auch steht bei sehr vielen Konsumenten der<br />
Preis klar im Mittelpunkt der Kaufentscheidung. Da – wie <strong>in</strong> der Kosten-Nutzen-<br />
Analyse ausgeführt – Öko-Handys teurer als vergleichbare Handys s<strong>in</strong>d, ist dieser Aspekt<br />
von besonderer Bedeutung.<br />
Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
32%<br />
52%<br />
12%<br />
Ne<strong>in</strong> Ja, bis zu 10% Ja, bis zu 20% Ja, über 20%<br />
Abbildung 3: Bereitschaft e<strong>in</strong>en Mehrpreis für e<strong>in</strong> ökologisches Handy zu zahlen<br />
(Quelle: Swisscom 1999)<br />
3%
220 Andreas Walser<br />
In e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbefragung der Swisscom ergab sich h<strong>in</strong>sichtlich der Zahlungsbereitschaft<br />
für Öko-Handys folgendes Bild (Abb. 3): 32% s<strong>in</strong>d nicht bereit e<strong>in</strong>en höheren<br />
Preis zu zahlen, während 52% bereit wären e<strong>in</strong>en Aufpreis von maximal 10% zu leisten.<br />
Nur 15% s<strong>in</strong>d bereit, Mehrkosten von über 10% zu zahlen. Bei der Befragung<br />
dürfte jedoch das Problem der sozialen Erwünschtheit e<strong>in</strong>e Rolle spielen, so dass die<br />
Zahlen mit Vorsicht zu <strong>in</strong>terpretieren s<strong>in</strong>d. Die tatsächliche Bereitschaft, e<strong>in</strong>en Aufschlag<br />
zu Gunsten e<strong>in</strong>es sozialeren <strong>und</strong> ökologischeren Handys zu zahlen, ist eher ger<strong>in</strong>ger<br />
e<strong>in</strong>zustufen.<br />
Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />
100%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
77%<br />
47%<br />
42%<br />
32%<br />
SAR-Wert Materialien Produktion Energieverbrauch<br />
Abbildung 4: Konkrete Verbesserungswünsche aus K<strong>und</strong>ensicht<br />
(Quelle: Eigene K<strong>und</strong>enbefragung)<br />
In der eigenen Studie aus dem Sommer 2003 wurden die Swisscom-K<strong>und</strong>en nach konkreten<br />
Verbesserungswünschen bzgl. Umweltauswirkungen gefragt (Abb. 4): Dabei<br />
nannten 77% die Verr<strong>in</strong>gerung elektromagnetischer Strahlung, 47% äußerten den<br />
Wunsch nach Verwendung recyclierbarer Materialien <strong>und</strong> 42% wünschten sich E<strong>in</strong>sparungen<br />
der Schadstoffe <strong>in</strong> der Produktion. Nur 32% wollten Verbesserungen im<br />
Stromverbrauch. Die Häufigkeit der Nennungen der Verbesserungswünsche entspricht<br />
dabei den wahrgenommenen ökologischen Problemlagen (Kap. 2), die allerd<strong>in</strong>gs nur<br />
bed<strong>in</strong>gt mit den tatsächlichen Problemen übere<strong>in</strong>stimmen.<br />
Diese Resultate <strong>und</strong> Werte zeigen e<strong>in</strong>e große Unsicherheit bezüglich elektromagnetischer<br />
Strahlung. Der Elektrosmog wird als potenzielle Bedrohung für die persönliche
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 221<br />
Ges<strong>und</strong>heit gesehen. Dass der Energieverbrauch wiederum an letzter Stelle liegt,<br />
bestätigt die Annahme, dass diesem Bereich ke<strong>in</strong>e große Bedeutung beigemessen wird.<br />
Zur Lösung des Problems der Entsorgung des Elektroschrotts hatten die Befragten ebenfalls<br />
e<strong>in</strong>e klare Präferenz. Den Befragten wurden drei verschiedene Szenarien als<br />
potenzielle Lösungen zur Auswahl gestellt: Normales Recycl<strong>in</strong>g, die Verlängerung der<br />
Nutzungsdauer der Geräte mittels Export noch funktionstüchtiger Apparate z.B. <strong>in</strong><br />
Schwellenländer oder Anreize für die längere Nutzung der eigenen Geräte wie etwa<br />
Garantieverlängerungen bei Vertragsverlängerung. An erster Stelle nannten die Befragten<br />
klar das Recycl<strong>in</strong>g. An zweiter Stelle lag die Nutzungsdauerverlängerung mittels<br />
Export <strong>und</strong> die wenigsten Nennungen erhielt die längere Nutzung des eigenen<br />
Handys. E<strong>in</strong>e Ausnahme stellt die Gruppe der 41- bis 60-Jährigen dar, welche die Nutzung<br />
des eigenen Handys vorziehen würden. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich<br />
se<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>erseits mag diese Altersgruppe nicht bereit se<strong>in</strong>, sich immer wieder<br />
auf neue Produkte <strong>und</strong> Technologien e<strong>in</strong>zulassen. Andererseits kann dies aber auch<br />
mit Qualitätsdenken, Dauerhaftigkeit der Produkte <strong>und</strong> Ökologie e<strong>in</strong>hergehen. Insgesamt<br />
lässt sich sagen, dass bei den Konsumenten offenbar ke<strong>in</strong> allzu großes Bedürfnis<br />
gibt, die Handys über die durchschnittliche Lebensdauer von 18 Monaten zu nutzen.<br />
4 Handlungsfelder <strong>und</strong> Motivallianzen<br />
Als zentrales Ergebnis der K<strong>und</strong>enbefragung kann festgehalten werden, dass die elektromagnetische<br />
Strahlung klar im Zentrum der K<strong>und</strong>enwahrnehmung liegt. Dieser Bereich<br />
erhält nicht nur die meisten Nennungen, sondern die Befragten wünschen sich <strong>in</strong><br />
diesem Bereich auch Verbesserungen. Offenbar besteht große Unsicherheit <strong>und</strong> Angst<br />
bei den Konsumenten, nicht selten hervorgerufen durch teils übertriebene, teils widersprüchliche<br />
Medienberichte. Für die Anbieter von Handys be<strong>in</strong>haltet dies e<strong>in</strong> zukünftiges<br />
Marktrisiko, da das Thema „elektromagnetische Strahlung“ auf absehbare Zeit<br />
vermutlich nicht aus der öffentlichen Diskussion verschw<strong>in</strong>den wird. Man denke hierbei<br />
nur an neue Dienste wie etwa Wireless Lan. Sollte sich <strong>in</strong> Zukunft herausstellen,<br />
dass elektromagnetische Strahlungen der Mobiltelefone im Zusammenhang stehen mit<br />
z.B. Erkrankungen im lokalen Bereich wie dem Ohr oder der Hüfte, dann wird dies<br />
auch für Telekommunikationsanbieter zum Problem <strong>und</strong> sie werden zum Reagieren<br />
gezwungen. Es sche<strong>in</strong>t hier s<strong>in</strong>nvoller, rechtzeitig aktiv tätig zu werden, anstatt sich<br />
nur reaktiv den Problemen zu stellen. Anstrengungen zur Verr<strong>in</strong>gerung des SAR-<br />
Wertes können unter diesem Aspekt e<strong>in</strong>erseits als Risikom<strong>in</strong>imierung des Unternehmens<br />
<strong>und</strong> andererseits als ges<strong>und</strong>heitliche Vorsorge für den K<strong>und</strong>en <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />
Da K<strong>und</strong>en diesem Thema zentrale Bedeutung zuweisen, kann auf diese Weise
222 Andreas Walser<br />
e<strong>in</strong>e erfolgreiche Motivallianz erzeugt werden, um so dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert zu<br />
stiften <strong>und</strong> sich gegenüber den Konkurrenten zu differenzieren.<br />
Der Energieverbrauch bei der Produktion <strong>und</strong> während der Nutzungsphase ist e<strong>in</strong>e der<br />
ökologischen Hauptbelastungen e<strong>in</strong>es Handys, wird aber von den K<strong>und</strong>en nicht als<br />
solche wahrgenommen. Nur bei e<strong>in</strong>em Drittel aller Nennungen werden <strong>in</strong> diesem Bereich<br />
Verbesserungen gewünscht. Denkbar <strong>und</strong> möglich s<strong>in</strong>d v.a. technische Lösungen.<br />
Intelligente Ladegeräte s<strong>in</strong>d bei verschiedenen Mobilfunkherstellern <strong>in</strong> der Entwicklung<br />
oder bereits auf dem Markt. So bietet SonyEricsson mit dem C1002S <strong>in</strong> Japan<br />
bereits e<strong>in</strong> Mobiltelefon <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>em Ladegerät an, das über e<strong>in</strong>e<br />
sehr ger<strong>in</strong>ge Leistungsaufnahme im Stand-by-Betrieb verfügt. Da der absolute Energieverbrauch<br />
<strong>und</strong> damit auch die Kostenersparnis sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kaum wahrnehmbaren<br />
Bereich bewegen, stellt sich die Frage, <strong>in</strong>wiefern sich der Energieverbrauch als Differenzierungsmerkmal<br />
auf der Produktseite eignet, <strong>und</strong> wie hoch der dadurch beim K<strong>und</strong>en<br />
tatsächlich gestiftete Mehrwert ist. Die hohe Leistungsfähigkeit der bestehenden<br />
Akkus <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen seltener werdenden Aufladezyklen erschweren e<strong>in</strong>e<br />
Sensibilisierung der K<strong>und</strong>en für den Energieverbrauch zusätzlich. E<strong>in</strong> anderer Ansatz<br />
wäre die Entwicklung e<strong>in</strong>es Standardladegerätes, welches für alle Marken <strong>und</strong> Modelle<br />
passend ist. Bisher gibt es ke<strong>in</strong>e derartigen Geräte, obwohl sie technisch machbar<br />
s<strong>in</strong>d. Es ist allerd<strong>in</strong>gs fraglich, ob sich die Mehrkosten für e<strong>in</strong> selbst entwickeltes<br />
Standardladegerät beim K<strong>und</strong>en monetär rechnen. Der niedrigere Energieverbrauch<br />
könnte jedoch trotzdem e<strong>in</strong> Verkaufsargument se<strong>in</strong>, wenn es gel<strong>in</strong>gt, an das ökologische<br />
Gewissen des K<strong>und</strong>en zu appellieren. Dies ersche<strong>in</strong>t jedoch im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Ergebnisse der durchgeführten K<strong>und</strong>enbefragung nur dann Erfolg versprechend, wenn<br />
es <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit relevanten Kaufkriterien oder etwa mit e<strong>in</strong>em niedrigeren SAR-<br />
Wert gebracht werden kann. Mit m<strong>in</strong>imalen Kostenersparnissen alle<strong>in</strong>e lässt sich die<br />
große Mehrheit der K<strong>und</strong>en nicht überzeugen.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Handlungsfeld ist die materielle Zusammensetzung der Handys. Wie aus<br />
den ökologischen Aspekten <strong>und</strong> der K<strong>und</strong>enbefragung ersichtlich, besteht hier sowohl<br />
e<strong>in</strong>e Handlungsnotwendigkeit als auch Bedarf. Verbesserungen werden gewünscht <strong>und</strong><br />
entsprechen auch e<strong>in</strong>em der tatsächlichen ökologischen Probleme der Handys. Die<br />
steigenden Mengen an Elektroschrott werden zunehmend zu e<strong>in</strong>em Problem. Mittels<br />
Recycl<strong>in</strong>g respektive Wertstoffrückgew<strong>in</strong>nung kann dies gem<strong>in</strong>dert <strong>und</strong> dem Ressourcenverbrauch<br />
entgegengewirkt werden. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass ab 2006<br />
verschiedene europäische Direktiven über Elektro- <strong>und</strong> Elektronikschrott wirksam<br />
werden, <strong>und</strong> damit Materialien wie Blei, Quecksilber, Cadmium <strong>und</strong> Chrom verboten<br />
s<strong>in</strong>d. Gemäß den europäischen Verordnungen müssen die Geräte e<strong>in</strong>e Recycl<strong>in</strong>gfähig-
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 223<br />
keit von m<strong>in</strong>destens 65% vorweisen. Zusätzlich müssen die Hersteller ihre Produkte<br />
kostenlos zurücknehmen. E<strong>in</strong>e frühzeitige Adaption dieser Direktiven würde e<strong>in</strong>em<br />
„first-mover advantage“ mit relativ ger<strong>in</strong>gem Risiko entsprechen. Möglicherweise<br />
könnte das damit gewonnene Image auch dann noch aufrecht erhalten werden, wenn<br />
andere Hersteller <strong>und</strong> Anbieter diese Direktiven umsetzen müssen. Allerd<strong>in</strong>gs muss<br />
angesichts der bei den K<strong>und</strong>en festgestellten Dom<strong>in</strong>anz der Problematik durch elektromagnetische<br />
Strahlungen darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden, dass auch e<strong>in</strong>e vorgezogene<br />
Schadstofffreiheit <strong>und</strong> Recyclebarkeit nicht e<strong>in</strong>en niedrigen SAR-Wert ersetzen kann.<br />
Wenn e<strong>in</strong> Handy z.B. über ke<strong>in</strong>e toxischen Inhaltsstoffe verfügt, wie etwa Blei oder<br />
Halogene, dafür aber gleichzeitig über e<strong>in</strong>en überdurchschnittlichen hohen SAR-Wert,<br />
so gerät das Merkmal Schadstoffarmut <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>. Sie ist daher als alle<strong>in</strong>iges<br />
Merkmal nur bed<strong>in</strong>gt geeignet, um sich von der Konkurrenz zu differenzieren <strong>und</strong> dem<br />
K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert zu generieren.<br />
Motivallianzen lassen sich auch h<strong>in</strong>sichtlich der sozialen Probleme von Handys ausmachen.<br />
Die Befragung zeigt, dass die K<strong>und</strong>en für die zunehmende Verschuldung Jugendlicher<br />
sensibilisiert s<strong>in</strong>d. Viele Provider bieten bereits Prepaid-Abonnements an,<br />
welche dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Überprüfung der Kosten ermöglichen. Es ist aber<br />
durchaus denkbar, diese Kostenkontrolle auf Postpaid-Abonnements auszudehnen. So<br />
könnte der Anbieter dem K<strong>und</strong>en mittels e<strong>in</strong>er Kurzmitteilung (SMS) bekannt geben,<br />
wann er für mehr als e<strong>in</strong>en gewissen im Voraus festgelegten Betrag telefoniert hat.<br />
Dies würde auch diesen K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Kostenkontrolle ermöglichen <strong>und</strong> so<br />
e<strong>in</strong>en Mehrwert stiften. Für die Telekommunikationsanbieter ergibt sich h<strong>in</strong>gegen das<br />
Dilemma, dass e<strong>in</strong>e effektive Kostenkontrolle bei den K<strong>und</strong>en zu ger<strong>in</strong>geren Umsätzen<br />
führt. Dies kann verh<strong>in</strong>dert werden, wenn es gel<strong>in</strong>gt, das Engagement für Kostentransparenz<br />
zur K<strong>und</strong>enakquise zu nutzen, <strong>und</strong>/oder das Engagement zum Transparenz-Standard<br />
für die Branche wird.<br />
5 Fazit<br />
Die Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>enwünschen<br />
sche<strong>in</strong>t im Vergleich zu anderen Bedürfnisfeldern wie etwa Ernährung (Beiträge<br />
Leitner, Skoppek/Karstens <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer) relativ kle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Konsumenten<br />
s<strong>in</strong>d nicht oder nur <strong>in</strong> beschränktem Ausmaß bereit, Mehrkosten für e<strong>in</strong> Öko-<br />
Handy auf sich zu nehmen. Sozial-ökologische Belange stellen ke<strong>in</strong> (zentrales) Kaufkriterium<br />
dar. Der Mobilfunkmarkt ist geprägt durch ständige technologische Innovationen<br />
<strong>und</strong> sehr kurze Produktlebenszyklen. Noch ist ke<strong>in</strong>e Marktsättigung erreicht, so
224 Andreas Walser<br />
dass der Differenzierungsdruck über Zusatznutzen wie Ökologie <strong>und</strong> Soziales (noch)<br />
nicht sehr ausgeprägt ist.<br />
Nichtsdestotrotz lassen sich erste Ansätze e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei Mobilfunkanbieter<br />
beobachten, die prospektiv handeln: So setzt sich bspw. Vodaphone dafür<br />
e<strong>in</strong>, die Möglichkeiten e<strong>in</strong>es Marktes für Tantal aus der Demokratischen Republik<br />
