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Nachhaltigkeits-Marketing in Theorie und Praxis - TUM

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Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Michael Bilharz (Hrsg.)<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Deutscher Universitäts-Verlag


Vorwort<br />

Das 5. St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>management mit dem Titel „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Potenziale“, das am 25. November 2003 an der Universität<br />

St. Gallen stattfand, war der Abschluss des Forschungsprojektes „Susta<strong>in</strong>ability<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland“ (SMS) <strong>und</strong> gleichzeitig die Geburtsst<strong>und</strong>e für das vorliegende<br />

Buch. Beides ist untrennbar mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en.<br />

Das Projekt wurde vom Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen<br />

(IWÖ-HSG) <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />

bewusste Unternehmensführung (ÖBU) <strong>und</strong> The Susta<strong>in</strong>ability Forum (TSF) während<br />

der Jahre 2002 bis 2004 durchgeführt. Möglich gemacht wurde das Projekt durch die<br />

Anschubf<strong>in</strong>anzierung des TSF <strong>und</strong> die beiden Sponsoren Migros <strong>und</strong> Swisscom. Den<br />

fünf Projektpartnern gilt an erster Stelle unser Dank!<br />

Das Buch ist aber mehr als e<strong>in</strong> Tagungsband. Die Tagungsbeiträge wurden gr<strong>und</strong>legend<br />

überarbeitet. Außerdem konnten neue Autoren gewonnen werden, die das Thema<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> aus praktischer <strong>und</strong> theoretischer Sicht weiterentwickelten.<br />

Ohne sie wäre das Buch <strong>in</strong> der vorliegenden Form nicht möglich gewesen. Den Autoren<br />

gebührt deshalb unser herzlicher Dank für ihre Beiträge, ihre Bereitschaft zur Weiterentwicklung<br />

der Textfassungen sowie für ihre Geduld, dass sich die endgültige<br />

Druckfassung ungewollt länger als geplant verzögerte.<br />

Obwohl beide Herausgeber zwischenzeitlich an der Technischen Universität München<br />

(<strong>TUM</strong> Bus<strong>in</strong>ess School) tätig s<strong>in</strong>d, ist das Buch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d des Instituts für Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Ökologie (IWÖ-HSG). Die f<strong>in</strong>anziellen <strong>und</strong> personellen Ressourcen wurden vom<br />

IWÖ-HSG zur Verfügung gestellt. Hierfür danken wir dessen Direktor Prof. Dr. Thomas<br />

Dyllick, der dieses Buchprojekt möglich gemacht hat.<br />

Von der ersten Textfassung bis zur fertigen Druckvorlage ist es bekanntlich e<strong>in</strong> weiter<br />

Weg. Dass dieser Weg erfolgreich abgeschlossen werden konnte, ist nicht zuletzt das<br />

Resultat vieler kritischer Augenpaare. Namentlich genannt seien: Bernhard Balg,<br />

Michel Geelhaar, Gabi Hildesheimer, Birte Karstens, Kathar<strong>in</strong>a Leitner, Jasm<strong>in</strong><br />

Pobisch, Kathar<strong>in</strong>a Sammer, Petra Schoele <strong>und</strong> Mathias Weis.<br />

III<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz


Inhaltsverzeichnis<br />

Teil I: E<strong>in</strong>führung ..................................................................................................... 1<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz:<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>................................................................ 3<br />

Teil II: Konzeptionelle <strong>und</strong> empirische Gr<strong>und</strong>lagen .......................................... 17<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse ....................................................................... 19<br />

Manfred Kirchgeorg:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive...................................... 41<br />

Ulf Schrader:<br />

Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation ..................................... 61<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel: Theoretische<br />

Überlegungen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse.................................................................... 75<br />

Wilfried Konrad/Gerd Scholl:<br />

Die umwelt.plus.karte: Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung e<strong>in</strong>er<br />

K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen ...................................... 99<br />

Teil III: Situative Anwendungen .......................................................................... 117<br />

Bereich Bauen, Wohnen <strong>und</strong> Energie......................................................................... 119<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche:<br />

„Best Practices“ aus der Schweiz ............................................................................... 119<br />

Michael Bilharz:<br />

Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e. Kritische Anmerkungen<br />

zur Vermarktung von Ökostrom ................................................................................. 141


VI Inhaltsverzeichnis<br />

Bereich Ernährung ...................................................................................................... 161<br />

Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner:<br />

Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität <strong>und</strong><br />

Fair Trade-Kaffee: E<strong>in</strong>e Analyse der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten............................................. 161<br />

Hugo Skoppek/Birte Karstens:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens<br />

am Beispiel von EOSTA <strong>und</strong> „Nature & More“................................. 181<br />

Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer:<br />

Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation .................. 197<br />

Bereich Telekommunikation....................................................................................... 211<br />

Andreas Walser:<br />

Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozialökologischen<br />

Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen.................................................... 211<br />

Fabian Bucher:<br />

Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche.............................. 227<br />

Teil IV: Perspektiven............................................................................................. 241<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz:<br />

Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen durch<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Implikationen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>............................ 243<br />

Autorenangaben .......................................................................................................... 255


Teil I:<br />

E<strong>in</strong>führung


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

1 Nachhaltigkeit <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />

Nachhaltige Entwicklung kann man gemäß der von den Vere<strong>in</strong>igten Nationen e<strong>in</strong>gesetzten<br />

Weltkommission für Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung („Br<strong>und</strong>tland-Kommission“)<br />

def<strong>in</strong>ieren als e<strong>in</strong>e Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generationen<br />

auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse<br />

befriedigen können (World Commission on Environment and Development 1987).<br />

Dah<strong>in</strong>ter steht die Idee der <strong>in</strong>ter- <strong>und</strong> <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit. Seit der UN-<br />

Konferenz <strong>in</strong> Rio de Janeiro 1992 hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung weite<br />

Verbreitung <strong>und</strong> Anerkennung gef<strong>und</strong>en. Gemäß dem Verantwortungspr<strong>in</strong>zip ist jeder<br />

E<strong>in</strong>zelne <strong>und</strong> jede gesellschaftliche Gruppe, jede Organisation <strong>und</strong> damit auch jedes<br />

Unternehmen für die Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitpr<strong>in</strong>zip<br />

tragen alle Menschen <strong>in</strong> allen Ländern Verantwortung für den Erhalt <strong>und</strong> die<br />

Sicherung der natürlichen <strong>und</strong> sozialen Lebensgr<strong>und</strong>lagen der Menschen (Meffert/<br />

Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4). Die Beziehungen zwischen ökonomischen,<br />

ökologischen <strong>und</strong> sozialen Zielen s<strong>in</strong>d nicht immer komplementär, sondern<br />

vielfach konfliktär. Die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verlangt<br />

von Entscheidungsträgern <strong>in</strong> der Wirtschaft e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle Synthese<br />

von ökologischen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten (Dyllick/Hockerts 2002,<br />

S. 130-141; Kirchgeorg 2002, S. 4).<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist ebenso wie Nachhaltigkeit e<strong>in</strong> schillernder Begriff, der e<strong>in</strong>er kurzen Erläuterung<br />

bedarf: Zunächst kann <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als e<strong>in</strong>e operative Unternehmensfunktion<br />

(Absatz, Verkauf oder Vertrieb) verstanden werden, <strong>in</strong> der die vier klassischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />

Produkt, Preis, Kommunikation <strong>und</strong> Distribution zum E<strong>in</strong>satz kommen<br />

(Mc Carthy 1960). Darüber h<strong>in</strong>aus kann <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> aber auch als Führungsphilosophie<br />

aufgegriffen werden, d.h. als K<strong>und</strong>enorientierung von den Beschaffungsmärkten<br />

her zu den Absatzmärkten h<strong>in</strong>, die alle Unternehmensbereiche <strong>und</strong> -funktionen<br />

durchdr<strong>in</strong>gt. Sowohl <strong>in</strong> der <strong>Theorie</strong> als auch <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> wird <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vielfach als<br />

„duale Führungskonzeption“ aufgefasst, d.h. als operative Unternehmensfunktion ne-


4 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

ben Beschaffung <strong>und</strong> Produktion e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> als normative Leitidee der Unternehmensführung<br />

andererseits (Meffert 1995, Sp. 1474; Becker 1998, S. 1-3).<br />

Wie ist die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu sehen? Welche<br />

Wechselwirkungen bestehen zwischen den beiden Konzepten? Aus der Sicht der<br />

Nachhaltigkeit ist kommerzielles <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> höchst ambivalent (Raffée 1979,<br />

S. 13-27): Die positiven Wirkungen des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Versorgungsleistungen <strong>und</strong><br />

Wohlstandseffekten zu sehen. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> erfüllt die Funktion, die Bevölkerung <strong>in</strong> ausreichendem<br />

Maße mit geeigneten Gütern zu versorgen. In der Wohlstands- bzw. Überflussgesellschaft<br />

werden diese Effekte vielfach als Selbstverständlichkeit angesehen.<br />

E<strong>in</strong> zentrales Ziel des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht <strong>in</strong> der Bee<strong>in</strong>flussung der Nachfrage, um dadurch<br />

Absatz <strong>und</strong> Gew<strong>in</strong>n von Unternehmen zu steigern. Damit gehen negative Wirkungen<br />

auf die gesellschaftliche <strong>und</strong> natürliche Umwelt e<strong>in</strong>her, die gekennzeichnet<br />

werden können mit der Ökonomisierung des Lebens, der Überhöhung des materiellen<br />

Konsums („Haben statt Se<strong>in</strong>“) sowie der Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen<br />

als Quelle <strong>und</strong> Senke. Die Probleme werden im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>gehend diskutiert. Insofern kann die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Diskussion dem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

wichtige neue Impulse verleihen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> münden.<br />

Dieses müsste nicht nur ökonomischen Erfolg sichern, sondern im S<strong>in</strong>ne der Nachhaltigkeit<br />

e<strong>in</strong>en Beitrag zur Lösung von sozialen <strong>und</strong> ökologischen Problemlagen liefern.<br />

Gr<strong>und</strong>legend stellt sich die Frage, um welche <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme es geht: Stehen<br />

die <strong>Nachhaltigkeits</strong>wirkungen der Unternehmenstätigkeit im Vordergr<strong>und</strong> oder die<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme der Gesellschaft? Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche<br />

Referenzpunkte, die beide für die unternehmerische Nachhaltigkeit von Bedeutung<br />

s<strong>in</strong>d (Dyllick 2003, S. 236-237): Für Unternehmen stehen zunächst die Auswirkungen<br />

der eigenen Tätigkeiten auf die ökologische <strong>und</strong> soziale Umwelt im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Von Unternehmen wird gefordert, dass sie ihre eigenen Prozesse <strong>und</strong> Produkte<br />

möglichst umwelt- <strong>und</strong> sozialverträglich gestalten. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür wären Autos,<br />

die e<strong>in</strong>en niedrigen Benz<strong>in</strong>verbrauch aufweisen <strong>und</strong> besonders sicher für Fahrer <strong>und</strong><br />

Fußgänger s<strong>in</strong>d. Solche Maßnahmen schaffen Akzeptanz <strong>und</strong> sichern den (kurzfristigen)<br />

Erfolg der Unternehmen im Wettbewerb. Für die Gesellschaft stehen zumeist andere<br />

Probleme im Vordergr<strong>und</strong> wie etwa der weltweit steigende Energieverbrauch, die<br />

hohe Abhängigkeit vom Erdöl <strong>und</strong> der Treibhauseffekt. Gesellschaftliche Anspruchsgruppen<br />

bemessen Unternehmen vor allem daran, welchen Beitrag sie zur Bewältigung<br />

dieser <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme leisten (Dyllick 2003, S. 238). Zur Lösung derartiger<br />

Probleme bedarf es der Entwicklung <strong>und</strong> erfolgreichen Vermarktung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Innovationen<br />

auf der Produkt- <strong>und</strong> Systemebene. Hier ist <strong>in</strong>sbesondere das


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 5<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gefordert. E<strong>in</strong> Beispiel aus der Automobilbranche wären<br />

Brennstoffzellenautos, die ke<strong>in</strong>e Schadstoffemissionen aufweisen <strong>und</strong> durch solar erzeugten<br />

Wasserstoff betrieben werden (Belz 2002, S. 20-21).<br />

2 Begriffliche Bestimmung <strong>und</strong> Abgrenzung<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Fasst man <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als e<strong>in</strong>e duale Führungskonzeption auf, d.h. als operative Unternehmensfunktion<br />

neben Beschaffung <strong>und</strong> Produktion e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> als normative<br />

Leitidee der Unternehmensführung andererseits, dann kann man <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als duale Führungskonzeption im doppelten S<strong>in</strong>n verstehen (Belz 2003,<br />

S. 352; ähnlich auch Balderjahn 2004, S. 47-50). Neben der Marktorientierung (K<strong>und</strong>en/Konkurrenten)<br />

tritt e<strong>in</strong>e umfassende Umweltorientierung (Ökologie/Soziales), die<br />

alle Unternehmensbereiche durchdr<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e markt- sowie umweltorientierte Koord<strong>in</strong>ation<br />

sicherstellen soll (Abb. 1).<br />

Beschaffungsmärkte<br />

Marktorientierung (K<strong>und</strong>e/Konkurrenz)<br />

als Führungsphilosophie<br />

Beschaffung<br />

Produktion <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Umweltorientierung (Ökologie/Soziales)<br />

als Führungsphilosophie<br />

Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als duale Führungskonzeption im doppelten S<strong>in</strong>n<br />

(Quelle: Belz 2003, S. 353)<br />

Im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> geht es darum, die <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnisse auf<br />

e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise zu befriedigen, dass ökologische Belastungen möglichst vermieden<br />

<strong>und</strong> soziale Anliegen so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dies beschreibt<br />

das für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> immanente Spannungsfeld von K<strong>und</strong>enbedürf-<br />

Absatzmärkte


6 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

nissen, Ökologie <strong>und</strong> Sozialem. E<strong>in</strong> derart verstandenes <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt e<strong>in</strong> umfassendes<br />

Verständnis der Nachhaltigkeit im S<strong>in</strong>ne der Br<strong>und</strong>tland-Kommission zugr<strong>und</strong>e.<br />

Daher wird bewusst der Begriff des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verwendet <strong>in</strong> Abgrenzung<br />

zum nachhaltigen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, welches auf die „nachhaltige“ Wirkung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />

abhebt, ohne sozial-ökologische Problemlagen explizit e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />

So def<strong>in</strong>iert bspw. Christian Belz vom Institut für <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Handel der Universität<br />

St. Gallen (IMH-HSG):<br />

„Nachhaltiges <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ... ist gleichzeitig konstruktives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> bewirkt den langfristig<br />

überdurchschnittlichen Erfolg von Unternehmen ... ist wirksam <strong>und</strong> tragfähig ... stützt sich auf<br />

e<strong>in</strong>e zeitliche Abfolge von Maßnahmen <strong>und</strong> ihren Wirkungen, so dass neue Maßnahmen auf<br />

früheren Aktivitäten aufbauen, sie verstärken <strong>und</strong> erweitern ... fördert klare Positionen von Unternehmen,<br />

entwickelt die Beziehungen zum K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zu weiteren Partnern im Markt. Neue<br />

Lösungen wachsen aus dem Bestehenden heraus. Wichtig s<strong>in</strong>d Verlässlichkeit, Kont<strong>in</strong>uität,<br />

Sorgfalt <strong>und</strong> Vertrauen“ (Belz, C. 2001, S. 3).<br />

Aus dieser Def<strong>in</strong>ition wird deutlich, dass die Idee der Nachhaltigkeit lediglich im Analogieschluss<br />

verwendet <strong>und</strong> vor allem auf die Kont<strong>in</strong>uität der Maßnahmen <strong>und</strong> Dauerhaftigkeit<br />

der K<strong>und</strong>enbeziehungen abgehoben wird. E<strong>in</strong> derart verstandenes nachhaltiges<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich ausschließlich am wirtschaftlichen Erfolg (Belz, C. 2001,<br />

S. 5). Für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, wie es hier verstanden werden soll, ist nicht<br />

alle<strong>in</strong> der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend, sondern auch der ökologische <strong>und</strong><br />

soziale.<br />

Des Weiteren ist <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu unterscheiden vom <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für<br />

Nachhaltigkeit, d.h. vom <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für ökologische <strong>und</strong> soziale Ideen (Schoenheit<br />

1990, S. 208-209; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 274). Ersteres betreiben primär kommerzielle,<br />

auf Gew<strong>in</strong>n ausgerichtete Organisationen, wobei die erfolgreiche Vermarktung<br />

von nachhaltigen Produkten <strong>und</strong> Leistungen im Vordergr<strong>und</strong> steht. Letzteres setzen<br />

meist nicht-kommerzielle Organisationen mit dem Ziel e<strong>in</strong>, ökologische <strong>und</strong> soziale<br />

Ideen erfolgreich zu vermitteln. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird als Sozialtechnologie verstanden<br />

<strong>und</strong> von kommerziellen auf nicht-kommerzielle Organisationen übertragen (Kotler/Zaltman<br />

1971; Kotler 1975). In diesem Zusammenhang spricht man von der Ausweitung<br />

des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Kotler/Levy 1969). Dabei geht es u.a. um die Sensibilisierung<br />

der Bevölkerung für ökologische <strong>und</strong> soziale Problembereiche, die Vermittlung entsprechenden<br />

Wissens sowie das Aufzeigen von sozial-ökologischen Handlungsoptionen<br />

auf <strong>in</strong>dividueller <strong>und</strong> kollektiver Ebene. Die e<strong>in</strong>fache Gegenüberstellung von<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Nachhaltigkeit ist analytisch s<strong>in</strong>nvoll,<br />

lässt sich aber empirisch nicht ohne weiteres aufrechterhalten: E<strong>in</strong>erseits betreiben


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 7<br />

auch Unternehmen als kommerzielle Organisationen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für ökologische <strong>und</strong><br />

soziale Ideen (Raffée/Wiedmann 1995, Sp. 1931), andererseits realisieren nichtkommerzielle<br />

Organisationen nicht ausschließlich <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Nachhaltigkeit, sondern<br />

auch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong>dem sie sozial-ökologische Produkte am<br />

Markt anbieten (Belz 2001, S. 12-13). E<strong>in</strong> Beispiel hierfür wären WWF-Läden, die der<br />

größten <strong>in</strong>ternationalen Umweltschutzorganisation angehören <strong>und</strong> die nachhaltige<br />

Produkte vertreiben.<br />

Der Begriff des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist abzugrenzen gegenüber dem (marktorientierten)<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management. Beiden geme<strong>in</strong>sam s<strong>in</strong>d die Marktorientierung<br />

(K<strong>und</strong>en/Konkurrenz) <strong>und</strong> Umweltorientierung (Ökologie/Soziales) als Führungsphilosophien.<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management ist jedoch weiter gefasst als <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>und</strong> kann als Oberbegriff verstanden werden. Während sich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

primär auf den Absatzbereich bezieht, umfasst <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Management alle Funktionsbereiche der Unternehmung (Beschaffung, Produktion,<br />

Absatz, Logistik, F<strong>in</strong>anzen etc.). Um diese s<strong>in</strong>nvoll zu koord<strong>in</strong>ieren, eignen sich Managementsysteme,<br />

die Umwelt <strong>und</strong> Soziales explizit berücksichtigen: Auf europäischer<br />

Ebene kommt dem Environmental Management and Audit Scheme (EMAS) gemäß<br />

der neuen, überarbeiteten EG-Öko-Audit-Verordnung aus dem Jahr 2001 besondere<br />

Bedeutung zu. EMAS II ist kompatibel zur ISO 14001-Norm, welche auf <strong>in</strong>ternationaler<br />

Ebene maßgebend ist. Die Gr<strong>und</strong>struktur der ISO 14001-Norm besteht aus<br />

e<strong>in</strong>em Plan-Do-Check-Act-Kreislauf. Zentrale Elemente s<strong>in</strong>d: Umweltpolitik, Planung,<br />

Implementierung, Kontrolle <strong>und</strong> Bewertung. Dieser Aufbau <strong>und</strong> diese Logik<br />

lässt sich auch auf soziale Sachverhalte übertragen, wie es im Rahmen der SA 8000<br />

(„Social Accountability“) geschieht. Unabhängig von den Systemen ist e<strong>in</strong> umfassendes<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management e<strong>in</strong>e notwendige, wenn nicht unerlässliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

für e<strong>in</strong> langfristig ausgerichtetes, glaubwürdiges <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Erst<br />

wenn die Unternehmung „im eigenen Haus gekehrt hat“, kann sie sich „aus dem Fenster<br />

lehnen“ (Dyllick/Belz 1994, S. 64-67). Die Schlüsselfrage des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lautet:<br />

Wie können Unternehmen e<strong>in</strong>en relevanten Beitrag zur Lösung der sozial-öko-<br />

logischen Probleme leisten, die mit ihren Produkten e<strong>in</strong>hergehen, <strong>und</strong> dadurch e<strong>in</strong>en<br />

K<strong>und</strong>enmehrwert generieren?


8 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

Oder anders formuliert:<br />

Wie können sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen, die e<strong>in</strong>en Beitrag zur Lö-<br />

sung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme leisten, erfolgreich vermarktet werden?<br />

3 Forschungsprojekt „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“<br />

Im Rahmen des anwendungsorientierten Forschungsprojektes „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Switzerland“, kurz: SMS, welches zum 5. St. Galler Forum „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Gr<strong>und</strong>lagen & Potenziale“ <strong>und</strong> zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches<br />

geführt hat, wurde diesen Forschungsfragen nachgegangen. Das Projekt wurde<br />

vom Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) <strong>in</strong><br />

Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />

(ÖBU) <strong>und</strong> The Susta<strong>in</strong>ability Forum (TSF) während der Jahre 2002<br />

bis 2004 durchgeführt. Die ÖBU ist das Kompetenzzentrum der Schweizer Wirtschaft<br />

für unternehmerische Fragen zur Nachhaltigkeit. Sie bietet ihren r<strong>und</strong> 300 Mitgliedsfirmen<br />

konkrete Umsetzungsunterstützung <strong>und</strong> vernetzt Unternehmer, die sich nachhaltigem<br />

Wirtschaften verpflichtet fühlen. The Susta<strong>in</strong>ability Forum Zurich (TSF) fördert<br />

ebenfalls die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung der Nachhaltigkeit. Das Forum bietet<br />

e<strong>in</strong>e Plattform für fruchtbare Dialoge zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit <strong>und</strong><br />

Management, wobei der Schwerpunkt auf der Vermittlung von <strong>Praxis</strong>beispielen liegt.<br />

In der ersten Phase des Projektes leistete TSF e<strong>in</strong>e Anschubf<strong>in</strong>anzierung; <strong>in</strong> der zweiten<br />

Phase beteiligten sich das Schweizer Handelsunternehmen Migros <strong>und</strong> der<br />

Schweizer Telekommunikationsanbieter Swisscom als <strong>Praxis</strong>partner mit f<strong>in</strong>anziellen<br />

<strong>und</strong> personellen Ressourcen. Die wissenschaftliche Leitung des Forschungsprojektes<br />

hatte Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>in</strong>ne, wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong>nen waren Kathar<strong>in</strong>a<br />

Leitner, Kathar<strong>in</strong>a Sammer <strong>und</strong> Rita Pant (alle IWÖ-HSG). Die prozessurale Leitung<br />

des Forschungsprojektes übernahmen Gabi Hildesheimer (ÖBU) <strong>und</strong> Michel Geelhaar<br />

(TSF). Federführend auf Seiten der <strong>Praxis</strong>partner waren Arm<strong>in</strong> Eberle (Migros) <strong>und</strong><br />

Albert Kuhn (Swisscom). Sie wirkten bei der Formulierung der zentralen Fragestellungen,<br />

Zielsetzungen <strong>und</strong> Meilenste<strong>in</strong>e des Forschungsprojektes mit <strong>und</strong> stellten die<br />

Kontakte zur Unternehmenspraxis her. In ihrer Funktion als „reflective practitioners“<br />

gaben sie kritisch-konstruktives Feedback auf erste Fassungen der mündlichen Vorträge<br />

<strong>und</strong> schriftlichen Ausführungen. Wichtige Ziele des Forschungsprojektes waren:


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 9<br />

� Theoretisch-konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu erarbeiten;<br />

� Empirische Untersuchungen <strong>in</strong> ausgewählten Branchen- <strong>und</strong> Unternehmenssituationen<br />

durchzuführen;<br />

� Impulse zur Umsetzung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> zu liefern.<br />

Die <strong>in</strong>haltlichen Schwerpunkte des Forschungsprojekts lagen <strong>in</strong> den Bereichen Bauen/<br />

Wohnen, Ernähren <strong>und</strong> Telekommunikation. Dies lässt sich mit der sozialen, ökologischen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Relevanz dieser Felder begründen. Um den e<strong>in</strong>gangs formulierten<br />

Forschungsfragen nachzugehen, kamen sowohl qualitativ als auch quantitativ<br />

geprägte Methoden zur Erhebung der Daten zum E<strong>in</strong>satz: Insgesamt wurden über 50<br />

halbstrukturierte, offene Interviews mit <strong>Praxis</strong>vertretern aus den drei ausgewählten<br />

Branchen geführt. Darüber h<strong>in</strong>aus wurden e<strong>in</strong>e Onl<strong>in</strong>e-Befragung bei über 200<br />

schweizerischen Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen (Beitrag Belz) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e mündliche<br />

Befragung bei r<strong>und</strong> 100 K<strong>und</strong>en der Swisscom (Beiträge Bucher <strong>und</strong> Walser) durchgeführt.<br />

Diese beiden Erhebungen beruhten auf standardisierten, schriftlichen Fragebögen.<br />

Das Wechselspiel zwischen <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> im Rahmen des Forschungsprojektes<br />

SMS hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. Das 5. St. Galler Forum „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />

Gr<strong>und</strong>lagen & Potenziale“ (Belz/Bilharz 2003) <strong>und</strong> das vorliegende<br />

Buch, an dem sich sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker beteiligt haben, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>drückliche<br />

Belege dafür.<br />

4 Aufbau des Buches<br />

Der Aufbau des Buches ist dreiteilig. Zuerst werden die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> beschrieben <strong>und</strong> kritisch durchleuchtet. Im Anschluss daran<br />

werden die theoretischen Erkenntnisse <strong>in</strong> den drei Bereichen Bauen, Wohnen &<br />

Energie, Ernährung sowie Telekommunikation vertieft <strong>und</strong> anhand vielfältiger <strong>Praxis</strong>beispiele<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er situativen Relativierung diskutiert. Diese Bereiche wurden<br />

nicht zufällig, sondern aufgr<strong>und</strong> ihrer Bedeutung für den sozial-ökologischen Strukturwandel<br />

ausgewählt. Den Abschluss bildet e<strong>in</strong> Resümee aus der Sicht von <strong>Theorie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> .<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz stellt <strong>in</strong> dem folgenden Beitrag e<strong>in</strong>en entscheidungsorientierten<br />

Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar, der dem Problemlösungsverhalten <strong>in</strong> der<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis besonders nahe kommt <strong>und</strong> große Offenheit für die Integration von<br />

sozial-ökologischen Aspekten aufweist. Aus entscheidungsorientierter Sicht differenziert<br />

er sechs Schritte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Ausgehend von der Analyse der


10 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

sozial-ökologischen Probleme <strong>und</strong> der K<strong>und</strong>enbedürfnisse folgen die klassischen<br />

Schritte des normativen, strategischen <strong>und</strong> operativen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Als besonders notwendig<br />

für die erfolgreiche Vermarktung nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

wird als sechster Schritt noch das transformative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>geführt.<br />

In dem zweiten Teil des Beitrags stellt Frank-Mart<strong>in</strong> Belz empirische Ergebnisse<br />

zur Verankerung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> vor, die im Oktober<br />

2003 mittels schriftlicher Befragung bei über 200 schweizerischen Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen<br />

erhoben worden s<strong>in</strong>d.<br />

Im zweiten Gr<strong>und</strong>lagenbeitrag weist Manfred Kirchgeorg darauf h<strong>in</strong>, dass Zielgruppen<br />

für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht notwendigerweise <strong>in</strong> den Industrieländern zu suchen<br />

s<strong>in</strong>d. Er zeigt auf, dass gerade bei armen Bevölkerungsschichten <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />

enorme Wachstumspotenziale vorhanden s<strong>in</strong>d. Manfred Kirchgeorg<br />

knüpft an die von Prahalad <strong>und</strong> Hart ausgelöste Diskussion zum <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei e<strong>in</strong>kommensschwachen<br />

<strong>und</strong> armen Bevölkerungsgruppen <strong>in</strong> Entwicklungsländern an.<br />

Dabei legt er se<strong>in</strong>er Argumentation die normative Forderung der <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit<br />

zugr<strong>und</strong>e, welche e<strong>in</strong> wesentlicher Bestandteil des Leitbilds nachhaltiger<br />

Entwicklung darstellt. Dadurch leistet er zweierlei: Erstens erhält das Konzept des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e dr<strong>in</strong>gend notwendige <strong>in</strong>ternationale Perspektive, <strong>in</strong> der<br />

Entwicklungsländer nicht nur als Produktionsstandorte, sondern auch als Absatzmärkte<br />

<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Zweitens erhalten die damit verb<strong>und</strong>enen („konventionellen“)<br />

Wachstumschancen e<strong>in</strong>e normative Legitimation. Manfred Kirchgeorg arbeitet die<br />

hierfür notwendigen konzeptionellen Anforderungen an das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> heraus, illustriert<br />

sie an anschaulichen Beispielen <strong>und</strong> vergisst dabei nicht, auch auf die kritischen<br />

Aspekte – <strong>in</strong>sbesondere h<strong>in</strong>sichtlich ökologischer Belastungen – h<strong>in</strong>zuweisen.<br />

Ulf Schrader beschäftigt sich auf konzeptioneller Basis mit dem Wandel von der Ökowerbung<br />

zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>kommunikation. Im Vergleich zur traditionellen Ökowerbung<br />

zeichnet sich moderne <strong>Nachhaltigkeits</strong>kommunikation durch folgende fünf<br />

Merkmale aus: Neue Kommunikationsargumente (stärkere Berücksichtigung ökonomischer<br />

<strong>und</strong> sozialer Aspekte), neue Kommunikationsobjekte (stärkere Berücksichtigung<br />

der Produktion <strong>und</strong> Produktnutzung), neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente (stärkere<br />

Berücksichtigung der Unternehmensberichterstattung), neue Kommunikationsgestaltung<br />

(stärkere Berücksichtigung emotionaler Elemente) <strong>und</strong> neuen Kommunikatoren<br />

(stärkere Berücksichtigung der Kommunikation durch unabhängige Dritte).<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>und</strong> Daria Ditze gehen auf empirischer Basis näher auf den Wandel<br />

<strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung e<strong>in</strong>. Sie nehmen e<strong>in</strong>e quantitativ-qualitativ geprägten


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 11<br />

Inhaltsanalyse ausgewählter Werbeanzeigen im Zeitraum 1993 bis 2002 vor. Die empirischen<br />

Ergebnisse bestätigen teilweise die konzeptionellen Überlegungen von Ulf<br />

Schrader. Es zeigt sich, dass erstens e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formations- zu emotionsbezogener<br />

Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> zweitens sozial-ökologische Vorteile e<strong>in</strong>es Produktes<br />

nicht mehr per se als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmale hervorgehoben, sondern mit<br />

herkömmlichen Kaufkriterien zu Motivallianzen verknüpft werden.<br />

Wilfried Konrad <strong>und</strong> Gerd Scholl berichten <strong>in</strong> ihrem Beitrag von der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er<br />

K<strong>und</strong>enkarte für sozial-ökologische Dienstleistungen, die sozialwissenschaftlich begleitet<br />

wurde. Sie referieren <strong>in</strong>teressante Ergebnisse, die zeigen, dass es sich lohnt,<br />

konventionelle <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzepte auf nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen zu<br />

übertragen. So können die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungen gestärkt <strong>und</strong> Netzwerkeffekte genutzt<br />

werden. Weiterer Innovationsanstrengungen bedarf es jedoch v.a. bei der Erweiterung<br />

von Zielgruppen für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen.<br />

Die im ersten Teil ausgeführten allgeme<strong>in</strong>en Erkenntnisse zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d wichtige Gr<strong>und</strong>lagen zur erfolgreichen Umsetzung desselben. Nicht<br />

alle Aspekte s<strong>in</strong>d aber für alle Situationen gleichermaßen relevant oder können 1:1<br />

umgesetzt werden. Vielmehr bedarf es e<strong>in</strong>er situativen Relativierung, welche im zweiten<br />

Teil für drei Bereiche geleistet wird, denen besondere ökologische, soziale <strong>und</strong><br />

ökonomische Relevanz zukommt.<br />

Den Anfang unternehmen Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Rita Pant <strong>und</strong> Kathar<strong>in</strong>a Sammer, die <strong>in</strong><br />

ihrer vorgestellten qualitativen Studie „Best Practices“ aus der Schweizer Baubranche<br />

im H<strong>in</strong>blick auf erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> analysieren. Sie führen <strong>in</strong>novative<br />

Beispiele an, die unterstreichen, dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>en konstruktiven<br />

Ansatz darstellt, um im Kontext e<strong>in</strong>es – durch destruktive Markttendenzen<br />

gekennzeichneten – starken Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerbs trotzdem e<strong>in</strong>en<br />

K<strong>und</strong>enmehrwert zu generieren. Im Zentrum der Überlegungen stehen die Verknüpfung<br />

von sozial-ökologischen Aspekten mit <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnissen zu Motivallianzen.<br />

Die Autoren belegen anhand der analysierten Fallbeispielen, dass auf diese<br />

Weise nicht nur die sozial-ökologisch aktiven, sondern auch die sozial-ökologisch<br />

aktivierbaren Bauherren angesprochen werden können. Generell zeige sich, dass diese<br />

Möglichkeiten bei den Bau- <strong>und</strong> Generalunternehmen noch zu wenig zur Profilierung<br />

am Markt genutzt werde. Außerdem können Holzbauunternehmen als Vorreiter im<br />

Bereich des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezeichnet werden. Ihre Kommunikationsstrategien,<br />

die v.a. auf Aspekte wie Ästhetik, Design <strong>und</strong> Komfort setzen, erreichen auch<br />

Zielgruppen „jenseits der Öko-Nische“.


12 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

Michael Bilharz macht die Notwendigkeit der situativen Relativierung am Beispiel der<br />

Vermarktung von Ökostrom besonders deutlich. Ausgangspunkt für ihn ist die Hoffnung<br />

von Wissenschaftlern <strong>und</strong> Unternehmern, wonach der Markt für Ökostrom e<strong>in</strong><br />

ähnliches Wachstum aufweisen wird wie der Markt für Bioprodukte im Lebensmittelbereich.<br />

Michael Bilharz arbeitet strukturelle Unterschiede dieser beiden Märkte heraus,<br />

die e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Ableitung von Wachstumsprognosen sowie die direkte Übertragung<br />

von „Erfolgsrezepten“ nicht ratsam ersche<strong>in</strong>en lassen. Er weist <strong>in</strong>sbesondere auf<br />

die außergewöhnliche Situation h<strong>in</strong>, dass beim Ökostrom aufgr<strong>und</strong> von politischen<br />

Förderungen das Angebot <strong>in</strong> der Regel die Nachfrage übersteigt. Dies führt dazu, dass<br />

gerade die politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die ohne besondere <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>anstrengungen<br />

e<strong>in</strong>en Markterfolg für erneuerbare Energien garantieren, bei den Marktakteuren<br />

heftig umstritten s<strong>in</strong>d. In Form vier provokanter Thesen benennt er deshalb Erfolgsfaktoren<br />

für e<strong>in</strong> erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien,<br />

welches über die e<strong>in</strong>geschränkte Perspektive der Vermarktung von Ökostrom<br />

h<strong>in</strong>ausweist.<br />

Auch im Bereich Ernährung müssen viele Aspekte differenziert gesehen werden. Kathar<strong>in</strong>a<br />

Leitner zeigt <strong>in</strong> ihrer Analyse des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Schweizer<br />

Lebensmittelproduzenten, dass e<strong>in</strong>e situative Relativierung nicht nur zwischen e<strong>in</strong>zelnen<br />

Branchen, sondern auch <strong>in</strong>nerhalb der Ernährungsbranche notwendig ist. Die steigende<br />

Nachfrage nach Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Lebensmitteln bietet zwar pr<strong>in</strong>zipiell für<br />

alle Lebensmittelproduzenten Chancen. Die erfolgversprechenden Strategien von<br />

Kle<strong>in</strong>unternehmen unterscheiden sich jedoch gr<strong>und</strong>legend von denen mittelständischer<br />

Unternehmen ebenso wie von denen mult<strong>in</strong>ationaler Konzerne. Kathar<strong>in</strong>a Leitner<br />

zeigt anhand von drei Fallstudien, welche Strategien für welche Unternehmensgröße<br />

erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> darstellen bzw. ermöglichen.<br />

Wie e<strong>in</strong> solches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konkret im Lebensmittelhandel ausschauen<br />

kann, verdeutlichen exemplarisch die zwei nachfolgenden Beiträge.<br />

Hugo Skoppek <strong>und</strong> Birte Karstens stellen <strong>in</strong> ihrer Fallstudie das Großhandelsunternehmen<br />

EOSTA vor, den größten Importeur für biologisches Obst <strong>und</strong> Gemüse <strong>in</strong> Europa.<br />

Sie arbeiten <strong>in</strong> ihrem Beitrag die Gestaltungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />

heraus, das sich nicht als Konkurrent <strong>und</strong> Nutzenmaximierer, sondern als Partner im<br />

Wertschöpfungsprozess versteht. Der Markterfolg von EOSTA beruht demnach auf<br />

e<strong>in</strong>em ausgewogenen Balanced <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, welches sowohl den Beschaffungsmarkt<br />

als auch den Absatzmarkt im Blick hat. Dabei s<strong>in</strong>d im Fall von EOSTA zwei Merkmale<br />

besonders hervorzuheben: Auf der Seite des Beschaffungsmarktes s<strong>in</strong>d es die lang-


E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> 13<br />

fristigen Vertragsbeziehungen mit den Erzeugern, die im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em<br />

umfassenden Qualitätssicherungssystem e<strong>in</strong>e wertvolle Vertrauensbasis gebildet haben.<br />

Auf der Seite des Absatzmarktes zeichnet sich EOSTA durch e<strong>in</strong> Höchstmaß an<br />

Transparenz für die <strong>in</strong>teressierten K<strong>und</strong>en aus. Was Ulf Schrader <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag<br />

konzeptionell herausarbeitet, wird hier praktiziert: E<strong>in</strong>e emotional-argumentative<br />

Kommunikationsstrategie auf der Basis des Internets. Man kann den Erzeuger des von<br />

EOSTA gekauften Produktes leicht im Internet f<strong>in</strong>den. Doch zuerst spürt man die Unternehmensphilosophie:<br />

„Healthy, organic and fair“.<br />

Den Abschluss des Themenfelds Ernährung bildet e<strong>in</strong> Gespräch zwischen Fausta Borsani,<br />

Projektleiter<strong>in</strong> Ethik bei Migros (Schweiz), <strong>und</strong> Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiter<strong>in</strong><br />

der Schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />

(ÖBU). In dem Gespräch wird deutlich, dass die Lancierung von Bio-Produktl<strong>in</strong>ien<br />

nicht die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Bereich Ernährung<br />

darstellt. So versucht der Schweizer Migros-Konzern sozial-ökologische Standards im<br />

gesamten Sortiment kont<strong>in</strong>uierlich zu erhöhen. Der K<strong>und</strong>e soll bei allen Produkten e<strong>in</strong><br />

gutes Gefühl haben, nicht nur bei den „grünen“. Dies stellt besondere Anforderungen<br />

an das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, die abschließend am Beispiel des Palmölprojekts<br />

von Migros erläutert werden.<br />

Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien <strong>und</strong> -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer<br />

Gesellschaft von zunehmender wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong> ökologischer Bedeutung.<br />

Beim Bereich der Telekommunikation handelt es sich aber – ähnlich wie beim Strommarkt<br />

– um e<strong>in</strong>en Markt, bei dem bisher sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>e oder nur<br />

e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle spielen.<br />

Andreas Walser untersucht deshalb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag, <strong>in</strong>wieweit sich ökologische <strong>und</strong><br />

soziale Aspekte als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen. Unterstützt<br />

durch e<strong>in</strong>e quantitative Befragung von r<strong>und</strong> 100 Nutzern geht er der Frage nach, ob<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form e<strong>in</strong>e Schnittmenge bei Mobiltelefonen zwischen den ökologischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Problemen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits<br />

besteht. Se<strong>in</strong>e Analyse kommt zu e<strong>in</strong>em eher ernüchternden Fazit. Mehrere Faktoren<br />

lassen es unwahrsche<strong>in</strong>lich ersche<strong>in</strong>en, dass sich e<strong>in</strong> „Öko-Handy“ am Markt behaupten<br />

kann. E<strong>in</strong>zig für Handys mit reduzierten Strahlungswerten sieht der Autor aufgr<strong>und</strong><br />

der Befragungsergebnisse se<strong>in</strong>er Studie realistische Marktchancen.<br />

Dieses ernüchternde Ergebnis lenkt den Blick auf andere Aspekte des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> jenseits<br />

der Produktpolitik. Fabian Bucher untersucht deshalb aufbauend auf aktuellen<br />

Trends im Sponsor<strong>in</strong>gbereich sowie e<strong>in</strong>er eigenen quantitativen Befragung die Chan-


14 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Michael Bilharz<br />

cen <strong>und</strong> Risiken e<strong>in</strong>es Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g aus der Sicht von Telekommunikationsanbietern.<br />

Anhand vier ausgewählter „Best Practices“ entwickelt er kritische Erfolgsfaktoren<br />

für erfolgreiche Sponsor<strong>in</strong>gprojekte. Insbesondere die klare Fokussierung<br />

auf wenige, dafür aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit<br />

stehenden Projekte wird von Fabian Bucher betont.<br />

Im dritten <strong>und</strong> letzten Teil des Buches ziehen Frank-Mart<strong>in</strong> Belz, Gabi Hildesheimer<br />

<strong>und</strong> Michael Bilharz e<strong>in</strong> Resümee. Sie def<strong>in</strong>ieren zwei große Herausforderungen für<br />

<strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>, die sich aus den Buchbeiträgen ergeben. Zum e<strong>in</strong>en gilt es, die<br />

noch nebene<strong>in</strong>ander stehenden <strong>Praxis</strong>erfahrungen mit Hilfe des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese Weise<br />

können die gemachten Erfahrungen systematisch weiterentwickelt <strong>und</strong> verbessert werden.<br />

Des Weiteren kann <strong>und</strong> sollte herkömmliches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konsequent mit dem<br />

Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> konfrontiert <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en werden. Denn<br />

wenn <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> allen Branchen <strong>und</strong> bei allen Unternehmensgrößen<br />

möglich ist, wie es die Beiträge <strong>in</strong> diesem Buch zeigen, dann kann<br />

man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung erwarten,<br />

dass sie dieses auch anwenden. Es liegt – so das Fazit der Autoren – an den Unternehmen,<br />

aus dieser Verantwortung e<strong>in</strong>e Chance für die eigene Unternehmung werden<br />

zu lassen.<br />

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Teil II:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />

<strong>und</strong> empirische Gr<strong>und</strong>lagen


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

1 Nachhaltigkeit als Herausforderung für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Ökologie <strong>und</strong> Soziales s<strong>in</strong>d Megatrends des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts, die sich nachhaltig auf<br />

die Produkte <strong>und</strong> Märkte von morgen auswirken werden. Erste Anzeichen e<strong>in</strong>es ökologisch<br />

<strong>und</strong> sozial <strong>in</strong>duzierten Wandels s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Märkten festzustellen.<br />

So wird sich bspw. der Energiemarkt <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>schneidend verändern: Es ist<br />

abzusehen, dass während der nächsten 30-50 Jahre nicht-regenerierbare Ressourcen<br />

wie Erdöl durch regenerierbare Ressourcen wie Sonne, W<strong>in</strong>d, Wasser, Erdwärme <strong>und</strong><br />

Biogas ergänzt sowie ersetzt werden. Doch nicht nur auf dem Energiemarkt, sondern<br />

auch im Bau-/Immobilienmarkt (Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser) sowie Lebensmittelmarkt<br />

(Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte) mehren sich die Anzeichen für f<strong>und</strong>amentale<br />

Veränderungen, die e<strong>in</strong>erseits strategische Risiken darstellen, andererseits aber auch<br />

große Chancen für <strong>in</strong>novative Unternehmen eröffnen.<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Frage des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lautet, <strong>in</strong>wiefern Unternehmen<br />

relevante Beiträge zur Verbesserung der sozial-ökologischen Probleme liefern <strong>und</strong><br />

gleichzeitig K<strong>und</strong>enmehrwert schaffen können. Damit wird das immanente Spannungsfeld<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von sozial-ökologischen Problemen e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits beschrieben. Im vorliegenden Beitrag wird<br />

zunächst e<strong>in</strong> entscheidungsorientierter Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorgestellt,<br />

der es Unternehmen ermöglicht, dieses Spannungsfeld auszuloten <strong>und</strong> sozialökologische<br />

Aspekte systematisch <strong>in</strong> das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren (Kap. 2). Anschließend<br />

werden empirische Ergebnisse e<strong>in</strong>er Umfrage zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz dargestellt (Kap. 3). Aus der Umfrage vom Oktober<br />

2003 geht hervor, <strong>in</strong>wiefern schweizerische Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

auf der strategischen <strong>und</strong> operativen Ebene umsetzen. Abschließend<br />

werden die wichtigsten Erkenntnisse <strong>und</strong> Erfolgsfaktoren des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kurz zusammengefasst (Kap. 4).


20 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

2 Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Gestaltung e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zeichnet sich durch den bewussten<br />

<strong>und</strong> konsequenten E<strong>in</strong>bezug ökologischer <strong>und</strong> sozialer Kriterien <strong>in</strong> der gesamten Konzeption<br />

aus (Belz 2003, S. 352-355). Aus entscheidungsorientierter Perspektive kann<br />

man dah<strong>in</strong>gehend sechs Schritte differenzieren (Abb. 1).<br />

1. Schritt: Analyse der<br />

sozial-ökol. Probleme<br />

3. Schritt: Normatives<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

4. Schritt: Strategisches<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

5. Schritt: Operatives<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

6. Schritt: Transformatives<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

2. Schritt: Analyse der<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />

Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – E<strong>in</strong> entscheidungsorientierter Ansatz<br />

Die ersten beiden Schritte kennzeichnen die Informationsebene: Dabei geht es e<strong>in</strong>erseits<br />

um die Analyse der ökologischen Belastungen <strong>und</strong> der sozialen Probleme der<br />

Produkte entlang des gesamten Lebenszyklus „von der Wiege bis zur Bahre“, andererseits<br />

um die Analyse der K<strong>und</strong>enbedürfnisse. Dies ist das immanente Spannungsfeld,<br />

welches dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zugr<strong>und</strong>e liegt. Das Ausblenden der sozialökologischen<br />

Aspekte charakterisiert das herkömmliche <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Die Vernachlässigung<br />

der K<strong>und</strong>enperspektive kann man als alternatives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder Anti-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezeichnen, welches allenfalls <strong>in</strong> (Kle<strong>in</strong>st-) Nischen Resonanz f<strong>in</strong>det.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 21<br />

Ausgangspunkt des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die negativen externen Effekte<br />

ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art, die mit der Herstellung <strong>und</strong> Verwendung von Produkten<br />

e<strong>in</strong>hergehen. Erst e<strong>in</strong>e umfassende Analyse entlang des gesamten Produktlebenszyklus<br />

gibt Aufschluss über die zentralen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problembereiche. Hierzu<br />

eignet sich bspw. das Instrument der Produktl<strong>in</strong>ienanalyse, welches die Auswirkungen<br />

von Produkten auf die Natur, Gesellschaft <strong>und</strong> Wirtschaft anhand von E<strong>in</strong>zelkriterien<br />

operationalisiert <strong>und</strong> qualitativ bewertet (Projektgruppe ökologische Wirtschaft 1987).<br />

Das Instrument der Life Cycle Analysis (LCA) erlaubt auch e<strong>in</strong>e Quantifizierung der<br />

Produktauswirkungen auf die natürliche Umwelt (Umweltb<strong>und</strong>esamt 1992). Das<br />

Ausmaß <strong>und</strong> die Art der sozial-ökologischen Probleme während der e<strong>in</strong>zelnen Lebenszyklusphasen<br />

s<strong>in</strong>d unterschiedlich ausgeprägt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Regel produktspezifisch.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich kann man dah<strong>in</strong>gehend zwischen rohstoff-, herstellungs-, gebrauchs-,<br />

entsorgungs- <strong>und</strong> logistik<strong>in</strong>tensiven Produkten unterscheiden (Spiller 1996, S. 52-53).<br />

So entstehen bspw. bei Textilien auf den Stufen der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> der Vorproduktherstellung<br />

e<strong>in</strong>e Vielzahl von ökologischen Belastungen <strong>und</strong> sozialen Problemen<br />

(Meyer 2001, S. 83-96), während bei Automobilen die Gebrauchsphase e<strong>in</strong>e besondere<br />

Rolle spielt (Liebehenschel 1999, S. 172-179; Belz 2001, S. 175-180). Die<br />

Bewertung der Produkte auf die natürliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Umwelt ist nicht trivial<br />

<strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em hohen Maß an Unsicherheit verb<strong>und</strong>en (Kaas 1992, S. 478): Zum<br />

e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d die Umweltauswirkungen von Produkten entlang des gesamten Lebenszyklus<br />

vielschichtig, <strong>in</strong>direkt <strong>und</strong> komplex <strong>und</strong> weit davon entfernt, restlos erforscht zu<br />

werden (exogene Unsicherheit). Zum anderen ist auch das vorhandene Wissen über die<br />

ökologischen <strong>und</strong> sozialen Auswirkungen nur für Wissenschaftler <strong>und</strong> Experten e<strong>in</strong>igermaßen<br />

überschaubar, während es für e<strong>in</strong>en durchschnittlichen Konsumenten<br />

schwierig ist, e<strong>in</strong>en Überblick über die Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit von Produkten<br />

zu erhalten (endogene Unsicherheit).<br />

Die K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen<br />

Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen <strong>und</strong> Kosten analysieren. Der Nutzen umfasst<br />

neben dem Gr<strong>und</strong>nutzen e<strong>in</strong>es Produktes (Gebrauchsnutzen) auch den Zusatznutzen<br />

<strong>in</strong> Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen (Anerkennung<br />

durch andere Personen) <strong>und</strong> Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude<br />

(Vershofen 1940, S. 63-86). Bei den Kosten s<strong>in</strong>d nicht ausschließlich der Produktpreis<br />

zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs- <strong>und</strong> Post-<br />

Verwendungskosten. Die e<strong>in</strong>zelnen Nutzen- <strong>und</strong> Kostenkategorien werden subjektiv<br />

wahrgenommen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuell gewichtet. Ist der Nettonutzen e<strong>in</strong>es sozialökologischen<br />

Produktes aus der Sicht des K<strong>und</strong>en höher als der Nettonutzen e<strong>in</strong>es her-


22 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

kömmlichen Produktes, wird er ersteres bevorzugen. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er solchen<br />

Nutzen-Kosten-Abwägung kann man gr<strong>und</strong>sätzlich drei verschiedene Gruppen<br />

von Verbrauchern unterscheiden: sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive<br />

(Belz 2001, S. 79). Die erste Gruppe ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen<br />

sensibilisiert <strong>und</strong> gut darüber <strong>in</strong>formiert. Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />

e<strong>in</strong>en hohen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen. Daher s<strong>in</strong>d sie eher<br />

bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen zu machen <strong>und</strong> gegebenenfalls höhere Kosten<br />

<strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Die zweite Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />

<strong>und</strong> sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen, ist<br />

aber nicht ohne weiteres bereit, Nutzene<strong>in</strong>bußen oder Kostenerhöhungen dafür zu<br />

nehmen. Nachhaltige Produkte unter Vernachlässigung herkömmlicher Qualitätsmerkmale<br />

kommen für diese Zielgruppe nur sehr bed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Frage. Die dritte Gruppe<br />

sieht ke<strong>in</strong>en Mehrwert <strong>in</strong> sozial-ökologischen Produkteigenschaften <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> der Regel<br />

weder zu Nutzene<strong>in</strong>bußen noch zu Kostenerhöhungen bereit.<br />

Das immanente Spannungsfeld des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von sozial-ökologischen<br />

Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen ist nicht statisch, sondern dynamisch. So kann<br />

sich die E<strong>in</strong>schätzung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Probleme im Laufe der Zeit<br />

gr<strong>und</strong>legend ändern. Sie hängt von mehreren Faktoren wie dem naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisstand (Spiller 1996, S. 389-412), der öffentlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Wahrnehmung sowie technologischen Innovationen ab (Ottman 1998, S. 89-93). Aber<br />

auch die K<strong>und</strong>enbedürfnisse ändern sich im Laufe der Zeit. So hat bspw. der Trend<br />

zum Hedonismus weit reichende Konsequenzen für die Vermarktung von sozialökologischen<br />

Produkten. Anstatt allgeme<strong>in</strong> auf sozial-ökologische Probleme abzuheben,<br />

ist es wichtig, <strong>in</strong>dividuelle Nutzen- <strong>und</strong> Kostenvorteile herauszustellen, die mit<br />

derartigen Produkten e<strong>in</strong>hergehen (Beiträge Schrader <strong>und</strong> Belz/Ditze). Das zentrale<br />

Ziel der ersten beiden Schritte ist die Identifikation der Schnittmenge zwischen sozialökologischen<br />

Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen. Diese Schnittmenge ist nicht<br />

statisch <strong>und</strong> objektiv gegeben, sondern sie ist vielmehr dynamisch <strong>und</strong> wird von Entscheidungsträgern<br />

<strong>in</strong> Unternehmen konstruiert <strong>und</strong> teilweise sehr unterschiedlich<br />

wahrgenommen. So kann es vorkommen, dass der Umwelt- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>beauftragte<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen große Chance zur Profilierung im Markt sieht, während<br />

Produkt- oder <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>manager dah<strong>in</strong>gehend sehr skeptisch s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e Analyse der<br />

beiden Pole <strong>und</strong> E<strong>in</strong>schätzung der Lage kann ergeben, dass die Schnittmenge recht<br />

groß ist <strong>und</strong> erhebliche Gestaltungsspielräume für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von<br />

Unternehmen bestehen. Dies ist bspw. im schweizerischen Lebensmittelhandel der<br />

Fall, <strong>in</strong> dem sozial-ökologische Aspekte e<strong>in</strong>e große Rolle im Wettbewerb spielen <strong>und</strong>


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 23<br />

e<strong>in</strong>en zentralen Erfolgsfaktor darstellen (Beiträge Leitner <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer).<br />

Die Analyse kann aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Schnittmenge noch<br />

recht kle<strong>in</strong> ist <strong>und</strong> die Gestaltungsspielräume für aktives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

vorläufig noch e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d. Dies zeigt sich bspw. <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche,<br />

<strong>in</strong> dem sozial-ökologische Probleme zweifelsohne relevant s<strong>in</strong>d, aber aus<br />

K<strong>und</strong>ensicht nur e<strong>in</strong>e nachgelagerte Bedeutung haben. So stehen etwa beim Kauf von<br />

Handys Kriterien wie die Funktionalität, das Design <strong>und</strong> der Preis im Vordergr<strong>und</strong>,<br />

während aus Sicht der K<strong>und</strong>en sozial-ökologische Aspekte kaum e<strong>in</strong>e Rolle spielen<br />

(Beitrag Walser). Dies mag u.a. daran liegen, dass die Anbieter <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

noch ke<strong>in</strong>e ernsthaften Initiativen zur Vermarktung unternommen haben.<br />

Die Schritte drei bis fünf charakterisieren die Gestaltungsebene: Ökologische <strong>und</strong> soziale<br />

Aspekte s<strong>in</strong>d durchgehend <strong>und</strong> konsistent auf der normativen, strategischen <strong>und</strong><br />

operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren (Balderjahn 2004,<br />

S. 42-194). Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich am Leitbild des „susta<strong>in</strong>able<br />

development“, der nachhaltigen Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen<br />

Generationen auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen<br />

ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff 1987). Dah<strong>in</strong>ter steht die Idee der <strong>in</strong>ter<strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit. Die Abstraktheit dieser Formel ist Stärke <strong>und</strong><br />

Schwäche zugleich: E<strong>in</strong>erseits f<strong>in</strong>det sie allgeme<strong>in</strong>e Zustimmung, andererseits birgt sie<br />

aber auch die Gefahr der ideologisch verbrämten E<strong>in</strong>engung (Hansen/Schrader 2001,<br />

S. 22). Für e<strong>in</strong>zelne Unternehmen <strong>und</strong> Branchen besteht die Schwierigkeit, das Leitbild<br />

der nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. Der World Bus<strong>in</strong>ess Council for<br />

Susta<strong>in</strong>able Development (WBCSD), e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung von 160 <strong>in</strong>ternationalen Unternehmen<br />

aus über 30 Ländern <strong>und</strong> 20 verschiedenen Branchen, widmet sich bspw.<br />

dieser Aufgabe: Sie unterstützen das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, formulieren<br />

nachhaltige Gr<strong>und</strong>sätze für verschiedene Branchen <strong>und</strong> geben konkrete Handlungsanweisungen<br />

mit „Best Practice“-Beispielen aus der Unternehmenspraxis (Holliday/Schmidhe<strong>in</strong>y/Watts<br />

2002). Dabei fließen jeweils Ökonomie, Ökologie <strong>und</strong> Soziales<br />

als die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit e<strong>in</strong> (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die<br />

von Unternehmen verantwortungsvoll <strong>in</strong>tegriert werden müssen (Dyllick/Hockerts<br />

2002, S. 130-141). Die <strong>in</strong>tegrierte Betrachtung von ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong><br />

sozialen Aspekten führt zu erhöhten Anforderungen im Produkt- <strong>und</strong> Leistungsbereich.<br />

Dabei kann es nicht um die e<strong>in</strong>malige Aussöhnung der Trias gehen. Vielmehr<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierlichen Prozess <strong>und</strong> ständiges Abwägen vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sich verändernder Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Die<br />

Ziele im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> können qualitativer oder quantitativer Art se<strong>in</strong>.


24 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

Sie beziehen sich primär auf die K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Produkte <strong>und</strong> sollten handlungsleitenden<br />

Charakter für das Management <strong>und</strong> die Mitarbeiter haben.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage der vorausgegangenen Analysen <strong>und</strong> der Orientierung am Leitbild<br />

der nachhaltigen Entwicklung s<strong>in</strong>d marktteilnehmerbezogene Strategien festzulegen.<br />

Die zentrale Frage lautet: Welche K<strong>und</strong>engruppen sollen wie mit nachhaltigen Produkten<br />

angesprochen werden? Bei den marktteilnehmerbezogenen Strategien ist zwischen<br />

Handel <strong>und</strong> Endverbraucher zu differenzieren (Bruhn 1992, S. 540-545; Kirchgeorg<br />

1995, S. 1949-1950). In vielen Konsumgüterbranchen nimmt der Handel die Funktion<br />

als sozial-ökologischer Gatekeeper bzw. Diffusionsagent wahr (Hansen 1988; Hansen/Kull<br />

1996). Er spielt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle bei der E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> erfolgreichen<br />

Vermarktung von nachhaltigen Produkten. In diesem Fall bietet sich e<strong>in</strong> vertikal <strong>in</strong>tegriertes<br />

Vorgehen <strong>in</strong> Abstimmung <strong>und</strong> Kooperation mit dem Handel an.<br />

Bei den Endverbrauchern kann man, wie oben ausgeführt, gr<strong>und</strong>sätzlich zwischen sozial-ökologisch<br />

Aktiven, Aktivierbaren <strong>und</strong> Passiven unterscheiden. Für kle<strong>in</strong>ere Pionierunternehmen<br />

mag es <strong>in</strong>teressant e<strong>in</strong>, gezielt die Gruppe der sozial-ökologischen<br />

Aktiven <strong>in</strong> nachhaltigen Nischen anzusprechen. In diesem Fall werden Ökologie <strong>und</strong><br />

Soziales vielfach als dom<strong>in</strong>ante Profilierungsdimensionen neben Qualität <strong>und</strong> Preis<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Für mittlere <strong>und</strong> große Unternehmen ist e<strong>in</strong>e solche Positionierung problematisch,<br />

führt sie doch zu e<strong>in</strong>er Marktverengung. In diesem Fall mag es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>,<br />

Ökologie <strong>und</strong> Soziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension zu verwenden, um<br />

damit die Gruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Gel<strong>in</strong>gt es Unternehmen,<br />

Ökologie <strong>und</strong> Soziales mit herkömmlichen Leistungsmerkmalen wie Design,<br />

Ästhetik, Ges<strong>und</strong>heit, Wirtschaftlichkeit etc. zu sog. „Motivallianzen“ zu verb<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> als Mehrwert zu vermarkten, ist diese Gruppe offen für entsprechende Produkt-<br />

<strong>und</strong> Leistungs<strong>in</strong>novationen (Belz 2001, S. 83-84; Meffert/Kirchgeorg 1998,<br />

S. 282-283; Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000, S. 39-41). E<strong>in</strong>e dritte Möglichkeit besteht<br />

dar<strong>in</strong>, die Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit lediglich als flankierende Profilierungsdimension<br />

e<strong>in</strong>zusetzen. In diesem Fall s<strong>in</strong>d sozial-ökologische Aspekte zwar e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>tegraler Bestandteil der Produktqualität, werden aber nicht besonders hervorgehoben.<br />

E<strong>in</strong>e solche Positionierung ist am ehesten geeignet, um die sozial-ökologisch Passiven<br />

<strong>und</strong> damit den Massenmarkt zu erreichen. Die drei Möglichkeiten machen deutlich,<br />

dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Nische, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Marktsegmenten <strong>und</strong><br />

im Massenmarkt betrieben werden kann. Die Entscheidung für e<strong>in</strong>e dieser strategischen<br />

Optionen hängt <strong>in</strong>sbesondere von der Unternehmensgröße <strong>und</strong> der Stellung am<br />

Markt ab. Auf jeden Fall ist die Marktsegmentierung e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für<br />

die Ableitung <strong>und</strong> Umsetzung von erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 25<br />

(Balderjahn 2004, S. 104): Unter e<strong>in</strong>er nachhaltigkeitsorientierten Marktsegmentierung<br />

ist e<strong>in</strong>erseits die Identifikation, Bildung <strong>und</strong> Beschreibung von sozialökologischen<br />

K<strong>und</strong>engruppen (Markterfassung), andererseits deren Bewertung, Auswahl<br />

<strong>und</strong> segmentspezifischen Bearbeitung zu verstehen (Marktbearbeitung).<br />

Ausgehend von den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien erfolgt die Umsetzung auf<br />

der operativen Ebene. Im Mittelpunkt des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix stehen<br />

nachhaltige Produkte, die <strong>in</strong>dividuelle K<strong>und</strong>enbedürfnisse befriedigen <strong>und</strong> die negativen<br />

externen Effekte ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum reduzieren. In<br />

diesem S<strong>in</strong>n kann man nachhaltige Produkte def<strong>in</strong>ieren als Produkte, die weniger ökologische<br />

Belastungen <strong>und</strong> soziale Probleme als herkömmliche Produkte mit e<strong>in</strong>em<br />

vergleichbaren Gebrauchsnutzen verursachen. Aus dieser Begriffsbestimmung geht<br />

hervor, dass nachhaltige Produkte ke<strong>in</strong>e absoluten, sondern relative Größen darstellen,<br />

die sich entsprechend dem Stand des Wissens, der Technologien <strong>und</strong> dem Anspruchsniveau<br />

im Laufe der Zeit ändern können. E<strong>in</strong> Produkt, dass heute noch als besonders<br />

ökologisch <strong>und</strong>/oder sozial e<strong>in</strong>gestuft wird, kann schon morgen als Standard gelten.<br />

E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist das vieldiskutierte Drei-Liter-Auto, welches als ökologisches<br />

Produkt angesehen wird, da es weniger Benz<strong>in</strong> verbraucht als herkömmliche am Markt<br />

erhältliche Produkte (Liebeshenschel 1999, S. 211-305; Hoffmann 2002, S. 209-240).<br />

Schreitet die technologische Entwicklung <strong>in</strong> den kommenden Jahren weiter voran <strong>und</strong><br />

wird das E<strong>in</strong>-Liter-Auto entwickelt oder f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Technologiesprung von Benz<strong>in</strong>motoren<br />

zu Brennstoffzellen statt (Belz 2002, S. 20-21), dann wird das Drei-Liter-Auto<br />

zukünftig sicherlich nicht mehr als ökologisches Produkt e<strong>in</strong>gestuft. Bei der Beurteilung<br />

der Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit e<strong>in</strong>es Produktes ist der gesamte Lebenszyklus<br />

„von der Wiege bis zur Bahre“ zu berücksichtigen (Dyllick 1992, S. 400-401).<br />

Weiterführend ist die Idee des Produktlebenszyklus „von der Wiege bis zur Wiege“,<br />

welche sich an der Kreislaufwirtschaft orientiert <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Wiederverwendung/<br />

-verwertung explizit mit e<strong>in</strong>bezieht (Kirchgeorg 1999; ders. 2002). Zwei ausgewählte<br />

Beispiele für nachhaltige Produkte aus den Bedürfnisfeldern Wohnen <strong>und</strong> Ernähren<br />

s<strong>in</strong>d:<br />

� Sozialwohnungen <strong>in</strong> Passivhaus-Bauweise: Aus energetischer Sicht kommt der<br />

Nutzung e<strong>in</strong>es Gebäudes während des gesamten Lebenszyklus e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung<br />

zu (Koller 1995, S. 138; Öko-Institut 1998, S. 26). Passivhäuser, die ohne aktive<br />

Heizsysteme auskommen <strong>und</strong> mit Komfortlüftungen ausgestattet s<strong>in</strong>d, reduzieren<br />

den Energieverbrauch während der Nutzungsphase um den Faktor 5 gegenüber<br />

Neubauten <strong>und</strong> den Faktor 15-20 gegenüber Altbauten (Belz 2001, S. 100-105).<br />

Werden diese von Bau- oder Immobiliengesellschaften zu e<strong>in</strong>em günstigen Miet-


26 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

preis als Sozialwohnungen angeboten, stellt das e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur<br />

CO2-Problematik <strong>und</strong> zur Wohnungsnot dar (Hübner/Hermel<strong>in</strong>k 2002, S. 129-133).<br />

H<strong>in</strong>zu kommt, dass die Mieter gegenüber möglichen Energiepreissteigerungen <strong>in</strong><br />

der Zukunft weitgehend abgesichert s<strong>in</strong>d.<br />

� Fair Trade-Produkte aus biologischem Anbau: Nach Erdöl ist Kaffee der meistgehandelte<br />

Rohstoff der Welt. Die ökologischen Kernprobleme dieses Lebensmittelproduktes<br />

s<strong>in</strong>d nicht im Röstprozess zu sehen, der mittlerweile schon alle<strong>in</strong> aus<br />

Kostengründen sehr energie- <strong>und</strong> wassereffizient ist, sondern vielmehr <strong>in</strong> der Anbauweise<br />

(Belz 1995, S. 167-174). Die Monokulturen <strong>und</strong> die Aufbereitung der<br />

Kaffeekirschen s<strong>in</strong>d mit der Zerschneidung von Ökosystemen, Reduktion der Artenvielfalt,<br />

Belastung von Gewässern <strong>und</strong> Boden sowie Energieverbrauch <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong>hergehenden Luftemissionen verb<strong>und</strong>en. H<strong>in</strong>zu kommen die sozialen Probleme<br />

auf dieser Stufe: Die Kaffeepflücker auf den Monokulturen s<strong>in</strong>d nicht ausreichend<br />

gegen die e<strong>in</strong>gesetzten Agrochemikalien geschützt, leben vielfach unter ärmlichen<br />

Verhältnissen <strong>und</strong> verdienen e<strong>in</strong>en sehr ger<strong>in</strong>gen Lohn; die Kle<strong>in</strong>bauern unter<br />

den Kaffeepflanzern leiden unter der Abhängigkeit von den Zwischenhändlern,<br />

dem weltweiten Überangebot an Kaffee <strong>und</strong> dem Preiszerfall. E<strong>in</strong> Beitrag, um diese<br />

sozialen <strong>und</strong> ökologischen Probleme anzugehen, wäre das Angebot von Fair<br />

Trade-Kaffee aus biologischem Anbau (Belz 1995, S. 189-191).<br />

Werden sozial-ökologische Aktive oder Aktivierbare als K<strong>und</strong>engruppen gezielt angesprochen,<br />

dann besteht i.d.R. e<strong>in</strong> gewisser Preisspielraum. Soll dieser ausgeschöpft<br />

werden, ist es allerd<strong>in</strong>gs unerlässlich, dass die nachhaltigen Produkte e<strong>in</strong>en für die<br />

K<strong>und</strong>en wahrnehmbaren Mehrwert besitzen. E<strong>in</strong>e zentrale Herausforderung <strong>in</strong> der<br />

Kommunikation von nachhaltigen Produkten ist die Transformation des Sozialnutzens<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Individualnutzen (Kaas 1992, S. 476-478; Meffert 1993, S. 51-54; Kirchgeorg<br />

1995, S. 1945-1946). E<strong>in</strong>e Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, den sozialen <strong>und</strong> ökologischen<br />

Mehrwert geschickt mit herkömmlichen Qualitäts- <strong>und</strong> Leistungskriterien zu Motivallianzen<br />

zu verknüpfen (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 282-283; Hoffmann 2002,<br />

S. 117-119). Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d biologische Lebensmittel, die ges<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

schmackhaft s<strong>in</strong>d oder Drei-Liter-Autos, die wirtschaftlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Lebensstil versprechen. In der Kommunikation gilt es, sich auf dem schmalen Grat<br />

zwischen Animation <strong>und</strong> Information zu bewegen, ohne die Glaubwürdigkeit aus der<br />

Sicht des K<strong>und</strong>en zu verlieren (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). E<strong>in</strong>e Möglichkeit<br />

dazu ist der E<strong>in</strong>satz von emotional-argumentativer Werbung, die neben dem Text vor<br />

allem emotionalisierende (Natur-) Bilder oder assoziative Wörter <strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es verwendet,<br />

um beim Zuschauer bzw. Leser positive Gefühle hervorzurufen (Lichtl 1999,


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 27<br />

S. 53). E<strong>in</strong> anderer Weg besteht <strong>in</strong> der Differenzierung der klassischen (Massen-)<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Public Relations, wie es bspw. DaimlerChrysler vornimmt: Im<br />

Fall des „Smart“ wird <strong>in</strong> der klassischen Kommunikation auf ökologische Argumente<br />

weitgehend verzichtet, während es bei Public Relations e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielt. Um<br />

die sozial-ökologischen Produkteigenschaften glaubhaft gegenüber dem K<strong>und</strong>en zu<br />

vermitteln, ist der E<strong>in</strong>satz von Öko- <strong>und</strong> Sozial-Labels s<strong>in</strong>nvoll, die von dritten, unabhängigen<br />

Organisationen vergeben werden. Genießen derartige Labels Glaubwürdigkeit<br />

aus der Sicht des Konsumenten <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sie allgeme<strong>in</strong> bekannt, können sie erhebliche<br />

Absatzwirkungen entfalten. Sollen nicht nur die sozial-ökologisch Aktiven, sondern<br />

auch die Aktivierbaren <strong>und</strong> möglicherweise Passiven angesprochen werden, dann<br />

ist e<strong>in</strong> hoher Distributionsgrad unabd<strong>in</strong>gbar. Die beiden letzteren K<strong>und</strong>engruppen s<strong>in</strong>d<br />

kaum bereit, höhere Beschaffungskosten <strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Daher s<strong>in</strong>d nachhaltige<br />

Produkte nicht ausschließlich über kle<strong>in</strong>ere Alternativläden, Direktvermarktung <strong>und</strong><br />

Versandhandel zu vertreiben, sondern auch über konventionelle Läden. E<strong>in</strong> weiterer<br />

Distributionsweg besteht <strong>in</strong> neuen „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Zentren“, die nachhaltige Produkte<br />

<strong>und</strong> Leistungen unter e<strong>in</strong>em Dach anbieten (Zander 2002, S. 8-9).<br />

Der sechste <strong>und</strong> letzte Schritt kennzeichnet die Transformationsebene: Innerhalb der<br />

gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d der E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Vermarktung von nachhaltigen<br />

Produkten vielfach enge Grenzen gesetzt. Um die Voraussetzungen für die erfolgreiche<br />

Vermarktung von nachhaltigen Produkten jenseits von Nischen zu schaffen <strong>und</strong><br />

die Schnittmenge zwischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Ökologie/Sozialem zu vergrößern, s<strong>in</strong>d<br />

Veränderungen der öffentlichen <strong>und</strong> politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen notwendig. An<br />

diesen gesellschaftspolitischen Prozessen können sich Unternehmen <strong>und</strong> ihre Verbände<br />

im wohlverstandenen Eigen<strong>in</strong>teresse beteiligen <strong>und</strong> die Weiterentwicklung der freien<br />

Marktwirtschaft zu e<strong>in</strong>er sozial-ökologischen Marktwirtschaft vorantreiben. Aus<br />

dieser Sicht werden Öffentlichkeit <strong>und</strong> Politik als Vorsteuergrößen des Marktes betrachtet<br />

<strong>und</strong> explizit im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> berücksichtigt. Im Schumpeterschen<br />

S<strong>in</strong>n geht es um die schöpferische Zerstörung bestehender Strukturen, die sich<br />

als nicht-nachhaltig erweisen. Die Idee der „branchen- <strong>und</strong> ordnungspolitischen Mitverantwortung“<br />

von Unternehmen stammt aus der <strong>in</strong>tegrativen Unternehmensethik<br />

(Ulrich 1998, S. 429-437) <strong>und</strong> ist auch Bestandteil e<strong>in</strong>es guten Corporate Citizenship<br />

(Schrader 2004, S. 52-60). In Anlehnung an die <strong>in</strong>tegrative Unternehmensethik kann<br />

man zwei Ebenen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tegrativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> differenzieren (Belz<br />

2001, S. 79-99): Normatives, strategisches <strong>und</strong> operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>in</strong>nerhalb der gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zur Veränderung der öffentlichen <strong>und</strong> politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.


28 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

Letzteres dient zur Vergrößerung der Schnittmenge von <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Ökologie/Sozialem.<br />

Ziele des transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bestehen dar<strong>in</strong>,<br />

<strong>in</strong>stitutionelle Veränderung <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen, die<br />

� entweder positive Anreize für den Kauf <strong>und</strong> die Verwendung von sozialökologischen<br />

Produkten<br />

� oder negative Anreize für den Kauf <strong>und</strong> die Verwendung von herkömmlichen Produkten<br />

setzen (Belz 2001, S. 97).<br />

Exemplarische Beispiele für e<strong>in</strong> derart verstandenes transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d: Öffentliche Befürwortung e<strong>in</strong>er aufkommensneutralen ökologischen<br />

Steuerreform; Vere<strong>in</strong>barung von freiwilligen Branchenvere<strong>in</strong>barungen, die sich auf die<br />

Umwelt- <strong>und</strong> Sozialverträglichkeit von Produkten beziehen; Entwicklung <strong>und</strong> Unterstützung<br />

von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Labels <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Non Governmental Organisations<br />

(NGOs). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Labels werden von dritten unabhängigen Organisationen<br />

vergeben <strong>und</strong> kontrolliert, schaffen Transparenz im Markt <strong>und</strong> signalisieren<br />

dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en sozial-ökologischen Mehrwert. Migros betreibt derartiges transformatives<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong>dem sie sich auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene für die<br />

allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dliche Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>es Labels für nachhaltiges Palmöl e<strong>in</strong>setzt, welches<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Alltagsprodukten wie Margar<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Blätterteig enthalten<br />

ist <strong>und</strong> andere Öle zusehends ersetzt (Borsani 2003, S. 25-26). Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

beschränkt sich jedoch nicht auf Großunternehmen, die <strong>in</strong>ternational<br />

agieren, sondern bezieht sich auch auf kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen,<br />

die auf regionaler <strong>und</strong> nationaler Ebene strukturverändernd wirken können (Schneidew<strong>in</strong>d<br />

1998).<br />

3 Empirische Ergebnisse zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz<br />

Um den Stand des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> zu ermitteln, hat das Institut<br />

für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />

mit der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch bewusste Unternehmensführung<br />

(ÖBU) im Oktober 2003 e<strong>in</strong>e personalisierte Onl<strong>in</strong>e-Befragung bei r<strong>und</strong> 1000<br />

schweizerischen Unternehmen durchgeführt. Davon waren r<strong>und</strong> 300 ÖBU-Mitglieder,<br />

während die restlichen 700 Unternehmen der ÖBU nahe stehen <strong>und</strong> schon e<strong>in</strong>mal Interesse<br />

an der Vere<strong>in</strong>igung bek<strong>und</strong>et haben. Dabei standen folgende Fragen zum strategischen<br />

<strong>und</strong> operativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Vordergr<strong>und</strong> (siehe Anhang):


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 29<br />

� Was s<strong>in</strong>d die Treiber für sozial-ökologisches Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />

� Welche Bedeutung haben Ökologie <strong>und</strong> Soziales als Profilierungsdimensionen neben<br />

Qualität <strong>und</strong> Preis?<br />

� In welchem Maß f<strong>in</strong>den sozial-ökologische Aspekte <strong>in</strong> der Produktgestaltung <strong>und</strong><br />

-kommunikation Berücksichtigung?<br />

� Inwiefern lassen sich sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Aspekten<br />

wie z.B. Geschmack <strong>und</strong> Frische zu sog. „Motivallianzen“ verb<strong>in</strong>den?<br />

� Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften e<strong>in</strong>en Mehrwert für bestimmte<br />

K<strong>und</strong>engruppen?<br />

� Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert e<strong>in</strong>en etwas höheren Preis<br />

zu erzielen?<br />

Der Rücklauf der Umfrage lag bei über 20% (n = 221). Dies ist angesichts der Form<br />

der Befragung <strong>und</strong> der kurzen Antwortzeit von e<strong>in</strong>er Woche bei e<strong>in</strong>em Er<strong>in</strong>nerungsmail<br />

zufrieden stellend. Die Studie erhebt ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Repräsentativität. Die<br />

empirischen Ergebnisse beziehen sich primär auf Unternehmen, die für Umwelt <strong>und</strong><br />

Nachhaltigkeit sensibilisiert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form bereits damit<br />

beschäftigt haben. Mit anderen Worten: Man kann aus den vorliegenden Antworten<br />

durchaus auf die Gruppe der sozial-ökologisch Aktiven <strong>und</strong> Aktivierbaren schließen,<br />

nicht aber auf die Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller schweizerischen Unternehmen, die auch<br />

die sozial-ökologisch Passiven umfasst. Nichtsdestotrotz lassen sich <strong>in</strong>teressante Tendenzaussagen<br />

treffen, <strong>in</strong>sbesondere was die relative Bedeutung von ökologischen <strong>und</strong><br />

sozialen Aspekten auf der strategischen <strong>und</strong> operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrifft.<br />

Der wichtigste Treiber für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die K<strong>und</strong>en: 60% der Unternehmen<br />

geben an, dass die K<strong>und</strong>en der Gr<strong>und</strong> für entsprechende Aktivitäten s<strong>in</strong>d<br />

(Abb. 2). An zweiter <strong>und</strong> dritter Stelle stehen das Management bzw. Unternehmenseigner<br />

<strong>und</strong> die Öffentlichkeit: R<strong>und</strong> die Hälfte der Unternehmen gibt an, dass diese<br />

beiden Treiber e<strong>in</strong>e wichtige Rolle für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d. Dies ist e<strong>in</strong><br />

Unterschied zum herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, <strong>in</strong> dem der kritischen Öffentlichkeit <strong>in</strong><br />

der Regel nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle zukommt. Offenbar zeigen die Sensibilisierungsarbeit<br />

<strong>und</strong> Kommunikationskampagnen von kritischen Anspruchsgruppen wie<br />

bspw. Greenpeace oder WWF Wirkung, <strong>in</strong> denen sie auf ökologische Probleme <strong>und</strong><br />

soziale Missstände <strong>in</strong> bestimmten Bereichen h<strong>in</strong>weisen.