Kongo zu untersuchen, das unter sozial- <strong>und</strong> umweltverträglichen Bed<strong>in</strong>gungen gefördert<br />
wird. Vodaphone möchte damit den Friedensprozess <strong>und</strong> die wirtschaftliche Erholung<br />
fördern. Dies geschieht zum beiderseitigen Nutzen. Vodaphone arbeitet dabei mit<br />
Fauna and Flora International (FFI) zusammen, um die Tantal verarbeitende Industrie<br />
<strong>und</strong> andere Anspruchsgruppen zu e<strong>in</strong>em pro-aktiven Ansatz zu bewegen (Vodaphone<br />
2004). Auch im Bereich des Recycl<strong>in</strong>gs gibt es diverse Projekte. So verb<strong>in</strong>den z.B. die<br />
Deutsche Telekom <strong>und</strong> die Mobilkom Austria ihre Rücknahmekonzepte mit e<strong>in</strong>em<br />
sozialen oder ökologischen Engagement. Im ersten Fall geschieht dies zugunsten der<br />
Deutschen Umwelthilfe <strong>und</strong> im zweiten Fall zugunsten „Ärzte ohne Grenzen“ (Beitrag<br />
Bucher). Die kostenlos entgegengenommenen alten Handys werden entweder recycelt<br />
oder weiterverkauft. Der Telekommunikationsanbieter spendet pro Handy e<strong>in</strong>en bestimmten<br />
Betrag an die entsprechenden Organisationen. E<strong>in</strong> solches Rücknahmekonzept<br />
ist e<strong>in</strong>e relativ e<strong>in</strong>fache Lösung, um e<strong>in</strong>en nachweisbaren Mehrwert für den K<strong>und</strong>en<br />
zu generieren.<br />
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Telekommunikationsbranche<br />
Fabian Bucher<br />
1 Telekommunikationsmarkt zwischen<br />
Wachstumsdynamik <strong>und</strong> Sättigung<br />
Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />
modernen Gesellschaft des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts von großer wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong><br />
ökologischer Bedeutung. Alle<strong>in</strong> das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste<br />
betrug im Jahr 2001 <strong>in</strong> den EU-Ländern <strong>und</strong> der Schweiz r<strong>und</strong> 225 Mrd. Euro. Dabei<br />
entfallen 113 Mrd. Euro auf Festnetztelefondienste <strong>und</strong> 85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste.<br />
Mietleitungen <strong>und</strong> Datendienste machen mit 27 Mrd. Euro den kle<strong>in</strong>sten Teil<br />
aus. Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Telekommunikationsdienste<br />
(Festnetz, Mobilfunk, Datendienste, Mietleitungen, Kabel-TV) sowie für Telekommunikationsgeräte<br />
<strong>und</strong> -netzwerktechnik betrugen im Jahr 2000 im europäischen Durchschnitt<br />
762 Euro pro Jahr. Mit Pro-Kopf-Ausgaben von 1356 Euro lagen die Ausgaben<br />
der Schweizer weit über dem EU-Durchschnitt. Ähnlich hohe Pro-Kopf-Ausgaben<br />
wies ke<strong>in</strong> anderes EU-Land aus (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003b, S. 186-190).<br />
Die Wachstumsraten im Telekommunikationssektor lagen <strong>in</strong> den letzten Jahren deutlich<br />
über den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten. In der Schweiz wuchs das<br />
Marktvolumen im Jahr 2000 um 18% bzw. im Jahr 2001 um 6%. Dieses überdurchschnittliche<br />
Wachstum wurde im Wesentlichen durch das Wachstum des Mobilfunkmarktes<br />
verursacht. So nahm der Anteil der Mobilfunkumsätze am gesamten Marktvolumen<br />
von r<strong>und</strong> 20% <strong>in</strong> 1999 auf 31% <strong>in</strong> 2001 zu, während der Anteil von Festnetzdiensten<br />
entsprechend sank (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003a, S. 65). Dieser<br />
Trend wird sich <strong>in</strong> der Zukunft voraussichtlich weiter fortsetzen.<br />
Aus der Sicht etablierter Telekommunikationsanbieter ergibt sich <strong>in</strong> dieser Situation<br />
für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> die besondere Herausforderung, sich e<strong>in</strong>erseits auf dem stagnierenden<br />
Festnetzmarkt zu behaupten <strong>und</strong> andererseits am Wachstum im Mobilfunksektor<br />
zu partizipieren. Allerd<strong>in</strong>gs wird sich die Wachstumsdynamik im Gesamtmarkt nach<br />
Ansicht des European Information Technology Observatory bei 2-3% stabilisieren, so<br />
dass sich die Situationen <strong>in</strong> beiden Marktsegmenten zunehmend angleichen, zumal
228 Fabian Bucher<br />
bereits r<strong>und</strong> 75% aller Schweizer e<strong>in</strong> Handy besitzen (ebd., S. 66). Auch im Mobilfunkbereich<br />
entsteht auf diese Weise e<strong>in</strong> stärkerer Differenzierungsdruck.<br />
Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Marktteilnehmern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese heute aus der Sicht<br />
der Mehrheit der K<strong>und</strong>en bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. Die Folge<br />
war e<strong>in</strong> harter Preiskampf, um bestehende K<strong>und</strong>en halten <strong>und</strong> neue gew<strong>in</strong>nen oder von<br />
der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich e<strong>in</strong>e Stabilisierung der<br />
Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt, dass sich<br />
die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen werden<br />
(ebd., S. 54-56, 69-73, 78-79).<br />
Der vorliegende Beitrag untersucht auf der Basis des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, ob Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Ansatz zur Differenzierung<br />
im Wettbewerb darstellen könnte. Für die Zukunft wird e<strong>in</strong> erheblicher Anstieg<br />
der Sponsor<strong>in</strong>gausgaben <strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales prognostiziert. Dies<br />
wird damit begründet, dass sozial-ökologisches Engagement von Unternehmen gesellschaftliches<br />
Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> signalisiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Öffentlichkeit Sympathie<br />
schafft. Damit können Imagevorteile für Unternehmen <strong>und</strong>/oder Marken erzielt<br />
werden (Busch/Dögl/Unger 1995, S. 278; Zoll<strong>in</strong>ger 1995, S. 122; Bruhn 1998, S. 51).<br />
Im Rahmen des Beitrags stehen folgende Fragen im Vordergr<strong>und</strong>:<br />
� Welche Erwartungen haben K<strong>und</strong>en im H<strong>in</strong>blick auf Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />
an Telekommunikationsanbieter?<br />
� Welche Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten mit sozial-ökologischem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gibt es bereits<br />
von Telekommunikationsanbietern? Lassen sich hieraus spezifische Faktoren für<br />
den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ableiten?<br />
Zuerst erfolgt e<strong>in</strong>e begriffliche Bestimmung des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g (Kapitel<br />
2). Anschließend werden zentrale Ergebnisse e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enumfrage vorgestellt<br />
(Kapitel 3). In Kapitel 4 werden ausgewählte Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte von<br />
europäischen Telekommunikationsanbietern dargestellt. Den Abschluss bildet e<strong>in</strong>e<br />
Analyse der beschriebenen Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte. Neben allgeme<strong>in</strong>en<br />
werden spezifische Faktoren herausgearbeitet, die für den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />
Sponsor<strong>in</strong>g maßgeblich s<strong>in</strong>d.
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 229<br />
2 Vom Sponsor<strong>in</strong>g zum Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />
Begriffliche Bestimmungen<br />
Sponsor<strong>in</strong>g kann allgeme<strong>in</strong> def<strong>in</strong>iert werden als „die Planung, Organisation, Durchführung<br />
<strong>und</strong> Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld,<br />
Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen <strong>und</strong> Institutionen<br />
zur Förderung von Personen <strong>und</strong>/oder Organisationen <strong>in</strong> den Bereichen Sport, Kultur,<br />
Soziales, Umwelt <strong>und</strong>/oder Medien verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, um damit gleichzeitig Ziele der<br />
Unternehmenskommunikation zu erreichen” (Bruhn 1991, S. 21). In diesem S<strong>in</strong>ne ist<br />
Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Geschäft, das auf Gegenseitigkeit beruht, d.h. dass für eigene Leistungen<br />
auch immer konkrete Gegenleistungen erwartet werden. Im Unterschied dazu stehen<br />
das Mäzenatentum <strong>und</strong> das Spendenwesen, welche primär aus altruistischen Motiven<br />
erfolgen. Beim Sponsor<strong>in</strong>g ist aus Sicht des Sponsors das Werbemotiv dom<strong>in</strong>anter<br />
als das Fördermotiv <strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen über Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung werden<br />
<strong>in</strong>tensiv ausgehandelt <strong>und</strong> vertraglich geregelt (ebd., S. 24). Sponsor<strong>in</strong>g stellt e<strong>in</strong>en<br />
wichtigen Bestandteil der <strong>in</strong>tegrierten Unternehmenskommunikation dar <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong><br />
Instrument, das vielfältig e<strong>in</strong>gesetzt werden kann.<br />
Öko-Sponsor<strong>in</strong>g stellt e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen Unternehmen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen<br />
oder Organisationen dar, die sich ausschließlich <strong>und</strong> nicht-kommerziell mit der Thematisierung<br />
von ökologischen Problemen <strong>und</strong>/oder dem Schutz beziehungsweise der<br />
Sanierung der natürlichen Umwelt des Menschen befasst (Hermanns 1997, S. 85). Analog<br />
dazu kann man Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g verstehen als e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen Unternehmen<br />
<strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen oder Organisationen, die ausschließlich <strong>und</strong> nichtkommerziell<br />
humanitäre Probleme von Individuen, Gruppen <strong>und</strong>/oder der Gesellschaft<br />
aufgreifen, thematisieren <strong>und</strong>/oder lösen (ebd., S. 90).<br />
Trotz der klaren Abgrenzung der Begriffe Sponsor<strong>in</strong>g, Mäzenatentum <strong>und</strong> Spendenwesen<br />
<strong>in</strong> der Literatur hat sich <strong>in</strong> der Sponsor<strong>in</strong>g-<strong>Praxis</strong> e<strong>in</strong> teilweise sehr weitgefasstes<br />
Verständnis des Begriffes Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gestellt. Dies führt dazu, dass <strong>in</strong> der Umgangssprache<br />
nahezu jede Form der Förderung von E<strong>in</strong>zelpersonen, Gruppen oder Organisationen<br />
durch Unternehmen als „Sponsor<strong>in</strong>g“ bezeichnet wird (Bruhn 1991,<br />
S. 19). Dar<strong>in</strong> dürfte auch e<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong> liegen, dass e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Zuweisung<br />
der unternehmerischen Aktivitäten <strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales zum<br />
Sponsor<strong>in</strong>g oder Mäzenatentum/Spendenwesen sich nicht nur für Außenstehende,<br />
sondern oftmals auch für das Unternehmen selbst als schwierig erweist. Deshalb ist<br />
davon auszugehen, dass e<strong>in</strong>e Vielzahl von Unternehmen ihre ökologischen <strong>und</strong>
230 Fabian Bucher<br />
sozialen Engagements vielmehr dem Mäzenatentum anstatt dem Sponsor<strong>in</strong>g zuordnen<br />
<strong>und</strong> dadurch <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>potenziale ungenutzt lassen (Hermanns 1997, S. 87).<br />
Entwicklung <strong>und</strong> Status Quo des Sponsor<strong>in</strong>g<br />
In den 1980er Jahren ließ sich feststellen, dass <strong>in</strong> den Pr<strong>in</strong>tmedien <strong>und</strong> im Fernsehen<br />
e<strong>in</strong> zunehmender Information-Overload entstand <strong>und</strong> als Folge davon Werbebotschaften<br />
<strong>und</strong> Werber vom K<strong>und</strong>en immer weniger wahrgenommen werden (Kroeber-<br />
Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 380-382). Zusätzlich wirkten sich Preissteigerungen bei den<br />
klassischen Werbeträgern <strong>und</strong> Kommunikationsmitteln, gesetzliche Restriktionen sowie<br />
die zunehmende Ähnlichkeit im Werbeauftritt der konkurrierenden Unternehmen<br />
negativ auf den Imagetransfer <strong>und</strong> die Erreichung von Kommunikationszielen aus.<br />
Daraus erfolgte die Ergänzung der klassischen Kommunikationsmittel durch die so<br />
genannten nicht-klassischen, modernen Kommunikationsmittel, wozu auch das Sponsor<strong>in</strong>g<br />
zählt.<br />
Im Jahre 2002 wurden <strong>in</strong> der Schweiz <strong>in</strong>sgesamt über 5 Mrd. Franken <strong>in</strong> Werbung <strong>in</strong>vestiert<br />
(Werbemedienforschung AG 2004). Die jährlichen Ausgaben für Sponsor<strong>in</strong>gengagements<br />
machen bei Schweizer Unternehmen mit fast 12% den drittgrößten Anteil<br />
des gesamten Kommunikationsbudgets aus. Dies zeigt auf, dass dem Sponsor<strong>in</strong>g<br />
als Kommunikations<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>e wichtige Bedeutung zukommt (Abb. 1).<br />
Die Entstehung <strong>und</strong> Verbreitung von Sponsor<strong>in</strong>g g<strong>in</strong>g mit der generellen Tendenz e<strong>in</strong>her,<br />
verstärkt Freizeit<strong>in</strong>teressen der Bevölkerung für Zwecke der Unternehmenskommunikation<br />
zu nutzen. Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten wurde von der Öffentlichkeit <strong>und</strong> den<br />
Medien anfangs viel Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb das Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den<br />
1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen hat (Bruhn 1998, S. 28-37). In den<br />
letzten Jahren ist im Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> „Burn-Out-Effekt“ zu erkennen. Da immer mehr<br />
Unternehmen Sponsor<strong>in</strong>g betreiben, zeichnet sich auch hier e<strong>in</strong> Information-Overload<br />
ab, was sich wiederum negativ auf die Wahrnehmung der Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten seitens<br />
der Zielgruppen auswirkt. Dies ist vor allem im Bereich des Sport-Sponsor<strong>in</strong>g der<br />
Fall. Vor 10-15 Jahren konnte die Mehrheit der Besucher e<strong>in</strong>es Fußballstadions oder<br />
Sport-Events noch sagen, wer der (Haupt-)Sponsor war. Dies ist heute nicht mehr <strong>in</strong><br />
dem Maße der Fall. E<strong>in</strong> möglicher Gr<strong>und</strong> dafür ist dar<strong>in</strong> zu sehen, dass der Marktbereich<br />
Sport aus Sicht des Sponsor<strong>in</strong>g gesättigt ist (Bruhn 1998, S. 31, S. 49-50). Es<br />
stellt sich deshalb die Frage, ob <strong>in</strong> anderen Sponsor<strong>in</strong>g-Bereichen wie dem Öko- <strong>und</strong><br />
Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g noch Wachstumspotenziale vorhanden s<strong>in</strong>d.
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 231<br />
Werbung<br />
Verkaufsförderung<br />
Sponsor<strong>in</strong>g<br />
PR<br />
Eventmarket<strong>in</strong>g<br />
Multimedia / E-Comm.<br />
Spenden<br />
Anderes<br />
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%<br />
4%<br />
3%<br />
6%<br />
12%<br />
11%<br />
11%<br />
19%<br />
Abbildung 1: Verteilung des Kommunikations-Budgets <strong>in</strong> der Schweiz<br />
(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)<br />
Wie die Abbildung 2 zeigt, fließt e<strong>in</strong> Großteil der Sponsor<strong>in</strong>gmittel schweizerischer<br />
Unternehmen <strong>in</strong> den Sportbereich. Für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g werden knapp<br />
10% der zur Verfügung stehenden Mittel verwendet. Aus folgenden Gründen ist zukünftig<br />
mit e<strong>in</strong>en Anstieg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g zu rechnen (Bruhn 1998,<br />
S. 274):<br />
� Umweltthemen <strong>und</strong> soziale Fragestellungen weisen <strong>in</strong> der Bevölkerung e<strong>in</strong>en immer<br />
größeren Stellenwert auf <strong>und</strong> ihre Lösung wird als besonders dr<strong>in</strong>glich angesehen.<br />
� Der Staat verfügt nicht über ausreichende f<strong>in</strong>anzielle Mittel, um all die ökologischen,<br />
sozialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Probleme eigenständig lösen zu können.<br />
� Unternehmen werden sich ihrer ökologischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Verantwortung<br />
vermehrt bewusst <strong>und</strong> nehmen diese auch vermehrt wahr.<br />
� Unternehmen erkennen zusehends, dass Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g dazu beitragen<br />
kann, angestrebte Positionierungen erreichen <strong>und</strong> „weiche“ Ziele der Unternehmenskommunikation<br />
realisieren zu können.<br />
34%
232 Fabian Bucher<br />
Es stellt sich die Frage, wie die K<strong>und</strong>en von Telekommunikationsunternehmen e<strong>in</strong><br />
solches Engagement beurteilen.<br />
3%<br />
6%<br />
7%<br />
24%<br />
16%<br />
43%<br />
Abbildung 2: Aufteilung des Sponsor<strong>in</strong>gbudgets im Jahr 2002 <strong>in</strong> der Schweiz<br />
(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)<br />
3 Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von Telekommunikations-<br />
Unternehmen aus der Sicht der K<strong>und</strong>en<br />
Soziales<br />
Ökologie<br />
Kultur<br />
Sport<br />
Event-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Sonstiges<br />
Im Juli 2003 führte das Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen<br />
(IWÖ-HSG) e<strong>in</strong>e explorative Studie mit K<strong>und</strong>en der Swisscom zum Thema „Öko- <strong>und</strong><br />
Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche“ durch (vgl. auch Beitrag Walser).<br />
Der standardisierte Fragebogen setzte sich aus <strong>in</strong>sgesamt zehn Fragen aus den<br />
Teilbereichen Produkte, Dienstleistungen <strong>und</strong> Sponsor<strong>in</strong>g sowie aus Angaben zur Person<br />
zusammen. Die Datenerhebung erfolgte <strong>in</strong> Swisscom-Shops der Städte Genf, Fribourg,<br />
Bern, St. Gallen, Chur <strong>und</strong> Thun. Insgesamt wurden 104 Fragebögen komplett<br />
ausgefüllt. R<strong>und</strong> 85% der Befragten waren zwischen 21 <strong>und</strong> 60 Jahre alt. Zwei Drittel<br />
aller Befragten waren Männer. Obwohl die Stichprobe nicht repräsentativ ist <strong>und</strong> damit<br />
auch nicht ohne weiteres auf die gesamte schweizerische Bevölkerung geschlossen<br />
werden kann, liefert die Befragung doch erste H<strong>in</strong>weise auf das Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />
Sponsor<strong>in</strong>g aus K<strong>und</strong>ensicht. In e<strong>in</strong>er Teilfrage wurden die Personen aufgefordert, die<br />
vier Sponsor<strong>in</strong>gbereiche Sport, Kultur, Ökologie <strong>und</strong> Soziales ihrer subjektiven Wichtigkeit<br />
nach zu ordnen. Die Frage lautete: „Wie würden Sie persönlich das Sponsor<strong>in</strong>g-
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 233<br />
budget von Swisscom aufteilen? Ordnen Sie die zur Auswahl stehenden Bereiche nach<br />
deren Wichtigkeit (1 = am wichtigsten; 4 = am wenigsten wichtig).“<br />
Der Frage lag die Annahme zugr<strong>und</strong>e, dass Sport-Sponsor<strong>in</strong>g aufgr<strong>und</strong> des breiten<br />
öffentlichen <strong>und</strong> medialen Interesses sowie den <strong>in</strong>tensiven Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten am<br />
häufigsten auf Platz e<strong>in</strong>s genannt werden würde. Das empirische Ergebnis hat aber<br />
gezeigt, dass vielmehr der Bereich Soziales von e<strong>in</strong>em Drittel der befragten Personen<br />
am häufigsten auf Platz e<strong>in</strong>s gesetzt wurde. Auf den Plätzen zwei <strong>und</strong> drei folgten die<br />
Bereiche Ökologie <strong>und</strong> Kultur. Der Bereich Sport schnitt e<strong>in</strong>deutig am schlechtesten<br />
ab. Auf den ersten Blick ist dieses Ergebnis sehr überraschend, sollte aber mit Vorsicht<br />
<strong>in</strong>terpretiert werden. Möglicherweise hat das Phänomen der sozialen Erwünschtheit<br />
E<strong>in</strong>fluss auf die Antworten der Befragten gehabt. Demnach haben die Personen Antworten<br />
gegeben, von denen sie glauben, dass sie von ihnen erwartet bzw. erwünscht<br />
werden. Man kann die Ergebnisse aber auch dah<strong>in</strong>gehend <strong>in</strong>terpretieren, dass sich die<br />
befragten Personen tatsächlich vermehrt Engagements von Telekommunikationsunternehmen<br />
<strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales wünschen. Zum<strong>in</strong>dest mag das unerwartete<br />
Ergebnis der K<strong>und</strong>enumfrage Anlass se<strong>in</strong>, die Verteilung der Sponsor<strong>in</strong>gbudgets<br />
zu überdenken <strong>und</strong> gegebenenfalls neue Akzente im sozial-ökologischen Bereich<br />
zu setzen. Voraussetzung hierfür ist e<strong>in</strong>e orig<strong>in</strong>elle <strong>und</strong> professionelle Durchführung<br />
der entsprechenden Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten. Im Folgenden werden ausgewählte Projekte<br />
von Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />
beschrieben <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>ander verglichen, um Erfolgsfaktoren daraus abzuleiten.<br />
4 Ausgewählte Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte<br />
von Telekommunikationsanbietern <strong>in</strong> Europa<br />
In der Schweiz <strong>und</strong> <strong>in</strong> Europa konzentrieren sich die Telekommunikationsanbieter<br />
hauptsächlich auf die Sponsor<strong>in</strong>gfelder Sport, Kultur, Soziales <strong>und</strong> Bildung. Tabelle 1<br />
gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die Anzahl der Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Bereichen.<br />
Die Anzahl sagt noch nichts über die Größe des zur Verfügung gestellten<br />
Budgets aus. Es ist aber ersichtlich, dass sich gewisse Unternehmen stark diversifizieren,<br />
während andere ihre Ressourcen auf e<strong>in</strong>ige wenige Aktivitäten konzentrieren. Die<br />
Unternehmen <strong>und</strong> ihre Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten wurden im Rahmen e<strong>in</strong>er Internetrecherche,<br />
die der Autor <strong>in</strong> der Zeit von November 2003 bis März 2004 durchgeführt hat,<br />
ausgewählt. Entscheidendes Kriterium dabei war, dass das Unternehmen Öko<strong>und</strong>/oder<br />
Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g betreibt. In Tabelle 1 f<strong>in</strong>den sich auch Engagements wieder,<br />
die im S<strong>in</strong>ne der obigen Def<strong>in</strong>itionen nicht als Sponsor<strong>in</strong>g-Engagement gezählt<br />
werden dürften, sondern unter Mäzenatentum oder Spenden e<strong>in</strong>zuordnen s<strong>in</strong>d. Damit
234 Fabian Bucher<br />
bestätigt sich die Aussage, dass viele Unternehmen trotz der klaren Def<strong>in</strong>ition der<br />
Begriffe Sponsor<strong>in</strong>g, Mäzenatentum <strong>und</strong> Spendenwesen Mühe haben, ihre Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten<br />
klar abzugrenzen. Vier der 26 recherchierten Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />
Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten ersche<strong>in</strong>en geeignet, sie e<strong>in</strong>gehender zu beschreiben <strong>und</strong> im<br />
H<strong>in</strong>blick auf Erfolgsfaktoren zu analysieren: Swisscom <strong>und</strong> SMARAGD, Orange <strong>und</strong><br />
UNICEF, mobilkom austria <strong>und</strong> Ärzte ohne Grenzen sowie British Telecom (BT) <strong>und</strong><br />
Am I Listen<strong>in</strong>g?<br />
Orange Sunrise Deutsche<br />
Telekom<br />
Mobilkom<br />
Austria<br />
British<br />
Telecom<br />
Swisscom<br />
Sport 2 6 16<br />
Kultur 2 1 17<br />
Ökologie 1 1 4<br />
Soziales 2 2 8 3 1 4<br />
Bildung 1 5 2 2<br />
Wirtschaft 2 4<br />
Tabelle 1: Engagements im Überblick<br />
(Quellen: Orange 2004, Sunrise 2004, Deutsche Telekom 2004, mobilkom austria 2004, British Telecom<br />
2004, Swisscom 2004)<br />
SMARAGD ist e<strong>in</strong> Öko-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von Swisscom. Swisscom war 1998 das<br />
erste nach ISO 14001 zertifizierte Telekommunikationsunternehmen <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong><br />
bekennt sich auf ihrer Homepage zu e<strong>in</strong>er ökonomisch, ökologisch <strong>und</strong> sozial nachhaltigen<br />
Unternehmensführung. Zudem <strong>in</strong>formiert sie <strong>in</strong>teressierte K<strong>und</strong>en ausführlich<br />
über Ihre Sponsor<strong>in</strong>gphilosophie. Der europaweite Schutz von gefährdeten Tier- <strong>und</strong><br />
Pflanzenarten <strong>und</strong> die Vernetzung von Arten <strong>und</strong> Lebensräumen ist die Aufgabe des<br />
WWF-Projektes SMARAGD, die Vernetzung von Menschen die Aufgabe von Swisscom<br />
Fixnet. Somit stellt der Begriff Vernetzung die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Swisscom<br />
Fixnet, WWF <strong>und</strong> dem Projekt SMARAGD her. WWF wird von Swisscom mit F<strong>in</strong>anz-<br />
<strong>und</strong> Sachmitteln, Dienstleistungen, Know-how <strong>und</strong> Personal unterstützt. So<br />
werden zum Beispiel Naturschutze<strong>in</strong>sätze im Feld durchgeführt, an denen sich Mitarbeiter<br />
von Swisscom beteiligen. Des Weiteren <strong>in</strong>tegriert Swisscom ihr Öko-
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 235<br />
Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Unternehmenskommunikation, <strong>in</strong>dem bspw. Rechnungsbeilagen zu<br />
diesem Thema versendet <strong>und</strong> Informationsblätter <strong>in</strong> den Swisscom Shops aufgelegt<br />
werden (Swisscom 2004).<br />
Orange for UNICEF ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von Orange Schweiz. Orange<br />
<strong>in</strong>formiert K<strong>und</strong>en auf ihrer Homepage sehr detailliert über ihre Unternehmens- <strong>und</strong><br />
Sponsor<strong>in</strong>gphilosophie <strong>und</strong> bekennt sich öffentlich dazu, das Unternehmen sozialökologisch<br />
verantwortungsvoll zu führen. Die Glaubwürdigkeit dieses Bekenntnisses<br />
wird durch die freiwillige Implementierung e<strong>in</strong>es Corporate Social Responsibility Management<br />
(CSR) unterstrichen. Dieses Managementsystem def<strong>in</strong>iert klare Ziele <strong>in</strong> den<br />
Bereichen Soziales, Umwelt <strong>und</strong> Kultur, sucht den offenen Dialog zu den Anspruchsgruppen<br />
<strong>und</strong> nimmt e<strong>in</strong>e Kontrollfunktion war. Die Begriffe Kommunikation <strong>und</strong> Bildung<br />
stellen die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zwischen dem Sponsor, dem Gesponserten <strong>und</strong> dem<br />
Projekt dar, denn Orange vertritt die Ansicht, dass Bildung die Voraussetzung für gegenseitiges<br />
Verständnis <strong>und</strong> Kommunikation darstellt. Da weltweit aber ca. 100 Millionen<br />
K<strong>in</strong>der nicht zur Schule gehen, ist Orange mit UNICEF e<strong>in</strong>e langfristige Partnerschaft<br />
mit dem Ziel e<strong>in</strong>gegangen, <strong>in</strong> verschiedenen Entwicklungsländern den Aufbau<br />
von Schulen zu ermöglichen. Orange unterstützt die Hilfsorganisation mit F<strong>in</strong>anzmitteln<br />
<strong>und</strong> Dienstleistungen. E<strong>in</strong>e dieser Dienstleistungen besteht dar<strong>in</strong>, dass Orange-<br />