30 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

K<strong>und</strong>en<br />

Management<br />

Öffentlichkeit<br />

Gesetzgeber<br />

Konkurrenz<br />

23%<br />

27%<br />

47%<br />

50%<br />

60%<br />

n = 221<br />

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%<br />

Abbildung 2: Treiber für sozial-ökologisches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>engagement<br />

E<strong>in</strong>e wichtige strategische Entscheidung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist, welche<br />

Zielgruppen wie angesprochen werden sollen. Aus der Umfrage geht hervor, dass über<br />

die Hälfte der Unternehmen Ökologie bzw. Soziales als flankierende Profilierungsdimensionen<br />

neben Qualität <strong>und</strong> Preis verwenden (Abb. 3).<br />

Ökologie<br />

Soziales<br />

4%<br />

21%<br />

59%<br />

56%<br />

29%<br />

20%<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Ke<strong>in</strong>e Profilierung Flankierende Profilierung<br />

Gleichberechtigte Profilierung Dom<strong>in</strong>ante Profilierung<br />

Abbildung 3: Sozial-ökologische Positionierung<br />

n = 221<br />

Aus dieser Sicht s<strong>in</strong>d sozial-ökologische Aspekte <strong>in</strong>tegraler Bestandteil der Produkt<strong>und</strong><br />

Prozessqualität. E<strong>in</strong>e solche Positionierung zielt primär auf die Gruppe der sozialökologisch<br />

Aktivierbaren. R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Viertel der Unternehmen sieht Ökologie bzw. So-<br />

8%<br />

4%


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 31<br />

ziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong> Preis an. Lediglich<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit von Unternehmen verwendet Ökologie bzw. Soziales als<br />

dom<strong>in</strong>ante Profilierungsdimensionen. Dabei handelt es sich (fast) ausschließlich um<br />

kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen. Für größere Unternehmen kommt e<strong>in</strong>e solche<br />

Positionierung nicht <strong>in</strong> Frage, führt sie doch zu e<strong>in</strong>er Segmentverengung. Ökologie<br />

<strong>und</strong> Soziales als dom<strong>in</strong>ante Positionierung wie im Fall von alternativen Bio- <strong>und</strong><br />

Dritte Welt-Läden zielen auf die kle<strong>in</strong>e, aber durchaus attraktive Gruppe der sozialökologisch<br />

Aktiven. Generell fällt auf, dass Ökologie durchweg e<strong>in</strong>e größere Rolle als<br />

Profilierungsdimension im Markt spielt als Soziales. Dies kann damit begründet werden,<br />

dass Ökologie seit der Rio-Konferenz 1992 breite Aufmerksamkeit <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

<strong>und</strong> Wirtschaft erfahren hat, während dies bei sozialen Themen erst seit Beg<strong>in</strong>n<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts der Fall ist. Weiterh<strong>in</strong> ist <strong>in</strong>teressant, dass der E<strong>in</strong>satz von<br />

Ökologie <strong>und</strong> Sozialem als Profilierungsdimensionen auf unterschiedliche Faktoren<br />

zurückzuführen s<strong>in</strong>d: Im Fall der ökologischen Positionierung s<strong>in</strong>d die Anforderungen<br />

der K<strong>und</strong>en ausschlaggebend. Sie s<strong>in</strong>d die zentralen Treiber für e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Verankerung auf der strategischen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Im Fall der<br />

sozialen Positionierung hat vor allem die kritische Öffentlichkeit e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss,<br />

während der Gesetzgeber eher e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss ausübt. Dieses zum<strong>in</strong>dest<br />

auf den ersten Blick überraschende Ergebnis lässt sich wie folgt begründen: Werden<br />

soziale Aspekte gesetzlich geregelt, s<strong>in</strong>d sie als M<strong>in</strong>deststandard anzusehen <strong>und</strong> es<br />

bestehen ke<strong>in</strong>e Profilierungsmöglichkeiten im Markt gegenüber den K<strong>und</strong>en.<br />

Kern des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der operativen Ebene ist die Gestaltung des<br />

Produktes nach sozial-ökologischen Kriterien. In Übere<strong>in</strong>stimmung mit den strategischen<br />

Positionierungen gibt die große Mehrheit der Unternehmen, d.h. über 80% an,<br />

dass der sozial-ökologischen Produktgestaltung e<strong>in</strong>e mittlere bis hohe Bedeutung beigemessen<br />

wird (Abb. 4). Bei über der Hälfte der Unternehmen f<strong>in</strong>den ökologische Aspekte<br />

<strong>in</strong> hohem bzw. sehr hohem Maß Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung<br />

(= 56%). Knapp die Hälfte der Unternehmen berücksichtigt soziale Aspekte <strong>in</strong> hohen<br />

bzw. sehr hohem Maß bei der Produktgestaltung (= 45%). Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für<br />

Dienstleistungsunternehmen <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere Unternehmen, bei denen die persönliche<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion mit dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e große Rolle spielen. Der zentrale<br />

Treiber für die sozial-ökologische Produktgestaltung ist das Management.


32 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

Ökologie<br />

Soziales<br />

12%<br />

19%<br />

32%<br />

36%<br />

56%<br />

45%<br />

n = 206<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Niedrigem Mass Mittlerem Mass Hohem Mass<br />

Abbildung 4: Sozial-ökologische Produktgestaltung<br />

R<strong>und</strong> drei Viertel aller Unternehmen verwenden ökologische Aspekte <strong>in</strong> der Produktkommunikation,<br />

während r<strong>und</strong> zwei Drittel soziale Aspekte hervorheben (Abb. 5).<br />

Nach eigener E<strong>in</strong>schätzung s<strong>in</strong>d die Unternehmen <strong>in</strong> der Produktkommunikation sozial-ökologischer<br />

Aspekte also zurückhaltender als <strong>in</strong> der entsprechenden Produktgestaltung.<br />

Wie lässt sich der Unterschied zwischen sozial-ökologischer Produktgestaltung<br />

<strong>und</strong> -kommunikation erklären? Hierfür gibt es vier Gründe:<br />

1. In e<strong>in</strong>igen Produktbereichen werden (sozial-) ökologische Aspekte von den K<strong>und</strong>en<br />

mittlerweile als Selbstverständlichkeit angesehen (Beispiel: Rücknahme von<br />

PET-Mehrwegflaschen oder Energieeffizienz von Kühlschränken).<br />

2. Für die Mehrheit der K<strong>und</strong>en stellen sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>e entscheidenden<br />

Kriterien beim Kauf der Produkte dar, so dass sie zwar angeboten, nicht<br />

aber explizit kommuniziert werden (Beispiel: Nachhaltiges Palmöl als Bestandteil<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Produkten der Migros).<br />

3. Komplexe sozial-ökologische Sachverhalte lassen sich nicht immer e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> der<br />

Werbung kommunizieren, so dass gänzlich darauf verzichtet wird.<br />

4. Bisher hat noch ke<strong>in</strong> Wettbewerber Ökologie <strong>und</strong> Soziales als Profilierungsmöglichkeit<br />

erkannt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Kommunikation <strong>in</strong>tensiv genutzt.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 33<br />

Ökologie<br />

Soziales<br />

23%<br />

38%<br />

28%<br />

37%<br />

49%<br />

n = 201<br />

25%<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Niedrigem Mass Mittlerem Mass Hohem Mass<br />

Abbildung 5: Sozial-ökologische Kommunikation<br />

Das Ausmaß der Kommunikation sagt noch nichts über die Art aus: Inwiefern werden<br />

sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien wie bspw. Geschmack, Frische,<br />

Lebensdauer <strong>und</strong> Gebrauchskosten verb<strong>und</strong>en? 40% der Unternehmen ist der<br />

Me<strong>in</strong>ung, dass sich sozial-ökologische Aspekte nur sehr schwer mit herkömmlichen<br />

Kriterien verb<strong>in</strong>den lassen. 60% der Unternehmen h<strong>in</strong>gegen geht davon aus, dass sich<br />

sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kaufkriterien geschickt zu sog. „Motivallianzen“<br />

verknüpfen lassen (Abb. 6). Dabei handelt es sich um überproportional<br />

viele Kle<strong>in</strong>unternehmen, die <strong>in</strong> direktem Kontakt zum K<strong>und</strong>en stehen <strong>und</strong> im persönlichen<br />

Gespräch komplexere Sachverhalte anschaulich <strong>und</strong> überzeugend vermitteln<br />

können.<br />

Preis<br />

Frische<br />

Convenience<br />

Zusatznutzen<br />

Gr<strong>und</strong>nutzen<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

Natürlichkeit<br />

Geschmack<br />

Ästhetik<br />

Abbildung 6: K<strong>und</strong>enmehrwert durch Motivallianzen<br />

(In Anlehnung an: Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 283)


34 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

Die Gestaltung <strong>und</strong> Kommunikation der Produkte nach sozial-ökologischen Aspekten<br />

ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen.<br />

Erst wenn der K<strong>und</strong>e die sozial-ökologische Produkt- <strong>und</strong> Prozessqualität<br />

als Mehrwert wahrnimmt <strong>und</strong> gegebenenfalls auch bereit ist, dafür e<strong>in</strong>en<br />

Mehrpreis zu bezahlen, lassen sich Wettbewerbsvorteile erzielen. Immerh<strong>in</strong> drei Viertel<br />

der Unternehmen geben <strong>in</strong> der Umfrage an, dass sozial-ökologische Produkteigenschaften<br />

für bestimmte K<strong>und</strong>engruppen e<strong>in</strong>en Mehrwert darstellen. Bei der Frage, ob<br />

sich dadurch auch e<strong>in</strong> Mehrpreis erzielen lässt, s<strong>in</strong>d die befragten Unternehmen geteilter<br />

Me<strong>in</strong>ung: Jeweils die Hälfte gibt an, dies sei möglich bzw. nicht möglich. In Konsumgütermärkten<br />

wie bspw. Lebensmittel <strong>und</strong> Textilien ist dies eher der Fall als <strong>in</strong><br />

Investitionsgütermärkten. Zentrale Treiber s<strong>in</strong>d die Bereitschaft der K<strong>und</strong>en, e<strong>in</strong>en<br />

Mehrpreis für sozial-ökologische Aspekte zu bezahlen, <strong>und</strong> das Konkurrenzverhalten.<br />

Die Bedeutung dieser Faktoren lässt sich anhand e<strong>in</strong>es Vergleichs zwischen dem deutschen<br />

<strong>und</strong> schweizerischen Lebensmittelmarkt gut verdeutlichen: In Deutschland<br />

herrscht e<strong>in</strong> ausgeprägter Preiswettbewerb im Lebensmittelbereich. Die Mehrheit der<br />

Deutschen ist überaus preissensibel <strong>und</strong> die großen Lebensmittelketten versuchen sich<br />

vor allem durch den Preis im Wettbewerb zu profilieren. Der schweizerische Lebensmittelmarkt<br />

h<strong>in</strong>gegen kann als Qualitätswettbewerb gekennzeichnet werden, <strong>in</strong> dem<br />

sozial-ökologische Aspekte e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen. Die Mehrheit der Schweizer<br />

ist durchaus bereit, für sozial-ökologische Lebensmittelangebote mit e<strong>in</strong>em wahrnehmbaren<br />

Mehrwert höhere Preise zu bezahlen. Vor allem die beiden führenden<br />

Handelsketten Migros <strong>und</strong> Coop profilieren sich mit entsprechenden Sortimenten im<br />

Wettbewerb (Beiträge Leitner <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer).<br />

4 Zusammenfassung<br />

Als kurze Zusammenfassung <strong>und</strong> Fazit lässt sich sagen: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist<br />

e<strong>in</strong> neuer <strong>in</strong>novativer Ansatz, der große Chancen eröffnet, aber auch gewisse Risiken<br />

birgt. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bewegt sich im Spannungsfeld von sozialökologischen<br />

Problemen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen andererseits. Die situationsspezifische<br />

Analyse dieser beiden Pole ist e<strong>in</strong>e unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für die<br />

erfolgreiche Umsetzung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Je größer die Schnittmenge<br />

zwischen sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnisse, desto eher bestehen<br />

Chancen für die erfolgreiche Vermarktung von sozial-ökologischen Produkten <strong>und</strong><br />

Leistungen. Der Schnittmengenbereich ist ke<strong>in</strong>e statische, sondern e<strong>in</strong>e dynamische<br />

Größe, die auch von Unternehmen durch aktives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bee<strong>in</strong>flusst<br />

werden kann. Die empirische Studie zeigt, dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 35<br />

wichtiges Thema für e<strong>in</strong>e Reihe von schweizerischen Unternehmen ist. Zentrale Treiber<br />

für sozial-ökologisches Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> s<strong>in</strong>d die K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die kritische<br />

Öffentlichkeit. Während der erste Treiber nicht überraschen kann, ist der zweite<br />

e<strong>in</strong> Spezifikum des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gegenüber dem herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />

Gemäß den empirischen Ergebnissen wird Ökologie sowohl auf der strategischen<br />

als auch der operativen Ebene des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e größere Bedeutung<br />

beigemessen als Sozialem. Diese Gewichtung kann sich im Laufe der Zeit ändern. Erfolg<br />

versprechend im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist, Ökologie <strong>und</strong> Soziales als flankierende<br />

Profilierungsdimensionen neben Qualität <strong>und</strong> Preis e<strong>in</strong>zusetzen, wodurch<br />

breitere Marktsegmente angesprochen werden können <strong>und</strong> größere Spielräume für die<br />

Kommunikation bestehen. Dabei spielt die geschickte Verknüpfung von sozialökologischen<br />

Aspekten mit herkömmlichen Kaufkriterien im S<strong>in</strong>n von Motivallianzen<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />

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38 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz<br />

Anhang: SMS Kurzumfrage „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“<br />

Fragen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

1. In welchem Maß f<strong>in</strong>den ökologische Aspekte Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung?<br />

� � � � � �<br />

sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />

2. In welchem Maß f<strong>in</strong>den soziale Aspekte Berücksichtigung <strong>in</strong> der Produktgestaltung?<br />

� � � � � �<br />

sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />

3. In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung <strong>in</strong> der Produktkommunikation mit<br />

ökologischen Aspekten?<br />

� � � � � �<br />

sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />

4. In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung <strong>in</strong> der Produktkommunikation mit<br />

sozialen Aspekten?<br />

� � � � � �<br />

sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />

5. In welchem Maß kann man sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien<br />

(z.B. Geschmack, Frische, Lebensdauer) <strong>in</strong> der Produktkommunikation<br />

verb<strong>in</strong>den?<br />

� � � � � �<br />

sehr niedrigem Maß sehr hohem Maß<br />

6. Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften im Fall Ihrer Unternehmung<br />

e<strong>in</strong>en Mehrwert für bestimmte K<strong>und</strong>engruppen?<br />

� � �<br />

Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht<br />

7. Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert bei bestimmten K<strong>und</strong>engruppen<br />

e<strong>in</strong>en etwas höheren Preis zu erzielen?<br />

� � �<br />

Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse 39<br />

8. Welche Bedeutung hat Ökologie als Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong><br />

Preis?<br />

� � � �<br />

ke<strong>in</strong>e flankierende gleichberechtigte dom<strong>in</strong>ante<br />

9. Welche Bedeutung hat Soziales als Profilierungsdimension neben Qualität <strong>und</strong><br />

Preis?<br />

� � � �<br />

ke<strong>in</strong>e flankierende gleichberechtigte dom<strong>in</strong>ante<br />

10. Was s<strong>in</strong>d im Fall Ihrer Unternehmens zentrale Treiber für sozial-ökologisches<br />

Engagement im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

K<strong>und</strong>en �<br />

Konkurrenz �<br />

Gesetzgeber �<br />

Öffentlichkeit �<br />

Management/Unternehmenseigner �<br />

Angaben zum Unternehmen<br />

11. In welcher Branche ist Ihre Unternehmung tätig?<br />

Konsumgüter �<br />

Investitionsgüter �<br />

Dienstleistung �<br />

Sonstige �<br />

12. Wie viele MitarbeiterInnen beschäftigt Ihre Unternehmung?<br />

1-99 �<br />

100-249 �<br />

250-999 �<br />

1000 <strong>und</strong> mehr �<br />

13. Ist Ihre Unternehmung Mitglied bei der schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />

bewusste Unternehmensführung (ÖBU)?<br />

� � �<br />

Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht<br />

14. Ist Ihre Unternehmung Mitglied <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Verband bzw. Organisation,<br />

die sozial-ökologische Anliegen vertritt?<br />

� � �<br />

Ja Ne<strong>in</strong> Weiß nicht


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive<br />

Manfred Kirchgeorg<br />

1 Bezugspunkte <strong>und</strong> Besonderheiten des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet voran <strong>und</strong> damit gew<strong>in</strong>nen auf Beschaffungs-<br />

<strong>und</strong> Absatzmärkten die länderübergreifenden Markttransaktionen zunehmende<br />

Bedeutung. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage, mit welchen spezifischen<br />

Herausforderungen das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf <strong>in</strong>ternationalen Märkten konfrontiert<br />

ist. Ausgehend von der Kennzeichnung der Besonderheiten des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

werden im folgenden Beitrag Implikationen für <strong>in</strong>ternationale <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien<br />

abgeleitet.<br />

Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zielt auf die Planung, Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />

Kontrolle aller markt- <strong>und</strong> nichtmarktbezogenen Transaktionsaktivitäten zur Vermeidung<br />

oder Verr<strong>in</strong>gerung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Probleme, um über e<strong>in</strong>e dauerhafte<br />

Befriedigung der Bedürfnisse aktueller <strong>und</strong> potenzieller K<strong>und</strong>en, unter Ausnutzung<br />

von Wettbewerbsvorteilen <strong>und</strong> bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die<br />

angestrebten Unternehmensziele zu erreichen.<br />

Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Kernaufgabe des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar<strong>in</strong><br />

besteht, durch <strong>in</strong>novative Strategien Umweltvorteile (UEP) <strong>und</strong> Sozialvorteile (SSP)<br />

mit Wettbewerbsvorteilen (UMP) zu verb<strong>in</strong>den. Hierbei gibt es Komplementaritäten<br />

(Schnittmengen) <strong>und</strong> Konflikte, bei denen Umweltschutz- <strong>und</strong> Sozialvorteile die<br />

Wettbewerbsvorteile e<strong>in</strong>schränken. Umwelt- <strong>und</strong> Sozialvorteile gehören vielfach zu<br />

den Vertrauens- <strong>und</strong> Erfahrungseigenschaften, die für e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>en vor dem Kauf<br />

e<strong>in</strong>er Leistung nicht direkt nachprüfbar s<strong>in</strong>d (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 58). Reputation<br />

<strong>und</strong> Signal<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d damit für Konzepte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besonders<br />

wichtige Erfolgsfaktoren.<br />

Gerade im Falle der Konflikte zwischen ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Zielsetzungen wird der Dialog mit Anspruchsgruppen <strong>und</strong> der proaktive E<strong>in</strong>satz der<br />

Entscheidungsträger für die Veränderung marktbezogener Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zur<br />

Förderung nachhaltiger Marktleistungen (Vergrößerung der Schnittmengen) vorgeschlagen.<br />

Belz ordnet die Notwendigkeit der Transformation von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen


42 Manfred Kirchgeorg<br />

durch e<strong>in</strong>zelwirtschaftliches Engagement der so genannten transformativen Dimension<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu (Beitrag Belz, Belz 2001, S. 91ff.).<br />

Gegenüber allen bisher entwickelten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzepten ersche<strong>in</strong>t es e<strong>in</strong>zigartig, dass<br />

es weltweit e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Orientierungsrahmen für die nachhaltige Entwicklung<br />

gibt, sodass sich Unternehmen heute <strong>in</strong> allen Ländern der Welt <strong>Nachhaltigkeits</strong>forderungen<br />

von Bevölkerungsgruppen bzw. Anspruchsgruppen gegenüber sehen. Die bereits<br />

<strong>in</strong> den 60er Jahren entwickelten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze des Makro-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder<br />

Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wurden von dem <strong>in</strong> der Betriebswirtschaftslehre damals weit verbreiteten<br />

Ansatz der externen Determ<strong>in</strong>iertheit von Entscheidungen geprägt. Die E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />

der Makro-Umwelt wurden für Unternehmensentscheidungen als unveränderliche<br />

Determ<strong>in</strong>anten für Unternehmensentscheidungen angesehen. Diese Sichtweise<br />

hat sich gr<strong>und</strong>legend geändert <strong>und</strong> die <strong>in</strong> den so genannten Stakeholderansätzen<br />

zum Ausdruck kommende erweiterte Verantwortung von Unternehmen für die Umfeldbed<strong>in</strong>gungen,<br />

die vom sozialen, ökologischen Umfeld bis h<strong>in</strong> zu politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

gehen, erweitern das Transaktions- <strong>und</strong> Interaktionsfeld bei Unternehmensentscheidungen.<br />

Gleichzeitig erweitert sich hiermit auch die Verantwortung<br />

der Entscheidungsträger <strong>in</strong>nerhalb der Unternehmen (Meffert/Kirchgeorg 1993,<br />

S. 34ff.).<br />

K<strong>und</strong>e<br />

Sozial-Effizienz<br />

Soziale Dimension<br />

(Sozial-Effektivität)<br />

Unternehmung<br />

SSP<br />

!<br />

UMP<br />

UEP<br />

!<br />

Öko-Effizienz<br />

Wettbewerber<br />

Ökologiedimension<br />

(Öko-Effektivität)<br />

Legende: UMP = Unique <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Proposition; SSP = Susta<strong>in</strong>able Social Proposition;<br />

UEP = Unique Environmental Proposition<br />

Abbildung 1: Bezugspunkte e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

(Quelle: Kirchgeorg 2002)


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 43<br />

Das Integrationserfordernis ist e<strong>in</strong>e weitere Besonderheit, die im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zum Ausdruck kommt. E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong>haltliche Elemente des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> werden auch <strong>in</strong> den Ansätzen des Makro-, Sozial- <strong>und</strong> Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> isoliert<br />

vone<strong>in</strong>ander thematisiert. Im Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht h<strong>in</strong>gegen<br />

die Notwendigkeit, e<strong>in</strong>e ganzheitliche Betrachtung <strong>und</strong> Integration der verschiedenen<br />

Zieldimensionen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zelner Teilkonzepte des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorzunehmen<br />

(van Dam/Apeldorn 1996, S. 52ff.; Pettie 2001, S. 129ff.; Charter 2002; Kirchgeorg<br />

2002, S. 8ff.; Belz 2003, S. 352ff.; Balderjahn 2004, S. 37ff.). Hierdurch erhöht sich<br />

bei der Situationsanalyse, der Ziel- <strong>und</strong> Strategiediskussion sowie den <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>optionen<br />

auf der Mix- <strong>und</strong> Organisationsebene das Erfordernis, ökonomische, ökologische<br />

<strong>und</strong> soziale Entscheidungskriterien mit ihren komplementären <strong>und</strong> konfliktären Beziehungen<br />

auszubalancieren.<br />

Im Ansatz der Nachhaltigen Entwicklung werden explizit Strategien zur Verbesserung<br />

der <strong>in</strong>tra- <strong>und</strong> <strong>in</strong>tergenerativen Gerechtigkeit gefordert. Sie sollen e<strong>in</strong>en Beitrag dazu<br />

leisten, die zunehmende Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard von armen <strong>und</strong><br />

reichen Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> die Übernutzung von Ressourcen zulasten der Entwicklungsfähigkeit<br />

von zukünftigen Generationen zu verr<strong>in</strong>gern. Im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

sich verschärfenden Armutsprobleme ergeben sich für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> neue Herausforderungen.<br />

Während nach dem so genannten Kapazitätspr<strong>in</strong>zip (vgl. zu den Leitpr<strong>in</strong>zipien<br />

des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Wiedmann 1993, S. 169ff.) die Transaktionsfähigkeit der Nachfrager<br />

<strong>in</strong> den Ansätzen des kommerziellen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorausgesetzt wird bzw. Nachfragersegmente<br />

mit fehlender Transaktionsfähigkeit bei der Marktbearbeitung aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer ger<strong>in</strong>gen Attraktivität elim<strong>in</strong>iert werden, so s<strong>in</strong>d im Rahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Strategien <strong>und</strong> Instrumente zu entwickeln, welche die Transaktionsfähigkeit<br />

der armen Bevölkerungssegmente <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Schwellenländern fördern. Im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die angestrebte Verbesserung der <strong>in</strong>tragenerativen Gerechtigkeit kann e<strong>in</strong><br />

spezifischer Beitrag des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar<strong>in</strong> liegen, Menschen aus armen<br />

Bevölkerungssegmenten aktiv <strong>in</strong> den Wertschöpfungsprozess zu <strong>in</strong>tegrieren, um hierüber<br />

Verdienstmöglichkeiten zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit zu unterstützen<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig ökonomische Unternehmensziele <strong>in</strong> Wachstumsmärkten zu erschließen.<br />

In gewisser Weise erlangt die Thematik des Co-Produzenten (vgl. zum Konzept<br />

des Co-Produzenten u.a. Meffert/Bruhn 2003, S. 375-376) unter anderen situativen<br />

Kontexten wie <strong>in</strong> Industrieländern hierbei e<strong>in</strong>e besondere Rolle.<br />

Die Forderung nach <strong>in</strong>tergenerativer Gerechtigkeit führt zu dem Problem, dass die Bedürfnisse<br />

der zukünftigen Generationen <strong>in</strong> den aktuellen Markttransaktionen ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung<br />

f<strong>in</strong>den, d.h. es liegt e<strong>in</strong> Gratifikationsproblem vor. Dementsprechend


44 Manfred Kirchgeorg<br />

stellt sich die Frage, welche Anreize durch <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente gefördert werden<br />

können, um die Bedürfnisse zukünftiger Generationen bei heutigen Transaktionsprozessen<br />

bereits zu berücksichtigen. Denkbar wären verschiedene Ausgestaltungsformen<br />

<strong>in</strong>tergenerativer Transaktionsvere<strong>in</strong>barungen, wie sie z.B. <strong>in</strong> der Forstwirtschaft praktiziert<br />

werden. Hier eröffnet sich e<strong>in</strong> neues Forschungsfeld, <strong>in</strong> dem die Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> Grenzen e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zur Lösung von <strong>in</strong>tergenerativen Gratifikationsproblemen<br />

aufzuzeigen s<strong>in</strong>d.<br />

2 Herausforderungen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />

Aufgr<strong>und</strong> der <strong>in</strong>ternationalen Verflechtungen der Absatz- <strong>und</strong> Beschaffungsmärkte<br />

können Markttransaktionen e<strong>in</strong>en erheblichen E<strong>in</strong>fluss auf die ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den am Güteraustausch beteiligten Ländern ausüben. Die Internationalisierung<br />

der Geschäftstätigkeit betrifft heute nicht nur Großunternehmen, sondern<br />

<strong>in</strong> zunehmendem Maße versuchen auch mittelständische wie auch Kle<strong>in</strong>unternehmen<br />

Wachstumspotenziale durch die Ansprache von Zielgruppen <strong>in</strong> anderen Ländermärkten<br />

zu erschließen. Die Analyse, Planung, Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />

Kontrolle der marktbezogenen Unternehmensaktivitäten auf Auslandsmärkten umfassen<br />

die zentralen Aufgaben des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Meffert 2000, S. 1230ff.).<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Diskussion der Herausforderungen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im<br />

<strong>in</strong>ternationalen Kontext kann im Bereich des Beschaffungs- wie auch Absatzmarket<strong>in</strong>g<br />

ansetzen (Abb. 2).<br />

Die Berücksichtigung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen im <strong>in</strong>ternationalen Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g<br />

erfordert die E<strong>in</strong>beziehung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Anforderungen<br />

bei der Auswahl von Zulieferern <strong>und</strong> der Beschaffung von Roh-, Hilfs- <strong>und</strong> Betriebsstoffen.<br />

Angesichts der weltweiten Vernetzung von Wertschöpfungsketten stellt sich<br />

bereits die Analyse von negativen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Auswirkungen bei den<br />

Vorlieferanten im Ausland als besonders komplex heraus (Merck 2002, S. 25ff.). Auch<br />

die über Ländergrenzen h<strong>in</strong>weg vorzunehmende Koord<strong>in</strong>ation, Durchsetzung <strong>und</strong><br />

Kontrolle von Maßnahmen, die zu e<strong>in</strong>er umwelt- <strong>und</strong> sozialverträglicheren Produktion<br />

von Vorprodukten führen, stellen hohe Anforderungen an das Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g,<br />

zumal je nach Ländermarkt, unterschiedliche umwelt- <strong>und</strong> sozialpolitische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. Die sozialverträgliche <strong>und</strong> umweltgerechte Herstellung<br />

von Vorprodukten ist für Konsumenten vielfach beim Produktkauf unter vertretbaren<br />

Kosten nicht überprüfbar, sie stellen damit Vertrauenseigenschaften dar <strong>und</strong>


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 45<br />

Ländermarkt B<br />

Zulieferer<br />

Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g<br />

Hersteller<br />

Handel<br />

Nachfrager<br />

Ländermarkt A<br />

International vernetzte<br />

Wertschöpfungsketten<br />

Internationale Wachstumsmärkte<br />

Neue Absatzmärkte<br />

Handel<br />

Nachfrager<br />

Handel<br />

Nachfrager<br />

Ländermarkt C Ländermarkt D<br />

Abbildung 2: Gr<strong>und</strong>legende Ansatzpunkte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />

vermitteln häufig ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Nutzenbeitrag. Selbst wenn die E<strong>in</strong>haltung von<br />

sozialen <strong>und</strong> ökologischen Anforderungen von Konsumenten beim Kauf nicht explizit<br />

nachgefragt <strong>und</strong> honoriert wird, so besteht bei Vernachlässigung dieser <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />

die Gefahr, dass Unternehmen durch <strong>in</strong>ternational vernetzte Nichtregierungsorganisation<br />

(NGOs) weltweit zur Durchsetzung von entsprechenden Anforderungen<br />

gezwungen werden.<br />

In zunehmendem Umfang werden länderübergreifend vernetzte Wertschöpfungsketten<br />

von Endproduktherstellern anhand von <strong>in</strong>ternational anerkannten <strong>Nachhaltigkeits</strong>standards<br />

evaluiert, um daraufh<strong>in</strong> gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Sozial- <strong>und</strong><br />

Ökologieverträglichkeit gegenüber den Vorlieferanten ergreifen bzw. empfehlen zu<br />

können. International akzeptierte Kriterienkataloge werden z.B. <strong>in</strong> den Susta<strong>in</strong>ability<br />

Report<strong>in</strong>g Guidel<strong>in</strong>es zusammengestellt (GRI 2002). Internationale Standards können<br />

über Zertifizierungsprozesse umgesetzt <strong>und</strong> kontrolliert werden (Große 2003,<br />

S. 135ff.). Bei erfolgreicher Zertifizierung übernehmen Zertifikate <strong>in</strong> Form von Prüfsiegeln<br />

bei Konsumenten die Funktion von Vertrauenssignalen für e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />

Produktqualität (Merck 2002, S. 26-27; Meffert/Kirchgeorg 1995, S. 95ff.; Balderjahn<br />

2004, S. 189ff.). Im H<strong>in</strong>blick auf die Sozialstandards erlangen Kriterien zur Vermeidung<br />

von K<strong>in</strong>derarbeit, Verh<strong>in</strong>derung von Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> Erhöhung der Arbeitssicherheit<br />

<strong>in</strong> der aktuellen Diskussion e<strong>in</strong>e besondere Relevanz (Kühl 2004, S. 10). Im


46 Manfred Kirchgeorg<br />

Bereich des <strong>in</strong>ternationalen Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g werden z.B. vom Versandhandelsunternehmen<br />

Otto Zertifikate von Vorlieferanten gefordert bzw. Zertifizierungsprozesse<br />

zusammen mit Vorlieferanten <strong>in</strong>itiiert. Mit Zertifikaten wie „PURE WEAR”<br />

oder dem Prüfsiegel der Social Accountability 8000 (SA8000) sowie dem Forest Stuartship<br />

Council (FSC)-Zertifikat werden Produkte aus nachhaltigen Wertschöpfungsketten<br />

<strong>in</strong> den jeweiligen Ländermärkten vermarktet.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Zielsetzung des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt <strong>in</strong> der Erschließung von<br />

Wachstumspotenzialen <strong>in</strong> neuen Ländermärkten, womit die entscheidungsorientierten<br />

Fragestellungen des absatzmarktorientierten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler<br />

Zielgruppen <strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu beantworten s<strong>in</strong>d. In den folgenden<br />

Ausführungen werden spezifische Aspekte der Integration von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />

<strong>in</strong> den Entscheidungsprozess des <strong>in</strong>ternationalen Absatzmarket<strong>in</strong>g betrachtet.<br />

E<strong>in</strong>e Begründung für die Erweiterung der Marktbearbeitung auf <strong>in</strong>ternationale Ländermärkte<br />

liefert z.B. e<strong>in</strong>e Betrachtung länderspezifischer Produktlebenszyklen. S<strong>in</strong>d<br />

die Wachstumspotenziale im Heimatland e<strong>in</strong>es Unternehmens ausgeschöpft, so ermöglicht<br />

der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> neue Ländermärkte die Erschließung neuer Wachstumspotenziale<br />

(Abb. 3).<br />

Marktvolumen<br />

Industrieländer<br />

2003<br />

Zeit<br />

Wachstumschancen<br />

4 Mrd. Menschen<br />

(E<strong>in</strong>kommen < $1.500)<br />

Marktvolumen<br />

2003<br />

Pyramide der Weltbevölkerung<br />

Schwellenländer<br />

Abbildung 3: Zukünftige Wachstumspotenziale im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />

Zeit


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 47<br />

Weil der Grad der Bedürfnisbefriedung <strong>in</strong> den Industrieländern bereits sehr ausgeprägt<br />

ist <strong>und</strong> sich zunehmend Phänomene gesättigter Märkte abzeichnen, verweisen Prahalad<br />

<strong>und</strong> Hart <strong>in</strong> ihrem Ansatz „Bottom L<strong>in</strong>e of the Pyramid“ darauf h<strong>in</strong>, dass im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Kontext die zukünftigen Wachstumspotenziale nicht mehr alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> hoch<br />

entwickelten Industrieländern liegen (Prahalad/Hart 2002, S. 3-4). Angesichts des ger<strong>in</strong>gen<br />

Lebensstandards <strong>und</strong> des ger<strong>in</strong>gen Grades an Bedürfnisbefriedigung bei über<br />

vier Milliarden Menschen verweisen sie auf das erhebliche Nachfragepotenzial von<br />

e<strong>in</strong>kommensschwachen bzw. armen Bevölkerungsgruppen. Während vielfach auch <strong>in</strong><br />

Entwicklungsländern die schmale Schicht der e<strong>in</strong>kommensstarken Bevölkerungssegmente<br />

über die traditionellen Ansätze des <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bedient wird, so<br />

werden die armen Bevölkerungssegmente im Rahmen der Marktbearbeitung häufig<br />

ausgeschlossen bzw. vernachlässigt. Die Gründe hierfür werden e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der verme<strong>in</strong>tlich<br />

ger<strong>in</strong>gen Marktattraktivität armer Menschen gesehen. Andererseits lassen<br />

sich die häufig von klassischen Wachstumsmärkten <strong>in</strong> Industrieländern geprägten<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien kaum <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den veränderten Anforderungen<br />

zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente br<strong>in</strong>gen. Schließlich unterbleibt die<br />

Entwicklung zielgruppenspezifischer <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien angesichts der ger<strong>in</strong>gen<br />

Zielgruppenattraktivität.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erlangt der Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besondere<br />

Relevanz:<br />

(1) Mit der normativen Forderung nach <strong>in</strong>tragenerativer Gerechtigkeit wird im Leitbild<br />

der Nachhaltigen Entwicklung betont, dass die Vernachlässigung armer Bevölkerungsschichten<br />

<strong>und</strong> das Gefälle im Lebensstandard zwischen Industrie- <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />

langfristig e<strong>in</strong>e sozial-friedliche <strong>und</strong> dauerhaft tragfähige Entwicklung<br />

gefährdet. Im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist explizit die<br />

Frage zu stellen, <strong>in</strong>wieweit es möglich ist, auch die Bedürfnisbefriedigung armer<br />

Bevölkerungssegmente mit bestehenden oder neuen Instrumenten des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu<br />

fördern.<br />

(2) Die Mehrheit der Weltbevölkerung gehört der „Bottom L<strong>in</strong>e of the Pyramid“ an,<br />

sodass e<strong>in</strong>e Verbesserung der Lebensstandards auch e<strong>in</strong>en Anstieg von Ressourcennutzung<br />

<strong>und</strong> Emissionen mit sich br<strong>in</strong>gen wird. Der Gefahr e<strong>in</strong>er extremen Zunahme<br />

der Belastung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde kann nur dann gem<strong>in</strong>dert<br />

werden, wenn es gel<strong>in</strong>gt, umweltverträgliche <strong>und</strong> ökologisch hoch effiziente<br />

Produktions- <strong>und</strong> Produkttechnologien zu entwickeln. Hiermit ist wiederum<br />

die ökologische Dimension des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> angesprochen.


48 Manfred Kirchgeorg<br />

(3) Die Versorgung armer Bevölkerungssegmente wird überwiegend als Aufgabe von<br />

Entwicklungshilfe-Institutionen angesehen. Viele Versuche, die Eigenständigkeit<br />

<strong>und</strong> Erwerbsfähigkeit mit Hilfe von traditionellen Entwicklungshilfekonzepten zu<br />

fördern, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten wenig erfolgreich verlaufen. Damit<br />

stellt sich die Herausforderung, <strong>in</strong>wieweit nationale <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Unternehmen<br />

<strong>in</strong> diesen Ländern e<strong>in</strong>en Beitrag zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit dieser<br />

Bevölkerungsgruppen leisten können <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Komplementarität zwischen der<br />

Verbesserung der Lebensstandards der Bevölkerung <strong>und</strong> ökonomischen Unternehmenszielen<br />

herzustellen ist.<br />

Die Ausführungen verdeutlichen, dass zukünftig die größten Bedürfnis- <strong>und</strong> Zielgruppenpotenziale<br />

im Segment e<strong>in</strong>kommensschwacher Bevölkerungssegmente <strong>in</strong> Schwellenländer<br />

zu erwarten s<strong>in</strong>d. Aus der Sicht des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann e<strong>in</strong>e<br />

proaktive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit diesen Zielgruppen e<strong>in</strong>en Beitrag zur nachhaltigen<br />

Entwicklung (M<strong>in</strong>derung der <strong>in</strong>tragenerativen Ungleichgewichte, Erhöhung der Lebensqualität<br />

unter E<strong>in</strong>satz besonders ökoeffizienter Produkt- <strong>und</strong> Serviceleistungen) <strong>in</strong><br />

den Schwellenländern wie auch <strong>in</strong> den Industrieländern leisten.<br />

3 Vernachlässigte Zielgruppen im <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die im <strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatz geforderte <strong>in</strong>tragenerative Gerechtigkeit stellt <strong>in</strong>sbesondere<br />

auf den Abbau des Nord-Südgefälles bzw. der großen sozialen Unterschiede zwischen<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Industrieländern ab. In Anlehnung an die Überlegungen von<br />

Prahalad <strong>und</strong> Hart können für die mult<strong>in</strong>ationalen Konzerne aber auch für bestehende<br />

Unternehmen <strong>in</strong> den Auslandsmärkten neue Herausforderungen def<strong>in</strong>iert werden, die<br />

sich auf die gezielte Entwicklung <strong>und</strong> Erschließung von Märkten <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />

beziehen <strong>und</strong> dabei sowohl e<strong>in</strong>en Beitrag zur Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung<br />

wie auch zur Sicherung der Wettbewerbsposition leisten können. In diesem<br />

Zusammenhang ergeben sich für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> spezifische Aufgaben,<br />

die <strong>in</strong>sbesondere aus der fehlenden Transaktionsfähigkeit <strong>und</strong> den sehr unterschiedlichen<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen potenzieller Nachfrager <strong>in</strong> diesen Ländern resultieren.<br />

Betrachtet man die Weltbevölkerung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>kommenspyramide (Abb. 4), so<br />

zählen zirka vier Milliarden Menschen zu der armen Bevölkerung, die ihre Gr<strong>und</strong>bedürfnisse<br />

nicht befriedigen <strong>und</strong> am Güterangebot <strong>in</strong> den Industrieländern nicht partizipieren<br />

können. Im H<strong>in</strong>blick auf das Weltbevölkerungswachstum werden <strong>in</strong> Szenarien<br />

gerade bei diesen Bevölkerungsgruppen die stärksten Geburtenraten erwartet (vgl. zum


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 49<br />

Jährliche Kaufkraft (<strong>in</strong> $) Bevölkerung (<strong>in</strong> Mrd.)<br />

Über $ 20.000<br />

Unter $ 1.500<br />

E<strong>in</strong>kommenspyramide der Weltbevölkerung<br />

Schicht 1<br />

Tier 2-3<br />

$ 1.500 - 20.000 Schicht 2 & 3<br />

1,5-1,75<br />

Tier 4<br />

Schicht 4<br />

Abbildung 4: E<strong>in</strong>kommenspyramide der Weltbevölkerung<br />

(Quelle: Prahalad/Hart 2002, S. 4)<br />

0,075 - 0,1100<br />

Zusammenhang von Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> Unterentwicklung Khalatbari 1995,<br />

S. 91ff.; Birg 1995, S. 31ff.), während <strong>in</strong> den Industrieländern eher rückläufige Geburtenraten<br />

festzustellen s<strong>in</strong>d (The World Bank 2003a, S. 1-2). Prahalad <strong>und</strong> Hart weisen<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Markterschließung <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />

bei vielen Entscheidungsträgern <strong>in</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen gar<br />

nicht erfolgt <strong>und</strong> entsprechende Optionen nicht <strong>in</strong> das Entscheidungsfeld e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden. Vielmehr überwiegen auch im Management von <strong>in</strong>ternational tätigen Unternehmen<br />

häufig folgende (Vor-) Urteile (Prahalad/Hart 2002, S. 4-5):<br />

� Aufgr<strong>und</strong> der bestehenden Kostenstruktur vieler Unternehmen ist die Erschließung<br />

von Segmenten der armen Bevölkerung unter Gew<strong>in</strong>ngesichtspunkten nicht vertretbar;<br />

� Die Versorgung der armen Bevölkerung liegt <strong>in</strong> den Händen von Regierungen <strong>und</strong><br />

Non-Profit-Hilfsorganisationen <strong>und</strong> bietet ke<strong>in</strong>e attraktiven Perspektiven für e<strong>in</strong><br />

privatwirtschaftliches Engagement von Unternehmen;<br />

� Produkt- <strong>und</strong> Serviceleistungen, die für die Industrieländer entwickelt wurden,<br />

können von der armen Bevölkerung <strong>in</strong> Entwicklungsländern nicht genutzt werden;<br />

4


50 Manfred Kirchgeorg<br />

� Nur die Bevölkerung <strong>in</strong> den Industrieländern hat die Zahlungsbereitschaft, um neue<br />

Technologien zu erwerben, während Länder mit armer Bevölkerung sich nur mit<br />

Second Hand-Technologien oder traditionellen Technologien ausstatten können.<br />

Diese Urteile bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e bewusste oder unbewusste Ignoranz möglicher Entwicklungspotenziale<br />

<strong>in</strong> Märkten mit armer Bevölkerung <strong>und</strong> damit auch e<strong>in</strong>e fehlende Bereitschaft,<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>- <strong>und</strong> Management-Know-How für diese potenziellen Märkte<br />

e<strong>in</strong>zusetzen. Tradierte E<strong>in</strong>stellungs- <strong>und</strong> Strategiemuster verengen das Entscheidungsfeld<br />

der Entscheidungsträger, d.h. Handlungsoptionen für diese Zielgruppensegmente<br />

werden gar nicht reflektiert (vgl. zur begrenzten Suche nach Handlungsalternativen bei<br />

neuen <strong>Nachhaltigkeits</strong>problemen z.B. Kirchgeorg 1999, S. 218ff.). Führungskräfte<br />

haben i.d.R. wenig Kenntnisse über Entwicklungsländer <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Industrieländern<br />

sozialisiert worden. Häufig empf<strong>in</strong>den sie ke<strong>in</strong>e besondere Attraktivität, sich mit<br />

den Problemen der armen Bevölkerung aus der Unternehmenssicht zu beschäftigen.<br />

Dementsprechend gel<strong>in</strong>gt es kaum, e<strong>in</strong>en freien Wettbewerb für Lösungen zur Wohlfahrtsförderung<br />

dieser Länder zu entfalten. Soll der Anspruch nach e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tragenerativen<br />

Gerechtigkeit auch nur annähernd <strong>in</strong> die Realität umgesetzt werden, dann s<strong>in</strong>d es<br />

gerade die vier Milliarden armen Menschen, die e<strong>in</strong> Zukunftspotenzial für Markttransaktionen<br />

bilden. Allerd<strong>in</strong>gs erfordert die Erschließung dieser Märkte e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende<br />

Neuausrichtung der bestehenden <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien <strong>und</strong> -<strong>in</strong>strumente. Bei der<br />

Diskussion zukunftsweisender Internationalisierungsstrategien kann e<strong>in</strong>e Orientierung<br />

am Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung als kreativer „Öffner e<strong>in</strong>gefahrener Entscheidungspfade“<br />

verstanden werden.<br />

Angesichts der ökologischen Problemdimension ist die Verbesserung der Wohlfahrt<br />

armer Bevölkerungssegmente kaum durch die Replikation der Erfahrungen <strong>und</strong> Produktions-,<br />

Produktkonzepte sowie <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien aus den Industrieländern möglich.<br />

Vielmehr wird es nur gel<strong>in</strong>gen, die weltweiten ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme<br />

zu lösen, wenn die <strong>in</strong> den Entwicklungsländern e<strong>in</strong>gesetzten Produkte <strong>und</strong> Serviceleistungen<br />

besonders öko-effizient produziert, konsumiert <strong>und</strong> entsorgt werden können.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 51<br />

4 Veränderte konzeptionelle Anforderungen an das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Marktsituation <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />

<strong>und</strong> den sich daraus ergebenden Besonderheiten für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> lassen sich die <strong>in</strong> Abbildung 5 skizzierten <strong>und</strong> <strong>in</strong> den nachfolgenden Ausführungen<br />

thematisierten Besonderheiten hervorheben.<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-<br />

Managementprozess<br />

Situationsanalyse<br />

<strong>und</strong> Prognosen<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategien<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>organisation<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>controll<strong>in</strong>g<br />

•Analyse der Bedürfnisse armer Bevölkerungsgruppen<br />

•Analyse der spezifischen Bed<strong>in</strong>gungen der Markt-<br />

<strong>und</strong> Makroumwelt<br />

•Förderung der Transaktionsfähigkeit<br />

•Bekanntheitsgrad <strong>und</strong> Image<br />

•Langfristige Gew<strong>in</strong>nerzielung<br />

•Radikale Kostenführerschaft <strong>und</strong> Restrukturierung<br />

der Wertketten<br />

•Standardisierte Massenproduktion<br />

•Umweltgerechte Standardprodukte mit ger<strong>in</strong>ger<br />

Bedienungskomplexität<br />

•Low Marg<strong>in</strong>-Preise, Mikrokredite, Gegenleistungen,<br />

Share-Modelle<br />

•Dezentrale Distributionskonzepte<br />

•Gr<strong>und</strong>kommunikation <strong>und</strong> Ausbildung/<br />

Stakeholder-Dialoge (Politik, Verwaltung)<br />

•Komb<strong>in</strong>ation von zentralen <strong>und</strong> stark dezentralen<br />

Organisationskonzepten; laterale Kooperationen<br />

•Erweiterung des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Controll<strong>in</strong>g für das Vorfeldmarket<strong>in</strong>g<br />

zur Förderung der Transaktionsfähigkeit<br />

Abbildung 5: Integration neuer Entscheidungstatbestände <strong>in</strong> den <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Management-<br />

prozess für die Erschließung e<strong>in</strong>kommensschwacher Zielgruppen <strong>in</strong> Schwellenländern<br />

Situationsanalyse <strong>und</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g<br />

E<strong>in</strong>stellungswandel<br />

im Management<br />

E<strong>in</strong>e f<strong>und</strong>ierte Situationsanalyse ist bei den bisher vernachlässigten Zielgruppen <strong>in</strong> den<br />

Schwellenländern e<strong>in</strong>e zentrale Erfolgsvoraussetzung für die Ableitung von Strategien<br />

<strong>und</strong> Maßnahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Zur F<strong>und</strong>ierung von Entwicklungshilfekonzepten<br />

<strong>und</strong> Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Ansätzen liegen Studien <strong>und</strong> Erfahrungen über<br />

E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Ländern vor.


52 Manfred Kirchgeorg<br />

Zunächst zeigt sich <strong>in</strong>ternational e<strong>in</strong>e sehr hohe Heterogenität im so genannten „BoP-<br />

Segment“, sodass vor der Gefahr gewarnt werden muss, die spezifischen Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Vielzahl von Subsegmenten <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Ländern zu verkennen. In e<strong>in</strong>er Vielzahl von Studien wird besonders betont, dass<br />

der Erfassung der spezifischen Bedürfnisse <strong>und</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dieser Bevölkerungsschichten<br />

e<strong>in</strong>e überaus hohe Bedeutung zukommt, um e<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>legendes Verständnis<br />

zur Entwicklung von zielgruppenspezifischen Maßnahmen zu erlangen. Fehlende<br />

Sek<strong>und</strong>är- <strong>und</strong> Primärdaten führen bei Entscheidungsträgern <strong>in</strong> Unternehmen<br />

dazu, dass bestehende Vorurteile über die Lebens- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kommenssituation von e<strong>in</strong>kommensschwachen<br />

oder e<strong>in</strong>kommenslosen Bevölkerungsgruppen nicht entgegengetreten<br />

wird. Gleichwohl f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Literaturdiskussion zunehmend Beiträge,<br />

die sich mit der länderübergreifenden „Ähnlichkeit“ bestimmter Zielgruppenausprägungen<br />

im Segment der e<strong>in</strong>kommensschwachen <strong>und</strong> armen Bevölkerungsgruppen beschäftigen.<br />

Auswertungen von Angebots- <strong>und</strong> Nachfragerstudien <strong>in</strong> Stadtgebieten mit armen Bevölkerungsschichten<br />

liefern sehr <strong>in</strong>teressante <strong>und</strong> unerwartete H<strong>in</strong>weise darüber, dass<br />

bei e<strong>in</strong>em sich entwickelnden Nachfragepotenzial die fehlende K<strong>und</strong>enorientierung<br />

gegenüber armen Bevölkerungsgruppen den Aufbau e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbeziehung vielfach<br />

erschwert. Erhebliche Mängel <strong>in</strong> der Service- <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enorientierung <strong>in</strong> bestehenden<br />

Institutionen des Ges<strong>und</strong>heitswesens werden im World Development Report 2004<br />

hervorgehoben. In diesem Zusammenhang betonte der Präsident der Welt Bank, James<br />

D. Wolfensohn: „Too often, services fail poor people. These failures may be less spectacular<br />

than f<strong>in</strong>ancial crises, but their effects are cont<strong>in</strong>u<strong>in</strong>g and deep nonetheless.”<br />

(The World Bank 2003, S. XV). Deutlich wird hierbei, dass selbst bei e<strong>in</strong>er zunehmenden<br />

Nachfrage<strong>in</strong>tensität die Akteure auf der Angebotsseite e<strong>in</strong> wenig k<strong>und</strong>engerechtes<br />

<strong>und</strong> diskrim<strong>in</strong>ierendes Verhalten zeigen (The World Bank 2003, S. 1ff. sowie<br />

z.B. Grimble et al. 2002, S. 33ff.; Fav<strong>in</strong> 1991, S. 45ff.). Bei e<strong>in</strong>em sich entwickelnden<br />

Nachfragepotenzial <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>kommensschwachen Bevölkerungsgruppen werden jene<br />

Anbieter besondere Chancen erlangen, die auch gegenüber diesen Zielgruppen e<strong>in</strong> hohes<br />

Maß an K<strong>und</strong>enorientierung <strong>und</strong> Sympathie entwickelt haben.<br />

Analysen über die Haushaltsausstattungen <strong>und</strong> Kaufverhaltensweisen dieser Zielgruppen<br />

zeigen <strong>in</strong> zunehmendem Umfang, dass Bewohner <strong>in</strong> den Vorstandslums über e<strong>in</strong>e<br />

Haushaltsausstattung verfügen, die Elektrogeräte bis h<strong>in</strong> zu Fernsehern umfasst. Im<br />

H<strong>in</strong>blick auf die Preise, die <strong>in</strong> entsprechenden Stadtregionen für Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel,<br />

Kreditvergaben <strong>und</strong> Medikamente verlangt werden, zeigt e<strong>in</strong>e vergleichende Analyse<br />

der Preise für Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen <strong>in</strong> Armenvierteln <strong>und</strong> Wohngegenden der


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 53<br />

oberen Mittelschicht <strong>in</strong> Indien (Abb. 6), dass Käufer <strong>in</strong> den Armenvierteln teilweise<br />

extreme Preisnachteile <strong>in</strong> Kauf nehmen müssen. Prahalad <strong>und</strong> Hammond sehen hier<strong>in</strong><br />

besondere Chancen für mult<strong>in</strong>ationale Konzerne, da sie vielfach aufgr<strong>und</strong> der zu realisierenden<br />

Skaleneffekte auch die Versorgung dieser Zielgruppen zu erheblich günstigeren<br />

Preisen sicherstellen können (Prahalad/Hammond 2002, S. 7-8).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs besteht häufig e<strong>in</strong>e zu ger<strong>in</strong>ge Kaufkraft <strong>und</strong> Transaktionsfähigkeit, sodass<br />

sich die Frage stellt, <strong>in</strong>wieweit Möglichkeiten bestehen, die Transaktionsfähigkeit armer<br />

Bevölkerungssegmente zu erhöhen. Aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Transaktionsfähigkeit<br />

der Nachfrager ist e<strong>in</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g notwendig, das die Transaktionsfähigkeit entsprechend<br />

fördert. E<strong>in</strong> Verständnis der spezifischen Lebens- <strong>und</strong> Versorgungs<strong>in</strong>frastruktur<br />

sowie der regionalen <strong>und</strong> nationalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen stellt e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Voraussetzung für die Ableitung adäquater <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzeptionen dar. Der Aufbau<br />

von Kontakten zu allen relevanten Akteursgruppen <strong>in</strong> den jeweiligen Ländern stellt <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>en wichtigen ersten Schritt dar. Dabei gilt es die wirtschaftlichen,<br />

politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen <strong>und</strong> spezifische<br />

Probleme wie Korruption, Machtstrukturen u.a. zu identifizieren.<br />

Kosten Dharavi<br />

Armenviertel<br />

Warren Road<br />

Obere Mittelschicht<br />

Aufschlag<br />

für die Armen<br />

Kredit (jährliche Z<strong>in</strong>sen) 600-1000% 12-18% Faktor 53<br />

Kommunales Tr<strong>in</strong>kwasser (1 m 3 ) 1,12 $ 0,03 $ Faktor 37<br />

Telefon (pro M<strong>in</strong>ute) 0,04-0,05 $ 0,025 $ Faktor 1,8<br />

Medikament (gegen Diarrhöe) 20 $ 2 $ Faktor 10<br />

Reis (1 kg) 0,28 $ 0,24 $ Faktor 1,2<br />

Abbildung 6: Analyse von Preisniveaudifferenzen zwischen Armen- <strong>und</strong> Wohnvierteln <strong>in</strong> Indien<br />

(Quelle: Prahalad/Hammond 2002, S. 8)<br />

Die E<strong>in</strong>beziehung der potenziellen Nachfrager <strong>in</strong> den Produktions- <strong>und</strong> Vermarktungsprozess<br />

kann e<strong>in</strong>erseits zur Reduzierung von Kosten bzw. Preisen <strong>und</strong> andererseits<br />

zur Schaffung von E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> damit Transaktionsfähigkeit für die arme Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong>en Beitrag leisten. Andererseits kann e<strong>in</strong>e Kooperation mit F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitutionen<br />

sowie mit Förder- <strong>und</strong> Sozial<strong>in</strong>stitutionen zur Entwicklung von Mikro-<br />

Kreditangeboten zielführend se<strong>in</strong>. Die UN hat auf dem 1999 Mikrokredit Summit <strong>in</strong>


54 Manfred Kirchgeorg<br />

Kooperation mit mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen <strong>und</strong> Kredit<strong>in</strong>stituten Ziele <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

für die Vergabe von Mikrokrediten an arme Bevölkerungssegmente abgeleitet.<br />

Diese Sachverhalte s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong> Vorfeldmarket<strong>in</strong>g sorgfältig zu berücksichtigen.<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele <strong>und</strong> -strategien<br />

Prahalad <strong>und</strong> Hart verweisen darauf, dass die <strong>in</strong> Industrieländern erfolgreich e<strong>in</strong>gesetzten<br />

High-Marg<strong>in</strong>-Strategien mit Qualitätsprodukten für arme Bevölkerungssegmente<br />

nicht erfolgreich se<strong>in</strong> können. Sie fordern, dass mult<strong>in</strong>ationale Konzerne für die Bearbeitung<br />

von Märkten mit armer Bevölkerung e<strong>in</strong>erseits bestehende Kostenpositionen<br />

erheblich reduzieren <strong>und</strong> „Low-Marg<strong>in</strong>-Strategien“ umsetzen sollten. Sie merken<br />

hierzu an: „Do<strong>in</strong>g bus<strong>in</strong>ess with the world´s four billion poorest people – two-third of<br />

the world´s population – will require radical <strong>in</strong>novations <strong>in</strong> technology and bus<strong>in</strong>ess<br />

models.” (Prahalad/Hart 2002, S. 3). Somit sehen sich gerade <strong>in</strong>ternationale Konzerne<br />

mit dem Problem konfrontiert, ggf. unterschiedliche Wettbewerbsstrategien mite<strong>in</strong>ander<br />

zu verb<strong>in</strong>den bzw. unter dem Konzerndach zu entwickeln <strong>und</strong> umzusetzen, was<br />

e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Herausforderung für das Management <strong>und</strong> die Unternehmenskultur<br />

darstellen kann. Vielfach s<strong>in</strong>d ganz neue Bus<strong>in</strong>ess-Modelle für den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong><br />

das BoP-Segment zu entwickeln.<br />

Der Grad der Produktdifferenzierung, der <strong>in</strong> den Industrieländern vielfach mit hohen<br />

Komplexitätskosten e<strong>in</strong>hergeht, erfährt für Massenmärkte, auf denen die Nachfrager<br />

ihre Gr<strong>und</strong>bedürfnisse als nicht befriedigt ansehen, e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Bedeutung. Hier gilt<br />

es <strong>in</strong>sbesondere die Gr<strong>und</strong>versorgung mit standardisierten Niedrig-Margen-Produkten<br />

sicherzustellen. Die ger<strong>in</strong>gen Deckungsspannen können für Massenmarktstrategien<br />

durchaus mit e<strong>in</strong>er hohen Profitabilität verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>.<br />

Es wird deutlich, dass jene Hersteller, die es mit ihrer Unternehmenskultur bereits verstanden<br />

haben, e<strong>in</strong>e Kostenführerschaft mit ökologischen Anforderungen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang<br />

zu br<strong>in</strong>gen, für die Erschließung entsprechender Märkte bessere Voraussetzungen erfüllen<br />

als Unternehmen, die auf dem Weltmarkt das Luxussegment bedienen.<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix<br />

E<strong>in</strong>e Vielzahl von Anpassungserfordernissen ist bei der Gestaltung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-<br />

Mix-Instrumente zu berücksichtigen, von denen im Folgenden e<strong>in</strong>ige zentrale Aspekte<br />

skizziert werden. Hierbei können auch Erfahrungen über die Wirkungsweise spezifisch<br />

erprobter <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strumente von <strong>in</strong>ternational tätigen Unternehmen e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden, die bereits erfolgreich e<strong>in</strong>e Ansprache armer Bevölkerungsschichten vornehmen.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 55<br />

Im Rahmen der Produktentwicklung erlangt die Konzentration auf kostengünstige,<br />

umweltgerechte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fach zu bedienende Standardprodukte besondere Relevanz.<br />

Bestehende Bildungsdefizite (z.B. Analphabetentum) s<strong>in</strong>d bei der Produktkonzeption<br />

<strong>und</strong> -bedienung zu berücksichtigen. Vielfach erfordert die E<strong>in</strong>führung entsprechender<br />

Standardprodukte <strong>in</strong> den Massenmärkten der Entwicklungsländer auch e<strong>in</strong>e geänderte<br />

Markenstrategie. In ihrem Beitrag führen Prahalad <strong>und</strong> Hart e<strong>in</strong>e Reihe mult<strong>in</strong>ationaler<br />

Konzerne an, die durch die Entwicklung e<strong>in</strong>er entsprechenden Produktl<strong>in</strong>ie <strong>und</strong> den<br />

Aufbau e<strong>in</strong>er Zweitmarke für die Märkte <strong>in</strong> den Entwicklungsländern e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Position aufbauen konnten. Angesichts der schwach ausgeprägten E<strong>in</strong>kommen bei armen<br />

Bevölkerungsgruppen bietet die Veränderung von Verpackungsgrößen vielfach<br />

e<strong>in</strong>e Möglichkeit, dass Produkte auch <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Mengen angeboten <strong>und</strong> bezahlt<br />

werden können. Hierüber konnten e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>in</strong>ternational tätigen Herstellern wie<br />

z.B. H<strong>in</strong>dustan Lever <strong>in</strong> Indien e<strong>in</strong>en erheblichen Marktanteilszuwachs erzielen (u.a.<br />

Balakrishna et al. 2004).<br />

In diesem Zusammenhang können sich Konflikte im H<strong>in</strong>blick auf zusätzliche Verpackungsabfälle<br />

ergeben, sodass über umweltverträgliche Verpackungsformen bei dieser<br />

Produktanpassung gleichermaßen nachzudenken ist. H<strong>in</strong>dustan Lever Ltd. gehört zum<br />

Unileverkonzern. Nachdem der mult<strong>in</strong>ational tätige Konzern seit über 50 Jahren die<br />

wohlhabenden K<strong>und</strong>ensegmente <strong>in</strong> Indien im Rahmen des traditionellen <strong>in</strong>ternationalen<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatzes bearbeitet hat, ist <strong>in</strong> den 90er Jahren e<strong>in</strong>e spezifische Strategie<br />

zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente entwickelt worden. Hierbei zeigt sich,<br />

dass gr<strong>und</strong>legende Anpassungserfordernisse im Bereich der Produkt- <strong>und</strong> Verpackungskonzeption,<br />

im Produktionsprozess (Niedrigkosten-Produktionskonzepte), im<br />

Distributions- <strong>und</strong> Kommunikationssystem sowie <strong>in</strong> der Preispolitik notwendig waren.<br />

Ausschlaggebend für diese Strategie war der Erfolg e<strong>in</strong>es lokalen Unternehmens Nirma,<br />

das sehr erfolgreich e<strong>in</strong>e <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente<br />

entwickelt hat. Sowohl Nirma wie auch H<strong>in</strong>dustan Lever gehören heute<br />

zu den stärksten Anbietern von Re<strong>in</strong>igungsmitteln <strong>in</strong> Indien <strong>und</strong> die Profitabilität im<br />

BoP-Segment wird bei Unilever im Vergleich zu High-End-Produkten um e<strong>in</strong> vielfaches<br />

höher beurteilt (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Insgesamt wird anhand e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

von Fallbeispielen deutlich, dass die kreative Suche nach Lösungsansätzen zu Produkt<strong>und</strong><br />

Service<strong>in</strong>novationen führt, die wiederum <strong>in</strong> verschiedenen Ländern für e<strong>in</strong> Angebot<br />

im Segment der armen Bevölkerungssegmente genutzt werden <strong>und</strong> sogar auch für<br />

Industrieländer Innovationsimpulse liefern können.<br />

Die Preispolitik ist auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er Niedrig-Margen-Orientierung festzulegen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Transaktionsfähigkeit s<strong>in</strong>d die oben erwähnten Maßnahmen


56 Manfred Kirchgeorg<br />

des Vorfeldmarket<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>zubeziehen. Für den Marktaufbau ersche<strong>in</strong>en Mischkalkulationen<br />

zwischen Deckungsbeiträgen <strong>in</strong> Industrieländern <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />

den Markte<strong>in</strong>tritt zu erleichtern. Überraschend ersche<strong>in</strong>en im H<strong>in</strong>blick auf die ger<strong>in</strong>gen<br />

verfügbaren E<strong>in</strong>kommen Berichte darüber, dass <strong>in</strong> armen Bevölkerungssegmenten<br />

<strong>in</strong> Anspruch genommene Mikrokredite mit hoher Zuverlässigkeit wieder zurückgezahlt<br />

werden. Prahalad <strong>und</strong> Hart führen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang das Beispiel der<br />

Grameen Bank an, die Rückzahlungsquoten im Bereich der Mikrokredite von 95%<br />

erzielt hat. (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Interviews des Autors mit Experten über die<br />

Vergabe von Mikrokrediten bestätigen diese Erkenntnisse. Shar<strong>in</strong>gmodelle können<br />

genutzt werden, um hohe Anfangs<strong>in</strong>vestitionen für z.B. Internetanschlüsse, Telefone<br />

u.a. auf verschiedene Nutzer aufzuteilen bzw. entsprechende Services gegen e<strong>in</strong>e Nutzungsgebühr<br />

anzubieten. Beispiele zeigen weiterh<strong>in</strong> auf, dass die Realisierung von<br />

Kostenreduktionspotenzialen von 50 bis 70% zu realisieren s<strong>in</strong>d, wenn die Kostentreiber<br />

identifiziert werden <strong>und</strong> dann durch <strong>in</strong>novative Produkt-, Distributions- <strong>und</strong><br />

Kommunikationskonzepte kostengünstige Substitutionstechnologien entwickelt werden,<br />

die jedoch e<strong>in</strong>e solide Qualität <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fache Handhabung sicherstellen.<br />

Erhebliche Anpassungserfordernisse s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich der Distributions- <strong>und</strong> Kommunikationsstrukturen<br />

<strong>in</strong> Schwellenländer zu berücksichtigen. Vielfach existieren die <strong>in</strong><br />

den Industrieländern etablierten Distributionssysteme nicht. E<strong>in</strong>e hohe Fragmentierung<br />

der Absatzkanäle geht i.d.R. mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Infrastruktur- <strong>und</strong> Distributionsdichte<br />

bei der Landbevölkerung e<strong>in</strong>her. Hier stellt sich e<strong>in</strong>e der größten Herausforderung für<br />

das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, unter E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung lokaler Unternehmen <strong>und</strong> zukünftiger<br />

Nachfrager zuverlässige <strong>und</strong> effiziente Distributionsstrukturen aufzubauen. E<strong>in</strong><br />

besonderer Trade off besteht nach Fallanalysen zwischen dem Angebot von Informationsdienstleistungen<br />

(Telefonverb<strong>in</strong>dungen, Internetzugang) <strong>und</strong> der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung von armen Bevölkerungssegmenten. Erfahrungen über die E<strong>in</strong>führung<br />

von City-Telefonen <strong>in</strong> Indien oder die Installation von Internet-Kiosken <strong>in</strong> Chile oder<br />

Indien liefern ähnliche Erkenntnisse. Die Verfügbarkeit von Informationsmedien ermöglicht<br />

es der Landbevölkerung ihr E<strong>in</strong>kommen z.B. durch e<strong>in</strong>e erhöhte Preistransparenz<br />

beim E<strong>in</strong>kauf von Saatgut oder den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen<br />

zu steigern. Gleichzeitig führt die Verfügbarkeit von Informationen über verbesserte<br />

Anbaumethoden auch zu effizienteren Produktionsmethoden (vgl. hierzu die<br />

Beispielfälle unter http://www.digitaldividend.corg/case).<br />

Bei der Gestaltung von Kommunikationsmaßnahmen stellen sich ebenfalls besondere<br />

Herausforderungen. Arme Bevölkerungssegmente verfügen zunehmend über e<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung<br />

an moderne Massenmedien (Radio, Fernsehen, (Mobil-)Telefon), sodass sie


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Perspektive 57<br />

vielfach Kampagnen bekannter Marken kennen <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong> Markenbewusstse<strong>in</strong> entwickelt<br />

haben. Bei fehlenden Kommunikationsmedien können zentral zugängliche<br />

Internet-Kiosksysteme oder Produktdemostrationsveranstaltungen <strong>in</strong>teressante Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

darstellen. Allerd<strong>in</strong>gs ist bei der Botschaftsgestaltung der<br />

Entwicklung von Produktbeschreibungen <strong>und</strong> Bedienungsanleitungen zu berücksichtigen,<br />

dass aufgr<strong>und</strong> des ger<strong>in</strong>gen Bildungsgrades e<strong>in</strong> hoher Anteil dieser Bevölkerungsgruppen<br />

nur über ger<strong>in</strong>ge Lesefähigkeiten verfügt. Bei fehlender Transaktionsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Hochpreisstrategien setzt sich Markenbekanntheit <strong>und</strong> Markenpräferenz<br />

jedoch nicht <strong>in</strong> reales Kaufverhalten um. Insgesamt gilt auch für den Bereich der<br />

Kommunikation gegenüber diesen Zielgruppen, dass die Wirkungsweise der Botschaftsgestaltung<br />

<strong>und</strong> Medienauswahl auf spezifischen Marktforschungsdaten aufbauen<br />

sollte, die z.T. unerwartete Ergebnisse über die Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten<br />

offenbaren.<br />

5 Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />

Die skizzierten Ausführungen zeigen, dass sich im <strong>in</strong>ternationalen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> neue<br />

Herausforderungen zur Berücksichtigung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen stellen<br />

<strong>und</strong> zunehmend e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> klassischen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen vernachlässigte Zielgruppe <strong>in</strong><br />

den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Bisher haben ansche<strong>in</strong>end tradierte<br />

Denkmuster <strong>in</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> die leichter zu erschließenden Wachstumsmärkte<br />

<strong>in</strong> Industrieländern verh<strong>in</strong>dert, dass armen Bevölkerungssegmenten e<strong>in</strong>e<br />

gebührende Bedeutung zuerkannt wurde. Dabei darf nicht verkannt werden, dass privatwirtschaftliche<br />

Konzepte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei der Zielgruppe armer<br />

Menschen auch nur e<strong>in</strong>e begrenzte Reichweite entwickeln können <strong>und</strong> durch Ansätze<br />

des Sozial-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von gesellschaftlichen <strong>und</strong> staatlichen Institutionen unterstützt<br />

bzw. ergänzt werden müssen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist die Forderung zu erheben, dass vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />

die Managementlehre (Müller-Christ, Hülsmann 2003, S. 271-272)<br />

<strong>in</strong>sgesamt <strong>und</strong> die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>wissenschaft sowie <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis im Speziellen <strong>in</strong> der<br />

Zukunft aufgefordert ist, sich mit der bisher weitgehend vernachlässigten Zielgruppe<br />

der Mehrheit der armen Weltbevölkerung verstärkt ause<strong>in</strong>ander zusetzen. Nicht nur<br />

zur Erfüllung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen, sondern<br />

auch aus e<strong>in</strong>er ökonomischen Sicht s<strong>in</strong>d Unternehmen aufgefordert, das Zukunftspotenzial<br />

des vernachlässigten Teils unserer Weltbevölkerung zu erkennen. Während die<br />

Erhöhung der Lebensqualität von armen Bevölkerungssegmenten dem Anspruch nach<br />

<strong>in</strong>tragenerativer Gerechtigkeit entspricht, so ist jedoch nicht zu verkennen, dass ange-


58 Manfred Kirchgeorg<br />

sichts der enormen Nachfragepotenziale <strong>in</strong> diesen Segmenten auch die Frage der verantwortungsvollen<br />

Ressourcennutzung für Produktions- <strong>und</strong> Konsumzwecke zu reflektieren<br />

ist. Die bloße Übertragung des Lebensstils der Industrieländer auf die Entwicklungsländer<br />

würde die Resourcen- <strong>und</strong> Immissionsprobleme extrem ansteigen lassen.<br />

Von daher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>telligente <strong>und</strong> <strong>in</strong>novative Lösungen für e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle<br />

Synthese e<strong>in</strong>er verbesserten Lebensqualität von armen Bevölkerungszielgruppen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er nachhaltigen Ressourcennutzung <strong>in</strong> Zukunft besonders gefragt.<br />

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Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

Ulf Schrader<br />

1 E<strong>in</strong>führung<br />

„Öko ist out – Werbung mit grünen Argumenten kommt nicht mehr an“ – so lautete<br />

am 1. Juni 2001 die Titelschlagzeile von werben & verkaufen, dem auflagenstärksten<br />

kommunikationspolitischen Fachmagaz<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschland. Demnach seien die klassischen<br />

Öko-Argumente oft <strong>in</strong>haltlich selbstverständlich, langweilig gestaltet <strong>und</strong> generierten<br />

ke<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>ennutzen. An dieser für Umweltbewegte zunächst ernüchternden<br />

Diagnose dürfte sich seit 2001 nicht viel geändert haben. Allerd<strong>in</strong>gs wäre es verfehlt,<br />

daraus auf e<strong>in</strong>e generell fehlende kommunikative Vermittelbarkeit der Inhalte <strong>und</strong> Ergebnisse<br />

e<strong>in</strong>es gesellschaftlich verantwortlichen Managements zu schließen. Der vorliegende<br />

Beitrag soll aufzeigen, wie es Unternehmen gel<strong>in</strong>gen kann, durch e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation Wettbewerbsvorteile zu erlangen.<br />

Ausgangspunkt s<strong>in</strong>d dabei die Gründe für die mangelnde Durchschlagskraft klassischer<br />

Öko-Werbung. Für diese Defizite sollen dann im Hauptteil Lösungsansätze präsentiert<br />

werden, deren Beachtung für den Erfolg der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

notwendig ist. Die Argumentation konzentriert sich dabei auf die Kommunikation gegenüber<br />

Konsumenten <strong>und</strong> auf die Frage, wie diese motiviert <strong>und</strong> <strong>in</strong> die Lage versetzt<br />

werden können, ihr Konsumverhalten an den Zielen der Nachhaltigkeit auszurichten.<br />

2 Öko-Werbung<br />

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb klassische Öko-Werbung, die sich seit Beg<strong>in</strong>n<br />

der 1980er Jahre entwickelt hat, heute als Auslaufmodell gilt. Insgesamt ist sie oft<br />

nicht <strong>in</strong> der Lage, die Ziele zu erfüllen, die mit erfolgreicher Werbung generell verb<strong>und</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d. Die zentralen Versäumnisse sollen hier vorgestellt werden, wobei jedoch<br />

darauf h<strong>in</strong>zuweisen ist, dass die Kritik nur bestimmte Tendenzen herausstreicht <strong>und</strong><br />

nicht verallgeme<strong>in</strong>ert werden darf. Selbstverständlich gab <strong>und</strong> gibt es auch gut gemachte<br />

Umwelt-Kommunikation im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Öko-Werbung im Besonderen.<br />

Oft wurde es jedoch versäumt, den spezifischen <strong>in</strong>dividuellen Nutzen zu vermitteln,<br />

den umweltfre<strong>und</strong>liche Produkte für Konsumenten stiften können. Bei Hopfenbeck/Roth<br />

(1994, S. 88-125) gibt es zahlreiche Beispiele für Öko-Werbung, die sich


62 Ulf Schrader<br />

auf „grüne Argumente“ beschränkt. So wirbt etwa die Hofpfisterei mit „1=4: 1 Laib<br />

Pfister Öko-Bauernbrot entspricht 4 qm Bayern ohne chemische Spritz- <strong>und</strong> Düngemittel“<br />

<strong>und</strong> die AEG stellt ihre Waschmasch<strong>in</strong>enwerbung unter den Slogan: „Um alles<br />