K<strong>und</strong>en per SMS e<strong>in</strong>en Betrag von zwei Franken <strong>in</strong> vollem Umfang direkt an<br />
UNICEF spenden können (Orange 2004).<br />
Ärzte ohne Grenzen ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von mobilkom austria. Das Unternehmen<br />
erhielt für dieses Engagement im November 2002 <strong>in</strong> München den Internationalen<br />
Sponsor<strong>in</strong>g Award <strong>in</strong> der Kategorie „Public Sponsor<strong>in</strong>g“. Zum Anlass des 30-jährigen<br />
Bestehens von Ärzte ohne Grenzen im Jahre 2001 beschloss mobilkom austria, e<strong>in</strong>e<br />
langfristige Partnerschaft mit der österreichischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen<br />
e<strong>in</strong>zugehen. Fortan warben die beiden Partner geme<strong>in</strong>sam im Rahmen e<strong>in</strong>er breit angelegten<br />
Informationskampagne für die Anliegen der Hilfsorganisation. mobilkom<br />
austria f<strong>in</strong>anziert Werbekampagnen <strong>und</strong> stellt technologisches Know-how sowie Handys<br />
für den E<strong>in</strong>satz zur Verfügung. Darüber h<strong>in</strong>aus bietet mobilkom austria ihren<br />
K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en SMS-Spenden-Service an. Die Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen<br />
basiert laut mobilkom austria auf e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Wertehaltung. Die Begriffe Mobilität<br />
<strong>und</strong> Flexibilität s<strong>in</strong>d der geme<strong>in</strong>same Nenner. Seit Oktober 2003 verknüpft mobilkom<br />
austria das Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g Ärzte ohne Grenzen erfolgreich mit e<strong>in</strong>em Öko-<br />
Sponsor<strong>in</strong>g. Geme<strong>in</strong>sam mit der Stadt Wien hat mobilkom austria e<strong>in</strong>e Alt-Handy-<br />
Sammelaktion lanciert, bei der alte, nicht mehr gebrauchte oder nicht mehr funktionstüchtige<br />
Handys <strong>und</strong> Zubehör <strong>in</strong> die Shops zurückgebracht oder gratis per Post
236 Fabian Bucher<br />
zurückgesendet werden können. mobilkom austria kümmert sich e<strong>in</strong>erseits um e<strong>in</strong>e<br />
Wiederverwendung oder e<strong>in</strong>e umweltgerechte Verwertung der Geräte <strong>und</strong> spendet andererseits<br />
für jedes zurückgegebene Handy drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Durch<br />
die thematische Verknüpfung des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von mobilkom austria<br />
entstehen Synergieeffekte, die nicht nur den gesponserten Projekten, sondern auch<br />
dem Unternehmen zugute kommen. So wirken sich beispielsweise Kommunikationsanstrengungen<br />
für die Alt-Handy-Sammelaktion auch auf das Projekt Ärzte ohne Grenzen<br />
aus <strong>und</strong> die Glaubwürdigkeit beider Sponsor<strong>in</strong>gprojekte wird erhöht. Dies bee<strong>in</strong>flusst<br />
wiederum das Image von mobilkom austria <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven S<strong>in</strong>ne (mobilkom<br />
austria 2004).<br />
Am I Listen<strong>in</strong>g? ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von British Telecom <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
mit ChildL<strong>in</strong>e. British Telecom hat e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Managementsystem, welches<br />
ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten Rechnung trägt. Ebenso wie<br />
Swisscom ist British Telecom seit 1999 gemäß ISO 14001 zertifiziert. Aufgr<strong>und</strong> von<br />
K<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> Mitarbeitergesprächen identifizierte British Telecom zwei relevante<br />
Themenfelder – Kommunikation <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der. Nach weiterführenden Studien <strong>in</strong> diesen<br />
beiden Bereichen stellte sich heraus, dass im Bereich der Telefonseelsorge Handlungsbedarf<br />
bestand. Vor der Zusammenarbeit mit British Telecom konnte ChildL<strong>in</strong>e<br />
von den täglich 4000 Anrufern nur knapp die Hälfte betreuen. British Telecom entschied<br />
sich zu e<strong>in</strong>er langfristigen Partnerschaft mit ChildL<strong>in</strong>e mit dem klaren Ziel, die<br />
Kapazitäten von ChildL<strong>in</strong>e soweit auszubauen, dass <strong>in</strong> Zukunft sämtliche Anrufe bearbeitet<br />
werden können. Die Unterstützung erfolgt durch F<strong>in</strong>anz- <strong>und</strong> Sachmittel,<br />
Dienstleistungen, Know-how-Transfers <strong>und</strong> Personal. Mitarbeiter von British Telecom<br />
unterstützen ChildL<strong>in</strong>e als freiwillige Helfer bei Events, als Telefonseelsorger oder als<br />
Spendensammler. Durch den aktiven E<strong>in</strong>bezug der Mitarbeiter von British Telecom <strong>in</strong><br />
die gesamte Kampagne wird der soziale Gedanke im Unternehmen selbst gelebt <strong>und</strong><br />
somit die Glaubwürdigkeit des Engagements nach außen erhöht. Das Engagement ist<br />
auf der Homepage von British Telecom sehr gut dokumentiert. Interessierte, aber auch<br />
skeptische K<strong>und</strong>en können sich ausführlich darüber <strong>in</strong>formieren. Zusätzlich liefert der<br />
Begriff Kommunikation dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e klare Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zwischen British<br />
Telecom, ChildL<strong>in</strong>e <strong>und</strong> dem Projekt Am I Listen<strong>in</strong>g? Diese beiden Faktoren wirken<br />
sich positiv auf die Glaubwürdigkeit des Engagements aus (British Telecom 2004).
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 237<br />
5 Kritische Erfolgsfaktoren für Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />
<strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche<br />
Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe von allgeme<strong>in</strong>en Faktoren, die zum Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />
Sponsor<strong>in</strong>g beitragen. Dazu zählen u.a. e<strong>in</strong>e klare Zielgruppenbestimmung, die Festlegung<br />
von Sponsor<strong>in</strong>gzielen, e<strong>in</strong>e gute Planung <strong>und</strong> Durchführung, die Langfristigkeit<br />
des Engagements sowie die Integration des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Kommunikations-Mix<br />
der Unternehmung. Wor<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Erfolgsfaktoren zu sehen, die<br />
spezifisch für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d? Die Analyse der ausgewählten<br />
Projekte <strong>und</strong> Unternehmen im Telekommunikationsbereich lässt auf m<strong>in</strong>destens drei<br />
spezifische Erfolgsfaktoren des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g schließen.<br />
E<strong>in</strong> erster spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ist die Glaubwürdigkeit.<br />
Nur wenn die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Werte im Unternehmen fest verankert<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> gelebt werden, lässt sich e<strong>in</strong> solches Engagement glaubwürdig kommunizieren<br />
(Bruhn 1998, S. 317). Im Fall von British Telecom geschieht dies <strong>in</strong> vorbildlicher<br />
Art <strong>und</strong> Weise. Es kann als „Best Practice“ bezüglich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Management im Telekommunikationssektor bezeichnet werden. Das britische Telekommunikationsunternehmen<br />
fühlt sich e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung verpflichtet<br />
<strong>und</strong> bekennt sich öffentlich zu se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Verantwortung. Um soziale,<br />
ökologische <strong>und</strong> ökonomische Aspekte <strong>in</strong> das Alltagsgeschäft zu <strong>in</strong>tegrieren, hat British<br />
Telecom e<strong>in</strong> umfassendes Corporate Social Responsibility (CSR) System implementiert.<br />
Der „BT Social and Environmental Report“ aus dem Jahr 2004 gibt ausführlich<br />
Auskunft über die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Leistungen des Unternehmens. Der<br />
Sozial- <strong>und</strong> Umweltbericht ist nach den Richtl<strong>in</strong>ien der Global Report<strong>in</strong>g Initiative<br />
(GRI) erstellt <strong>und</strong> von unabhängiger Stelle verifiziert worden. Der Bericht dient als<br />
wichtige Gr<strong>und</strong>lage für e<strong>in</strong>en aktiv <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv geführten Anspruchsgruppendialog.<br />
Für se<strong>in</strong> sozial-ökologisches Engagement ist British Telecom mehrfach ausgezeichnet<br />
worden (u.a. The Queen’s Award for Susta<strong>in</strong>able Development 2003). Im Rahmen des<br />
Dow Jones Susta<strong>in</strong>ability Index 2004 wird British Telecom zum drittenmal <strong>in</strong> Folge<br />
als das beste Unternehmen im Telekommunikationssektor geführt.<br />
E<strong>in</strong> zweiter spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ist die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie<br />
zwischen dem Unternehmen <strong>und</strong> den geförderten Projekten. Die zentrale<br />
Frage lautet: Inwiefern kann der K<strong>und</strong>e <strong>und</strong> die Öffentlichkeit e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvollen Zusammenhang<br />
zwischen dem Sponsor <strong>und</strong> den Gesponserten erkennen? Solche Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien<br />
können sehr unterschiedlicher Natur se<strong>in</strong> <strong>und</strong> werden abgeleitet aus:<br />
Verantwortungs-, Zielgruppen- , Regional- , Produkt-/Dienstleitungs-, Image- oder
238 Fabian Bucher<br />
Know-how-Bezug (Bruhn 1998, S. 336-340). Unter Verantwortungsbezug wird die<br />
ethische Verpflichtung des Unternehmens verstanden, sich an der Lösung sozialökologischer<br />
Probleme der Gesellschaft zu beteiligen. E<strong>in</strong> Zielgruppenbezug ist dann<br />
gegeben, wenn durch den neu zu <strong>in</strong>itiierenden Dialog mit ausgewählten Zielgruppen<br />
(z.B. Umweltschutzorganisationen) e<strong>in</strong> Beitrag zur Lösung sozial-ökologischer Probleme<br />
erreicht werden kann. Beim Regionalbezug liegt der Fokus auf der Lösung regional<br />
begrenzter Probleme oder lokalen Fragen. Beim Produkt-/Dienstleistungsbezug<br />
bestehen Zusammenhänge zu den Produkten bzw. Dienstleistungen des Unternehmens,<br />
deren Herstellung, Verwendung oder Post-Verwendung. E<strong>in</strong> Imagebezug kann dann<br />
hergeleitet werden, wenn sich das Unternehmen bereits <strong>in</strong> der Vergangenheit sozialökologisch<br />
verhalten hat <strong>und</strong> deshalb über gewisse sozial-ökologische Merkmale verfügt.<br />
E<strong>in</strong> Know-how-Bezug begründet sich daraus, dass die vorhandenen Ressourcen<br />
e<strong>in</strong>es Unternehmens dazu geeignet s<strong>in</strong>d, bestimmte ökologische <strong>und</strong> soziale Probleme<br />
zu lösen.<br />
Den vier ausgewählten Telekommunikationsunternehmen ist geme<strong>in</strong>sam, dass sie sich<br />
aus Verantwortung für soziale <strong>und</strong> ökologische Projekte engagieren. E<strong>in</strong> solcher Verantwortungsbezug<br />
ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber noch ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für<br />
den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g. Im Fall von British Telecom <strong>und</strong> dem Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt<br />
Am I Listen<strong>in</strong>g? besteht die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Kommunikation.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus lässt sich e<strong>in</strong> klarer Produkt-/Dienstleistungsbezug <strong>und</strong> Know-<br />
How-Bezug herstellen: British Telecom stellt ChildL<strong>in</strong>e Telefone <strong>und</strong> Telefonleitungen<br />
gratis zur Verfügung <strong>und</strong> die Mitarbeiter von British Telecom unterstützen<br />
ChildL<strong>in</strong>e als freiwillige Helfer. Orange sieht Bildung als e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung<br />
für gegenseitiges Verständnis <strong>und</strong> Kommunikation, wor<strong>in</strong> die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zu<br />
dem Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt mit UNICEF besteht. Der Dienstleistungsbezug ist dadurch<br />
gewährleistet, dass Orange-K<strong>und</strong>en per SMS e<strong>in</strong>en Betrag von zwei Schweizer<br />
Franken <strong>in</strong> vollem Umfang direkt an UNICEF spenden können. Kritisch stellt sich die<br />
Frage, wie viele K<strong>und</strong>en davon tatsächlich Gebrauch machen. Swisscom sieht den Zusammenhang<br />