<strong>in</strong> der Welt: weniger Wasser!“. Der ökologische Vorteil alle<strong>in</strong> ist jedoch <strong>in</strong>dividuell<br />

nicht Nutzen stiftend, da die Umwelt e<strong>in</strong> Kollektivgut ist, von dessen Schutz alle profitieren,<br />

also auch die Konsumenten, die sich – z.B. aus Kostengründen – von den ökologischen<br />

Alternativen abwenden (Trittbrettfahrerproblem). Erst wenn es gel<strong>in</strong>gt, e<strong>in</strong>en<br />

ökologisch bed<strong>in</strong>gten <strong>in</strong>dividuellen Nutzen aufzuzeigen, wird der Umweltvorteil<br />

zu e<strong>in</strong>em Kaufargument (z.B. Meffert 1993).<br />

E<strong>in</strong> weiteres Defizit der Öko-Werbung, das ihrem Ansehen zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der kritischen<br />

Öffentlichkeit geschadet hat, ist die Konzentration auf Produkte <strong>und</strong> hier z.T. auf relativ<br />

irrelevante Produktmerkmale (Lichtl 1999, S. 22-23). So lag bei Verbrauchsgütern<br />

traditionell e<strong>in</strong> Schwerpunkt auf der Verpackung, bei Gebrauchsgütern auf der Recycl<strong>in</strong>gfähigkeit.<br />

Ökologisch bedeutsamer s<strong>in</strong>d jedoch vielfach die Vorproduktion <strong>und</strong><br />

Produktion, der Transport <strong>und</strong> vor allem die Nutzung von Gütern.<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Gr<strong>und</strong> für die Beschränkung der Inhalte liegt dar<strong>in</strong>, dass im Rahmen der<br />

Werbung komplexe Informationen nur schwer vermittelbar s<strong>in</strong>d. Im Kontext e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

Kommunikationsstrategie muss Werbung deshalb mit anderen Instrumenten<br />

verknüpft werden. Lange Zeit haben sich hier die <strong>Praxis</strong> <strong>und</strong> auch die Wissenschaft<br />

zurückgehalten. Während die Öko-Werbung im Standardwerk „Öko-Kommunikation“<br />

von Hopfenbeck/Roth (1994) auf immerh<strong>in</strong> 78 Seiten erläutert wird, erhalten andere<br />

Kommunikations<strong>in</strong>strumente deutlich weniger Raum: Public Relations 14 Seiten,<br />

Öko-Sponsor<strong>in</strong>g 9 Seiten, Verkaufsförderung <strong>und</strong> Interne Kommunikation je 6. Auch<br />

im Gr<strong>und</strong>lagen- <strong>und</strong> Anwendungsteil des Buches dom<strong>in</strong>iert die Werbung.<br />

Um den Adressaten auch im Rahmen der Werbung möglichst viele Informationen zu<br />

vermitteln, ist klassische Öko-Werbung häufig sehr text- <strong>und</strong> faktenorientiert. So wird<br />

etwa der oben zitierte Werbespruch der Hofpfisterei („4 qm Bayern ohne chemische<br />

Spritz- <strong>und</strong> Düngemittel“) illustriert mit e<strong>in</strong>em aufwendigen Berechnungsbeispiel<br />

(Hopfenbeck/Roth 1994, S. 104); ansprechende bildliche Darstellungen sucht man hier<br />

– wie <strong>in</strong> vielen anderen Öko-Werbekampagnen auch – vergeblich. Angesichts der<br />

herrschenden Informationsüberlastung ist jedoch davon auszugehen, dass nur solche<br />

Konsumenten diese Faktenpräsentationen wahrnehmen <strong>und</strong> verarbeiten, für die das<br />

Umweltproblem e<strong>in</strong>en besonders hohen Stellenwert hat. Während der Umweltschutz<br />

Anfang der 1990er Jahre von der b<strong>und</strong>esdeutschen Bevölkerung noch für das wichtigste<br />

gesellschaftliche Problem gehalten wurde, nimmt er mittlerweile nur noch e<strong>in</strong>en


Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 63<br />

mittleren Rangplatz e<strong>in</strong> (Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 30-37). Dementsprechend hat<br />

die Mehrheit der Konsumenten gr<strong>und</strong>sätzlich e<strong>in</strong> eher begrenztes Interesse am Umweltthema.<br />

E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>, weshalb <strong>in</strong> der Öko-Werbung die Informationskomponente betont <strong>und</strong> die<br />

Animation durch Emotionalisierung zurückhaltend verwendet wird, s<strong>in</strong>d potenzielle<br />

Glaubwürdigkeitsprobleme (Beitrag Belz/Ditze). Sie resultieren aus den <strong>in</strong>formationsökonomischen<br />

Besonderheiten von Umwelteigenschaften (Kaas 1992, S. 478-480): Es<br />

handelt sich hierbei nicht um Sucheigenschaften, die Konsumenten vor dem Kauf beurteilen<br />

könnten, sondern entweder – wie im Fall von Langlebigkeit <strong>und</strong> Verbrauch –<br />

um Erfahrungseigenschaften, zu deren Beurteilung der eigene Konsum Voraussetzung<br />

ist, oder – wie bei Produktionsbed<strong>in</strong>gungen oder Schadstoffausstoß – um Vertrauenseigenschaften,<br />

bei deren Bewertung Konsumenten auf die Aussagen von Experten angewiesen<br />

s<strong>in</strong>d. Aufgr<strong>und</strong> dieser spezifischen Situation, die e<strong>in</strong>zelne Anbieter <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> der Frühphase des Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für irreführende oder sogar falsche Aussagen<br />

ausgenutzt haben (z.B. Schoenheit 1992, S. 333-336), besteht auf Seiten der<br />

Konsumenten e<strong>in</strong> genereller Glaubwürdigkeitsvorbehalt gegenüber dem ökologischen<br />

Eigenlob von Unternehmen.<br />

Defizite der Öko-Werbung Lösungsansätze<br />

Ger<strong>in</strong>ger Bezug zu <strong>in</strong>dividuellem Nutzen Neue Kommunikationsargumente<br />

E<strong>in</strong>geschränkte Berücksichtigung<br />

relevanter Probleme<br />

Mangelnde Eignung zur Kommunikation<br />

komplexer Zusammenhänge<br />

Inadäquat für ger<strong>in</strong>ger <strong>in</strong>volvierte<br />

Konsumenten<br />

Neue Kommunikationsobjekte<br />

Neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

Neue Kommunikationsgestaltung<br />

Glaubwürdigkeitsdefizite Neue Kommunikatoren<br />

Tabelle 1: Defizite der Öko-Werbung <strong>und</strong> Ansätze zu ihrer Überw<strong>in</strong>dung<br />

Die dargestellten Defizite erfordern spezifische Antworten (Tab. 1): Um den mangelnden<br />

<strong>in</strong>dividuellen Nutzen der klassischen Öko-Werbung zu überw<strong>in</strong>den, s<strong>in</strong>d neue Argumente<br />

zu kommunizieren. Alle relevanten Konsumfolgen lassen sich nur berücksichtigen,<br />

wenn die Kommunikation auf neue Objekte ausgedehnt wird. Die Komplexität<br />

der Inhalte macht neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente erforderlich. Um auch weni-


64 Ulf Schrader<br />

ger <strong>in</strong>volvierte Konsumenten anzusprechen, ist e<strong>in</strong>e andere Kommunikationsgestaltung<br />

notwendig. Und Glaubwürdigkeitsdefizite lassen sich überw<strong>in</strong>den, wenn die<br />

Kommunikation auch durch neue Akteure geleistet wird. Diese Lösungsansätze, die<br />

Bestandteil e<strong>in</strong>er erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation s<strong>in</strong>d, werden im Folgenden<br />

genauer beschrieben.<br />

3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

Neue Kommunikationsargumente<br />

Auch wenn die Ökologie Ausgangspunkt <strong>und</strong> Schwerpunkt der <strong>Nachhaltigkeits</strong>debatte<br />

ist, besteht weitgehend Konsens darüber, dass das Konzept der Nachhaltigkeit (m<strong>in</strong>destens)<br />

drei Dimensionen hat, dass also neben der Umwelt auch soziale <strong>und</strong> ökonomische<br />

Belange zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d (z.B. Enquete-Kommission 1998, S. 27-54;<br />

Dyllick/Hockerts 2002, S. 131-135). Aus <strong>in</strong>dividueller Sicht der Konsumenten kann<br />

ökonomische Nachhaltigkeit als Möglichkeit zur langfristigen Bedürfnisbefriedigung<br />

im Rahmen bestehender Budgetrestriktionen <strong>in</strong>terpretiert werden (Schoenheit 2001,<br />

S. 120-121). Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist ke<strong>in</strong>e Verzichtsideologie, sondern erkennt<br />

das Recht auf Bedürfnisbefriedigung ausdrücklich an. Erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

nimmt – wie jede gelungene Endk<strong>und</strong>enkommunikation – auf<br />

das Streben der Konsumenten nach Bedürfnisbefriedigung Bezug. Sie muss demnach<br />

bestimmte Merkmale von Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen bzw. von Unternehmen so<br />

vermitteln, dass der <strong>in</strong>dividuelle Vorteil für die K<strong>und</strong>en sichtbar wird (Beitrag Belz).<br />

Individueller ökologisch bed<strong>in</strong>gter Nutzen für Konsumenten kann aus e<strong>in</strong>em erhöhten<br />

Gebrauchswert erwachsen <strong>und</strong> beispielsweise im besseren Geschmack von Lebensmitteln<br />

aus ökologischem Landbau oder <strong>in</strong> verbesserter Hautverträglichkeit von Kleidung<br />

aus kontrolliert biologisch angebauter Baumwolle bestehen. E<strong>in</strong>e weitere Kategorie<br />

<strong>in</strong>dividueller Vorteile besteht <strong>in</strong> Kostene<strong>in</strong>sparungen, die etwa durch verbrauchsarme<br />

Gebrauchsgüter oder durch energetisch optimiertes Wohnen zu erreichen s<strong>in</strong>d. Diese<br />

Vorteile s<strong>in</strong>d für alle K<strong>und</strong>en relevant, unabhängig vom jeweiligen Umweltbewusstse<strong>in</strong>.<br />

Liegt dieses vor – <strong>und</strong> entsprechende Umfragen bestätigen trotz relativem Bedeutungsverlust<br />

(siehe Kap. 2) nach wie vor e<strong>in</strong>e weite Verbreitung (z.B. Grunenberg/Kuckartz<br />

2003, S. 39-48) – dann s<strong>in</strong>d die entsprechenden Zielgruppen auch mit<br />

weiteren Argumenten ansprechbar, die sich auf Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen beziehen<br />

(Vershofen 1940, S. 63-86; Schrader 1995, S. 11-17; Belz 2001, S. 70-75).<br />

Selbstachtungsnutzen besteht <strong>in</strong> dem guten Gefühl, auch als Konsument gemäß der<br />

E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Werte zu handeln, derer man sich als Bürger verpflichtet fühlt –


Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 65<br />

nach dem auf Abraham L<strong>in</strong>coln (1809-1865) zurückgehenden Motto „When I do good,<br />

I feel good“. Fremdachtungsnutzen bezieht sich auf die Anerkennung durch umweltorientierte<br />

Bezugsgruppen. Es ist ke<strong>in</strong>esfalls akademische Spitzf<strong>in</strong>digkeit, dezidiert<br />

zwischen e<strong>in</strong>em kollektiven ökologischen Nutzen <strong>und</strong> den verschiedenen Arten des<br />

<strong>in</strong>dividuellen ökologisch bed<strong>in</strong>gten Nutzens zu unterscheiden, sondern e<strong>in</strong>e Erfolgsvoraussetzung<br />

der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation. Der kollektive Nutzen e<strong>in</strong>er geschützten<br />

Umwelt ist zwar e<strong>in</strong>e wesentliche Folge aber nicht der wirkliche Gr<strong>und</strong> ökologischen<br />

Handelns. Nur wenn <strong>in</strong>dividueller Nutzen mit dem kollektiven e<strong>in</strong>hergeht,<br />

ist e<strong>in</strong> bewusstes ökologisches Verhalten zu erwarten.<br />

Neue Chancen <strong>und</strong> Risiken entstehen für die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation durch<br />

die zusätzliche Berücksichtigung der sozialen Dimension. Zu den entsprechenden sozialen<br />

Themen gehören etwa Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Produktion <strong>und</strong> bei Zulieferern<br />

entlang der gesamten, oftmals globalen Wertschöpfungskette, aber auch freiwillige,<br />

über die Kernleistung h<strong>in</strong>ausgehende Aktivitäten, mit denen sich e<strong>in</strong> Unternehmen<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Good Corporate Citizenship“ für die sozialen Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

bzw. die Entwicklung des sozialen Kapitals am jeweiligen Standort e<strong>in</strong>setzt (z.B. Habisch<br />

2003; Schrader 2003). Beispiele für Letzteres s<strong>in</strong>d etwa Bildungs- <strong>und</strong> Breitensport-Sponsor<strong>in</strong>g<br />

oder e<strong>in</strong>e darüber h<strong>in</strong>ausgehende dauerhafte Zusammenarbeit von<br />

Unternehmen mit sozialen E<strong>in</strong>richtungen. Problematisch ist bei der sozialen Dimension,<br />

dass hier im Gegensatz zu den zuvor genannten ökologischen Eigenschaften kaum<br />

von positiven Wirkungen auf den Gebrauchswert von Gütern oder auf die Kosten des<br />

Konsums ausgegangen werden kann. Zwar ist zu vermuten, dass etwa <strong>in</strong> Fabriken mit<br />

angenehmen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> motivierten Mitarbeitern Produkte mit höherer<br />

Qualität hergestellt werden, als etwa <strong>in</strong> sog. Sweatshops, <strong>in</strong> denen die Produktion teilweise<br />

unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen stattf<strong>in</strong>det. Es bleibt aber<br />

offen, wie stark dieser Zusammenhang ist <strong>und</strong> ob er Konsumenten vermittelt werden<br />

kann. Von daher beschränkt sich der <strong>in</strong>dividuelle Vorteil der Berücksichtigung sozialer<br />

Aspekte bei der Kaufentscheidung auf Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen. Dieser<br />

Aspekt darf jedoch nicht zu ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschätzt werden: In Umfragen rangiert etwa die<br />

Vermeidung von K<strong>in</strong>derarbeit regelmäßig deutlich vor Umweltfragen, wenn Konsumenten<br />

nach ihren Forderungen <strong>in</strong> Bezug auf das gesellschaftlich verantwortliche<br />

Verhalten von Unternehmen gefragt werden (z.B. imug 1997, S. 57; imug 2003, S. 3).<br />

Zudem handelt es sich bei der auf den Massenmarkt gerichteten Thematisierung der<br />

sozialen Dimension des unternehmerischen Handelns um e<strong>in</strong>en – im Vergleich zum<br />

Umweltthema – relativ neuen Bereich. Im Neuigkeitswert liegt e<strong>in</strong> spezifischer Kommunikationsvorteil,<br />

denn er erhöht die Aufmerksamkeit auf Seiten der Konsumenten


66 Ulf Schrader<br />

<strong>und</strong> bietet Raum für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>novative Positionierung. Dementsprechend hat beispielsweise<br />

das Pharma- <strong>und</strong> Chemieunternehmen Altana 2002 <strong>und</strong> 2003 e<strong>in</strong>e umfangreiche<br />

Kampagne mit großformatigen Anzeigen unter dem Slogan „th<strong>in</strong>k on“ durchgeführt,<br />

die von der Zeitungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Gesellschaft ZMG als Markenkampagne des Jahres<br />

2002 ausgezeichnet wurde. Im Mittelpunkt stand dabei ke<strong>in</strong> bestimmtes Produkt, sondern<br />

das Unternehmen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Verantwortung für se<strong>in</strong>e verschiedenen Stakeholder.<br />

Diese besondere Berücksichtigung des h<strong>in</strong>ter Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen stehenden<br />

Unternehmens als beworbenem Kommunikationsobjekt ist Element e<strong>in</strong>es generellen,<br />

im Folgenden näher zu betrachtenden Merkmals der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Kommunikation.<br />

Neue Kommunikationsobjekte<br />

Insbesondere zwei Aspekte der <strong>Nachhaltigkeits</strong>def<strong>in</strong>ition machen es zw<strong>in</strong>gend notwendig,<br />

<strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation über die Fokussierung auf das Kommunikationsobjekt<br />

Produkt h<strong>in</strong>auszugehen. Zum e<strong>in</strong>en beschreibt „Nachhaltigkeit“ e<strong>in</strong><br />

Ziel, das nur durch wesentliche <strong>und</strong> nicht durch beliebig kle<strong>in</strong>e ökologische Fortschritte<br />

zu erreichen ist. Genau genommen geht es beim susta<strong>in</strong><strong>in</strong>g im Gegensatz zum green<strong>in</strong>g<br />

um e<strong>in</strong> „Soviel-wie“ <strong>und</strong> nicht nur um e<strong>in</strong> „Weniger-als“ (Matten/Wagner 1998,<br />

S. 52-53). Zum anderen bezieht sich gesellschaftliche Verantwortung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>konzept<br />

nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale Fortschritte. Sowohl<br />

die substantiellen ökologischen Verbesserungen als auch die Berücksichtigung des<br />

Sozialen drücken sich oft nicht <strong>in</strong> Produktmerkmalen aus <strong>und</strong> erfordern die Betrachtung<br />

der gesamten Wertschöpfungskette sowie der Handlungen von Unternehmen <strong>in</strong>sgesamt.<br />

In der Wertschöpfungskette <strong>in</strong>teressieren Produktion <strong>und</strong> Vorproduktion ebenso wie<br />

Transporte, Entsorgung <strong>und</strong> vor allem die Nutzung. Die Nutzung ist bei vielen Gebrauchsgütern<br />

(z.B. Auto, Waschmasch<strong>in</strong>e) hauptverantwortlich für die jeweilige<br />

Ökobilanz – <strong>und</strong> die hier notwendige ökologische Konsumkompetenz lässt sich durch<br />

kommunikative Maßnahmen von Unternehmen bee<strong>in</strong>flussen (z.B. Lichtl 1999, S. 32-<br />

52). Wenn ernsthaft das Ziel verfolgt wird, den Konsumenten durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Kommunikation die Möglichkeit zu verschaffen, an der Supermarktkasse über die sozialen<br />

<strong>und</strong> ökologischen Leistungen von Unternehmen mit abzustimmen (Hansen/Schrader<br />

1997, S. 447), dann wird das gesamte anbietende Unternehmen zum<br />

Kommunikationsobjekt – mit all se<strong>in</strong>en Zulieferverflechtungen <strong>und</strong> Managementaktivitäten<br />

im Vor- <strong>und</strong> Nachkaufbereich (Schoenheit 2001, S. 122-123).


Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 67<br />

Neue Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

Die stärkere Berücksichtigung der Unternehmen, die h<strong>in</strong>ter Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

stehen, erfordert e<strong>in</strong>en zunehmenden E<strong>in</strong>satz spezifischer Kommunikations<strong>in</strong>strumente.<br />

Im Rahmen klassischer Werbung ist es unmöglich, die ganze Komplexität<br />

sozialer <strong>und</strong> ökologischer Konsequenzen der Unternehmenstätigkeit auch nur annähernd<br />

verständlich darzustellen. E<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung, die <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

zunehmend Beachtung gef<strong>und</strong>en hat, ist die erweiterte Unternehmensberichterstattung.<br />

Die klassische ökonomisch orientierte Berichterstattung wurde bereits <strong>in</strong> den 1970er<br />

<strong>und</strong> 80er Jahren durch die so genannte Sozialberichterstattung ergänzt, die sich vor<br />

allem auf die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen im Stammland bezog (z.B. Fischer-W<strong>in</strong>kelmann<br />

1980). Seit Ende der 1980er Jahre publiziert e<strong>in</strong>e zunehmende Zahl von Unternehmen<br />

Umweltberichte, mit denen sie die Transparenz über die ökologischen Auswirkungen<br />

des unternehmerischen Wirtschaftens verbessern (z.B. Fichter 1998). Diese beiden<br />

Traditionen gesellschaftsorientierter Berichterstattung verschmelzen seit Ende der<br />

1990er Jahre zunehmend mite<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> werden mit ökonomischen Informationen<br />

zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichterstattung ergänzt (z.B. IÖW/imug 2002). Obwohl die<br />

Entwicklung dieses Bereichs <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> dynamisch verläuft <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Literatur sehr<br />

<strong>in</strong>tensiv verfolgt wird (z.B. Cornier/Gordon 2001; Kolk/Walha<strong>in</strong>/van de Water<strong>in</strong>gen<br />

2001; Schulz/Burschel/Losen 2001; Adams 2002), konzentriert sich die Berichterstattung<br />

noch immer auf e<strong>in</strong>e relativ begrenzte Zahl größerer Unternehmen. So publizierten<br />

im Jahr 2002 von den DAX-100-Unternehmen 40 gesellschaftsorientierte Unternehmensberichte,<br />

von denen 20 re<strong>in</strong>e Umweltberichte <strong>und</strong> 3 re<strong>in</strong>e Sozialberichte waren.<br />

Nur 17 Unternehmen <strong>in</strong>tegrierten beide Dimensionen im Rahmen von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichten<br />

(Klaffke/Krick 2003, S. 10). Bei kle<strong>in</strong>en <strong>und</strong> mittleren Unternehmen<br />

ist der Anteil berichterstattender Unternehmen noch deutlich ger<strong>in</strong>ger ausgeprägt.<br />

Neben der Anzahl ist auch die Form der bisher publizierten <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichte<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Kommunikation mit Konsumenten stark verbesserungswürdig.<br />

Nach dem fragwürdigen Pr<strong>in</strong>zip „one size fits all“ werden noch immer viele Publikationen<br />

auf e<strong>in</strong>e gedruckte bzw. download-fähige Broschüre beschränkt. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichte<br />

besitzen dabei <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>en mittleren Komplexitätsgrad, der für<br />

kritische Anspruchsgruppen <strong>und</strong> hoch <strong>in</strong>volvierte Konsumenten oft nicht konkret genug<br />

ist, dessen Informationsreichtum bei Durchschnittskonsumenten aber zugleich<br />

e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>formation overload verursacht. Aus dieser Situation wird z.T. geschlossen,<br />

dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichterstattung für die endk<strong>und</strong>engerichtete Kommunikation<br />

generell ungeeignet wäre. Dabei übersieht man allerd<strong>in</strong>gs, dass z.B. über das Internet<br />

e<strong>in</strong>e differenzierte, zielgruppengenaue Ansprache durchaus möglich ist (z.B. Isen-


68 Ulf Schrader<br />

mann/Lenz 2002; Schulz 2003). S<strong>in</strong>d entsprechende Internet gestützte Informationssysteme<br />

erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>stalliert, lässt sich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividualisierte <strong>und</strong> laufend aktualisierte<br />

Informationsbereitstellung realisieren. Gleichzeitig kann e<strong>in</strong> Teil der unspezifischeren<br />

Pr<strong>in</strong>t-Kommunikation ersetzt werden. Wesentlich für e<strong>in</strong>e breite Nutzung entsprechender<br />

Internet-Angebote ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Verknüpfung von Onl<strong>in</strong>e- <strong>und</strong><br />

Offl<strong>in</strong>e-Kommunikation (Wheeler/Elk<strong>in</strong>gton 2001). Das Wissen <strong>und</strong> die Motivation<br />

zur Abfrage der nur onl<strong>in</strong>e erhältlichen Hol<strong>in</strong>formationen muss durch <strong>in</strong>haltlich <strong>und</strong><br />

gestalterisch leicht zugängliche Br<strong>in</strong>g<strong>in</strong>formationen offl<strong>in</strong>e erzeugt werden (Hansen<br />

u.a. 2003, S. 19-20), beispielsweise durch entsprechende H<strong>in</strong>weise auf Produkten oder<br />

<strong>in</strong> der Werbung.<br />

Neue Kommunikationsgestaltung<br />

Erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation erfordert nicht nur die zuvor beschriebene<br />

Ausweitung von Informationen, sondern gleichzeitig auch e<strong>in</strong>e zunehmende Emotionalisierung.<br />

Beide Ansätze stehen nicht im Widerspruch zue<strong>in</strong>ander, sondern<br />

müssen sich ergänzen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d im H<strong>in</strong>blick auf unterschiedliche Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

<strong>und</strong> Konsumentenzielgruppen differenziert anzuwenden. Die Forderung<br />

nach zunehmender Emotionalisierung bezieht sich vor allem auf die klassische Massenwerbung.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Werbegestaltung lässt sich zugespitzt formulieren:<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>e nachhaltige oder nicht-nachhaltige Werbung, sondern nur gute oder<br />

schlechte. Nachhaltigkeit sollte sich <strong>in</strong> den Inhalten <strong>und</strong> Zielen der Werbung widerspiegeln,<br />

nicht aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besonders sachlichen oder problemfixierten Gestaltung.<br />

Als zentralen Gr<strong>und</strong> für die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Aktivierung über positive Emotionen<br />

lässt sich das Involvement der Konsumenten anführen, also das <strong>in</strong>nere Engagement<br />

e<strong>in</strong>er Person, mit dem sich diese e<strong>in</strong>em Gegenstand oder e<strong>in</strong>er Aktivität zuwendet. Nur<br />

bei hohem Involvement ist zu erwarten, dass Konsumenten die Mühe auf sich nehmen,<br />

Informationen bewusst zu suchen <strong>und</strong> kognitiv so zu verarbeiten, dass sie handlungswirksam<br />

werden (z.B. Kroeber-Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 250). Für die meisten Konsumenten<br />

ist aber zunächst von e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gen Involvement im H<strong>in</strong>blick auf soziale <strong>und</strong><br />

ökologische Implikationen ihrer Kaufentscheidung auszugehen, was e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Anpassung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation erfordert (Hansen/Schrader 2004).<br />

Folgt man dem Elaboration-Likelihood-Model der E<strong>in</strong>stellungsforschung von Petty/Cacioppo/Schumann<br />

(1983), dann muss im Fall e<strong>in</strong>es ger<strong>in</strong>gen Involvements die zu<br />

verarbeitende Information <strong>in</strong> der Kommunikation peripher angesiedelt se<strong>in</strong>. Die Bereitschaft<br />

zur Informationsverabeitung ergibt sich hier nicht aus den konkreten Inhalten,<br />

sondern aus e<strong>in</strong>em situativen Involvement für ihre „Verpackung“, also für die


Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 69<br />

Gestaltung oder für den Sender der Botschaft. E<strong>in</strong> Weg zur Erzeugung e<strong>in</strong>es situativen<br />

Involvements für <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>formationen ist die Betonung von Spaß bzw. generell<br />

von postiver Emotionalität (Kroeber-Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 706-709). Dafür, dass<br />

ökologische Themen unterhaltsam verpackt werden können, gibt es unter dem<br />

Schlagwort „Ecota<strong>in</strong>ment“ (Lichtl 1999) <strong>in</strong>zwischen zahlreiche Beispiele. Die Schaffung<br />

von Involvement über den Sender der Information wird im Rahmen der sog. Celebrity-Werbung<br />

angestrebt. Prom<strong>in</strong>entestes umweltbezogenes Beispiel <strong>in</strong> Deutschland<br />

ist hier die (<strong>in</strong>haltlich durchaus umstrittene) Werbung von Krombacher, <strong>in</strong> der Günther<br />

Jauch <strong>und</strong> Steffi Graf das Engagement der Brauerei für e<strong>in</strong> WWF-Regenwaldprojekt<br />

herausstreichen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zum Erwerb e<strong>in</strong>es Kastens Bier br<strong>in</strong>gen. Ähnliche<br />

Ansätze s<strong>in</strong>d auch bei sozialen Themen denkbar. Nur wenn e<strong>in</strong>e entsprechende emotionale<br />

Aufladung gel<strong>in</strong>gt, lassen sich <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>formationen auch an ger<strong>in</strong>g <strong>in</strong>volvierte<br />

Konsumenten herantragen. Gegebenenfalls entsteht dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Schritt auch e<strong>in</strong> kognitiv gefestigtes Involvement für die eigentlichen Inhalte. Bei bereits<br />

hoch <strong>in</strong>volvierten, an Nachhaltigkeit überdurchschnittlich <strong>in</strong>teressierten Konsumenten<br />

kann e<strong>in</strong>e emotionale Ansprache ebenfalls s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, um die vorhandene<br />

Informationsbereitschaft zu festigen <strong>und</strong> auszubauen.<br />

Neue Kommunikatoren<br />

Während e<strong>in</strong>e <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation nach dem Motto „Tue Gutes <strong>und</strong> rede<br />

darüber“ oft als „re<strong>in</strong>e PR“ abgetan wird (Ste<strong>in</strong>ert/Kle<strong>in</strong> 2002, S. 12), können Unternehmen<br />

bestehende Glaubwürdigkeitsvorbehalte überw<strong>in</strong>den, wenn es ihnen gel<strong>in</strong>gt,<br />

die Maßgabe „Tue Gutes <strong>und</strong> lass Andere darüber reden“ umzusetzen. Gerade bei der<br />

gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme kommt es darauf an, dass die eigenen<br />

Aktivitäten von glaubwürdigen Dritten aufgegriffen <strong>und</strong> gegenüber den Konsumenten<br />

kommuniziert werden. Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit dieser Akteure ist ihre<br />

Unabhängigkeit von den kommerziellen Interessen der Unternehmen. Zentral s<strong>in</strong>d<br />

hierbei von Konsumenten als unabhängig wahrgenommene Massenmedien sowie<br />

NGOs <strong>und</strong> Verbraucherorganisationen, die direkt oder ihrerseits über Massenmedien<br />

an die Konsumenten herantreten.<br />

Viel versprechend ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, dass die Stiftung Warentest, deren<br />

Glaubwürdigkeit im H<strong>in</strong>blick auf Verbraucher<strong>in</strong>formationen <strong>in</strong> Deutschland unbestritten<br />

ist, damit begonnen hat, Warentests um sozial-ökologisch ausgerichtete Unternehmenstests<br />

zu ergänzen. E<strong>in</strong> isolierter Unternehmenstest zur Verantwortungsübernahme<br />

<strong>in</strong> der Sportartikelbranche ist bereits <strong>in</strong> der Zeitschrift test erschienen (test 2003) <strong>und</strong><br />

weitere Tests der Corporate Social Responsibility s<strong>in</strong>d geplant. Die Stiftung Warentest


70 Ulf Schrader<br />

arbeitet dabei mit dem Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft zusammen, das bereits<br />

seit Anfang der 1990er Jahre das Konzept e<strong>in</strong>es sozial-ökologischen Unternehmenstests<br />

entwickelt (imug 1997) <strong>und</strong> im Rahmen verschiedener branchenbezogener E<strong>in</strong>kaufsführer<br />

umgesetzt hat (z.B. imug u.a. 1997; imug u.a. 1999; imug 2001). Im Rahmen<br />

e<strong>in</strong>er Kooperation mit dem Vere<strong>in</strong> für Konsumenten<strong>in</strong>formation (VKI), dem österreichischen<br />

Pendant zur Stiftung Warentest, wurde auch die Verknüpfung mit klassischen<br />

Warentests bereits erprobt (Tab. 2).<br />

Vergleichbare Maßnahmen <strong>in</strong> Deutschland könnten Unternehmenstests <strong>in</strong> Zukunft<br />

e<strong>in</strong>e große Bedeutung verschaffen. Durch die besondere Reputation der Stiftung Warentest,<br />

den hohen direkten <strong>und</strong> vor allem – über die Massenmedien – <strong>in</strong>direkten Verbreitungsgrad<br />

der Testergebnisse sowie die Verknüpfung mit den für Konsumenten<br />

kaufrelevanten Warentests ist e<strong>in</strong>e Wirkung zu erwarten, die von ger<strong>in</strong>g verbreiteten<br />

unternehmensbezogenen E<strong>in</strong>kaufsführern nicht zu erzielen ist. Noch bleibt allerd<strong>in</strong>gs<br />

unklar, ob die Ansätze der Stiftung Warentest über das Stadium von Pilotprojekten<br />

h<strong>in</strong>ausgehen <strong>und</strong> dauerhaft E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den Testalltag f<strong>in</strong>den werden.<br />

Testergebnisse Laufschuhe Herren<br />

Marke Asics Nike Adidas<br />

(weitere<br />

Type Gel-Kayano Air Structure<br />

Triax<br />

Cairo<br />

Schuhe im<br />

Test)<br />

Preis <strong>in</strong> € 145,27 108,94 116,20<br />

Test-Urteil Gut Gut Gut …<br />

Hersteller Asics<br />

Nike Inc. Adidas- Salo-<br />

Corporation<br />

mon AG<br />

Japan<br />

USA<br />

Deutschland<br />

Unternehmens-Ethik - + + + +<br />

Achten auf soziale Verantwortung ? + -<br />

E<strong>in</strong>haltung von Sozialstandards + + + + +<br />

Überwachung der Sozialstandards - - + + + +<br />

Lieferbare Größen 41½ - 49 38½ - 51 39½ - 50½<br />

Gewicht pro Schuh <strong>in</strong> g 360 375 340<br />

(35%) Biomech. Eigenschaften Gut Gut Gut<br />

(20%) Orthopädische Beurteilung Sehr gut Sehr gut Gut<br />

(25%) Praktische Prüfung Gut Gut Gut<br />

(20%) Materialeigenschaften Gut Durchschnitt Durchschnitt<br />

(weitere Detailergebnisse) … … … …<br />

Tabelle 2: Beispiel für die Verknüpfung von Waren- <strong>und</strong> Unternehmenstests<br />

(Quelle: Konsument 2000, S. 8)


Von der Öko-Werbung zur <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation 71<br />

Die Existenz regelmäßiger, breit angelegter <strong>und</strong> weit verbreiteter Unternehmenstests<br />

würde die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation von Unternehmen ke<strong>in</strong>esfalls überflüssig<br />

machen. So besteht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe der Unternehmen<br />

dar<strong>in</strong>, die Test<strong>in</strong>stitutionen mit adäquaten Informationen zu versorgen. Viele der<br />

relevanten Informationen s<strong>in</strong>d nicht frei zugänglich <strong>und</strong> können von den Testern – teils<br />

aus Sach-, teils aus Kostengründen – auch nicht direkt selbst erhoben werden. Von<br />

daher kommt der Bereitschaft von Unternehmen zur freiwilligen Informationsoffenheit<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche Bedeutung für die Durchführung sozial-ökologischer Unternehmenstests<br />

zu (Schrader/Schoenheit/Hansen 2003, S. 15). E<strong>in</strong>e weitere Aufgabe der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

ist es, die Ergebnisse der Tests <strong>in</strong> der unternehmensbezogenen<br />

Kommunikation zu nutzen – ähnlich wie dies heute auf breiter Basis im Bereich<br />

von produktbezogener Werbung mit Testergebnissen geschieht.<br />

4 Fazit<br />

Im Artikel wurden verschiedene Ansätze für e<strong>in</strong>e erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Kommunikation aufgezeigt. Vorausgesetzt wurde dabei jedoch, dass das kommunizierende<br />

Unternehmen sowohl qualitativ als auch f<strong>in</strong>anziell attraktive Leistungen anbietet<br />

<strong>und</strong> im Verhältnis zum Durchschnitt se<strong>in</strong>er Mitbewerber tatsächlich e<strong>in</strong>e herausgehobene<br />

Stellung <strong>in</strong> Bezug auf Aspekte der Nachhaltigkeit e<strong>in</strong>nimmt. Die Reputation, e<strong>in</strong><br />

sozial-ökologisch besonders verantwortliches Unternehmen zu se<strong>in</strong>, lässt sich nur aufbauen<br />

<strong>und</strong> langfristig erhalten, wenn tatsächlich e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche Verantwortungsübernahme<br />

besteht. Re<strong>in</strong>es „W<strong>in</strong>dow Dress<strong>in</strong>g“ macht e<strong>in</strong>en langfristigen Kommunikationserfolg<br />

nicht nur unmöglich, sondern birgt <strong>in</strong> sich erhebliche Risiken für<br />

die Reputation <strong>und</strong> den Markenwert von Unternehmen (z.B. Dyllick/Belz 1994, S. 66-<br />

67). Im Vergleich zu abstrakteren <strong>und</strong> subjektiveren Imageausrichtungen wie Dynamik,<br />

Jugendlichkeit, Geborgenheit oder Fre<strong>und</strong>lichkeit lässt sich die sozialökologische<br />

Verantwortungsübernahme von Unternehmen eher an konkreten Standards<br />

festmachen <strong>und</strong> überprüfen. Wer diese selbst gesetzten <strong>und</strong> kommunizierten hohen<br />

Standards durch eigenes Verschulden nicht erreicht, schneidet letztlich schlechter<br />

ab, als e<strong>in</strong> Unternehmen, das <strong>in</strong> diesem Bereich von vornhere<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Profil zeigt.<br />

Wichtige Wettbewerbspotenziale werden jedoch <strong>in</strong> beiden Fällen verschenkt. Je mehr<br />

Unternehmen dies erkennen, umso wahrsche<strong>in</strong>licher wird, dass werben & verkaufen<br />

se<strong>in</strong>e Titelschlagzeile „Öko-Werbung ist out“ bald ergänzt um den wesentlichen Zusatz<br />

„- aber <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation ist <strong>in</strong>!“.


72 Ulf Schrader<br />

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<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel:<br />

Theoretische Überlegungen <strong>und</strong> empirische Ergebnisse<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

1 E<strong>in</strong>führung<br />

Werbung für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dilemma:<br />

E<strong>in</strong>erseits soll sie gemäß Aussagen von Konsumenten besonders glaubwürdig se<strong>in</strong>,<br />

andererseits aber auch unterhaltsam (Katz 2002, S. 284). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

soll nicht nur wichtige Sach<strong>in</strong>formationen über die sozial-ökologische Vorteilhaftigkeit<br />

von nachhaltigen Produkten <strong>und</strong> Leistungen vermitteln, sondern auch Emotionen<br />

<strong>und</strong> Lebensstil. Mit anderen Worten: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung bewegt sich im Spannungsfeld<br />

von Information <strong>und</strong> Animation (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). In dem<br />

vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass während der 1990er Jahre e<strong>in</strong><br />

Wandel <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen stattgef<strong>und</strong>en hat.<br />

Dies lässt sich bezüglich Gestaltung <strong>und</strong> Argumente der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung wie<br />

folgt spezifizieren:<br />

1. These: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stellt weniger Informationen <strong>und</strong> vermehrt Emotionen<br />

<strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Der Animationsnutzen gew<strong>in</strong>nt gegenüber dem Informationsnutzen<br />

zunehmend an Bedeutung (Gestaltung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung).<br />

2. These: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung hebt die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Vorteile von<br />

Produkten nicht mehr per se als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmale hervor, sondern verknüpft<br />

sie mit <strong>in</strong>dividuellen Nutzen- oder Kostenkriterien zu Motivallianzen (Argumente der<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung).<br />

Diese beiden Thesen werden <strong>in</strong> dem vorliegenden Beitrag näher erläutert <strong>und</strong> empirisch<br />

getestet. Untersuchungs- bzw. Analyseobjekte s<strong>in</strong>d Werbeanzeigen für nachhaltige<br />

Lebensmittelprodukte, die im Zeitraum von Januar 1993 bis Dezember 2002 <strong>in</strong> der<br />

Coop-Zeitung erschienen s<strong>in</strong>d. Die Wahl fiel auf Lebensmittel, weil sie e<strong>in</strong>e große<br />

Rolle im (Alltags-) Leben spielen <strong>und</strong> weil <strong>in</strong> diesem Produktbereich sozialökologische<br />

Aspekte schon seit längerem e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung haben. Unter<br />

nachhaltigen Lebensmittelprodukten werden biologisch angebaute, tierfre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong><br />

fair gehandelte Produkte subsummiert. In der Untersuchung wird biologisch angebau-


76 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

ten <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>lichen Lebensmitteln besonderes Augenmerk geschenkt, die unter<br />

der 1993 lancierten Handelsmarke Coop Naturaplan geführt werden. Im Jahr 2003 belief<br />

sich der Umsatz des Coop Naturaplan auf 1,15 Mrd. Schweizer Franken, wovon<br />

jeweils r<strong>und</strong> die Hälfte des Umsatzes auf biologisch angebaute <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>liche Lebensmittelprodukte<br />

entfielen (Coop 2004a, S. 35-37). Die biologisch angebauten Produkte<br />

des Coop Naturaplan s<strong>in</strong>d mit der Knospe versehen, dem offiziellen Label der<br />

Bio Suisse, dem Dachverband der schweizerischen Biobauern. Mit e<strong>in</strong>em Anteil von<br />

knapp 50% ist Coop klarer Führer im Bio-Markt, welcher sich zu e<strong>in</strong>em wichtigen <strong>und</strong><br />

wachsenden Teilsegment des schweizerischen Lebensmittelmarktes entwickelt hat<br />

(Villiger 2000, S. 223-250; Belz 2004, S. 104-109). Darüber h<strong>in</strong>aus werden <strong>in</strong> der Untersuchung<br />

auch fair gehandelte Lebensmittelprodukte berücksichtigt, die mit dem<br />

Max-Havelaar-Label ausgezeichnet s<strong>in</strong>d. Im Jahr 2003 erzielte Coop e<strong>in</strong>en Umsatz<br />

von mehr als 80 Mio. Schweizer Franken mit Max-Havelaar-Produkten (Kaffee, Tee,<br />

Honig, Bananen usw.). Damit verkauft Coop weltweit am meisten Fair Trade-Produkte<br />

(Coop 2004b, S. 29).<br />

Die Coop-Zeitung ist mit e<strong>in</strong>er offiziell beglaubigten Auflage von mehr als 1,5 Mio.<br />

e<strong>in</strong>e der größten Wochenzeitungen der Schweiz. Sie wird kostenlos an <strong>in</strong>teressierte<br />

Haushalte versendet <strong>und</strong> enthält neben Werbeanzeigen Artikel zu aktuellen gesellschaftspolitischen,<br />

sozialen, kulturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Themen. Im untersuchten<br />

Zeitraum 1993-2002 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt über 500 Coop-Zeitungen erschienen. Um den<br />

Aufwand für die Datenerhebung überschaubar zu halten, wurde e<strong>in</strong>e Teilerhebung<br />

vorgenommen, d.h. jede zehnte Wochenzeitung berücksichtigt. Insgesamt wurden 363<br />

Anzeigen aus fünfzig Coop-Zeitungen kategorisiert, systematisiert <strong>und</strong> anhand e<strong>in</strong>er<br />

quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Inhaltsanalyse näher untersucht. E<strong>in</strong>e derartige Inhaltsanalyse<br />

kann def<strong>in</strong>iert werden als e<strong>in</strong>e empirische Forschungsmethode zur systematischen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>tersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung <strong>und</strong> Analyse <strong>in</strong>haltlicher<br />

<strong>und</strong> formaler Merkmale von Mitteilungen (Früh 2001, S. 119; Mayr<strong>in</strong>g 2002). „Mitteilungen“<br />

be<strong>in</strong>halten neben Texten auch Bilder. „Systematisch“ bedeutet, dass neben der<br />

klaren Festlegung der Untersuchungsobjekte, des Untersuchungszeitraums <strong>und</strong> der<br />

Stichprobe für die Beschreibung <strong>und</strong> Analyse der Mitteilungen bereits vor der Inhaltsanalyse<br />

e<strong>in</strong> Kategorien- bzw. Auswertungsschema erarbeitet wird. Die Erstellung e<strong>in</strong>es<br />

e<strong>in</strong>heitlichen Kategoriensystems ist e<strong>in</strong> zentraler Schritt im Rahmen der empirischen<br />

Inhaltsanalyse (Mayr<strong>in</strong>g 1997, S. 56-95; Früh 2001, S. 141-151). E<strong>in</strong>e notwendige<br />

Voraussetzung für die Konstruktion e<strong>in</strong>es brauchbaren Kategoriensystems ist –<br />

wie bei anderen Erhebungsmethoden auch – e<strong>in</strong>e gründliche theoretische Aufarbeitung<br />

des Forschungsproblems (Flick 2002; Mayr<strong>in</strong>g 2002). Das Kategoriensystem zur Er-


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 77<br />

fassung <strong>und</strong> Analyse der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte leitet<br />

sich aus den beiden Thesen <strong>und</strong> den entsprechenden theoretischen (Vor-)<br />

Überlegungen ab. Es besteht aus 24 Variablen wie Ersche<strong>in</strong>ungsjahr, Anzeigentyp,<br />

Anzeigengröße, Bildflächenanteil, Textanteil, Bildmotive, Headl<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Produktgruppe<br />

(siehe Anhang). Die umfangreichen Datensätze wurden <strong>in</strong> Version 11 von SPSS<br />

(Statistical Package for the Social Sciences) e<strong>in</strong>gegeben <strong>und</strong> näher analysiert<br />

(Bühl/Zöfel 2002).<br />

Das Kapitel 2 widmet sich der These, dass während der letzten Jahre e<strong>in</strong> Wandel von<br />

<strong>in</strong>formations- zu emotionsbezogener <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat. Das<br />

Kapitel 3 beschäftigt sich mit der These, dass sozial-ökologische Vorteile e<strong>in</strong>es Produktes<br />

nicht mehr per se vermarktet werden, sondern mit herkömmlichen Kaufkriterien<br />

zu Motivallianzen verknüpft werden. Dabei wird jeweils zweistufig vorgegangen:<br />

Im ersten Schritt werden die beiden Thesen anhand von theoretischen Überlegungen<br />

hergeleitet <strong>und</strong> im zweiten Schritt empirisch anhand des Datenmaterials untersucht. Im<br />

Kapitel 4 folgen e<strong>in</strong>e kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse sowie<br />

Schlussfolgerungen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>.<br />

2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Spannungsfeld<br />

von Information <strong>und</strong> Animation<br />

Theoretische Überlegungen<br />

Aus <strong>in</strong>formationsökonomischer Sicht kann man drei verschiedene Produkteigenschaften<br />

unterscheiden: Such-, Erfahrungs- <strong>und</strong> Vertrauenseigenschaften (Darby/Karni<br />

1973, S. 67-88; Kaas 1990a, S. 542-543). Die Sucheigenschaften e<strong>in</strong>es Produktes lassen<br />

sich von den Konsumenten vor oder während des Kaufs durch bloße Inspektion<br />

feststellen (z.B. Farbe oder Preis e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes). Erfahrungseigenschaften<br />

können erst nach dem Kauf, also erst durch den Gebrauch oder Verbrauch e<strong>in</strong>es<br />

Produktes, ermittelt werden (z.B. Geschmack oder Kochzeit e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes).<br />

Vertrauenseigenschaften dagegen können von den Konsumenten weder vor<br />

noch nach dem Kauf festgestellt oder nur zu prohibitiv hohen Kosten überprüft werden<br />

(z.B. Anbauweise e<strong>in</strong>es Lebensmittelproduktes).<br />

Sozial-ökologische Produkteigenschaften können Such-, Erfahrungs-, Vertrauenseigenschaften<br />

oder e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation der drei Eigenschaftstypen se<strong>in</strong>: Bei Recycl<strong>in</strong>gpapier<br />

kann man aus der grauen Farbe schließen, dass es aus Altpapier besteht (Sucheigenschaft).<br />

Der Benz<strong>in</strong>verbrauch e<strong>in</strong>es Autos lässt sich beim Gebrauch ermitteln (Erfahrungseigenschaft).<br />

Ob Fair Trade-Produkte tatsächlich ohne K<strong>in</strong>der- oder Sklaven-


78 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

arbeit hergestellt werden, kann vom K<strong>und</strong>en kaum oder nur zu prohibitiv hohen Kosten<br />

überprüft werden (Vertrauenseigenschaft). E<strong>in</strong> Produkt mit komb<strong>in</strong>ierten Eigenschaftstypen<br />

ist bspw. e<strong>in</strong> frisches Bio-Brot mit knuspriger Kruste (Sucheigenschaft),<br />

das gut schmeckt (Erfahrungseigenschaft) <strong>und</strong> aus biologisch angebautem Getreide<br />

hergestellt wurde (Vertrauenseigenschaft) (Kaas/Busch 1996, S. 244). Bestehen die<br />

sozial-ökologischen Produkteigenschaften aus Erfahrungs- <strong>und</strong>/oder Vertrauenseigenschaften,<br />

erhöhen sich für den Nachfrager die Informations- <strong>und</strong> Kontrollkosten. Die<br />

Überprüfbarkeit ist bei sozial-ökologischen Sucheigenschaften am größten, nimmt bei<br />

sozial-ökologischen Erfahrungseigenschaften ab <strong>und</strong> ist bei sozial-ökologischen Vertrauenseigenschaften<br />

nur noch durch zusätzliche Maßnahmen von Anbietern oder Dritten<br />

wie bspw. durch den Staat oder durch Verbraucherorganisationen möglich.<br />

Sozial-ökologische Merkmale führen also je nach Produkteigenschaften zu unterschiedlich<br />

großer Unsicherheit bei den K<strong>und</strong>en, die zum Nichtkauf e<strong>in</strong>es sozialökologischen<br />

Produktes führen kann (Bänsch 1990, 375-376; Hüser 1993, S. 269).<br />

Daraus folgt, dass die Vermittlung von sachbezogenen Informationen e<strong>in</strong>e große Rolle<br />

bei der Werbung für nachhaltige Produkte spielt. Dies kommt <strong>in</strong> Werbeanzeigen zum<br />

Ausdruck, die schlicht gestaltet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> längere erläuternde Textpassagen mit H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen<br />

zu sozial-ökologischen Themen enthalten. E<strong>in</strong>e solche <strong>in</strong>formationslastige<br />

Werbung mag zwar <strong>in</strong> hohem Maß glaubwürdig se<strong>in</strong>, ist jedoch wenig animierend.<br />

Hier kommt das „Informationsparadoxon“ zum Tragen: Konsumenten können<br />

Informationen erst dann richtig bewerten, wenn sie den Inhalt kennen; werden sie<br />

aber nicht durch e<strong>in</strong>fache Signale animiert, nehmen sie die <strong>in</strong> der Werbung enthaltenen<br />

Informationen nicht auf (Kaas 1990b, S. 497). Mit anderen Worten: Werbung bef<strong>in</strong>det<br />

sich im Spannungsfeld von Information <strong>und</strong> Animation. Dies gilt für Werbung im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Besonderen (Hüser/Mühlenkamp 1992,<br />

S. 151-152). Dabei ist zu beachten, dass die Konsumenten es mit der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Werbung genauer nehmen <strong>und</strong> diese besonders argwöhnisch betrachten. Dies ist damit<br />

zu begründen, dass es sich bei Ökologie <strong>und</strong> Nachhaltigkeit um ernsthafte Themen<br />

handelt <strong>und</strong> dass Öko-/<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Produkte <strong>in</strong> der Regel mehr kosten (Katz 2002,<br />

S. 276).<br />

Der Informations- <strong>und</strong> Animationsnutzen der Werbung wird nicht von allen Personen<br />

gleich beurteilt. Es gibt personenspezifische Unterschiede <strong>in</strong> der Nachfrage nach Werbung<br />

(Kaas 1990b, S. 496). Im Kontext der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung ist es s<strong>in</strong>nvoll,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Annäherung zwischen drei verschiedenen Gruppen zu unterscheiden:<br />

Sozial-ökologische Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe<br />

ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert <strong>und</strong> bereit, sich damit


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 79<br />

näher ause<strong>in</strong>ander zu setzen. Sie s<strong>in</strong>d generell eher skeptisch gegenüber der Werbung<br />

e<strong>in</strong>gestellt <strong>und</strong> erwarten, dass sie <strong>in</strong>formativ <strong>und</strong> glaubwürdig ist. Die zweite Gruppe<br />

ist zwar offen gegenüber sozial-ökologischen Anliegen, aber nur bed<strong>in</strong>gt bereit, dafür<br />

Zeit <strong>und</strong> Mühe auf sich zu nehmen. Sie s<strong>in</strong>d offener gegenüber Werbung <strong>und</strong> erwarten,<br />

dass sie nicht nur <strong>in</strong>formiert, sondern auch animiert. Die dritte Gruppe kann wenig<br />

mit sozial-ökologischen Argumenten anfangen <strong>und</strong> schätzt den Informationsnutzen<br />

sehr niedrig e<strong>in</strong>. Es ist davon auszugehen, dass diese Gruppen von e<strong>in</strong>fach gestalteten<br />

Schwarz-Weiß-Anzeigen <strong>und</strong> langen Textpassagen eher abgeschreckt als angesprochen<br />

werden.<br />

Je nachdem, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen, ist der Informationsoder<br />

Animationsnutzen stärker zu gewichten: In diesem Zusammenhang kann man<br />

zwischen sachlich-argumentativer, emotional-argumentativer <strong>und</strong> re<strong>in</strong> emotionaler<br />

Werbung unterscheiden (Lichtl 1999, S. 53-57). Sachlich-argumentative Werbung basiert<br />

primär auf Textargumentationen <strong>und</strong> erwartet vom Empfänger e<strong>in</strong>e rationale<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Informationen. Emotional-argumentative Werbung verwendet<br />

emotionale Stilmittel wie bspw. schöne Naturbilder, assoziative Wörter <strong>und</strong><br />

Headl<strong>in</strong>es, um positive Gefühle beim Rezipienten auszulösen. Die zentralen Werbebotschaften<br />

bleiben zwar sachlich-argumentativ, werden aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en emotionalisierenden<br />

Kontext e<strong>in</strong>gebettet. Re<strong>in</strong> emotionale Werbung, sog. „Ecota<strong>in</strong>ment“, welches<br />

sich aus „Ecology“ <strong>und</strong> „Enterta<strong>in</strong>ment“ ableitet, geht <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht am weitesten<br />

<strong>und</strong> vermittelt die Botschaften emotional unter Verzicht auf sachliche Argumente<br />

(Lichtl 1999, S. 57). Informativ-argumentative Werbung eignet sich <strong>in</strong>sbesondere, um<br />

die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktiven anzusprechen. Emotional-argumentative<br />

Werbung richtet sich an die sozial-ökologisch Aktivierbaren, während radikalemotionale<br />

Werbung möglicherweise auch die sozial-ökologisch Passiven anspricht<br />

<strong>und</strong> Verhaltensveränderungen bewirkt (Belz 2001, S. 87-90). E<strong>in</strong>e solche Zuordnung<br />

ist idealtypisch <strong>und</strong> beruht auf e<strong>in</strong>er statischen Betrachtung. Die Tonalität der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

kann sich im Zeitablauf erheblich ändern: So hat bspw. e<strong>in</strong>e Inhaltsanalyse<br />

von ausgewählten Publikumszeitschriften (Stern, Manager Magaz<strong>in</strong>, Natur,<br />

Brigitte, ADAC, Hörzu, Spiegel) im Zeitraum von 1985 bis 1991 e<strong>in</strong>e deutliche<br />

H<strong>in</strong>wendung zu e<strong>in</strong>er stärker emotionalen Werbung ergeben (Meffert/Kirchgeorg<br />

1998, S. 318-319). Es liegt die Vermutung nahe, dass die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

e<strong>in</strong>e Art Lebenszyklus durchläuft <strong>und</strong> – ähnlich wie die herkömmliche Werbung –<br />

immer weniger Text, dafür aber um so mehr Bilder <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e zunehmend erlebnisbetonte<br />

Ansprache der Konsumenten verwendet (Kroeber-Riel 1993, S. 8-9). Diese Annahme<br />

wird im nächsten Kapitel am Beispiel von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten im


80 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

schweizerischen Lebensmittelmarkt untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass<br />

während der 1990er Jahre e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formativ-argumentativer zu emotionalargumentativer<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung zu erkennen ist, d.h. dass der Animationsnutzen<br />

gegenüber dem Informationsnutzen <strong>in</strong> der Werbung für Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-<br />

Produkte zunehmend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt.<br />

Empirische Untersuchung<br />

Betrachtet man die Werbung für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> der Coop-Zeitung<br />

1993-2002, fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Anzeigen <strong>in</strong> diesem<br />

Zeitraum erheblich gestiegen ist: Waren es 1993-1997 maximal 15 Anzeigen jährlich,<br />

so nahm die Anzahl <strong>in</strong> den Folgejahren kont<strong>in</strong>uierlich zu. Im Jahr 2002 schaltete Coop<br />

bereits über 100 Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> der<br />

Coop-Zeitung, was durchschnittlich etwa zwei Anzeigen pro Ausgabe entspricht. Dies<br />

lässt auf die zunehmende Bedeutung <strong>und</strong> strategische Relevanz der Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte<br />

im Rahmen des Coop-Sortiments schließen. Neben der re<strong>in</strong> quantitativen<br />

Steigerung fallen aber auch qualitative Veränderungen der Werbeanzeigen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

Bildflächenanteil, Bildmotive, Anzeigentypen, Anzeigengröße <strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es auf.<br />

Untersucht man das Bild-Text-Verhältnis, so wäre im S<strong>in</strong>ne der Emotionalisierung anzunehmen,<br />

dass der durchschnittliche Bildflächenanteil im Laufe der Jahre stetig zulasten<br />

des Textanteil steigt. Dies ist überraschenderweise nicht festzustellen. Sowohl<br />

am Anfang als auch am Ende der untersuchten Zeitperiode beträgt der durchschnittliche<br />

Bildflächenanteil e<strong>in</strong>er Werbeanzeige r<strong>und</strong> 60%, während der Textflächenanteil<br />

40% ausmacht. Dieses Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Text ist mit Ausnahme von zwei Jahren<br />

relativ konstant. 1995 ist e<strong>in</strong>e Abnahme der Bildfläche zugunsten des Textanteils<br />

erkennbar. 1996 beträgt der Bildflächenanteil nur noch 35%. In den folgenden Jahren<br />

wächst der Bildflächenanteil wieder bis zum Ausgangswert. Untersucht man das Bild-<br />

Text-Verhältnis differenziert nach der Anzeigengröße, ergibt sich e<strong>in</strong> vergleichbares<br />

Ergebnis: Sowohl die Anzeigen, welche m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Seite groß s<strong>in</strong>d, als auch die<br />

Anzeigen, welche höchstens 0,25 Seiten betragen, weisen 1993 <strong>und</strong> 2002 praktisch das<br />

gleiche Bild-Text-Verhältnis auf. E<strong>in</strong>zig bei den 0,5-0,75-seitigen Anzeigen ist e<strong>in</strong>e<br />

Steigerung des Bildflächenanteils, <strong>in</strong> den Jahren 2001 <strong>und</strong> 2002 bis zu 100%, feststellbar.<br />

Auch hier s<strong>in</strong>d 1995 <strong>und</strong> 1996 die „bildflächenschwächsten“ bzw. „textflächenstärksten“<br />

Jahre.<br />

Vergleicht man die Verwendung der Bildmotive zwischen 1993 <strong>und</strong> 2002, so dom<strong>in</strong>ieren<br />

<strong>in</strong> allen Jahren Produktabbildungen. 1995 gew<strong>in</strong>nen jedoch andere Bildmotive, wie<br />

z.B. Bauernmotive, Landschafts- <strong>und</strong> Tierabbildungen an Bedeutung. In den nächsten


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 81<br />

Jahren rücken Produktabbildungen wieder <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

untersuchten Anzeigentypen kann man unterscheiden zwischen:<br />

� Produktanzeigen ohne Text,<br />

� Produktanzeigen mit Text,<br />

� redaktionelle Textbeiträge,<br />

� Rezepte <strong>und</strong><br />

� Anzeigen e<strong>in</strong>er Kompetenzmarke ohne Produktbezug.<br />

Die Werbeanzeigen mit der Kompetenzmarke ohne Produktbezug haben vor allem <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>führungsphase des Coop Naturaplan 1993-1995 e<strong>in</strong>e besondere Relevanz gehabt.<br />

Seit dem Jahr 1996 kommen diese Anzeigen nicht mehr oder nur noch sehr selten<br />

vor. Die Produktanzeigen s<strong>in</strong>d 1995 erstmals <strong>in</strong> der Coop-Zeitung erschienen <strong>und</strong><br />

nehmen seither kont<strong>in</strong>uierlich zu. Im Jahr 2002 hatten sie mit 75% aller Anzeigentypen<br />

die bei weitem größte Bedeutung. Die redaktionellen Textbeiträge s<strong>in</strong>d 1995 am<br />

stärksten vertreten <strong>und</strong> ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den darauf folgenden Jahren nur noch selten. Bei<br />

näherer Betrachtung der redaktionellen Beiträge fällt auf, dass von 1995 bis 1997 vermehrt<br />

über das transformative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) von Coop<br />

berichtet wird. In den übrigen Jahren s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Besonderheiten oder Regelmäßigkeiten<br />

bezüglich der Art des redaktionellen Textbeitrags festzustellen. Ab dem Jahr 1997<br />

f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> jeder Ausgabe der Coop-Zeitung Rezepte, bei welchen die Zutaten, die<br />

<strong>in</strong> biologischer Qualität <strong>in</strong> den Coop-Läden erhältlich s<strong>in</strong>d, besonders gekennzeichnet<br />

werden.<br />

Die Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> den Jahren 1993 <strong>und</strong> 1994 weisen e<strong>in</strong>en vorwiegend <strong>in</strong>formativen<br />

<strong>und</strong> aufklärenden Charakter auf. Coop <strong>in</strong>formiert die Konsumenten über die neue<br />

Handelsmarke Coop Naturaplan <strong>und</strong> fordert sie gleichzeitig zu umweltbewusstem<br />

Handeln auf: „Was es mit Naturaplan, Natural<strong>in</strong>e <strong>und</strong> OECOplan auf sich hat“, „Über<br />

Bio aufklären“, „Damit schützen wir die Natur“ oder „Coop Naturaplan. Br<strong>in</strong>gen<br />

wir die Natur <strong>und</strong> Umwelt <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang. Helfen Sie mit!“. In e<strong>in</strong>zelnen Headl<strong>in</strong>es werden<br />

neben den biologischen Aspekten auch herkömmliche Produkteigenschaften angesprochen:<br />

„Eier aus natürlicher Haltung. Und darum so gut“. Von 1995 bis 1996<br />

werden mit den Headl<strong>in</strong>es Bauern für e<strong>in</strong>e künftige Zusammenarbeit motiviert: „Was<br />

nun Bauern“, „Coop sucht Bauern mit Hang zum Biologischen“. Auch tritt der Aspekt<br />

der Glaubwürdigkeit <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Coop versucht das Vertrauen der Konsumenten<br />

zu stärken: „Coop hält ihr Versprechen“ oder auch „Scharf kontrollierte<br />

Bauern“. Der Aspekt der Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> des Vertrauens hat durchgehend e<strong>in</strong>e


82 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

große Bedeutung <strong>und</strong> wird immer wieder <strong>in</strong> den Werbeanzeigen betont. Als Beispiel<br />

sei e<strong>in</strong>e Anzeige der Coop-Zeitung Nr. 1 des Jahres 2003 genannt: „Sie s<strong>in</strong>d kritisch<br />

gegenüber Bio-Produkten? Wir auch“. Zwischen 1997 <strong>und</strong> 2002 beziehen sich die<br />

Headl<strong>in</strong>es vor allem auf herkömmliche Kaufkriterien wie z.B. Frische, Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Genuss, Convenience etc.: „So grün wie frisch“, „Der Geschmack von Freiheit <strong>und</strong><br />

Abenteuer“, „Wahrhaftig kernges<strong>und</strong>“, „Aus Liebe zum Leben“, „Stück für Stück e<strong>in</strong><br />

natürlicher Genuss“, „Frischteigwaren von Coop Naturaplan: E<strong>in</strong> schneller Genuss“.<br />

2001 ist e<strong>in</strong>e weitere Besonderheit <strong>in</strong> der Entwicklung der Headl<strong>in</strong>es erkennbar. Die<br />

sozial-ökologischen Produkte werden häufig mit Lebensfreude, Spaß <strong>und</strong> Lifestyle <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung gebracht: „So macht’s Freude“, „Erlebnistage für die ganze Familie“,<br />

„Lebensfreude“, „Bio-Chipsen macht Spaß“ oder auch „An jeder Party mit von der<br />

Partie“.<br />

Wie lassen sich diese empirischen Daten <strong>in</strong>terpretieren? Betrachtet man den Bild-Text-<br />

Anteil <strong>in</strong> den Anzeigen, so lässt sich ke<strong>in</strong>e Ausweitung der Bildfläche feststellen. Die<br />

meisten größeren Anzeigen weisen e<strong>in</strong>ige Textzeilen auf, welche über die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen,<br />

die Kompetenzmarken oder die Labels berichten. Der Text vermittelt<br />

Sach<strong>in</strong>formationen, die e<strong>in</strong>gesetzten Labels (Knospe, Max Havelaar) Vertrauen <strong>und</strong><br />

Glaubwürdigkeit. Bei den Bildmotiven werden mehrheitlich Produktabbildungen statt<br />

emotionale (Natur-) Bilder verwendet. Unter diesen beiden Gesichtspunkten kann die<br />

These nicht bestätigt werden, dass es zu e<strong>in</strong>er stärkeren Emotionalisierung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

kommt. Anders sieht es aus, wenn man sich die Anzeigentypen<br />

<strong>und</strong> Headl<strong>in</strong>es betrachtet: Während die <strong>in</strong>formativen Anzeigen <strong>und</strong> redaktionellen<br />

Textbeiträge immer seltener werden, gew<strong>in</strong>nen die Kle<strong>in</strong>anzeigen <strong>und</strong> neue emotionalere<br />

Anzeigentypen vermehrt an Bedeutung (Beispiel: Rezepte, die mit schön gestalteten<br />

Farbbildern von Gerichten versehen werden). Und während die Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> der<br />

E<strong>in</strong>führungsphase des Coop Naturaplan vor allem zur Information der Konsumenten<br />

e<strong>in</strong>gesetzt wurden, prägen gegen Ende der Untersuchungsperiode vermehrt emotionale<br />

<strong>und</strong> assoziative Wörter den Stil der Kopfzeilen. Im Jahr 2001 s<strong>in</strong>d mit der Organisation<br />

von Erlebnistagen oder mit den positiven <strong>und</strong> lebensfre<strong>und</strong>lichen Assoziationen die<br />

ersten Ansätze e<strong>in</strong>es Ecota<strong>in</strong>ments erkennbar. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte<br />

kann die e<strong>in</strong>gangs formulierte These bestätigt werden. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

weist vermehrt emotionale Stilelemente auf.<br />

Interessant ist die Entwicklung der Anzeigen <strong>in</strong> den Jahren 1995 <strong>und</strong> 1996: Während<br />

der Bildanteil zugunsten des Textanteils abnimmt, erreichen die redaktionellen Textbeiträge<br />

1995 ihren höchsten Stand. Dabei wird hauptsächlich über das transformative<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Coop oder über die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen berichtet.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 83<br />

Das Jahr 1995 kann bezüglich Bildmotiven als das variationsreichste Jahr bezeichnet<br />

werden. Häufig werden Bauernmotive, Landschafts- oder Tierabbildungen e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Die Headl<strong>in</strong>es der Anzeigen richten sich vermehrt an potenzielle Bio-Bauern oder unterstreichen<br />

den Aspekt der Glaubwürdigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Engpass<br />

nicht im Absatz-, sondern vielmehr im Beschaffungsmarkt. Daher hat Coop im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Gleichgewichts-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht nur Absatz-, sondern auch e<strong>in</strong> aktives<br />

Beschaffungsmarket<strong>in</strong>g betrieben (Belz 1997, S. 88-89). Mit den Werbeanzeigen wird<br />

Phase Jahre<br />

Bild-Text-<br />

Verhältnis<br />

Informativ 1993-1994 � 60% Bild<br />

Informativpolitisch <br />

Informativemotional <br />

Emotional<strong>in</strong>formativ<br />

� 40% Text<br />

1995-1996 � 39% Bild<br />

� 61% Text<br />

1997-1999 � 58% Bild<br />

� 42% Text<br />

2000-2002 � 52% Bild<br />

� 48% Text<br />

Vorwiegendes<br />

Bildmotiv<br />

Vorwiegender<br />

Anzeigentyp<br />

� Produkt � Produktanzeigen<br />

mit Text<br />

� Produkt<br />

� Bauernmotiv<br />

� Person<br />

� Tier<br />

� Landschaft<br />

� Natur<br />

� Produkt<br />

� Andere<br />

� Produkt<br />

� Andere<br />

� Kompetenzmarkenanzeige<br />

� Redaktioneller<br />

Textbeitrag<br />

� Redaktioneller<br />

Textbeitrag<br />

� Produktanzeigen<br />

mit Text<br />

� Kompetenzmarkenanzeige<br />

� Produktanzeigen<br />

mit Text<br />

� Kle<strong>in</strong>anzeigen<br />

� Rezepte<br />

� Redaktioneller<br />

Textbeitrag<br />

� Produktanzeigen<br />

mit Text<br />

� Kle<strong>in</strong>anzeigen<br />

Tabelle 1: Vier Phasen der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte 1993-2002<br />

Headl<strong>in</strong>es<br />

� Aufklärung <strong>und</strong><br />

Information der<br />

Konsumenten<br />

� Motivation<br />

künftiger Bio-<br />

Bauern<br />

� Weiterer Aufbau<br />

von Vertrauen<br />

� Bekräftigung<br />

der Glaubwürdigkeit<br />

� Herkömmliche<br />

Kaufkriterien<br />

� Herkömmliche<br />

Kaufkriterien<br />

das Engagement von Coop für die Umwelt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e artgerechte Tierhaltung unterstrichen.<br />

Aussagekräftige Bild- <strong>und</strong> Wortmeldungen aus dem Schweizer Bio-Landbau<br />

sollen das neue Image von Coop prägen (Wienröder 2001, S. 36-37).


84 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

Zusammenfassend kann die Entwicklung der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte,<br />

<strong>in</strong>sbesondere Bio-Produkte, am Beispiel der Coop-Zeitung <strong>in</strong> vier Phasen<br />

unterteilt werden: Informative, <strong>in</strong>formativ-politische, <strong>in</strong>formativ-emotionale <strong>und</strong><br />

emotional-<strong>in</strong>formative Phase (Tab. 1).<br />

Die <strong>in</strong>formative Phase ist mit der Lancierung des Coop Naturaplan gleichzusetzen<br />

(1993-1994). Sowohl Produktanzeigen als auch Kompetenzmarken-Anzeigen bestehen<br />

zu ungefähr 60% aus Bild <strong>und</strong> zu 40% aus Text. Das Hauptmotiv stellt <strong>in</strong> den meisten<br />

Fällen das Produkt selbst dar. Der Text bezieht sich auf die biologischen Produkteigenschaften<br />

oder liefert Informationen zu den verschiedenen Kompetenzmarken. Auch<br />

die Headl<strong>in</strong>es stehen im Lichte der Aufklärung von biologischen Produkteigenschaften<br />

oder der Überzeugung von Konsumenten.<br />

Die <strong>in</strong>formativ-politische Phase bezieht sich auf die Jahre 1995 <strong>und</strong> 1996. Während<br />

ganzseitige Anzeigen um künftige Bio-Bauern werben, <strong>in</strong>formieren zahlreiche redaktionelle<br />

Beiträge über das Engagement von Coop für die Schweizer Bio-<br />

Landwirtschaft e<strong>in</strong>erseits oder über die sozial-ökologischen Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />

andererseits. Die meisten Abbildungen zeigen Bauernmotive, Tier- oder Naturbilder.<br />

Die Headl<strong>in</strong>es richten sich gezielt an die schweizerischen Bauern als Lieferanten der<br />

Bioprodukte. Darüber h<strong>in</strong>aus sendet Coop aber auch positive Signale an die schweizerische<br />

Agrarpolitik, die vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der GATT-Verhandlungen <strong>und</strong> der<br />

schrittweisen Liberalisierung der weltweiten Agrar- <strong>und</strong> Lebensmittelmärkte seit Anfang<br />

der 1990er e<strong>in</strong>e Reformpolitik für „Mehr Markt <strong>und</strong> mehr Ökologie“ verfolgt<br />

(Schweizerischer B<strong>und</strong>esrat 1992, S. 283-292; Belz 2004, S. 104-109).<br />

Die Jahre 1997-1999 kennzeichnen die <strong>in</strong>formativ-emotionale Phase. Die <strong>in</strong>formativen<br />

Aspekte beziehen sich dabei auf den hohen Textanteil der Anzeigen, die vorwiegenden<br />

Produktabbildungen sowie Headl<strong>in</strong>es, welche auf umwelt- <strong>und</strong> tierfre<strong>und</strong>lichen Produkteigenschaften<br />

basieren. Die emotionale Seite wird durch die E<strong>in</strong>führung der Naturaplan-Rezepte,<br />

aber auch durch die immer größer werdende Anzahl von Headl<strong>in</strong>es,<br />

welche vermehrt herkömmliche Produkteigenschaften (Geschmack, Genuss, Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Frische etc.) ansprechen, bestimmt.<br />

Die Jahre von 2000 bis 2002 können als emotional-<strong>in</strong>formative Phase bezeichnet werden.<br />

Neben den emotionalen Aspekten, die verstärkt <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> treten, spielen<br />

<strong>in</strong>formative Aspekte <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung nach wie vor e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Zum e<strong>in</strong>en beziehen sich die Bildmotive immer noch mehrheitlich auf die Produkte<br />

selbst, zum anderen werden immer wieder ganzseitige Anzeigen den Informationen zu<br />

den Kompetenzmarken oder der Glaubwürdigkeit nachhaltiger Produkteigenschaften


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 85<br />

gewidmet. Dabei ist zu beachten, dass wegen des für nachhaltige Produkte spezifischen<br />

Glaubwürdigkeitsproblems die Werbeanzeigen auch <strong>in</strong> Zukunft immer zu e<strong>in</strong>em<br />

gewissen Teil aus Informationen bestehen werden.<br />

Als Fazit kann festgehalten werden: Die erste These kann weitgehend bestätigt werden.<br />

Anhand der empirischen Daten lässt sich belegen, dass im schweizerischen Lebensmittelmarkt<br />

e<strong>in</strong> Wandel von <strong>in</strong>formativ-argumentativer zu emotional-<strong>in</strong>formativer<br />

Werbung stattgef<strong>und</strong>en hat. Der Animationsnutzen gew<strong>in</strong>nt gegenüber dem Informationsnutzen<br />

zunehmend an Bedeutung. Um die Glaubwürdigkeit jedoch auf Dauer zu<br />

erhalten, s<strong>in</strong>d sachbezogene Informationen <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung unerlässlich.<br />

E<strong>in</strong>e Besonderheit der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung besteht dar<strong>in</strong>, dass der Beschaffungsmarkt<br />

<strong>und</strong> die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e große Rolle spielen. Wichtige Adressaten<br />

der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung s<strong>in</strong>d nicht nur die Konsumenten, sondern auch die<br />

Produzenten, die Politik <strong>und</strong> die (kritische) Öffentlichkeit. Insofern kann die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

auch transformative Wirkung entfalten.<br />

3 Motivallianzen <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung<br />

Theoretische Überlegungen<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen<br />

Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen <strong>und</strong> Kosten analysieren (Beitrag Belz).<br />

Der Nutzen umfasst neben dem Gr<strong>und</strong>nutzen e<strong>in</strong>es Produktes (Gebrauchsnutzen) auch<br />

den Zusatznutzen <strong>in</strong> Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen<br />

(Anerkennung durch andere Personen) <strong>und</strong> Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude<br />

(Vershofen 1940, S. 63-86). Bezogen auf Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte<br />

besteht der Gebrauchsnutzen zunächst im Stillen des Hungers <strong>und</strong> Löschen des Durstes,<br />

darüber h<strong>in</strong>aus aber auch im guten Geschmack der Lebensmittel. Der Selbst- <strong>und</strong><br />

Fremdachtungsnutzen besteht dar<strong>in</strong>, etwas für die natürliche Umwelt (Bioprodukte)<br />

oder soziale Umwelt (Fair Trade-Produkte) getan zu haben <strong>und</strong> dadurch Anerkennung<br />

vor sich selber oder vor anderen zu erfahren. Der Erbauungsnutzen kann durch die<br />

Zubereitung der Speisen entstehen, wobei sich jedoch biologische Lebensmittelprodukte<br />

nicht von herkömmlichen unterscheiden. Bei den Kosten s<strong>in</strong>d nicht ausschließlich<br />

der Produktpreis zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs-<br />

<strong>und</strong> Post-Verwendungskosten. Die Kosten können monetär oder nicht-monetär<br />

se<strong>in</strong>. Im H<strong>in</strong>blick auf Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte spielt der Mehrpreis gegenüber<br />

herkömmlichen Lebensmittelprodukten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, doch s<strong>in</strong>d auch die Beschaffungskosten<br />

<strong>in</strong> Form von Such-, Informations- <strong>und</strong> Wegkosten zu berücksichti-


86 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

gen. Durch die breit angelegte Werbung <strong>und</strong> den nationalen Vertrieb von Bio- <strong>und</strong> Fair<br />

Trade-Produkten hat Coop e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag geleistet, derartige Beschaffungskosten<br />

aus der Sicht des K<strong>und</strong>en zu senken <strong>und</strong> breitere Schichten für solche<br />

Produkte zu gew<strong>in</strong>nen. Bei den Verwendungskosten spielt <strong>in</strong>sbesondere die Zeit für<br />

die Zubereitung der Lebensmittel e<strong>in</strong>e Rolle. Convenience-Produkte wie bspw. frisch<br />

zubereiteter Salat oder Fertiggerichte, die nur noch erwärmt werden müssen, senken<br />

die Verwendungskosten. Post-Verwendungskosten betreffen v.a. die Abfallgebühren.<br />

Die e<strong>in</strong>zelnen Nutzen- <strong>und</strong> Kostenkategorien werden subjektiv wahrgenommen <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>dividuell gewichtet. Ist der Nettonutzen e<strong>in</strong>es sozial-ökologischen Produktes aus der<br />

Sicht des K<strong>und</strong>en höher als der Nettonutzen e<strong>in</strong>es herkömmlichen Produktes, wird er<br />

ersteres bevorzugen. Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er solchen Nutzen-Kosten-Abwägung<br />

kann man gr<strong>und</strong>sätzlich drei verschiedene Gruppen von Verbrauchern unterscheiden:<br />

Sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare <strong>und</strong> Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe<br />

ist <strong>in</strong> hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert <strong>und</strong> gut darüber <strong>in</strong>formiert.<br />

Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften e<strong>in</strong>en hohen Selbst<strong>und</strong><br />

Fremdachtungsnutzen. Daher s<strong>in</strong>d sie eher bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen<br />

zu machen <strong>und</strong> gegebenenfalls höhere Kosten <strong>in</strong> Kauf zu nehmen. Zu dieser<br />

Gruppe kann man die e<strong>in</strong>gefleischten Bio-Fans <strong>und</strong> „Körnlipicker“ zählen. Die zweite<br />

Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften <strong>und</strong> sieht dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

gewissen Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen, ist aber nicht ohne weiteres bereit,<br />

Nutzene<strong>in</strong>bußen oder Kostenerhöhungen dafür zu akzeptieren. Die dritte Gruppe sieht<br />

ke<strong>in</strong>en Mehrwert <strong>in</strong> sozial-ökologischen Produkteigenschaften <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> der Regel<br />

weder zu Nutzene<strong>in</strong>bußen noch zu Kostenerhöhungen bereit. Soll nicht nur die Zielgruppe<br />

der sozial-ökologisch Aktiven, sondern auch die der sozial-ökologisch Aktivierbaren<br />

angesprochen werden, gilt es, den sozial-ökologischen Zusatznutzen nicht<br />

e<strong>in</strong>seitig <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu rücken, sondern geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien<br />

wie Geschmack, Ges<strong>und</strong>heit, Frische, Aussehen <strong>und</strong> Convenience zu „Motivallianzen“<br />

zu verb<strong>in</strong>den (Beiträge Belz <strong>und</strong> Schrader). Ob <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit dies im Fall<br />

von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten geschieht, wird im folgenden Kapitel näher untersucht.<br />

Empirische Untersuchung<br />

Nimmt man e<strong>in</strong>e Frequenzanalyse vor <strong>und</strong> betrachtet die Häufigkeit der Anzeigen, die<br />

Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelprodukte behandeln, dann ergeben<br />

sich <strong>in</strong>teressante Ergebnisse. In Abbildung 1 wird der jährliche Anteil der Anzeigen<br />

dargestellt, die Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelproduk-


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 87<br />

te hervorheben. Daraus wird ersichtlich, dass die Entwicklungen der Anzeigen mit<br />

Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekten im Zeitraum 1993-2002 ganz unterschiedlich verlaufen.<br />

Schon im Jahre 1993 f<strong>in</strong>den sich vere<strong>in</strong>zelt Anzeigen, die sowohl sozial-ökologische<br />

als auch herkömmliche Nutzenaspekte bewerben. Bis 1998 nimmt der Anteil dieser<br />

Werbeanzeigen zu <strong>und</strong> geht dann <strong>in</strong> den Jahren zwischen 1999 <strong>und</strong> 2002 markant zurück.<br />

Die Anzeigen, welche sich auf Kosten-Aspekte beziehen, ersche<strong>in</strong>en erstmals im<br />

Jahre 1995. Seitdem steigt ihr Anteil im Vergleich zu den anderen Anzeigen kont<strong>in</strong>uierlich.<br />

2002 f<strong>in</strong>den sich 84 Anzeigen, die sich auf Kosten-Aspekte wie Preisaktionen,<br />

Bonuspunkte oder Convenience beziehen. Dies entspricht knapp 80% sämtlicher Anzeigen<br />

<strong>in</strong> diesem Jahr. Die steigende Bedeutung der Preis- <strong>und</strong> Bonusaktionen lässt auf<br />

e<strong>in</strong>e höhere Wettbewerbs<strong>in</strong>tensität schließen, die sich durch den E<strong>in</strong>tritt der Migros <strong>in</strong><br />

das Bio-Segment <strong>und</strong> der Lancierung des M-Bio-Programms 1996/97 ergeben hat<br />

(Beitrag Borsani/Hildesheimer).<br />

Prozent der Anzeigen<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />

Nutzen-Aspekte Kosten-Aspekte<br />

Abbildung 1: Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Nutzen-Aspekte lässt sich differenzieren zwischen Geschmack/Genuss,<br />

Ges<strong>und</strong>heit, Frische oder Lifestyle. In Abbildung 2 wird die Anzahl<br />

der Anzeigen im Zeitverlauf dargestellt, welche die unterschiedlichen Nutzen-Aspekte<br />

hervorheben. Daraus geht hervor, dass <strong>in</strong> den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan<br />

vor allem Geschmack/Genuss nachhaltiger Lebensmittelprodukte im Vordergr<strong>und</strong><br />

steht, während die anderen Nutzen-Aspekte noch nicht erwähnt werden. Im Jahr<br />

1995 werden die sozial-ökologischen Produkte erstmals mit den Adjektiven „frisch“<br />

<strong>und</strong>/oder „ges<strong>und</strong>“ beschrieben <strong>und</strong> 1997 mit „Lifestyle“ <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht.


88 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

Während die Nutzen-Aspekte Geschmack/Genuss <strong>und</strong> Lifestyle <strong>in</strong> den darauf folgenden<br />

Jahren immer häufiger genannt werden, rücken die Aspekte Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Frische<br />

immer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />

Anzahl der Anzeigen<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />

Geschmack, Genuss<br />

Lifestyle<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

Frische<br />

Abbildung 2: Entwicklung der Nutzen-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />

Wie lässt sich dieser Verlauf erklären? Die stärkere Betonung von Geschmack/Genuss<br />

<strong>und</strong> Lifestyle sche<strong>in</strong>t geeignet, um die nachhaltigen Lebensmittelprodukte aus der Nische<br />

herauszuführen <strong>und</strong> neben den sozial-ökologischen Aktiven <strong>in</strong>sbesondere auch<br />

die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Warum spielt die<br />

Ges<strong>und</strong>heit ke<strong>in</strong>e große Rolle <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Die Bio- <strong>und</strong> Fair<br />

Trade-Produkte werden vom Konsumenten zwar als gesünder erachtet, damit jedoch<br />

aktiv zu werben, könnte sich aus zwei Gründen als problematisch erweisen: Zum e<strong>in</strong>en<br />

fehlt der wissenschaftliche Nachweis, dass Bio-/Fair Trade-Produkte tatsächlich gesünder<br />

als herkömmliche Lebensmittelprodukte s<strong>in</strong>d. Darüber h<strong>in</strong>aus garantiert die<br />

biologische Anbauweise auch ke<strong>in</strong>e Schadstofffreiheit der Produkte. Zum anderen<br />

könnte sich e<strong>in</strong>e solche positive Auslobung diskrim<strong>in</strong>ierend auf den Rest des Coop-<br />

Food-Sortiments auswirken, welches aus konventioneller Landwirtschaft oder <strong>in</strong>tegrierter<br />

Produktion stammt.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Kosten können drei Aspekte differenziert werden: Preisaktionen, Bonuspunkte<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte (Coop Card) <strong>und</strong> „Convenience“-<br />

Eigenschaften. Letztere reduzieren die Verarbeitungskosten <strong>und</strong> werden deshalb zu<br />

den Kosten-Aspekten gezählt (z.B. tiefgekühltes Bio-Gemüse oder Bio-<br />

Fertiggerichte). Im Gegensatz zu den Nutzen-Aspekten treten die Kosten-Aspekte <strong>in</strong>


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 89<br />

den Werbeanzeigen wesentlich später auf: 1995 ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> biologisches Lebensmittelprodukt<br />

erstmals <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Preisaktion. 1997 beg<strong>in</strong>nt die Entwicklung<br />

der „Convenience“-Produkte <strong>und</strong> im Jahre 2002 können mit biologischen Lebensmittelprodukten<br />

erstmals Bonuspunkte gesammelt werden. In den darauf folgenden<br />

Jahren nimmt die Anzahl dieser Anzeigen fortwährend zu (Abb. 3).<br />

Anzahl der Anzeigen<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />

Preisaktion<br />

Convenience<br />

K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungsprogramme<br />

Abbildung 3: Entwicklung der Kosten-Aspekte <strong>in</strong> der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte<br />

Den stärksten Zuwachs weisen dabei die Anzeigen der Preisaktionen auf. Auffallend<br />

ist, dass die Produktgruppe Fleisch, Geflügel <strong>und</strong> Fisch am häufigsten zusammen mit<br />

Kosten-Aspekten <strong>in</strong> Anzeigen ersche<strong>in</strong>t. Bei Brot, Getreide- <strong>und</strong> Milchprodukten ist<br />

dies nur ab <strong>und</strong> zu der Fall. Obst, Gemüse, Kaffee, Tee <strong>und</strong> Honig ersche<strong>in</strong>en kaum <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit Kosten-Aspekten. Während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben<br />

die BSE-Krise <strong>und</strong> andere Fleischskandale zu e<strong>in</strong>er Verunsicherung der Konsumenten<br />

geführt, die zeitweise zu erheblichen Umsatze<strong>in</strong>brüchen führten. Davon waren<br />

auch Produkte aus tierfre<strong>und</strong>licher Haltung betroffen. Um den Fleischabsatz für die<br />

schweizerischen Biobauern zu sichern <strong>und</strong> die Konsumenten zum Kauf anzuregen, hat<br />

Coop während dieser Zeit vermehrt Preis- <strong>und</strong> Bonusaktionen <strong>in</strong> diesem Produktbereich<br />

durchgeführt.<br />

Die Bedeutung der Motivallianzen, d.h. der Komb<strong>in</strong>ation von sozial-ökologischen<br />

Produkteigenschaften mit Nutzen-Kosten-Aspekten, spiegelt sich auch <strong>in</strong> den Headl<strong>in</strong>es<br />

wieder. Während <strong>in</strong> den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan noch primär<br />

die biologische Qualität der Lebensmittelprodukte als Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal hervorgehoben<br />

wird, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den Jahren 1995-1999 immer mehr Headl<strong>in</strong>es, die sich


90 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

auf Nutzen- <strong>und</strong>/oder Kosten-Aspekte beziehen. In der Zeit zwischen 2000 <strong>und</strong> 2002<br />

f<strong>in</strong>den sich be<strong>in</strong>ahe nur noch Headl<strong>in</strong>es, die sich auf herkömmliche Kaufkriterien beziehen.<br />

Um die Relevanz von Motivallianzen zu verdeutlichen, werden ausgewählte<br />

Headl<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Tabelle 2 aufgeführt. E<strong>in</strong> gutes Beispiel für erfolgreiche Motivallianzen<br />

ist die Entwicklung der Bio-Brot-Werbung: Während 1993 die biologischen Produkteigenschaften<br />

im Vordergr<strong>und</strong> stehen, ersche<strong>in</strong>en die Bio-Brot-Anzeigen 1996 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit gutem Geschmack <strong>und</strong> 2003 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Monatsaktion.<br />

Frische „So grün wie frisch“ (1997)<br />

Headl<strong>in</strong>es<br />

Geschmack, Genuss „Ohne was drauf schmeckt unser Naturaplan-<br />

Bauernbrot fast am besten“ (1996)<br />

„Stück für Stück e<strong>in</strong> natürlicher Genuss“ (2001)<br />

Ges<strong>und</strong>heit „Wahrhaftig kernges<strong>und</strong>“ (1999)<br />

Lifestyle „Naturaplan im Trend“ (1997)<br />

„Ostererwachen“ (2002)<br />

„An jeder Party mit von der Partie“ (2002)<br />

Preisaktion „2 Wochen lang Naturprodukte mit den 4 Öko-Labels<br />

zu Aktionspreisen“ (2000)<br />

Convenience „E<strong>in</strong> halber Liter Vollmilch <strong>in</strong> der wiederverschließbaren<br />

Verpackung“ (1999)<br />

„Frischteigwaren von Naturaplan:<br />

E<strong>in</strong> schneller Genuss“ (2001)<br />

Tabelle 2: Headl<strong>in</strong>es am Beispiel der verschiedenen Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte<br />

Fazit: Die zweite These kann für den untersuchten Produktbereich <strong>und</strong> Zeitraum ebenfalls<br />

bestätigt werden. Die sozial-ökologischen Aspekte werden mit den herkömmlichen<br />

Leistungsmerkmalen von Lebensmittelprodukten zu „Motivallianzen“ verknüpft<br />

<strong>und</strong> als Mehrwert vermarktet. Dabei rücken die Nutzen- <strong>und</strong> Kosten-Aspekte immer<br />

stärker <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Die sozial- <strong>und</strong> umweltgerechten Lebensmittelprodukte<br />

entsprechen vermehrt den Ansprüchen der sozial-ökologisch Aktivierbaren. So gibt es<br />

<strong>in</strong> der Zwischenzeit viele Produkte <strong>in</strong> Bio-Qualität, die noch Anfang der 1990er Jahre<br />

<strong>und</strong>enkbar gewesen wären. Damit kommt auch der Wandel vom idealistisch geprägten<br />

zum ich-betonten Öko-/<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Konsum zum Ausdruck. Wie die steigenden


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 91<br />

Umsätze zeigen, entsprechen Convenience- <strong>und</strong> Fast Food-Produkte <strong>in</strong> Bio-Qualität<br />

offenbar e<strong>in</strong>em Teil der Konsumentenwünsche (z.B. Bio-Chips, Bio-Ketchup, Bio-<br />

Fertigpizza). Kritisch stellt sich die Frage, wie e<strong>in</strong> solches Angebot angesichts von<br />

Übergewicht <strong>und</strong> Adipositas aus ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>und</strong> gesellschaftspolitischer Perspektive<br />

zu beurteilen <strong>und</strong> <strong>in</strong>wiefern es auf Dauer glaubwürdig ist.<br />

4 Zusammenfassung<br />

Die beiden e<strong>in</strong>gangs formulierten Thesen können <strong>in</strong> der empirischen Untersuchung<br />

von Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte zwischen 1993 <strong>und</strong><br />

2002 bestätigt werden: Im H<strong>in</strong>blick auf die Gestaltung lässt sich sagen, dass <strong>in</strong> der<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung vermehrt emotionale (Stil-)Elemente verwendet werden,<br />

ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Bezüglich der verwendeten<br />

Argumente ist festzustellen, dass die biologische Anbauweise, die tierfre<strong>und</strong>liche<br />

Haltung <strong>und</strong> der faire Handel nicht mehr als (Alle<strong>in</strong>stellungs-)Merkmale hervorgehoben<br />

werden, sondern herkömmliche Kaufkriterien wie Geschmack/Genuss, Lifestyle,<br />

Convenience <strong>und</strong> Preis im Vordergr<strong>und</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung stehen.<br />

Damit emanzipieren sich Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkte von konventionell hergestellten<br />

<strong>und</strong> gehandelten Lebensmitteln: Erstere s<strong>in</strong>d letzteren h<strong>in</strong>sichtlich der herkömmlichen<br />

Kaufkriterien meist nicht nur ebenbürtig, sondern teilweise überlegen. Damit erhält<br />

der K<strong>und</strong>e von Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkten nicht nur e<strong>in</strong>en ideellen, sondern<br />

auch e<strong>in</strong>en reellen Mehrwert.<br />

Welche Implikationen ergeben sich aus der empirischen Studie für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>?<br />

Aus praktischer Sicht lassen sich zum<strong>in</strong>dest drei wichtige Erkenntnisse aus der<br />

Studie ableiten:<br />

1. Informationen <strong>und</strong> Aufklärung bezüglich der sozial-ökologischen Produkteigenschaften<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der ersten Phase e<strong>in</strong>er langfristig angelegten Werbekampagne unerlässlich,<br />

um auf Dauer Vertrauen <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit aufzubauen.<br />

2. Erst auf dieser Gr<strong>und</strong>lage können <strong>in</strong> der zweiten Phase der Werbekampagne für<br />

nachhaltige Produkte vermehrt emotionale (Stil-)Elemente aufgegriffen werden,<br />

ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Darüber h<strong>in</strong>aus können<br />

<strong>in</strong>dividuelle Nutzen-Kosten-Aspekte verstärkt <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> gestellt<br />

werden. Durch die Emotionalisierung der Gestaltung <strong>und</strong> die Individualisierung der<br />

Argumente werden breitere K<strong>und</strong>ensegmente angesprochen, wie die steigenden<br />

Umsätze des Coop Naturaplan zeigen.


92 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

3. Die erfolgreiche E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Vermarktung von nachhaltigen Produkten bzw.<br />

Sortimenten setzt strategisches Denken <strong>und</strong> langfristiges Engagement voraus. Diese<br />

Aussage bezieht sich gerade auch auf die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung. E<strong>in</strong> exemplarisches<br />

Beispiel hierfür ist der Coop Naturaplan, der systematisch über e<strong>in</strong> Jahrzehnt<br />

beworben, behutsam aufgebaut <strong>und</strong> kommunikativ weiterentwickelt worden<br />

ist.<br />

Aus theoretischer Sicht stellt sich die Frage nach der Verallgeme<strong>in</strong>erbarkeit <strong>und</strong> Übertragbarkeit<br />

der Resultate: Inwiefern lässt sich der Verlauf von <strong>in</strong>formativer zu emotional-<strong>in</strong>formativer<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung auch <strong>in</strong> anderen Produkt- bzw. Sortimentsbereichen<br />

<strong>und</strong> Ländern feststellen? In welchen Zeiträumen? Werden auch <strong>in</strong> anderen<br />

Werbekampagnen für nachhaltige Produkte bzw. Sortimente vermehrt <strong>in</strong>dividuelle<br />

Nutzen-Kosten-Argumente hervorgehoben anstatt sozial-ökologische Eigenschaften<br />

e<strong>in</strong>seitig als (Alle<strong>in</strong>stellungs-)Merkmale <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen? In der Untersuchung<br />

wurden ausschließlich Werbeanzeigen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wochenzeitung analysiert.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist zu fragen: Wie gestaltet sich die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Kommunikation<br />

<strong>in</strong>sgesamt? Welche klassischen <strong>und</strong> nicht-klassischen Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

(Tageszeitungen, Zeitschriften, Fachzeitschriften, Fernsehen, Außenwerbung, Internet,<br />

Sponsor<strong>in</strong>g etc.) werden e<strong>in</strong>gesetzt, um nachhaltige Produkte bzw. Sortimente erfolgreich<br />

zu vermarkten? Wie werden die Instrumente aufe<strong>in</strong>ander abgestimmt <strong>und</strong> <strong>in</strong>tegriert?<br />

Welche Ziele werden damit verfolgt <strong>und</strong> wie werden sie kontrolliert? Welche<br />

Rolle spielt die Transformation <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Wo liegen die Grenzen<br />

der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung? Diese weitgehend offenen <strong>und</strong> unbeantworteten<br />

Fragen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Anregungen für weitere Forschung <strong>in</strong> diesem spannenden Teilgebiet<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 93<br />

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2001, Nr. 11, S. 37-40.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 95<br />

Anhang<br />

Variablennummer<br />

1 Jahr<br />

Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />

2 Ausgabennummer<br />

3 Anzeigentyp � Kle<strong>in</strong>anzeige mit Foto<br />

� Kle<strong>in</strong>anzeige ohne Foto<br />

� Produktanzeige mit Text<br />

� Redaktioneller Textbeitrag<br />

� Rezept<br />

� Beilage<br />

� Anzeige e<strong>in</strong>er Kompetenzmarke<br />

(ohne Produktbezug)<br />

� Andere<br />

4 Redaktioneller Textbeitrag � Knospen-Information<br />

� Naturaplan-Information<br />

� Cooperación-Information<br />

� Max Havelaar-Information<br />

� Produktions-Information<br />

� Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

� Umsatzzahlen, Marktanteile<br />

� Externe Beurteilung des Engagements von Coop<br />

� Andere<br />

5 Coop Naturaplan � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

6 Knospe � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

7 Cooperación � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

8 Max Havelaar � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong>


96 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Daria Ditze<br />

Variablennummer<br />

Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />

9 Verhältnis von Knospe zu<br />

Coop Naturaplan<br />

� Größer<br />

� Kle<strong>in</strong>er<br />

� Gleich<br />

10 Anzeigengröße � 1 Seite<br />

� Nicht beide vorhanden<br />

� 0,75 Seiten<br />

� 0,5 Seiten<br />

� 0,25 Seiten<br />

� < 0,25 Seiten<br />

� Andere<br />

� > 1 Seite<br />

11 Bildflächenanteil � In Prozent<br />

12 Textanteil<br />

� In Prozent<br />

13 Bildmotiv � Ke<strong>in</strong><br />

14 Headl<strong>in</strong>e<br />

� Produkt<br />

� Person<br />

� Tier<br />

� Landschaft, Natur<br />

� Label im Vordergr<strong>und</strong><br />

� Bauernmotiv<br />

� Andere<br />

15 Produkt � Ke<strong>in</strong><br />

� Obst, Gemüse<br />

� Brot, Getreideprodukte<br />

� Milchprodukte<br />

� Fisch, Geflügel, Fleisch<br />

� Fertigprodukte<br />

� Kaffee, Tee<br />

� Honig<br />

� Andere


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Werbung im Wandel 97<br />

Variablennummer<br />

Variablenname Variablendef<strong>in</strong>ition<br />

16 Frische � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

17 Geschmack, Genuss � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

18 Ges<strong>und</strong>heit � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

19 Lifestyle � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

20 Ästhetik � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

21 Spaß � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

22 Preisaktion � Ja<br />

23 K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungs-<br />

programm<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

� Ja<br />

� Ne<strong>in</strong><br />

24 „Convenience“ � Ja<br />

� Ne<strong>in</strong>


Die umwelt.plus.karte: Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung e<strong>in</strong>er<br />

K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Nach Angaben des Umweltb<strong>und</strong>esamtes s<strong>in</strong>d m<strong>in</strong>destens 30 bis 40 Prozent aller Umweltprobleme<br />

direkt oder <strong>in</strong>direkt auf die herrschenden Konsummuster zurückzuführen<br />

(UBA 1997, S. 221). In der <strong>Nachhaltigkeits</strong>debatte spielt daher die Veränderung<br />

nicht nachhaltiger Konsumgewohnheiten e<strong>in</strong>e große Rolle. Wenngleich die allmählich<br />

voranschreitende gesellschaftliche Verankerung des Themas durch zahlreiche Beispiele<br />

belegt werden kann (Scherhorn/Weber 2002), bleibt dies e<strong>in</strong>e der wichtigsten Zukunftsaufgaben<br />

entwickelter Gesellschaften – so e<strong>in</strong>e der zentralen Forderungen des<br />

Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung 2002 <strong>in</strong> Johannesburg. Dabei wird es unter<br />

anderem darum gehen, Strategien zu entwickeln, mit denen Barrieren wie die mangelnde<br />

Sichtbarkeit von Handlungsalternativen oder der mit ökologischem Verhalten<br />

häufig verb<strong>und</strong>ene zusätzliche zeitliche <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle Aufwand (UBA 2002, S. 16)<br />

überw<strong>und</strong>en werden können.<br />

Parallel zur Herausbildung des politischen Handlungsfeldes nachhaltiger Konsum haben<br />

sich die Konsumgütermärkte <strong>in</strong> den letzten Jahren verändert. Die zunehmende<br />

Marktsättigung, die allgeme<strong>in</strong>e Konsumzurückhaltung <strong>und</strong> <strong>in</strong>folgedessen s<strong>in</strong>kende<br />

Handelsmargen haben die Anbieter dazu gedrängt, nach neuen Möglichkeiten der<br />

K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung zu suchen (bspw. Diller 1996; H<strong>in</strong>terhuber 1999; Bruhn/Homburg<br />

2003). Unter K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung können „sämtliche Maßnahmen e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />

(verstanden werden), die darauf abzielen, sowohl die bisherigen Verhaltensweisen als<br />

auch die zukünftigen Verhaltensabsichten e<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>en (...) positiv zu gestalten“<br />

(Bruhn/Homburg 2003, S. 8). Mit verbesserter K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung sollen positive Wirkungen<br />

auf das Wiederkaufs- <strong>und</strong> Cross-Buy<strong>in</strong>g-Verhalten, auf das Weiterempfehlungsverhalten<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt auf die Preiserhöhungsakzeptanz erreicht werden<br />

(ebd., S. 9). Dem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> stehen hierfür verschiedene Instrumente zur Verfügung.<br />

Auf der Ebene der Produktpolitik s<strong>in</strong>d dies beispielsweise Leistungsgarantien <strong>und</strong> Zusatzleistungen,<br />

auf der Ebene der Distributionspolitik Direktlieferungen oder Abon-


100 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

nements, auf kommunikationspolitischer Ebene Direct-Mail<strong>in</strong>gs oder K<strong>und</strong>enzeitschriften<br />

<strong>und</strong> im Rahmen der Preispolitik K<strong>und</strong>enkarten- bzw. Rabattsysteme (ebd.,<br />

S. 22).<br />

Doch wie lässt sich die Forderung nach zukunftsfähigen Lebensstilen mit <strong>in</strong>novativen<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen zur K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung verknüpfen? Diese Frage markierte den Ausgangspunkt<br />

e<strong>in</strong>es Forschungsprojektes, dessen Ziel die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung<br />

e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte für nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen war (Scholl 2003).<br />

Der vorliegende Beitrag stellt die Entstehung des Konzepts der „umwelt.plus.karte“<br />

dar (Kap. 2). Neben der Erarbeitung geeigneter <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien gehörten<br />

dazu Marktforschungsaktivitäten sowie die Erstellung e<strong>in</strong>es Kommunikationskonzeptes.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus werden erste Erfahrungen mit der Karte präsentiert, die auf der<br />

Basis e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbefragung r<strong>und</strong> neun Monate nach Markte<strong>in</strong>führung erhoben worden<br />

s<strong>in</strong>d (Kap. 3). Der Beitrag schließt mit e<strong>in</strong>er kritischen Würdigung des Konzepts<br />

(Kap. 4).<br />

2 Die umwelt.plus.karte – Konzept,<br />

Entwicklungsprozess <strong>und</strong> Marktdiffusion<br />

Die umwelt.plus.karte ist e<strong>in</strong>e der wenigen <strong>in</strong> Deutschland existierenden K<strong>und</strong>enkarten<br />

mit ökologisch-sozialer Zielsetzung. Sie unterscheidet sich von herkömmlichen<br />

Kartensystemen nicht <strong>in</strong> ihrer Funktionsweise, wohl aber h<strong>in</strong>sichtlich der Zielsetzung<br />

der Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens <strong>und</strong> den daraus resultierenden Vermarktungsstrategien.<br />

Die umwelt.plus.karte ist im Rahmen des vom B<strong>und</strong>esforschungsm<strong>in</strong>isteriums<br />

(BMBF) geförderten Projekts „Produkte länger <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiver<br />

nutzen“ geme<strong>in</strong>sam vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), dem<br />

Agenda-Büro der Stadt Heidelberg, dem von lokalen Akteuren aus dem Umwelt- <strong>und</strong><br />

Sozialbereich getragenen Vere<strong>in</strong> Weitergeben e.V. <strong>und</strong> der Agentur ID-<br />

Kommunikation (Mannheim) entwickelt worden. Sie wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vierstufigen Prozess<br />

<strong>in</strong> den Markt e<strong>in</strong>geführt:<br />

1. Formulierung der konzeptionellen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />

(August bis Oktober 2002),<br />

2. Durchführung der Marktforschung (November 2002 bis Januar 2003),<br />

3. Erstellung des Kommunikationskonzeptes (Februar bis März 2003),<br />

4. Erstellung der Kommunikationsstrategie sowie Auswahl <strong>und</strong> Erstellung der<br />

Kommunikations<strong>in</strong>strumente (April 2003).


Die umwelt.plus.karte 101<br />

Die Akquisition der Anbieter erfolgte parallel zu den Phasen 2 <strong>und</strong> 3 von November<br />

2002 bis März 2003. Seit Mai 2003 ist die Karte <strong>in</strong> Heidelberg auf dem Markt.<br />

Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />

Ausgangspunkt der Entwicklung e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enkarte mit ökologisch-nachhaltigem Zuschnitt<br />

war das Ziel, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives Instrument zu schaffen, das<br />

� Attraktivität <strong>und</strong> Absatz nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen fördert <strong>und</strong><br />

� das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung bei regionalen Anbietern verbessert.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Ausgestaltung des Funktionspr<strong>in</strong>zips der Karte orientierte man sich<br />

bewusst an herkömmlichen Kartensystemen, um die weith<strong>in</strong> bestehende Vertrautheit<br />

zur Senkung der Nutzungsbarrieren der geplanten ökologischen K<strong>und</strong>enkarte zu nutzen.<br />

Konkret wurde die Karte an das Modell der Bahncard als e<strong>in</strong>es der verbreitesten<br />

Rabattsysteme angelehnt. Die Karte sollte gegen e<strong>in</strong>e jährliche Gebühr von 25 Euro<br />

erworben werden können <strong>und</strong> ihren Inhabern das Recht e<strong>in</strong>räumen, bei den teilnehmenden<br />

Geschäften e<strong>in</strong>en Rabatt zu erhalten. Die Gewährung der Vergünstigung an<br />

den K<strong>und</strong>en sollte direkt beim Kauf gegen Vorlage der gültigen Karte erfolgen. E<strong>in</strong>e<br />

Möglichkeit zur Kumulierung oder Verrechnung von Rabatten oder das Sammeln von<br />

Punkten wurde nicht vorgesehen. Die Rabatthöhe sollte je nach Geschäft zwischen<br />

drei <strong>und</strong> zehn Prozent liegen.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Vermarktung der Karte wurden von der Agentur ID-Kommunikation<br />

die Entwicklung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Gestaltungskonzepts aus Wort- (Name <strong>und</strong> Claim)<br />

<strong>und</strong> Bildmarke (Layout-L<strong>in</strong>ie), die weitflächige Verteilung von Werbematerialien<br />

(Postwurfsendung e<strong>in</strong>es Flyers), die regelmäßige Nutzerkommunikation (Newsletter,<br />

Homepage) <strong>und</strong> Direktmarket<strong>in</strong>gaktionen seitens der teilnehmenden Anbieter als zentrale<br />

Elemente e<strong>in</strong>er erfolgreichen Markte<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Diffusion gesehen.<br />

Unter dem Dach der K<strong>und</strong>enkarte sollten nicht nur im klassischen Ökobereich verankerte<br />

Geschäfte (z.B. Naturkosthändler) zusammengeschlossen werden, sondern – dem<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>gedanken folgend – auch Anbieter von Dienstleistungen für e<strong>in</strong>e längere<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>tensivere Produktnutzung (z.B. Reparatur, Gerätevermietung, Car-Shar<strong>in</strong>g),<br />

Hersteller <strong>und</strong> Händler langlebiger Güter (z.B. Öko-Möbel, Fahrräder) oder soziokulturelle<br />

E<strong>in</strong>richtungen (z.B. Kunstvere<strong>in</strong>, Volkshochschule).<br />

Zur Prüfung konkreter Geschäfte auf ihre Eignung zur Teilnahme an der Karte wurden<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien formuliert, die auf den folgenden zwei Pr<strong>in</strong>zipien basieren:


102 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

� Nutzung von Zertifizierungssystemen Dritter: Es wurden ke<strong>in</strong>e eigenen Kriterien<br />

entwickelt, sondern man stützte sich auf die Richtl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> die Glaubwürdigkeit<br />

e<strong>in</strong>geführter Kennzeichnungssysteme wie dem Bio-Siegel, dem TransFair-Label<br />

oder dem „Blauen Engel”.<br />

� Selbstverpflichtung der Anbieter: Alle Anbieter sollten sich im Rahmen e<strong>in</strong>er Kooperationsvere<strong>in</strong>barung<br />

mit dem Kartenbetreiber dazu verpflichten, ihre Geschäftsaktivitäten<br />

an den <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien der Karte zu orientieren. Beispielsweise<br />

müssen Lebensmittelgeschäfte die Kriterien des Gütesiegels „’N’ Naturkost<br />

<strong>und</strong> Naturwaren” erfüllen oder Anbieter von Holzmöbeln den Anforderungen der<br />

hier e<strong>in</strong>schlägigen Umweltzeichen (z.B. FSC, Eco-Timber) genügen. Das Pr<strong>in</strong>zip<br />

der Selbstverpflichtung hat dabei für den Kartenbetreiber den Vorteil, dass der mit<br />

e<strong>in</strong>er Eignungsprüfung verb<strong>und</strong>ene Aufwand ger<strong>in</strong>g gehalten werden kann.<br />

Für die teilnehmenden Geschäfte wurden die folgenden Vorteile der Kartenkonzeption<br />

gesehen:<br />

� K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungseffekt: Da der Karten<strong>in</strong>haber e<strong>in</strong>en Anreiz hat, die Karte möglichst<br />

oft zu nutzen, damit sich se<strong>in</strong>e Anfangs<strong>in</strong>vestition beim Kauf der Karte rechnet,<br />

kann die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung gestärkt <strong>und</strong> der Absatz gefördert werden. Durch Dialogmaßnahmen<br />

(z.B. Newsletter) wird die K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung verstetigt.<br />

� Netzwerkeffekt: Mit der Karte wird e<strong>in</strong>e Werbegeme<strong>in</strong>schaft für nachhaltige Produkte<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen aus der Region Heidelberg <strong>in</strong>itiiert. Dadurch können<br />

Synergiepotenziale zwischen den Anbietern, etwa im Rahmen geme<strong>in</strong>samer Werbemaßnahmen,<br />

ausgeschöpft werden. Zudem werden via Karte die K<strong>und</strong>en des e<strong>in</strong>en<br />

Anbieters auf die Angebote der anderen Leistungspartner aufmerksam. Aus<br />

Anbietersicht kann dadurch das angestammte K<strong>und</strong>enpotenzial systematisch erweitert<br />

werden.<br />

Aus Sicht potenzieller Käufer beziehungsweise Nutzer der Karte wurden folgende<br />

Punkte als vorteilhaft angesehen:<br />

� Sparen: Ab e<strong>in</strong>em gewissen Umsatz <strong>in</strong> den teilnehmenden Geschäften rechnet sich<br />

die Anfangs<strong>in</strong>vestition <strong>in</strong> die Karte, bei jedem weiteren E<strong>in</strong>kauf wird Geld gespart.<br />

� Nachhaltiges Konsumhandeln: Mit der Karte werden nachhaltige Angebote aus der<br />

Region identifizierbar <strong>und</strong> der damit e<strong>in</strong>hergehende Suchaufwand für die Konsumenten<br />

verr<strong>in</strong>gert. Die Umsetzung ökologischer Konsumorientierungen <strong>in</strong> entsprechendes<br />

Konsumverhalten wird damit unterstützt.


Die umwelt.plus.karte 103<br />

� Exklusivität: Karten<strong>in</strong>haber erhalten neben den monetären Vergünstigungen exklusive<br />

Informationen über neue Angebote aus dem Kreis der Anbieter über mehrmals<br />

jährlich ersche<strong>in</strong>ende Newsletter.<br />

Ergebnisse der Fokusgruppen<br />

Zur Ermittlung des Marktpotenzials der Innovation e<strong>in</strong>er nachhaltigkeitsorientierten<br />

K<strong>und</strong>enkarte wurde das <strong>in</strong> der Marktforschung bewährte qualitative Instrument der<br />

Fokusgruppe e<strong>in</strong>gesetzt. Dabei handelt es sich um moderierte Gruppendiskussionen,<br />

bei denen sich die Teilnehmer mit e<strong>in</strong>em vorgegebenen Thema anhand vorbereiteter<br />

Materialien befassen (Lamnek 1998; Dürrenberger/Behr<strong>in</strong>ger 1999).<br />

Ende November 2002 wurden vier Fokusgruppen à zwei St<strong>und</strong>en durchgeführt, an<br />

denen jeweils acht bis neun Heidelberger Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger teilgenommen haben<br />

(<strong>in</strong>sgesamt: 34). Diese wurden auf der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>es Fragebogens von e<strong>in</strong>em<br />

Heidelberger Marktforschungs<strong>in</strong>stitut rekrutiert, der <strong>in</strong>sbesondere Fragen zur Häufigkeit<br />

der Nutzung verschiedener für die K<strong>und</strong>enkarte wichtiger Geschäfte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>und</strong> zu E<strong>in</strong>stellungen zum Thema ökologischer Konsum umfasste. Die Gruppen<br />

wurden dann nach Alter <strong>und</strong> Nutzungshäufigkeit unterteilt (Tab. 1) – ausgehend<br />

von der Annahme, dass junge Stammk<strong>und</strong>en aufgr<strong>und</strong> ihrer vermutlich höheren Umweltorientierung<br />

<strong>und</strong> Aufgeschlossenheit gegenüber e<strong>in</strong>em modernen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatz<br />

besonders gut für das Konzept ansprechbar s<strong>in</strong>d, h<strong>in</strong>gegen ältere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en<br />

nur sehr schwer zu gew<strong>in</strong>nen se<strong>in</strong> dürften.<br />

Jüngere (20 – 40 Jahre) Ältere (41 – 65 Jahre)<br />

Stammk<strong>und</strong>en 1. Jüngere Stammk<strong>und</strong>en 2. Ältere Stammk<strong>und</strong>en<br />

Gelegenheitsk<strong>und</strong>en 3. Jüngere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en 4. Ältere Gelegenheitsk<strong>und</strong>en<br />

Tabelle 1: Fokusgruppen<br />

In den Diskussionen zeigte sich, dass die K<strong>und</strong>enkarte erwartungsgemäß besonders<br />

positiv von den Befragten aufgenommen wird, die mit der Idee umweltfre<strong>und</strong>lichen<br />

Konsums sympathisieren <strong>und</strong> sich gleichzeitig hohe E<strong>in</strong>sparungen versprechen. Im<br />

E<strong>in</strong>zelnen wurden die folgenden Aspekte als positiv wahrgenommen:<br />

� Vielzahl der unterschiedlichen Anbieter, die für die K<strong>und</strong>enkarte vorgesehen s<strong>in</strong>d;<br />

� E<strong>in</strong>sparungen, die sich dann rechnen, wenn man e<strong>in</strong>zelne Anbieter regelmäßig<br />

nutzt, große E<strong>in</strong>käufe tätigt oder viele Anbieter komb<strong>in</strong>iert;


104 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

� ökologische Ausrichtung, die Unterstützung von Bioprodukten <strong>und</strong> ressourcenschonenden<br />

Angeboten;<br />

� Unterstützung des regionalen Fachhandels <strong>und</strong> der kle<strong>in</strong>en Betriebe als Gegenentwurf<br />

zu großen Konzernen <strong>und</strong> Ketten.<br />

Dieser Vielfalt an positiven Aspekten standen Zweifel gegenüber, die auf der ökonomischen<br />

Tragfähigkeit der Karte beruhten. Insbesondere die geplante Jahresgebühr<br />

von 25 Euro rief Bedenken hervor, dass man beim Kauf der Karte letztlich mehr <strong>in</strong>vestiert<br />

als man durch Rabatte e<strong>in</strong>zusparen <strong>in</strong> der Lage ist.<br />

Der heterogene Charakter der vorgesehenen Anbieter sorgte e<strong>in</strong>erseits für e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Verwirrung, da e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same L<strong>in</strong>ie nur schwer entdeckt werden konnte („Was hat<br />

Kultur mit Ökologie zu tun?“). Andererseits hatte dieses breite Spektrum auch zur<br />

Folge, dass e<strong>in</strong>dimensionale <strong>und</strong> klischeeartige Zuschreibungen begrenzt werden<br />

konnten. Als e<strong>in</strong>e Zielgruppe der K<strong>und</strong>enkarte wurden zwar „Ökos mit Bewusstse<strong>in</strong>sdenken“<br />

angeführt. Aber <strong>in</strong> der K<strong>und</strong>enkarte wurde durchaus das Potenzial gesehen,<br />

über diese eng umgrenzte Gruppe h<strong>in</strong>aus Attraktivität zu entfalten – für kulturell Interessierte,<br />

für Familien <strong>und</strong> <strong>in</strong> gewissem Maße auch für überdurchschnittlich preisbewusste<br />

<strong>und</strong> qualitätsorientierte Käuferschichten – die so genannten „Smart Shopper“<br />

(Grey Strategic Plann<strong>in</strong>g 1996).<br />

Die Inanspruchnahme der Rabatte sollte direkt am Verkaufsort stattf<strong>in</strong>den, damit der<br />

K<strong>und</strong>e die Ersparnis sofort spürt. Bei e<strong>in</strong>er Karte, die zuvor gekauft werden muss,<br />

wird die direkte Vergütung geradezu erwartet. Andere Modelle, wie Rabattheftchen<br />

oder Punktesammeln, wurden abgelehnt.<br />

Bezüglich Name <strong>und</strong> Claim der Karte wurde deutlich, dass diese entsprechend ihrer<br />

mehrdimensionalen Zielrichtung sowohl ökologische Bezüge aufweisen als auch den<br />

Sparaspekt zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen müssten. Das Layout von Karte <strong>und</strong> Werbemitteln<br />

sollte die Vielfalt der K<strong>und</strong>enkarte zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>formativ wirken <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

moderne Ästhetik aufweisen.<br />

Konturen des Kommunikationskonzepts<br />

Aufbauend auf den Ergebnissen der Fokusgruppen wurde e<strong>in</strong> Kommunikationskonzept<br />

für die K<strong>und</strong>enkarte entwickelt, das die Elemente Zielgruppenbestimmung <strong>und</strong><br />

Positionierung be<strong>in</strong>haltet.


Die umwelt.plus.karte 105<br />

Zielgruppen<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die Bestimmung der Zielgruppen der Karte ist zunächst festzuhalten,<br />

dass sie besonders <strong>in</strong>teressant für K<strong>und</strong>en ist, die bereits überdurchschnittlich ökologisch<br />

orientiert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> häufig <strong>in</strong> entsprechenden Läden e<strong>in</strong>kaufen. Sie ist darüber<br />

h<strong>in</strong>aus für e<strong>in</strong>en Personenkreis <strong>in</strong>teressant, der zwar partiell umweltbewusst e<strong>in</strong>gestellt<br />

ist, ohne dabei aber vom Milieu her „öko“ zu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Teil dieser Gruppe kann sogar<br />

ausgesprochen abwehrend auf Begrifflichkeiten <strong>und</strong> Aussagen reagieren, die dem<br />

„Öko-Milieu“ zugesprochen werden. Mit dieser konzeptionellen Ausrichtung wird e<strong>in</strong><br />

nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung adressiert, wie die folgende Tabelle zeigt.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich erreichbar dürften die „konsequenten“ <strong>und</strong> „e<strong>in</strong>stellungsungeb<strong>und</strong>enen“<br />

Umweltschützer (<strong>in</strong>sgesamt 58% der Bevölkerung) bzw. die „Umwelt-Aktiven“ <strong>und</strong><br />

„Umwelt-Aktivierbaren“ (<strong>in</strong>sgesamt 62% der Bevölkerung) se<strong>in</strong>.<br />

Typologie nach Preisendörfer (1999, S. 94ff.) Typologie „umweltfre<strong>und</strong>liches Verhalten“<br />

nach Infratest (Stern 1995, S. 364f.)<br />

1. „konsequente Umweltschützer“<br />

(E<strong>in</strong>stellung hoch, Verhalten positiv; 30%)<br />

2. „e<strong>in</strong>stellungsungeb<strong>und</strong>ene Umweltschützer“<br />

(E<strong>in</strong>stellung niedrig, Verhalten positiv; 28%)<br />

3. „Umweltrhetoriker“<br />

(E<strong>in</strong>stellung hoch, Verhalten niedrig; 32%)<br />

4. „Umweltignoranten“<br />

(E<strong>in</strong>stellung niedrig, Verhalten niedrig; 10%)<br />

Tabelle 2: Umweltbezogene Typologien<br />

1. „Umwelt-Aktive“ (39%)<br />

2. „Umwelt-Aktivierbare“ (22%)<br />

3. „Umwelt-Passive“ (39%)<br />

Diese Ausgangssituation ist für die gesamte Kommunikation von Belang, bedeutet sie<br />

doch nichts weniger als e<strong>in</strong>e neue, milieuübergreifende Ansprache für Begrifflichkeiten<br />

wie „umweltorientiert“ <strong>und</strong> „nachhaltig“ zu f<strong>in</strong>den. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> lassen<br />

sich gr<strong>und</strong>sätzlich aus den Produktvorteilen der Karte sowie dem Feedback der Fokusgruppen<br />

folgende Zielgruppen ableiten:<br />

� K<strong>und</strong>en ökologisch orientierter Läden <strong>und</strong> Dienstleistungen,<br />

� Personen mit zum<strong>in</strong>dest partiell umweltbewusster E<strong>in</strong>stellung,<br />

� Familien, die durch ihren höheren Umsatz die Kosten der Karte schneller amortisieren<br />

können,


106 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

� Personenkreise der unteren <strong>und</strong> mittleren E<strong>in</strong>kommensgruppen, da hier das Kostenbewusstse<strong>in</strong><br />

höher ist <strong>und</strong> somit die Vorteile der Karte besser vermittelt werden<br />

können,<br />

� Personen mit e<strong>in</strong>em überdurchschnittlich hohen Kultur- <strong>und</strong> Freizeit<strong>in</strong>teresse, wie<br />

zum Beispiel Studenten <strong>und</strong> Berufsanfänger.<br />

Positionierung<br />

E<strong>in</strong> wesentliches Merkmal der Karte ist, dass ihr Angebot <strong>in</strong> dieser Form e<strong>in</strong>malig ist<br />

<strong>und</strong> somit auch e<strong>in</strong>e Marktnische besetzt. E<strong>in</strong> weiteres Merkmal ist, dass von den<br />

K<strong>und</strong>engruppen her sowohl Personenkreise anzusprechen s<strong>in</strong>d, die dem ökologischen<br />

Milieu zuzuordnen s<strong>in</strong>d, als auch solche, die trotz partieller Umweltorientierung von<br />

ihren Lebenswelten her anderen Milieus zuzurechnen s<strong>in</strong>d.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> muss die Karte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Form positioniert werden, die e<strong>in</strong>e moderne,<br />

selbstbewusste <strong>und</strong> genussfreudige Kommunikation zu den Produktvorteilen „ökologisch<br />

s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> nachhaltig“ zulässt <strong>und</strong> die sich bewusst von engen Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> „alten“ Bildern abgrenzt. Zentrale Elemente hierfür s<strong>in</strong>d Name, Claim <strong>und</strong> Preis<br />

der Karte, für die im Zuge der Erarbeitung des Kommunikationskonzepts <strong>und</strong> im Lichte<br />

der Fokusgruppen folgende Festlegungen getroffen wurden. Als Name der Karte<br />

wurde „umwelt.plus.karte“, als ihr Claim „Gutes günstig genießen“ gewählt. Die ursprüngliche<br />

Preisvorstellung wurde um zehn Euro auf 15 Euro pro Jahr reduziert.<br />

In der Komb<strong>in</strong>ation des Namens „umwelt.plus.karte“ <strong>und</strong> dem Claim „Gutes günstig<br />

genießen“ mit der niedrigen Jahresgebühr werden die unterschiedlichen Facetten der<br />

K<strong>und</strong>enkarte verknüpft <strong>und</strong> „Motivallianzen“ (Beitrag Belz; Empacher et al. 2002,<br />

S. 134ff.) systematisch hergestellt. Die Verknüpfung deutet auf ökologische <strong>und</strong> qualitativ<br />

hochwertige Produkte ebenso h<strong>in</strong> wie auf monetäre Vergünstigungen. Gleichzeitig<br />

weist sie darüber h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt mit Genuss <strong>und</strong> dem „Plus“ e<strong>in</strong> sehr positives<br />

Element <strong>in</strong>s Spiel, das Bezug zu den Kultur- <strong>und</strong> Freizeitangeboten der Karte hat. Damit<br />

sollen umweltbewusste Käufer angesprochen <strong>und</strong> andere, stärker konsumorientierte<br />

nicht abgeschreckt gewerden. Gleichzeitig bekommt die Karte mit dieser Ausrichtung<br />

auch e<strong>in</strong> besonderes Profil, das der Eigenständigkeit des Angebots entspricht.


Die umwelt.plus.karte 107<br />

Kommunikationsstrategie <strong>und</strong> -<strong>in</strong>strumente<br />

Ausgehend von den im Kommunikationskonzept entwickelten Anforderungen an die<br />

Vermarktung der umwelt.plus.karte wurde e<strong>in</strong>e Kommunikationsstrategie erstellt. Diese<br />

legt fest, mit welcher Zielsetzung die oben aufgeführten positionierungsrelevanten<br />

Botschaften den identifizierten Zielgruppen der Karte vermittelt werden sollen. Im<br />

Kern war die Strategie darauf ausgerichtet, e<strong>in</strong>e möglichst vollständige Abdeckung der<br />

Stadtteile Heidelbergs mit dem höchsten Anteil von Bewohnern aus den identifizierten<br />

Zielgruppen durch Werbung <strong>und</strong> PR zu erreichen. Ziel war es, im Verlauf von e<strong>in</strong>em<br />

Jahr r<strong>und</strong> 1.000 umwelt.plus.karten abzusetzen. E<strong>in</strong>e starke optische Präsenz <strong>in</strong> den<br />

teilnehmenden Geschäften sollte die Werbe- <strong>und</strong> Informationsmöglichkeiten vervollständigen.<br />

Dazu wurden folgende Schritte geplant:<br />

� Sämtliche Haushalte <strong>in</strong> den def<strong>in</strong>ierten Stadtteilen sollen e<strong>in</strong>e umfassende Information<br />

zur E<strong>in</strong>führung der umwelt.plus.karte erhalten.<br />

� Mittels Presse<strong>in</strong>formationen <strong>und</strong> PR-Artikeln <strong>in</strong> Stadt(teil)zeitungen soll e<strong>in</strong>e möglichst<br />

vollständige Presseabdeckung für den gesamten Geltungsbereich erzielt werden.<br />

� Durch Werbematerialien am Po<strong>in</strong>t of Sale (POS) soll <strong>in</strong> den Geschäften aller Anbieter<br />

auf die umwelt.plus.karte h<strong>in</strong>gewiesen werden.<br />

Kommunikations<strong>in</strong>strumente<br />

Die im Rahmen der Kommunikationsstrategie zum E<strong>in</strong>satz kommenden Instrumente<br />

wurden entsprechend den folgenden Gestaltungsl<strong>in</strong>ien entwickelt (Primärdesign):<br />

� Viel Weißraum mit kontrapunktisch gestalteten Flächen zur Schaffung e<strong>in</strong>es belebten,<br />

frischen Auftritts.<br />

� Darstellung der Produktangebote <strong>in</strong> Bildfeldern zur schnellen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fachen Erfassung<br />

der Vielfalt des Angebots der umwelt.plus.karte.<br />

� Verwendung von Fotomaterial, das Freude am Konsum vermittelt <strong>und</strong> damit vom<br />

üblichen Klischee e<strong>in</strong>es traditionellen „Öko“-Milieus abweicht.<br />

Hierdurch wird e<strong>in</strong> Produktdesign geschaffen, das die kommunikative Brücke zwischen<br />

ökologisch orientierten Personen <strong>und</strong> solchen Käuferschichten schaffen kann,<br />

die nicht diesem Milieu zuzurechnen s<strong>in</strong>d. Im E<strong>in</strong>zelnen kamen zur Markte<strong>in</strong>führung<br />

der umwelt.plus.karte die folgenden Instrumente zum E<strong>in</strong>satz:


108 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

� Zentrales Medium zur Information über die Karte war e<strong>in</strong> Booklet. In dieser<br />

26-seitigen Broschüre konnte der Interessent alles über die Karte, ihre Konditionen<br />

sowie das Sortiment der Anbieter erfahren. Das Booklet wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage<br />

von 30.000 Stück gedruckt <strong>und</strong> per Postwurfsendung an alle 22.000 Haushalte der<br />

gewählten Stadtteile versandt. Die restliche Auflage wurde <strong>in</strong> den Geschäften sowie<br />

im Büro des Kartenbetreibers (Weitergeben e.V.) ausgelegt.<br />

� E<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>nspiel sowie e<strong>in</strong>e Subskriptionsfrist von fünf Wochen sollten den notwendigen<br />

Anreiz zum schnellen Erwerb der Karte schaffen. Mit e<strong>in</strong>em speziellen<br />

Flyer wurde über diese beiden Aktionen <strong>in</strong>formiert; er wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Auflage von<br />

10.000 Stück gedruckt <strong>und</strong> <strong>in</strong> den teilnehmenden Geschäften sowie an anderen Orten<br />

ausgelegt.<br />

� Parallel zur Produkte<strong>in</strong>führung wurde e<strong>in</strong> Internetauftritt zur umwelt.plus.karte<br />

umgesetzt, der das Kartenangebot <strong>in</strong> ähnlicher Weise wie Booklet <strong>und</strong> Flyer präsentiert.<br />

� Als POS-Werbematerialien wurden e<strong>in</strong> Plakat, Bockständer vor den Geschäften,<br />

Deckenabhänger <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Infostand gewählt.<br />

� Last but not least die umwelt.plus.karte selbst. Gestaltet im Scheckkartenformat<br />

<strong>und</strong> versehen mit Bildmotiven aus dem Produkt- <strong>und</strong> Dienstleistungsspektrum der<br />

Anbieter schafft die Karte den Bezug zu den Angeboten, die mit ihr genutzt werden<br />

können.<br />

Abbildung 1: umwelt.plus.karte


Die umwelt.plus.karte 109<br />

Akquisition der Anbieter<br />

Die Anbieterakquisition, die überwiegend im Zeitraum von November 2002 bis März<br />

2003 stattfand, wurde auf der Basis von Gesprächen mit <strong>in</strong> der Regel den Geschäfts<strong>in</strong>habern<br />

durchgeführt. E<strong>in</strong>e bei diesen Gesprächen ausgehändigte, professionell gestaltete<br />

Verkaufsmappe mit Informationen zu allen wesentlichen Aspekten der Karte ermöglichte<br />

den Geschäften im Nachgang des Gesprächs e<strong>in</strong>e gezielte Entscheidungsf<strong>in</strong>dung<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der Teilnahme an der Karte. Insgesamt wurden, neben zahlreichen<br />

telefonischen Gesprächen, 60 persönliche Akquisitionsgespräche geführt, die <strong>in</strong> 23<br />

Fällen <strong>in</strong> den Abschluss e<strong>in</strong>er Kooperationsvere<strong>in</strong>barung zur Teilnahme an der Karte<br />

mündeten. Die Vere<strong>in</strong>barung be<strong>in</strong>haltet u.a. die ausgehandelten Rabatte, Kündigungsklauseln<br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien. 37 Anbieter entschlossen sich also, nicht an<br />

dem Kartensystem teilzunehmen. Die wichtigsten hierfür genannten Gründe waren<br />

� die generelle Ablehnung von K<strong>und</strong>enkarten (<strong>und</strong> damit z.T. auch von Rabatten),<br />

� Zweifel an den Erfolgsaussichten des Projekts sowie<br />

� mangelnde f<strong>in</strong>anzielle Mittel, um beispielsweise im Booklet Anzeigenplatz zu erwerben.<br />

Markte<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Diffusion<br />

Die Markte<strong>in</strong>führung der umwelt.plus.karte erfolgte Anfang Mai 2003 mit der Verteilung<br />

des Booklets, der Platzierung von Werbematerialien – <strong>in</strong>sbesondere den Gew<strong>in</strong>nspielflyern<br />

– bei den teilnehmenden Geschäften, der Freischaltung der Homepage<br />

www.umweltpluskarte.de <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Pressegespräch. Zu diesem Zeitpunkt umfasste<br />

das Portfolio der Anbieter 23 Geschäfte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen aus den Bereichen Lebensmittel,<br />

Dienstleistungen (Reparatur, Waschsalon, Car-Shar<strong>in</strong>g, W<strong>in</strong>delservice,<br />

Gerätevermietung, Copy-Shop), Spielwaren, Möbel, Fahrräder, Handwerk (Maler,<br />

Schre<strong>in</strong>er) <strong>und</strong> Kultur (Kunstvere<strong>in</strong>, Musikveranstalter, Sprachkurse). Diese bieten<br />

den Kartennutzern Rabatte zwischen drei (z.B. Lebensmittel) <strong>und</strong> zehn Prozent (z.B.<br />

Spielwaren, Musikveranstaltungen, W<strong>in</strong>delservice). In manchen Fällen beschränken<br />

sich die Rabatte auf E<strong>in</strong>malvergünstigungen, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>en Nachlass bei der<br />

Aufnahmegebühr zum Car-Shar<strong>in</strong>g.<br />

Die umwelt.plus.karte konnte sich sehr viel rascher als <strong>in</strong> der Kommunikationsstrategie<br />

geplant im Markt behaupten – Anfang März 2004 waren bereits 1.262 Karten verkauft,<br />

davon 937 (74,2%) Hauptkarten <strong>und</strong> 325 (25,8%) Zusatzkarten für Familienmitglieder<br />

oder Lebenspartner, die zum Preis von 1,50 Euro abgegeben werden. Geht<br />

man davon aus, dass alle<strong>in</strong> für den Bereich der Bio-Lebensmittel 4 Prozent aller weib-


110 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

lichen B<strong>und</strong>esbürger angeben, diese häufig zu kaufen (Gruner+Jahr AG & Co 2002,<br />

S. 93) – was für Heidelberg <strong>in</strong> etwa 3.000 Haushalten entspricht –, so kann die Ausschöpfung<br />

des Zielgruppenpotenzials der Karte als gut bezeichnet werden. Dieser Erfolg<br />

war e<strong>in</strong> wichtiger Anreiz für weitere Heidelberger Geschäfte, sich der umwelt.plus.karte<br />

anzuschließen. Im März 2004 zählten 29 Anbieter zu den Teilnehmern<br />

an dem Rabattsystem der umwelt.plus.karte (drei weitere Anbieter waren geplant), von<br />

denen e<strong>in</strong>ige von sich aus mit der Bitte um Aufnahme an den Kartenbetreiber (seit Dezember<br />

2003 der Umweltvere<strong>in</strong> Ökostadt Rhe<strong>in</strong>-Neckar) herangetreten s<strong>in</strong>d.<br />

3 Ergebnisse der Befragung der Nutzer der umwelt.plus.karte<br />

Im Dezember 2003 wurde geme<strong>in</strong>sam mit der Ausgabe des umwelt.plus.<strong>in</strong>fo, dem<br />

Newsletter der umwelt.plus.karte, den Nutzern e<strong>in</strong> Fragebogen des IÖW zugeschickt,<br />

der auf zwei Seiten Fragen <strong>in</strong>sbesondere zur Verwendung <strong>und</strong> Bewertung der Karte<br />

<strong>und</strong> zu soziodemografischen Parametern stellt. Der auf diese Weise an 903 Inhaber<br />

von Hauptkarten (Zweitkartenbesitzer erhalten ke<strong>in</strong> eigenes Exemplar des umwelt.plus.<strong>in</strong>fo)<br />

versandte Fragenbogen wurde von 157 Personen beantwortet, was e<strong>in</strong>er<br />

Rücklaufquote von 17,4 Prozent entspricht.<br />

Soziodemografische Charakterisierung der Nutzer <strong>und</strong> Kaufmotive<br />

Drei Viertel der Karten<strong>in</strong>haber s<strong>in</strong>d Frauen. H<strong>in</strong>sichtlich der Altersstruktur der Nutzer<br />

ist e<strong>in</strong> deutlicher Schwerpunkt von Menschen mittleren Alters festzustellen: Mit 43,9<br />

Prozent bef<strong>in</strong>den sich die meisten Nutzer <strong>in</strong> der Altersgruppe der 40 bis 49-jährigen,<br />

gefolgt von den 30 bis 39-jährigen (28,7%). Lediglich sieben Prozent der Kartenbesitzer<br />

s<strong>in</strong>d unter 30 Jahre alt, <strong>und</strong> nur 17,8 Prozent s<strong>in</strong>d über 50 Jahre alt.<br />

Das Ausbildungsniveau der Nutzer der umwelt.plus.karte ist überdurchschnittlich<br />

hoch, denn alle Befragten waren entweder auf e<strong>in</strong>er weiterführenden Schule oder haben<br />

Abitur. Alle<strong>in</strong> zwei Drittel von ihnen haben e<strong>in</strong> Studium absolviert. Menschen mit<br />

e<strong>in</strong>em niedrigeren Ausbildungsniveau s<strong>in</strong>d unter den Nutzern der umwelt.plus.karte<br />

praktisch nicht vertreten.<br />

Der Großteil der Nutzer der umwelt.plus.karte ist entweder voll (38,2%) oder teilberufstätig<br />

(33,2%). Schüler, Auszubildende <strong>und</strong> Studenten auf der e<strong>in</strong>en Seite <strong>und</strong><br />

Rentner auf der anderen Seite s<strong>in</strong>d – wie angesichts der oben dargestellten Altersstruktur<br />

nicht anders zu erwarten – nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Umfange vertreten (jeweils 6,4%).<br />

Zur Ermittlung der Motive für den Erwerb e<strong>in</strong>er umwelt.plus.karte wurden vier hierfür<br />

<strong>in</strong> Frage kommende Begründungsmöglichkeiten vorgegeben: „Ich spare beim E<strong>in</strong>-


Die umwelt.plus.karte 111<br />

kauf“, „Ich tue etwas für die Umwelt“, „Ich unterstütze regionale Anbieter“ <strong>und</strong> „Ich<br />

unterstütze kle<strong>in</strong>e Geschäfte“. Anzugeben war jeweils, ob das Motiv für den Befragten<br />

e<strong>in</strong>e große, mittlere oder ger<strong>in</strong>ge Bedeutung hat. Gemessen an der Ausprägung „Große<br />

Bedeutung“ zeigt sich, dass das Sparmotiv die meisten (66,2%) <strong>und</strong> die Unterstützung<br />

kle<strong>in</strong>er Geschäfte die wenigsten Nennungen (49,0%) erhält. Be<strong>in</strong>ahe gleichauf <strong>und</strong><br />

nahezu exakt zwischen diesen beiden Kaufbegründungen liegen die Motive Umweltschutz<br />

<strong>und</strong> Unterstützung regionaler Anbieter, denen von 58,0 beziehungsweise 56,7<br />

Prozent e<strong>in</strong>e große Relevanz beigemessen wird.<br />

Altersspezifische Unterschiede lassen sich <strong>in</strong>soweit feststellen, als dass die 20 bis<br />

29-jährigen den Spar- <strong>und</strong> Umweltschutzmotiven e<strong>in</strong>e überdurchschnittlich hohe Relevanz<br />

beimessen <strong>und</strong> das für die 50 bis 59-jährigen die Aspekte der Unterstützung<br />

regionaler <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>er Geschäfte überproportional von Bedeutung s<strong>in</strong>d; im Gegensatz<br />

zu allen anderen Altersgruppen bewerten sie diese Motive im Rahmen ihrer altersgruppen<strong>in</strong>ternen<br />

Rangliste der Kaufmotive höher als die Spar- <strong>und</strong> Umweltthematik.<br />

Nutzungs- <strong>und</strong> Bewertungsmuster<br />

Die umwelt.plus.karte ist <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong> Begleiter des täglichen E<strong>in</strong>kaufs. Nur<br />

8,9 Prozent der Nutzer geben an, sie fast täglich e<strong>in</strong>zusetzen, die große Mehrheit von<br />

etwas über 50 Prozent tut dies dagegen nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche, mehr als<br />

e<strong>in</strong> Drittel sogar nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Monat oder noch seltener.<br />

Auf die Vielfalt des Anbieterspektrums greifen die Kartenbesitzer nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr<br />

e<strong>in</strong>geschränkten Maße zurück. So setzen die meisten Nutzer (56,1%) die umwelt.plus.karte<br />

nur bei e<strong>in</strong>em oder bei zwei Anbietern e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> gutes Fünftel nutzt sie<br />

bei drei Anbietern <strong>und</strong> e<strong>in</strong> weiteres Fünftel bei immerh<strong>in</strong> vier bis sieben Geschäften.<br />

Der dar<strong>in</strong> zum Ausdruck kommende ungleich verteilte E<strong>in</strong>satz der umwelt.plus.karte<br />

bei den Anbietern hängt natürlich eng mit der Struktur des Angebotsportfolios zusammen,<br />

das sowohl Güter des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) als auch seltener<br />

nachgefragte Waren <strong>und</strong> Dienstleistungen (z.B. Fährräder, Gerätevermietung) umfasst.<br />

So ist es ke<strong>in</strong> Zufall, dass die an der Karte teilnehmenden Naturkostläden die am häufigsten<br />

frequentierten Anbieter s<strong>in</strong>d.<br />

Die Frage, ob die Mitwirkung an der umwelt.plus.karte den Leistungspartnern neue<br />

K<strong>und</strong>en gebracht hat, lässt sich auf der Basis der erhobenen Daten nicht e<strong>in</strong>deutig beantworten.<br />

Die Antworten hierzu deuten zwar darauf h<strong>in</strong>, dass fast alle Anbieter aufgr<strong>und</strong><br />

der Karte e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enzuwachs zu verzeichnen haben. Die Aussagekraft dieser<br />

Ergebnisse ist jedoch aufgr<strong>und</strong> der sehr kle<strong>in</strong>en Fallzahlen, potenzieller Mitnahmeeffekte<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>er bereits gefällten Entscheidung <strong>und</strong> möglicher Miss<strong>in</strong>terpreta-


112 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

tionen der entsprechenden Formulierung im Fragebogen mit e<strong>in</strong>em großen Fragezeichen<br />

zu versehen.<br />

Das unter dem Dach der umwelt.plus.karte zusammengeschlossene Anbieterspektrum<br />

wird von den Kartenbesitzern als gut bewertet (der auf Basis der Vergabe von Noten<br />

von 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend ermittelte Durchschnitt beträgt 1,8). Bei den Rabatten<br />

dagegen fällt die E<strong>in</strong>schätzung mit e<strong>in</strong>em Durchschnittswert von 3,0 deutlich<br />

zurückhaltender aus, was sich <strong>in</strong>sbesondere aus den schlechten Beurteilungen von<br />

E<strong>in</strong>malrabatten oder von Angeboten erklärt, bei denen bestimmte Warengruppen (z.B.<br />

Frischwaren) von der Rabattierung ausgeschlossen werden.<br />

E<strong>in</strong> sehr wichtiges Indiz für den Grad der Zufriedenheit mit der umwelt.plus.karte ist<br />

schließlich dar<strong>in</strong> zu sehen, ob die Kartennutzer nach dem Ablauf der Gültigkeitsfrist<br />

von e<strong>in</strong>em Jahr e<strong>in</strong>e weitere Karte erwerben wollen oder nicht. Auf die <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

gestellt Frage „Würden Sie die umwelt.plus.karte <strong>in</strong> ihrer jetzigen Form<br />

für e<strong>in</strong> weiteres Jahr erwerben?“ antwortete e<strong>in</strong> gutes Drittel mit „ja“, e<strong>in</strong> weiteres<br />

knappes Drittel mit „wahrsche<strong>in</strong>lich“. Unentschieden („vielleicht“) gibt sich e<strong>in</strong> Fünftel<br />

<strong>und</strong> nur für e<strong>in</strong> Achtel der Kartennutzer kommt e<strong>in</strong> Neuerwerb wahrsche<strong>in</strong>lich oder<br />

sicher nicht <strong>in</strong> Frage.<br />

Fazit der Fragebogenaktion<br />

Soziodemografisch s<strong>in</strong>d die Inhaber der unwelt.plus.karte überwiegend dem bildungsbürgerlichen<br />

Mittelschichtmilieu zuzurechnen, aus dem sich ökologisch <strong>und</strong> nachhaltig<br />

orientierte Konsumenten für gewöhnlich rekrutieren. Damit konnte das im Kommunikationskonzept<br />

anvisierte Ziel, als Kartennutzer auch Personen aus für nachhaltigen<br />

Konsum untypischen Bevölkerungsschichten zu gew<strong>in</strong>nen, bislang weitgehend<br />

nicht erreicht werden. Konkret handelt es sich bei den Kartenbesitzern <strong>in</strong> der Regel um<br />

Frauen mittleren Alters (30-49), die e<strong>in</strong> Studium absolviert haben, teil- oder vollberufstätig<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong>in</strong> Familien oder Lebensgeme<strong>in</strong>schaften mit e<strong>in</strong>em oder zwei<br />

K<strong>in</strong>dern leben. Männer, unter 30-jährige (<strong>und</strong> damit Studenten) <strong>und</strong> über 60-jährige<br />

(<strong>und</strong> damit Rentner), ger<strong>in</strong>g Qualifizierte, S<strong>in</strong>gles <strong>und</strong> Haushalte ohne K<strong>in</strong>der spielen<br />

im Kreis der Kartennutzer dagegen e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Die nach Umsatz <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>enzahl bislang wichtigsten Leistungspartner s<strong>in</strong>d „klassische“ Öko-Anbieter<br />

(z.B. Naturkostläden), die aufgeschlossene, aber konventionelle Käuferschichten nur<br />

bed<strong>in</strong>gt ansprechen. Zudem stellt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der kostenpflichtigen<br />

umwelt.plus.karte aus Sicht von weniger umweltorientierten K<strong>und</strong>en möglicherweise<br />

als nicht attraktiv genug dar.


Die umwelt.plus.karte 113<br />

Alles <strong>in</strong> allem wird der umwelt.plus.karte von ihren Nutzern e<strong>in</strong> gutes Zeugnis ausgestellt,<br />

das gerade <strong>in</strong> der überwiegend geäußerten Absicht, die Karte für e<strong>in</strong> weiteres<br />

Jahr erwerben zu wollen <strong>und</strong> der hohen Wertschätzung der unter ihrem Dach versammelten<br />

Anbieter zum Ausdruck kommt. Von e<strong>in</strong>er ungebrochenen Zufriedenheit mit<br />

den Anwendungsmöglichkeiten der Karte kann jedoch nicht ausgegangen werden.<br />

Vielmehr gibt es deutliche H<strong>in</strong>weise darauf, dass die hauptsächlich aufgr<strong>und</strong> des<br />

Sparmotivs angeschaffte umwelt.plus.karte oftmals die diesbezüglich <strong>in</strong> sie gesetzten<br />

Erwartungen nicht erfüllt. In diese Richtung weisen die im Vergleich zum Anbieterspektrum<br />

recht kritisch bewerteten Rabattangebote, der vielfach auf wenige (Lebensmittel-)Geschäfte<br />

begrenzte E<strong>in</strong>satzbereich <strong>und</strong> der hohe Anteil derjenigen, die die<br />

Karte nur m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Monat oder seltener benutzen.<br />

4 Kritische Würdigung der umwelt.plus.karte<br />

Die umwelt.plus.karte stellt sich derzeit als Erfolg dar. Ihre Akzeptanz ist zu e<strong>in</strong>em<br />

Großteil auf die „E<strong>in</strong>fachheit“ des Konzepts zurückzuführen. So erweist sich das Pr<strong>in</strong>zip<br />

der Selbstverpflichtung der Anbieter h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen<br />

im praktischen Betrieb der Karte als äußerst effizient. Die K<strong>und</strong>ennachfrage ist<br />

auf die offenbar weitgehend e<strong>in</strong>gelöste Motivallianz aus Ökologie-, Spar- <strong>und</strong> Genuss-<br />

Orientierung zurückzuführen. Darüber h<strong>in</strong>aus schafft der Gr<strong>und</strong>satz „direkte Vergünstigung<br />

pro E<strong>in</strong>kauf“ Transparenz bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Karte<br />

<strong>und</strong> sche<strong>in</strong>t im Vergleich zu Bonus- <strong>und</strong> Verrechnungssystemen als die attraktivere<br />

Kartenlogik. Wie jedoch die Umfrage unter den Kartenbesitzern gezeigt hat, stellt das<br />

Rabattsystem die „Achillesferse“ des Konzepts dar. Nicht nur mittels substantieller<br />

Vergünstigungen, sondern erst durch möglichst e<strong>in</strong>heitliche <strong>und</strong> direkte monetäre Benefits<br />

wird dem Kartenbesitzer e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Bestimmung des break even-Punktes<br />

möglich, was auf Dauer e<strong>in</strong>e notwendige Akzeptanzbed<strong>in</strong>gung darstellt.<br />

Die Kostenpflichtigkeit der umwelt.plus.karte kann <strong>in</strong> diesem Zusammenhang – teilweise<br />

entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Kartenentwickler – <strong>in</strong> der K<strong>und</strong>enwahrnehmung<br />

weniger als Hemmschuh, denn vielmehr als „Qualitätsmerkmal“<br />

e<strong>in</strong>es hochwertigen, marktfähigen Produktes betrachtet werden. Als weitere Erfolgsfaktoren<br />

erwiesen sich die Breite des Angebotsspektrums <strong>und</strong> der Neuigkeitsgehalt des<br />

Konzepts <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlichen Vertrautheit mit K<strong>und</strong>enkarten.<br />

Ebenso dürfte die Tatsache förderlich gewesen se<strong>in</strong>, dass die umwelt.plus.karte e<strong>in</strong><br />

Multi-Partner-Programm darstellt, also nicht für jeden e<strong>in</strong>zelnen Anbieter e<strong>in</strong>e K<strong>und</strong>enkarte<br />

benötigt wird.


114 Wilfried Konrad/Gerd Scholl<br />

Die bisherigen Erfahrungen machen aber auch Grenzen des Ansatzes deutlich: Die<br />

umwelt.plus.karte hat bislang nicht <strong>in</strong> signifikantem Maße zu Verhaltensänderungen<br />

führen können. Bisher belohnt sie primär das E<strong>in</strong>kaufsverhalten der bereits Umwelt-<br />

Aktiven. Pr<strong>in</strong>zipiell aktivierbare, weil den Zielsetzungen der Karte gegenüber tendenziell<br />

aufgeschlossene Zielgruppen wie etwa Senioren oder Studenten konnten mit dem<br />

Konzept <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jetzigen Form nicht erreicht werden. Die unterschiedlich gewichteten<br />

Nutzungsmotive von älteren (Unterstützung regionaler <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>erer Anbieter) <strong>und</strong><br />

jüngeren Nutzern (Spar- <strong>und</strong> Umweltschutzmotive) weisen jedoch auf Entwicklungspotenziale<br />

h<strong>in</strong>, auf die im Rahmen zukünftiger Diffusions- <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere Kommunikationsmaßnahmen<br />

stärker gesetzt werden könnte. E<strong>in</strong> weitere Schwäche <strong>in</strong> der aktuellen<br />

Umsetzung illustriert der Bef<strong>und</strong>, dass Synergiepotenziale zwischen den Leistungspartnern<br />

im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Werbegeme<strong>in</strong>schaft bislang nicht beziehungsweise <strong>in</strong> nur<br />

sehr wenigen E<strong>in</strong>zelfällen entfaltet werden konnten. Hatten sich die Kartenentwickler<br />

hier e<strong>in</strong>e gewisse Eigendynamik versprochen, so zeigt sich mittlerweile, dass für derartige<br />

Maßnahmen wie zum Beispiel geme<strong>in</strong>same Sonder- oder Werbeaktionen Anschubaktivitäten<br />

seitens des Kartenbetreibers unabd<strong>in</strong>gbar s<strong>in</strong>d.<br />

Insgesamt haben sich die lokal-regionalen Bed<strong>in</strong>gungen für die Entwicklung <strong>und</strong> Umsetzung<br />

e<strong>in</strong>er ökologisch-sozialen K<strong>und</strong>enkarte als günstig erweisen. In Heidelberg<br />

leben überdurchschnittlich viele umweltorientierte Konsumenten <strong>und</strong> es haben sich<br />

zahlreiche Anbieter nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen auf begrenztem Raum<br />

etablieren können. Der Trend zur Ausweitung des Öko-Angebotes ist ungebrochen.<br />

Auf Kommunen mit ähnlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen wird das Konzept daher aller<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nach übertragbar se<strong>in</strong>. Ob dies auch für veränderte Ausgangsvoraussetzungen<br />

gilt, ist e<strong>in</strong>e offene Frage, die jedoch im Rahmen zukünftiger Bemühungen<br />

um e<strong>in</strong>en Transfer des Konzepts beantwortet werden soll.


Die umwelt.plus.karte 115<br />

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Berl<strong>in</strong>.