zum Öko-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt SMARAGD <strong>in</strong> der Vernetzung: Hat Swisscom<br />
Fixnet die Aufgabe, Menschen zu vernetzen, so besteht die Aufgabe des WWF-<br />
Projektes SMARAGD <strong>in</strong> der Vernetzung von Arten <strong>und</strong> Lebensräumen zum Schutz<br />
von gefährdeten Tier- <strong>und</strong> Pflanzenarten. Dieser Zusammenhang ist sehr abstrakt <strong>und</strong><br />
es stellt sich kritisch die Frage, <strong>in</strong>wiefern er für den Durchschnittsk<strong>und</strong>en der Swisscom<br />
e<strong>in</strong>sichtig ist.<br />
E<strong>in</strong> dritter spezifischer Erfolgsfaktor kann <strong>in</strong> der geschickten Verknüpfung des Öko<strong>und</strong><br />
Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g bestehen. Wie aus den obigen Zahlen hervorgeht, s<strong>in</strong>d die
Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 239<br />
Budgets für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g im Vergleich zum Sport- <strong>und</strong> Kultursponsor<strong>in</strong>g<br />
knapp bemessen. Dementsprechend weisen die Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />
Sponsonsor<strong>in</strong>gprojekte vielfach nur e<strong>in</strong>e begrenzte Reichweite auf. Um so wichtiger<br />
ist das Ausnutzen von Synergieeffekten. E<strong>in</strong> gutes Beispiel hierfür ist mobilkom austria,<br />
die das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g geschickt mite<strong>in</strong>ander verknüpfen: Für jedes<br />
zurückgegebene Mobiltelefon spendet das österreichische Telekommunikationsunternehmen<br />
automatisch e<strong>in</strong>en Betrag von drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Dies erhöht<br />
den Anreiz für die K<strong>und</strong>en, die nicht mehr funktionstüchtigen oder gebrauchten Mobiltelefone<br />
<strong>in</strong> die Shops zurückzubr<strong>in</strong>gen. Der K<strong>und</strong>e hat damit wenig zusätzlichen<br />
Aufwand. Die Rückgabe <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Spende h<strong>in</strong>gegen verleihen dem<br />
K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong> gutes ökologisches <strong>und</strong> soziales Gewissen.<br />
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Teil IV:<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />
Perspektiven
Aktive Verantwortungsübernahme von<br />
Unternehmen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />
Implikationen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />
Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
1 E<strong>in</strong>führung<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist e<strong>in</strong> theoretisches Konzept zur systematischen Ausrichtung<br />
von <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung, d.h. es <strong>in</strong>tegriert ökonomische,<br />
ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte <strong>und</strong> Ziele. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
dient somit nicht nur der Verwirklichung ökonomischer Ziele von Unternehmen, wie<br />
dies im herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der Fall ist, sondern verfolgt auch ökologische <strong>und</strong><br />
soziale Ziele. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist dann erfolgreich, wenn sich die Unternehmung<br />
langfristig im Wettbewerb behaupten kann <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en wahrnehmbaren Beitrag<br />
zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Probleme leistet. Dieser Beitrag steht –<br />
s<strong>in</strong>nvollerweise – primär <strong>in</strong> Zusammenhang mit den durch die Unternehmung angebotenen<br />
Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen. Erst der direkte Bezug zur Unternehmenstätigkeit<br />
schafft den angestrebten Zusatznutzen im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist aber nicht nur e<strong>in</strong> theoretisches Konzept, sondern längst<br />
auch erprobte <strong>Praxis</strong>. Soziale <strong>und</strong> ökologische Lösungsbeiträge werden vielerorts <strong>in</strong><br />
die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Aktivitäten von Unternehmen <strong>in</strong>tegriert. Die vielfältigen Beispiele im<br />
Buch zeigen dies e<strong>in</strong>drücklich. Sie verdeutlichen, dass die sozial-ökologischen Problemlagen<br />
auch e<strong>in</strong>e Chance darstellen, nicht trotz, sondern wegen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Erfolg zu haben. Meist werden entsprechende <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Aktivitäten jedoch<br />
noch ohne direkten Bezug auf e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzept <strong>und</strong> dementsprechend<br />
eher zufällig angewandt.<br />
Als erste große Herausforderung für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> ergibt sich somit die Aufgabe,<br />
die noch nebene<strong>in</strong>ander stehenden <strong>Praxis</strong>erfahrungen mit Hilfe des Konzeptes<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese<br />
Weise können die Erfahrungen systematisch weiterentwickelt <strong>und</strong> verbessert werden.<br />
Dabei gilt es zu beachten – <strong>und</strong> auch dies machen die Fallstudien im Buch sehr deutlich<br />
– dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ke<strong>in</strong>e Patentlösung für alle Probleme ist. Es gibt
244 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
allgeme<strong>in</strong>e Faktoren, die dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Grenzen setzen (bspw. sehr<br />
weitreichende Konsumentenbedürfnisse oder das ungünstige Verhältnis der steuerlichen<br />
Belastung auf Arbeit <strong>und</strong> Energie). Neben diesen allgeme<strong>in</strong>en gibt es aber auch<br />
vielfältige branchenspezifische Faktoren, welche die Erfolgschancen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
erhöhen oder begrenzen. Und selbst <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Branche s<strong>in</strong>d situative<br />
Spezifizierungen notwendig (Beitrag Leitner). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist<br />
nicht pauschal, sondern jeweils an die entsprechenden Kontexte situativ anzupassen.<br />
Entsprechende Lösungsansätze f<strong>in</strong>den sich im zweiten Teil des Buches. Aus den von<br />
den Autoren gegebenen Antworten lässt sich e<strong>in</strong>e ebenso <strong>in</strong>teressante wie brisante Erkenntnis<br />
ableiten: Der entscheidungsorientierte Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
(Beitrag Belz) ist so offen, dass er pr<strong>in</strong>zipiell überall Anwendung f<strong>in</strong>den kann. Selbst<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Diskurs eher schwer zugänglichem Feld wie der Telekommunikationsbranche<br />
(Beitrag Walser) gibt es erfolgreiche Ansätze des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
(Beitrag Bucher). Auch die Unternehmensgröße ist für den Erfolg<br />
des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht maßgeblich (Beitrag Leitner). E<strong>in</strong>e Zuordnung<br />
des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als „Nischenansatz“ ist dezidiert zurückzuweisen.<br />
„Nur für Kle<strong>in</strong>unternehmen“, „nur im Lebensmittelmarkt“ oder andere „Nischenzuweisungen“<br />
können auf der Basis der vorliegenden Beiträge als widerlegt angesehen<br />
werden.<br />
Hieraus lässt sich e<strong>in</strong>e zweite große Herausforderung ableiten: Herkömmliches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
kann <strong>und</strong> sollte konsequent mit dem Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
konfrontiert <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en werden. Das Aufzeigen der vielfältigen Chancen für die<br />
Anwendung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> be<strong>in</strong>haltet nicht nur e<strong>in</strong>e Handlungsoption,<br />
sondern auch e<strong>in</strong>en normativen Anspruch. Wenn <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
gr<strong>und</strong>sätzlich möglich ist, dann kann man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen<br />
Verantwortung erwarten, dass sie dieses auch anwenden. Der zentrale<br />
Unterschied zum herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt eben nicht <strong>in</strong> besonderen Kommunikations<strong>in</strong>strumenten<br />
oder ähnlichem (Beitrag Schrader; Beitrag Konrad/Scholl), sondern<br />
<strong>in</strong> der Anerkennung dieser Mitverantwortung der Unternehmen an gesellschaftlichen<br />
Problemen. Es ist offensichtlich, dass die vielfältigen negativen Nebenwirkungen<br />
des herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht länger ignoriert, aber auch nicht länger ausgelagert<br />
werden können. Bereits e<strong>in</strong>fache Überlegungen verleihen diesem „ethischen<br />
Mehrwert“ des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Überzeugungskraft, <strong>in</strong> dem sie zeigen, dass<br />
die bestehenden Produktions- <strong>und</strong> Konsummuster, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Ländern der<br />
OECD, zunehmend aber auch <strong>in</strong> den aufstrebenden Ländern Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> Indien (Gardner/Assadourian/Sar<strong>in</strong><br />
2004, S. 6-8) nicht nachhaltig s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d weder auf die ge-
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 245<br />
samte Weltbevölkerung übertragbar (räumliche Beschränkung) noch auf Dauer aufrecht<br />
zu erhalten (zeitliche Begrenztheit). Insofern verstoßen sie sowohl gegen die<br />
<strong>in</strong>tra- als auch gegen die <strong>in</strong>tergenerative Gerechtigkeit. Als ausgewählte Beispiele nehme<br />
man das Ernährungs- <strong>und</strong> Mobilitätsverhalten <strong>in</strong> Deutschland: Jährlich verzehrt<br />
jeder Deutsche r<strong>und</strong> 90 kg Fleisch <strong>und</strong> tr<strong>in</strong>kt ca. 120 Liter Bier. Würde jeder Ch<strong>in</strong>ese<br />
ebenso viel Fleisch essen <strong>und</strong> Bier tr<strong>in</strong>ken wie der durchschnittliche Deutsche, gäbe es<br />
weltweit nicht genügend Getreide (Brown 1995). Ebenso verhält es sich im Mobilitätsbereich:<br />
Mehr als jeder zweite Deutsche besitzt e<strong>in</strong> Automobil. Damit werden jährlich<br />
im Durchschnitt r<strong>und</strong> 11.000 Kilometer gefahren. Würde man dieses Ausmaß an<br />
<strong>in</strong>dividueller motorisierter Mobilität auf Ch<strong>in</strong>a übertragen, wären die Ölvorräte b<strong>in</strong>nen<br />
weniger Jahre aufgebraucht – mit der Folge ökologischer, sozialer <strong>und</strong> wirtschaftlicher<br />
Instabilitäten (Dyllick 1982). Nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die zukünftigen<br />
Generationen wären davon erheblich betroffen.<br />
Gemäß dem Verantwortungspr<strong>in</strong>zip ist jeder E<strong>in</strong>zelne <strong>und</strong> jede Organisation für die<br />
Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitpr<strong>in</strong>zip tragen alle Verantwortung<br />
für den Erhalt <strong>und</strong> die Sicherung der natürlichen <strong>und</strong> sozialen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />
der Menschen (Meffert/Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4).<br />
Bezogen auf Unternehmen <strong>und</strong> Konsumenten heißt das, dass beide e<strong>in</strong>e geteilte Verantwortung<br />
tragen. Sowohl Unternehmen als auch Konsumenten s<strong>in</strong>d aufgefordert,<br />
ökonomische, ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte <strong>in</strong> ihre Entscheidungen e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />
In dem Maß, <strong>in</strong> dem Unternehmen ihrem Teil der Verantwortung für e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />
Entwicklung gerecht werden, <strong>in</strong> dem Maß können sich auch Konsumenten danach<br />
richten <strong>und</strong> vice versa: In dem Maß, <strong>in</strong> dem Konsumenten ihrem Teil der Verantwortung<br />
für e<strong>in</strong>e nachhaltige Um- <strong>und</strong> Mitwelt nachkommen, <strong>in</strong> dem Maß gibt es für Unternehmen<br />
Anreize, sich entsprechend zu verhalten. Mit anderen Worten: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
<strong>und</strong> nachhaltiger Konsum bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>ander. Was bedeutet dies für<br />
die Verantwortung von Unternehmen? Welche Schlussfolgerungen können aus den<br />
vorliegenden Beiträgen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gezogen werden?