Teil III:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />

Situative Anwendungen


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche:<br />

„Best Practices“ aus der Schweiz<br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ist der schweizerische Baumarkt durch e<strong>in</strong> stagnierendes<br />

bis rückläufiges Gesamtvolumen <strong>und</strong> große Überkapazitäten auf der Anbieterseite<br />

gekennzeichnet. Dies führt zu e<strong>in</strong>em ausgeprägten Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerb.<br />

Die ger<strong>in</strong>ge Spezialisierung <strong>und</strong> Differenzierung vieler Bauunternehmen, die<br />

starke Produktorientierung, das reaktive Kurzfristmarket<strong>in</strong>g <strong>und</strong> die mangelnde Innovationsfähigkeit<br />

verstärken die destruktiven Markttendenzen (Bächi 2000, S. 64-76).<br />

Um als Bauunternehmen auf Dauer im Wettbewerb zu bestehen, ist e<strong>in</strong> konstruktiver<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatz vonnöten, der sich an den Bedürfnissen der K<strong>und</strong>en ausrichtet, e<strong>in</strong>e<br />

klare Positionierung anstrebt <strong>und</strong> nutzenorientierte Leistungssysteme be<strong>in</strong>haltet (ebd.,<br />

S. 77-199). E<strong>in</strong> solcher konstruktiver Ansatz kann im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bestehen,<br />

welches bestrebt ist, die K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang mit ökologischen <strong>und</strong><br />

sozialen Anliegen zu br<strong>in</strong>gen (Beitrag Belz).<br />

Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht dar<strong>in</strong>, die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche am Beispiel der Schweiz zu erk<strong>und</strong>en,<br />

wobei der Fokus auf Wohn- <strong>und</strong> Bürohäusern liegt (Neubau <strong>und</strong> Sanierung bzw. Modernisierung).<br />

Der Gr<strong>und</strong> für die Schwerpunktsetzung auf Wohn- <strong>und</strong> Bürohäuser liegt<br />

<strong>in</strong> der wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Bedeutung, die diesem Bereich zukommt.<br />

In die Untersuchung werden direkt <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkt am Bauprozess beteiligte Unternehmen<br />

e<strong>in</strong>bezogen, d.h. Planer, Architekten, Baumateriallieferanten, Bauelementelieferanten,<br />

Bau- <strong>und</strong> Generalunternehmen. Bauunternehmen erbr<strong>in</strong>gen die Bauleistungen,<br />

d.h. sie stellen die Gebäude vor Ort her. Generalunternehmen übernehmen zusätzlich<br />

zu den Bauleistungen auch Planungsleistungen, d.h. sie planen <strong>und</strong> koord<strong>in</strong>ieren<br />

alle Tätigkeiten, die zur Erstellung des Gebäudes notwendig s<strong>in</strong>d. Da es den Rahmen<br />

der Untersuchung sprengen würde, können Tiefbau (Verkehr, Ver-/ Entsorgung)<br />

<strong>und</strong> gewerblicher Hochbau (Industriebauten) nicht näher betrachtet werden. Die empirischen<br />

Ergebnisse beruhen primär auf 19 teilstandardisierten, offenen Interviews mit<br />

27 Experten aus der Baubranche, welche die Autoren zwischen August <strong>und</strong> Dezember


120 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

2002 persönlich geführt haben. Zu den befragten Unternehmen bzw. Institutionen zählen:<br />

ABB, Alfred Müller AG, Allreal, Amste<strong>in</strong> + Walthert, Baugenossenschaft Milchbuck,<br />

Blumer-Lehmann, Flumroc, Forbo, Häusle & Koller, HG Commerciale, Industrial<br />

Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g, Landis, Metron, M<strong>in</strong>ergie, Schweizer Metallbau, Sarnafil International,<br />

Schweizer Normenvere<strong>in</strong>igung, Swiss Susta<strong>in</strong>able Systems, <strong>und</strong> WWF. Die fünf<br />

Leitfragen der Interviews lauteten:<br />

� Was s<strong>in</strong>d nachhaltige Produkte <strong>und</strong> Leistungen im Bereich Bauen <strong>und</strong> Wohnen?<br />

� Wor<strong>in</strong> kann der K<strong>und</strong>enmehrwert sozialer <strong>und</strong> ökologischer Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />

bestehen?<br />

� Welche Maßnahmen ergreift Ihr Unternehmen auf der strategischen <strong>und</strong> operativen<br />

Ebene, um den K<strong>und</strong>en soziale <strong>und</strong> ökologische Aspekte näher zu br<strong>in</strong>gen?<br />

� Werden durch die Orientierung am Leitbild der Nachhaltigkeit neue K<strong>und</strong>en gewonnen<br />

oder resultiert daraus e<strong>in</strong>e stärkere K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dung?<br />

� Wie werden die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für nachhaltiges Bauen festgelegt? Wer s<strong>in</strong>d<br />

die zentralen Akteure?<br />

Die Interviews dauerten jeweils zwischen 60 <strong>und</strong> 120 M<strong>in</strong>uten, wurden digital aufgezeichnet<br />

<strong>und</strong> als Ergebnisprotokolle schriftlich festgehalten. Ergänzend wurden (Unternehmens-)Dokumentationen<br />

erhoben <strong>und</strong> systematisch im H<strong>in</strong>blick auf Aspekte des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ausgewertet. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Literatur-<br />

<strong>und</strong> Internetrecherche betrieben. Anfang 2003 erfolgte e<strong>in</strong>e schriftliche (Konsens-<br />

)Validierung der empirischen Ergebnisse mit ausgewählten Experten.<br />

Der Aufbau des vorliegenden Beitrags ist wie folgt: Zunächst werden die K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />

sowie die sozial-ökologischen Probleme analysiert, die mit der Herstellung,<br />

Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von Gebäuden e<strong>in</strong>hergehen (Kap. 2). Damit wird das für das<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> immanente Spannungsfeld von K<strong>und</strong>enbedürfnissen <strong>und</strong><br />

sozial-ökologischen Problemen beschrieben. Im Hauptteil der Arbeit werden die Möglichkeiten,<br />

aber auch die Grenzen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche<br />

dargestellt (Kap. 3). Die Beispiele von Unternehmen aus der schweizerischen Baubranche<br />

haben exemplarischen Charakter. Es handelt sich um erste identifizierte „Best<br />

Practices“ im S<strong>in</strong>ne des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Abschließend erfolgen e<strong>in</strong>e kurze<br />

Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerungen.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 121<br />

2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der Baubranche im Spannungsfeld<br />

von sozial-ökologischen Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen<br />

Analyse der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme<br />

Die Bauwirtschaft (Planung, Bauhauptgewerbe, Ausbaugewerbe <strong>und</strong> Zuliefer<strong>in</strong>dustrie)<br />

zählt zu den wichtigsten Branchen der schweizerischen Volkswirtschaft. Im Jahr 1997<br />

beschäftigte die Baubranche <strong>in</strong>sgesamt 570.000 Arbeitnehmer (= 21% aller Beschäftigten)<br />

<strong>und</strong> erzielte e<strong>in</strong>en Anteil von r<strong>und</strong> 10% des schweizerischen Brutto<strong>in</strong>landsproduktes<br />

(Schweizerischer Baumeisterverband 1998, S. 1ff.). Mit der Erstellung von<br />

Wohngebäuden befriedigt die Baubranche gr<strong>und</strong>legende menschliche Bedürfnisse<br />

(Schutz, soziales Zusammenleben, Selbstverwirklichung etc.). Dieser hohen Wertschöpfung<br />

steht e<strong>in</strong> nicht unerhebliches Maß an ökologischer <strong>und</strong> sozialer Schadschöpfung<br />

gegenüber, der verstärkt Rechnung zu tragen ist. Die Analyse der negativen<br />

Effekte ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art, die mit Herstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung<br />

von Gebäuden e<strong>in</strong>hergehen, ist e<strong>in</strong>e unerlässliche Informationsgr<strong>und</strong>lage für das<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche. Tabelle 1 gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die<br />

sozial-ökologische Schadschöpfung von Gebäuden entlang des Lebenszyklus von der<br />

Wiege bis zur Bahre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Datenlage <strong>und</strong> -qualität<br />

der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekte unterschiedlich zu beurteilen s<strong>in</strong>d: Während<br />

die Umweltbelastungen <strong>in</strong> der Zwischenzeit umfassend untersucht, teilweise quantitativ<br />

belegbar <strong>und</strong> gut dokumentiert s<strong>in</strong>d (bspw. Koller 1994; ders. 1995; Öko-Institut<br />

1996; dass. 1998), besteht bei den sozialen Problemen <strong>und</strong> Anliegen u.E. noch erheblicher<br />

Forschungsbedarf. Die entsprechenden hier gemachten Aussagen s<strong>in</strong>d als vorläufiger<br />

Entwurf <strong>und</strong> als Diskussionsgr<strong>und</strong>lage zu verstehen. Die Vertiefung der sozialen<br />

Aspekte bleibt weiterer Forschung vorbehalten.<br />

Aus ökologischer Sicht kommt der Erstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von Gebäuden<br />

e<strong>in</strong>e sehr große Bedeutung zu. R<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel aller Stoff- <strong>und</strong> Energieflüsse <strong>und</strong> der<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Umweltprobleme s<strong>in</strong>d dem Bedürfnisfeld Bauen/Wohnen zuzuordnen<br />

(Behrensmeier/Br<strong>in</strong>gezu 1995; BUND/Misereor 1997, S. 102-109).<br />

� Auf der ersten Stufe der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung/Baumaterialherstellung ist zunächst<br />

der hohe Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen zu nennen (Koller 1995,<br />

S. 122-145). Der Rohstoffabbau stellt e<strong>in</strong>en tiefen E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die bestehende Natur<br />

dar <strong>und</strong> hat negative Auswirkungen auf die Ökosysteme. Die Herstellung von Baustoffen<br />

wie Zement, Ziegeln, Kunststoffen, Dämmstoffen, B<strong>in</strong>demitteln usw. ist<br />

mit hohen Energieverbräuchen <strong>und</strong> Luftemissionen verb<strong>und</strong>en.


122 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

� Die Planungsphase selbst verursacht ke<strong>in</strong>e wesentlichen negativen ökologische<br />

Effekte. Allerd<strong>in</strong>gs werden <strong>in</strong> diesem Stadium Ausmaß <strong>und</strong> Art der negativen ökologischen<br />

Effekte während der Bau-, Verwendungs- <strong>und</strong> Post-Verwendungsphase<br />

wesentlich bee<strong>in</strong>flusst.<br />

� In der Bauphase ist darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass im Gegensatz zur Modernisierung<br />

von Altbauten die Erstellung neuer Gebäude mit Bodenverbrauch verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Bezüglich der Ökologie ist es e<strong>in</strong>e zentrale Frage, ob es sich um e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>familienhaus<br />

auf der grünen Wiese ohne Anschluss an den öffentlichen Verkehr handelt<br />

oder um e<strong>in</strong>e Wohnsiedlung <strong>in</strong> gut erschlossenem Gebiet. Ersteres ist mit e<strong>in</strong>em<br />

vergleichsweise hohen Flächenverbrauch verb<strong>und</strong>en (<strong>in</strong>klusive Zufahrtswege) <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>duziert <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> hohes Maß an motorisiertem Individualverkehr, während<br />

letzteres aus ökologischer Sicht besser zu beurteilen ist. In dicht besiedelten Ländern<br />

wie der Schweiz ist Boden e<strong>in</strong>e knapp werdende Ressource. Zudem fallen<br />

beim Bauprozess alkalische Abwässer an, die neben Zementrückständen auch zahlreiche<br />

Schadstoffe be<strong>in</strong>halten <strong>und</strong> die Böden sowie das Gr<strong>und</strong>wasser gefährden.<br />

� Auf der Stufe der Nutzung s<strong>in</strong>d die direkten <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkten Umwelte<strong>in</strong>wirkungen<br />

besonders hoch. Während der Nutzung e<strong>in</strong>es Gebäudes wird <strong>in</strong> etwa zehnmal soviel<br />

Energie verbraucht wie bei der Erstellung. Die entscheidende Größe für den<br />

Energieverbrauch während der Nutzungsphase ist die Raumwärme. Neben dem<br />

Nutzerverhalten hängt der Energieverbrauch entscheidend vom Stand der Technik<br />

ab. Seit Mitte der 1970er Jahre s<strong>in</strong>d erhebliche Fortschritte <strong>in</strong> der Wärmedämmung<br />

<strong>und</strong> Isolation erzielt worden, die zu e<strong>in</strong>er Erhöhung der Energieeffizienz führten.<br />

Dieser Aspekt gew<strong>in</strong>nt auch <strong>in</strong> der Altbausanierung zunehmend an Bedeutung,<br />

kann doch hier die ökologische Schadschöpfung durch spezifische Baumaßnahmen<br />

e<strong>in</strong>gedämmt werden. Die nachweislich erzielten Energieeffizienzvorteile aufgr<strong>und</strong><br />

verbesserter Baumaterialien werden jedoch durch e<strong>in</strong>e Änderung des Wohn- <strong>und</strong><br />

Nutzerverhaltens, dem sog. Rebo<strong>und</strong>-Effekt (über-)kompensiert: Der gesamte Energieverbrauch<br />

im Wohnbereich ist seit den 1970er Jahren nicht gesunken, sondern<br />

sogar leicht angestiegen aufgr<strong>und</strong> der Zunahme an Komfortansprüchen <strong>und</strong><br />

Wohnfläche pro Kopf. E<strong>in</strong>e zweite wichtige Umweltbelastung auf der Stufe Nutzung/Betrieb<br />

ist der hohe Frisch- bzw. Tr<strong>in</strong>kwasserverbrauch der Privathaushalte.<br />

� Auf der letzten Stufe der Wiederverwertung/Entsorgung besteht das ökologische<br />

Kernproblem <strong>in</strong> den großen Abfallmengen: In der Schweiz entstehen jährlich r<strong>und</strong><br />

7 Mio. Tonnen Bauabfälle, die wiederzuverwerten bzw. zu entsorgen s<strong>in</strong>d. Dies<br />

entspricht r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Tonne Bauabfall pro Kopf <strong>und</strong> Jahr. Teilweise werden die mit


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 123<br />

toxischen Substanzen zersetzten Bauabfälle <strong>in</strong> Deponien zwischen- oder endgelagert,<br />

die noch nicht mit wirkungsvollen Abdichtungs- <strong>und</strong> Kontrollsystemen ausgestattet<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong> Langzeitrisiko für Boden, Gr<strong>und</strong>wasser <strong>und</strong> Oberflächengewässer<br />

auf lokaler bzw. regionaler Ebene darstellen.<br />

Branchen-<br />

stufe<br />

Negative<br />

Effekte<br />

Ökologische<br />

Rohstoff-<br />

gew<strong>in</strong>nung/<br />

Baumaterialherstellung<br />

Hoher Verbrauch<br />

an nicht<br />

erneuerbaren<br />

Ressourcen<br />

E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> Ökosysteme<br />

beim<br />

Rohstoffabbau<br />

Hoher Energieverbrauch<br />

<strong>und</strong><br />

Luftemissionen<br />

bei Baumaterialherstellung<br />

Soziale Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

(Ges<strong>und</strong>heit)<br />

...<br />

Planung Bauprozess/<br />

Transport<br />

... Bodenver-<br />

siegelung<br />

Nicht altersgerechterWohnraum<br />

Nicht beh<strong>in</strong>dertengerechter<br />

Wohnraum<br />

Ungenügende<br />

Partizipation der<br />

Nutzer <strong>in</strong> der<br />

Planungsphase<br />

Alkalische Abwässer <br />

Energieverbrauch<br />

Lärm-/Luft-<br />

emissionen<br />

(beim Transport) <br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

(Sicherheit,<br />

Ges<strong>und</strong>heit)<br />

...<br />

Gebäude-<br />

nutzung<br />

Hoher Energieverbrauch(abhängig<br />

vom<br />

Nutzerverhalten<br />

<strong>und</strong> dem Stand<br />

der Technik)<br />

Luftemissionen<br />

Hoher Frischwasserverbrauch<br />

Wohngifte<br />

Ungenügender<br />

Benutzer-/<br />

Wohnkomfort<br />

Mangel an<br />

preisgünstigen<br />

Wohnungen<br />

<strong>in</strong> städtischen<br />

Agglomerationsgebieten<br />

...<br />

Gebäude-<br />

entsorgung<br />

Große Abfallmengen(teilweise<br />

toxisch)<br />

...<br />

Schleichende<br />

Umweltvergiftung<br />

Tabelle 1: Sozial-ökologische Schadschöpfung von Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäuden entlang des gesamten<br />

Lebenszyklus (Eigene Darstellung nach Koller 1994, 1995; Öko-Institut 1996, 1998;Belz 2001)<br />

Bei den sozialen Problemen, die <strong>in</strong> der schweizerischen Baubranche anzutreffen s<strong>in</strong>d,<br />

handelt es sich <strong>in</strong> der Regel nicht um e<strong>in</strong>e Frage des Überlebens, sondern eher um<br />

Fragen des guten Lebens. Fast ausschließlich alle Schweizer haben „e<strong>in</strong> Dach über<br />

dem Kopf“. Die Zahl der Obdachlosen ist verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g.


124 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

� Auf der ersten Stufe der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung/Baumaterialherstellung können ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Probleme am Arbeitsplatz entstehen.<br />

� In der Planung der Wohngebäude ist zukünftig vermehrt dem demographischen<br />

Wandel Rechnung zu tragen, d.h. dem Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> der Zunahme<br />

der älteren Bevölkerung. Das Angebot von altersgerechten Wohnformen ist e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Herausforderung für die Baubranche. Darüber h<strong>in</strong>aus ist auch an M<strong>in</strong>derheiten<br />

zu denken, <strong>in</strong>sbesondere Beh<strong>in</strong>derte.<br />

� Auf der Stufe der Bauerstellung stellt sich die Frage der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen (Sicherheit,<br />

Ges<strong>und</strong>heit). Da der Bau vor Ort bei fast jedem Wetter durchgeführt werden<br />

muss, s<strong>in</strong>d die körperlichen Belastungen für die Arbeitnehmer vergleichsweise<br />

hoch. E<strong>in</strong>e Forderung der Gewerkschaft ist daher die Frühpensionierung der Bauarbeiter.<br />

� Auf der Stufe der Nutzung s<strong>in</strong>d zunächst die Wohngiftbelastungen zu nennen.<br />

Zahlreiche Baumaterialien <strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungsgegenstände können die Luftqualität<br />

im Innenraum negativ bee<strong>in</strong>trächtigen <strong>und</strong> toxisch-allergische Wirkungen entfalten<br />

(Schwarz 1991). Versteht man Ges<strong>und</strong>heit nicht nur als die Abwesenheit von<br />

Krankheiten, sondern im umfassenden S<strong>in</strong>n als Wohlfühlen, dann kommt dem Benutzer-<br />

<strong>und</strong> Wohnkomfort e<strong>in</strong>e große Bedeutung zu, der sich <strong>in</strong> Behaglichkeit,<br />

Licht, Wärme <strong>und</strong> Ästhetik ausdrückt. Altbauten, die diesen Standards nicht mehr<br />

gerecht werden, bee<strong>in</strong>trächtigen die Wohnqualität negativ. Aus sozialer Sicht spielt<br />

vermehrt der Mangel an bezahlbaren größeren Wohnungen <strong>in</strong> städtischen Agglomerationsgebieten<br />

e<strong>in</strong>e Rolle. Vielfach sehen sich Familien aus Kostengründen gezwungen,<br />

<strong>in</strong> das Umland zu ziehen. Arbeiten die Eltern <strong>in</strong> der Agglomeration, entstehen<br />

nicht-<strong>in</strong>tendierte sozial-ökologische Nebenfolgen durch den beruflich bed<strong>in</strong>gten<br />

Pendelverkehr (sog. „Zwangsmobilität“).<br />

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass sowohl bei der Herstellung als auch bei<br />

der Nutzung von Gebäuden ökologische <strong>und</strong> soziale Probleme entstehen können. Aus<br />

den Interviews mit den Experten wird deutlich, dass der Sensibilisierungsgrad für ökologische<br />

Fragen <strong>in</strong> der Baubranche allgeme<strong>in</strong> recht hoch ist. Sozialen Problemen <strong>und</strong><br />

Anliegen, die im Zusammenhang mit der Erstellung, Nutzung <strong>und</strong> Entsorgung von<br />

Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäuden stehen, werden h<strong>in</strong>gegen noch weniger Aufmerksamkeit<br />

geschenkt. Wird von Unternehmen der Baubranche e<strong>in</strong> konstruktiver Ansatz im S<strong>in</strong>ne<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verfolgt, dann ist sowohl sozialen als auch ökologischen<br />

Aspekten Rechnung zu tragen. E<strong>in</strong> Schlüsselpunkt zur Reduktion der sozialökologischen<br />

Schadschöpfung besteht <strong>in</strong> der Planungsphase sowohl bei Neubauten als


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 125<br />

auch bei Modernisierungen. Hier kann zum Beispiel E<strong>in</strong>fluss genommen werden auf<br />

den Energieverbrauch während der Nutzungsphase, den E<strong>in</strong>satz umweltfre<strong>und</strong>licher<br />

<strong>und</strong> schadstofffreier Baumaterialien sowie die Schaffung beh<strong>in</strong>dertengerechten Wohnraums<br />

<strong>und</strong> flexibler Wohn- <strong>und</strong> Bürokonzepte.<br />

Analyse der K<strong>und</strong>engruppen <strong>und</strong> -bedürfnisse<br />

Das gesamte Wohnungsbauvolumen betrug <strong>in</strong> der Schweiz im Jahr 1997 knapp<br />

11 Mrd. Euro (B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1998, S. 45ff.). Auf den Neubau entfallen<br />

8,3 Mrd. Euro (= 75%) <strong>und</strong> auf die Erneuerung der bestehenden Infrastruktur 2,7 Mrd.<br />

Euro (= 25%). Während der letzten zwei Jahrzehnte ist der Anteil der Instandhaltung<br />

<strong>und</strong> Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen kont<strong>in</strong>uierlich von 19% auf<br />

25% gestiegen (B<strong>und</strong>esamt für Statistik 1998). Diesem Segment kommt auch <strong>in</strong> Zukunft<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle als Wachstumsmotor <strong>in</strong> der Baubranche zu. Insgesamt ist der<br />

Wohnungsbaumarkt jedoch stagnierend, wenn nicht sogar rückläufig. Gegenüber der<br />

Hochphase der Bauwirtschaft während der 1980er Jahre hat das gesamte Marktvolumen<br />

um fast 20% abgenommen. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann man im Wohnungsbaumarkt drei<br />

verschiedene K<strong>und</strong>engruppen unterscheiden, die unterschiedliche Ziele, Wertorientierungen,<br />

bevorzugte Objekte <strong>und</strong> Merkmale aufweisen: Selbstnutzende, kommerziell<br />

orientierte <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>nützig orientierte Eigentümer.<br />

R<strong>und</strong> 30% der Bauherren benutzen die neu erstellten Wohne<strong>in</strong>heiten bzw. Häuser selber.<br />

Dabei handelt es sich ausschließlich um Privatpersonen, die sich den „Traum vom<br />

Eigenheim“ erfüllen (Bächi 2000, S. 32-33). Im Vergleich zu anderen westeuropäischen<br />

Ländern wie bspw. Norwegen, Schweden, F<strong>in</strong>nland, Großbritannien, Spanien,<br />

Österreich <strong>und</strong> Frankreich ist die Wohneigentumsquote <strong>in</strong> der Schweiz sehr niedrig.<br />

Für die selbstnutzenden Eigentümer s<strong>in</strong>d der Gebrauchswert <strong>und</strong> die Tragbarkeit der<br />

Gesamtkosten zentral. Bevorzugte Objekte s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>familienhäuser. Entsprechend hoch<br />

ist der Flächenbedarf. E<strong>in</strong> typisches Merkmal dieser Gruppe ist, dass sie ke<strong>in</strong>e oder<br />

wenig Bauerfahrung besitzt. Die Expertise entwickelt sich allenfalls im Laufe des<br />

Bauprojektes. Daraus resultiert zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der Anfangsphase e<strong>in</strong>e hohe Abhängigkeit<br />

vom Architekten bzw. Planer. Nichtsdestotrotz f<strong>in</strong>den sich nach den Aussagen der<br />

Interviewpartner gerade bei den Privatpersonen e<strong>in</strong>e Reihe von Öko- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Pionieren.<br />

Dabei handelt es sich ke<strong>in</strong>esfalls um e<strong>in</strong>e homogene Zielgruppe. Wie<br />

e<strong>in</strong>e breit angelegte Längsschnittstudie mit 500 Käufern von Niedrigenergiehäusern <strong>in</strong><br />

Deutschland zeigt, kann man im H<strong>in</strong>blick auf die Wertüberzeugungen <strong>und</strong> typischen<br />

Aktivitäten drei verschiedene Lebensstilgruppen bzw. Käufersegmente differenzieren<br />

(W<strong>in</strong>kler/Niedergesäss 2000, S. 3): Für die Gruppe der „moralisch Umweltorientier-


126 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

ten“ spielen neben den ökologischen Werten auch die sozialen Werte e<strong>in</strong>e große Rolle.<br />

Umwelt- <strong>und</strong> sozialpolitische Anliegen werden eher emotional <strong>und</strong> moralisch als strategisch-praktisch<br />

gesehen <strong>und</strong> angegangen. Diese Gruppe ist sehr skeptisch gegenüber<br />

technischem Fortschritt e<strong>in</strong>gestellt. Im Gegensatz dazu steht die Gruppe der „technisch-praktisch<br />

Umweltorientierten“, die Umweltschutz <strong>und</strong> Energiesparen als wichtige<br />

gesellschaftspolitische Ziele betrachten <strong>und</strong> offen gegenüber modernen Technologien<br />

bzw. technischen Lösungen s<strong>in</strong>d. Dieses Segment ist sehr praktisch veranlagt <strong>und</strong><br />

sieht zahlreiche Möglichkeiten, eigene Beiträge zum Umweltschutz zu liefern. Für die<br />

dritte Gruppe der „wirtschaftlich Erfolgsorientierten“ haben Umweltschutz <strong>und</strong> Energiesparen<br />

e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren Stellenwert. Sie s<strong>in</strong>d vor allem an der Familie <strong>und</strong> dem<br />

beruflichen Erfolg <strong>in</strong>teressiert. Ökologische Angebote wie das Niedrigenergiehaus<br />

beurteilen sie vorrangig im H<strong>in</strong>blick auf die Wirtschaftlichkeit <strong>und</strong> die f<strong>in</strong>anzielle Belastung.<br />

Im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gilt es, den unterschiedlichen sozialökologischen<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnissen aufzuspüren <strong>und</strong> <strong>in</strong> der konkreten Umsetzung<br />

Rechnung zu tragen.<br />

Die kommerziell orientierten Eigentümer, die e<strong>in</strong>en Anteil von ca. 60% am gesamten<br />

Wohnungsbaumarkt haben, s<strong>in</strong>d beim Häuserbau vor allen D<strong>in</strong>gen an e<strong>in</strong>er sicheren<br />

Geldanlage <strong>und</strong> der Wertsteigerung <strong>in</strong>teressiert (Bächi 2000, S. 33-34). Dabei handelt<br />

es sich um so unterschiedliche Gruppen wie Privatpersonen, <strong>in</strong>stitutionelle Anleger<br />

sowie Bau- <strong>und</strong> Immobiliengenossenschaften. Für sie s<strong>in</strong>d der Tauschwert <strong>und</strong> die<br />

Marktfähigkeit der Wohnung, d.h. die Miete, zentral. Anstatt E<strong>in</strong>familienhäuser bevorzugen<br />

sie <strong>in</strong> der Regel Mehrfamilienhäuser, die e<strong>in</strong>e größere Rendite versprechen.<br />

Bei <strong>in</strong>stitutionellen Anlegern dürfen im Gegensatz zu den Privatpersonen gute Baukenntnisse<br />

vorausgesetzt werden.<br />

Geme<strong>in</strong>nützig orientierte Eigentümer wie Wohnungsbaugenossenschaften, die öffentliche<br />

Hand, Stiftungen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e haben e<strong>in</strong>en Anteil von r<strong>und</strong> 10% am schweizerischen<br />

Wohnungsbaumarkt. Für sie steht die Geme<strong>in</strong>nützigkeit im Vordergr<strong>und</strong>. Wohnungsbaugenossenschaften<br />

nehmen e<strong>in</strong>e Doppelrolle e<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>erseits s<strong>in</strong>d sie Nachfrager<br />

nach Leistungen am Wohnungsbaumarkt, andererseits Anbieter von Leistungen am<br />

Mietwohnungsmarkt (ebd., S. 35). Wohnungsbaugenossenschaften stellen vorwiegend<br />

günstige Mietwohnungen für sozial Schwächere <strong>in</strong> städtischen Agglomerationsgebieten<br />

zur Verfügung. E<strong>in</strong> gutes Beispiel ist die Baugenossenschaft Milchbuck (bgm), die<br />

r<strong>und</strong> 1000 Wohnungen im Großraum Zürich verwaltet <strong>und</strong> vermietet (bgm 2002). Die<br />

Unternehmenspolitik der bgm orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. In den<br />

Unternehmensgr<strong>und</strong>sätzen heißt es (bgm 1997): „Wir agieren: ökologisch bewusst,<br />

sozial verantwortlich, ökonomisch erfolgreich.“ Ökologisch bewusst heißt für die bgm


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 127<br />

vor der Beschaffung bereits an die Entsorgung zu denken, ökologische Baumaterialien<br />

e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> auf Alternativenergien umzusteigen (z.B. Sonnenkollektoren, Holzschnitzel,<br />

Fernwärme). Die soziale Verantwortung wird <strong>in</strong> der Form wahrgenommen,<br />

dass der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit auf familien- <strong>und</strong> k<strong>in</strong>derfre<strong>und</strong>lichen<br />

Wohnungen liegt, dass preisgünstige Alterswohnungen erhalten bzw. erweitert werden<br />

<strong>und</strong> dass überbaute Wohnungen rollstuhlgängig gemacht werden. Der ökonomische<br />

Erfolg bemisst sich <strong>in</strong> der Vermeidung jeglichen Leerwohnungsbestandes, der dauerhaften<br />

Wertsicherung des Vermögens <strong>und</strong> der überdurchschnittlichen Verz<strong>in</strong>sung des<br />

Anteilsche<strong>in</strong>kapitals. Mit diesen Zielsetzungen leistet die bgm substantielle Beiträge<br />

zur Reduktion der sozial-ökologischen Schadschöpfung <strong>und</strong> gibt als Nachfrager von<br />

Bauleistungen wichtige Impulse für die vorgelagerten Stufen, d.h. für die Bauunternehmen<br />

<strong>und</strong> Baumaterialhersteller.<br />

3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Unternehmen <strong>in</strong> der Baubranche<br />

Normative Ebene<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> orientiert sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung,<br />

welche die Bedürfnisse der heutigen Generation auf e<strong>in</strong>e Art <strong>und</strong> Weise befriedigen<br />

will, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff<br />

1987). Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen Ökonomie, Ökologie <strong>und</strong><br />

Soziales (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die von Unternehmen verantwortungsvoll <strong>in</strong>tegriert<br />

werden müssen (Dyllick/Hockerts 2002, S. 130-141). Die <strong>in</strong>tegrierte Betrachtung<br />

von ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten erhöht die Anforderungen im<br />

Produkt- <strong>und</strong> Leistungsbereich (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Dabei geht es nicht um die<br />

e<strong>in</strong>malige Aussöhnung der Trias, sondern vielmehr um e<strong>in</strong> permanentes Abwägen vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sich verändernder Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Die Verankerung der Nachhaltigkeit<br />

<strong>in</strong> Unternehmensleitbildern <strong>und</strong> -gr<strong>und</strong>sätzen erleichtert diese anspruchsvolle<br />

Aufgabe <strong>und</strong> gibt normative Orientierungen für das Management <strong>und</strong> die Mitarbeiter<br />

(Beitrag Belz). E<strong>in</strong> exemplarisches Beispiel für die Verankerung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>gedankens<br />

im Unternehmensleitbild ist die Ernst Schweizer AG, die mit knapp<br />

500 Mitarbeitern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Umsatz von 72 Mio. Euro im Jahr 2003 e<strong>in</strong>es der größten<br />

Metallbauunternehmen der Schweiz ist (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 2).<br />

Sie bietet Lösungen für den Neubau <strong>und</strong> die Instandhaltung <strong>und</strong> Modernisierung von<br />

Wohn- <strong>und</strong> Bürohäusern an <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> den Bereichen Fassaden, Fenster, Metallbau <strong>und</strong><br />

Sonnenenergie tätig. Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau<br />

besteht aus vier Eckpfeilern (Abb. 1).


128 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

MitarbeiterInnen<br />

Gesellschaft<br />

K<strong>und</strong>enorientierung<br />

Schweizer<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Umwelt<br />

Abbildung 1: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau<br />

(Quelle: Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 4)<br />

An erster <strong>und</strong> oberster Stelle des Leitbilds steht die K<strong>und</strong>enorientierung. Zentrale Erfolgsfaktoren<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>novative Lösungen, die den Bedürfnissen der K<strong>und</strong>en entsprechen,<br />

<strong>und</strong> Zuverlässigkeit im H<strong>in</strong>blick auf Qualität <strong>und</strong> Zeit, der im Laufe e<strong>in</strong>es Bauprojektes<br />

sehr große Bedeutung zukommt. Durch k<strong>und</strong>enorientiertes Verhalten <strong>und</strong><br />

aktive Kommunikation werden langfristige K<strong>und</strong>enbeziehungen geschaffen. In dem<br />

zweiten Punkt kommt die Mitarbeiter- <strong>und</strong> Gesellschaftsorientierung zum Ausdruck.<br />

Die Ernst Schweizer AG Metallbau reduziert ihre Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />

nicht auf die Rolle als Arbeitskräfte, sondern sieht sie im umfassenden S<strong>in</strong>n als Menschen.<br />

Sie <strong>in</strong>formiert offen über die wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Aspekte<br />

ihrer Geschäftstätigkeit, setzt sich für korrektes, ehrliches Geschäftsverhalten e<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> unterstützt e<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaftsentwicklung. Damit wird auch die gesellschaftspolitische<br />

Mitverantwortung angesprochen, welche die Unternehmungsleitung<br />

<strong>und</strong> die Führungskräfte der Unternehmung aktiv wahrnehmen. In Verbänden <strong>und</strong><br />

Gremien setzen sie sich für soziale <strong>und</strong> ökologische Anliegen e<strong>in</strong>. Neben der Qualität<br />

<strong>und</strong> der Zuverlässigkeit ist die Umweltorientierung e<strong>in</strong> weiterer Erfolgsfaktor der<br />

Ernst Schweizer AG Metallbau. Sie achtet auf e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Umweltbelastung entlang<br />

des gesamten Lebenszyklus der Produkte von der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung über die<br />

Herstellung, Montage <strong>und</strong> Anwendung bis zum Recycl<strong>in</strong>g <strong>und</strong> zur Entsorgung. E<strong>in</strong>en<br />

besonderen Umweltbeitrag leistet die Ernst Schweizer AG durch ihre Produkte zur


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 129<br />

Energiee<strong>in</strong>sparung <strong>und</strong> Sonnenenergienutzung. Die Wirtschaftlichkeit <strong>und</strong> der Erfolg<br />

als vierter Eckpunkt ist nicht e<strong>in</strong> Wert per se, sondern dient der Werterhaltung <strong>und</strong><br />

Weiterentwicklung der Unternehmung, dem Mitarbeiterbonus <strong>und</strong> der Dividende. E<strong>in</strong>e<br />

ausreichende Eigenkapitalf<strong>in</strong>anzierung ist notwendig, um die Selbständigkeit als Familienunternehmen<br />

auf Dauer zu bewahren (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004).<br />

Elemente der Nachhaltigkeit f<strong>in</strong>den sich auch <strong>in</strong> der Unternehmensphilosophie der<br />

Renggli AG, e<strong>in</strong>em Familienunternehmen, welches 1923 <strong>in</strong> Schötz (Luzern) gegründet<br />

wurde. Mit e<strong>in</strong>er Reihe von Innovationen gehört die Renggli AG zu den führenden<br />

Holzbauunternehmen der Schweiz: 1995 wurde e<strong>in</strong> neues Werk für <strong>in</strong>dustrielle Fertigung<br />

von Holzbauelementen e<strong>in</strong>geweiht, 1998 wurden die ersten M<strong>in</strong>ergiehäuser der<br />

Schweiz erstellt <strong>und</strong> 1999 die erste Passivhaus-Siedlung der Schweiz. Zahlreiche Auszeichnungen<br />

belegen die <strong>in</strong>novativen Leistungen im Bereich des nachhaltigen Bauens.<br />

Die Unternehmensphilosophie lautet „Das Ziel heißt Zukunft“: „Das Empf<strong>in</strong>den für<br />

Schönheit ist <strong>in</strong>dividuell. Stil ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Die Bauten von<br />

Renggli setzen Ihre Wünsche an den Wohnkomfort der Zukunft schon heute um. Bei<br />

uns stehen Sie im Mittelpunkt. Das ständige Streben nach Verbesserungen hat zu neuen<br />

Dimensionen <strong>in</strong> der Produktionstechnologie geführt. Die Renggli Produktionstechnologie<br />

ist führend, nachhaltiges Bauen <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>satz von umweltschonenden Materialien<br />

ist selbstverständlich. Der Rohstoff Holz vermittelt hohen Wohnkomfort <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong> angenehmes Wohnklima. Holz ist der e<strong>in</strong>zige nachwachsende Baustoff – e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligentes,<br />

natürliches Hightech Material. Nutzen wir die Gelegenheit!“ Im ersten Teil<br />

der Philosophie kommt die K<strong>und</strong>en-, Zukunfts- <strong>und</strong> Qualitätsorientierung der Unternehmung<br />

zum Ausdruck. Im zweiten Teil wird die Bedeutung des Holzes als e<strong>in</strong> Element<br />

nachhaltigen Bauens hervorgehoben <strong>und</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Wünschen der<br />

K<strong>und</strong>en nach hohem Wohnkomfort <strong>und</strong> angenehmem Wohnklima gebracht (Renggli<br />

AG 2005).<br />

In beiden Fällen handelt es sich um mittelständische Familienunternehmen, die tragende<br />

Säulen der schweizerischen Wirtschaft darstellen <strong>und</strong> nicht lediglich auf das<br />

nächste Quartal fixiert, sondern langfristig orientiert s<strong>in</strong>d. Viele solcher Familienunternehmen<br />

empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e besondere ökonomische, ökologische <strong>und</strong> soziale Verantwortung,<br />

die <strong>in</strong> den Leitbildern zum Ausdruck kommt. Durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Eigenkapitalf<strong>in</strong>anzierung<br />

bewahren sie sich die Selbständigkeit. Anders sieht es bei großen<br />

Bau-/Generalunternehmen aus, die an der Börse kotiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> besonderem Maß<br />

gegenüber Fremdkapitalgebern verpflichtet s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> solches Beispiel wäre die Allreal<br />

Hold<strong>in</strong>g, die im Bau- <strong>und</strong> Immobilienmarkt tätig ist. Ihr Motto lautet: „Allreal schafft<br />

Werte“. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dabei ke<strong>in</strong> umfassender Wert-


130 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

begriff im S<strong>in</strong>ne der Nachhaltigkeit zugr<strong>und</strong>e gelegt wird, sondern dass Unternehmenswert<br />

<strong>und</strong> Shareholdervalue sehr stark im Vordergr<strong>und</strong> stehen.<br />

Damit die Leitbilder handlungsleitende Wirkung entfalten, ist die Erweiterung der<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ziele um ökologische <strong>und</strong> soziale Kriterien s<strong>in</strong>nvoll. So könnte sich e<strong>in</strong><br />

Bau-/Generalunternehmen etwa zum Ziel setzen, den Anteil an energieeffizienten<br />

Häusern zukünftig zu steigern. Doch wie verhalten sich die ökologischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Zielsetzungen zu den ökonomischen? S<strong>in</strong>d die Zielbeziehungen komplementär, konkurrierend<br />

oder <strong>in</strong>different? Diese Fragen lassen sich kaum allgeme<strong>in</strong> beantworten,<br />

sondern allenfalls <strong>in</strong> Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmung <strong>und</strong> Situation.<br />

So bekommt man bspw. aus den Interviews mit diversen Branchenvertretern den E<strong>in</strong>druck,<br />

dass Holzbauunternehmen trotz der angespannten Wirtschaftslage größere<br />

Handlungsspielräume zur Verknüpfung von Ökonomie <strong>und</strong> Ökologie sehen als Massivbauunternehmen.<br />

Liegt das <strong>in</strong> der „Natur der Sache“, sprich <strong>in</strong> dem regenerierbaren<br />

Rohstoff Holz, oder s<strong>in</strong>d die Holzbauunternehmen generell agiler als Massivbauunternehmen?<br />

Strategische Ebene<br />

Wie e<strong>in</strong>gangs dargestellt, ist der schweizerische Baumarkt durch e<strong>in</strong> stagnierendes bis<br />

rückläufiges Volumen gekennzeichnet. Die Stagnation bzw. der Rückgang des Gesamtvolumens<br />

sollte jedoch nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass es Teilsegmente im<br />

schweizerischen Baumarkt gibt, die im Wachsen begriffen s<strong>in</strong>d. Seit den 1980er Jahren<br />

s<strong>in</strong>d Instandhaltung bzw. Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen <strong>in</strong><br />

der Schweiz kont<strong>in</strong>uierlich von 19% auf 25% gestiegen. Dieses Teilsegment weist<br />

wirtschaftliches Wachstum auf, erweist sich gegenüber dem Neubau als ökologisch<br />

vorteilhaft <strong>und</strong> kann bei bedürfnisgerechtem Umbau e<strong>in</strong>en sozialen Mehrwert generieren<br />

(z.B. betreutes, altersgerechtes Wohnen). Für Unternehmen der schweizerischen<br />

Baubranche, die den Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verfolgen, ist es wichtig,<br />

sich als führender Anbieter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Teilsegment klar zu positionieren. E<strong>in</strong>e<br />

solche Positionierung weist bspw. die Batimo AG Bau <strong>und</strong> Energie auf, e<strong>in</strong> Architektur-<br />

<strong>und</strong> Planungsbüro, welches 1987 gegründet worden ist <strong>und</strong> sich ausschließlich auf<br />

die Planung <strong>und</strong> Realisierung von Bauerneuerungsprojekten fokussiert (Batimo 2005).<br />

Beim Umbau spielen aus der Sicht der Batimo AG Nutzungsanforderungen <strong>und</strong> deren<br />

Veränderung, Substanzerhaltung <strong>und</strong> Erneuerung, Verbesserung <strong>und</strong> Optimierung der<br />

funktionalen <strong>und</strong> räumlichen Qualität e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle. Neben re<strong>in</strong> ökonomischen<br />

Kriterien werden auch soziale <strong>und</strong> ökologische Aspekte <strong>in</strong> den Bauerneuerungsprojekten<br />

berücksichtigt, so z.B. <strong>in</strong> der Modernisierung e<strong>in</strong>es Mehrfamilienhauses im


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 131<br />

Kanton Aargau, die energetisch als mustergültig gilt (Bürgi/Raaflaub 1998, S. 16-19;<br />

Belz 2001, S. 124-125).<br />

E<strong>in</strong> wachsendes Teilsegment im Neubau s<strong>in</strong>d energieeffiziente Wohn- <strong>und</strong> Bürogebäude,<br />

worunter Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser subsummiert werden können. Erstere<br />

weisen e<strong>in</strong>en Energieverbrauch von 30-70 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche<br />

<strong>und</strong> Jahr auf, während letztere bei etwa 10-15 kWh liegen. Beiden ist geme<strong>in</strong>sam, dass<br />

sie sehr gut gedämmt s<strong>in</strong>d, Fenster mit Dreifachverglasung <strong>und</strong> kontrollierte Lüftungssysteme<br />

haben. Passivhäuser verzichten auf e<strong>in</strong> aktives Heizsystem <strong>und</strong> nutzen die<br />

Energie der Sonnene<strong>in</strong>strahlung, der Körperwärme <strong>und</strong> der Elektrogeräte, die im<br />

Haushalt verwendet werden. In der Schweiz können energieeffiziente Häuser mit dem<br />

M<strong>in</strong>ergie-Label ausgezeichnet werden, was für e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Energie steht. Das<br />

M<strong>in</strong>ergie-P-Label kennzeichnet Passivhäuser, das M<strong>in</strong>ergie-Label Niedrigenergiehäuser<br />

(Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie 2004, S. 4-6; Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie 2005). Das Architekturbüro Donat<br />

Kamber mit Sitz <strong>in</strong> Basel, welches 1986 gegründet worden ist, fokussiert sich ausschließlich<br />

auf energieeffiziente <strong>und</strong> nachhaltige Architektur. Alle Neu- <strong>und</strong> Umbauten<br />

werden gemäß Niedrigenergie- oder Passivhaus-Standard verwirklicht (Donat<br />

Kamber Architekt 2005). In der Realisierung arbeitet das Architekturbüro eng mit der<br />

Renggli AG zusammen, dem führenden Hersteller von ökologischen, <strong>in</strong>dustriell vorgefertigten<br />

Holz-Systembauten <strong>in</strong> der Schweiz. Durch die langjährige Erfahrung <strong>und</strong> die<br />

<strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit können nicht nur energie-, sondern auch kosteneffiziente<br />

Lösungen realisiert werden. Durch die strategische Kooperation zwischen dem Architekturbüro<br />

<strong>und</strong> der Bau-/Generalunternehmung entsteht e<strong>in</strong>e Situation, die beiden<br />

Partnern zugute kommt <strong>und</strong> Mehrwert für die Bauherren stiftet. Die oben angeführten<br />

Unternehmen konzentrieren sich bewusst auf (nachhaltige) Nischen bzw. Segmente<br />

anstatt den gesamten Markt zu bedienen. Sie verfolgen e<strong>in</strong>e sog. Nischenstrategie.<br />

Damit gehen Vor- <strong>und</strong> Nachteile e<strong>in</strong>her: E<strong>in</strong> Vorteil besteht dar<strong>in</strong>, dass sie K<strong>und</strong>en<br />

besser oder kostengünstiger bedienen können. E<strong>in</strong> Nachteil ist <strong>in</strong> der hohen Abhängigkeit<br />

von e<strong>in</strong>em Produkt- bzw. Marktsegment zu sehen.<br />

Um vom Wachstum der (nachhaltigen) Segmente zu profitieren <strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong> zu großes<br />

Risiko e<strong>in</strong>zugehen, bietet es sich für etablierte Unternehmen an, e<strong>in</strong>e neue strategische<br />

Geschäftssparte oder -e<strong>in</strong>heit zu gründen, die zwar auf die Ressourcen der Gesamtunternehmung<br />

zurückgreifen kann, aber eigenständig mit Gew<strong>in</strong>nverantwortung<br />

<strong>in</strong> den neu entstehenden Marktsegmenten agiert. E<strong>in</strong> Beispiel hierfür ist die Kästli AG<br />

Bauunternehmung, die mit r<strong>und</strong> 200 Mitarbeitern vor allem im Erd-, Tief-, Straßen<strong>und</strong><br />

Belagsbau tätig ist. Die Kästli AG hat die Eckste<strong>in</strong>e der Nachhaltigkeit („wirtschaftlich<br />

– gesellschaftlich – ökologisch“) im Leitbild verankert. Die Umsetzung wird


132 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

durch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Managementsystem sichergestellt, welches gemäß ISO 9001 <strong>und</strong><br />

ISO 14001 <strong>in</strong>klusive Arbeitssicherheit zertifiziert ist. Im Jahr 2002 hat die Kästli AG<br />

e<strong>in</strong>e neue Geschäftssparte etabliert, die sich am gesamten Bauzyklus (Planung, Erstellung,<br />

Nutzung, Unterhalt, Rückbau, Verwertung) ausrichtet. Die Sparte „Umweltbau“<br />

bietet ihren K<strong>und</strong>en Leistungen wie Umweltbauberatung, Coach<strong>in</strong>g, Bauvorbereitung<br />

<strong>und</strong> -erstellung, die phasenübergreifend s<strong>in</strong>d (Kästli AG Bauunternehmung 2005). E<strong>in</strong><br />

weiteres Beispiel ist die Ernst Schweizer AG Metallbau, welche oben mit dem Unternehmensleitbild<br />

bereits vorgestellt worden ist. Die Produktpalette der Ernst Schweizer<br />

AG Metallbau umfasst neben Fassaden, Fenstern <strong>und</strong> Metallbau auch Sonnenergie<br />

(Sonnenkollektoren, Solarkompaktanlagen, Transparente Wärmedämmung). Der<br />

Kerngedanke der Produkte besteht <strong>in</strong> der passiven <strong>und</strong> aktiven Sonnenenergienutzung.<br />

Nach Ansicht der Ernst Schweizer AG Metallbau werden Fassaden zukünftig vermehrt<br />

die Rolle von aktiven Energielieferanten übernehmen. Die Geschäftse<strong>in</strong>heit Sonnenergie<br />

wurde bereits Anfang der 1980er Jahre aufgebaut. Trotz großer Anstrengungen <strong>und</strong><br />

Investitionen macht die Geschäftse<strong>in</strong>heit aufgr<strong>und</strong> der schwierigen Marktbed<strong>in</strong>gungen<br />

auch nach 25 Jahren immer noch e<strong>in</strong>en relativ kle<strong>in</strong>en Anteil des Gesamtumsatzes aus.<br />

Viele Unternehmen, die ausschließlich auf dieses Segment gesetzt haben, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

Zwischenzeit wieder Konkurs gegangen oder aufgekauft worden. Dessen ungeachtet<br />

hält die Ernst Schweizer AG Metallbau konsequent an der aktiven Sonnenenergienutzung<br />

fest <strong>und</strong> setzt konsequent auf weitere Produkt- <strong>und</strong> System<strong>in</strong>novationen (Ernst<br />

Schweizer AG Metallbau 2004, S. 11).<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich stellt sich für die Unternehmen die Frage, <strong>in</strong> welchem Maß die sozialökologischen<br />

Aspekte im Wettbewerb herausgestellt werden sollen: Dienen Ökologie<br />

<strong>und</strong> Soziales als dom<strong>in</strong>ante, gleichberechtigte oder flankierende Profilierungsdimensionen<br />

neben Preis, Qualität <strong>und</strong> Zeit? E<strong>in</strong>e solche Positionierungsentscheidung ist situativ<br />

zu entscheiden <strong>und</strong> hängt von produkt-, k<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> wettbewerbsbezogenen<br />

Faktoren ab (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 280-281). Wie e<strong>in</strong>gangs dargestellt, herrscht<br />

<strong>in</strong> der Baubranche e<strong>in</strong> ausgeprägter Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerb. Die Kosten<br />

<strong>und</strong> der Preis s<strong>in</strong>d neben Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Term<strong>in</strong>treue ausschlaggebende Kriterien<br />

für die Vergabe von Aufträgen (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 558). Aufgr<strong>und</strong> des ausgeprägten<br />

Preis- <strong>und</strong> Zeitwettbewerbs während der letzten 10 Jahre hat die Möglichkeit,<br />

sich über Ökologie <strong>und</strong> Soziales zu profilieren, nach E<strong>in</strong>schätzung der Experten<br />

eher ab- als zugenommen. Daher ist von der Option e<strong>in</strong>er dom<strong>in</strong>anten Positionierung<br />

abzuraten, die zu e<strong>in</strong>er unnötigen Markt- bzw. Segmentverengung führt. Gemäß Aussagen<br />

der Interviewpartner ist die große Mehrheit der Bauherren <strong>und</strong> Architekten nicht<br />

(von sich aus) sozial-ökologisch aktiv. Für sie stellen sozial-ökologische Aspekte ke<strong>in</strong>


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 133<br />

(primäres) Entscheidungskriterium dar. Viele Bauherren <strong>und</strong> Architekten s<strong>in</strong>d jedoch<br />

sozial-ökologisch sensibilisiert <strong>und</strong> aktivierbar. Dieser Gruppe der sozial-ökologisch<br />

Aktivierbaren s<strong>in</strong>d herkömmliche <strong>und</strong> bewährte Nutzenaspekte wie Qualität, Sicherheit,<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ästhetik wichtig. Um sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />

für diese Zielgruppe attraktiv zu gestalten, muss es gel<strong>in</strong>gen, Ökologie <strong>und</strong> Soziales<br />

mit herkömmlichen Kaufkriterien s<strong>in</strong>nvoll zu verknüpfen <strong>und</strong> dadurch e<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enmehrwert<br />

zu schaffen, d.h. zum Beispiel Ökologie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Design, Ästhetik,<br />

Wohnkomfort <strong>und</strong> Werterhaltung, soziale Aspekte <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Lebensqualität<br />

<strong>und</strong> Kostenersparnis zu br<strong>in</strong>gen (Lehmann 2003, S. 33-34). Nachhaltigkeit<br />

kann so bei der Ansprache der sozial-ökologisch Aktivierbaren e<strong>in</strong>e flankierende Profilierungsdimension<br />

neben den herkömmlichen Produkteigenschaften darstellen <strong>und</strong><br />

dem K<strong>und</strong>en zur Steigerung des Selbst- <strong>und</strong> Fremdachtungsnutzen dienen. In diesem<br />

Fall ergeben sich durchaus gewisse Preisspielräume.<br />

E<strong>in</strong> Vergleich ausgewählter Bau-/Generalunternehmen zeigt, dass auch segment- <strong>und</strong><br />

größenspezifische Unterschiede bestehen: Holzbauunternehmen können offenbar eher<br />

von der Ökologie als flankierende oder gleichberechtigte Profilierungsdimension Gebrauch<br />

machen als Massivbauunternehmen. Dies hängt damit zusammen, dass Holz<br />

e<strong>in</strong> nachwachsender Rohstoff ist, der von den Bauherren als besonders umwelt- <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsverträglich wahrgenommen wird. Beispiele für Holzbauunternehmen, die<br />

sehr <strong>in</strong>novativ s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich erfolgreich mit sozial-ökologischen Aspekten im Wettbewerb<br />

profilieren, s<strong>in</strong>d die Blumer-Lehmann AG <strong>und</strong> die Renggli AG. E<strong>in</strong> weiterer Unterschied<br />

besteht <strong>in</strong> der Unternehmensgröße, der Marktabdeckung <strong>und</strong> der Anteilseignerstruktur.<br />

Kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen, die im Familienbesitz s<strong>in</strong>d,<br />

können offenbar eher sozial-ökologische Segmente ansprechen <strong>und</strong> abdecken als<br />

Großunternehmen, die führend im Gesamtmarkt <strong>und</strong> an der Börse kotiert s<strong>in</strong>d (z.B.<br />

Allreal).<br />

Operative Ebene<br />

In der Untersuchung wurden die Experten befragt, was sie unter nachhaltigen Produkten<br />

<strong>und</strong> Leistungen verstehen bzw. welche Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Produktgestaltung<br />

berücksichtigt werden. Dabei wurden u.a. folgende Aspekte hervorgehoben:<br />

� Ökologie: Energieeffizienz/-e<strong>in</strong>sparung, Recycl<strong>in</strong>g, Verwendung nachwachsender<br />

<strong>und</strong> natürlicher Rohstoffe, verdichtetes Bauen.


134 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

� Soziales: Lebensstil gerechtes Bauen (z.B. Angebote für sozial Benachteiligte, familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Bauweise).<br />

� Ökonomie: Wirtschaftlichkeit der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Bauweise.<br />

Der Expertenspiegel zur nachhaltigen Produktgestaltung zeigt, dass Energieeffizienz<br />

<strong>und</strong> der E<strong>in</strong>satz von nachwachsenden Rohstoffen zwei Leitthemen im schweizerischen<br />

Baumarkt s<strong>in</strong>d. Sie eignen sich zur erfolgreichen Ansprache von potenziellen Bauherren,<br />

wie auch die Marktanteile belegen: Im Jahr 2000 wurden <strong>in</strong> der Schweiz r<strong>und</strong><br />

30.000-35.000 Wohnungse<strong>in</strong>heiten erstellt. Dies bedeutet e<strong>in</strong>en Rückgang von ca.<br />

25% gegenüber dem Jahr 1990. Während der Bausektor <strong>in</strong>sgesamt rückläufig ist,<br />

konnte der Holzbau e<strong>in</strong>en deutlichen Anstieg während der 1990er Jahre verzeichnen.<br />

Im Neubau liegen die Anteile von Holz mittlerweile bei knapp 20% <strong>und</strong> im Umbau bei<br />

r<strong>und</strong> 10% (Holzmarktbericht des Waldwirtschaftsverbandes St. Gallen 2003). Auch<br />

die Anteile von energieeffizienten Häusern haben im Neubau während der letzten Jahre<br />

zugenommen. Im Jahr 2003 wurden über 750 Neubauten mit dem M<strong>in</strong>ergie-Label<br />

ausgezeichnet, was e<strong>in</strong>em Marktanteil von r<strong>und</strong> 13% entspricht (Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie<br />

2004, S. 5). Niedrigenergiehäuser (M<strong>in</strong>ergie) weisen e<strong>in</strong>en Energieverbrauch von<br />

max. 45 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche <strong>und</strong> Jahr auf, während Passivhäuser (M<strong>in</strong>ergie-P)<br />

weniger als 15 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche <strong>und</strong> Jahr verbrauchen.<br />

M<strong>in</strong>ergie-Häuser werden ökologischen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Kriterien gerecht:<br />

Sie weisen e<strong>in</strong>en niedrigeren Energieverbrauch während der Nutzungsphase auf, verursachen<br />

weniger Heizkosten <strong>und</strong> steigern den Wohnkomfort aufgr<strong>und</strong> des angenehmen<br />

Raumluftklimas (Belz/Egger 2001, S. 3-14). Die Erfüllung des M<strong>in</strong>ergie-<br />

Standards ist <strong>in</strong> der Schweiz ke<strong>in</strong>e gesetzliche Pflicht, sondern beruht auf Freiwilligkeit.<br />

Warum weisen M<strong>in</strong>ergie-Häuser ke<strong>in</strong>e höheren Anteile im Baumarkt auf? Wor<strong>in</strong><br />

bestehen die zentralen Kaufbarrieren?<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Barriere für die Diffusion von energieeffizienten Häusern ist der höhere<br />

Anschaffungspreis, der auf die bessere Dämmung <strong>und</strong> das kontrollierte Lüftungssystem<br />

zurückzuführen ist <strong>und</strong> bis zu 5-10% gegenüber herkömmlichen Gebäuden betragen<br />

kann. E<strong>in</strong> solcher Mehrpreis hält viele potenzielle K<strong>und</strong>en vom Kauf ab. Insbesondere<br />

für selbst nutzende Eigentümer stellt der Hausbau e<strong>in</strong>e hohe f<strong>in</strong>anzielle Belastung<br />

dar, die nur wenig Spielraum für zusätzlich anfallende Kosten lässt. E<strong>in</strong>e zweite<br />

Barriere ist <strong>in</strong> der Unsicherheit zu sehen, die mit den neuen Technologien verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Vielfach s<strong>in</strong>d die privaten <strong>und</strong> kommerziellen Bauherren skeptisch im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Funktionsweise <strong>und</strong> Zuverlässigkeit von Niedrigenergie-/Passivhäusern. Wie können<br />

diese Barrieren überw<strong>und</strong>en werden? Welche Instrumente setzen Bauunternehmen


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 135<br />

e<strong>in</strong>, um Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser erfolgreich jenseits von Nischen zu vermarkten?<br />

E<strong>in</strong>e Möglichkeit zur Überw<strong>in</strong>dung der Preisbarriere besteht <strong>in</strong> dem Ausnutzen von<br />

Kostensenkungspotenzialen <strong>und</strong> dem Schaffen von Preisgestaltungsspielräumen. Vielfach<br />

ist festzustellen, dass die Pioniere des ökologischen Bauens auch Vorreiter im<br />

Bereich des Kosten sparenden Bauens s<strong>in</strong>d (Belz 2001, S. 114). Um die Mehrkosten,<br />

verursacht durch erhöhte Dämmung, Dreifachverglasungen der Fenster <strong>und</strong> kontrollierte<br />

Lüftung, auszugleichen, sahen sich die Anbieter gezwungen, andere Kostensenkungspotenziale<br />

konsequent auszunutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Solche<br />

Kostensenkungspotenziale bestehen zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen Gr<strong>und</strong>riss <strong>und</strong> dem<br />

frühzeitigen E<strong>in</strong>bezug aller beteiligten Handwerksbetriebe zwecks Verkürzung der<br />

Plan- <strong>und</strong> Bauzeit. E<strong>in</strong> weiteres Kostensenkungspotenzial ist <strong>in</strong> der Verwendung von<br />

Elementen zu sehen, die auf modernen Produktionsanlagen serienmäßig hergestellt<br />

werden. Insbesondere die führenden schweizerischen Holzbauunternehmen wie die<br />

Renggli AG <strong>in</strong> Schötz (Luzern) <strong>und</strong> die Blumer-Lehmann AG <strong>in</strong> Gossau (St. Gallen)<br />

haben sich während der 1990er Jahre von traditionellen Handwerksbetrieben zu modernen<br />

Industrieunternehmen weiterentwickelt. Die Holzbauelemente werden <strong>in</strong>dustriell<br />

gefertigt. Dadurch werden hohe Qualitätstandards sichergestellt <strong>und</strong> Kosten gesenkt.<br />

Auf der Baustelle vor Ort werden die e<strong>in</strong>zelnen Elemente <strong>in</strong>nerhalb kürzester<br />

Zeit zusammengefügt. Die Renggli AG geht <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht noch e<strong>in</strong>en Schritt weiter<br />

<strong>und</strong> verfolgt e<strong>in</strong>e Strategie der Massen<strong>in</strong>dividualisierung (mass customization). Sie<br />

bietet ihren K<strong>und</strong>en fünf verschiedene Haustypen <strong>in</strong> drei unterschiedlichen Baustandards<br />

(Economy, M<strong>in</strong>ergie oder Passivhaus) <strong>und</strong> mit verschiedenen Zusatzmodulen an<br />

(Beispiel: Solarkollektoren). Jeder K<strong>und</strong>e kann sich – ähnlich wie <strong>in</strong> der Automobil<strong>in</strong>dustrie<br />

– <strong>in</strong>dividuell nach se<strong>in</strong>en Wünschen <strong>und</strong> Preisvorstellungen bestimmte Haustypen,<br />

Baustandards <strong>und</strong> Zusatzmodule auswählen. Aufgr<strong>und</strong> der Standardisierung<br />

kann die Renggli AG die Kosten senken <strong>und</strong> feste Preis- <strong>und</strong> Term<strong>in</strong>zusagen machen,<br />

was die Unsicherheit beim K<strong>und</strong>en abbaut.<br />

Nimmt man e<strong>in</strong>e gesamthafte Betrachtung der Kosten vor, s<strong>in</strong>d nicht nur der Anschaffungspreis,<br />

sondern auch die Verwendungs- <strong>und</strong> Post-Verwendungskosten zu berücksichtigen<br />

(Belz 2001, S. 105-109). Die Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern<br />

im Vergleich zu herkömmlichen kommt erst durch e<strong>in</strong>e Betrachtung der gesamten<br />

Lebenszykluskosten zum Tragen. Vielfach werden diese bei der Entscheidung für den<br />

Kauf e<strong>in</strong>es Hauses nicht oder nur ungenügend berücksichtigt. Dabei kann es sich <strong>in</strong>sbesondere<br />

für Eigentümer, die das Haus selber nutzen, alle<strong>in</strong> aus ökonomischen Gründen<br />

schnell bezahlbar machen, <strong>in</strong> moderne energieeffiziente Häuser <strong>und</strong> Anlagen wie


136 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

bspw. solare Warmwasseraufbereitung zu <strong>in</strong>vestieren. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aufgabe der Anbieter<br />

ist es, den K<strong>und</strong>en auf die Lebenszykluskosten aufmerksam zu machen <strong>und</strong> die Vorteilhaftigkeit<br />

ggf. mittels verschiedener Szenarien aufzuzeigen (nach dem Motto: „Was<br />

wäre, wenn der Preis für Heizöl bis zum Jahr 2010 um 50% oder 100% steigt?“).<br />

Sicherlich ist es <strong>in</strong> der Kommunikation wichtig, den Investitionscharakter der höheren<br />

Anschaffungskosten <strong>und</strong> die langfristige Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern<br />

zu vermitteln. Es wäre jedoch problematisch, lediglich auf Kostenaspekte <strong>und</strong><br />

rationale Argumente abzuheben. Ebenso wichtig, wenn nicht viel wichtiger s<strong>in</strong>d Nutzenaspekte<br />

<strong>und</strong> emotionale Ansprache der potenziellen Bauherren (Beitrag Schrader).<br />

E<strong>in</strong> exemplarisches Beispiel hierfür ist das Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann,<br />

welches <strong>in</strong> der Kommunikation <strong>in</strong>sbesondere gegenüber privaten Bauherren, die ihr<br />

Haus selber nutzen, e<strong>in</strong> Zwei-Ebenen-Konzept von Emotio <strong>und</strong> Ratio verwendet. In<br />

diesem Segment s<strong>in</strong>d die Vorbehalte gegenüber dem Produkt besonders groß, so dass<br />

auf der ersten Ebene (z.B. mittels Informationsbroschüren) versucht wird, vorwiegend<br />

mit emotionalen Argumenten (wohlige Atmosphäre, modernes Design) „das Eis zu<br />

brechen“ <strong>und</strong> Interesse zu wecken. Fühlt sich der K<strong>und</strong>e angesprochen, dann folgt e<strong>in</strong><br />

persönliches Gespräch. Hier wird mittels emotionaler Argumente auf e<strong>in</strong> vorrangiges<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnis selbst nutzender Eigentümer – die Erfüllung eigener Wünsche – e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Zugleich werden auf der zweiten Kommunikationsebene verstärkt rationale<br />

Argumente (Energiee<strong>in</strong>sparung, Ressourcenschonung, etc.) e<strong>in</strong>gesetzt, für die der<br />

K<strong>und</strong>e nach der vorausgegangenen Interessensweckung offener ist. Bei den kommerziell<br />

nutzenden K<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d die anfänglichen Vorbehalte ger<strong>in</strong>ger, so dass von Beg<strong>in</strong>n<br />

an eher rationale Argumente e<strong>in</strong>gesetzt werden (Blumer-Lehmann 2005, Blumer-<br />

Lehmann 2003 o.J.). Herkömmliche Leistungs- <strong>und</strong> Qualitätskriterien wie Design, Ästhetik<br />

<strong>und</strong> Behaglichkeit werden geschickt mit ökologischen Kriterien (Energieeffizienz,<br />

Holz als nachwachsender Rohstoff) zu Motivallianzen verknüpft (Lehmann<br />

2003, S. 33-34). Neben der K<strong>und</strong>enkommunikation s<strong>in</strong>d auch Markt- <strong>und</strong> Mitarbeiterkommunikation<br />

sehr wichtig (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 562-563). Als Geschäftsführer<strong>in</strong><br />

hält Kathar<strong>in</strong>a Lehmann jährlich e<strong>in</strong>e Reihe von Fach- <strong>und</strong> Publikumsvorträgen,<br />

<strong>in</strong> denen sie das Unternehmen, die <strong>in</strong>novativen Holzprodukte <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

vorstellt. Um das Segment der kommerziell orientierten Nutzer zu erreichen, wird<br />

auf Referenzprojekte <strong>und</strong> die Zusammenarbeit mit Architekten gesetzt, durch die<br />

kommerziell orientierte K<strong>und</strong>en aufmerksam werden. So beteiligte sich Blumer-<br />

Lehmann mit Holzbauten an der Weltausstellung 2000 <strong>in</strong> Hannover <strong>und</strong> an der<br />

Schweizer Expo 2002.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Baubranche 137<br />

Die Entscheidung für den Bau e<strong>in</strong>es Wohn- oder Bürogebäudes ist mit hohen f<strong>in</strong>anziellen<br />

<strong>und</strong> persönlichen Risiken verb<strong>und</strong>en. Insbesondere private Bauherren verfügen<br />

über wenig bis ke<strong>in</strong>erlei Erfahrung bezüglich Bauplanung <strong>und</strong> -erstellung. Daher besteht<br />

e<strong>in</strong> beträchtliches Maß an Unsicherheit. Darüber h<strong>in</strong>aus bestehen aufgr<strong>und</strong> der<br />

Langfristigkeit <strong>und</strong> Komplexität von Bauprojekten Informationsasymmetrien zu Lasten<br />

der Nachfrager (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 556). Das hohe Maß an Unsicherheit<br />

<strong>und</strong> Informationsasymmetrien wird durch neue Technologien wie die Niedrigenergie-<br />

/Passivhausbauweise zusätzlich noch verstärkt. In solchen Situationen verhalten sich<br />

potenzielle K<strong>und</strong>en vielfach risikoavers <strong>und</strong> greifen auf Bewährtes zurück, um das<br />

Risiko zu m<strong>in</strong>imieren. Um energieeffiziente Häuser erfolgreich zu vermarkten, ist es<br />

für den Anbieter unerlässlich, Unsicherheit <strong>und</strong> Informationsasymmetrien abzubauen.<br />

Dies kann <strong>in</strong> persönlichen Gesprächen <strong>und</strong> durch den Aufbau e<strong>in</strong>er Vertrauensbeziehung<br />

geschehen. Darüber h<strong>in</strong>aus ist der Verweis auf langjährige Erfahrung <strong>und</strong> Referenzprojekte<br />

im Bereich energieeffizienter Häuser wichtig. Um die Vertrauenseigenschaften<br />

<strong>in</strong> Quasi-Sucheigenschaften zu überführen, erweist sich auch der E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es<br />

Labels als s<strong>in</strong>nvoll, welches von e<strong>in</strong>er unabhängigen Organisation vergeben wird.<br />

E<strong>in</strong> solches Label ist M<strong>in</strong>ergie bzw. M<strong>in</strong>ergie-P, welches beim Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie für<br />

Niedrigenergie- <strong>und</strong> Passivhäuser beantragt werden kann. Nach der Akkreditierung<br />

<strong>und</strong> Zertifizierung kann der e<strong>in</strong>zelne Anbieter das M<strong>in</strong>ergie-Label kommunikativ e<strong>in</strong>setzen.<br />

Zur Steigerung des Bekanntheitsgrades <strong>und</strong> dem Aufbau e<strong>in</strong>es positiven<br />

Images betreibt der Vere<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ergie auch Kommunikation auf der Verbandsebene.<br />

Dabei werden <strong>in</strong>sbesondere herkömmliche Nutzenaspekte wie Wohnkomfort, Lebensqualität<br />

<strong>und</strong> Werterhalt der Liegenschaften neben der Energieeffizienz hervorgehoben.<br />

4 Zusammenfassung<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist e<strong>in</strong> konstruktiver Ansatz, um den destruktiven Markttendenzen<br />

<strong>in</strong> der schweizerischen Baubranche entgegenzuwirken. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> generiert K<strong>und</strong>enmehrwert durch Ökologie <strong>und</strong> Soziales. Die vorliegende<br />

Studie zeigt, dass diese Möglichkeit zur Profilierung am Markt noch zu wenig genutzt<br />

wird, obwohl durchaus e<strong>in</strong>e Schnittmenge zwischen sozial-ökologischen Problemen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuellen K<strong>und</strong>enbedürfnissen besteht. Im H<strong>in</strong>blick auf das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kommt den Holzbauunternehmen e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle zu, der sich nicht nur<br />

auf den E<strong>in</strong>satz regenerativer Roh- bzw. Baustoffe begründet. Generell verstehen es<br />

<strong>in</strong>sbesondere kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Pionierunternehmen, sozial-ökologische Aspekte<br />

<strong>in</strong> der Kommunikation geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien wie Ästhetik,<br />

Design, Komfort, Ges<strong>und</strong>heit, Umwelt <strong>und</strong> Zukunftsorientierung zu Motivallianzen zu


138 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Kathar<strong>in</strong>a Sammer/Rita Pant<br />

verb<strong>in</strong>den. Dadurch sprechen sie nicht nur die kle<strong>in</strong>e Gruppe der sozial-ökologisch<br />

aktiven Bauherren an, sondern auch die größere Gruppe der sozial-ökologisch aktivierbaren<br />

Bauherren. Anstatt e<strong>in</strong>seitig den Preis <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen, heben<br />

sie verstärkt die Nutzenaspekte hervor. Um Kosten e<strong>in</strong>zusparen <strong>und</strong> Preisspielräume<br />

zu vergrößern, verfolgen sie Ansätze der Massen<strong>in</strong>dividualisierung, d.h. sie bieten<br />

Konzepthäuser mit frei wählbaren Energiestandards (z.B. Niedrigenergiehaus, Passivhaus)<br />

<strong>und</strong> Zusatzmodulen an (z.B. Ges<strong>und</strong>heit, Feng Shui). Für schweizerische Bau<strong>und</strong><br />

Generalunternehmen gilt es angesichts des sich verstärkenden Preis- <strong>und</strong> Verdrängungswettbewerbs<br />

vermehrt zu prüfen, ob der Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

nicht auch für sie erfolgversprechend se<strong>in</strong> kann. Bei der Konzeptionalisierung s<strong>in</strong>d die<br />

verschiedenen Ebenen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu berücksichtigen (normative,<br />

strategische <strong>und</strong> operative), damit der Ansatz Stoßkraft entfalten kann <strong>und</strong> auf Dauer<br />

glaubwürdig ist.<br />

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vom 15.03.02.


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e. Kritische Anmerkungen<br />

zur Vermarktung von Ökostrom 1<br />

Michael Bilharz<br />

1 Ökostrom-Angebote: E<strong>in</strong> neuer Markt entsteht<br />

Die Liberalisierung der Strommärkte <strong>in</strong> vielen Ländern hat Strom zu e<strong>in</strong>em Produkt<br />

werden lassen, das beworben werden muss. Sie hat gleichzeitig Hoffnungen genährt,<br />

dass Ökostrom zu e<strong>in</strong>em Produkt werden könnte, das nachgefragt wird. Viele Umweltverbände<br />

sehen deshalb <strong>in</strong> der neu entstandenen Wahlmöglichkeit die Chance e<strong>in</strong>er<br />

„Abstimmung mit den Füßen“ zugunsten e<strong>in</strong>er umweltfre<strong>und</strong>licheren Stromversorgung.<br />

Unternehmen sprechen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von e<strong>in</strong>er neuen „Spielführer-Rolle<br />

für den K<strong>und</strong>en“ (Süss 2000, S. 68). Für etablierte <strong>und</strong> neue Stromhändler<br />

ergibt sich hierdurch e<strong>in</strong> Differenzierungspotenzial „zum gew<strong>in</strong>norientierten regenerativen<br />

Marktauftritt“ (ebd., S. 70). Dem professionellen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird für e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Markterschließung durch Ökostrom-Produkte geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle<br />

zugewiesen, um von der Öko-Nische zum ökologischen Massenmarkt zu gelangen<br />

(Wüstenhagen 2000). Mit Blick auf die weitere Marktentwicklung stellen sich u.a. folgende<br />

Fragen:<br />

1. Wird der Markt für Ökostrom zukünftig e<strong>in</strong> ähnliches Wachstum aufweisen wie<br />

bspw. Bioprodukte im Lebensmittelbereich? Lassen sich daraus im Analogieschluss<br />

Handlungsempfehlungen für Unternehmen ableiten?<br />

2. Welche Bedeutung kommt bei der Entwicklung des Ökostrom-Marktes der Angebotsseite<br />

zu? Was s<strong>in</strong>d die zentralen Erfolgsfaktoren für e<strong>in</strong> Marktpotenzial jenseits<br />

der Nische? Welche Konsequenzen be<strong>in</strong>haltet dies für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Ökostrom?<br />

Im folgenden Beitrag werden diese beiden Fragenkomplexe unter der Perspektive des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) e<strong>in</strong>gehend diskutiert. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterscheidet sich vom Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dadurch, dass soziale Aspekte neben<br />

ökonomischen <strong>und</strong> ökologischen explizit bei <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>entscheidungen Berücksichtigung<br />

f<strong>in</strong>den.


142 Michael Bilharz<br />

Zuerst werden im S<strong>in</strong>ne des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> die sozial-ökologischen Problemlagen<br />

<strong>und</strong> die K<strong>und</strong>enbedürfnisse im Stromsektor analysiert, um Aussagen über<br />

ihre (potenzielle) Schnittmenge treffen zu können. Anschließend wird auf der Ebene<br />

des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix der Frage nachgegangen, ob der Ökostrom-Markt mit dem Bio-<br />

Lebensmittelmarkt vergleichbar ist. Dieser wird deshalb als Vergleichsmaßstab gewählt,<br />

weil er als besonders erfolgreiches Beispiel für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

jenseits der Öko-Nische gilt (Beitrag Leitner). Der Vergleich liefert erste H<strong>in</strong>weise auf<br />

die Bedeutung von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> damit auch auf die Bedeutung von transformativem<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beitrag Belz) im Ökostrom-Markt. Zur Beantwortung der<br />

zweiten Frage wird deshalb das im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Best Practice“ ausgewählte Fallbeispiel<br />

Deutschland im H<strong>in</strong>blick auf Angebot <strong>und</strong> Nachfrage nach Ökostrom analysiert.<br />

Die gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich im letzten Kapitel zusammengefasst<br />

<strong>und</strong> po<strong>in</strong>tiert <strong>in</strong> Form von vier Thesen dargestellt.<br />

2 Sozial-ökologische Problemlagen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />

Es s<strong>in</strong>d zwei gr<strong>und</strong>sätzliche ökologische Problembereiche, die direkt mit der konventionellen,<br />

d.h. fossilen <strong>und</strong> atomaren Stromerzeugung verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d: Die Endlichkeit<br />

der Ressourcen <strong>und</strong> die Umweltbelastungen durch ihre Umwandlung <strong>in</strong> Strom. Nicht<br />

nur die Erdölreserven gehen nach heutigem Kenntnisstand im Laufe des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bei unverändertem Verbrauch zur Neige. Auch beim Uran reicht die statische<br />

Reichweite der weltweit nachgewiesenen Reserven nur noch weniger als 50 Jahre<br />

(BMU 2002c, S. 8). Bei der Stromerzeugung wären <strong>in</strong>sbesondere die CO2-Belastung<br />

(„Treibhauseffekt“) sowie der radioaktive Fallout („Restrisiko“) zu nennen. In Schwellen-<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsländern führen unzureichende Filtertechniken nach wie vor zu<br />

gravierenden Versauerungsproblemen („Waldsterben“).<br />

Die Endlichkeit sowie die zentrale Verteilung der Vorkommen auf wenige Regionen<br />

hat aber auch zwei bedeutsame gesellschaftspolitische Aspekte. Zum e<strong>in</strong>en besteht die<br />

Gefahr von kurzfristig stark ansteigenden Energiepreisen aufgr<strong>und</strong> von Verknappung<br />

mit den bekannten negativen wirtschafts-, <strong>in</strong>sbesondere arbeitsmarktpolitischen Folgen.<br />

Zum anderen führt die zentrale Verteilung zu geopolitischen Krisenherden mit<br />

dauernder Kriegsgefahr wie dies seit etlichen Jahren im Nahen Osten zu beobachten<br />

ist. Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 haben e<strong>in</strong> weiteres Problemfeld offenbart:<br />

Gas- <strong>und</strong> Ölpipel<strong>in</strong>es, aber auch AKWs stellen e<strong>in</strong> mögliches Ziel für terroristische<br />

Angriffe dar. Die gezielte Herbeiführung e<strong>in</strong>es Super-GAUs <strong>und</strong> damit die Kontam<strong>in</strong>ierung<br />

e<strong>in</strong>er großen Zahl von Menschen mit radioaktivem Fallout rückt damit <strong>in</strong> den<br />

Bereich des Möglichen (Stollberger 2004). Die zentrale Energieerzeugungsstruktur


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 143<br />

führt zusätzlich im Falle e<strong>in</strong>es Strukturwandels zu wirtschaftspolitischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Problemgebieten (vgl. z.B. die Kohleabbauregionen <strong>in</strong> Deutschland).<br />

Die Förderung bzw. der Ausbau erneuerbarer Energien ist – neben Energiesparen<br />

durch Effizienz <strong>und</strong> Suffizienz – e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> anerkannte <strong>und</strong> geförderte Strategie,<br />

um die hier nur kurz skizzierten ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme zu reduzieren.<br />

Sie s<strong>in</strong>d erneuerbar, erzeugen CO2-freien bzw. CO2-neutralen Strom <strong>und</strong> reduzieren<br />

ges<strong>und</strong>heitliche sowie gesellschaftspolitische Gefahrenquellen. Durch regionale Wertschöpfung<br />

tragen erneuerbare Energien aufgr<strong>und</strong> ihrer <strong>in</strong> der Regel dezentralen Erzeugungsstruktur<br />

zum Erhalt <strong>und</strong> Ausbau von Arbeitsplätzen bei. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />

geht von mittlerweile ca. 130.000 Arbeitsplätzen im Bereich der neuen erneuerbaren<br />

Energien aus (BMU 2003, S. 20).<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die K<strong>und</strong>enbedürfnisse kann man feststellen, dass die Zustimmungswerte<br />

für erneuerbare Energien beachtlich s<strong>in</strong>d. In e<strong>in</strong>er zwischen 1984 <strong>und</strong> 2003 regelmäßig<br />

durchgeführten repräsentativen Studie für Deutschland spiegelt sich dies wider<br />

(Abb. 1): R<strong>und</strong> die Hälfte der Bevölkerung erwartet von der Solarenergie e<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung <strong>in</strong> den nächsten 20-30 Jahren. Die diesbezüglichen<br />

Erwartungen an die Kernenergie s<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der Tendenz seit 1987 <strong>und</strong><br />

wurden 2003 erstmalig von den Erwartungen an die W<strong>in</strong>denergie übertroffen. Diese<br />

Entwicklung läuft parallel zum <strong>in</strong> Deutschland realisierten Ausbau der W<strong>in</strong>denergie.<br />

Anteil <strong>in</strong> Prozent (Deutschland-West)<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

68<br />

48<br />

Frage: Welche Energieträger werden <strong>in</strong> den nächsten 20, 30 Jahren<br />

den grössten Beitrag zur Energieversorgung leisten?<br />

70<br />

42<br />

17 16<br />

60<br />

53<br />

24<br />

61<br />

58<br />

34<br />

50 52<br />

1984 1987 1989 1991 1999 2003<br />

Abbildung 1: Wandel der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung zur Bedeutung e<strong>in</strong>zelner Energieträger<br />

(Quelle: Allensbach 2003, S. 10).<br />

40<br />

35<br />

46<br />

42<br />

Kernenergie<br />

Sonnenenergie<br />

W<strong>in</strong>denergie


144 Michael Bilharz<br />

Für die Segmentierung des Marktes ist <strong>in</strong>teressant, dass die Erwartungshaltung um so<br />

höher ist, je jünger die Befragten s<strong>in</strong>d. Außerdem s<strong>in</strong>d auch konservative (72%) <strong>und</strong><br />

liberale (63%) Wähler für e<strong>in</strong>e weitere Förderung der erneuerbaren Energien auf m<strong>in</strong>destens<br />

dem aktuellen Niveau (Allensbach 2003, S. 23). Dies ist e<strong>in</strong> starkes Indiz für<br />

die breite Diffusion der positiven Wertschätzung von erneuerbaren Energien.<br />

Die Bevölkerung f<strong>in</strong>det die Förderung erneuerbarer Energien aber nicht nur „gut“,<br />

sondern ist – im Gegensatz zu Energiesparaktionen – von ihnen regelrecht fasz<strong>in</strong>iert.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Fasz<strong>in</strong>ationsskala von 0 bis10 rangieren die alternativen Energien mit e<strong>in</strong>em<br />

Wert von 5,0 noch vor Formel 1 Rennen mit 3,7 oder der Fußball-B<strong>und</strong>esliga mit 3,3<br />

(IRES 2003). Betrachtet man die allgeme<strong>in</strong>en hohen Zustimmungswerte für erneuerbare<br />

Energien genauer im H<strong>in</strong>blick auf das theoretische Marktpotenzial für Ökostrom-<br />

Angebote, bleiben die Ergebnisse ähnlich. Bei e<strong>in</strong>er repräsentativen Befragung <strong>in</strong><br />

Deutschland äußerten 11% der Befragten, dass sie bereits Ökostrom beziehen oder<br />

dies beabsichtigen, <strong>und</strong> 45% gaben an, dass sie ihn vielleicht beziehen werden. 44%<br />

wollen h<strong>in</strong>gegen explizit ke<strong>in</strong>en Ökostrom kaufen (Kuckartz/Grunenberg 2002, S. 78).<br />

In der erwähnten Befragung von Allensbach waren 21% bereit, mehr für erneuerbare<br />

Energien zu zahlen, 62% waren hierzu nicht bereit <strong>und</strong> 17% wollten sich nicht festlegen<br />

(Allensbach 2003, S. 24-25).<br />

Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die zentralen Voraussetzungen für<br />

e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Energiebereich gegeben s<strong>in</strong>d. Es existiert e<strong>in</strong> Produkt<br />

(Ökostrom) 2 , das sowohl die sozial-ökologischen Probleme verr<strong>in</strong>gern hilft, als<br />

auch bei K<strong>und</strong>en auf breite positive Resonanz stößt.<br />

3 Marktpotenzial analog zu Bio-Lebensmitteln?<br />

Die Vermarktung biologisch angebauter Lebensmittel (kurz: Bio-Lebensmittel) kann<br />

auf e<strong>in</strong>e jahrzehntelange Entwicklung zurückblicken. Sie gilt – <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der<br />

Schweiz, aber auch <strong>in</strong> anderen europäischen Ländern – als Beispiel für erfolgreiches<br />

<strong>in</strong>tegratives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> (Beiträge Belz/Ditze <strong>und</strong> Leitner). Kann die<br />

Vermarktung von Ökostrom auf e<strong>in</strong>e ähnliche Entwicklung hoffen? Ist die Vermarktung<br />

der beiden Produktbereiche vergleichbar <strong>und</strong> damit der Verkaufserfolg von Ökostrom<br />

prognostizierbar? Die vergleichende Betrachtung von Bio-Lebensmitteln <strong>und</strong><br />

Ökostrom anhand der vier Teilbereiche des <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix liefert erste Antworten auf<br />

diese Fragen.


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 145<br />

Produkt: Ökostrom ist nicht erfahrbar.<br />

Bio-Lebensmittel s<strong>in</strong>d gegenständliche Produkte, die man kaufen, tragen, lagern <strong>und</strong><br />

verzehren kann. Letzteres be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e hohe persönliche Betroffenheit. Dies erklärt,<br />

dass für viele Menschen der ges<strong>und</strong>heitliche Aspekt e<strong>in</strong>e starke Motivation zum Kauf<br />

von Bio-Lebensmitteln darstellt (Schäfer 2002, S. 64). Sie unterscheiden sich sowohl<br />

real als auch <strong>in</strong> der Wahrnehmung der K<strong>und</strong>en von konventionellen Produkten im Geschmack,<br />

<strong>in</strong> den Zutaten <strong>und</strong> teilweise auch im Aussehen. Während letzteres <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahren als negativ für den Verkaufserfolg betrachtet wird, hatte der „schrumplige“<br />

Apfel oder der „verlauste“ Salat zu Beg<strong>in</strong>n der Öko-Bewegung vermutlich<br />

durchaus e<strong>in</strong>e wichtige vertrauensbildende Funktion. „Bio“ war ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Vertrauens-,<br />

sondern auch e<strong>in</strong>e Sucheigenschaft. Der K<strong>und</strong>e erhält bei Bio-Lebensmitteln e<strong>in</strong>en<br />

z.T. s<strong>in</strong>nlich erfahrbaren Zusatznutzen für se<strong>in</strong> Geld.<br />

Anders verhält es sich beim Ökostrom. Zu der bei der Vermarktung von nachhaltigen<br />

Produkten üblichen Schwierigkeit, den Sozial- <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Individualnutzen zu überführen<br />

(Kaas 1992, S. 476; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 26), kommt beim Ökostrom erschwerend<br />

h<strong>in</strong>zu, dass Strom erstens nicht sichtbar ist, zweitens der Strom auch ohne<br />

Kaufentscheidungen aus der Steckdose kommt <strong>und</strong> drittens sich Ökostrom nicht „unvermischt“<br />

zum K<strong>und</strong>en „transportieren“ lässt. Er ist zwar e<strong>in</strong> materielles, aber sehr<br />

abstraktes <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der Normierung von Spannung <strong>und</strong> Frequenz e<strong>in</strong> völlig homogenes<br />

Commodity-Gut (Timpe/Fritsche 2000, S. 2). Dies ist <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong> Problem,<br />

weil Befragungen zeigen, dass Ökostrom-K<strong>und</strong>en gerne den Strom genau von der von<br />

ihnen geförderten Anlage beziehen würden (Wortmann et al. 1996, S. 27). Damit hat<br />

Ökostrom gegenüber Bio-Lebensmitteln e<strong>in</strong>en gr<strong>und</strong>sätzlichen Erfahrungsnachteil.<br />

Dieser be<strong>in</strong>haltet auch die Kontrollmöglichkeit. Neben dem erwähnten Augensche<strong>in</strong><br />

ist – theoretisch – die Kontrolle der Bio-Lebensmittel durch den K<strong>und</strong>en denk- bzw.<br />

durchführbar. Er kann direkt auf dem Bauernhof e<strong>in</strong>kaufen oder diesen besichtigen.<br />

Die Kontrolle des Bezugs von Ökostrom ist h<strong>in</strong>gegen ausschließlich <strong>in</strong> Form der Überprüfung<br />

der Buchhaltung möglich. Man kann zwar e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>drad des Ökostrom-<br />

Händlers besuchen, aber man kann dort nicht „se<strong>in</strong>en“ Strom mitnehmen. Das Stromnetz<br />

verh<strong>in</strong>dert die Erfahrbarkeit der Kontrolle.<br />

Der Verkauf von Ökostrom ist nichts anderes als e<strong>in</strong> Versprechen, dass der verbrauchte<br />

Strom <strong>in</strong> dieser Menge (gegebenenfalls auch zur gleichen Zeit) ökologisch erzeugt<br />

wird. Ökostrom ist demnach <strong>in</strong> viel stärkerem Maße von Vertrauenseigenschaften gekennzeichnet<br />

als dies bei Bio-Lebensmitteln der Fall ist, ohne dass er e<strong>in</strong>en Zusatznutzen<br />

stiftet. Po<strong>in</strong>tiert ausgedrückt: Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e! Deshalb legen die Pro-


146 Michael Bilharz<br />

dukteigenschaften e<strong>in</strong>en höheren Verkaufserfolg von Bio-Lebensmitteln nahe als von<br />

Ökostrom-Produkten.<br />

Preis: Hohe Preissensibilität ermöglicht nur ger<strong>in</strong>ge Preisaufschläge.<br />

Die Abstraktheit e<strong>in</strong>es Produktes ist nicht gr<strong>und</strong>sätzlich e<strong>in</strong> Verkaufsh<strong>in</strong>dernis. Aber<br />

es verr<strong>in</strong>gert das Differenzierungspotenzial <strong>und</strong> erhöht die Preisdom<strong>in</strong>anz. Diese erwartbare<br />

Preissensibilität wird verstärkt durch die Tatsache, dass es sich beim Strommarkt<br />

primär um e<strong>in</strong>en Bus<strong>in</strong>ess-to-Bus<strong>in</strong>ess-Markt handelt. Nur 28% des Stromverbrauchs<br />

wird von den Privathaushalten verbraucht (VDEW 2001, S. 1). Die hohe<br />

Preissensibilität lässt sich empirisch bestätigen (Bird et al. 2002, S. 532). Die billigsten<br />

Ökostrom-Anbieter haben mit Abstand die höchsten K<strong>und</strong>enzahlen. Größere Umsatzsteigerungen<br />

gibt es nur bei den „Preisbrechern“ (Lichtblick, NaturEnergie <strong>und</strong> EWS<br />

Schönau). Zwar wird auch das Marktwachstum bei Bio-Lebensmitteln zunehmend von<br />

niedrigeren Verkaufspreisen <strong>in</strong> Lebensmittelketten gegenüber Bioläden getragen.<br />

Trotzdem werden weiterh<strong>in</strong> bei Bio-Lebensmitteln Preisaufschläge von teilweise<br />

100% <strong>und</strong> mehr von den K<strong>und</strong>en toleriert. Selbst Premium-Ökostrom-Produkte kommen<br />

h<strong>in</strong>gegen meist mit e<strong>in</strong>em Aufschlag von max. 30% aus. E<strong>in</strong>e mögliche Erklärung<br />

könnte der unterschiedliche Zahlungszeitpunkt <strong>und</strong> e<strong>in</strong> unterschiedliches Preisbewusstse<strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>. Die Stromrechnung erhält man e<strong>in</strong>mal im Jahr. Anhand des<br />

Verbrauchs von Kilowattst<strong>und</strong>en lässt sich der Preis e<strong>in</strong>fach mit anderen Anbietern<br />

vergleichen. Bei e<strong>in</strong>em normalen Drei-Personen-Haushalt s<strong>in</strong>d dies bei 30% Aufschlag<br />

r<strong>und</strong> 180 Euro im Jahr 3 . Bei Bio-Lebensmitteln werden jedoch im Normalfall ke<strong>in</strong>e<br />

„Jahresmehrverbrauchsrechnungen“ gemacht, sondern Kilo- oder E<strong>in</strong>zelpreise mite<strong>in</strong>ander<br />

verglichen. Diese s<strong>in</strong>d absolut betrachtet viel ger<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> liegen <strong>in</strong> der Größenordnung<br />

von Cents oder wenigen Euros. Würde man h<strong>in</strong>gegen die Kosten auf das Jahr<br />

umrechnen, würde man feststellen, dass der gezahlte Preisaufschlag vermutlich weit<br />

über dem Preisaufschlag von Ökostrom liegt.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Aspekt ist die Konkurrenzsituation. Sowohl für den Lebensmittel- als<br />

auch für den Strommarkt gilt, dass e<strong>in</strong> Produkt um so günstiger angeboten werden<br />

kann, desto weniger ökologische Aspekte berücksichtigt werden (Bsp.: EU-<br />

Zertifizierung versus Demeter-Label). Im Bio-Lebensmittelmarkt werden größtenteils<br />

zertifizierte Produkte vermarktet. Das unterste Preisniveau wird durch das Label mit<br />

den ger<strong>in</strong>gsten Anforderungen bestimmt (= EU-Zertifizierung). Beim Ökostrom-Markt<br />

gibt es h<strong>in</strong>gegen (noch) ke<strong>in</strong>en Labelstandard. Da es zudem mit der Großwasserkraft<br />

e<strong>in</strong>e erneuerbare Energie gibt, die erstens im konventionellen Strommarkt konkurrenzfähig<br />

<strong>und</strong> zweitens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Umfang vorhanden ist, der e<strong>in</strong> Vielfaches der Nachfrage


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 147<br />

der heutigen Ökostrom-K<strong>und</strong>en darstellt 4 , orientiert sich das unterste am konventionellen<br />

Preisniveau. Konsequenterweise werben Ökostrom-Anbieter damit, dass Strom aus<br />

erneuerbaren Energien nicht teuer se<strong>in</strong> müsste: „Sparen Sie sich Atomstrom. Und sparen<br />

Sie dabei Geld“ (Lichtblick 2002). Die Stiftung Warentest überschrieb ihren Ökostrom-Anbieter-Test<br />

mit „Grün, gut, günstig“ (Stiftung Warentest 2001). Der günstige<br />

Preis erhöht die potenzielle K<strong>und</strong>enzahl bei „grau-grünen“ Anbietern, während er für<br />

Premium-Anbieter die Marktsituation erschwert. Möglicherweise ist beim Ökostrom<br />

auch e<strong>in</strong>e stärkere Staatsorientierung vorhanden, die e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Preisbereitschaft<br />

beim K<strong>und</strong>en für <strong>in</strong>dividuelle Aufschläge nach sich zieht. So existieren <strong>in</strong> allen Ländern<br />

Förderprogramme, die e<strong>in</strong>e Nachfrage nach teureren erneuerbaren Energien auch<br />

jenseits der Nachfrage von Endverbrauchern garantieren (Kap. 4).<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf den Preis gibt es demnach ebenfalls gr<strong>und</strong>legende Unterschiede. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist deren Wirkungsrichtung auf das K<strong>und</strong>enpotenzial nicht e<strong>in</strong>deutig. Ger<strong>in</strong>gere<br />

relative Preisaufschläge legen aber längerfristig e<strong>in</strong> höheres K<strong>und</strong>enpotenzial von<br />

Ökostrom-Produkten nahe. Die Preisentwicklung selbst ist dabei u.a. abhängig von<br />

den Anforderungen <strong>und</strong> der Akzeptanz e<strong>in</strong>es Ökostrom-Labels.<br />

Kommunikation: Hohe Werbeanstrengungen s<strong>in</strong>d nötig.<br />

Zwei Erklärungsprobleme können im H<strong>in</strong>blick auf die Kommunikationsanstrengungen<br />

für Ökostrom unterschieden werden:<br />

� Wie kommt der Ökostrom zum K<strong>und</strong>en?<br />

� Warum ist Ökostrom besser als konventioneller Strom?<br />

Beim ersten Aspekt liegt der Unterschied zu Bio-Lebensmitteln auf der Hand. Die Gegenständlichkeit<br />

von Lebensmitteln ist e<strong>in</strong> zentraler Kommunikations-Vorteil gegenüber<br />

Ökostrom. Beim zweiten Erklärungsaspekt ist es s<strong>in</strong>nvoll, zwei Ebenen im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die K<strong>und</strong>enbedürfnisse zu unterscheiden: „Umweltstandard der Stromlieferung“<br />

<strong>und</strong> „Förderwirkung“ (Markard/Timpe 2000, S. 204). Im e<strong>in</strong>en Fall genügt es<br />

den K<strong>und</strong>en, die <strong>in</strong>dividuelle Ökobilanz zu optimieren (Bilharz 2003, S. 31). Dies be<strong>in</strong>haltet,<br />

dass ihre verbrauchte Strommenge mit erneuerbaren Energien erzeugt wird.<br />

Da es bereits e<strong>in</strong> großes Angebot an erneuerbaren Energien jenseits der Nische gibt<br />

(v.a. Großwasserkraft), lassen sich somit ohne Änderungen <strong>in</strong> der Produktionsstruktur<br />

e<strong>in</strong>e große Anzahl von K<strong>und</strong>en mit Ökostrom-Angeboten versorgen, die die Optimierung<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Ökobilanz anstreben. Diesen genügt der H<strong>in</strong>weis „Strom aus<br />

erneuerbaren Energien“. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d derartige Angebote e<strong>in</strong>em hohen Rechtfertigungsdruck<br />

gegenüber Anspruchsgruppen, <strong>in</strong>sbesondere Umweltschutzverbänden,


148 Michael Bilharz<br />

ausgesetzt. Für diese steht ebenso wie für den „global engagierten K<strong>und</strong>en“ (Markard/Timpe<br />

2000, S. 204) die Frage der Förderwirkung im Vordergr<strong>und</strong>: Wäre der<br />

Ökostrom auch ohne ihre Zahlungsbereitschaft produziert worden? Die Ermittlung der<br />

zusätzlichen Förderwirkung ist jedoch bei vielen Ökostrom-Angeboten schwierig <strong>und</strong><br />

strittig (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 41). Dieser Aspekt der „zusätzlichen Förderwirkung“<br />

erfordert daher wiederum verstärkte Kommunikationsanstrengungen, die <strong>in</strong><br />

dieser Ausprägung im Bio-Lebensmittelbereich nicht notwendig s<strong>in</strong>d. Dort gilt: Je<br />

mehr ökologische Lebensmittel verkauft werden, um so mehr werden produziert <strong>und</strong><br />

um so größer ist die ökologische Förderwirkung.<br />

Auch beim gefühlsmäßigen Erfassen haben Bio-Lebensmittel trotz allgeme<strong>in</strong>er hoher<br />

Zustimmungswerte für erneuerbare Energien möglicherweise Vorteile. Pestizide haben<br />

negative Auswirkungen auf Pflanzen <strong>und</strong> Tiere (Schädl<strong>in</strong>ge wie Nützl<strong>in</strong>ge). Was andere<br />

Lebewesen tötet, erweckt – verständlicherweise – e<strong>in</strong> ungutes Gefühl, zumal<br />

wenn die Produkte verzehrt werden <strong>und</strong> die Gefahr besteht, dass man Pestizidrückstände<br />

mitisst. Daneben ist die emotionalisierende Wirkung der Massentierhaltung<br />

bekannt. Der Ökostrom bemüht sich auf e<strong>in</strong>em abstrakteren Niveau um Anerkennung:<br />

Atomare Strahlung <strong>und</strong> Treibhauseffekt s<strong>in</strong>d unsichtbar <strong>und</strong> müssen erst „erlebbar“<br />

gemacht werden. Zudem ist die anhaltende Zustimmung zu erneuerbaren Energien mit<br />

zunehmendem Erfolg nicht garantiert. W<strong>in</strong>dräder stören den „freien Blick“, Biomasse-<br />

Kraftwerke produzieren auch Abgase, Wasserkraftwerke müssen den ökologischen<br />

E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die Gewässer rechtfertigen. Nicht umsonst erhält bisher die Photovoltaik als<br />

emissionsfreie <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>flächige Erzeugungsanlage die höchsten Zustimmungswerte.<br />

Diese Überlegungen sowie die bisherigen empirischen Ergebnisse zeigen, dass für<br />

Ökostrom sehr hohe Kommunikations-Anstrengungen nötig s<strong>in</strong>d (Beitrag Schrader).<br />

Das seit Jahrzehnten relativ ger<strong>in</strong>ge Energiewissen <strong>in</strong> der Bevölkerung (Borsutzky/Nöldner<br />

1989, S. 30; Dietrich-Damm 1994, S. 119; Gräsel/Bilharz 2002; Allensbach<br />

2003) erleichtert diese Aufgabe nicht. Es macht aber verständlich, dass bisher<br />

fast alle Ökostrom-Anbieter (noch) rote Zahlen schreiben. Der hohe notwendige Werbeaufwand<br />

würde e<strong>in</strong>e Vermarktung v.a. über größere Unternehmen nahe legen. Neben<br />

der bisher allgeme<strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>gen Wechselbereitschaft <strong>in</strong> Deutschland (TrendProfile<br />

2002) sprechen auch Aspekte der Distribution gegen diesen Schritt.<br />

Distribution: Gatekeeper mit gegenläufigen Interessen.<br />

Biologische Lebensmittel kann jeder Bauer auf dem Wochenmarkt ohne große Werbeanstrengungen<br />

verkaufen. Betrachtet man die historische Entwicklung des Biomarktes,<br />

so war genau dies der Fall (Belz 2004). Beim Ökostrom s<strong>in</strong>d größere Kommunikati-


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 149<br />

onsanstrengungen notwendig <strong>und</strong> die Netzgeb<strong>und</strong>enheit von Strom verh<strong>in</strong>dert e<strong>in</strong>en<br />

Verkauf analog zum Wochenmarkt. Allerd<strong>in</strong>gs hat man beim Stromhandel aufgr<strong>und</strong><br />

der Netzgeb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> der historisch gewachsenen monopolistischen Struktur die<br />

besondere Situation, dass man mit relativ ger<strong>in</strong>gem Mehraufwand sämtliche K<strong>und</strong>en<br />

erreichen kann. Da fast jeder Energieversorger e<strong>in</strong> spezielles Ökostrom-Angebot im<br />

Portfolio hat, kann man davon ausgehen, dass die flächendeckende K<strong>und</strong>enansprache<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> rudimentärer Form tatsächlich geschieht.<br />

Doch die Netzbetreiber s<strong>in</strong>d im Stromsektor die zentralen Gatekeeper. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> wurde 1990/91 <strong>in</strong> Deutschland das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz (StrEG) verabschiedet,<br />

um den Betreibern von erneuerbaren Energieanlagen überhaupt erst die Möglichkeit<br />

zu geben, Strom verkaufen zu können (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 14).<br />

Auch nach der Liberalisierung der Strommärkte stellen die – gewollten oder ungewollten<br />

– Beh<strong>in</strong>derungen durch die Netzbetreiber sowohl bei konventionellen als auch bei<br />

Ökostrom-Händlern e<strong>in</strong> zentrales Wettbewerbsh<strong>in</strong>dernis dar. Es ist die Logik der dezentralen<br />

Energieversorgung, die den ökonomischen Interessen der traditionellen<br />

Stromversorger, die gleichzeitig auch Netzbetreiber s<strong>in</strong>d, gr<strong>und</strong>sätzlich widerspricht.<br />

Neue erneuerbare Energien führen im Normalfall zu e<strong>in</strong>er dezentralen Produktion.<br />

Ausnahmen davon stellen Offshore-W<strong>in</strong>danlagen <strong>und</strong> solarthermische Kraftwerke dar.<br />

Die dezentrale Produktion von erneuerbaren Energien geht e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren<br />

Kapitalbedarf pro Kraftwerk, d.h. die Markte<strong>in</strong>trittsbarrieren s<strong>in</strong>d wesentlich niedriger<br />

<strong>und</strong> die potenzielle Konkurrenz entsprechend größer. Auf die Netzbetreiber<br />

kommen neue Anforderungen aufgr<strong>und</strong> der durch unterschiedliche Witterungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

verursachten Angebotsschwankungen (Volatilität) h<strong>in</strong>zu. Das unternehmerische<br />

Interesse an neuen erneuerbaren Energien ist dementsprechend bei den meisten<br />

traditionellen Stromversorgern eher nebensächlich bis negativ. Folgerichtig werden<br />

Projekte <strong>in</strong> diesem Bereich aus dem Werbeetat f<strong>in</strong>anziert. 5<br />

Im Lebensmittelsektor h<strong>in</strong>gegen gilt der Handel als Gatekeeper. Dies hat lange Zeit<br />

e<strong>in</strong> stärkeres Wachstum im Bio-Sektor verh<strong>in</strong>dert. Inzwischen hat sich dies v.a. <strong>in</strong> der<br />

Schweiz, aber auch <strong>in</strong> Deutschland gr<strong>und</strong>legend gewandelt, weil sich autonome Distributionskanäle<br />

als erfolgreich erwiesen <strong>und</strong> die Gatekeeper-Stellung des konventionellen<br />

Handels unterlaufen konnten. Der Handel hat darauf nicht nur mit eigenen Bio-<br />

Sortimenten reagiert (z.B. „Füllhorn“ (Rewe), „Naturk<strong>in</strong>d“ (Tengelmann)), sondern<br />

nutzt diese auch proaktiv zur Differenzierung <strong>und</strong> zur Gew<strong>in</strong>nsteigerung im Wettbewerb<br />

(Beitrag Belz/Ditze <strong>und</strong> Leitner). Im Gegensatz zum Stromsektor besteht hier<br />

ke<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>sätzlicher Interessenskonflikt beim Gatekeeper, da durch das Bio-Sortiment


150 Michael Bilharz<br />

lediglich die Produktvielfalt erhöht wird, aber nicht gr<strong>und</strong>legend neue Anforderungen<br />

gestellt werden.<br />

Unter der Perspektive der Distribution zeichnet der Vergleich zwar ebenfalls e<strong>in</strong> ambivalentes<br />

Bild. Der gr<strong>und</strong>legendere Interessenskonflikt bei den Gatekeepern im<br />

Stromsektor legt aber auch hier e<strong>in</strong>e vorsichtigere Marktschätzung als beim Lebensmittelsektor<br />

nahe. Dies kann sich ändern, wenn der Interessenskonflikt durch staatliche<br />

Regelungen aufgelöst wird. So erreichten <strong>in</strong> Holland <strong>in</strong>nerhalb von zwei Jahren Ökostrom-Angebote<br />

e<strong>in</strong>en Marktanteil von r<strong>und</strong> 30% bei Haushaltsk<strong>und</strong>en, weil jene u.a.<br />

von der Ökosteuer befreit wurden <strong>und</strong> dadurch <strong>in</strong> etwa auf dem Preisniveau konventioneller<br />

Angebote lagen (Sambeek/Thuijl 2003). Damit wird aber die Marktabschätzung<br />

<strong>und</strong> -entwicklung auf e<strong>in</strong>e politische Ebene verlagert <strong>und</strong> es stellt sich die Frage,<br />

wie Unternehmen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es transformativen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> hierauf E<strong>in</strong>fluss üben<br />

können.<br />

4 Ökostrom-Markt: „Anders als andere“<br />

Bio-Lebensmittel <strong>und</strong> Ökostrom: Der Vergleich h<strong>in</strong>kt<br />

Sowohl im Lebensmittel- als auch im Strommarkt fallen zentrale soziale <strong>und</strong> ökologische<br />

Probleme auf den Stufen der Rohstoffgew<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> der Produktion an. Die<br />

Wahrnehmung des Zusatznutzens der Öko-Varianten durch den K<strong>und</strong>en ist h<strong>in</strong>gegen<br />

der kritische Faktor für das Marktpotenzial. So fördert der zugeschriebene Ges<strong>und</strong>heitsnutzen<br />

den Absatz von Bio-Lebensmitteln, während der Mangel an vergleichbaren<br />

Motivallianzen vermutlich e<strong>in</strong> wichtiges H<strong>in</strong>dernis für die Vermarktung von Ökostrom<br />

darstellt. Da Ökostrom der direkte Zusatznutzen (mit Ausnahme des guten Gewissens)<br />

fehlt, geht der Bezug von Ökostrom nicht über den Status e<strong>in</strong>er „Spende für<br />

erneuerbare Energien“ h<strong>in</strong>aus. Es ist e<strong>in</strong> äußerst abstraktes Produkt, das e<strong>in</strong>en hohen<br />

Erklärungsaufwand erfordert. Die bisher auf dem Markt bef<strong>in</strong>dlichen Angebote lassen<br />

ke<strong>in</strong> Potenzial für Prestige oder Statuseffekte erkennen (im Gegensatz z.B. zum Besitz<br />

von Photovoltaik-Anlagen; Hübner/Felser 2001, S. 25). E<strong>in</strong>e Ausnahme könnten hierbei<br />

Gewerbek<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>, die mit dem Bezug von Ökostrom werben können, wie erste<br />

Beispiele <strong>in</strong> Deutschland (z.B. Rittersport, Deutsche Post) <strong>und</strong> der Schweiz (z.B.<br />

Swisscom) zeigen. Allerd<strong>in</strong>gs dürfte hier ebenfalls der Preis e<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielen.<br />

Die Unterschiede zu Bio-Lebensmitteln s<strong>in</strong>d demnach zu groß, als dass man aus<br />

deren Marktentwicklung f<strong>und</strong>ierte Rückschlüsse für die Marktentwicklung von Ökostrom<br />

ziehen könnte. Es wird deutlich, dass die Vermarktung von Ökostrom vor e<strong>in</strong>er


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 151<br />

Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten steht, welche die Unterstützung durch staatliche<br />

Maßnahmen notwendig ersche<strong>in</strong>en lassen (Wüstenhagen 2000, S. 198).<br />

Angebot größer als die Nachfrage: Dom<strong>in</strong>anz politischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Allerd<strong>in</strong>gs bezog sich die bisherige Argumentation <strong>und</strong> die damit e<strong>in</strong>hergehende skeptische<br />

E<strong>in</strong>schätzung des Marktpotenzials auf das Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, d.h. auf den<br />

Verkauf von Ökostrom. Betrachtet man h<strong>in</strong>gegen die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren<br />

Energien, lässt sich e<strong>in</strong>e dynamische Marktentwicklung <strong>in</strong> vielen Ländern<br />

feststellen. Dabei ergibt sich im allgeme<strong>in</strong>en die sche<strong>in</strong>bar paradoxe Situation, dass<br />

das Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien weit über der Nachfrage nach Ökostrom<br />

liegt (Abb. 2). Der Gr<strong>und</strong> liegt <strong>in</strong> politischen Förder<strong>in</strong>strumenten, die die Erzeugung<br />

<strong>und</strong> nicht den Verbrauch von Ökostrom honorieren.<br />

Mrd. kWh<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1 1,3 1,6<br />

2,3<br />

2,8<br />

Angebot <strong>und</strong> Nachfrage<br />

3,7<br />

4,8<br />

1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003<br />

6,8<br />

0,1<br />

7,9<br />

0,7<br />

13,2<br />

1<br />

17,8<br />

1,3<br />

21<br />

1,6<br />

25<br />

1,7<br />

Angebot (ohne<br />

Großwasserkraft)<br />

Nachfrage nach<br />

Ökostrom<br />

Abbildung 2: Angebot von Strom aus neuen erneuerbaren Energien <strong>und</strong> Nachfrage nach Ökostrom <strong>in</strong><br />

Deutschland (Quelle: BMU 2002a, S. 7; VDEW 2004; eigene Berechnungen)<br />

Deutschland hat es auf diese Weise trotz suboptimaler geografischer Voraussetzungen<br />

zum Marktführer h<strong>in</strong>sichtlich neuer erneuerbarer Energien geschafft. Im Jahr 2003<br />

entfielen <strong>in</strong>nerhalb der EU bspw. r<strong>und</strong> 50% der neu <strong>in</strong>stallierten Leistung an W<strong>in</strong>denergie<br />

auf Deutschland (B<strong>und</strong>esverband W<strong>in</strong>denergie 2004). Von 1991 bis 2003 vervielfachte<br />

sich die durch neue erneuerbare Energien erzeugte Strommenge von e<strong>in</strong>er<br />

auf 25 Mrd. kWh (Abb. 2). Damit verdoppelte sich im gleichen Zeitraum der Anteil<br />

aller erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von r<strong>und</strong> 4% auf 8%. Gr<strong>und</strong> für


152 Michael Bilharz<br />

dieses Wachstum s<strong>in</strong>d die seit 1991 gültigen M<strong>in</strong>destvergütungen durch das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz<br />

(StrEG) bzw. seit 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />

(EEG). Wesentliche Elemente des EEG wurden von verschiedenen Ländern, z.B. den<br />

Nachbarländern Frankreich <strong>und</strong> Tschechien, übernommen (BMU 2002b, S. 7).<br />

Demgegenüber nehmen sich die Absatzzahlen für Ökostrom relativ ger<strong>in</strong>g aus. Im Jahr<br />

2003 lag das Marktvolumen für Ökostrom bei 1,7 Mrd. kWh (Abb. 2) bzw. r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

halben Million K<strong>und</strong>en (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 37). Hieraus errechnet sich e<strong>in</strong><br />

Marktanteil <strong>in</strong> Höhe von 0,4% bezogen auf den gesamten Stromverbrauch. Dies entspricht<br />

<strong>in</strong> etwa dem durchschnittlichen Marktvolumen im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich,<br />

welches Bird et al. <strong>in</strong> ihrer Untersuchung mit kle<strong>in</strong>er als 1% beziffern (dies. 2002,<br />

S. 534).<br />

An dieser Dom<strong>in</strong>anz des EEG als zentralem Fördermechanismus für erneuerbare Energien<br />

wird sich auch bis auf weiteres nichts ändern. Die Gründe hierfür liegen auf<br />

der Hand. Das EEG bietet den Investoren e<strong>in</strong>en Individualnutzen <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er (wahrsche<strong>in</strong>lichen)<br />

Kapitalverz<strong>in</strong>sung. Der Kauf von Ökostrom hat h<strong>in</strong>gegen den Charakter<br />

e<strong>in</strong>er Spende für die Umwelt. Es gilt: „Wer erneuerbare Energien fördern bzw. wer die<br />

Umwelt schützen will, der muss zahlen.“ Die Marktentwicklung beim Verkauf von<br />

Ökostrom h<strong>in</strong>kt auf diese Weise der Marktentwicklung bei der Erzeugung von Ökostrom<br />

dauerhaft h<strong>in</strong>terher.<br />

5 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien: Vier Thesen<br />

Die bisherigen Ausführungen lassen sich zusammenfassen als Kritik am Optimismus<br />

<strong>in</strong> Bezug auf die Vermarktung von Ökostrom. Dieser Optimismus ignoriert die Besonderheiten<br />

des Ökostrom-Marktes. Das Marktpotenzial ebenso wie dessen ökologische<br />

Förderwirkungen s<strong>in</strong>d sowohl beim Vergleich mit dem Bio-Lebensmittelmarkt als<br />

auch aufgr<strong>und</strong> der Analyse der erfolgreichen Marktentwicklung von erneuerbaren Energien<br />

<strong>in</strong> Deutschland eher skeptisch e<strong>in</strong>zuschätzen. „Skeptisch“ heißt aber nicht „überflüssig“.<br />

Denn es gibt mehr Gründe zum Optimismus, wenn man die Perspektive<br />

vom Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf e<strong>in</strong> umfassenderes Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien erweitert (Abb. 3). Dieses fokusiert nicht nur auf<br />

den Verkauf von Ökostrom an Endk<strong>und</strong>en, wie dies beim Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der<br />

Fall ist (Pfeil 4), sondern stellt den Ausbau erneuerbarer Energien <strong>in</strong> den Mittelpunkt.<br />

Hierdurch geraten zusätzliche Ansatzpunkte für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong>s Blickfeld (Pfeile<br />

1-5). 6 Vier gr<strong>und</strong>legende Aspekte gilt es hierbei zu berücksichtigen. Diese werden<br />

<strong>in</strong> Form von vier Thesen abschließend diskutiert.


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 153<br />

Fokus des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

für erneuerbare Energien<br />

Ausbau<br />

erneuerbarer<br />

Energien<br />

�<br />

�<br />

Produzent<br />

�<br />

Stromhändler<br />

�<br />

�<br />

Fokus des Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Investor<br />

Konsument<br />

Abbildung 3: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien <strong>und</strong> Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />

These 1: Maßstab für erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist der Ausbau von<br />

erneuerbaren Energien.<br />

Während bei Bio-Lebensmitteln im Laufe der letzten Jahrzehnte im Wechselspiel zwischen<br />

Angebot, Nachfrage <strong>und</strong> staatlichen Maßnahmen e<strong>in</strong> Markt auch jenseits der<br />

Öko-Nische aufgebaut wurde, war <strong>und</strong> ist der Ökostrom-Markt sehr stark von staatlichen<br />

Förderbed<strong>in</strong>gungen geprägt. Diese Förderbed<strong>in</strong>gungen haben e<strong>in</strong> Marktwachstum<br />

jenseits der Öko-Nische ohne entsprechende Konsumnachfrage bewirkt. Umgekehrt<br />

führt die Nachfrage nach Ökostrom nicht automatisch zum Ausbau von erneuerbaren<br />

Energien, solange das Angebot größer als die Nachfrage ist. Dies bedeutet, dass<br />

die Gleichsetzung von K<strong>und</strong>ennachfrage <strong>und</strong> sozial-ökologischem Fördereffekt, wie<br />

sie im Lebensmittelmarkt gr<strong>und</strong>sätzlich möglich ist, im Ökostrom-Markt ke<strong>in</strong>e Gültigkeit<br />

besitzt. Primäres Erfolgskriterium e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare<br />

Energien, welches zur Verr<strong>in</strong>gerung der sozial-ökologischen Problemlagen beiträgt,<br />

kann daher nur der ausgelöste Ausbau von erneuerbaren Energien se<strong>in</strong>. Dabei müssen<br />

sowohl die direkt <strong>in</strong>stallierten Kapazitäten als auch die durch das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong>direkt ausgelösten Effekte berücksichtigt werden (z.B. öffentliche Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />

durch Werbung für erneuerbare Energien).<br />

Aufgr<strong>und</strong> der für K<strong>und</strong>en kaum durchschaubaren Komplexität im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Förderwirkung von Ökostrom-Angeboten kommt Labels e<strong>in</strong>e wichtige ordnende


154 Michael Bilharz<br />

Funktion zu. Sie sollten die Komplexität <strong>und</strong> Varietät für <strong>in</strong>teressierte K<strong>und</strong>en handhabbar<br />

machen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en über staatliche Fördermaßnahmen h<strong>in</strong>ausgehenden Umweltnutzen<br />

sicher stellen (vgl. z.B. die beiden Labels „ok-power“ sowie „Grüner Strom“ <strong>in</strong><br />

Deutschland).<br />

These 2: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien fokussiert primär auf<br />

die Erzeugung, weniger auf den Konsum von Ökostrom.<br />

Der erfolgreiche Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgt bisher über die Förderung<br />

der Erzeugung von Ökostrom (wie z.B. mittels M<strong>in</strong>destvergütungen <strong>in</strong> Deutschland),<br />

nicht jedoch über die Förderung des Bezugs von Ökostrom. Letzteres ist bspw. <strong>in</strong> Holland<br />

ohne nennenswerten Ausbaueffekt geschehen. Zwar führten entsprechende Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> Holland (z.B Befreiung von der Ökosteuer) zu e<strong>in</strong>em Marktanteil<br />

von Ökostrom-Angeboten von r<strong>und</strong> 30% bei Haushaltsk<strong>und</strong>en im Jahr 2002. Der<br />

Strom wurde aber fast ausschließlich aus bestehenden Anlagen im Ausland bezogen<br />

(primär Wasserkraft <strong>und</strong> Biomasse <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien), so dass kaum Wachstum bei erneuerbaren<br />

Energien vorzuweisen war. Dies führte u.a. zur Wiedere<strong>in</strong>führung von<br />

M<strong>in</strong>destvergütungen, um auch <strong>in</strong> Holland e<strong>in</strong>e Neubauleistung bei erneuerbaren Energien<br />

realisieren zu können (Sambeek/Thuijl 2003).<br />

Erfolgreiches <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sollte sich deshalb <strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das Leistungsangebot nicht so sehr auf die Vermarktung des Konsums<br />

von Ökostrom, sondern viel stärker auf die Vermarktung der Erzeugung von Ökostrom<br />

konzentrieren, wie es verschiedene Unternehmen bereits vormachen (Wüstenhagen<br />

2004, S. 25). Dies schließt die Endverbraucher als Zielgruppe nicht aus. Verschiedene<br />

Optionen s<strong>in</strong>d hier denkbar. Als Beispiele seien genannt:<br />

� Beteiligungen an erneuerbaren Energien <strong>in</strong> Ländern mit M<strong>in</strong>destvergütungen können<br />

über Ländergrenzen h<strong>in</strong>weg vermarktet werden.<br />

� E<strong>in</strong> freiwilliger Aufpreis auf den Strompreis könnte zum Aufbau e<strong>in</strong>er Kapitalbeteiligung<br />

an erneuerbaren Energien genutzt werden (im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „Solar-<br />

Sparens“ <strong>in</strong> Analogie zum Bausparen).<br />

� Neue Formen dezentraler Energieversorgungssysteme (z.B. Brennstoffzellen)<br />

könnten auch von klassischen Stromversorgern erfolgreich vermarktet werden.<br />

� Je nach Unternehmung können auch andere Aspekte e<strong>in</strong>er nachhaltigen Energieversorgung<br />

Teil des Leistungsangebots werden (z.B. erneuerbare Energien im Bereich<br />

von Wärmeerzeugung oder Treibstoffen; Dienstleistungen zur Energiee<strong>in</strong>sparung).


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 155<br />

� Erneuerbare Energien können im Rahmen spezieller Kommunikationsmaßnahmen<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen (z.B. Sponsor<strong>in</strong>g von Elektrifizierungsprojekten <strong>in</strong><br />

ländlichen Regionen der „Dritten Welt“).<br />

These 3: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien basiert auf e<strong>in</strong>er konsistenten<br />

Ausrichtung aller <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Schritte.<br />

Die hohe Akzeptanz erneuerbarer Energien führt dazu, dass Stromversorger <strong>in</strong> ihrer<br />

Kommunikationspolitik ihr Engagement zur Förderung erneuerbarer Energien betonen.<br />

Da die dezentrale Erzeugungsstruktur jedoch den Interessen etablierter Stromversorger<br />

widerspricht (Kap. 3), besteht die Gefahr, dass das Engagement nicht über den<br />

Status e<strong>in</strong>es „grünen Mäntelchens“ h<strong>in</strong>aus geht oder gar auf transformativer Ebene<br />

konterkariert wird. So wurden <strong>und</strong> werden <strong>in</strong> Deutschland die offensichtlich erfolgreichen<br />

gesetzlichen M<strong>in</strong>destvergütungen (StrEG, EEG) von etablierten Stromversorgern<br />

weder unterstützt noch akzeptiert. Vielmehr klagten <strong>und</strong> klagen sie aktiv öffentlich<br />

<strong>und</strong> rechtlich gegen das StrEG <strong>und</strong> das EEG. Exemplarisch sei auf die abgewiesene<br />

Klage gegen das StrEG vor dem Europäischen Gerichtshof verwiesen sowie auf die<br />

Vielzahl an verunsichernden Formulierungen <strong>in</strong> E<strong>in</strong>speiseverträgen mit Photovoltaikbetreibern<br />

(von Fabeck 2001).Vielerorts kam <strong>und</strong> kommt es auch zu Beh<strong>in</strong>derungen<br />

<strong>und</strong> Des<strong>in</strong>formationen privater Anlagenbetreiber durch die Netzbetreiber. Vertreter<br />

von Stromversorgern betonen gewöhnlich die unterstellte Ineffizienz des EEG <strong>und</strong> die<br />

Unvere<strong>in</strong>barkeit des EEG mit e<strong>in</strong>em liberalisierten Markt: „In dieser Zeit [vor der Liberalisierung;<br />

M.B.] entstandene Förderkonzepte wie das Strome<strong>in</strong>speisungsgesetz<br />

basierten auf der Überlegung, dass man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em monopolähnlichen System Förderwege<br />

beschreiten könne, die für marktwirtschaftlich operierende Branchen <strong>und</strong>enkbar<br />

wären“ (Süss 2000, S. 68).<br />

Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann demnach e<strong>in</strong>e Strategie im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Anti- oder Pseudo-<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> se<strong>in</strong>:<br />

� Auf strategischer Ebene kann Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf die Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften<br />

gerichtet se<strong>in</strong>, ohne dass e<strong>in</strong> realer Beitrag an zusätzlicher<br />

Umweltleistung erbracht oder angestrebt wird. Bei vielen traditionellen Stromversorgern<br />

werden dementsprechend Ökostrom-Angebote primär als defensive Marktabsicherungsstrategien<br />

e<strong>in</strong>gesetzt (Graehl et al. 2001, S. 225). Dies kann trotzdem<br />

e<strong>in</strong>hergehen mit positiven <strong>in</strong>direkten Effekten (z.B. durch hohe Werbeausgaben für<br />

erneuerbare Energien; Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 49).


156 Michael Bilharz<br />

� Auf transformativer Ebene kann Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>gesetzt werden, um offensiv<br />

gegen effektivere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu argumentieren. Motive können<br />

die gr<strong>und</strong>sätzliche Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es Marktes für erneuerbare Energien oder die<br />

Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es größeren Marktwachstums se<strong>in</strong>. In beiden Fällen wird aber gegen<br />

den Ausbau von erneuerbaren Energien gearbeitet.<br />

Abgesehen davon, dass letztlich nur e<strong>in</strong>e kritische Öffentlichkeit Unternehmen an<br />

Pseudo-<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> h<strong>in</strong>dern kann, besteht e<strong>in</strong> weiteres Problem <strong>in</strong> der<br />

Tatsache, dass die Frage nach den „richtigen“ Rahmenbed<strong>in</strong>gungen durchaus kontrovers<br />

diskutiert wird. Dies erfordert e<strong>in</strong>e weitere Klärung.<br />

These 4: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterstützt auf transformativer Ebene die erfolgreichsten<br />

Strukturen zur Förderung erneuerbarer Energien.<br />

Im Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wird den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen sowie der<br />

unternehmerischen Verantwortung zur Gestaltung derselben e<strong>in</strong> besonderer Stellenwert<br />

zugewiesen (Beitrag Belz). Dies geschieht auf der Basis der Idee: Je sozialökologischer<br />

die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d, desto besser s<strong>in</strong>d auch die Marktchancen<br />

für nachhaltige Produkte. Legitimieren lässt sich dies durch Verweis auf die durch sozial-ökologische<br />

Probleme verursachten externen Kosten, die von den Marktpreisen<br />

nicht erfasst werden. Unter sozial-ökologischer Perspektive ist es daher e<strong>in</strong> zentrales<br />

Ziel, diese externen Kosten zu <strong>in</strong>ternalisieren. Dies kann durch Unternehmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ersten Schritt durch die Bildung von Motivallianzen geschehen (Beitrag Belz). In e<strong>in</strong>em<br />

weiteren Schritt gilt es, die Internalisierung der externen Kosten durch die Änderung<br />

von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu erreichen, woran sich auch Unternehmen – im positiven<br />

wie im negativen S<strong>in</strong>ne – beteiligen (können) (Schneidew<strong>in</strong>d 1998). Unter dieser<br />

Perspektive sei es daher legitim, dass Unternehmen sich im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es „wohlverstandenen<br />

Eigen<strong>in</strong>teresses“ für bessere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>setzen (transformatives<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>; Beitrag Belz).<br />

Das Beispiel Deutschland hat aber gezeigt, dass das Eigen<strong>in</strong>teresse von Anbietern von<br />

Ökostrom-Produkten (nämlich der höhere Absatz von Ökostrom) nicht automatisch<br />

zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen führt. Bei genauerer Betrachtung<br />

lässt sich feststellen, dass Stromversorger eher auf die Vermarktung von Ökostrom-<br />

Produkten an die Endk<strong>und</strong>en bzw. auf den „freien Markt“ setzen, während Betreiber<br />

<strong>und</strong> Hersteller<strong>in</strong>dustrie eher die staatlichen Fördergesetze unterstützen. E<strong>in</strong>e zentrale<br />

Ursache v.a. <strong>in</strong> Bezug auf die re<strong>in</strong>en Ökostrom-Händler liegt dar<strong>in</strong>, dass M<strong>in</strong>destvergütungen<br />

die Preise für „förderwürdigen Strom“ tendenziell verteuern, da ke<strong>in</strong> Erzeuger<br />

se<strong>in</strong>en Ökostrom unterhalb der Höhe der gesetzlich garantierten M<strong>in</strong>destvergütun-


Strom hat ke<strong>in</strong>e Vitam<strong>in</strong>e 157<br />

gen verkaufen wird. Die Absatzchancen von Ökostrom werden deshalb durch M<strong>in</strong>destvergütungen<br />

verr<strong>in</strong>gert (Langniss/Markard 1999, S. 276). D.h. aber, dass es im<br />

Eigen<strong>in</strong>teresse von Ökostrom-Anbietern liegen würde, wenn es ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>destvergütungen<br />

für erneuerbare Energien gäbe. Mit anderen Worten: E<strong>in</strong> langsameres Marktwachstum<br />

bei den erneuerbaren Energien wäre für die Ökostrom-Anbieter vorteilhaft.<br />

Dies macht deutlich, dass das „wohlverstandene Eigen<strong>in</strong>teresse“ auf dem Markt für<br />

erneuerbare Energien nicht homogen ist, sondern dass <strong>in</strong>sbesondere die Interessen von<br />

Stromhändlern <strong>und</strong> Netzbetreibern auf der e<strong>in</strong>en sowie der Hersteller <strong>und</strong> Projektierer<br />

auf der anderen Seite divergieren. Der Aufruf zum E<strong>in</strong>satz von transformativem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

muss deshalb <strong>in</strong> diesem Falle kritisch <strong>in</strong> Bezug zu der eigentlichen<br />

Zielgröße nachhaltiger Entwicklung, nämlich der Verr<strong>in</strong>gerung sozialökologischer<br />

Probleme h<strong>in</strong>terfragt werden. Wenn – wie im Falle der erneuerbaren Energien<br />

– die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dem strategischen Schnittmengen-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vorauseilen,<br />

kann man im Rahmen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> das Rad nicht zurückdrehen<br />

wollen. Statt für den Erhalt alter, wenig nachhaltiger Strukturen zu kämpfen,<br />

müssen Ökostrom-Unternehmen über ihren eigenen Schatten spr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

ihr Leistungsangebot an die neuen Strukturen anpassen (Abb. 3). Denn e<strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>teresse<br />

bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte ist nur dann e<strong>in</strong> „wohlverstandenes“,<br />

wenn es zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen beiträgt. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

ist demnach ebenso wie das <strong>Nachhaltigkeits</strong>konzept <strong>in</strong>sgesamt ke<strong>in</strong><br />

Konsenskonzept (Brand 1997, S. 12), sondern muss unterschiedliche Interessen aufdecken<br />

<strong>und</strong> berücksichtigen. Mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Herausforderung für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong>!<br />

1 Als Ökostrom wird Strom aus erneuerbaren oder anderen umweltverträglichen Energieträgern bezeichnet.<br />

Ökostrom-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrifft demnach die Vermarktung dieses Stroms an Endk<strong>und</strong>en<br />

(Wüstenhagen 2004, S. 19). Dabei kann man unterscheiden zwischen „neuen“ (W<strong>in</strong>dkraft, Photovoltaik,<br />

Biomasse- <strong>und</strong> Biogasanlagen) <strong>und</strong> solchen erneuerbaren Energien, welche schon länger<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden (z.B. größere Wasserkraftanlagen). Der Begriff „neue erneuerbare Energien“<br />

wird hier <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne verwendet.<br />

2 Da es sich beim Begriff Ökostrom um e<strong>in</strong>en geläufigen Fachterm<strong>in</strong>us handelt, wird an diesem Begriff<br />

festgehalten <strong>und</strong> nicht von „nachhaltigem Strom“ gesprochen, auch wenn dieses Produkt e<strong>in</strong>en<br />

Beitrag zur Verr<strong>in</strong>gerung ökologischer <strong>und</strong> sozialer Probleme liefert.<br />

3 Die Vere<strong>in</strong>igung der deutschen Elektrizitätswirtschaft geht von durchschnittlichen Kosten <strong>in</strong> Höhe<br />

von 50 Euro pro Monat für e<strong>in</strong>en Drei-Personen-Haushalt mit e<strong>in</strong>em Jahresverbrauch von 3.500<br />

kWh aus (VDEW 2003).<br />

4 So beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung <strong>in</strong> Deutschland ca. 8% <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

der Schweiz sogar ca. 60%. Daraus folgt, dass <strong>in</strong> Deutschland ca. 25% <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Schweiz 100%<br />

der Privatk<strong>und</strong>en bereits heute mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden könnten.


158 Michael Bilharz<br />

5 Im Workshop „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Strombranche: E<strong>in</strong>e Chance für die Kle<strong>in</strong>en?" auf<br />

dem 5. St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Management am 25.11.2003 (Belz/Bilharz 2003)<br />

wurde diese Aussage z.B. von Franco Milani, <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Leiter der Rätia Energie, bestätigt. Rätia<br />

Energie ist e<strong>in</strong>er der erfolgreichsten Schweizer Ökostrom-Anbieter.<br />

6 Durch den E<strong>in</strong>bezug von Energieeffizienztechnologien <strong>und</strong> Dienstleistungen zur Energiee<strong>in</strong>sparung<br />

ließe sich das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für erneuerbare Energien nochmals zu e<strong>in</strong>em <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

für Energie erweitern. Diese <strong>in</strong>teressante Perspektive würde jedoch den<br />

Rahmen dieses Beitrags sprengen.<br />

Literaturverzeichnis<br />

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Ergebnisse e<strong>in</strong>er Repräsentativbefragung, Allensbach.<br />

Belz, F.-M. (2004): A transition towards susta<strong>in</strong>ability <strong>in</strong> the swiss agri-food cha<strong>in</strong><br />

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B./Geels, F./Green, K.: “System Innovation and the Transition to Susta<strong>in</strong>ability:<br />

Theory, Evidence and Policy, Cheltenham: Edgar Elgar, S. 133-156.<br />

Belz, F.-M./Bilharz, M. (Hrsg) (2003): <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />

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Bilharz, M. (2003): Individuelle Ökobilanzen für e<strong>in</strong>en nachhaltigen Konsum: E<strong>in</strong>e<br />

explorative Studie, IWÖ-Diskussionsbeitrag Nr. 109, St. Gallen.<br />

Bird, L./Wüstenhagen, R./Aabakken, J. (2002): A review of <strong>in</strong>ternational green power<br />

markets: recent experience, trends, and market drivers; <strong>in</strong>: Renewable and Susta<strong>in</strong>able<br />

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<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Entwicklung, Berl<strong>in</strong>.<br />

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<strong>und</strong> der Kostenentwicklung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren<br />

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Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität<br />

oder Fair Trade-Kaffee: E<strong>in</strong>e Analyse der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten<br />

Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

1 E<strong>in</strong>führung<br />

Lebensmittelproduzenten sprechen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwei K<strong>und</strong>engruppen<br />

an, den Detailhandel als Absatzmittler <strong>und</strong> den Endverbraucher. Der Lebensmittelhandel<br />

agiert als „Diffusionsagent“ für sozial-ökologische Produkte <strong>und</strong> Leistungen<br />

(Kull 1998, S. 86-91; Hansen/Kull 1996, S. 92-93) <strong>und</strong> kontrolliert somit die<br />

Schnittstelle zum Endverbraucher (Feige 1996, S. 5-8). Es obliegt se<strong>in</strong>er Entscheidung,<br />

welche sozial-ökologischen Lebensmittelprodukte <strong>in</strong> den Handelsregalen zu f<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> wie sie positioniert werden. Die Lebensmittelhersteller versuchen daher<br />

die Sortimentsentscheidungen durch e<strong>in</strong>e handelsgerichtete Absatzförderung zu bee<strong>in</strong>flussen<br />

<strong>und</strong> die Produkte mittels Push-Strategie durch den Absatzkanal zu „drücken“<br />

(Kotler/Bliemel 2001, S. 920-921). Mit Hilfe e<strong>in</strong>er Pull-Strategie sprechen die Unternehmen<br />

den Endverbraucher direkt an <strong>und</strong> erzeugen e<strong>in</strong>e vom Konsumgütermarkt<br />

ausgehende Sogwirkung. Die Lebensmittelprodukte werden durch Stimulierung der<br />

Nachfrage durch den Distributionskanal „gezogen“.<br />

Die Nachfragemacht des Handels hat durch Konzentrationsprozesse im stagnierenden<br />

Lebensmittelmarkt <strong>in</strong> den letzten Jahren erheblich zugenommen (Gordon 1998,<br />

S. 102-110; Feige 1996, S. 5-12; Schmidt/Jasper 2001, S. 64-65; Tansey/Worsley<br />

1995, S. 124-125). Sie manifestiert sich <strong>in</strong> den Preiskonditionen für die Produzenten,<br />

<strong>in</strong> den Regalgebühren bei der Lancierung neuer Produkte <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Auslistung von<br />

Artikeln, wenn die Bed<strong>in</strong>gungen des Handels nicht akzeptiert werden (Gordon 1998,<br />

S. 104). Generell haben Industriemarken im Vergleich zu Handelsmarken <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren an Bedeutung verloren, <strong>und</strong> „es ist der Industrie <strong>in</strong> den meisten Fällen nicht<br />

mehr möglich, die eigenen Konzepte durch den Handel h<strong>in</strong>durch zu steuern“ (Feige<br />

1996, S. 6). Das verschärft den horizontalen Wettbewerb zwischen den Herstellern, die<br />

bei der Vermarktung ihrer Produkte <strong>in</strong> zunehmendem Maße auf die Sortiments- <strong>und</strong><br />

Distributionspolitik des Handels angewiesen s<strong>in</strong>d (Hofer 2001, S. 164-168; Tan-


162 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

sey/Worsley 1995, S. 124-125). In diesem Kontext bietet <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

den Lebensmittelunternehmen möglicherweise Profilierungspotenzial im stagnierenden<br />

Markt <strong>und</strong> die Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber dem Handel.<br />

Die folgende Untersuchung soll anhand von drei Fallstudien aufzeigen, unter welchen<br />

Umständen es kle<strong>in</strong>en, mittelständischen <strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Schweizer Lebensmittelproduzenten<br />

gel<strong>in</strong>gen kann, sich durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu profilieren<br />

<strong>und</strong> Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es gilt festzustellen, <strong>in</strong>wieweit die Größe <strong>und</strong><br />

Marktausrichtung der Unternehmen die Gestaltung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansatzes<br />

<strong>und</strong> dessen Erfolgspotenzial bestimmen. In Ahnlehnung an den entscheidungsorientierten<br />

Ansatz (Belz 2003, S. 352-355, Beitrag Belz) werden die gewählten<br />

Fallstudien auf drei Ebenen analysiert.<br />

1. Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Formulierung des Leitbilds, der <strong>Nachhaltigkeits</strong>gr<strong>und</strong>sätze<br />

<strong>und</strong> -ziele des Unternehmens<br />

2. Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Gestaltung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie<br />

<strong>und</strong> Umsetzung im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Mix<br />

3. Transfomatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: Mitgestaltung sozial-ökologischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> der Lebensmittelbranche.<br />

Das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kle<strong>in</strong>er Anbieter wird mittels der unternehmerischen<br />

Selbsthilfeorganisation Napfmilch dargestellt. Das Familienunternehmen BAER dient<br />

als Beispiel für mittelständische Lebensmittelproduzenten. Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>praxis <strong>in</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen wird anhand des Lebensmittelkonzerns<br />

Nestlé erörtert. Die Wahl fiel auf diese drei Unternehmen, da<br />

� sie als Öko- bzw. <strong>Nachhaltigkeits</strong>pioniere <strong>in</strong> der Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie gelten<br />

(SAM 2003; Belz 1995, S. 77-79; Siebenhaar-Ofner 2002, S. 36-37),<br />

� sie wirtschaftlich erfolgreich s<strong>in</strong>d,<br />

� sie e<strong>in</strong>e unterschiedliche Größe <strong>und</strong> Marktausrichtung haben,<br />

� Dokumentation über ihre <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze erhältlich ist,<br />

� Entscheidungsträger <strong>in</strong> den Unternehmen am anwendungsorientierten Forschungsprojekt<br />

„Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“ <strong>in</strong>teressiert waren <strong>und</strong> für<br />

Interviews zur Verfügung standen (Anhang).


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 163<br />

2 Fallstudie Napfmilch<br />

Die Napfmilch AG wurde im Jahr 1998 von Kle<strong>in</strong>bauern aus dem Napfgebiet gegründet<br />

(geografische Lage: Luzerner H<strong>in</strong>terland bis Emmental). Die Selbsthilfeorganisation<br />

führt die Kernkompetenzen der Landwirte der Region <strong>in</strong> Milchherstellung <strong>und</strong><br />

Kräuteranbau zusammen <strong>und</strong> produziert e<strong>in</strong>en Kräuterfrischkäse, der nahezu die e<strong>in</strong>zige<br />

Alternative zu den über 90% importierten Kräuterkäseprodukten darstellt. Das Sortiment<br />

von Napfmilch umfasst heute 30 Produkte. Das Unternehmen beschäftigt sechs<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> erwirtschaftete im Jahr 2002 r<strong>und</strong> 2,3 Millionen Euro Umsatz.<br />

Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Für Napfmilch ist der ökonomische Erfolg ke<strong>in</strong> Selbstzweck, sondern die Unternehmensentwicklung<br />

ist eng mit der nachhaltigen Entwicklung der Napfregion verb<strong>und</strong>en.<br />

Daher ist e<strong>in</strong> wichtiger Gr<strong>und</strong>satz des Unternehmens, vorwiegend Produkte aus dieser<br />

Region zu verwenden <strong>und</strong> – wenn das nicht möglich ist – Schweizer Produkte.<br />

„Die Napfmilch AG ist bestrebt, ihr Sortiment unter E<strong>in</strong>bezug der Ressourcen der Napfregion zu<br />

pflegen <strong>und</strong> auszubauen. E<strong>in</strong>e besonders wichtige Rolle spielt dabei die Napfregion als Kompetenzzentrum<br />

für den Anbau von Kräutern.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />

Die langfristige ökonomische Entwicklung des Unternehmens dient der Erhöhung der<br />

Wertschöpfung <strong>in</strong> der Region, <strong>und</strong> kurzfristige ökonomische Ziele sichern das Überleben<br />

der Aktiengesellschaft.<br />

� „Die Napfmilch AG will dazu beitragen, die bäuerlichen E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der Napfregion für<br />

die Zukunft zu sichern.<br />

� Die Napfmilch AG will <strong>in</strong> der Napfregion Arbeitsplätze schaffen.<br />

� Die Napfmilch AG ist bestrebt, die Attraktivität der Napfregion als Wirtschaftsgebiet zu<br />

fördern.<br />

� Die Napfmilch AG verfolgt das Ziel, genügend Gesamtkapitalrendite zu erwirtschaften, um<br />

ihre Z<strong>in</strong>sen <strong>und</strong> Abschreibungen zu f<strong>in</strong>anzieren.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />

Wichtige soziale bzw. ökologische Zielsetzungen s<strong>in</strong>d die „Pflege“ der Mitarbeiter<br />

<strong>und</strong> der Umwelt.<br />

� „Die Napfmilch AG betrachtet ihre Mitarbeitenden als den wichtigsten Erfolgsfaktor <strong>und</strong><br />

geht entsprechend pfleglich mit ihnen um.“<br />

� Die Napfmilch AG will helfen, die Napfregion als unversehrte Region zu erhalten.<br />

� Die Napfmilch AG geht mit den Ressourcen der Napfregion sorgsam um <strong>und</strong> pflegt bei ihrer<br />

Tätigkeit die Gr<strong>und</strong>sätze der Ökologie.“ (Napfmilch 2001, S. 15)<br />

Die K<strong>und</strong>enperspektive wird im Leitbild vernachlässigt, obwohl Napfmilch marktorientiert<br />

wirtschaftet.


164 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Napfmilch AG vermarktet Lebensmittel aus Integrierter Produktion (IP) <strong>und</strong> aus<br />

biologischem Landbau. 50% der Milchprodukte (gemessen am Umsatz) stammen aus<br />

IP <strong>und</strong> werden unter der Marke Napfmilch als regionale Spezialitäten schweizweit im<br />

Detailhandel angeboten (z.B. Waro, Jumbo, Carrefour <strong>und</strong> Spar). 50% der Produkte<br />

werden für die Bio-Programme des Handels hergestellt (z.B. Manor Bio Natur Plus,<br />

Coop Naturaplan). Außerdem beziehen <strong>in</strong>dustrielle Großk<strong>und</strong>en Frischkäseprodukte<br />

bei Napfmilch (z.B. Hiestand).<br />

Die Listung von Produkten im Detailhandel verdankt das Kle<strong>in</strong>-Unternehmen u.a.<br />

� e<strong>in</strong>er Vertriebspartnerschaft mit dem Käse-Hersteller Emmi, welche die für e<strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>unternehmen ungewöhnlich effiziente <strong>und</strong> professionelle Logistikstruktur<br />

gewährleistet,<br />

� <strong>in</strong>novativen, teilweise mit Preisen ausgezeichneten Produktideen<br />

� <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er professionellen Kommunikation.<br />

Da die Landwirte der Region gleichzeitig Lieferanten <strong>und</strong> Aktionäre von Napfmilch<br />

s<strong>in</strong>d, ist das Engagement groß. Sie s<strong>in</strong>d die Hauptvermittler der Werbebotschaft <strong>und</strong><br />

betreiben M<strong>und</strong>-zu-M<strong>und</strong> Werbung für Napfmilch Produkte auf lokalen Märkten. E<strong>in</strong><br />

Kontakt auf dem Bauernmarkt führte z.B. zu e<strong>in</strong>em wöchentlichen Lieferauftrag von<br />

Bio-Produkten nach Hongkong. Außerdem veranstalten die Landwirte 300 Degustationstage<br />

im Jahr <strong>in</strong> Coop Filialen, auf Messen <strong>und</strong> Veranstaltungen. Konsumenten<br />

empf<strong>in</strong>den die Kommunikation durch die Erzeuger der Lebensmittel als besonders<br />

glaubwürdig. Deshalb tragen die Degustationen wesentlich zur Absatzsteigerung der<br />

Napfmilchprodukte bei. Neben Direktmarket<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Verköstigungen s<strong>in</strong>d PR-<br />

Aktivitäten e<strong>in</strong>e Stärke der Selbsthilfeorganisation. Napfmilch hat z.B. die aus dem<br />

Napfgebiet stammende Sänger<strong>in</strong> Franc<strong>in</strong>e Jordi als Werbeträger<strong>in</strong> unter Vertrag, koord<strong>in</strong>ierte<br />

Werbeaktivitäten beim Auftritt der Sänger<strong>in</strong> beim Grand Prix d’Eurovision<br />

mit Coop <strong>und</strong> sicherte sich somit e<strong>in</strong>en TV-Auftritt. E<strong>in</strong>e weitere <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>schiene<br />

stellt die Schaukäserei des Unternehmens dar, welche auch Restauration von regionalen<br />

Produkten <strong>in</strong> den Kellergewölben <strong>und</strong> die Organisation von Tages-Events anbietet.<br />

Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die als Aktionäre an dem Unternehmen beteiligten Landwirte „setzen e<strong>in</strong> Zeichen für<br />

e<strong>in</strong>e neue, selbstbewusste <strong>und</strong> eigenverantwortliche Landwirtschaftspolitik“ (Napfmilch<br />

2003). Sie unterstützen die regionale Entwicklung <strong>und</strong> wirken somit „der Entkopplung<br />

von Produktionsprozess <strong>und</strong> Konsum“ entgegen (Hofer/Stalder 2000, S. 41).