246 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
2 Drei Ebenen aktiver Verantwortungsübernahme<br />
von Unternehmen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Die Verantwortung von Unternehmen für nachhaltige Produktions- <strong>und</strong> Konsummuster,<br />
welche die Gr<strong>und</strong>lage für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> darstellt, kann auf<br />
drei Ebenen verortet werden (Belz/Pobisch 2004):<br />
� Angebot von sozial-ökologischen Produkten;<br />
� Förderung von nachhaltigem Konsum;<br />
� Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Angebot von sozial-ökologischen Produkten<br />
Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten liefert e<strong>in</strong>en wertvollen Beitrag zur<br />
Veränderung der vorhandenen Produktions- <strong>und</strong> Konsumstrukturen. Mit dem bloßen<br />
Angebot von sozial-ökologischen Produkten eröffnen Unternehmen den Konsumenten<br />
Wahlfreiheiten jenseits der Nulloption, d.h. jenseits des Konsumverzichts. Aus der<br />
Sicht der Unternehmen geht es nicht nur darum, die Herstellung der Produkte sozial zu<br />
gestalten <strong>und</strong> ökologisch zu optimieren, sondern auch die Beschaffung nach sozialökologischen<br />
Kriterien auszurichten. In diesem Fall spricht man von <strong>in</strong>tegrierten Lieferantenketten<br />
(„<strong>in</strong>tegrated supply cha<strong>in</strong>s“), welche die vorgelagerten Stufen mit berücksichtigen<br />
(Roome 1998, S. 263; Welford 1998). Umwelt- <strong>und</strong> Sozialmanagementsysteme<br />
wie ISO 14001, EMAS <strong>und</strong> SA 8000 dienen dazu, sozial-ökologische Aspekte<br />
systematisch <strong>in</strong> die Entscheidungsprozesse <strong>und</strong> den Managementzyklus von „Plan-<br />
Do-Check-Act“ e<strong>in</strong>zubeziehen. Aus den vorliegenden Beiträgen des Buches wird deutlich,<br />
dass es Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen <strong>und</strong> Ländern gibt, die ihrer<br />
Verantwortung nachkommen <strong>und</strong> sozial-ökologische Produkte im Sortiment anbieten.<br />
Nach dem Alter der Unternehmen (etabliert/neu gegründet) <strong>und</strong> dem Ausmaß der Sortimentsumstellung<br />
(teilweise/vollständig) kann man vier verschiedene Typen von sozial-ökologischen<br />
Unternehmen unterscheiden (Tab. 1).<br />
Beim ersten Typ handelt es sich um etablierte Unternehmen, die ihr Sortiment zum<strong>in</strong>dest<br />
teilweise auf sozial-ökologische Produkte umstellen. Vielfach s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong>novative<br />
Leaderunternehmen, die auf nationaler oder <strong>in</strong>ternationaler Ebene e<strong>in</strong>e marktführende<br />
Position e<strong>in</strong>nehmen. Beispiele aus dem Lebensmittelbereich s<strong>in</strong>d das schweizerische<br />
Familienunternehmen Baer (Beitrag Leitner), die schweizerischen Handelsunternehmen<br />
Migros (Beitrag Borsani/Hildesheimer) <strong>und</strong> Coop (Beitrag Belz/Ditze) sowie das<br />
<strong>in</strong>ternational tätige Unternehmen Unilever. Im Automobilbereich bietet Volkswagen<br />
neben Mittelklassewagen <strong>und</strong> Nobelkarosserien seit dem Jahr 1999 den VW Lupo
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 247<br />
auch als Drei-Liter-Auto serienmäßig an. DaimlerChrysler hat sich mit dem energieeffizienten<br />
smart als Zweisitzer erfolgreich <strong>in</strong> der Nische der Kle<strong>in</strong>(st)wagen etabliert<br />
(Belz 2001, S. 202-206). Toyota <strong>und</strong> Honda setzen vermehrt auf Hybridautos, die sowohl<br />
mit Benz<strong>in</strong>- als auch Elektromotoren ausgestattet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die nicht nur <strong>in</strong> Japan,<br />
sondern auch <strong>in</strong> Nordamerika <strong>und</strong> Westeuropa wachsende Absatzzahlen verzeichnen.<br />
Im Energiebereich kann man Unternehmen wie BP <strong>und</strong> Shell nennen, die neben der<br />
Exploration, Förderung <strong>und</strong> Vermarktung von Erdöl <strong>und</strong> Gas damit begonnen haben,<br />
auch erneuerbare Energiequellen wie Sonne, W<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Biomasse zu nutzen <strong>und</strong> zu<br />
vermarkten. Die etablierten marktführenden Unternehmen verfügen <strong>in</strong> der Regel über<br />
f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> personelle Ressourcen, welche die erfolgreiche E<strong>in</strong>führung von sozialökologischen<br />
Produkten am Markt ermöglichen. E<strong>in</strong>e besondere Herausforderung besteht<br />
dar<strong>in</strong>, die „mental maps“, die Barrieren im Kopf zu überw<strong>in</strong>den. So hat bspw.<br />
Migros das strategische Erfolgspotenzial von Bioprodukten lange Zeit verkannt, weil<br />
sie es als Nischenphänomen abgetan haben (Villiger 2000, S. 215-222). Teilweise besteht<br />
die Ansicht, dass die Doppelgleisigkeit von konventionellen <strong>und</strong> sozialökologischen<br />
Produkten im Sortiment zu Glaubwürdigkeitsproblemen führen könnte.<br />
Dies hat sich jedoch <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> als unberechtigt erwiesen. Der durchschnittliche<br />
Konsument vertritt diesbezüglich ke<strong>in</strong>e radikal-f<strong>und</strong>amentalistische Position des „entweder<br />
oder“, sondern eher e<strong>in</strong>e pragmatische nach dem Motto „sowohl als auch“.<br />
Alter des<br />
Unternehmen<br />
Etabliert<br />
Neu gegründet<br />
Sortimentsumstellung<br />
Teilweise<br />
Tabelle 1: Typologie sozial-ökologischer Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen<br />
I<br />
III<br />
Vollständig<br />
II<br />
IV
248 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
Der zweite Typ kennzeichnet Unternehmen, die seit längerem am Markt etabliert s<strong>in</strong>d,<br />
aber vollständig auf sozial-ökologische Produkte umsteigen. Im Automobilbereich, der<br />
von wenigen großen Konzernen beherrscht wird, ersche<strong>in</strong>t dies kurz- <strong>und</strong> mittelfristig<br />
unmöglich (auch wenn Toyota hier hohe Erwartungen weckt, <strong>in</strong>dem es mit dem Slogan<br />
wirbt: „Nichts ist unmöglich!“). E<strong>in</strong>e vollständige Umstellung würde <strong>in</strong> dieser<br />
Branche bei gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
gefährden. Im Lebensmittelbereich <strong>und</strong> auf regionaler Ebene kann das eher gel<strong>in</strong>gen,<br />
wie etwa das Beispiel der Hofpfisterei Stocker belegt. Sie hat <strong>in</strong> den 1980er Jahren<br />
begonnen, Brot mit Bio-Getreide aus der Region zu backen. Die Umstellung des gesamten<br />
Brotsortiments auf Bio hat aufgr<strong>und</strong> von Engpässen <strong>in</strong> der Beschaffung r<strong>und</strong><br />
10 Jahre <strong>in</strong> Anspruch genommen. Mit über 150 eigenen Filialen <strong>in</strong> Bayern <strong>und</strong> Baden-<br />
Württemberg nimmt die Hofpfisterei Stocker e<strong>in</strong>e führende Stellung im Qualitätssegment<br />
e<strong>in</strong> <strong>und</strong> ist weitgehend unabhängig vom Preisdiktat des konventionellen Lebensmittelhandels.<br />
Erfolgt die vollständige Umstellung des gesamten Produktsortiments<br />
nach sozial-ökologischen Kriterien, besteht die Gefahr der Segmentverengung.<br />
Wie die empirische Untersuchung von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz zeigt, ist diese<br />
Option allenfalls für kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen <strong>in</strong>teressant, die mit e<strong>in</strong>er<br />
solchen Profilierung e<strong>in</strong>e attraktive Nische bzw. e<strong>in</strong> attraktives Marktsegment besetzen<br />
(Beitrag Belz).<br />
Der dritte Typ charakterisiert Unternehmen, die neu gegründet worden s<strong>in</strong>d oder sich<br />
neu formiert haben <strong>und</strong> die sowohl konventionelle als auch sozial-ökologische Produkte<br />
anbieten. Da Neugründungen im Normalfall e<strong>in</strong>e sehr ger<strong>in</strong>ge Produktdiversifikation<br />
haben, s<strong>in</strong>d Komb<strong>in</strong>ationsangebote eher selten <strong>und</strong> erst mit der Etablierung des Unternehmens<br />
zu erwarten. Dann entsprechen sie aber Typ 1 oder Typ 2.<br />
Im zahlenmäßigen Gegensatz steht hierzu der vierte Typ, die nachhaltigen Pioniere,<br />
die mit dem Zweck gegründet worden s<strong>in</strong>d bzw. werden, sozial-ökologische Produkte<br />
zu entwickeln, e<strong>in</strong>zuführen <strong>und</strong> erfolgreich zu vermarkten. In diesem Zusammenhang<br />
kann man auch von „Ecopreneuren“ oder „Susta<strong>in</strong>able Champions“ reden (Petersen<br />
2003, S. 18-19). Beispiele aus dem Lebensmittelbereich s<strong>in</strong>d das niederländische<br />
Großhandelsunternehmen Eosta (Beitrag Skoppek/Karstens) oder die deutsche Supermarktkette<br />
Basic. Diese wurde 1998 gegründet, führt ausschließlich Bio- <strong>und</strong> teilweise<br />
Fair Trade-Produkte im Sortiment <strong>und</strong> expandiert sukzessive <strong>in</strong> deutschen Großstädten.<br />
Besonders <strong>in</strong>teressant <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist der deutsche W<strong>in</strong>denergiemarkt,<br />
der den weltweit größten nationalen Markt darstellt. Dieser wird heute noch v.a.<br />
im Bereich der Projektierung von Start-up-Unternehmen dom<strong>in</strong>iert. Auch der deutsche<br />
Marktführer bei der Produktion von W<strong>in</strong>dkraftanlagen Enercon ist e<strong>in</strong> unabhängiges
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 249<br />
Unternehmen der ersten St<strong>und</strong>e (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 12). E<strong>in</strong> anderes Beispiel<br />
ist die schweizerische Genossenschaft Mobility CarShar<strong>in</strong>g, die 1997 aus der<br />
Fusion von AutoTeilet <strong>und</strong> ShareCom entstanden ist (Belz 2002, S. 21-22). Mobility<br />
CarShar<strong>in</strong>g verfügt über e<strong>in</strong>e Flotte von 1700 Fahrzeugen, die an 1000 Standorten <strong>in</strong><br />
der Schweiz verteilt s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> genutzt werden können. Mit über 60.000 K<strong>und</strong>en im Jahr<br />
2004 ist Mobility weltweit die größte Car Shar<strong>in</strong>g Organisation. Mobility CarShar<strong>in</strong>g<br />
baut Brücken zum öffentlichen Verkehr <strong>und</strong> ermöglicht komb<strong>in</strong>ierte Mobilität. Es beruht<br />
auf der Idee des Nutzens statt Besitzens <strong>und</strong> möchte die Mobilitätslandschaft <strong>in</strong><br />
der Schweiz nachhaltig verändern. Weitere Firmen, die erfolgreich ausschließlich<br />
nachhaltig positionierte Produkte herstellen <strong>und</strong> vertreiben s<strong>in</strong>d z.B. die Schweizer<br />
Firma Held, welche Produkte für das umweltschonende Waschen <strong>und</strong> Putzen produziert<br />
oder der ökologische Supermarkt Vatter <strong>in</strong> Bern: „Wir treten täglich den Tatbeweis<br />
an, dass die Schonung unserer Lebensgr<strong>und</strong>lagen nicht mit Verzicht verb<strong>und</strong>en<br />
ist, sondern im Gegenteil e<strong>in</strong> Plus an Lebensqualität bedeutet“ (Vatter 2004). Ganz<br />
anders positioniert ist die Firma Freitag, die Taschen aus Recycl<strong>in</strong>gmaterial herstellt,<br />
welche zehn Jahre nach Gründung der Firma schon zum Kultobjekt avanciert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />
globale Verbreitung gef<strong>und</strong>en haben. Hauptausgangsmaterial s<strong>in</strong>d gebrauchte Lastwagenplanen,<br />
was jede Tasche <strong>in</strong>dividuell aussehen lässt. Hier wird mit e<strong>in</strong>em jugendlichen,<br />
kreativen, hedonistischen Lifestyle <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gemacht. Der Umweltschutz ist<br />
der Firma zwar wichtig, aber er wird nicht als Argument im Verkauf e<strong>in</strong>gesetzt, weil<br />
bewusst ke<strong>in</strong>e „Verzichtsphilosophie“, sondern Lebenslust mit dem Produkt verb<strong>und</strong>en<br />
se<strong>in</strong> soll.<br />
Förderung von nachhaltigem Konsum<br />
Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber noch ke<strong>in</strong>e<br />
h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für die erfolgreiche Vermarktung. Wird das Produkt zu e<strong>in</strong>em<br />
relativ hohen Preis verkauft, wenig beworben <strong>und</strong> ist es schwer erhältlich, dann trägt<br />
das nicht zur Förderung e<strong>in</strong>es nachhaltigen Konsums bei. E<strong>in</strong> solches Beispiel ist das<br />
Drei-Liter-Auto von Volkswagen, der VW Lupo 3L TDI, von dem lediglich e<strong>in</strong>ige<br />
Tausend Exemplare jährlich verkauft werden <strong>und</strong> der somit auf e<strong>in</strong>e Nische beschränkt<br />
bleibt. E<strong>in</strong> zentraler Gr<strong>und</strong> dafür dürfte <strong>in</strong> dem vergleichsweise hohen Anschaffungspreis<br />
liegen. In Me<strong>in</strong>ungsumfragen bezeugen die Befragten zwar e<strong>in</strong>e höhere Preisbereitschaft,<br />
aber häufig besteht e<strong>in</strong>e wesentliche Diskrepanz zwischen dem Sozial-/<br />
Umweltbewusstse<strong>in</strong> <strong>und</strong> entsprechendem Verhalten (Balderjahn 2004, S. 152-170).<br />
Tatsächlich ist die Bereitschaft, für sozial-ökologische Produkte mehr zu bezahlen,<br />
sehr ger<strong>in</strong>g (Balderjahn 2003, S. 387-404; Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002, S. 81). E<strong>in</strong> Lö-
250 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
sungsansatz besteht dar<strong>in</strong>, die Kosten <strong>und</strong> damit den Preis zu reduzieren oder e<strong>in</strong>e<br />
Mischkalkulation zugunsten nachhaltiger Produkte vorzunehmen. So bietet bspw. Coop<br />
als zweitgrößtes schweizerisches Handelsunternehmen ausschließlich Bananen an,<br />
die aus Fair Trade-Produktion stammen. Durch den direkten E<strong>in</strong>kauf, das Überspr<strong>in</strong>gen<br />
von Zwischenstufen <strong>und</strong> die Senkung der Logistikkosten können die Fair Trade-<br />
Bananen zum selben Preis angeboten werden wie konventionelle. Der K<strong>und</strong>e erhält<br />
e<strong>in</strong>en sozial-ökologischen Mehrwert „zum Nulltarif“ (Kaas 1992, S. 475-476). Die<br />
Geschäftsphilosophie der Supermarktkette Basic ist, Bio für alle anzubieten. In ihrem<br />
Sortiment haben sie Bio-Eigenmarken, die zu günstigen Preisen angeboten werden. Im<br />
Car Shar<strong>in</strong>g entstehen neue Leistungs- <strong>und</strong> Preiskategorien, die sich schwer mit privatem<br />
Automobilbesitz vergleichen lassen. Nimmt der K<strong>und</strong>e dennoch e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen<br />
Kostenvergleich zwischen <strong>in</strong>dividuellem Automobilbesitz <strong>und</strong> Car Shar<strong>in</strong>g Angeboten<br />
vor, dann wird er bei e<strong>in</strong>er jährlichen Fahrleistung von wenigen Tausend Kilometern<br />
die f<strong>in</strong>anzielle Überlegenheit des Konzepts „Benutzens statt Besitzens“ erkennen.<br />
Neben der klassischen Preisstrategie stehen dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />
moderner <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Instrumente offen, die <strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> h<strong>in</strong>reichend<br />
erprobt <strong>und</strong> erforscht s<strong>in</strong>d. Es geht dementsprechend beim <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
auf strategischen <strong>und</strong> operativen Ebenen nicht darum, „das Rad neu zu erf<strong>in</strong>den“, sondern<br />
konventionelle Methoden wie bspw. K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungsprogramme oder Sponsor<strong>in</strong>g<br />
zieladäquat e<strong>in</strong>zusetzen (Beitrag Konrad/Scholl; Beitrag Bucher). E<strong>in</strong>e zentrale,<br />
aber ke<strong>in</strong>e unlösbare Herausforderung ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen<br />
Information <strong>und</strong> Animation <strong>in</strong> der Kommunikation (Beitrag Schrader; Beitrag<br />
Belz/Ditze). Für den Erfolg von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist es v.a. bei sozialökologischen<br />
Pionierunternehmen wichtig, die Erkenntnisse aus <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />
des herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verstärkt e<strong>in</strong>zubeziehen. Es muss berücksichtigt werden,<br />
dass sich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht durch die Methoden, sondern durch die<br />
erweiterte Zielperspektive <strong>und</strong> die Übernahme von Verantwortung vom klassischen<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterscheidet. Umgekehrt – <strong>und</strong> dies leitet zur dritten Ebene über – müssen<br />
v.a. Leaderunternehmen anerkennen, dass sich die aktive Verantwortungsübernahme<br />
nicht nur auf die Produkte <strong>und</strong> Leistungen bezieht, sondern auch auf die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />
Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg<br />
von sozial-ökologischen Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen s<strong>in</strong>d, werden auch von Unternehmen<br />
– bewusst oder unbewusst – bee<strong>in</strong>flusst. Diese Bee<strong>in</strong>flussung kann sich auf
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 251<br />
Gesetze, auf allgeme<strong>in</strong>e Normen <strong>und</strong> Produktkennzeichnungen (z.B. Labels), aber<br />
auch auf allgeme<strong>in</strong>e Deutungsmuster beziehen (z.B. „Öko = teuer“). Neben der erweiterten<br />
Zielperspektive ist dieser Gestaltungsaspekt das zweite Spezifikum des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
gegenüber dem herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Gesellschaftliche<br />
Strukturen <strong>und</strong> menschliches Verhalten s<strong>in</strong>d nicht exogen vorgegeben, sondern endogen,<br />
d.h. sie können im Laufe der Zeit geändert werden. Während dies im herkömmlichen<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> entweder ignoriert <strong>und</strong> als unbee<strong>in</strong>flussbare Randbed<strong>in</strong>gung akzeptiert<br />
oder nur unter dem Blickw<strong>in</strong>kel des unternehmerischen Eigen<strong>in</strong>teresses verfolgt wird,<br />
steht im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> das „wohlverstandene Eigen<strong>in</strong>teresse“ im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Wohlverstanden ist e<strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>teresse bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte<br />
dann, wenn es erstens zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen (relativ<br />
zum Status Quo) beiträgt <strong>und</strong> es zweitens effektivere Lösungsansätze nicht verh<strong>in</strong>dert<br />
(Beitrag Bilharz). Dies be<strong>in</strong>haltet auch die Bereitschaft zum Wandel <strong>in</strong> der Produktpolitik,<br />
wenn das Eigen<strong>in</strong>teresse konträr zu effektiven sozial-ökologischen Problemlösungen<br />
ist. Für die e<strong>in</strong>zelne Unternehmung ist dies zwar e<strong>in</strong> besonders schwieriges<br />
Terra<strong>in</strong>, aber nicht alles, was im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung <strong>und</strong> der<br />
Allgeme<strong>in</strong>heit als s<strong>in</strong>nvoll angesehen werden kann, erweist sich auch für die e<strong>in</strong>zelne<br />
Unternehmung als zweckmäßig. Mit anderen Worten: Es gibt Gew<strong>in</strong>ner, aber durchaus<br />
auch Verlierer im Rahmen e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung. Hier gilt es, <strong>in</strong>telligente<br />
Übergänge zu entwickeln wie z.B. der viel diskutierte <strong>und</strong> wenig vollzogene Weg von<br />
der Energieproduktion zur Energiedienstleistung (Göll<strong>in</strong>ger 2001, S. 231-340) oder<br />
von der Autoproduktion zur Mobilitätsdienstleistung (Liebehenschel 1999, S. 307-<br />
366). Außerdem zeigt sich auch hier die hohe Anschlussfähigkeit des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />
Konzeptes. Es kann unter sozialer Perspektive s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
Strukturwandel abzufedern oder zu verlangsamen, nicht aber als kritisch e<strong>in</strong>gestufte<br />
Produktionsmuster aufrecht zu erhalten.<br />
Transformativem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, das sich auf die Veränderung von gesellschaftlichen<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen bezieht, kommt deshalb beim <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besondere<br />
Bedeutung zu (Belz 2001, S. 91-99). Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d die Lancierung von<br />
Labels wie die „Bio-Knospe“ oder die von vielen Unternehmen unterstützten Vergütungssätze<br />
für erneuerbare Energien <strong>in</strong> Deutschland durch das Erneuerbare-Energien-<br />
Gesetz (EEG). Das transformative <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> stellt nicht nur e<strong>in</strong>en wichtigen Bauste<strong>in</strong><br />
im Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar, sondern liefert Unternehmen auch e<strong>in</strong>e<br />
hohe gesellschaftliche Legitimation.<br />
Transformatives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann durch e<strong>in</strong>zelne Unternehmen, aber auch im Verb<strong>und</strong><br />
betrieben werden. Dazu gehört im engeren S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> politisches Lobby<strong>in</strong>g für die
252 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
Ausgestaltung nachhaltigkeitsfre<strong>und</strong>licher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Die ÖBU beispielsweise<br />
setzt dies um, <strong>in</strong>dem sie den Schweizer B<strong>und</strong>esparlamentariern regelmäßig e<strong>in</strong><br />
Dialogforum anbietet, parteiübergreifend <strong>und</strong> mit sozial-ökologischen Themen jenseits<br />
der tagespolitischen Agenda. Ziel s<strong>in</strong>d nicht kontroverse, sondern konstruktive Gespräche<br />
zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Politik. In immer neuen Variationen wird den Politikern<br />
präsentiert, dass ökologisches <strong>und</strong> sozialverantwortliches Wirtschaften profitabel<br />
se<strong>in</strong> kann. Das persönliche E<strong>in</strong>treten von erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Pionieren für<br />
entsprechende Regulierungen wirkt dabei vertrauensbildend <strong>und</strong> überzeugend.<br />
Im weiteren S<strong>in</strong>ne unterstützt auch e<strong>in</strong>e fokussierte Öffentlichkeitsarbeit das transformative<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. In den Medien, an Sem<strong>in</strong>aren <strong>und</strong> Konferenzen wird durch die<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>verbände der Unternehmen regelmäßig die Botschaft kommuniziert,<br />
dass Nachhaltigkeit die Wettbewerbskraft stärken kann. Das Zielpublikum besteht<br />
nicht nur <strong>in</strong> Unternehmen, sondern die breite Öffentlichkeit ist angesprochen, welche<br />
als Konsumenten <strong>und</strong> Wähler die Entwicklung maßgeblich mit bee<strong>in</strong>flussen. Die Diskussionen<br />
zeigen, dass nachhaltige Entwicklung bzw. Nachhaltigkeit noch nicht <strong>in</strong> den<br />
Köpfen der Bevölkerung verankert ist. Die gezielte, professionelle Vermittlung der<br />
entsprechenden Informationen (<strong>und</strong> Emotionen) kann zu e<strong>in</strong>er maßgeblichen Erhöhung<br />
des Umsatzes nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleitungen beitragen. Die Unternehmensverbände<br />
erfüllen bei dieser „Aufklärungsarbeit“ e<strong>in</strong>e wichtige Koord<strong>in</strong>ationsaufgabe,<br />
damit die begrenzten Mittel effizient e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />
3 Ausblick<br />
Unternehmen, die aktiv ihre Verantwortung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung<br />
übernehmen, benötigen Unterstützung sowohl von Seiten der Politik durch die Gestaltung<br />
förderlicher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen als auch von Seiten der Konsumenten. So kann<br />
man als Spiegelbild zur Verantwortung von Unternehmen für e<strong>in</strong>e nachhaltige Entwicklung<br />
auch die Verantwortung von Konsumenten auf drei verschiedenen Ebenen<br />
ansiedeln:<br />
� Nachfrage nach sozial-ökologischen Produkten;<br />
� E<strong>in</strong>fordern von Transparenz <strong>und</strong> Information zu den Produkten durch kritische<br />
Konsumenten bzw. Konsumentengruppen;<br />
� Aktive Mitwirkung an der Veränderung <strong>in</strong>stitutioneller Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />
Richtung Nachhaltigkeit (z.B. Mitgliedschaft <strong>und</strong> Teilnahme bei Food Watch,<br />
WWF oder Greenpeace).
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 253<br />
Damit die wechselseitige Abhängigkeit von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage nicht <strong>in</strong> lähmenden<br />
Dilemma-Situationen verharrt, <strong>in</strong> denen jeder mit dem Zeigef<strong>in</strong>ger auf den anderen<br />
zeigt, ist es notwendig, dass alle Akteure aktiv den für sie möglichen nächsten<br />
Schritt unternehmen, um so die Schnittmenge zwischen Ökologie <strong>und</strong> Sozialem e<strong>in</strong>erseits<br />
<strong>und</strong> Ökonomie andererseits kont<strong>in</strong>uierlich zu erhöhen. Unternehmen können somit<br />
nicht aus der hier aufgezeigten Verantwortung – die sich auf den drei skizzierten<br />
Ebenen manifestiert – entlassen werden. Es liegt an den Unternehmen, aus dieser Verantwortung<br />
e<strong>in</strong>e Chance für die eigene Unternehmung zu machen. Das Konzept des<br />
<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bietet jedenfalls – davon s<strong>in</strong>d wir überzeugt – e<strong>in</strong>en geeigneten<br />
Ansatz hierzu. Die theoretischen Chancen s<strong>in</strong>d ausgeleuchtet, praktische Erfolgsbeispiele<br />
weisen den Weg.<br />
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254 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />
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Wüstenhagen, R./Bilharz, M. (2004): Green Energy Market Development <strong>in</strong> Germany:<br />
Effective Public Policy and Emerg<strong>in</strong>g Customer Demand, IWÖ-<br />
Diskussionsbeitrag Nr. 111, St. Gallen.