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 165<br />

Die von Napfmilch verwendete Face-to-Face Kommunikation spielt e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle bei der Bildung von E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Handlungen im Ernährungsbereich (Hofer/Stalder<br />

2000, S. 135) <strong>und</strong> sensibilisiert möglicherweise den Konsumenten für<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>themen <strong>in</strong> der Schweizer Landwirtschaft.<br />

3 Fallstudie BAER<br />

Der Schweizer Familienbetrieb BAER wurde 1922 <strong>in</strong> Küssnacht am Rigi im Kanton<br />

Luzern gegründet. Das Unternehmen stellt Weich-, Schmelz- <strong>und</strong> Halbhartkäse, vegetarische<br />

Produkte <strong>und</strong> Käse-Fertig-Produkte her. Die Aktiengesellschaft beschäftigt ca.<br />

170 Mitarbeiter <strong>und</strong> generierte r<strong>und</strong> 28,5 Millionen Euro Umsatz <strong>und</strong> 400.000 Euro<br />

Gew<strong>in</strong>n im Jahr 2002 (Aktionäre: Familie Baer 65%, Emmi AG 35%). BAER ist die<br />

führende Marke im Weich-Käse sowie Käse-Convenience Bereich am Schweizer<br />

Markt <strong>und</strong> genießt e<strong>in</strong>en hohen Bekanntheitsgrad (gestützt: 85%, IHA-GfM 2003).<br />

Seit dem Jahr 2001 verfolgt das Familienunternehmen e<strong>in</strong>e Internationalisierungsstrategie,<br />

die zurzeit vor allem auf den deutschen Weichkäse-Markt ausgerichtet ist.<br />

Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

BAER legt im Leitbild explizit die wirtschaftliche, ökologische <strong>und</strong> soziale Stoßrichtung<br />

des Unternehmens fest.<br />

„Wir entwickeln unser Unternehmen wirtschaftlich, sozial <strong>und</strong> ökologisch nachhaltig erfolgreich:<br />

� Wir begeistern unsere K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sichern damit unseren wirtschaftlichen<br />

Erfolg.<br />

� Wir pflegen e<strong>in</strong>e partnerschaftliche Kultur – so erbr<strong>in</strong>gen wir geme<strong>in</strong>sam hervorragende<br />

Leistungen, entwickeln uns weiter <strong>und</strong> erreichen persönliche Zufriedenheit.<br />

� Wir tragen unserer natürlichen Umwelt Sorge <strong>und</strong> helfen damit, die Lebensgr<strong>und</strong>lagen für<br />

uns <strong>und</strong> die nachfolgenden Generationen zu sichern.“ (BAER 2003, S. 3)<br />

Es wird außerdem im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Bericht erklärt, wie das Familienunternehmen<br />

die im Leitbild festgehaltenen Werthaltungen <strong>in</strong> die <strong>Praxis</strong> umsetzt. K<strong>und</strong>enzufriedenheit<br />

ist der Maßstab für ökonomischen Erfolg, <strong>und</strong> der Ausbau der Stärken, wie z.B.<br />

Natürlichkeit, K<strong>und</strong>ennähe oder Innovationskraft, ist e<strong>in</strong> zentrales Unternehmensziel.<br />

Soziale Nachhaltigkeit bedeutet für BAER „gegen <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> außen e<strong>in</strong>e partnerschaftliche<br />

Kultur zu leben“ (BAER 2003, S. 8). Dazu gehört unternehmerisches Denken<br />

<strong>und</strong> Handeln des E<strong>in</strong>zelnen, gegenseitige Wertschätzung, offene <strong>und</strong> konfliktfähige<br />

Kommunikation, Zusammenarbeit <strong>und</strong> Lernbereitschaft. Außerdem ist die Förderung<br />

der fachlichen <strong>und</strong> sozialen Kompetenz des Mitarbeiters e<strong>in</strong>e zentrale Zielsetzung des


166 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatzes. Zur Erfolgskontrolle erhebt das Unternehmen soziale Kennzahlen<br />

u.a. über die Mitarbeiterzufriedenheit <strong>und</strong> die Langfristigkeit der Lieferantenbeziehungen.<br />

Aus ökologischer Perspektive übernimmt BAER explizit Verantwortung<br />

für die Erhaltung der Lebensgr<strong>und</strong>lagen jetzt <strong>und</strong> für die Zukunft. Den Weg zur Sicherung<br />

der natürlichen Ressourcen führt für den Familienbetrieb e<strong>in</strong>erseits über die Öko-<br />

Effizienz <strong>und</strong> andererseits über „ökologisch bewusstes Handeln über die Grenzen des<br />

eigenen Unternehmens h<strong>in</strong>aus“ (BAER 2003, S. 3). Damit deutet das Lebensmittelunternehmen<br />

das Engagement für sozial- <strong>und</strong> ökologisch-fortschrittliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

auch im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> an.<br />

Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

BAER gelang zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre als erstem Schweizer Lebensmittelhersteller<br />

e<strong>in</strong> Bio-Markenprodukt im Detailhandel zu lancieren. Der Öko-Tomme – Marke<br />

BAER – war das erste Produkt aus biologischem Anbau, das schweizweit im Handelsunternehmen<br />

Coop vertrieben wurde. Zu diesem Zeitpunkt existierte die ökologische<br />

Handelsmarke Coop Naturaplan noch nicht.<br />

Die Markte<strong>in</strong>führung des Öko-Tomme wurde von e<strong>in</strong>er Pull-Strategie begleitet. Degustationen<br />

<strong>und</strong> PR-Maßnahmen sollten den Bekanntheitsgrad des Bio-Käse erhöhen<br />

(z.B. Medientag mit Besuch beim Biobauern, Pressekonferenz, Plakatkampagne).<br />

BAER profitierte von dem Image-Gew<strong>in</strong>n als Öko-Pionier <strong>und</strong> entwickelte e<strong>in</strong> Bio-<br />

Sortiment bestehend aus Öko-Tomme, Öko-Chäs <strong>und</strong> Öko-Hüttenkäse (Belz 1995,<br />

S. 105), das mit dem Knospen-Label der Bio Suisse gekennzeichnet wurde. Den steigenden<br />

Bedarf an Bio-Milch deckte das Unternehmen durch ökologisches Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>,<br />

das zahlreiche Landwirtschaftsbetriebe aus der Region zum Umstieg<br />

auf biologische Produktion veranlasste. In den Folgejahren, als Coop das Naturaplan-<br />

Sortiment aufbaute, hatte BAER die Möglichkeit, Bio-Produkte mit Dual-Brand<strong>in</strong>g<br />

(Coop Naturaplan/BAER) zu vermarkten. Seit 2001 existiert diese Option jedoch nicht<br />

mehr. Heute ist der Familienbetrieb e<strong>in</strong> Produzent für die Handelsmarken Coop Naturaplan<br />

<strong>und</strong> Manor Bio Natur Plus, wie viele mittelständische Lebensmittelhersteller <strong>in</strong><br />

der Schweiz. Der Handlungsspielraum des Unternehmens hat sich im Bio-Sektor im<br />

Vergleich zum Lebensmittelhandel <strong>in</strong> den letzten Jahren stark verr<strong>in</strong>gert.<br />

Neue Vertriebskanäle für Bio-Markenprodukte zu erschließen, ist für BAER aufgr<strong>und</strong><br />

der gegebenen Markt- <strong>und</strong> Machtverhältnisse fast unmöglich. Spezialproduktkanäle <strong>in</strong><br />

der Schweiz s<strong>in</strong>d für das mittelständische Unternehmen wegen ger<strong>in</strong>ger Absatzmengen<br />

unrentabel. <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Spezialisten rieten BAER zudem davon ab, Bio-Produkte<br />

im Export <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> Österreich anzubieten, da die Schweizer Käsepreise im


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 167<br />

europäischen Vergleich sehr hoch seien, <strong>und</strong> der Schweizerkäse ohneh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Öko-<br />

Image habe. Da sich das Lebensmittelunternehmen kaum noch mit der Marke BAER<br />

im Bio-Markt profilieren kann, beschränken sich die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten auf konventionelle<br />

Produkte. Mit der Kampagne „Voller Persönlichkeit“ versucht BAER im Jahr<br />

2002 das Markenimage zu stärken <strong>und</strong> den Bekanntheitsgrad der Unternehmensmarke<br />

zu erhöhen. Der langjährige Slogan „Natürlich schmeckts besser“ wurde aufgegeben,<br />

da „naturnah“ den Bio-Handelsmarken vorbehalten ist, <strong>und</strong> sich deshalb mit Natürlichkeit<br />

„ke<strong>in</strong>e scharfe Kampagne mehr fahren lässt“ (Interview Baer/BAER). Die e<strong>in</strong>zige<br />

Maßnahme im sozial-ökologischen Bereich ist heute die jährliche Publikation des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Berichtes. 30.000 Stück werden bei Degustationen geme<strong>in</strong>sam mit<br />

Produktprospekten abgegeben <strong>und</strong> an Interessierte versandt.<br />

Neben Bio-Produkten vermarktet BAER auch vegetarische Lebensmittel. 1986 wurde<br />

Yasoya, e<strong>in</strong> vegetarisches Frischprodukt, am Schweizer Markt lanciert. In den ersten<br />

Jahren nach der E<strong>in</strong>führung wurde die Produktgruppe aktiv gefördert (z.B. durch<br />

Kochkurse). Da der Ertrag im Vergleich zum Aufwand jedoch ger<strong>in</strong>g war, schränkte<br />

man die Aktivitäten e<strong>in</strong>. Heute ist die ursprüngliche BAER-Marke Yasoya mit Dual-<br />

Brand<strong>in</strong>g (BAER/Coop Handelsmarke Betty Bossi) oder <strong>in</strong> Bioqualität als Coop Naturaplan<br />

Produkt erhältlich. Im Gegensatz zu den Sojaprodukten, deren Absatz stabil ist,<br />

s<strong>in</strong>d die Bio-Burger des Unternehmens „extreme Nischenprodukte“ (Interview Baer/BAER).<br />

Sie wurden ebenfalls zuerst als Markenartikel geführt <strong>und</strong> später <strong>in</strong> Coop<br />

Naturaplan Programm <strong>in</strong>tegriert.<br />

Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

BAER hat zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre, als noch ke<strong>in</strong>e Bio-Handelsmarke existierte,<br />

zur Entwicklung des Biomilch-Sektors <strong>in</strong> der Schweiz beigetragen. Die Voraussetzungen<br />

für die breite Vermarktung des Öko-Tomme hatte das Unternehmen e<strong>in</strong>erseits<br />

durch Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, das die Landwirte zum Umstieg auf Bio-Landbau bewog,<br />

<strong>und</strong> andererseits durch Platzierung e<strong>in</strong>es Bio-Produktes im Detailhandel, geschaffen.<br />

BAER hatte damit e<strong>in</strong> Zeichen gesetzt, dass der Verkauf von Bio-Produkten<br />

nicht nur auf alternative Läden beschränkt se<strong>in</strong> muss, sondern dass die Möglichkeit<br />

besteht, diese Produkte über konventionelle Distributionskanäle zu vermarkten.<br />

Außerdem hat das ökologische Pionierunternehmen wesentlich zur Bekanntmachung<br />

des Knospen-Labels beigetragen <strong>und</strong> sich politisch für ökologische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> Unternehmensverbänden e<strong>in</strong>gesetzt (z.B. Schweizerische Vere<strong>in</strong>igung für ökologisch<br />

bewusste Unternehmensführung – ÖBU) (Belz 1995, S. 106-111). Auch zur


168 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

Bekanntmachung der Sojaprodukte engagierte sich BAER <strong>in</strong> Verbänden <strong>und</strong> gründete<br />

den Yasoya-Fond für Ernährung, Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung.<br />

4 Fallstudie Nestlé<br />

Nestlé wurde 1866 gegründet <strong>und</strong> ist heute der weltweit größte Lebensmittelkonzern.<br />

Das Unternehmen beschäftigt 254.000 Mitarbeiter <strong>und</strong> erwirtschaftete 59 Milliarden<br />

Euro Umsatz <strong>und</strong> 5 Milliarden Euro Nettogew<strong>in</strong>n im Jahr 2002. Nestlés Hauptproduktgruppen<br />

s<strong>in</strong>d Kaffee, M<strong>in</strong>eralwasser/Getränke, Milchprodukte, Schokolade/Süßwaren<br />

<strong>und</strong> Fertiggerichte (Betsch<strong>in</strong>ger/Meisterhans/Wallimann 1998, S. 32).<br />

Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Unternehmenswerte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Nestlé-Gr<strong>und</strong>sätzen festgehalten, welche die neun<br />

Gr<strong>und</strong>sätze im Bereich Umwelt, Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Menschenrechte des UN<br />

Global Compact widerspiegeln (Nestlé 2002a). Sie sollen respektiert, mit Anspruchsgruppen<br />

diskutiert <strong>und</strong> umgesetzt werden (Nestlé 2004, S. 26-31).<br />

Nestlé verb<strong>in</strong>det nachhaltige Entwicklung mit wirtschaftlich nachhaltiger, langfristiger<br />

Unternehmensentwicklung. Das Unternehmen verpflichtet sich, ke<strong>in</strong>en kurzfristigen<br />

Gew<strong>in</strong>n auf Kosten der Nachhaltigkeit zu machen.<br />

„At Nestlé, we def<strong>in</strong>e susta<strong>in</strong>able development as the process of <strong>in</strong>creas<strong>in</strong>g the world's access to<br />

higher quality food, while contribut<strong>in</strong>g to long term social and economic development, and preserv<strong>in</strong>g<br />

the environment for future generations.<br />

In the 135-year life of Nestlé, our f<strong>und</strong>amental approach to bus<strong>in</strong>ess has been the creation of<br />

long term susta<strong>in</strong>able value for our consumers, customers, employees, shareholders, and society<br />

as a whole. The Nestlé Corporate Bus<strong>in</strong>ess Pr<strong>in</strong>ciples state openly that we favour long term<br />

bus<strong>in</strong>ess development over short term profit. While we are committed to mak<strong>in</strong>g a healthy<br />

profit, we <strong>in</strong>struct managers not to do so at the expense of long term, susta<strong>in</strong>able development.”<br />

(Nestlé 2002b, S. 2)<br />

Der <strong>Nachhaltigkeits</strong>ansatz des Lebensmittelkonzerns beruht auf der Verbesserung unterschiedlicher<br />

Unternehmensaktivitäten nach sozial-ökologischen Gesichtspunkten.<br />

Das entspricht der Qualitätsorientierung von Nestlé, die z.B. auch e<strong>in</strong>e treibende Kraft<br />

für die Beschaffung nachhaltig produzierter Rohstoffe darstellt (Nestlé 2002b, S. 3). In<br />

der Forschung & Entwicklung <strong>und</strong> im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sche<strong>in</strong>t h<strong>in</strong>gegen die nachhaltige Unternehmensentwicklung<br />

eher e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge strategische Rolle zu spielen. Es gibt ke<strong>in</strong>e<br />

H<strong>in</strong>weise auf sozial-ökologische Produkt<strong>in</strong>novation, <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder<br />

die Erschließung neuer sozial-ökologischer Geschäftsfelder <strong>in</strong> Nestlé Publikationen.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 169<br />

Auch Sozial-Kennzahlen, die den <strong>Nachhaltigkeits</strong>fortschritt belegen könnten, fehlen<br />

im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Bericht des Unternehmens.<br />

Strategisches/operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Bedeutung biologisch produzierter <strong>und</strong> fair gehandelter Güter am Weltmarkt ist<br />

ger<strong>in</strong>g. Der Anteil der Bio-Produkte am globalen Markt wird im Jahr 2002 auf ca.<br />

1-3% geschätzt (Kortbesch-Olesen 2002, S. 29-32). Daher ist man bei Nestlé überzeugt,<br />

dass trotz hoher Marktwachstumsraten Lebensmittel aus biologischem Anbau<br />

oder Fairem Handel Nischenprodukte bleiben werden, <strong>und</strong> dass auch <strong>in</strong> Zukunft nur<br />

relativ ger<strong>in</strong>ges K<strong>und</strong>en<strong>in</strong>teresse für diese bestehen wird (Interview Jöhr/Nestlé).<br />

Nichtsdestotrotz startete das Unternehmen e<strong>in</strong>en Versuch, sich im Bio-Kaffeemarkt zu<br />

profilieren <strong>und</strong> lancierte e<strong>in</strong>en biologischen Nescafé am schwedischen Markt. Dieser<br />

wurde jedoch wegen schlechter Umsatzzahlen wieder e<strong>in</strong>gestellt. Im Babynahrungsbereich<br />

betreibt Nestlé seit den 1980er Jahren teilweise Bio-Vertragsanbau für die Marke<br />

Alete (Alete 2004), <strong>und</strong> das Lebensmittelunternehmen stellte die im Jahr 1998 akquirierte<br />

Babynahrungs-Marke Milasan auf biologisch produzierte Inhaltsstoffe um<br />

(Kreuzer 2004). Milasan wird als preiswerte Bio-Marke unter dem Motto „Gutes muss<br />

bezahlbar se<strong>in</strong>“ – „Bio-Qualität zum Baby-Preis“ am deutschen Markt positioniert<br />

(Milasan 2004). Sie steht <strong>in</strong> Konkurrenz mit der marktführenden, qualitätsorientierten<br />

Unternehmensmarke des Bio-Pioniers Hipp.<br />

Ferner testet Nestlé <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Projekten, ob <strong>und</strong> wie e<strong>in</strong>e globale Beschaffung<br />

nachhaltiger Rohstoffe funktionieren könnte (z.B. Milchprojekt <strong>in</strong> Pakistan, Kaffeeprojekt<br />

auf den Philipp<strong>in</strong>en). Das Ziel ist, die konventionellen Lebensmittelprodukte<br />

des Unternehmens nach sozialen <strong>und</strong> ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern.<br />

E<strong>in</strong>e Kennzeichnung dieser Lebensmittel <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Preis- <strong>und</strong> Produktpolitik im S<strong>in</strong>ne<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist jedoch nicht vorgesehen. Die Verb<strong>in</strong>dung sozialökologischer<br />

mit herkömmlichen Qualitätsdimensionen ist Teil des Beschaffungsmanagement<br />

<strong>und</strong> der Qualitätssicherung, dient jedoch nicht als Profilierungsdimension im<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Die Motive für das Engagement Nestlés <strong>in</strong> der Landwirtschaft s<strong>in</strong>d u.a. die<br />

Vermeidung von Imageschaden, Erhaltung der nicht bzw. bed<strong>in</strong>gt erneuerbaren Ressourcen<br />

<strong>und</strong> Qualitätsprobleme durch zu ger<strong>in</strong>ge Weltmarktpreise.<br />

Das Unternehmen bezieht e<strong>in</strong>en Großteil se<strong>in</strong>er Rohstoffe über Großhändler, Makler<br />

<strong>und</strong> Exporteure zu Weltmarktpreisen, weil es ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Betriebe besitzt.<br />

85% des Rohstoffs Kaffee werden von Nestlé auf diese Weise beschafft. 15% des<br />

Kaffees kauft der Konzern direkt bei Produzenten, Genossenschaften oder Pflanzerverbänden.<br />

Da Nestlé durch Direktkauf <strong>in</strong> der Regel zahlreiche Zwischenstellen aus-


170 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

schaltet <strong>und</strong> Qualitätsprämien an die Produzenten ausbezahlt, profitiert e<strong>in</strong>erseits das<br />

Unternehmen von den s<strong>in</strong>kenden Beschaffungskosten, anderseits erzielt der Produzent<br />

e<strong>in</strong>en höheren Verkaufspreis (Nestlé 2000, S. 14-15). Das Lebensmittelunternehmen<br />

verweist darauf, dass man durch Direkte<strong>in</strong>kauf 110.000 Tonnen Kaffee jährlich erwirbt<br />

<strong>und</strong> dem Landwirt somit e<strong>in</strong> höheres E<strong>in</strong>kommen sichert, wobei der Anteil des<br />

mit Fair Trade-Labeln gehandelten Rohkaffees im Vergleich nur bei 25.000 Tonnen<br />

liegt (Nestlé 2003, S. 4). Inwieweit die Beschaffungsstrategie Nestlés jedoch jener von<br />

Fair Trade-Organisationen ähnelt, bleibt unklar, da außer der Bezahlung von Preisaufschlägen<br />

für Qualitätskaffee <strong>und</strong> der Beratung von Landwirten ke<strong>in</strong>e sozialen Kriterien<br />

publiziert wurden.<br />

Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelproduzenten engagieren sich für nachhaltige Entwicklung<br />

<strong>in</strong> der globalen Landwirtschaft im Rahmen der Susta<strong>in</strong>able Agriculture Initiative<br />

(SAI). Nestlé ist neben Danone <strong>und</strong> Unilever e<strong>in</strong> Gründungsmitglied dieses Unternehmensverbandes.<br />

E<strong>in</strong>e Motivation zur Lancierung der Initiative war, sozialökologische<br />

Probleme <strong>in</strong> der konventionellen Landwirtschaft zu verr<strong>in</strong>gern.<br />

Bei der „anonymen“ Beschaffung über Dritthändler kennt Nestlé die Herkunft <strong>und</strong><br />

Vorgeschichte der verwendeten Rohstoffe nicht, ist aber gegenüber dem Konsumenten<br />

für ökologische oder soziale Probleme am Beg<strong>in</strong>n der Lebensmittelkette verantwortlich.<br />

Die unbefriedigende Situation ist vom Unternehmen nicht im Alle<strong>in</strong>gang z.B.<br />

durch e<strong>in</strong> verbessertes Beschaffungsmanagement <strong>und</strong> -market<strong>in</strong>g zu lösen. Politische<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>und</strong> gesellschaftliche Spielregeln <strong>in</strong> Entwicklungsländern<br />

s<strong>in</strong>d nur zwei von zahlreichen Faktoren, welche nicht-nachhaltige<br />

Agrar- <strong>und</strong> Handelspraktiken unterstützen. Nestlé gründete daher mit se<strong>in</strong>en Mitbewerbern<br />

die SAI mit den Zielsetzungen, den Dialog über sozial-ökologische Themen<br />

<strong>in</strong> der Lebensmittelkette anzuregen, <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam <strong>Nachhaltigkeits</strong>richtl<strong>in</strong>ien zu<br />

entwickeln. Ihre Aktivitäten stellt die SAI folgendermaßen dar:<br />

“SAI Platform's ultimate goal is the def<strong>in</strong>ition and implementation of commodity-specific guidel<strong>in</strong>es<br />

for susta<strong>in</strong>able agriculture which are harmonised along the food cha<strong>in</strong>. In this view, SAI<br />

Platform conducts a number of activities aro<strong>und</strong> four ma<strong>in</strong> themes: 1) Stakeholder <strong>in</strong>volvement;<br />

2) Knowledge build<strong>in</strong>g & management; 3) Awareness rais<strong>in</strong>g; and 4) Support to the implementation<br />

of SAI practices (with<strong>in</strong> the supply cha<strong>in</strong> as well as <strong>in</strong> compliance with trade policies and<br />

regulations).” (SAI Platform 2003)<br />

Seit der Gründung im Jahr 2001 s<strong>in</strong>d den ersten drei Mitgliedern noch vierzehn weitere<br />

gefolgt. Mehr als die Hälfte davon s<strong>in</strong>d Kaffeeproduzenten, welche die „Work<strong>in</strong>g


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 171<br />

Group on Green Coffee“ bilden. Diese erarbeitet Richtl<strong>in</strong>ien für nachhaltige Kaffeeproduktion.<br />

Das Engagement der Unternehmen hat neben sozial-ökologischen auch<br />

ökonomische Gründe. Da der Weltmarktpreis für Kaffee <strong>in</strong> den letzten Jahren erheblich<br />

gesunken ist <strong>und</strong> kaum die Kosten der Produzenten deckt, hat Nestlé Schwierigkeiten,<br />

qualitativ hochwertigen Kaffee über den <strong>in</strong>ternationalen Handel zu beziehen.<br />

Außerdem führen die zu niedrigen Kaffeepreise unweigerlich zu Preisschwankungen<br />

<strong>und</strong> zukünftigen Preissteigerungen (Nestlé 2002b, S. 15).<br />

5 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Schweizer<br />

Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie: E<strong>in</strong>e situative Betrachtung<br />

Die gewählten Fallstudien verdeutlichen die Unterschiede zwischen den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätzen<br />

der kle<strong>in</strong>en, mittelständischen <strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationalen Schweizer<br />

Lebensmittelunternehmen. Daher ist <strong>in</strong> der folgenden Analyse der Profilierungs- <strong>und</strong><br />

Wettbewerbschancen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e situative Relativierung<br />

gemäß Unternehmenstyp vorzunehmen.<br />

Kle<strong>in</strong>e Produzenten<br />

Die Napfmilch AG ist e<strong>in</strong> Teil der breit gefächerten <strong>und</strong> heterogenen Regional-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Szene <strong>in</strong> der Schweiz, der Produzenten mit unterschiedlicher Ausrichtung<br />

sowie Organisations- <strong>und</strong> Rechtsform angehören. Das Spektrum „Regionaler Produktorganisationen“<br />

reicht von „landwirtschaftlichen Selbsthilfeprojekten“ bis zu „regionalen<br />

Verbandskonglomeraten“ (Hofer/Stalder 2000, S. 57-86). Geme<strong>in</strong>same Zielsetzungen<br />

regionaler Anbieter s<strong>in</strong>d erstens, die Sicherung bestehender bzw. die Erschließung<br />

von neuen Absatzmärkten <strong>und</strong> zweitens, die Wahrung der Autonomie regionaler Produktionsstrukturen<br />

(Hofer/Stalder 2000, S. 85). Die Kle<strong>in</strong>-Unternehmen verb<strong>in</strong>den<br />

häufig – wie auch das Leitbild von Napfmilch zeigt – regionale Wertschöpfungsziele<br />

mit unternehmensspezifischen Zielen. Sie bedienen alternative Handelskanäle mit ökologischen<br />

<strong>und</strong> regionalen Produkten, s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> vielen Fällen auf e<strong>in</strong>en national<br />

agierenden Absatzpartner angewiesen, da der Verkaufsanteil der Lebensmittelprodukte<br />

<strong>in</strong> der Region häufig nur 1-10% beträgt (Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 7-37).<br />

Die Bio-, IP- <strong>und</strong> die vor kurzem entstandenen Regional-Marken des Handels eröffnen<br />

den Kle<strong>in</strong>-Unternehmen Marktchancen <strong>und</strong> ermöglichen ihnen e<strong>in</strong>e flächendeckende<br />

Distribution am nationalen Markt. Kritisch für die Gew<strong>in</strong>nung des Schweizer Detailhandels<br />

als Marktpartner ist jedoch die Bereitstellung e<strong>in</strong>er professionellen Distributions-<br />

<strong>und</strong> Logistik<strong>in</strong>frastruktur (Interview Fraefel/Napfmilch). Napfmilch hat z.B. diese<br />

Hürde durch e<strong>in</strong>e Vertriebspartnerschaft mit Emmi überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> konnte dadurch


172 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

Coop als ersten Großk<strong>und</strong>en gew<strong>in</strong>nen. In abgelegenen Regionen können unterschiedliche<br />

Kooperationsformen <strong>in</strong> Verarbeitung Distribution <strong>und</strong> Logistik zwischen Regionalproduzenten<br />

die effiziente Belieferung des Bio-Absatzkanals unterstützen<br />

(Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 42-43).<br />

Die Kooperation mit e<strong>in</strong>em bedeutenden Handelspartner hat jedoch nicht nur Vorteile<br />

für kle<strong>in</strong>e Produzenten, sondern birgt auch das Risiko der Abhängigkeit von Abnahmegarantien.<br />

Deshalb gew<strong>in</strong>nen Pull-Strategien zur Vergrößerung des Handlungsspielraums<br />

der Hersteller zunehmend an Bedeutung. Wie das Beispiel Napfmilch zeigt,<br />

tragen <strong>in</strong>novative <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kommunikation, Degustationen <strong>und</strong> PR<br />

maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg der kle<strong>in</strong>en Lebensmittelproduzenten bei.<br />

Auch durch die Nutzung alternativer Vermarktungskanäle, wie z.B. Wochenmärkte,<br />

Hausbelieferung, Schaukäsereien, können die Unternehmen erfolgreich ihre Botschaften<br />

vermitteln. Neue Vermarktungsoptionen bietet u.a. das Internet als Distributions<strong>und</strong><br />

Kommunikationsmedium, das Erlebnis-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> oder die Vernetzung der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze<br />

mit Unternehmen anderer Branchen. E<strong>in</strong> Beispiel für die<br />

Verb<strong>in</strong>dung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> Lebensmittelerzeugung <strong>und</strong> Tourismus<br />

stellt der Vere<strong>in</strong> Ökomarkt Graubünden dar (Villiger 2000, S. 114-115; Hofer/Stalder<br />

2000, S. 74). Er unterstützt die Erzeugung <strong>und</strong> den Vertrieb ökologischer, regional<br />

produzierter Lebensmittelprodukte mit dem Ziel, Wirtschaftskreisläufe <strong>in</strong> der Region<br />

aufzubauen. Nebst Bündner Hotels, die sich durch ökologische Betriebsführung <strong>und</strong><br />

Abnahme von lokalen Bio-Produkten für die Auszeichnung mit dem „Öko-Grischun“<br />

(Bündner Ste<strong>in</strong>bock) qualifizieren, können auch Lebensmittelproduzenten das Zeichen<br />

erhalten. Dabei spielen nicht nur die biologische Herstellung, sondern auch die Distribution,<br />

Entsorgung <strong>und</strong> soziale Aspekte e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Kritiker bezweifeln jedoch, dass regionale Produktion e<strong>in</strong>en positiven Beitrag zur<br />

nachhaltigen Entwicklung der Schweiz leistet. Kle<strong>in</strong>e Lebensmittelhersteller unterstützen<br />

zwar die Erhaltung der Wertschöpfung oder die Pflege der Kulturlandschaft <strong>in</strong><br />

ihrer Region. Aber es besteht die Gefahr, dass durch die Lösung der wirtschaftlichen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Problematiken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region, ähnliche Schwierigkeiten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er anderen Schweizer Region entstehen bzw. sich verstärken (Hofer/Stalder 2000,<br />

S. 106). Zudem s<strong>in</strong>d Lebensmittel aus regionaler, <strong>in</strong>tegrierter Produktion <strong>in</strong> der<br />

Schweiz wegen hoher Umweltstandards <strong>in</strong> der Landwirtschaft <strong>und</strong> kurzer Transportwege<br />

kaum ökologischer als herkömmliche Produkte (Jungbluth 2000, S. 200-216).<br />

Dennoch können kle<strong>in</strong>e Lebensmittelhersteller durch transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>direkten, schwierig nachzuweisenden <strong>Nachhaltigkeits</strong>beitrag leisten.<br />

Sie <strong>in</strong>formieren Schweizer Konsumenten über <strong>Nachhaltigkeits</strong>probleme im Le-


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 173<br />

bensmittelbereich <strong>und</strong> unterstützen unter Umständen als idealistisch motivierte Pioniere<br />

die Bewusstse<strong>in</strong>sbildung für sozial-ökologische Probleme <strong>in</strong> der Schweizer Landwirtschaft.<br />

Sie haben ferner <strong>in</strong> den 1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren durch ihre „Sensibilisierungsarbeit“<br />

möglicherweise den Weg für e<strong>in</strong>flussreichere Akteure wie z.B. <strong>Nachhaltigkeits</strong>pioniere<br />

im Detailhandel bereitet (Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000,<br />

S. 32-36).<br />

Mittelständische Produzenten<br />

Mittelständische Pionierunternehmen verankerten sehr früh – wie am Beispiel BAER<br />

ersichtlich – <strong>Nachhaltigkeits</strong>anforderungen im Unternehmensleitbild <strong>und</strong> setzten sich<br />

für sozial-ökologisch bewusstes Handeln im <strong>und</strong> außerhalb des Unternehmens e<strong>in</strong>. Sie<br />

versuchten außerdem, sich mit Umwelt <strong>und</strong> Sozialem im Wettbewerb zu profilieren<br />

<strong>und</strong> hatten zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre bei der Vermarktung von Bio-Produkten im<br />

Detailhandel e<strong>in</strong>e Pionierrolle <strong>in</strong>ne. Die Leader-Unternehmen betrieben <strong>in</strong>formativargumentative<br />

Kommunikation, um e<strong>in</strong>e Pull-Wirkung für die <strong>in</strong>novativen Lebensmittelprodukte<br />

zu erzeugen. Ihre Kapazitäten <strong>in</strong> Distribution <strong>und</strong> Logistik, die bereits auf<br />

die Bedürfnisse des Detailhandels ausgerichtet waren, verschafften ihnen e<strong>in</strong>en Wettbewerbsvorteil<br />

gegenüber kle<strong>in</strong>en Herstellern. Da Rohstoffe <strong>in</strong> biologischer Qualität<br />

nicht <strong>in</strong> entsprechender Menge verfügbar waren, versuchten die mittelständischen Produzenten<br />

ihre Lieferanten von den Vorteilen des Umstiegs von konventioneller oder<br />

<strong>in</strong>tegrierter auf biologische Produktion zu überzeugen. Außerdem waren sie Mitglieder<br />

sozial-ökologischer Unternehmensverbände <strong>und</strong> sensibilisierten mit möglicherweise<br />

größerer Breitenwirkung als kle<strong>in</strong>e Lebensmittelunternehmen die Öffentlichkeit.<br />

Mit steigender Beliebtheit <strong>und</strong> Professionalisierung der sozial-ökologischen Handelsprogramme<br />

verr<strong>in</strong>gerte sich jedoch der Wettbewerbsvorteil der Pioniere stetig. Während<br />

der Lebensmittelhandel sehr zufrieden mit den Umsatzwachstumszahlen der sozial-ökologischen<br />

Marken ist <strong>und</strong> teilweise ehrgeizige Wachstumsziele verfolgt, sprechen<br />

mittelständische Lebensmittelunternehmen von Nischenprodukten. Der Handel<br />

erreicht die steigenden Umsatzzahlen mit Sortimentserweiterungen <strong>und</strong> mit der Kreation<br />

neuer ökologischer <strong>und</strong> sozialer Programme. Den Lebensmittelherstellern h<strong>in</strong>gegen<br />

gel<strong>in</strong>gt es nicht, genügend <strong>in</strong>novative sozial-ökologische Produkte <strong>in</strong> den Supermarktregalen<br />

zu platzieren, um so gleichermaßen vom Wachstum der Handelsprogramme<br />

zu profitieren. Außerdem kann <strong>in</strong> stagnierenden Marktsegmenten e<strong>in</strong>e Kannibalisierung<br />

konventioneller Produkte auftreten, die absatzstärker als Bio-Produkte<br />

s<strong>in</strong>d. Das Beispiel BAER zeigt, dass sich der Handlungsspielraum der Produzenten<br />

trotz <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahren deutlich verr<strong>in</strong>gert hat. Für man-


174 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

che Unternehmen sche<strong>in</strong>t es heute fast unmöglich zu se<strong>in</strong>, sich mit sozial-ökologischen<br />

Produkten von der Konkurrenz zu differenzieren. Es ist e<strong>in</strong> relativ hoher f<strong>in</strong>anzieller<br />

Aufwand nötig, um <strong>in</strong>novative, sozial-ökologische Produkte zu lancieren <strong>und</strong> am<br />

Markt zu etablieren, aber Pioniervorteile s<strong>in</strong>d oft nur kurzfristig zu erzielen. BAER<br />

konnte z.B. den Vorsprung im Bio-Sektor nicht bewahren, da die Bio-<br />

Milchverarbeitung ke<strong>in</strong>e spezifische Kernkompetenz des Unternehmens darstellt. Bei<br />

gesichertem Rohstoffangebot ist oft nur e<strong>in</strong>e Warenflusstrennung <strong>in</strong> der Fabrikation<br />

vorzunehmen, um den Bio-Käse herzustellen (Interview Baer/BAER). Das Familienunternehmen<br />

agiert daher als e<strong>in</strong> Anbieter unter vielen <strong>in</strong> der wettbewerbs<strong>in</strong>tensiven<br />

Milchbranche. Auch transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> sche<strong>in</strong>t kaum zur<br />

langfristigen Marktdifferenzierung beizutragen.<br />

Kle<strong>in</strong>ere Lebensmittelunternehmen h<strong>in</strong>gegen, die auf die Produktion von „Private Labels“<br />

des Handels oder der Industrie spezialisiert s<strong>in</strong>d, nutzen Exportmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> beliefern teilweise alternative Handelskanäle. Die Molkerei Biedermann (40 Mitarbeiter)<br />

zum Beispiel, die ke<strong>in</strong>e namhafte Marke herstellt, vertreibt Milchprodukte im<br />

Biofachhandel <strong>und</strong> begann im Jahr 2001 Bio-Yoghurt nach Deutschland zu exportieren<br />

(Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 32-33). Obwohl es heute kaum noch mittelständische<br />

Schweizer Markenartikelhersteller gibt, die Bio-Marken am Schweizer<br />

Markt vertreiben, gel<strong>in</strong>gt es dem mittelständischen Schweizer Müsli-Hersteller Familia,<br />

Bio-Müsli sowohl im Schweizer Lebensmittelhandel (z.B. Manor, Spar, Volg) als<br />

auch im deutschen E<strong>in</strong>zelhandel unter der Unternehmensmarke Familia zu vertreiben.<br />

Gründe für den größeren Handlungsspielraum von Familia gegenüber BAER s<strong>in</strong>d unter<br />

Umständen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Konkurrenz im Schweizer Müsli- als im Käse-Markt<br />

<strong>und</strong> unterschiedlich hohe Subventionszahlungen des B<strong>und</strong>es zur Angleichung der<br />

Schweizer Rohstoffpreise an das <strong>in</strong>ternationale Preisniveau. Milch wird im wesentlich<br />

ger<strong>in</strong>geren Maße subventioniert als Rohstoffe, die man im Rahmen des „Schoggigesetzes“<br />

fördert (Baer 2003, S. 6-7).<br />

Mult<strong>in</strong>ationale Produzenten<br />

Die Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung ist für mult<strong>in</strong>ationale sozialökologische<br />

Pionierunternehmen e<strong>in</strong>e Voraussetzung für wirtschaftlich-nachhaltige<br />

Unternehmensentwicklung. Sie beg<strong>in</strong>nen daher ihre Lebensmittelprodukte nach sozialen<br />

<strong>und</strong> ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern. Dieser „Upgrad<strong>in</strong>g Conventionals“<br />

Weg wurde <strong>in</strong> der Vergangenheit kaum als Marktoption angesehen, da „im <strong>in</strong>tensiven<br />

Preiswettbewerb <strong>in</strong> der Regel die Spielräume für ökologische Optimierungsmaßnahmen<br />

fehlen“ (Villiger 2000, S. 108). Das Lenkungssystem Politik wurde als


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 175<br />

Initiator der Anhebung sozial-ökologischer Standards betrachtet (Villiger 2000,<br />

S. 108). Jedoch zeigen die transformativen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze mult<strong>in</strong>ationaler<br />

Lebensmittelunternehmen, dass die Marktakteure nicht nur auf Impulse des<br />

Gesetzgebers reagieren, sondern „freiwillig“ zur Entwicklung sozial-ökologischer<br />

Branchenstandards beitragen. Den Antrieb, sich mit <strong>Nachhaltigkeits</strong>problemen zu beschäftigen,<br />

gibt wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>erseits das erfolgreiche <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

sozial-ökologischer Nischenanbieter <strong>in</strong> der Lebensmittelbranche <strong>und</strong> andererseits die<br />

zunehmend kritische Haltung des Konsumenten gegenüber konventioneller Landwirtschaft<br />

<strong>und</strong> „Massenproduktion“.<br />

Die Unternehmen reagieren u.a. mit der Lancierung von <strong>Nachhaltigkeits</strong><strong>in</strong>itiativen auf<br />

diese Impulse. Dabei stellt sich die Frage, <strong>in</strong>wieweit die Lebensmittelhersteller von der<br />

Erhöhung der sozialen <strong>und</strong> ökologischen Qualität ihrer herkömmlichen Produkte profitieren<br />

können, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren oder von NGOs des Pseudo-<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bezichtigt zu werden. Manche Produzenten wie z.B. Unilever<br />

versuchen, durch die Kommunikation des <strong>Nachhaltigkeits</strong>engagements das Image<br />

ihrer Marken zu stärken <strong>und</strong> deklarieren <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen (z.B. <strong>Nachhaltigkeits</strong>projekt<br />

Erbsen) Initiativen auf Produktverpackungen (Forum for the Future 2002, S. 26). Sie<br />

b<strong>in</strong>den außerdem unterschiedliche Anspruchsgruppen wie etwa Umweltschutzgruppen<br />

oder Forschungs<strong>in</strong>stitute <strong>in</strong> die Entwicklung <strong>und</strong> Durchführung der Projekte mit e<strong>in</strong>.<br />

Andere Unternehmen fürchten die Reaktion kritischer Anspruchsgruppen <strong>und</strong> kommunizieren<br />

Fortschritte von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Initiativen kaum.<br />

Neben der Verbesserung konventioneller Produkte versuchen mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelunternehmen<br />

durch Akquisitionen <strong>und</strong> strategische Partnerschaften mit Bio- <strong>und</strong><br />

Fair Trade-Pionieren von den Wachstumsraten „alternativer“ Märkte zu profitieren.<br />

Der französische Lebensmittelkonzern Danone erwarb z.B. im Jahr 2001 e<strong>in</strong>en Anteil<br />

von 40% an Stonyfield Farm, dem größten US Produzenten für Bio-Yoghurt. He<strong>in</strong>z ist<br />

e<strong>in</strong>e strategische Partnerschaft mit der Ha<strong>in</strong> Celestial Group e<strong>in</strong>gegangen, e<strong>in</strong>em Spezialanbieter<br />

für koschere, zuckerfreie <strong>und</strong> biologisch produzierte Produkte. Unilever<br />

Bestfoods akquirierte im Jahr 2000 den britischen Saucen & Suppenhersteller „Go Organics“,<br />

<strong>und</strong> weitere Unilever Unternehmen wie z.B. Ben & Jerry’s sowie Eskimo-Iglo<br />

lancierten Bio-Produkte. Diese Beispiele weisen darauf h<strong>in</strong>, dass sich die Lebensmittelkonzerne<br />

ihren Anteil am sozial-ökologischen Wachstumssegment zu sichern versuchen.


176 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

6 Chancen <strong>und</strong> Risiken im Vergleich<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Erfolgsfaktor für kle<strong>in</strong>e, mittelständische sowie mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen<br />

ist die Listung der sozial-ökologischen Produkte im Detailhandel. Dabei haben<br />

zahlreiche Pull-Anreize e<strong>in</strong>e sehr große Bedeutung für den Erfolg e<strong>in</strong>er Marke<br />

beim Handel (Feige 1996, S. 192-204). Push-Anreize haben h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge<br />

Wirkung (mit Ausnahme mittelständischer Unternehmen). Das heißt, bei Verwendung<br />

e<strong>in</strong>er Markenstrategie ist nach der Listung im Lebensmittelhandel <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der<br />

Konsument durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> vom Mehrwert der sozial-ökologischen<br />

Produkte zu überzeugen. Für kle<strong>in</strong>e, aber auch mittelständische Lebensmittelunternehmen<br />

mit beschränkten Ressourcen ist die direkte Kommunikation e<strong>in</strong> zentrales<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument, das Glaubwürdigkeit vermittelt. Außerdem s<strong>in</strong>d Innovativität <strong>in</strong><br />

der Produktentwicklung, Professionalität <strong>in</strong> der <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kommunikation<br />

<strong>und</strong> Zusammenarbeit mit Marktpartnern möglicherweise ausschlaggebend<br />

für die erfolgreiche Lancierung von Produkten im Detailhandel. Mult<strong>in</strong>ationale<br />

Hersteller, die zwar über hohe <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>kompetenz <strong>und</strong> -ressourcen verfügen, haben<br />

h<strong>in</strong>gegen unter Umständen Probleme, das Vertrauen der Konsumenten zu gew<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d zur Verm<strong>in</strong>derung von Glaubwürdigkeitsdefiziten auf Partnerschaften mit<br />

NGOs oder auf unabhängige Berichterstattung durch „neue Kommunikatoren“ angewiesen<br />

(Beitrag Schrader).<br />

Ger<strong>in</strong>ges Profilierungspotenzial für Markenartikelhersteller besteht <strong>in</strong> aktuellen Wettbewerbsfeldern<br />

(z.B. ökologische Anbauweise <strong>und</strong> Tierhaltung) <strong>und</strong> <strong>in</strong> qualitätsorientierten<br />

Märkten mit renommierten, professionell geführten sozial-ökologischen<br />

Handelsmarken (z.B. Österreich, Schweiz), da der Detailhandel wenig an der Unterstützung<br />

von Konkurrenzprodukten <strong>in</strong>teressiert ist. Im Schweizer Markt können mittelständische<br />

<strong>und</strong> mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen auch kaum von der Erschließung neuer<br />

sozial-ökologischer Wettbewerbsfelder profitieren, da für die beiden dom<strong>in</strong>ierenden<br />

Detailhandelsunternehmen Coop <strong>und</strong> Migros „Umwelt“ <strong>und</strong> „Soziales“ hohe strategische<br />

Relevanz hat, <strong>und</strong> sie bereits e<strong>in</strong>e Vielfalt an sozial-ökologischen Handelsmarken<br />

<strong>und</strong> -programmen <strong>in</strong> unterschiedlichen Wettbewerbsfeldern entwickelt haben (Beitrag<br />

Hildesheimer/Borsani). Kle<strong>in</strong>e Unternehmen haben h<strong>in</strong>gegen unter Umständen die<br />

Möglichkeit, alternative Handelskanäle aufzubauen, vorhandene Vertriebswege verstärkt<br />

zu nutzen <strong>und</strong> Nischenprodukte weiterh<strong>in</strong> im Detailhandel zu platzieren (z.B.<br />

regional erzeugte Delikatessen).


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Lebensmittelproduzenten 177<br />

Marktchancen eröffnen sich auch für kle<strong>in</strong>e <strong>und</strong> mittelständische Lebensmittelunternehmen,<br />

die auf die Produktion von Handelsmarken spezialisiert s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>ige Schweizer<br />

Unternehmen verfolgen heute im konventionellen Bereich e<strong>in</strong>e Markenstrategie<br />

<strong>und</strong> ergänzen diese durch die Produktion für sozial-ökologische Handelsprogramme.<br />

Schwierigkeiten treten auf, wenn durch diese Strategie e<strong>in</strong>e Kannibalisierung herkömmlicher<br />

Markenprodukte durch Handelsmarken stattf<strong>in</strong>det, oder die duale Ausrichtung<br />

als Marken- <strong>und</strong> „Private Label“- Hersteller zu Kompetenzverlusten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

mangelnden Innovativität führt. Mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen produzieren i.d.R. ke<strong>in</strong>e<br />

sozial-ökologischen Marken für den Handel. Sie versuchen entweder sozialökologische<br />

Marken zu akquirieren oder durch strategische Partnerschaften bzw. Co-<br />

Brand<strong>in</strong>g vom Image bekannter sozial-ökologischer Pioniere zu profitieren.<br />

Für die Konzerne stehen auch am Weltmarkt viele Möglichkeiten offen, da e<strong>in</strong>kommensschwache<br />

Bevölkerungsschichten <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Schwellen- <strong>und</strong> Entwicklungsländern<br />

bisher kaum als K<strong>und</strong>engruppen erkannt wurden, <strong>und</strong> ihre Bedürfnisse im<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bisher wenig Beachtung gef<strong>und</strong>en haben (Beitrag Kirchgeorg).<br />

Auch sozial-ökologisch Passive, die aus unterschiedlichen Gründen nicht<br />

durch das derzeitige Angebot bzw. durch das praktizierte <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

erreicht werden (z.B. Preispolitik oder Kommunikationspolitik), s<strong>in</strong>d potenzielle K<strong>und</strong>en<br />

für mult<strong>in</strong>ationale Lebensmittelunternehmen. Die K<strong>und</strong>enakquisition <strong>in</strong> beiden<br />

Zielsegmenten erfordert die Entwicklung neuer <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>ansätze.<br />

Die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>itiativen der Konzerne zur Verbesserung konventioneller<br />

Lebensmittel s<strong>in</strong>d möglicherweise e<strong>in</strong> erster Schritt <strong>in</strong> diese Richtung, können<br />

jedoch aus dem Blickw<strong>in</strong>kel der nachhaltigen Entwicklung auch als Rückschritt <strong>in</strong>terpretiert<br />

werden. Die Grenzen zwischen biologisch produzierten, fair gehandelten <strong>und</strong><br />

konventionellen Produkten verschwimmen zusehends. Im Fair Trade-Sektor kreieren<br />

z.B. mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen heute eigene Marken oder werden mit Labels zertifiziert,<br />

die nur niedrige Sozial-Standards (z.B. „Better Banana“ für Chiquita Bananen)<br />

vorschreiben (Murray/Raynolds, 2000, S. 70). Das bewirkt e<strong>in</strong>e „Verwässerung“ des<br />

Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Begriffs, trägt zur Verwirrung des Konsumenten bei <strong>und</strong> führt<br />

möglicherweise zu Glaubwürdigkeitsverlust des gesamten „alternativen“ Marktes. Die<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>herausforderung für die Lebensmittelunternehmen besteht somit <strong>in</strong> der<br />

gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>genden Vermarktung von <strong>in</strong>novativen Lebensmittelprodukten für sozialökologisch<br />

aktivierbare als auch passive K<strong>und</strong>en bei gleichzeitigem Erhalt der Ideale<br />

der Öko- <strong>und</strong> Fair Trade-Bewegung.


178 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

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180 Kathar<strong>in</strong>a E. Leitner<br />

Anhang<br />

Interviewpartner<br />

Unternehmen/<br />

Organisation<br />

Namen der Interviewpartner<br />

Funktion der Interviewpartner<br />

BAER Herr Baer Geschäftsführender<br />

Eigentümer<br />

Ort <strong>und</strong> Datum des<br />

Interviews<br />

Küssnacht, 30.10.2002<br />

Napfmilch Herr Fraefel Geschäftsführer Bern, 12.11.2002<br />

Nestlé Herr Jöhr Head of Agro-Bus<strong>in</strong>ess Vevey, 6.11.2002<br />

Leitfragen der Interviews<br />

� Was verstehen Sie unter <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im Bereich Ernährung? Was<br />

s<strong>in</strong>d Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach die Chancen <strong>und</strong> Risiken des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>in</strong> diesem Bereich?<br />

� Was ist der ökologische <strong>und</strong> soziale K<strong>und</strong>ennutzen im Lebensmittelbereich?<br />

� Was ist die <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>strategie des Unternehmens? Wie wird die<br />

Strategie umgesetzt?<br />

� Betreibt das Unternehmen transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens<br />

am Beispiel von EOSTA <strong>und</strong> „Nature & More“<br />

Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

1 EOSTA als sozial-ökologischer Diffusionsagent<br />

zwischen Erzeuger <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e<br />

Unternehmensportrait<br />

Das holländische Unternehmen EOSTA ist e<strong>in</strong>es der führenden Großhandelsunternehmen<br />

<strong>in</strong> Europa, welches mit biologisch <strong>und</strong> biologisch-dynamisch angebautem<br />

Obst <strong>und</strong> Gemüse handelt. Das Kerngeschäft besteht im E<strong>in</strong>kauf <strong>und</strong> der Vermarktung<br />

von Obst aus der südlichen Hemisphäre (<strong>in</strong>sbesondere Äpfel, Birnen <strong>und</strong> Mangos) <strong>und</strong><br />

Gemüse aus holländischen Gewächshäusern (<strong>in</strong>sbesondere Tomaten, Paprika <strong>und</strong><br />

Gurken). Vom Firmensitz <strong>in</strong> Wadd<strong>in</strong>xveen bei Rotterdam beliefert das Unternehmen<br />

Naturkost-Großhändler <strong>und</strong> Lebensmittel-E<strong>in</strong>zelhandelsketten <strong>in</strong> ganz Europa, aber<br />

auch <strong>in</strong> den USA. EOSTA beschäftigt derzeit ca. 40 Mitarbeiter <strong>und</strong> hat neben dem<br />

Geschäft mit Obst <strong>und</strong> Gemüse auch andere Produkte zur Marktreife gebracht. E<strong>in</strong><br />

Beispiel dafür ist FLORGANICS, e<strong>in</strong> Sortiment biologisch erzeugter Blumen, welches<br />

heute erfolgreich von e<strong>in</strong>em anderen Anbieter vertrieben wird.<br />

Seit der Firmengründung im Jahr 1982 ist EOSTA beständig gewachsen, doch dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz, ausschließlich mit biologischen <strong>und</strong> biologisch-dynamischen Produkten zu<br />

handeln, ist das Unternehmen über die Jahre treu geblieben. Die drei Firmengr<strong>und</strong>sätze<br />

lauten „healthy“, „organic“ <strong>und</strong> „fair“. Für EOSTA s<strong>in</strong>d Ökologie, Soziales <strong>und</strong><br />

Ökonomie untrennbar mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en. Das Unternehmen verpflichtet sich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en Leitl<strong>in</strong>ien, globales ökonomisches Denken mit lokalem ökologischem <strong>und</strong> sozialem<br />

Handeln zu verb<strong>in</strong>den. Dies spiegelt sich auch im Firmenslogan „EOSTA – where<br />

ECOLOGY meets ECONOMY” wider. E<strong>in</strong>e ges<strong>und</strong>e wirtschaftliche Ausgangsposition<br />

stellt für EOSTA die Gr<strong>und</strong>lage für ökologisches <strong>und</strong> soziales Engagement dar.<br />

Um diese Gr<strong>und</strong>lage auszubauen, hat sich das Unternehmen von Anfang an um starke<br />

partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen bemüht, die auf geme<strong>in</strong>samen Werten basieren<br />

<strong>und</strong> langfristig allen Beteiligten e<strong>in</strong>en Nutzen stiften. EOSTA versteht sich weniger<br />

als Händler, sondern vielmehr als Vermittler zwischen Angebot <strong>und</strong> Nachfrage


182 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

<strong>und</strong> engagiert sich deshalb entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Anbau<br />

beim Erzeuger bis h<strong>in</strong> zur Vermarktung beim Endk<strong>und</strong>en. Folgende Fragestellungen<br />

stehen dabei im Vordergr<strong>und</strong>:<br />

� Welcher Form der Zusammenarbeit bedarf es, um gute biologische Lebensmittel zu<br />

erzeugen? Wie können Landwirte ermutigt werden, nachhaltige Landwirtschaft zu<br />

betreiben? (<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Beschaffungsseite).<br />

� Wie ist Qualität im umfassenden S<strong>in</strong>n zu def<strong>in</strong>ieren? Wie kann der sozialökologische<br />

(Mehr-) Wert von Lebensmitteln vermarktet werden? Lässt sich das<br />

Internet nutzen, um Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Transparenz zu schaffen? (<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

auf der Absatzseite).<br />

Um e<strong>in</strong> Produkt vermarkten zu können, welches e<strong>in</strong>erseits den hohen biologischen<br />

Anforderungen gerecht <strong>und</strong> andererseits auch vom K<strong>und</strong>en nachgefragt wird, bemüht<br />

sich EOSTA neben der Orientierung am direkten K<strong>und</strong>en (Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhandelsunternehmen)<br />

auch darum, se<strong>in</strong>e Lieferanten <strong>und</strong> die Endverbraucher besser zu verstehen.<br />

Insbesondere die Erzeuger werden gezielt <strong>in</strong> den Vermarktungsprozess e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> mit der Unternehmensphilosophie vertraut gemacht.<br />

E<strong>in</strong> Unternehmen, welches e<strong>in</strong>e zentrale Stellung <strong>in</strong> der Wertkette e<strong>in</strong>nimmt <strong>und</strong> großen<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Verbreitung nachhaltiger Produkte hat, kann man als sozialökologischen<br />

Diffusionsagenten bezeichnen (Hansen/Kull 1996, S. 90-93). EOSTA<br />

nimmt als Großhandelsunternehmen diese Rolle aktiv wahr <strong>und</strong> versucht sowohl auf<br />

die Angebotsseite (ecology-push-Strategien) als auch auf die Beschaffungsseite (ecology-pull-Strategien)<br />

<strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>zuwirken, dass mehr sozial-ökologische Produkte<br />

angebaut <strong>und</strong> verkauft werden. Als Vermittler zwischen Anbietern <strong>und</strong> Verbrauchern<br />

ist EOSTA am Erfolg aller Beteiligten <strong>in</strong>teressiert.<br />

Die Rolle e<strong>in</strong>es Diffusionsagenten kann e<strong>in</strong> Großhandelsunternehmen <strong>in</strong>sbesondere<br />

daher gut erfüllen, weil im Unternehmen die Kenntnisse über die Produktentwicklung<br />

der Erzeuger <strong>und</strong> die Bedürfniswünsche der K<strong>und</strong>en zusammenlaufen (Abb. 1). Während<br />

auf der Stufe des Erzeugers das Interesse an <strong>und</strong> das Wissen um die Produktentwicklung<br />

sehr hoch ist, s<strong>in</strong>kt es im Verlauf der Wertschöpfungskette. Die Wahrnehmung<br />

der K<strong>und</strong>enbedürfnisse ist h<strong>in</strong>gegen beim Erzeuger am ger<strong>in</strong>gsten <strong>und</strong> steigt im<br />

Verlauf der Wertschöpfungskette immer weiter an. Im Schnittpunkt beider Kurven<br />

steht z.B. als importierendes Großhandelsunternehmen EOSTA, welches sowohl um<br />

die Vorgänge bei der Produktentwicklung auf der Stufe der Erzeuger als auch um die


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 183<br />

Bedürfnisse se<strong>in</strong>er Konsumenten weiß. Als Diffusionsagent kann EOSTA so beide<br />

Enden der Wertschöpfungskette, den Erzeuger <strong>und</strong> den Verbraucher berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> auch selber E<strong>in</strong>fluss nehmen.<br />

Produktentwicklung<br />

Bedürfniswahrnehmung<br />

hoch<br />

niedrig<br />

Erzeuger<br />

Im <strong>und</strong><br />

Export<br />

Großhandel<br />

Diffusionsagent<br />

E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Wahrnehmung der<br />

Konsumentenbedürfnisse<br />

Verbraucher<br />

Kenntnisse<br />

zur Produktentwicklung<br />

Abbildung 1: Kenntnis zur Produktentwicklung <strong>und</strong> zur Bedürfniswahrnehmung<br />

Akteure<br />

der Wertschöpfungskette<br />

Abbildung 2 stellt die Weiterentwicklung von Abbildung 1 dar <strong>und</strong> symbolisiert <strong>in</strong><br />

Form e<strong>in</strong>er Lemniskate den „unendlichen Dialog“, der <strong>in</strong>nerhalb des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette geführt werden muss,<br />

um die vorhandenen Informationsasymmetrien zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den Verbrauchern<br />

<strong>in</strong> Bezug auf die Produktentwicklung <strong>und</strong> die Bedürfniswahrnehmung zu<br />

überw<strong>in</strong>den. Während auf der Seite des Erzeugers das Bestreben dar<strong>in</strong> besteht, das<br />

Wissen um die sozial-ökologischen Produkteigenschaften zu den Verbraucher zu<br />

transportieren, hat auf der anderen Seite der Verbraucher konkrete Produktvorstellungen<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse, die den Erzeugern vermittelt werden müssen.<br />

Als Großhändler nimmt EOSTA daher zwei unterschiedliche Aufgaben wahr: Zum<br />

e<strong>in</strong>en muss das Unternehmen den Verbraucher auf die sozial-ökologischen Produkteneigenschaften<br />

aufmerksam zu machen, die e<strong>in</strong>en gesellschaftlichen Mehrwert darstellen<br />

<strong>und</strong> zum anderen muss EOSTA die Erzeuger von den Bedürfnissen der Konsumen-


184 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

ten überzeugen. Um erfolgreich zusammenzuarbeiten ist es daher unumgänglich, dass<br />

e<strong>in</strong> großer „unendlicher Dialog“ zwischen allen Beteiligten der Wertschöpfungskette<br />

geführt wird, der e<strong>in</strong>en ständigen Informationsfluss zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den<br />

Verbrauchern garantiert. Ziel ist neben dem f<strong>in</strong>anziellen Erfolg, dass bei den Erzeugern<br />

e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> für die Verbraucher erzeugt wird <strong>und</strong> umgekehrt. E<strong>in</strong> derartiges<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zeigt allen Akteuren der Wertschöpfungskette ihre gegenseitige<br />

Abhängigkeit auf <strong>und</strong> fördert somit e<strong>in</strong>e konstruktive Zusammenarbeit.<br />

Erzeuger<br />

Im- <strong>und</strong><br />

Export<br />

Großhandel<br />

Wahrnehmung der Konsumentenbedürfnisse<br />

Kenntnisse zur Produktentwicklung<br />

E<strong>in</strong>zelhandel<br />

Abbildung 2: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als „unendlicher“ Dialog<br />

Beschaffungs- <strong>und</strong> Absatzmärkte<br />

Verbraucher<br />

Akteure<br />

der Wertschöpfungskette<br />

EOSTA legt e<strong>in</strong>en besonderen Fokus auf den Beschaffungsmarkt, d.h. auf die Herkunft<br />

der Produkte. So wird das Obst ausschließlich <strong>in</strong> der südlichen Hemisphäre angebaut.<br />

Dies hat zur Folge, dass EOSTA im Frühjahr frisch geerntetes Obst liefern kann, wenn<br />

andere Anbieter Waren auf den Markt br<strong>in</strong>gen, die bereits drei bis fünf Monate gelagert<br />

wurden. Neben Äpfel, Birnen <strong>und</strong> Mangos wird das Obstsortiment durch Zitrusfrüchte,<br />

Tafeltrauben <strong>und</strong> Avocados ergänzt. Im Gegensatz zur Herkunft des Obstes<br />

wird der größte Teil des Gemüses <strong>in</strong> niederländischen Gewächshäusern angebaut. Es<br />

handelt sich dabei vorwiegend um Tomaten, Paprika <strong>und</strong> Gurken. Deshalb ist EOSTA


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 185<br />

sowohl beim Obst als auch beim Gemüse <strong>in</strong> der Lage, auch dann Ware anzubieten,<br />

wenn lokal wenig erzeugt wird.<br />

EOSTA sieht sich jedoch mit der Frage konfrontiert, ob importierte biologische Produkte<br />

nicht aufgr<strong>und</strong> des langen Transportwegs umweltbelastender s<strong>in</strong>d als e<strong>in</strong>heimische<br />

konventionelle Produkte (Carbotech 1994, Konsument<strong>in</strong>nenforum Schweiz/<br />

Greenpeace Schweiz 1994, Geier 2003, S. 31). Zum e<strong>in</strong>en müssen aber die Energie<strong>und</strong><br />

Ressourcenaufwendungen für die Lagerung <strong>und</strong> Haltbarmachung regionaler Produkte<br />

dagegen gerechnet werden <strong>und</strong> zum anderen trägt der Transport – bezogen auf<br />

den gesamten Produktlebenszyklus – häufig nicht <strong>in</strong> dem Maße zur Umweltbelastung<br />

bei, wie vielfach angenommen wird (Jungbluth 2000, S. 27). So beträgt bspw. im Fall<br />

von Kaffee der Energieverbrauch für den Schiffstransport von den Erzeugerländern<br />

nach Westeuropa gerade mal e<strong>in</strong> Zehntel des Energieverbrauchs für den Röstprozess<br />

(Belz 1995, S. 169). Neben der Transportentfernung haben <strong>in</strong>sbesondere die Art des<br />

gewählten Transportmittels, die Transportauslastung <strong>und</strong> die sogenannten „versteckten“<br />

Transporte e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss auf die Höhe der Umweltbelastung (Jungbluth<br />

2000, S. 26). Während bspw. Conta<strong>in</strong>erschiffe e<strong>in</strong>en wesentlich ger<strong>in</strong>geren Anteil zur<br />

Umweltbelastung bezogen auf den gesamten Produktlebenszyklus beitragen, führt der<br />

Transport mit dem Flugzeug zu e<strong>in</strong>er sehr viel größeren ökologischen Belastung, die<br />

die Umweltentlastungen durch den biologischen Anbau im jeweiligen Anbaugebiet bei<br />

weitem übertreffen. Die pauschalisierende Aussage, dass das Importieren ökologisch<br />

<strong>und</strong> sozial verträglicher Produkte aufgr<strong>und</strong> der hohen Umweltbelastungen beim<br />

Transport negative Auswirkungen auf die Umwelt hätte, ist daher differenziert zu betrachten.<br />

Bei effizienteren Anbaubed<strong>in</strong>gungen können sich unter Umständen auch weitere<br />

Transportwege ökologisch lohnen (Jungbluth 2000, S. 28). Daher kann nicht generell<br />

behauptet werden, dass Produkte, die e<strong>in</strong>en weiten Transportweg zurücklegen, über<br />

e<strong>in</strong>e schlechtere Umweltbilanz verfügen als regionale Produkte. EOSTA importiert<br />

se<strong>in</strong>e Produkte fast ausschließlich mit dem Conta<strong>in</strong>erschiff, um so die Umweltbelastung<br />

trotz des langen Transportes so ger<strong>in</strong>g wie möglich zu halten.<br />

Der Absatzmarkt von EOSTA konzentriert sich auf fast alle Länder Europas sowie auf<br />

e<strong>in</strong>zelne K<strong>und</strong>en <strong>in</strong> Nordamerika. Dabei werden unterschiedliche Absatzkanäle bedient.<br />

EOSTA hat früh erkannt, dass es wichtig ist, sowohl an den Naturkosthandel als<br />

auch an herkömmliche Supermärkte zu liefern, um den Markt für biologische Lebensmittel<br />

weiter zu entwickeln <strong>und</strong> zu vergrößern. Mit der Umstellung von immer mehr<br />

landwirtschaftlichen Betrieben auf biologische Anbaumethoden war es dem Naturkosthandel<br />

nicht länger möglich, die gesamte am Markt angebotene Menge zu verkaufen.<br />

Supermärkte spielen daher e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, um den Absatzmarkt für biolo-


186 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

gisch erzeugte Produkte zu erweitern, auch wenn der Anteil biologischer Produkte <strong>in</strong><br />

Supermärkten nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Teil ihres gesamten Angebots ausmacht. Heute beliefert<br />

EOSTA den Großteil der führenden Supermarktketten <strong>in</strong> Europa u.a. <strong>in</strong> Deutschland<br />

die REWE Gruppe, Edeka <strong>und</strong> Tengelmann sowie <strong>in</strong> der Schweiz Coop <strong>und</strong> Migros.<br />

2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Beschaffungsseite<br />

In den 1980er Jahren, als EOSTA gegründet wurde, stieg die Nachfrage nach biologischen<br />

Nahrungsmitteln <strong>in</strong> Westeuropa <strong>und</strong> den USA vermehrt an. Die Gründe dafür<br />

lagen <strong>in</strong> der zunehmenden Sensibilisierung der Konsumenten im H<strong>in</strong>blick auf Umweltthemen<br />

im Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> auf mögliche Schadstoffe <strong>in</strong> konventioneller Nahrung<br />

im Speziellen. Doch EOSTA konnte dieser steigenden Nachfrage zu Beg<strong>in</strong>n nicht<br />

nachkommen. Es gab häufiger Lieferprobleme, da zum e<strong>in</strong>en die Nachfrage nach biologischen<br />

Produkten größer als das Angebot <strong>und</strong> zum anderen die (biologische) Qualität<br />

e<strong>in</strong>iger Bioprodukte zweifelhaft war. In dieser Situation beschloss EOSTA, sich auf<br />

die Suche nach vertrauenswürdigen Erzeugern zu machen. Es g<strong>in</strong>g darum, e<strong>in</strong>erseits<br />

neue glaubwürdige Erzeuger zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> andererseits bereits bekannte Erzeuger <strong>und</strong><br />

deren Arbeitsweisen genauer kennenzulernen, die Erzeuger zu beraten <strong>und</strong> Beziehungen<br />

zu pflegen. Im Rückblick war dieser Schritt für die Entwicklung von EOSTA von<br />

großer Bedeutung, da so das Unternehmen vertrauenswürdige Erzeuger f<strong>in</strong>den konnte,<br />

um erfolgversprechende <strong>und</strong> langfristige Geschäftsbeziehungen e<strong>in</strong>zugehen. Strategische<br />

Überlegungen müssen allerd<strong>in</strong>gs bei ethisch orientierten Unternehmen zu Beg<strong>in</strong>n<br />

der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten nicht im Vordergr<strong>und</strong> stehen. Sie können sich im Laufe der<br />

Zeit aus e<strong>in</strong>er ethisch motivierten Anfangsidee des Unternehmens heraus entwickeln<br />

(Ulrich 1998, S. 430-433). Dies war auch bei EOSTA der Fall. Die Strategien waren<br />

Resultat des Wechselspiels von Unternehmensphilosophie <strong>und</strong> Unternehmenspraxis<br />

<strong>und</strong> stellten sich zunehmend als sehr erfolgreich heraus.<br />

Im Umgang mit den Erzeugern wurde nicht nur darauf geachtet, dass biologische Anbaurichtl<strong>in</strong>ien<br />

e<strong>in</strong>gehalten wurden, sondern es wurden auch Hilfestellungen geleistet,<br />

sofern diese notwendig waren. Ob es sich um landwirtschaftliche Beratung, Abnahmezusagen<br />

oder Vorauszahlungen handelte, h<strong>in</strong>g ganz von den <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen<br />

des Erzeugers ab. Bei den f<strong>in</strong>anziellen Leistungen g<strong>in</strong>g es nicht darum, e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>geren<br />

Preis zu erzielen oder Lieferanten <strong>in</strong> Abhängigkeit zu br<strong>in</strong>gen, sondern darum,<br />

engagierte biologische Anbauer langfristig für EOSTA zu gew<strong>in</strong>nen. Es wurde<br />

dabei auch schnell ersichtlich, dass viele Erzeuger bereits e<strong>in</strong> besonderes Interesse an<br />

biologischer oder sogar biologisch-dynamischer Landwirtschaft hatten. In vielen Fäl-


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 187<br />

len fehlten jedoch die Kenntnisse <strong>und</strong> die Erfahrungen, um erfolgreich auf diese Form<br />

der Lebensmittelerzeugung umzustellen. Herkömmliche Hochschulen <strong>und</strong> Universitäten<br />

hatten zwar <strong>in</strong> Europa vere<strong>in</strong>zelt Lehrstühle für biologische Landwirtschaft e<strong>in</strong>gerichtet,<br />

aber <strong>in</strong> den Erzeugerländern waren diese Anbaumethoden noch unbekannt.<br />

EOSTA war nicht das e<strong>in</strong>zige Unternehmen, das sich bemühte, diese Lücke zu schließen.<br />

Wie auch andere Unternehmen <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong> den USA stellte EOSTA Berater<br />

e<strong>in</strong>, die den Erzeugern helfen sollten, auf biologische Anbaumethoden umzustellen<br />

oder diese weiter zu verbessern (Belz 2004, S. 142). Diese langfristig angelegten Beratungstätigkeiten<br />

bei den Erzeugern bestehen noch heute.<br />

Um den hohen Erwartungen der kritischen Verbraucher gerecht zu werden, legt<br />

EOSTA großen Wert auf e<strong>in</strong> umfangreiches Qualitätsentwicklungssystem, welches im<br />

Rahmen des „Nature & More“ Konzeptes (Kap. 3) durchgeführt wird. Für die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Überprüfung der unterschiedlichen Qualitätskriterien bei den Erzeugern<br />

verwendet das Unternehmen e<strong>in</strong>en Fragebogen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Auditformular. Diese beiden<br />

Methoden zur Weiterentwicklung der Qualität s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere darauf ausgelegt, diejenigen<br />

Aspekte zu erfassen, die die e<strong>in</strong>zelnen Erzeuger vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.<br />

Durch offene Fragen sollen die selbst gesteckten Ziele der Erzeuger erfasst werden.<br />

Dabei geht es nicht nur um das E<strong>in</strong>halten von vorgeschriebenen Regeln <strong>und</strong> Normen,<br />

sondern <strong>in</strong>sbesondere um Eigen<strong>in</strong>itiative, Innovation <strong>und</strong> Kreativität. Erzeuger haben<br />

die Möglichkeit, sich <strong>und</strong> ihren Betrieb darzustellen. Sie können selbst beschreiben,<br />

wie sie als Landwirte biologischen Landbau betreiben <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit sie sich als sozial<br />

verantwortliche Arbeitgeber betrachten. Die <strong>in</strong>tensiven Gespräche zwischen EOSTA<br />

<strong>und</strong> den Erzeugern tragen zu e<strong>in</strong>er ständigen Weiterentwicklung <strong>und</strong> Verbesserung der<br />

Qualitäten bei <strong>und</strong> bedeuten e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierlichen Lernprozess auf beiden Seiten.<br />

Um die von den Erzeugern gemachten Qualitätsangaben zu überprüfen, wird jeder Erzeuger<br />

durch EOSTA e<strong>in</strong>mal pro Jahr zusätzlich zu den regulären Kontrollen beurteilt.<br />

Da es für außergewöhnlich gute „biologische Leistungen“ kaum festgelegte Kriterien<br />

gibt, ist es wichtig genau zu verstehen, welche Ziele e<strong>in</strong> Erzeuger verfolgt <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit<br />

diese mit denen EOSTAs übere<strong>in</strong>stimmen. Dazu ist häufig e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiver Dialog<br />

zwischen EOSTA <strong>und</strong> den Erzeugern notwendig. Diese müssen <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong> zu<br />

beweisen, dass das von ihnen Dargestellte wirklich zu e<strong>in</strong>er besseren Umwelt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

größeren sozialen Gerechtigkeit beiträgt. Deshalb werden auch Akten e<strong>in</strong>gesehen,<br />

Felder besichtigt <strong>und</strong> Mitarbeiter mit <strong>in</strong> die Gespräche e<strong>in</strong>bezogen. Die endgültige<br />

Entscheidung über die Bewertung der unterschiedlichen Qualitäten wird im Konsens<br />

mit dem Erzeuger getroffen, denn es geht bei diesem Prozess auch um den Aufbau von<br />

Vertrauen <strong>und</strong> von langfristigen Geschäftsbeziehungen.


188 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

Auch wenn EOSTA <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Erzeuger geme<strong>in</strong>same Ziele verfolgen wie Umweltschutz<br />

<strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit, so zeigen sich doch immer wieder unterschiedliche<br />

Beurteilungen e<strong>in</strong>zelner Maßnahmen. Um diese Unterschiede auszugleichen <strong>und</strong><br />

sichtbar zu machen, hat EOSTA e<strong>in</strong> Bewertungssystem entwickelt, welches die Ziele<br />

EOSTAs im Detail beschreibt. Anhand dieses Systems ist es möglich, geme<strong>in</strong>sam zu<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen <strong>und</strong> vergleichbaren Beurteilung zu kommen. Dieses Bewertungssystem<br />

erlaubt es, die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der e<strong>in</strong>zelnen Erzeuger<br />

aufzuzeigen: Während der e<strong>in</strong>e fortschrittlicher im biologischen Landbau ist, zeigt der<br />

andere e<strong>in</strong> stärkeres Engagement im sozialen Bereich. Diese unterschiedlichen Bewertungen<br />

machen den e<strong>in</strong>zelnen Erzeugern aber auch klar, wo sie sich noch verbessern<br />

können. Anhand e<strong>in</strong>es Punktesystems werden die unterschiedlichen Qualitäten beurteilt<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesamtnote dargestellt.<br />

Dieses <strong>in</strong>tensive Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> führt zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen,<br />

zur Sicherung des Beschaffungsmarktes <strong>und</strong> zur Früherkennung von Risiken <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten. Im Bereich des Beschaffungs-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> arbeitet EOSTA häufig mit<br />

anderen Unternehmen zusammen, die e<strong>in</strong>en anderen Markt bedienen, aber die gleichen<br />

Ansprüche an die Erzeuger stellen. Aufgr<strong>und</strong> dieser engen Zusammenarbeit genießen<br />

sowohl EOSTA als auch die kooperierenden Unternehmen großes Vertrauen bei den<br />

Lieferanten <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>en, da die <strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit Loyalität <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit<br />

signalisiert. EOSTA konnte so <strong>in</strong> den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile<br />

aufbauen <strong>und</strong> sich von der Konkurrenz im Markt absetzen. Auch die zusätzlichen<br />

Leistungen wie die Vorf<strong>in</strong>anzierung <strong>und</strong> die Abnahmezusagen, die EOSTA ihren Erzeugern<br />

gewährt, machen sich bezahlt. Stellten sie zunächst noch e<strong>in</strong>en zusätzlichen<br />

Kostenfaktor dar, rentierten sich diese anfänglichen Mehrkosten im Laufe der Zusammenarbeit.<br />

So war EOSTA <strong>in</strong> der Vergangenheit aufgr<strong>und</strong> der Abnahmezusagen <strong>und</strong><br />

Vorf<strong>in</strong>anzierungen häufig lieferfähig, wenn Konkurrenten nicht mehr über ausreichende<br />

Mengen an Produkten verfügten. Aber auch die umfangreiche Beratungstätigkeit<br />

zahlt sich aus. Diese beschränkt sich nicht nur auf Aspekte des biologischen Anbaus.<br />

Oft müssen auch entsprechende Nach-Ernte Verfahren entwickelt oder logistische<br />

Probleme gelöst werden. Sowohl EOSTA als auch die Erzeuger ziehen daraus e<strong>in</strong>en<br />

Vorteil, denn kostenspielige Schäden können so vermieden werden. Über diese direkte<br />

Kostenvermeidung h<strong>in</strong>aus spielt der Berater auch e<strong>in</strong>e wichtige Rolle <strong>in</strong> der Beziehungspflege<br />

zwischen EOSTA <strong>und</strong> den Erzeugern. Aufgr<strong>und</strong> der engen Zusammenarbeit<br />

mit dem Erzeuger lernt der Berater den Anbaubetrieb häufig besser kennen als e<strong>in</strong><br />

externer Inspektor e<strong>in</strong>er biologischen Kontrollbehörde. Der Berater übernimmt so für<br />

EOSTA e<strong>in</strong>e wichtige Vertrauensfunktion.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 189<br />

Dieses beschaffungsmarktorientierte <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist neben dem absatzmarktorientierten<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Teil des „Balanced <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>” (Raffée<br />

1979, S. 5). Bei diesem so genannten Gleichgewichts-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> werden sowohl<br />

auf dem Absatzmarkt als auch auf dem Beschaffungsmarkt <strong>in</strong>tensive <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>bemühungen<br />

durchgeführt (Belz/Dyllick 1996, S. 174-175, Fallbeispiel Coop Naturaplan<br />

Schweiz; Villiger 2000, S. 136). E<strong>in</strong>e wesentliche Stärke EOSTAs liegt also <strong>in</strong> der<br />

konsequenten Ausrichtung des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf den Erzeuger <strong>und</strong> dessen<br />

ständige E<strong>in</strong>beziehung <strong>in</strong> den Wertschöpfungsprozess.<br />

3 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> auf der Absatzseite<br />

Die Geschäftsidee, biologische <strong>und</strong> biologisch-dynamische Produkte zu verkaufen,<br />

kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Abnehmer bereit s<strong>in</strong>d, den<br />

Mehrpreis, den diese Produkte kosten, auch zu bezahlen. Um dieses zu erreichen, ist es<br />

zum e<strong>in</strong>em notwendig, dass die <strong>in</strong>dividuell wahrgenommene Nutzen-Kosten-Bilanz,<br />

die jeder Konsument für sich aufstellt, e<strong>in</strong>en Nettonutzen ausweist (Belz 2001, S. 78)<br />

<strong>und</strong> zum anderen, dass die ökologischen <strong>und</strong> sozialen Produkteigenschaften mit herkömmlichen<br />

Kaufkriterien zu so genannten Motivallianzen komb<strong>in</strong>iert werden (Beitrag<br />

Belz).<br />

Um den geschaffenen Mehrwert auch für Verbraucher sichtbar zu machen <strong>und</strong> beurteilen<br />

zu können, wurde von EOSTA das Konzept „Nature & More” entwickelt. Dabei<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong> Qualitätsforum, das die sozial-ökologische Qualität der Erzeugung<br />

<strong>und</strong> die Produktqualität offenlegt <strong>und</strong> den Akteuren der Wertschöpfungskette die<br />

Möglichkeit geben soll, sich über die verschiedenen Qualitätseigenschaften der Produkte<br />

zu <strong>in</strong>formieren. Die Qualität wird <strong>in</strong> drei verschiedenen Kategorien bewertet:<br />

Die Beurteilung der ökologischen Anbauweise, die Beurteilung der sozialen Verträglichkeit<br />

sowie die Beurteilung der Produktqualität. Die Ziele von „Nature & More”<br />

bestehen dar<strong>in</strong>, zum e<strong>in</strong>en die Qualität der angebotenen Produkte immer weiter zu erhöhen<br />

<strong>und</strong> zum anderen größere Transparenz <strong>in</strong> Bezug auf die Qualitätseigenschaften<br />

der Produkte zu liefern.<br />

Die Untersuchungsresultate der verschiedenen Qualitäten stehen <strong>in</strong>sbesondere den<br />

Endverbrauchern, aber auch den Erzeugern <strong>und</strong> den Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhändlern zur<br />

Verfügung. Die verschiedenen Handelspartner können so diejenigen Obst- <strong>und</strong> Gemüsesorten<br />

auswählen, die ihren Qualitätsansprüchen genügen. Sie können sich somit im<br />

Markt von ihren Konkurrenten differenzieren.


190 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus bezeichnet „Nature & More” EOSTAs eigene Marke. Auf jedem Produkt<br />

von EOSTA bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Aufkleber, der den Käufer auf die „Nature<br />

& More“ Internetseite aufmerksam macht (Abb. 3).<br />

Welcome to the Nature & More Forum!<br />

ENTER<br />

at:<br />

www.natureandmore.com<br />

HEALTHY �<br />

ORGANIC �<br />

FAIR �<br />

Enter the code form your<br />

product sticker right here<br />

You are seconds away<br />

from learn<strong>in</strong>g about the<br />

product you have just<br />

purchased.<br />

ENTER WITH CODE<br />

ENTER WITHOUT CODE<br />

Abbildung 3: „Nature & More“: E<strong>in</strong>gangsseite zum Qualitätsforum im Internet<br />

„Nature & More“ stellt ke<strong>in</strong>e zusätzliche Zertifizierung dar <strong>und</strong> konkurriert auch nicht<br />

mit bestehenden Bio- oder Fair Trade-Zertifizierern. Es ist primär e<strong>in</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument,<br />

um e<strong>in</strong>erseits die Erzeuger für die von ihnen geschaffenen ökologischen <strong>und</strong><br />

sozialen Werte zu entlohnen <strong>und</strong> andererseits den Verbrauchern e<strong>in</strong>e Möglichkeit zu<br />

bieten, sich umfangreich zu <strong>in</strong>formieren. Damit spricht „Nature & More“ den mündigen<br />

Verbraucher an, der e<strong>in</strong> landwirtschaftliches Erzeugnis nicht nur als Nahrungsmittel,<br />

sondern auch als Ergebnis e<strong>in</strong>er ökologischen <strong>und</strong> sozio-kulturellen Wertschöpfung<br />

versteht. Erzeuger, die e<strong>in</strong>en solchen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, haben<br />

dadurch e<strong>in</strong>e Möglichkeit, Verbraucher zu f<strong>in</strong>den, die bereit s<strong>in</strong>d, für diese außergewöhnliche<br />

Leistung auch mehr zu bezahlen. Oder anders ausgedrückt: Verbraucher<br />

können mit Hilfe des „Nature & More” Forums die Werte f<strong>in</strong>den, die sie suchen.