Autorenangaben<br />
Prof. Dr. Frank-Mart<strong>in</strong> Belz ist seit Sommer 2003 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre<br />
Brau- <strong>und</strong> Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie an der TU München (<strong>TUM</strong> Bus<strong>in</strong>ess<br />
School). An der Universität St. Gallen (HSG) <strong>in</strong> der Schweiz promovierte er 1995 zum<br />
Thema „Ökologie <strong>und</strong> Wettbewerbsfähigkeit von Lebensmittelunternehmen“ <strong>und</strong> habilitierte<br />
sich 2001 zum Thema „Integratives Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“. Als Assistenz-<br />
Professor wirkte er bis 2003 an der Universität St. Gallen. Seit April 2004 ist er Studiendekan<br />
des neu e<strong>in</strong>gerichteten Masterstudiengangs Consumer Science an der TU<br />
München. Aktuell koord<strong>in</strong>iert er zudem das <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är ausgerichtete Verb<strong>und</strong>forschungsprojekt<br />
"Nachhaltiger Konsum <strong>und</strong> Verbraucherpolitik im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert",<br />
welches im Frühjahr 2004 angelaufen ist.<br />
E-Mail: Frank.Belz@wi.tum.de<br />
Michael Bilharz war von 2002 bis 2004 Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong><br />
Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Er studierte von 1993 bis 1999 an<br />
der Universität Regensburg Pädagogik <strong>und</strong> Betriebswirtschaftslehre. Von 2000 bis<br />
2002 arbeitete er im DFG-Forschungsprojekt „Förderung ökologischer Kompetenz“<br />
am Lehrstuhl für empirische Pädagogik <strong>und</strong> pädagogische Psychologie an der LMU <strong>in</strong><br />
München. 2003-2004 war er Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Green Energy Market<br />
Development <strong>in</strong> Germany: Effective Public Policy and Emerg<strong>in</strong>g Customer Demand“.<br />
Seit August 2004 bearbeitet er im Rahmen des Verb<strong>und</strong>forschungsprojektes „Nachhaltiger<br />
Konsum <strong>und</strong> Verbraucherpolitik im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“ an der TU München das<br />
Teilprojekt „Nachhaltiger Konsum als strukturpolitisches Instrument der Verbraucherpolitik“.<br />
E-Mail: Michael.Bilharz@mytum.de<br />
Fausta Borsani ist seit 2000 Projektleiter<strong>in</strong> Ethik beim Schweizer Detailhändler<br />
Migros. Sie studierte von 1982 bis 1988 Agrarwirtschaft an der ETH Zürich <strong>und</strong> war<br />
danach bei e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>bauern<strong>in</strong>itiative <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em privaten Ökologie-Büro tätig. Von<br />
1989 bis 1995 arbeitete sie als Umweltbeauftragte <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de Uster. Gleichzeitig<br />
machte sie 1995 den Abschluss des 2-jährigen Nachdiplomstudiengangs „Nachhaltige
256 Autorenangaben<br />
Ressourcenbewirtschaftung“ am Technikum Rapperswil. Von 1995 bis 2000 war sie<br />
Projektleiter<strong>in</strong> bei der Stiftung für Konsumentenschutz für den Bereich „Publikationen<br />
<strong>in</strong> Ethik- <strong>und</strong> Umweltfragen“.<br />
E-Mail: Fausta.Borsani@mgb.ch<br />
Fabian Bucher studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre.<br />
Nach der Matura im Jahr 1999 folgte e<strong>in</strong> halbjähriger Auslandsaufenthalt <strong>in</strong> Australien.<br />
Von 2000 bis 2001 war er als Flight Attendant bei der Swissair beschäftigt. Im<br />
Rahmen se<strong>in</strong>er Bachelor-Arbeit über Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche<br />
arbeitete er am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie an der Universität<br />
St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland<br />
(SMS)“ (2003-2004).<br />
E-Mail: Fabian.Bucher@student.unisg.ch<br />
Daria Ditze arbeitet zur Zeit bei Man Investments <strong>in</strong> Pfäffikon/Schweiz im Product-<br />
Management. Nach der Matura im Jahr 1998 studierte sie Betriebswirtschaftslehre mit<br />
Vertiefung F<strong>in</strong>anzen, Rechnungslegung <strong>und</strong> Controll<strong>in</strong>g an der Universität St. Gallen.<br />
Im März 2004 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab. 2001 arbeitete sie zudem bei Hisalba<br />
(Holcim) <strong>in</strong> Madrid im Bereich Personalmanagement <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />
E-Mail: dariad@gmx.ch<br />
Gabi Hildesheimer ist seit 1998 Geschäftsleiter<strong>in</strong> der Schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung<br />
für ökologisch bewusste Unternehmungsführung (ÖBU) <strong>in</strong> Zürich. Sie studierte von<br />
1979-1985 Biologie an der Universität Zürich <strong>und</strong> war von 1982 bis 1987 Assistent<strong>in</strong><br />
an der Schule für Gestaltung <strong>in</strong> Zürich. Danach arbeitete sie von 1988 bis 1997 als<br />
Projekt- <strong>und</strong> stellvertretende Geschäftsleiter<strong>in</strong> bei envico. Projekte waren u.a. Umweltverträglichkeitsstudien<br />
(z.B. für Straßenbauprojekte <strong>in</strong> den neuen deutschen B<strong>und</strong>esländern).<br />
Sie war <strong>und</strong> ist Mitglied <strong>in</strong> verschiedenen Gremien, u.a. im beratenden<br />
Organ des B<strong>und</strong>esrates <strong>in</strong> Klimafragen, im Stiftungsrat von Documenta Natura (seit<br />
1993) <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Expertengruppe Raum, Umwelt, Energie des B<strong>und</strong>esamtes für Statistik<br />
(seit 2000).<br />
E-Mail: Hildesheimer@oebu.ch
Autorenangaben 257<br />
Birte Karstens ist wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong> an der Professur für Betriebswirtschaftslehre<br />
Brau- <strong>und</strong> Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie der Technischen Universität München.<br />
Dort arbeitet sie <strong>in</strong> der Forschungsgruppe „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“<br />
mit dem Ziel der Promotion. Sie studierte von 1998 bis 2004 Betriebswirtschaftslehre<br />
<strong>und</strong> Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg mit den<br />
Schwerpunkten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Kommunikation. In ihrer Diplomarbeit befasste sie<br />
sich mit dem Thema „Vom Öko- zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: e<strong>in</strong>e theoretische<br />
Diskussion der Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des Verkaufs ökologischer Produkte“.<br />
E-mail: Birte.Karstens@wi.tum.de.<br />
Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg ist Inhaber des Lehrstuhls <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>management an<br />
der HHL – Leipzig Graduate School of Management. In drei Competence Centers<br />
werden an se<strong>in</strong>em Lehrstuhl Forschungsprojekte auf die Bereiche „Ganzheitliche<br />
Markenforschung“, „Medienmanagement“ <strong>und</strong> „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“ ausgerichtet.<br />
Vor zwanzig Jahren begann Prof. Kirchgeorg am Institut für <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der<br />
Universität <strong>in</strong> Münster mit se<strong>in</strong>en ersten Forschungen zum Umweltmanagement <strong>und</strong><br />
Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Nach se<strong>in</strong>er Promotion über den "E<strong>in</strong>fluss der Ökologie auf das Unternehmensverhalten"<br />
beschäftigte er sich im Rahmen se<strong>in</strong>er Habilitationsschrift mit<br />
dem Themenkomplex des „Marktstrategischen Kreislaufmanagements“. Er hat vielfältige<br />
Lehraufträge an verschiedenen Universitäten im In- <strong>und</strong> Ausland wahrgenommen<br />
<strong>und</strong> ist Mitglied <strong>in</strong> zahlreichen betriebswirtschaftlichen Vere<strong>in</strong>igungen.<br />
E-Mail: Kirchgeorg@market<strong>in</strong>g.hhl.de<br />
Dr. Wilfried Konrad ist seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische<br />
Wirtschaftsforschung (IÖW) im Büro Heidelberg. Er studierte von 1980 bis<br />
1984 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z <strong>und</strong><br />
von 1984 bis 1991 Soziologie an der Universität Frankfurt am Ma<strong>in</strong>. Von 1991 bis<br />
1998 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung <strong>in</strong><br />
Frankfurt am Ma<strong>in</strong> beschäftigt. Hier promovierte er 1996 über die europäische Telekommunikationspolitik<br />
<strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> <strong>in</strong>dustrie- <strong>und</strong> techniksoziologischen Projekten,<br />
bis er 1998 an das IÖW nach Heidelberg wechselte. Se<strong>in</strong>e Tätigkeitsschwerpunkte<br />
s<strong>in</strong>d nachhaltiger Konsum, ökoeffiziente Dienstleistungen, Innovationsforschung <strong>und</strong><br />
produktbezogener Umweltschutz.<br />
E-Mail: Wilfried.Konrad@heidelberg.ioew.de
258 Autorenangaben<br />
Kathar<strong>in</strong>a Leitner promoviert am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität<br />
St. Gallen (IWÖ-HSG) zum Thema „E<strong>in</strong>fluss sozial-ökologischer Pionier- <strong>und</strong> Folgerstrategien<br />
auf die Entwicklung von Wettbewerbsfeldern <strong>in</strong> der Lebensmittelbranche“.<br />
Sie studierte von 1993-1999 Biologie <strong>und</strong> hält e<strong>in</strong>en Magister (Master of Science) der<br />
Naturwissenschaften (Biologie/Genetik) der Paris Lodron Universität Salzburg sowie<br />
den European Master <strong>in</strong> Environmental Management der EAEME. Von 2000-2003<br />
war sie <strong>in</strong> Basel an dem Schweizerischen Zentrum für Biosicherheit <strong>und</strong> Nachhaltigkeit<br />
(BATS) beschäftigt. Während der gesamten Laufzeit des Projektes Susta<strong>in</strong>ability<br />
<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS) (2002-2004) leitete sie verschiedene Teilprojekte zur<br />
Lebensmittelbranche. Zur Zeit arbeitet sie bei Swisscom Innovations <strong>und</strong> erstellt im<br />
Rahmen des Forschungsprojektes Vision 2015 e<strong>in</strong>e historische Analyse der Telekommunikationsbranche.<br />
E-Mail: Kathar<strong>in</strong>a.Leitner@unisg.ch<br />
Rita Pant ist <strong>in</strong> der Textilfirma Cosmosupplylab (Hong Kong) als Vizedirektor<strong>in</strong> der<br />
E<strong>in</strong>kaufsabteilung tätig. Nach ihrer Schulausbildung <strong>in</strong> Freiburg nahm sie 1991 bis<br />
1992 am American Culture Programm des Randolph Macon Woman’s College (USA)<br />
teil. Es folgte von 1992 bis 1995 die Ausbildung zur Mode Designer<strong>in</strong> im Studio Bercot<br />
(Frankreich). Von 1995 bis 2001 studierte sie Wirtschaftswissenschaft an der Universität<br />
Witten/Herdecke (Deutschland). Anschließend war sie bis 2003 Assistent<strong>in</strong> am<br />
Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie, Universität St. Gallen (Schweiz).<br />
E-Mail: rita@cosmosupplylab.com<br />
Kathar<strong>in</strong>a Sammer arbeitet seit 2000 als Lehrstuhlassistent<strong>in</strong> am Institut für Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Sie studierte von 1992-2000<br />
Volkswirtschaft <strong>und</strong> Umweltsystemwissenschaften an der Karl-Franzens Universität <strong>in</strong><br />
Graz. 1997 legte sie e<strong>in</strong> Auslandssemester im Rahmen des Erasmus-Programms <strong>in</strong><br />
L<strong>und</strong>/Schweden e<strong>in</strong>. Innerhalb des Forschungsprojektes "Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
Switzerland" (SMS) behandelte sie die Aspekte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der<br />
Schweizer Baubranche. Derzeit arbeitet sie an e<strong>in</strong>em Projekt des B<strong>und</strong>esamt für Energie<br />
(Schweiz), <strong>in</strong> welchem die E<strong>in</strong>flussnahme der Energieetikette (EU-Energielabel)<br />
auf den Kaufentscheid ermittelt wird.<br />
E-Mail: Kathar<strong>in</strong>a.Sammer@unisg.ch
Autorenangaben 259<br />
Gerd Scholl ist Senior Researcher <strong>und</strong> Projektleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung<br />
(IÖW) im Büro Berl<strong>in</strong>. Er hat von 1987 bis 1993 Volkswirtschaftslehre<br />
<strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Bonn studiert <strong>und</strong> ist seit 1993 als Mitarbeiter im Forschungsfeld<br />
„Ökologische Produktpolitik“ am IÖW beschäftigt. Se<strong>in</strong>e Arbeitsschwerpunkte<br />
s<strong>in</strong>d nachhaltiger Konsum, nachhaltige Dienstleistungen, produktbezogene Umweltpolitik<br />
sowie Umwelt- <strong>und</strong> Soziallabell<strong>in</strong>g. Auftraggeber waren u.a. das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />
für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (BMU), das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />
für Bildung <strong>und</strong> Forschung (BMBF) <strong>und</strong> die Europäische Kommission.<br />
E-Mail: Gerd.Scholl@ioew.de<br />
Dr. Ulf Schrader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>und</strong> Habilitand am Lehrstuhl <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />
I: Markt <strong>und</strong> Konsum an der Universität Hannover. Er studierte Wirtschaftswissenschaften,<br />
Politologie <strong>und</strong> Soziologie <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen, Dubl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Hannover. Neben<br />
se<strong>in</strong>er Lehrtätigkeit leitete er verschiedene Forschungsprojekte im Themenfeld „Nachhaltiger<br />
Konsum“, unter anderem das von der Deutschen B<strong>und</strong>esstiftung Umwelt geförderte<br />
Projekt „Eigentumsloser Konsum – Untersuchung <strong>und</strong> exemplarische Umsetzung<br />
e<strong>in</strong>es ökologischeren Konsumstils“ (1997-2000), den deutschen Part des von der<br />
EU-Kommission geförderten Forschungsprojekts „Strategies towards the Susta<strong>in</strong>able<br />
Household“ (1998-2001) sowie die Arbeit des Lehrstuhls im BMBF-geförderten Projekt<br />
„Investorenentscheidungen als Determ<strong>in</strong>anten e<strong>in</strong>er nachhaltigen Unternehmensführung“<br />
(2001-2003). Se<strong>in</strong>e Dissertation beschäftigte sich mit der Konsumentenakzeptanz<br />
eigentumsersetzender Dienstleistungen. Se<strong>in</strong>e Forschungsschwerpunkte s<strong>in</strong>d<br />
Ökologisches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, Wirtschafts- <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Ethik, Konsumentenverhalten,<br />
Dienstleistungsmarket<strong>in</strong>g, Nachhaltiger Konsum.<br />
E-Mail: us@muk.ifb.uni-hannover.de<br />
Hugo Skoppek ist bei Eosta als Projektleiter von Nature & More für die <strong>in</strong>haltliche<br />
Gestaltung <strong>und</strong> Entwicklung des dynamischen Qualitätssystems verantwortlich. Er hat<br />
mehr als 30 Jahre Erfahrung <strong>in</strong> der „Bio-Szene“. Nach dem Studium von Betriebswirtschaft<br />
<strong>und</strong> „Social Development“ arbeitete er während se<strong>in</strong>er beruflichen Laufbahn <strong>in</strong><br />
den verschiedensten Bereichen entlang der Bio-Handelskette. 1985 begann er sich im<br />
Bereich der Qualitätssicherung zu spezialisieren. Se<strong>in</strong>e Kenntnis <strong>und</strong> Kompetenz liegen<br />
im Bereich der Projektentwicklung <strong>und</strong> Zertifizierung/Akkreditierung. Von 1987<br />
bis 2000 hat er als „Certification Manager“ <strong>und</strong> „Executive Director“ führender Kon-
260 Autorenangaben<br />
trollorganisationen <strong>in</strong> den USA maßgeblich an deren <strong>in</strong>haltlicher Gestaltung <strong>und</strong> Qualitätspolitik<br />
beigetragen. Bevor er die neue Herausforderung bei Eosta annahm, konzentrierte<br />
er sich als Geschäftsführer von „Fair Trade Labell<strong>in</strong>g Organisations International“<br />
auf den sozialen Bereich.<br />
E-Mail: Hugo.Skoppek@natureandmore.com<br />
Andreas Walser studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre.<br />
Nach der Matura im Jahr 1998 absolvierte er bis 2000 se<strong>in</strong>en Militärdienst bei der<br />
Schweizer Armee. Im Rahmen se<strong>in</strong>er Bachelor-Arbeit über „Mobiltelefone im Spannungsfeld<br />
von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen“ war er am<br />
Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt<br />
„Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“ beschäftigt (2003 bis<br />
2004).<br />
E-Mail: Andreas.Walser@student.unisg.ch