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 191<br />

Die „Nature & More” Produkte erfüllen alle die „Nature & More” Qualitätsgr<strong>und</strong>sätze,<br />

die folgende Bereiche umfassen (Tab. 1).<br />

Kriterien der<br />

ökologischen Qualität:<br />

Kriterien der<br />

sozialen Qualität:<br />

Kriterien der<br />

Produktqualität:<br />

� Bodenpflege <strong>und</strong> -fruchtbarkeit<br />

� Erhaltung der Artenvielfalt<br />

� Verantwortungsvolle Bewässerung<br />

� Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung <strong>und</strong> Krankheitsprävention<br />

� Instandhaltung, Sauberkeit <strong>und</strong> Hygiene<br />

� Nach-Ernte-Verfahren<br />

� Recycl<strong>in</strong>g, Natur- <strong>und</strong> Kulturschutz<br />

� Forschung <strong>und</strong> Innovation<br />

� Verträge <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>barungen<br />

� Arbeitszeiten <strong>und</strong> Freizeit<br />

� Gehälter <strong>und</strong> Löhne<br />

� Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung<br />

� Arbeitsplatz <strong>und</strong> Sicherheit<br />

� Gegenseitiger Respekt <strong>und</strong> Anerkennung<br />

� Hierarchie der Unternehmensstruktur<br />

� Entwicklung der Geme<strong>in</strong>schaft<br />

� Rückstandsfreiheit von Düngerstoffen, Pflanzenschutzmitteln<br />

<strong>und</strong> Gen-Technik<br />

� Analyse der physiologischen Inhaltstoffe<br />

� Sensorische Beurteilung<br />

� Vitalitätsbestimmung<br />

Tabelle 1: Kriterien der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Qualität sowie der Produktqualität<br />

Ökologische Qualität<br />

Die ökologische Qualität von „Nature & More” zeichnet sich dadurch aus, dass alle<br />

Produkte die European Council Regulation 2092/91 oder den U.S. Organic Foods Production<br />

Act (OFPA) erfüllen. Sie unterliegen ständigen Kontrollen durch zertifizierende<br />

Stellen. Darüber h<strong>in</strong>aus werden die biologischen <strong>und</strong> biologisch-dynamischen Produkte<br />

nach den nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Standards wie EKO <strong>und</strong> Demeter angebaut.<br />

EOSTA begreift den Anbau biologischer <strong>und</strong> biologisch-dynamischer Produkte<br />

als Teil e<strong>in</strong>er komplexen Umwelt mit dem Ziel diese zu schützen:


192 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

„At EOSTA, we encourage farmers to consider the larger context and the uniqueness<br />

of their farm<strong>in</strong>g operation, because as stewards of the land, they are not only produc<strong>in</strong>g<br />

crops, but contribut<strong>in</strong>g actively towards improv<strong>in</strong>g the environment.”<br />

(EOSTA 2004)<br />

Soziale Qualität<br />

Verbraucher wählen heute <strong>in</strong> zunehmendem Maße auch ganz bewusst Produkte aus,<br />

die neben ökologischen auch soziale Aspekte berücksichtigen. Im Fall von Obst <strong>und</strong><br />

Gemüse stehen Produkte im Mittelpunkt, die fair gehandelt werden. Als global agierendes<br />

Handelsunternehmen sieht sich EOSTA <strong>in</strong> der Verantwortung, jedem Mitglied<br />

der Wertschöpfungkette e<strong>in</strong> menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Ziel der<br />

sozialen Qualität, deren Inhalte auf der Erklärung der Menschenrechte basieren, ist die<br />

Menschen dabei zu unterstützen e<strong>in</strong> würdevolles <strong>und</strong> selbstbestimmtes Leben zu führen.<br />

EOSTA betrachtet sich selbst als e<strong>in</strong>en fairen Handelspartner. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

müssen sich auch EOSTAs Lieferanten, d.h. die Erzeuger, für bessere soziale Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> ihren Unternehmen e<strong>in</strong>setzen. Darunter fallen Maßnahmen wie die Schaffung<br />

besserer Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, die Bereitstellung mediz<strong>in</strong>ischer Leistungen sowie<br />

Fortbildungs- <strong>und</strong> Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />

Produktqualität<br />

Unabhängig von der Anbaumethode erwartet der Verbraucher von biologischen Lebensmitteln,<br />

dass sie besser schmecken <strong>und</strong> gesünder s<strong>in</strong>d. Insbesondere sollen die<br />

Produkte frei von möglichen ges<strong>und</strong>heitsschädlichen Rückständen se<strong>in</strong>. Deshalb werden<br />

die unter der Marke „Nature & More” verkauften Lebensmittel rout<strong>in</strong>emäßig auf<br />

e<strong>in</strong>e Vielzahl von möglichen Rückständen untersucht, um das Risiko von Verunre<strong>in</strong>igungen<br />

so ger<strong>in</strong>g wie möglich zu halten. Aber auch Geschmack <strong>und</strong> Nährwert werden<br />

im Rahmen von „Nature & More” getestet <strong>und</strong> beurteilt. Zunächst geht es dabei um<br />

e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Nährstoffanalyse, d.h. um die Bestimmung von Kohlehydraten, Eiweißen,<br />

Fetten <strong>und</strong> Vitam<strong>in</strong>en. Ferner werden die Produkte von e<strong>in</strong>em Expertenteam<br />

sensorisch beurteilt. Dabei stehen Kriterien wie das Aussehen, der Geruch <strong>und</strong> der Geschmack<br />

im Vordergr<strong>und</strong>. Um weitere Aussagen über die Haltbarkeit zu machen, werden<br />

die Produkte auch e<strong>in</strong>em Vitalitätstest unterzogen.<br />

Kooperationsbereitschaft <strong>in</strong> Form von Beratungstätigkeit, Abnahmeverpflichtungen,<br />

Vorauszahlungen <strong>und</strong> Loyalität s<strong>in</strong>d wichtige Voraussetzungen, die für die jeweiligen<br />

Partner <strong>in</strong> der Wertschöpfungskette von großer Bedeutung s<strong>in</strong>d, um geme<strong>in</strong>sam gute<br />

biologische Produkte auf den Markt zu br<strong>in</strong>gen. Dennoch spielen diese Voraussetzun-


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 193<br />

gen für viele Verbraucher nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle, da es diesen <strong>in</strong> den meisten<br />

Fällen beim Verzehr biologischer Produkte um ihre Ges<strong>und</strong>heit geht. Die weit verbreitete<br />

(jedoch noch nicht bewiesene) Annahme, dass biologisch erzeugte Lebensmittel<br />

gesünder seien als herkömmliche Produkte, macht es zwar e<strong>in</strong>facher, kurzfristig biologische<br />

Ware zu vermarkten, doch reichen derartige Verkaufsargumente nicht aus, um<br />

langfristig das Vertrauen der K<strong>und</strong>en zu gew<strong>in</strong>nen. Die Qualitätsbewertung von „Nature<br />

& More” wird <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Qualitäts<strong>in</strong>dexes als e<strong>in</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument für die<br />

Absatzseite verwendet. Jedes e<strong>in</strong>zelne „Nature & More” Produkt wird mit e<strong>in</strong>em eigenen<br />

dreistelligen Code ausgewiesen. Dieser bef<strong>in</strong>det sich auf e<strong>in</strong>em Aufkleber an jedem<br />

Produkt <strong>und</strong> verweist den Käufer für detailliertere Informationen zu den Produktqualitäten<br />

auf die Internetseite. Anhand des dreistelligen Codes erhält der Verbraucher<br />

Zugang zu der produktspezifischen Internetseite (Abb. 4, Birne mit dem Code 111).<br />

Dort kann sich jeder K<strong>und</strong>e schnell e<strong>in</strong>en Überblick sowohl über die Gesamtbewertung<br />

als auch über die E<strong>in</strong>zelbewertungen der drei Qualitäten e<strong>in</strong>es Produktes verschaffen.<br />

Die Qualitätsbeurteilung wird numerisch dargestellt. Die Informationen beziehen<br />

sich ganz spezifisch auf e<strong>in</strong> Produkt e<strong>in</strong>es bestimmten Erzeugers. Der Verbraucher<br />

kann nicht nur das Herkunftsland <strong>und</strong> die Sorte des Produktes <strong>in</strong> Erfahrung br<strong>in</strong>gen,<br />

sondern auch den Namen des Erzeugers. Weitere Informationen zu untergeordneten<br />

Qualitätskategorien s<strong>in</strong>d durch „Anklicken“ des Bewertungsbalkens abrufbar. Das<br />

„Nature & More“ Forum wurde im Februar 2004 lanciert. In der Startphase verzeichnete<br />

das Forum bereits knapp 1000 Zugriffe pro Tag.<br />

Durch die mit Bildern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er „Slideshow“ gestützte Präsentation der Ergebnisse im<br />

Internet schafft EOSTA e<strong>in</strong>e emotionale B<strong>in</strong>dung zwischen se<strong>in</strong>en Erzeugern, se<strong>in</strong>en<br />

Abnehmern <strong>und</strong> dem Endverbraucher. Die Fülle an Informationen wird zunächst <strong>in</strong><br />

den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gestellt, so dass sich der Betrachter nicht überfordert fühlt. Die<br />

Kommunikation verläuft auf e<strong>in</strong>er emotional-argumentativen Ebene. Dies ist bei der<br />

Vermarktung biologischer Lebensmittel von großer Bedeutung (Lichtl 1999, S. 19), da<br />

die oftmals komplizierte Darstellung re<strong>in</strong>er Informationen die meisten Verbraucher<br />

nicht <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> somit auch nicht anspricht (Beitrag Schrader). Kritische Käufer,<br />

die e<strong>in</strong>en tieferen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>zelkriterien wünschen, f<strong>in</strong>den auf zusätzlichen<br />

Internetseiten weiterführende <strong>und</strong> detailliertere Informationen.<br />

Damit stellt der Internetauftritt des „Nature & More“ Forums e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Instrument<br />

dar, die Informationsasymmetrie zwischen Erzeugern <strong>und</strong> Endverbrauchern zu<br />

reduzieren (Beitrag Schrader). Gerade bei sozial-ökologischen Produkten herrscht<br />

große Unsicherheit bezüglich ihrer zugesicherten ökologischen Eigenschaften (Kaas


194 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

PRODUCTS<br />

GROWERS<br />

OUR MISSION<br />

QUALITY<br />

OUR VALUES<br />

ABOUT US<br />

NEWS<br />

MEDIA<br />

Enter Product Code<br />

�<br />

The Pear you are hold<strong>in</strong>g <strong>in</strong> your hand is a<br />

Alexander Lucas, it was grown by Fruempac<br />

Farms <strong>in</strong> Argent<strong>in</strong>a and has been awarded<br />

6.4 po<strong>in</strong>ts on the Nature & More Quality Index<br />

100% certified organic<br />

PRODUCT QUALITY<br />

5.0<br />

ECOLOGICAL QUALITY<br />

7.4<br />

SOCIAL QUALITY<br />

6.9<br />

Organic Certification: Argencert – Produccion Organica Cerificada<br />

Abbildung 4: „Nature & More”: Internetseite zur Qualitätsbeurteilung<br />

Did You Know . . .<br />

… that many European<br />

pear varieties came<br />

from the orchards of<br />

monasteries and<br />

convents because the<br />

friars and nuns were<br />

highly educated people.<br />

Also On This Farm . . .<br />

Apple<br />

Apple Braeburn<br />

Gala (Royal Braeburn Gala)<br />

Granny Smith Gala (Royal Gala)<br />

Red Delicious Granny Smith<br />

Pear Red Delicious<br />

Abate Fetel<br />

Pear<br />

Alexander Lucas<br />

Abate Fetel<br />

Beurre Bosc<br />

Beurre � d‘Anjou Alexander Lucas<br />

Conderence Beurre Bosc<br />

Packhams Beurre d‘Anjou<br />

Red Anjou Conderence<br />

Red Bartlett Packhams<br />

Williams Bartlett Red Anjou<br />

Williams Bartlett<br />

1992, S. 478-479). Zwischen den Erzeugern <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>en bzw. Konsumenten besteht<br />

e<strong>in</strong>e Informationsasymmetrie: Während der Erzeuger meist sehr gute Kenntnisse<br />

über die verschiedenen Eigenschaften se<strong>in</strong>es Produktes hat, besitzt der Konsument so<br />

gut wie ke<strong>in</strong>e Informationen (Hüser 1996, S. 27-30). Die ökologische Produkteigenschaft<br />

stellt <strong>in</strong> den meisten Fällen e<strong>in</strong>e Vertrauenseigenschaft dar (Kaas 1992, S. 481-<br />

482; Hüser 1996, S. 29). EOSTA versucht diesem Glaubwürdigkeitsproblem mit Hilfe<br />

von „Nature & More” entgegenzuwirken. Durch die Offenlegung der Informationen<br />

signalisiert das Unternehmen ihren K<strong>und</strong>en Transparenz <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit der<br />

Qualitäten. Darüber h<strong>in</strong>aus senkt dieses Forum die Informations- <strong>und</strong> Kontrollkosten<br />

der Konsumenten, die bei Produkten mit Vertrauenseigenschaften e<strong>in</strong>en großen Anteil<br />

an der <strong>in</strong>dividuell wahrgenommenen Kosten-Bilanz haben (Belz 2001, S. 76).<br />

Hauptanliegen des Qualitäts<strong>in</strong>dex ist es, die unterschiedlichen Qualitätsaspekte der<br />

verschiedenen Erzeuger schnell <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fach zu kommunizieren, um den Verbrauchern<br />

die Möglichkeit zu geben, genau die biologischen Produkte zu kaufen, die sie sich<br />

auch wünschen. Dies gilt <strong>in</strong> gleicher Weise für den Groß- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhandel wie für<br />

den Endverbraucher. Der Qualitäts<strong>in</strong>dex ist zur Zeit noch stark numerisch gewichtet,


<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>es europäischen Großhandelsunternehmens 195<br />

kann aber entsprechend mit mehr Information ausgestattet werden, wenn ersichtlich<br />

wird, dass die Verbraucher der „Nature & More” Marke dieses wünschen. Ziel ist es,<br />

dem Verbraucher die Informationen anzubieten, die er benötigt, um der Marke zu vertrauen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs geht es hier nicht um (leere) Versprechungen, sondern um nützliche<br />

Informationen, die auch den Tatsachen entsprechen <strong>und</strong> den Bedürfnissen der Verbraucher<br />

gerecht werden. Ohne Zweifel lässt sich der <strong>in</strong>tensive Dialog, der bereits zur<br />

Erzeugerseite besteht, auch weiter zur Verbraucherseite ausdehnen. Im Gegensatz zu<br />

den traditionellen Medien ermöglicht das Internet e<strong>in</strong>en direkten Dialog zwischen allen<br />

Akteuren der Wertschöpfungskette. Das „Nature & More” Forum möchte <strong>in</strong> der<br />

Zukunft Erzeuger <strong>und</strong> Verbraucher an e<strong>in</strong>em virtuellen Marktstand zusammen br<strong>in</strong>gen,<br />

um so neben der re<strong>in</strong>en Informationsdarstellung auch e<strong>in</strong> konstruktives „Gespräch“<br />

mit gegenseitigem Informationsaustausch zu ermöglichen.<br />

4 Zusammenfassung<br />

EOSTA hat e<strong>in</strong>en sehr hohen Anspruch an die ökologische <strong>und</strong> soziale Qualität sowie<br />

an die Produktqualität ihrer Obst- <strong>und</strong> Gemüsesorten. Mit der konsequenten Bewertung<br />

<strong>und</strong> der langfristigen Sicherung der unterschiedlichen Qualitäten will EOSTA<br />

diesen hohen Qualitätsanspruch verdeutlichen <strong>und</strong> ihre Glaubwürdigkeit erhöhen.<br />

Durch Offenheit <strong>und</strong> Ehrlichkeit soll Vertrauen geschaffen werden. EOSTA erreicht<br />

dieses Ziel <strong>in</strong>sbesondere durch das lückenlose Engagement entlang der gesamten<br />

Wertschöpfungskette vom Erzeuger bis zum Endverbraucher. Die gleichgewichtige<br />

Ausrichtung der <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>aktivitäten sowohl auf den Beschaffungs- als auch auf den<br />

Absatzmarkt führt dazu, dass EOSTA großes Vertrauen <strong>in</strong> ihre sozial-ökologischen<br />

Produkte hat <strong>und</strong> dieses dem K<strong>und</strong>en auch <strong>in</strong> Form des „Nature & More“ Forums signalisieren<br />

kann. Den zentralen Erfolgsfaktor auf der Beschaffungsseite stellt dabei die<br />

auf lange Sicht angelegte Zusammenarbeit mit den Erzeugern dar. Hieraus ergeben<br />

sich für EOSTA Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern. Auf der Absatzseite<br />

ist das „Nature & More“ Forum im Internet e<strong>in</strong> geeignetes <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><strong>in</strong>strument<br />

um die Verbraucher emotional-argumentativ anzusprechen <strong>und</strong> um mehr Transparenz<br />

<strong>und</strong> Glaubwürdigkeit zu signalisieren. Mit Hilfe dieser Eigenschaften hat EOSTA es<br />

geschafft, sich erfolgreich als Großhandelsunternehmen im europäischen Markt für<br />

Bio-Gemüse <strong>und</strong> -Obst zu profilieren <strong>und</strong> etablieren.


196 Hugo Skoppek/Birte Karstens<br />

Literaturverzeichnis<br />

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Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation<br />

Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Migros ist die größte Detailhandelskette der Schweiz. Sie besteht aus 10 Genossenschaften<br />

<strong>und</strong> besitzt über 580 Filialen. Supermärkte, Läden <strong>und</strong> Fachmärkte erwirtschaften<br />

r<strong>und</strong> zwei Drittel des Konzernumsatzes <strong>in</strong> Höhe von 20 Mrd. SFr (Anhang 1).<br />

Migros gilt nach dem IHA GfK Image Barometer als die angesehenste Firma <strong>und</strong> die<br />

bekannteste Marke der Schweiz (Brand Asset Valuator 2003). Bereits der Gründung<br />

der Migros durch Gottlieb Duttweiler lagen starke soziale Motive zu Gr<strong>und</strong>e. Im<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-Rank<strong>in</strong>g der Züricher Kantonalbank erreichte Migros fast die höchste<br />

Bewertung (AA auf e<strong>in</strong>er Skala AAA bis C). Migros war e<strong>in</strong>er der Hauptpartner des<br />

Forschungsprojektes Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS).<br />

Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiter<strong>in</strong> der schweizerischen Unternehmensvere<strong>in</strong>igung<br />

für ökologisch bewusstes Wirtschaften sprach mit Fausta Borsani, Projektleiter<strong>in</strong> Ethik<br />

<strong>und</strong> Umwelt bei Migros, über das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der Migros-<strong>Praxis</strong>.<br />

2 <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei Migros<br />

Hildesheimer: Wenn wir der Konzeption des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> folgen, wie<br />

sie Frank-Mart<strong>in</strong> Belz <strong>in</strong> diesem Buch ausgeführt hat, steht am Anfang die Analyse der<br />

sozial-ökologischen Problemfelder. Als Detailhändler stehen Sie vor der Schwierigkeit,<br />

dass Sie angesichts der Produktvielfalt im Pr<strong>in</strong>zip mit allen Problemen konfrontiert<br />

werden, die durch unseren Konsum verursacht werden. Wie f<strong>in</strong>den Sie als Verantwortliche<br />

für Umwelt <strong>und</strong> Ethik sich <strong>in</strong> diesem Problem-Dickicht zurecht? Auf<br />

welche Weise setzen Sie Tätigkeitsschwerpunkte für e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>?<br />

Borsani: Wir werden direkt von Anspruchsgruppen (z.B. Nicht-Regierungsorganisationen)<br />

angesprochen <strong>und</strong> erfahren, was sie bewegt <strong>und</strong> womit sie sich beschäftigen.<br />

Aber – das sche<strong>in</strong>t mir noch wichtiger – wir s<strong>in</strong>d alle Menschen mit e<strong>in</strong>em<br />

eigenen Verstand <strong>und</strong> eigenen ethischen Vorstellungen. Jede <strong>und</strong> jeder von uns hat die<br />

Möglichkeit zu erkennen, wo er oder sie <strong>in</strong> dem jeweiligen Arbeitsgebiet Verbesse-


198 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

rungen vorschlagen kann. Daraus – aus dem Gefühl der kollektiven Verantwortung –<br />

s<strong>in</strong>d die meisten Projekte der Migros entstanden: Im Bereich der Betriebsökologie<br />

(z.B. großer E<strong>in</strong>satz für Solarstrom oder für den Schienentransport), im Bereich Beschaffung<br />

(z.B. das Palmölprojekt, unser Engagement beim Kaffee), das sortimentsumfassende<br />

Projekt des Verhaltenskodex Non-Food oder auch die KIDS Schule.<br />

Hildesheimer: Das kl<strong>in</strong>gt nach e<strong>in</strong>em „bottom-up-approach“. Haben Sie besonders<br />

motivierte Mitarbeiter oder fördern Sie gezielt das E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen von eigenen Ideen<br />

durch die Mitarbeiter?<br />

Borsani: Beides: Gute Projekte setzen e<strong>in</strong> gutes Arbeitsklima voraus. Außerdem haben<br />

wir e<strong>in</strong> gutes, breit abgestütztes neues Leitbild (Anhang 2). Der Kernsatz dar<strong>in</strong> lautet:<br />

„Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität<br />

se<strong>in</strong>er K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>setzt.“ Dieses Leitbild wurde von e<strong>in</strong>er<br />

großen Arbeitsgruppe entwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv diskutiert. Es basiert auf den Gr<strong>und</strong>werten<br />

Gottlieb Duttweilers <strong>und</strong> dient als Leitstern für alle Aktivitäten auf allen Stufen.<br />

Hildesheimer: Kennen Sie die Bedürfnisse Ihrer K<strong>und</strong>en?<br />

Borsani: Wir s<strong>in</strong>d am Markt <strong>und</strong> merken unmittelbar, was Konsument<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Konsumenten<br />

wollen. Wir kommunizieren sehr direkt mit ihnen <strong>und</strong> merken zum Beispiel,<br />

wie sie mit dem Portemonnaie entscheiden, was sie kaufen oder eben nicht kaufen. Als<br />

Ergänzung führen wir natürlich auch K<strong>und</strong>enbefragungen durch.<br />

3 Normatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Hildesheimer: Migros hat e<strong>in</strong>e lange Tradition im H<strong>in</strong>blick auf ethisches Wirtschaften,<br />

von Gottlieb Duttweiler bis heute …<br />

Borsani: Der E<strong>in</strong>satz der Migros, der auf der Gr<strong>und</strong>lage der Ideen des Gründers Gottlieb<br />

Duttweiler gewachsen ist, ist heute immer noch wichtiger Teil der Unternehmenskultur,<br />

e<strong>in</strong>e Art Imprägnierung.<br />

Hildesheimer: Migros macht sich mit diesen hohen Ansprüchen aber gleichzeitig auch<br />

angreifbar. Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Umweltorganisationen oder<br />

Gewerkschaften sie bei „Fehltritten“ ertappen.<br />

Borsani: Das s<strong>in</strong>d die zwei Seiten derselben Medaille bei Migros: E<strong>in</strong>erseits ist sie<br />

Schrittmacher<strong>in</strong>, andererseits exponiert sie sich durch die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den<br />

Anspruchsgruppen. Doch dieser Austausch bewirkt auch etwas, das f<strong>in</strong>de ich gut. Das<br />

ist für mich der Motor des Fortschritts. Kritische Leute geben Impulse.


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 199<br />

Hildesheimer: Wir haben bisher nicht explizit zwischen Food <strong>und</strong> Non-Food unterschieden.<br />

Vor kurzem hat Migros den Verhaltenskodex für Non-Food-Produkte e<strong>in</strong>geführt.<br />

Produzenten, die diesem Kodex, der unter anderem etwa den Verzicht auf K<strong>in</strong>derarbeit<br />

enthält, nicht nachkommen, werden von der Liste gestrichen. Ist dies auch<br />

e<strong>in</strong> Element der Philosophie, das ganze, breite Produktsortiment auch im Non-Food-<br />

Bereich mit sozial-ökologischen Standards anzuheben?<br />

Borsani: Unsere Politik lautet: Wir wollen, dass die Konsument<strong>in</strong> <strong>und</strong> der Konsument<br />

überall <strong>in</strong>s Migros-Regal greifen können <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gutes Gewissen dabei haben. Das<br />

bedeutet doch, dass alle, d.h. auch Non-Food-Produkte <strong>in</strong> der Migros e<strong>in</strong>em m<strong>in</strong>imalen<br />

Standard <strong>in</strong> ökologischer <strong>und</strong> sozialer H<strong>in</strong>sicht entsprechen müssen. Das ist e<strong>in</strong>e Art<br />

E<strong>in</strong>trittspforte <strong>in</strong> die Migros. Konkret bedeutet dies z.B. Eurepgap-Standards im Food-<br />

Bereich (Anhang 3) oder Verhaltenskodex Migros im Non-Food-Bereich (Anhang 4).<br />

Wir wollen gr<strong>und</strong>sätzlich bestehende Lieferantenbeziehungen erhalten. Wir wollen die<br />

Lieferanten durch Beratung <strong>und</strong> Information auf den Standard des Kodex br<strong>in</strong>gen.<br />

Wenn wir aber sehen, dass e<strong>in</strong> Lieferant nicht mitmacht <strong>und</strong> diese Standards nicht<br />

fristgerecht umsetzt, wird ihm <strong>in</strong> letzter Konsequenz gekündigt.<br />

4 Strategisches <strong>und</strong> operatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Hildesheimer: Das Unternehmen Migros hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit ökologische <strong>und</strong><br />

soziale Ansprüche, nimmt se<strong>in</strong>e Verantwortung <strong>in</strong>tegral wahr. Aber <strong>in</strong>teressiert denn<br />

das die Konsument<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Konsumenten? Kann e<strong>in</strong> solches Engagement für das<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nutzbar gemacht werden? Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass primär für<br />

Produkte <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> betrieben werden kann, weniger für Haltungen.<br />

Borsani: Wir gehen da e<strong>in</strong>en anderen Weg. Migros ist immerh<strong>in</strong> die angesehenste <strong>und</strong><br />

bekannteste Marke der Schweiz. Durch unser breites Engagement für Mensch, Tier<br />

<strong>und</strong> Natur laden wir diese Marke Migros auf. Schließlich geht es auch darum, dafür zu<br />

sorgen, dass die Konsumenten weiterh<strong>in</strong> bei uns e<strong>in</strong>kaufen, weil sie uns als verantwortungsvoll<br />

wahrnehmen.<br />

Hildesheimer: Unterstützt Migros sie dabei? Denken Sie an den viel zitierten „Labelsalat“.<br />

Migros wurde vorgeworfen, dass die Vielzahl unterschiedlicher Labels – ich<br />

glaube, es s<strong>in</strong>d 11 Stück – statt Transparenz zu schaffen nur Verwirrung stiften <strong>und</strong> die<br />

Motivation der an sich verantwortungsbewussten Käufer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Käufer eher verr<strong>in</strong>gern<br />

würden.


200 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Borsani: Mit dem Dachlabel „Engagement“ haben wir den so genannten „Labelsalat“<br />

sehr viel transparenter gemacht. Labels wie die 7-Punkte-Fleisch-Garantie (M-7) oder<br />

IP-Suisse haben e<strong>in</strong>e deutliche Differenzierung zur konventionellen Produktion <strong>und</strong><br />

haben e<strong>in</strong>en großen Marktanteil. Labels wie Max Havelaar <strong>und</strong> Bio s<strong>in</strong>d Premium-<br />

Labels, sie haben aber e<strong>in</strong>en sehr kle<strong>in</strong>en Marktanteil. Für Migros ist es vor allem<br />

wichtig, dass viele profitieren, nicht nur wenige. Mit Produkten, die deutlich ökologischer<br />

<strong>und</strong> sozialer als die konventionellen produziert werden, deren Produktionskosten<br />

aber nicht so hoch s<strong>in</strong>d wie bei den Premium-Labels, erreichen wir e<strong>in</strong>e breite Käuferschicht.<br />

Dieser bieten wir e<strong>in</strong>en Mehrnutzen mit e<strong>in</strong>em günstigen Preis-<br />

/Leistungsverhältnis an. Die mittlere Ebene wie M-7 oder IP-Suisse weist zwar weniger<br />

strenge Richtl<strong>in</strong>ien auf, hat aber – weil sie e<strong>in</strong>en größeren Markt abdeckt – viel<br />

bewirkt. Migros will sich nicht nur <strong>in</strong> den Marktnischen der obersten Label positionieren.<br />

Bio-Produkte machen 2,9% des Food-Anteils aus, mit M-7 visieren wir 70% beim<br />

Fleisch an. Das s<strong>in</strong>d doch andere Zahlen <strong>und</strong> sie zeigen die Philosophie der Migros:<br />

Wir wollen den Massenmarkt verbessern – das heißt, den Boden anheben <strong>und</strong> nicht<br />

den Himmel ausbauen. Es ist legitim <strong>und</strong> nötig, auch die H<strong>in</strong>tergründe der „mittleren“<br />

<strong>und</strong> nicht nur der Premium-Labels zu kommunizieren.<br />

Hildesheimer: Konnte durch die E<strong>in</strong>führung des Dachlabels „Engagement“ der Umsatz<br />

gesteigert werden? Gibt es e<strong>in</strong>en Imagegew<strong>in</strong>n?<br />

Borsani: Im Jahr 2003 hatten wir e<strong>in</strong> erneutes Umsatzwachstum mit den Labelprodukten<br />

(Anhang 5). Unsere K<strong>und</strong>schaft hat das Dachlabel „Engagement“ begrüßt <strong>und</strong> verstanden.<br />

Ob wir wegen dem Dachlabel „Engagement“ mehr Chips oder Unterhosen<br />

verkaufen, kann ich nicht sagen. Aber sicher trägt unser E<strong>in</strong>satz auch dazu bei, dass<br />

unser Gesamtumsatz im letzten Jahr wieder gewachsen ist – trotz schwierigem Markt.<br />

Hildesheimer: Sie erwarten e<strong>in</strong> weiteres Wachstum der Engagement-Produkte?<br />

Borsani: Trotz der schwierigen konjunkturellen Lage haben diese Produkte großes<br />

Potenzial. 2010 wollen wir 2,5 Milliarden Franken mit Labelprodukten umsetzen.<br />

Daneben verbessert sich auch die konventionelle Produktion stark. Die großen Konzerne<br />

s<strong>in</strong>d dabei, vermehrt ökologische <strong>und</strong> soziale Basisstandards zu formulieren <strong>und</strong><br />

durchzusetzen (z.B. Chiquita).<br />

Hildesheimer: Gleichzeitig boomt der Umsatz am unteren Ende der Skala, bei<br />

M-Budget. Wie ist das zu verstehen?<br />

Borsani: Mit der Tiefpreisl<strong>in</strong>ie M-Budget wollen wir der starken Nachfrage e<strong>in</strong>er ganzen<br />

Reihe von K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en entsprechen, die bestimmte Artikel zu günsti-


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 201<br />

gen Preisen zu kaufen wünschen. Auch bei M-Budget wollen wir e<strong>in</strong>e gute ökologische<br />

<strong>und</strong> soziale Qualität gewährleisten. Die Preisdifferenz lässt sich durch verschiedene<br />

Faktoren erklären. E<strong>in</strong>mal kalkuliert Migros auf diesen Produkten weniger Marge,<br />

dann ist die Verpackung recht e<strong>in</strong>fach gehalten. Die Rezepturen s<strong>in</strong>d ebenfalls anders<br />

zusammengestellt. Dies führt zu Kostenreduktionen im Produktionsprozess. In<br />

der M-Budget-L<strong>in</strong>ie bieten wir auch meist größere Packungen an, die klar auf Familien<br />

<strong>und</strong> Großhaushalte ausgerichtet s<strong>in</strong>d, was diese Artikel ebenfalls vergünstigt. Ansonsten<br />

unterliegen die Produkte der gleichen Qualitätskontrolle wie unser gesamtes<br />

Sortiment. Mit dem M-Budget-Sortiment geht es Migros weniger darum, neue Käuferschichten<br />

zu erschließen, sondern darum, die bestehenden - speziell <strong>in</strong> ökonomisch<br />

schwierigen Zeiten - nicht an Discounter zu verlieren. Dieses Ziel konnte erreicht werden.<br />

Hildesheimer: Wie b<strong>in</strong>den Sie denn Engagement-Produkte <strong>in</strong> Ihre Werbekampagnen<br />

e<strong>in</strong>? Gibt es e<strong>in</strong>e bestimmte Engagement-Quote (z.B. 10% der Sonderangebote s<strong>in</strong>d<br />

Engagement-Produkte)? Oder werden diese Produkte mit eigenständigen Kampagnen<br />

beworben?<br />

Borsani: Es gibt ke<strong>in</strong>e Quoten. Wir machen eigenständige Kampagnen, um die H<strong>in</strong>tergründe<br />

<strong>und</strong> die Bedeutung von „Engagement“ zu erklären.<br />

Hildesheimer: Erfordern die Engagement-Produkte besondere Anstrengungen <strong>in</strong> der<br />

Distribution? In welcher Größenordnung schlägt sich dies im Preis wieder?<br />

Borsani: Das ist von Produkt zu Produkt sehr verschieden. Ziel bleibt es, der Konsument<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> dem Konsumenten unabhängig vom Portemonnaie ethisch gute Produkte<br />

anzubieten. Natürlich kostet die E<strong>in</strong>führung neuer Standards, es geht um höhere Logistikkosten,<br />

es geht um Qualitätssicherung, es geht um Kontrollkosten. Bessere Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />

schlagen sich aber nicht immer im Verkaufspreis nieder, weil e<strong>in</strong><br />

besseres Management aus ethischer Sicht auch häufig hilft, <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht zu<br />

sparen.<br />

5 Transformatives <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Hildesheimer: Im Lebensmittel-Workshop auf dem St. Galler Forum für <strong>Nachhaltigkeits</strong>management<br />

am 25.11.2003 waren mehrheitlich ausländische Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Teilnehmer anwesend. Wiederholt wurde auf den „Sonderfall Schweiz“ verwiesen.<br />

Migros <strong>und</strong> Coop beherrschen den Markt <strong>und</strong> liefern sich nicht nur e<strong>in</strong>en Kampf<br />

um die Umsatz-Spitzenposition, sondern – das wurde beneidet – auch um die Position<br />

als <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Leader. Können Sie diese Beobachtung kommentieren?


202 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Borsani: Die Beobachtung stimmt. Und das br<strong>in</strong>gt die Nachhaltigkeit sicher weiter.<br />

Hildesheimer: Trotzdem liegt auch <strong>in</strong> der Schweiz das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Gold nicht auf<br />

der Straße. Sie nannten 2.9% Bio-Anteil bei Lebensmitteln, das Bedürfnis von K<strong>und</strong>en<br />

nach billigen Produkten. Was unternimmt Migros jenseits strategisch-operativer Maßnahmen,<br />

um die Grenzen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zu verschieben, den potenziellen<br />

Markt für nachhaltige Produkte zu vergrößern?<br />

Borsani: Migros war an vielen politischen Veränderungen <strong>in</strong> der Schweiz beteiligt.<br />

Wir haben die Schweizer Landwirtschaftspolitik bereits vor Jahren durch die <strong>in</strong>tegrierte<br />

Produktion (IP) revolutioniert. Diese wurde von Migros lanciert <strong>und</strong> ist heute <strong>in</strong> der<br />

Schweizer Landwirtschaft Standard. Wir haben die Tierhaltung auf breiter Basis verbessert<br />

(7-Punkte-Fleisch-Garantie). Nun s<strong>in</strong>d wir daran, dasselbe bei den tropischen<br />

Gütern wie dem Palmöl zu tun. Dies s<strong>in</strong>d wichtige Beispiele für das so genannte transformative<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, wo die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen verändert werden<br />

<strong>und</strong> so der E<strong>in</strong>fluss weit über die eigenen Unternehmensgrenzen h<strong>in</strong>aus ausgedehnt<br />

wird.<br />

6 Das Palmöl-Projekt<br />

Hildesheimer: Das ist e<strong>in</strong> gutes Stichwort. Mir sche<strong>in</strong>t, dass an diesem Palmöl-Projekt<br />

sehr viel von dieser schon oft zitierten Migros-Philosophie sichtbar wird. Wie kamen<br />

Sie denn auf das Palmöl?<br />

Borsani: Palmöl ist e<strong>in</strong> Rohstoff, der <strong>in</strong> den unterschiedlichsten Endprodukten vorkommt,<br />

z.B. <strong>in</strong> Backwaren, Fertigsuppen, aber auch <strong>in</strong> Kosmetika. Die Produktion des<br />

Rohstoffs ist sehr häufig verknüpft mit erheblichen ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problemen<br />

(z.B. Brandrodungen <strong>und</strong> Verlust der Subsistenzgr<strong>und</strong>lagen). 1999 beendete der<br />

Tages-Anzeiger e<strong>in</strong>en Bericht über die Problematik mit den Worten: „Die ahnungslosen<br />

Konsumenten des Palmöls sitzen <strong>in</strong> Europa. Dieselben umweltbewussten Bürger,<br />

die e<strong>in</strong>en Importboykott für Tropenhölzer aus nicht nachhaltigem Anbau unterstützten,<br />

verspeisen den Regenwald zum Frühstück, schmieren ihn auf ihre Lippen <strong>und</strong> halten<br />

ihre delikaten Hände zart.“<br />

Hildesheimer: Was hat Migros hieraus für Schlüsse gezogen?<br />

Borsani: Migros kontaktierte den WWF Schweiz, als sich die Umweltorganisation<br />

selber mit dem Thema zu beschäftigen begann. Wir erarbeiteten zusammen mit engagierten<br />

Umweltfachleuten Kriterien für e<strong>in</strong>en verantwortungsvollen Anbau von Palmöl.<br />

Nachhaltiges Palmöl stammt nicht aus Plantagen, für die kürzlich Naturwald gero-


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 203<br />

det wurde. Die Plantage muss möglichst alle Auswirkungen des Palmölanbaus auf die<br />

natürliche Umwelt untersuchen <strong>und</strong> Pläne zur M<strong>in</strong>imierung der negativen Auswirkungen<br />

ausarbeiten. Der verbleibende natürliche Wald wird geschützt. Faire Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Muss, ausbeuterische K<strong>in</strong>derarbeit ist verboten. Die Plantage muss<br />

sich mit weiteren sozialen Auswirkungen ause<strong>in</strong>ander setzen. Diese betreffen Fragen<br />

wie Landzugang, Wanderbewegungen <strong>in</strong> <strong>und</strong> aus e<strong>in</strong>er Region, Nahrungsmittelbeschaffung,<br />

Sicherheit, Ges<strong>und</strong>heit sowie kulturelle E<strong>in</strong>flüsse.<br />

Hildesheimer: Frank-Mart<strong>in</strong> Belz zeigte am Beispiel der Kaffeeproduktion, wie den<br />

ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problemen mit e<strong>in</strong>em Bio- <strong>und</strong> Fair Trade-Produkt umfassend<br />

begegnet werden kann. Ist Ihr Palmöl ohne biologischen Anbau überhaupt nachhaltig?<br />

Borsani: Bio <strong>und</strong> Fair Trade alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Fall ke<strong>in</strong>e optimale Lösung. Sehen<br />

Sie: Es ist möglich, e<strong>in</strong> Stück Regenwald zu roden, <strong>und</strong> darauf e<strong>in</strong>e Bio-Plantage zu<br />

errichten. Somit kann mit Bio alle<strong>in</strong> die Zerstörung des Tropenwaldes nicht aufgehalten<br />

werden. Außerdem werden die meisten Plantagen aufgr<strong>und</strong> der höheren Produktionskosten<br />

<strong>in</strong> nächster Zukunft nicht auf Bio umsteigen. Da müssen wir die Frage beantworten:<br />

Wollen wir drei Plantagen weltweit oder wollen wir die Palmölproduktion<br />

auf den großen Flächen etwa <strong>in</strong> Malaysia <strong>und</strong> Indonesien nachhaltig verändern? Wollen<br />

wir die wertvollen verbleibenden Naturwaldgebiete schnell schützen, <strong>in</strong>dem wir<br />

alle Akteure e<strong>in</strong>beziehen? Die Antwort hieß für uns: Möglichst viel, möglichst gut,<br />

möglichst schnell. Unter dieser Voraussetzung kann man zwar Bio anvisieren, aber<br />

nicht sofort vorschreiben. Bio kostet pro Tonne 1000 SFr. mehr als der Weltmarktpreis,<br />

das wäre ökonomisch nicht tragbar für die Industrie. Und wir wollten ja die ganze<br />

<strong>in</strong>dustrielle Produktion im Food-Bereich möglichst schnell umstellen, um auch <strong>in</strong>ternational<br />

Signale zu senden. Wir wollten nicht e<strong>in</strong> paar tugendhafte Produkte verwirklichen,<br />

sondern e<strong>in</strong>e neue Beschaffungspolitik für das gesamte Palmöl von Migros<br />

realisieren.<br />

Hildesheimer: Das Palmölprojekt gelang, weil e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der Migros die Verantwortlichen<br />

für Produktion, Detailhandel <strong>und</strong> Nachhaltigkeit ganz nahe beie<strong>in</strong>ander<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> andererseits weil <strong>in</strong>tensive Beziehungen zu den Anspruchsgruppen bestehen<br />

(Umweltorganisationen, Interessenvertreter von sozialen Gruppen etc.). Heute ist der<br />

gesamte Eigenbedarf der Migros im Nahrungsmittelbereich aus nachhaltiger Produktion.<br />

Können Sie weitere Erfolgsfaktoren beschreiben, weshalb dieses doch sehr anspruchsvolle<br />

Projekt <strong>in</strong> überraschend kurzer Zeit umsetzungsreif war?


204 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Borsani: Wir haben das Glück, e<strong>in</strong>e Eigen<strong>in</strong>dustrie zu haben, das heißt, sobald Migros<br />

als Ganzes überzeugt war, das Projekt durchzuführen, konnte man loslegen <strong>und</strong> anders<br />

e<strong>in</strong>kaufen. Das wird bei den Lieferanten von Produkten, die wir nicht selbst herstellen,<br />

langwieriger se<strong>in</strong>.<br />

Hildesheimer: In der Schweiz hat sich nun auch Coop entschlossen, Palmöl aus nachhaltiger<br />

Produktion e<strong>in</strong>zusetzen. Und die Idee wird weiter <strong>in</strong> die Welt h<strong>in</strong>aus getragen:<br />

Zusammen mit dem WWF wurde e<strong>in</strong> „R<strong>und</strong>er Tisch“ mit vielen betroffenen Akteuren<br />

<strong>in</strong>itiiert. Man versucht analog zur <strong>in</strong>tegrierten Produktion (IP) diesmal die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

auf dem <strong>in</strong>ternationalen Parkett zu bee<strong>in</strong>flussen. Hat dieser „R<strong>und</strong>e Tisch“<br />

schon etwas bewirken können?<br />

Borsani: Zusammen mit dem WWF <strong>und</strong> anderen wichtigen Akteuren der Palmöl<strong>in</strong>dustrie<br />

hat Migros im August 2003 e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Konferenz zum Thema Palmöl organisiert.<br />

Deren Ziel war die Förderung der Produktion <strong>und</strong> Nachfrage von nachhaltigem<br />

Palmöl. In diesem Fall wurde für die nachhaltige Gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>es wichtigen<br />

Rohstoffes e<strong>in</strong> Lösungsprozess e<strong>in</strong>geleitet, an dem wirklich alle <strong>in</strong>teressierten <strong>und</strong> betroffenen<br />

Parteien teilnahmen. Nun werden weitere konkrete Schritte folgen. Als<br />

nächstes s<strong>in</strong>d die Formulierung <strong>und</strong> die Umsetzung geme<strong>in</strong>samer Regeln geplant. Diese<br />

Regeln werden ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte e<strong>in</strong>schließen, wie auch die geeigneten<br />

Gebiete für Neupflanzungen def<strong>in</strong>ieren, damit der natürliche Tropenwald <strong>in</strong>takt<br />

bleibt. Das Beispiel hat gezeigt, dass e<strong>in</strong>e nachhaltige Produktion von Palmöl möglich<br />

ist. Die Migros-Kriterien für nachhaltiges Palmöl sowie die Erfahrungen, welche wir<br />

gemacht haben, werden hierzu e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag liefern.<br />

Hildesheimer: Und was sagen die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en? Kann Migros <strong>in</strong> Bereichen<br />

aktiv se<strong>in</strong>, wo diese von sich aus gar ke<strong>in</strong>e Bedürfnisse haben? Kann Migros hier aufklären<br />

<strong>und</strong> letztlich sogar neue Bedürfnisse schaffen? Oder konkret gefragt: Gehen Sie<br />

davon aus, dass die Investitionen <strong>in</strong> das Palmöl-Projekt rentabel werden, weil mehr<br />

entsprechende Margar<strong>in</strong>e verkauft wird?<br />

Borsani: Natürlich muss Migros immer e<strong>in</strong>en Schritt voraus denken, gerade weil sie<br />

auf <strong>in</strong>ternationalen Märkten aktiv ist <strong>und</strong> sie sehr sensibilisiert ist auf Probleme, die<br />

mit der Beschaffung zusammenhängen. Unsere Kommunikation beschränkt sich deswegen<br />

nicht auf klassische Werbung. Wir br<strong>in</strong>gen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>berichte <strong>in</strong> unseren Eigenmedien,<br />

<strong>in</strong>formieren Medienschaffende umfassend <strong>und</strong> ohne zu beschönigen über<br />

Probleme <strong>und</strong> Lösungsansätze, über Fortschritte <strong>und</strong> Rückschläge. Es ist bei diesen<br />

Projekten nicht wichtig, mehr Margar<strong>in</strong>e zu verkaufen, obwohl wir sicher die nachhaltigste<br />

Margar<strong>in</strong>e auf dem Markt haben (lacht), sondern die Marke Migros aufzuladen:


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 205<br />

Migros setzt sich Ziele, versucht überall, wo sie kann, Verantwortung zu übernehmen,<br />

Verbesserungen zu erreichen, Probleme zu lösen.<br />

Hildesheimer: Sie sagen, wo Migros kann. Wo können Sie? Was ist Ihre Strategie zur<br />

Festlegung von Schwerpunkten?<br />

Borsani: E<strong>in</strong>erseits überlegen wir uns, wo wir uns engagieren können, wo unsere Verantwortung<br />

im Feld der Nachhaltigkeit liegt. Wir stellen also den Zusammenhang dar<br />

zwischen unserem Kerngeschäft, der Beschaffung <strong>und</strong> dem Wiederverkauf von Waren,<br />

<strong>und</strong> den Imperativen der Nachhaltigkeit: Soziale Beschaffung, ökologische Produktion<br />

<strong>und</strong> Erfolg am Markt. Aus diesen drei Gesichtspunkten leiten wir unsere Strategie<br />

ab. So ist die Entstehung des Dachlabels „Engagement“ zu erklären, welches der<br />

K<strong>und</strong>schaft den Mehrnutzen des gelabelten Produkts, aber auch die Orientierung im<br />

Laden, sowie vertiefte H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>s<strong>in</strong>formation br<strong>in</strong>gt. Aus der stetigen Analyse der<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnisse <strong>und</strong> der ökologischen <strong>und</strong> sozialen Probleme, mit denen wir als<br />

Beschaffer konfrontiert werden, entstehen dann auch Projekte, die e<strong>in</strong>en eher transformativen<br />

Charakter haben wie z.B. das Palmölprojekt. Die Projekte von Migros s<strong>in</strong>d<br />

zwar e<strong>in</strong>erseits pionierhaft, aber immer auch sehr realistisch. Es werden alle Aspekte<br />

analysiert, bevor e<strong>in</strong> Produkt auf den Markt gelangt: Kann man das Projekt über e<strong>in</strong>e<br />

längere Zeit durchziehen, kann man es auch weiterverfolgen, wenn die Konjunktur<br />

schlecht läuft? Auch <strong>in</strong> den letzten zwei, drei Jahren der Konjunkturflaute hat Migros<br />

an solchen Projekten festgehalten. Das kann man auch als nachhaltig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ökonomischen<br />

S<strong>in</strong>ne sehen, denn nur glaubwürdige Unternehmen bestehen im Konkurrenzkampf.<br />

Hildesheimer: Zum Abschluss: Im bereits erwähnten Workshop wurden die Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Teilnehmer gefragt, welche Erfolgsfaktoren für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> wichtig s<strong>in</strong>d. Zwei Begriffe wurden als absolut zentral <strong>und</strong> unabd<strong>in</strong>gbar<br />

genannt: Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> Durchhaltevermögen. Haben Sie dem noch etwas h<strong>in</strong>zuzufügen?<br />

Borsani: Mut, etwas anzupacken, auch wenn die Lösung noch nicht perfekt ist <strong>und</strong><br />

man sich Kritiken aussetzt. Demut, auch mal e<strong>in</strong>e Entscheidung zu überdenken.


206 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Anhang 1: Migros <strong>in</strong> Kürze<br />

Die Migros …<br />

… wurde 1925 von Gottlieb Duttweiler <strong>in</strong> der Schweiz gegründet.<br />

… fühlt sich hohen sozialen <strong>und</strong> ökologischen Werten verpflichtet.<br />

… ist die grösste Detailhandelskette <strong>in</strong> der Schweiz.<br />

… hat über 580 Filialen.<br />

… besteht aus 10 regionalen Genossenschaften.<br />

… hat zentrale Unternehmens-Funktionen im Migros-Genossenschaftsb<strong>und</strong> zusammengefasst.<br />

… besitzt Supermärkte, Läden <strong>und</strong> Fachmärkte (zwei Drittel des Konzernumsatzes)<br />

sowie die Globus-Gruppe, Produktionsbetriebe <strong>und</strong> Dienstleistungsunternehmen<br />

(e<strong>in</strong> Drittel des Konzernumsatzes).<br />

… hatte 2003 e<strong>in</strong>en Konzernumsatz von r<strong>und</strong> 20 Mrd. SFr.<br />

… beschäftigt 81.600 Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter.<br />

… ist <strong>in</strong> der Schweiz die angesehenste Firma <strong>und</strong> die preisgünstigste Marke.<br />

Quelle:<br />

Food:<br />

9.9 Mrd.<br />

SFr.<br />

Aufteilung des Detailhandelumsatzes<br />

Non-Food:<br />

5.3 Mrd.<br />

SFr.<br />

http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=901


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 207<br />

Anhang 2: Unternehmensleitbild <strong>und</strong> -gr<strong>und</strong>sätze von Migros<br />

"Unser Engagement für die Lebensqualität"<br />

Leitsatz:<br />

Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität<br />

se<strong>in</strong>er K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>setzt.<br />

Migros 2010: Unternehmensauftrag<br />

Als Schrittmacher<strong>in</strong> am Markt wollen wir unsere Marktführerschaft ausbauen, <strong>in</strong>dem<br />

wir unser Leistungsangebot für unsere K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en noch attraktiver machen.<br />

Im kulturellen, sozialen <strong>und</strong> ökologischen Engagement bleiben wir beispielhaft.<br />

K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en: Unser Engagement<br />

Wir bieten Qualitätsprodukte <strong>und</strong> -dienstleistungen zu günstigen Preisen an.<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeiter: Unser Engagement<br />

Als vorbildliche Arbeitgeber<strong>in</strong> schaffen wir Voraussetzungen für e<strong>in</strong> motivierendes<br />

<strong>und</strong> leistungsorientiertes Arbeitsklima, das die besten Kräfte anzieht.<br />

Lieferanten: Unser Engagement<br />

(…) Wir verbessern Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen laufend <strong>und</strong> setzen zudem ökologische<br />

<strong>und</strong> soziale Standards bei Arbeits- <strong>und</strong> Produktionsbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Genossenschafter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Genossenschafter: Unser Engagement<br />

Gegenüber unseren Genossenschafter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Genossenschaftern verpflichten wir<br />

uns Werte zu schaffen, die den langfristigen <strong>und</strong> unabhängigen Fortbestand der Migros<br />

sicherstellen.<br />

Gesellschaft: Unser Engagement<br />

(…) Mit dem Kulturprozent unterstützen wir e<strong>in</strong>erseits das aktive künstlerische Schaffen<br />

<strong>und</strong> damit die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Gesellschaft, andererseits fördern wir<br />

den breiten Zugang zu Kultur <strong>und</strong> Bildung. (…)<br />

(…)<br />

Quelle:<br />

Unternehmensleitbild von Migros, Download unter:<br />

http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=451


208 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Anhang 3: Migros-Verhaltenskodex Non-Food<br />

Aus der Präambel:<br />

"Migros trägt e<strong>in</strong>e große Verantwortung für alle Aktivitäten des Unternehmens weltweit<br />

(…). Migros anerkennt, dass diese Verantwortung sich auf alle ArbeitnehmerInnen<br />

erstreckt, die Produkte für die Migros herstellen, unabhängig davon, ob sie Beschäftigte<br />

von Migros s<strong>in</strong>d oder nicht.<br />

Um E<strong>in</strong>fluss auf sozialverträgliche Produktionsbed<strong>in</strong>gungen zu nehmen <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong>e Verbesserung der Lebensverhältnisse <strong>in</strong> den Produktionsländern zu bewirken, hat<br />

Migros e<strong>in</strong>en Verhaltenskodex entwickelt. Diesem Verhaltenskodex s<strong>in</strong>d weltweit alle<br />

Kontraktnehmer der Migros im Bereich Non-Food unterworfen. (…)<br />

Migros (…) möchte bestehende Geschäftsbeziehungen aufrecht erhalten (…) <strong>und</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />

der nächsten Jahre e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Verbesserung erreichen. Dadurch werden<br />

unsere Kontraktnehmer auf bestehende <strong>und</strong> zukünftige Markt- <strong>und</strong> gesetzliche<br />

Anforderungen vorbereitet. Die Sozialperformance unserer Kontraktnehmer <strong>und</strong> ihrer<br />

Hersteller soll systematisch verbessert <strong>und</strong> Boykotteffekte vermieden werden. (…)<br />

Die Sozial-Kriterien werden <strong>in</strong> zwei Schritten erreicht. Sowohl «Basis-» wie auch<br />

«Optimierungskriterien» müssen erfüllt werden. (…)"<br />

Der Verhaltenskodex umfasst Angaben zu folgenden Sozial-Standards:<br />

� Gewerkschaftsfreiheit<br />

� Gleichbehandlung/Verbot der Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

� Entlohnung<br />

� Arbeitszeiten<br />

� Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sicherheit<br />

� Beschäftigungssicherheit<br />

� Verbot von K<strong>in</strong>derarbeit<br />

� Freiwillige Beschäftigung.<br />

Die Lieferanten müssen sich zur E<strong>in</strong>haltung des Migros Verhaltenskodex Non-Food<br />

verpflichten. Dies be<strong>in</strong>haltet z.B. auch das Recht der Migros, <strong>in</strong> den Betrieben Audits<br />

durchführen zu dürfen.<br />

Quelle:<br />

Migros: Verhaltenskodex Non-Food, Download unter:<br />

http://www.miosphere.ch/d/library/pdf/Verhaltenskodex_d.pdf


Migros: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> zwischen Tradition <strong>und</strong> Innovation 209<br />

Anhang 4: Umsätze Engagement-Produkte (2003)<br />

Quelle:<br />

7-Punkte-Fleisch-Garantie: 657,5 Mio. Franken<br />

Migros-Bio: 285,6 Mio. Franken<br />

IP-Suisse: 224,4 Mio. Franken<br />

Max Havelaar: 50,5 Mio. Franken<br />

Delph<strong>in</strong> Safe: 29,1 Mio. Franken<br />

Mar<strong>in</strong>e Stewardship Council (MSC): 12,4 Mio. Franken<br />

Eco: 410,8 Mio. Franken<br />

Bio-Baumwolle: 3,7 Mio. Franken<br />

Mioplant natura: 115,2 Mio. Franken<br />

Forest Stewardship Council (FSC): 28,2 Mio. Franken<br />

http://www.engagement.ch/d/produkte/labels.php3


210 Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer<br />

Anhang 5: EUREPGAP "Obst <strong>und</strong> Gemüse"<br />

EUREGAP ist e<strong>in</strong> weltweiter Produktionsstandard für Obst <strong>und</strong> Gemüse für <strong>in</strong>ternationale<br />

Zertifizierung, akkreditiert nach ISO 65 (EN 45011).<br />

EUREPGAP startete 1997 als Initiative des Lebensmittele<strong>in</strong>zelhandels (LEH) <strong>und</strong><br />

wird <strong>in</strong>zwischen von Vertretern der gesamten Lebensmittelkette des Obst- <strong>und</strong> Gemüsesektors<br />

getragen. E<strong>in</strong> technischer Beirat, bestehend aus Mitgliedern der E<strong>in</strong>zelhandels-<br />

<strong>und</strong> Erzeuger/Lieferantenstufe, ist verantwortlich für die korrekte <strong>und</strong> effiziente<br />

Umsetzung <strong>und</strong> die ständige Verbesserung von EUREPGAP.<br />

EUREPGAP ist e<strong>in</strong> Weg zur Anwendung des Integrierten Pflanzenschutzes (IPS) <strong>und</strong><br />

des Integrierten Pflanzenbaus (IPB). Die Anwendung von IPS/IPB wird von den EU-<br />

REPGAP Mitgliedern als notwendig für die Verbesserung <strong>und</strong> Nachhaltigkeit der<br />

landwirtschaftlichen Produktion angesehen. EUREPGAP unterstützt die Pr<strong>in</strong>zipien der<br />

Gefahrenanalyse (HACCP) <strong>und</strong> fördert deren Anwendung.<br />

Alle Produzenten müssen darlegen können, dass sie die sie betreffenden Vorschriften<br />

nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Rechts e<strong>in</strong>halten. Alle Produzenten sollten darlegen<br />

können, dass sie sich gegenüber folgenden Punkten verpflichtet fühlen:<br />

a) Wahrung des Verbrauchervertrauens <strong>in</strong> die Qualität von Lebensmitteln<br />

b) M<strong>in</strong>imierung von negativen E<strong>in</strong>flüssen auf die Umwelt<br />

c) Reduzierung des E<strong>in</strong>satzes von Pflanzenschutzmitteln<br />

d) Effizienzsteigerung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen<br />

e) Verantwortliches Handeln im H<strong>in</strong>blick auf die Ges<strong>und</strong>heit der Beschäftigten.<br />

Erzeugergeme<strong>in</strong>schaften oder E<strong>in</strong>zelerzeuger erhalten die EUREPGAP Anerkennung<br />

durch das EUREPGAP Zertifikat, welches von e<strong>in</strong>er EUREPGAP anerkannten Zertifizierungsstelle<br />

ausgestellt wird. EUREPGAP anerkannte Zertifizierungsstellen werden<br />

regelmäßig geschult <strong>und</strong> geprüft <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d auf der EUREPGAP Website <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aktuellen<br />

Liste veröffentlicht. Bestehende nationale oder regionale Qualitätssicherungssysteme<br />

können durch e<strong>in</strong> spezielles Anerkennungsverfahren, die Benchmark<strong>in</strong>g Option,<br />

ihre Übere<strong>in</strong>stimmung mit den EUREPGAP Anforderungen nachweisen. Dadurch<br />

werden Mehrfachaudits beim Produzenten vermieden <strong>und</strong> die Entwicklung von regionalen<br />

Qualitätssicherungssystemen des <strong>in</strong>tegrierten Anbaus vorangetrieben.<br />

Quelle:<br />

http://www.eurep.or


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen<br />

Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen<br />

Andreas Walser<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

modernen Gesellschaft des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts von großer wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong><br />

ökologischer Bedeutung. Alle<strong>in</strong> das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste<br />

betrug im Jahr 2001 <strong>in</strong> den EU-Ländern <strong>und</strong> der Schweiz r<strong>und</strong> 225 Mrd. Euro, wovon<br />

85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste entfallen. Insbesondere der Markt für Mobilfunk<br />

weist e<strong>in</strong> sehr dynamisches Wachstum auf. In Abbildung 1 wird die Entwicklung des<br />

schweizerischen Mobilfunkmarktes 1993-2001 dargestellt. Daraus geht hervor, dass<br />

das schweizerische Gesamtvolumen von Handys 2001 bei über 5.000.000 Mio. <strong>und</strong> die<br />

Penetrationsrate bei r<strong>und</strong> 75% lag.<br />

6.000.000<br />

5.000.000<br />

4.000.000<br />

3.000.000<br />

2.000.000<br />

1.000.000<br />

0<br />

Jan 93<br />

Jan 94<br />

Jan 95<br />

Jan 96<br />

Jan 97<br />

Jan 98<br />

Jan 99<br />

Jan 00<br />

Marktvolumen Penetration <strong>in</strong> %<br />

Abbildung 1: Penetration <strong>und</strong> Teilnehmerzahl im Schweizer Mobilfunkmarkt<br />

(Quelle: B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003, S. 66)<br />

Jan 01<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%


212 Andreas Walser<br />

Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Anbietern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese <strong>in</strong> der Zwischenzeit aus der<br />

Sicht der K<strong>und</strong>en bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. In der Folge entwickelte<br />

sich e<strong>in</strong> harter Preiskampf, um bestehende K<strong>und</strong>en halten <strong>und</strong> neue gew<strong>in</strong>nen<br />

oder von der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich e<strong>in</strong>e Stabilisierung<br />

der Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt,<br />

dass sich die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen<br />

werden (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003, S. 54-56 <strong>und</strong> S. 69-73). E<strong>in</strong>e solche<br />

Möglichkeit besteht im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für Mobiltelefone.<br />

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob sich ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte<br />

als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen <strong>und</strong> ob diese aus der Sicht des<br />

K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert stiften. Dabei wird untersucht, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Form bei<br />

Mobiltelefonen e<strong>in</strong>e Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong><br />

den K<strong>und</strong>enwünschen besteht. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt werden die ökologischen Belastungen<br />

<strong>und</strong> sozialen Aspekte von Mobiltelefonen analysiert (Kap. 2). Die Ergebnisse<br />

basieren auf Dokumentenanalysen <strong>und</strong> halbstrukturierten, offenen Interviews mit Experten<br />

aus der Mobilfunkbranche. Im zweiten Schritt werden die K<strong>und</strong>enbedürfnisse<br />

respektive -wünsche untersucht (Kap. 3). In e<strong>in</strong>em dritten Schritt werden die Schnittmenge<br />

zwischen sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen ausgelotet<br />

sowie Handlungsfelder für Mobilfunkanbieter identifiziert (Kap. 4).<br />

2 Sozial-ökologische Probleme von Mobiltelefonen<br />

Bei den sozial-ökologischen Problemen kann unterschieden werden zwischen wissenschaftlichen<br />

Analysen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der Wahrnehmung bzw. Interpretation dieser Analysen<br />

durch die K<strong>und</strong>en andererseits (Dyllick/Belz 1994, S. 22-26; Schneidew<strong>in</strong>d<br />

1995, S. 49-53; Dyllick/Belz/Schneidew<strong>in</strong>d 1997, S. 10-12 <strong>und</strong> S. 28-30). Erstere<br />

wurden mittels Literaturanalysen recherchiert. Die darauf basierenden Erkenntnisse,<br />

<strong>in</strong>sbesondere die ökologische Belastungsmatrix, wurden zusätzlich durch Interviews<br />

<strong>und</strong> Diskussionsr<strong>und</strong>en mit Experten e<strong>in</strong>er Konsensvalidierung unterzogen. Die<br />

Wahrnehmung der K<strong>und</strong>en, die für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> von Bedeutung ist, wurde durch<br />

Literaturrecherche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e eigene Umfrage erhoben. Die Umfrage wurde im Sommer<br />

2003 mittels e<strong>in</strong>es standardisierten Fragebogens durchgeführt (Walser 2004). Der Fragebogen<br />

bestand aus <strong>in</strong>sgesamt 10 Fragen <strong>und</strong> Unterfragen zu den Teilbereichen Produkte,<br />

Dienstleistungen <strong>und</strong> Sponsor<strong>in</strong>g, sowie Angaben zu Geschlecht <strong>und</strong> Alter der<br />

jeweils befragten Personen. Befragt wurden K<strong>und</strong>en vor den Swisscom Shops der<br />

Städte Genf, Freiburg (Schweiz), Bern, St. Gallen <strong>und</strong> Thun. Insgesamt haben 104


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 213<br />

Personen den Fragenbogen vollständig ausgefüllt. Die Studie ist als explorativ <strong>und</strong><br />

nicht repräsentativ anzusehen. Gut e<strong>in</strong> Drittel der Befragten waren Frauen. Die meisten<br />

der Befragten lagen im Alter von 20 bis 60 Jahren.<br />

Ökologische Belastungen – Analyse<br />

Die ökologischen Belastungen e<strong>in</strong>es Mobiltelefons von der Rohstoffentnahme bis zur<br />

Entsorgung lassen sich <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er ökologischen Belastungsmatrix darstellen<br />

(Tab. 1). Auf der horizontalen Achse der Belastungsmatrix f<strong>in</strong>den sich die verschiedenen<br />

Stufen des Produktlebenszyklus <strong>und</strong> auf der vertikalen Achse die unterschiedlichen<br />

Belastungsdimensionen wieder. Die weißen Felder entsprechen e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen,<br />

die grauen e<strong>in</strong>er mittleren <strong>und</strong> die schwarzen Felder e<strong>in</strong>er hohen Belastung. Auf diese<br />

Weise lassen sich die größten ökologischen Belastungen aufzeigen: Energieverbrauch<br />

bei der Herstellung <strong>und</strong> der Nutzung, der Ressourcenverbrauch sowie die Entsorgung<br />

des Mobiltelefons.<br />

Abfall<br />

Ökosysteme<br />

Luft<br />

Lärm<br />

Energie<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

Ressourcenverbrauch<br />

Rohstoff- &<br />

Komponentenherstellung<br />

Transport Montage &<br />

Herstellung<br />

Nutzung &<br />

Betrieb<br />

Entsorgung<br />

Ger<strong>in</strong>ge Umweltbelastung Mittlere Umweltbelastung Hohe Umweltbelastung<br />

Tabelle 1: Ökologische Belastungsmatrix von Mobiltelefonen<br />

(Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Dyllick/Belz 1994, S. 23)


214 Andreas Walser<br />

Betrachtet man den Energieverbrauch e<strong>in</strong>es Mobiltelefons entlang des gesamten Lebenszyklus,<br />

so kann festgestellt werden, dass über 50% der Energie für die Rohmaterialien<br />

<strong>und</strong> Herstellung der Komponenten verbraucht wird vor allem für Leiterplat<strong>in</strong>en<br />

<strong>und</strong> Mikroprozessoren. Etwas weniger als 50% des Gesamtenergieverbrauchs wird <strong>in</strong><br />

der Nutzungsphase des Mobiltelefons benötigt. Die Produktion beim Mobiltelefon-<br />

Hersteller hat nur sehr ger<strong>in</strong>ge Auswirkungen auf das Gesamtresultat (Stutz o.J.). Der<br />

Energieverbrauch <strong>in</strong> der Nutzungsphase wird stark durch das Konsumentenverhalten<br />

bee<strong>in</strong>flusst. Hier wird Energie für das Aufladen der Akkus benötigt, wobei technische<br />

Eigenheiten der Ladegeräte ebenfalls e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Auch im Stand-by-Betrieb<br />

verbrauchen Ladegeräte Energie. Durch das Wegnehmen des Ladegerätes vom Netz<br />

während der Nicht<strong>in</strong>anspruchnahme der Ladeleistung könnte <strong>in</strong> diesem Bereich bis zu<br />

20% des Energieverbrauchs gespart werden.<br />

E<strong>in</strong> wichtiger ökologischer Aspekt von Mobiltelefonen ist ihre materielle Zusammensetzung.<br />

Moderne Handys zeichnen sich trotz ihrer ger<strong>in</strong>gen Maße <strong>und</strong> Größe durch<br />

e<strong>in</strong>e hohe Materialvielfalt aus. In der prozentualen Zusammensetzung haben Kunststoffe<br />

<strong>in</strong> Gehäuse, Leiterplatten <strong>und</strong> Komponenten mit fast 60% den größten Anteil.<br />

Der vergleichbar hohe Anteil von Edelmetallen (ca. 25%) ist e<strong>in</strong> weiteres charakteristisches<br />

Merkmal. Neben Kupfer <strong>und</strong> Kupferlegierungen, die etwa 16% ausmachen,<br />

f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong>e Vielzahl anderer Metalle <strong>und</strong> Legierungen (Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002,<br />

S. 8). Beim Recycl<strong>in</strong>g spielt die Materialvielfalt <strong>und</strong> die Beigabe teils toxischer Elemente<br />

e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle: So wird der auf den ersten Blick unkritische Kunststoffanteil<br />

durch die Beigabe halogenisierter Flammenhemmer sowie durch die Vielzahl<br />

der zum E<strong>in</strong>satz kommenden Kunststoffe <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> werkstoffliches Recycl<strong>in</strong>g<br />

zum Problem (Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002, S. 8).<br />

Ökologische Belastungen – Wahrnehmung durch die K<strong>und</strong>en<br />

Dass die Mobilkommunikation ökologische Belastungen mit sich br<strong>in</strong>gt, ist den Konsumenten<br />

durchaus bekannt. In der Befragung, die im Sommer 2003 vor Swisscom-<br />

Shops durchgeführt worden ist, waren sich 78% bewusst, dass Mobiltelefone ökologische<br />

Belastungen verursachen. Nur 13% waren gegenteiliger Me<strong>in</strong>ung. Der Rest hat<br />

ke<strong>in</strong>e Angaben dazu gemacht. Auf die Frage nach den Arten der Belastungen nannten<br />

91% die elektromagnetische Strahlung als e<strong>in</strong>e der Hauptbelastungen, gefolgt vom<br />

Elektronikschrott mit 54% <strong>und</strong> dem Stromverbrauch mit nur 33% aller Nennungen<br />

(Abb. 2). Die Gewichtung der ökologischen Belastungen durch die K<strong>und</strong>en ist demnach<br />

konträr zur Gewichtung <strong>in</strong> der ökologischen Belastungsmatrix. Vermutlich lässt<br />

sich die hohe Zahl der Nennungen von Elektrosmog darauf zurückführen, dass Elekt-


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 215<br />

rosmog e<strong>in</strong> kontroverses Thema ist, welches <strong>in</strong> den Medien hohe Aufmerksamkeit erfährt.<br />

Die Antworten zwischen den jeweiligen Altersklassen waren jedoch unterschiedlich.<br />

So sche<strong>in</strong>t die Altersklasse der 41- bis 60-jährigen elektromagnetische Strahlung<br />

kritischer zu betrachten, da <strong>in</strong> dieser Altersklasse Elektrosmog von jeder (!) Person<br />

genannt wurde. Es ist davon auszugehen, dass sich die Menschen mit zunehmendem<br />

Alter vermehrt Gedanken über die eigene Ges<strong>und</strong>heit machen, was die sehr hohe Zahl<br />

der Nennungen <strong>in</strong> der Altersklasse der über 41-jährigen zu erklären vermag. Die Tatsache,<br />

dass der Stromverbrauch nicht als zentrales Problem wahrgenommen wird,<br />

kann damit zusammenhängen, dass Handys neuerer Generationen über (theoretische)<br />

Betriebszeiten von weit über 200 St<strong>und</strong>en verfügen. Man wird demnach als Nutzer<br />

seltener daran er<strong>in</strong>nert, dass Mobiltelefone ständig Energie benötigen.<br />

Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100%<br />

75%<br />

50%<br />

25%<br />

0%<br />

91%<br />

54%<br />

33%<br />

Elektrosmog Elektroschrott Stromverbrauch<br />

Abbildung 2: Zentrale ökologische Belastungen aus K<strong>und</strong>ensicht<br />

(Quelle: Eigene K<strong>und</strong>enbefragung)<br />

Soziale Probleme – Analyse<br />

Zentrale soziale Problembereiche bei Mobiltelefonen s<strong>in</strong>d: Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen beim<br />

Abbau wichtiger Rohstoffe, ges<strong>und</strong>heitliche Gefährdung durch Elektrosmog <strong>und</strong> Verschuldungsprobleme<br />

bei <strong>in</strong>tensiver Nutzung.<br />

Der Abbau von Rohstoffen – nicht nur für Mobiltelefone – f<strong>in</strong>det meist <strong>in</strong> Entwicklungs-<br />

oder Schwellenländer statt, nicht selten unter Missachtung gr<strong>und</strong>legender


216 Andreas Walser<br />

Menschenrechte. Im Falle des Mobiltelefons lässt sich dies <strong>in</strong>sbesondere für den Rohstoff<br />

Tantal sehr gut nachvollziehen, da dieser e<strong>in</strong>erseits für die Elektro<strong>in</strong>dustrie unersetzlich<br />

ist <strong>und</strong> sich andererseits 80% der weltweiten Vorkommen <strong>in</strong> der Demokratischen<br />

Republik Kongo bef<strong>in</strong>den. Dort wird Tantal vielfach von Hand <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>fachsten<br />

Mitteln unter sozial <strong>und</strong> ökologischen bedenklichen Bed<strong>in</strong>gungen abgebaut<br />

(Werner/Weiss 2001, S. 50-51). Der Hauptanteil der Weltproduktion wird für elektronische<br />

Kondensatoren verwendet <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det vor allem <strong>in</strong> Mobiltelefonen, Computern<br />

<strong>und</strong> Spielkonsolen se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz (Werner/Weis 2001, S. 50-51).<br />

Bei der Nutzung von Mobiltelefonen steht die ges<strong>und</strong>heitliche Gefährdung durch elektromagnetische<br />

Strahlung im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das Maß für<br />

die Feldstärke der Strahlung ist die spezifische Absorbtionsrate, kurz SAR-Wert genannt<br />

(Jörn 2003, S. 41). Hierbei herrscht jedoch große Unsicherheit h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Bewertung der Gefährdung. Elektromagnetische Wellen dienen seit r<strong>und</strong> 100 Jahren<br />

der Übertragung von Informationen. Sie s<strong>in</strong>d Gr<strong>und</strong>lage für das Fernsehen, das Radio<br />

<strong>und</strong> die Mobilkommunikation. Das Spektrum reicht von niederfrequenten langen Wellen<br />

bis zu hochfrequenten sehr kurzen Wellen. Ab e<strong>in</strong>er bestimmten Frequenz haben<br />

die elektromagnetischen Wellen genügend Energie, um Moleküle zu spalten. In diesem<br />

Zusammenhang spricht man von ionisierender Strahlung. Die elektromagnetischen<br />

Wellen der Mobilfunkkommunikation dagegen s<strong>in</strong>d nicht energiereich genug,<br />

um Moleküle zu spalten. Sie besitzen e<strong>in</strong>e tiefere Frequenz, die dafür aber günstigere<br />

Eigenschaften für die drahtlose Kommunikation haben (Steyer o.J., S. 31). Elektromagnetische<br />

Wellen dr<strong>in</strong>gen jedoch <strong>in</strong>s menschliche Gewebe e<strong>in</strong>. Bei den typischerweise<br />

<strong>in</strong> der Mobilkommunikation verwendeten Frequenzbändern ist das etwa e<strong>in</strong><br />

Zentimeter. Diese Wellen werden vom Körper absorbiert <strong>und</strong> produzieren dadurch<br />

Wärmeenergie. Diese Wärme wird durch die natürliche Wärmeregulation des Organismus<br />

abgegeben. Bisher hat noch ke<strong>in</strong>e Studie nachweisen können, dass Strahlungen<br />

unterhalb der <strong>in</strong>ternationalen Grenzwerte ges<strong>und</strong>heitsschädigende Wirkungen haben.<br />

Es ist jedoch anzumerken, dass sich die meisten Studien zu diesem Thema mit der<br />

Aussetzung durch elektromagnetische Strahlen des ganzen Körpers befassten <strong>und</strong><br />

nicht mit e<strong>in</strong>er lokalen Belastung, wie es beim Mobiltelefon üblicherweise der Fall ist.<br />

Nach dem aktuellen Stand des Wissens gilt es als unwahrsche<strong>in</strong>lich, dass elektromagnetische<br />

Strahlung, wie sie durch die Mobilkommunikation entsteht, die Entstehung<br />

von Krebs verursacht oder begünstigt. Nimmt man jedoch die hohe Zahl von 1,3 Milliarden<br />

Mobilfunkk<strong>und</strong>en im Jahr 2003 weltweit, so könnten bereits kle<strong>in</strong>ste ges<strong>und</strong>heitsschädigende<br />

Effekte große Auswirkungen auf die öffentliche Ges<strong>und</strong>heit haben<br />

(WHO 2000).


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 217<br />

E<strong>in</strong> weiteres soziales Problem ist die Verschuldung Jugendlicher aufgr<strong>und</strong> erhöhter<br />

Kommunikationskosten. Schuldenberater schätzen, dass jeder dritte Schweizer unter<br />

25 Jahren verschuldet ist. Knapp 25% aller Deutschschweizer zwischen 16 <strong>und</strong> 25 Jahren<br />

geben mehr Geld aus als sie sich leisten können (Rigend<strong>in</strong>ger 2003, S. 46). Verme<strong>in</strong>tliche<br />

Gratishandys animieren zum Sofortkauf. Drei viertel aller jungen Schweizer<br />

besitzen zwei oder mehr Handys (Rigend<strong>in</strong>ger 2003, S. 44). Zu beachten gilt auch<br />

die Tatsache, dass vier von fünf Menschen, die im erwachsenen Alter verschuldet s<strong>in</strong>d,<br />

schon als Jugendliche verschuldet waren. Und vielfach beg<strong>in</strong>nt die Verschuldung bereits<br />

mit dem Mobiltelefon. Das Handy gehört neben Auto, Ausgang <strong>und</strong> Kleidern zu<br />

den vier wichtigsten Gründen, warum Jugendliche Kredite aufnehmen (Rigend<strong>in</strong>ger<br />

2003, S. 50). Der Wettbewerb im Telekommunikationssektor ist jedoch groß <strong>und</strong> die<br />

Jugendlichen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige Zielgruppe. Deshalb werden sie <strong>in</strong>tensiv umworben.<br />

Gerade hier spielen die verme<strong>in</strong>tlichen Gratisangebote der Anbieter e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />

Denn das „Gratis“ bezieht sich ausschließlich auf den Produktpreis, jedoch nicht<br />

auf die regelmäßig anfallenden Verwendungskosten.<br />

Soziale Probleme – Wahrnehmung durch die K<strong>und</strong>en<br />

Auch die Verschuldung Jugendlicher durch erhöhte Kommunikationskosten ist den<br />

Konsumenten als Problem bewusst. Über 65% aller Befragten erachteten Verschuldung<br />

als Problem, 30% davon als sehr starkes Problem. Dieser hohe Wert lässt sich<br />

sicherlich auch damit erklären, dass im Jahr 2003 <strong>in</strong> der Schweiz zahlreiche Artikel <strong>in</strong><br />

namhaften Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften mit dem Thema der Jugendverschuldung befassten.<br />

Weitere mit Mobiltelefonen verb<strong>und</strong>ene soziale Probleme wurden h<strong>in</strong>gegen<br />

nicht genannt <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d dem K<strong>und</strong>en offenbar nicht bewusst.<br />

3 Klassische Kaufkriterien <strong>und</strong> sozial-ökologische Aspekte<br />

Der Kauf e<strong>in</strong>es Mobiltelefons befriedigt gewisse K<strong>und</strong>enbedürfnisse. Soll e<strong>in</strong> Mobiltelefon,<br />

das sozial-ökologischen Anforderungen gerecht wird, vom K<strong>und</strong>en akzeptiert<br />

werden <strong>und</strong> auf dem Markt erfolgreich se<strong>in</strong>, müssen bisherige K<strong>und</strong>enbedürfnisse berücksichtigt<br />

werden. Im Folgenden werden deshalb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt verschiedene<br />

Kosten- <strong>und</strong> Nutzen-Aspekte e<strong>in</strong>es Öko-Handys analysiert. Die Ergebnisse werden<br />

dann <strong>in</strong> Beziehung gesetzt zu klassischen Kaufkriterien e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> zu sozialökologischen<br />

K<strong>und</strong>enwünschen andererseits.


218 Andreas Walser<br />

Kosten-Nutzen-Analyse e<strong>in</strong>es Öko-Handys<br />

Die zentrale Aufgabe des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besteht dar<strong>in</strong>, den Nettonutzen<br />

nachhaltiger Produkte aus Sicht des K<strong>und</strong>en zu erhöhen, d.h. den Nutzen zu steigern<br />

<strong>und</strong>/oder die Kosten zu senken (Belz 2001, S. 78). Aus dieser Sicht lässt sich e<strong>in</strong>e<br />

Kosten-Nutzen-Analyse e<strong>in</strong>es möglichen Öko-Handys erstellen (Tab. 2). Hieraus können<br />

nachfolgend geeignete Handlungsfelder ausgewählt <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Maßnahmen<br />

abgeleitet werden, die den Nutzen erhöhen oder die Kosten senken.<br />

� Risikovorsorge aufgr<strong>und</strong> tieferer<br />

Strahlung<br />

Nutzen Kosten<br />

� gutes ökologisches Gewissen (Selbstachtungsnutzen)<br />

� evtl. Anerkennung bei Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

Bekannten (Fremdachtungsnutzen)<br />

Tabelle 2: Kosten-Nutzen Analyse e<strong>in</strong>es Öko-Handys<br />

� höherer Produktpreis<br />

� höhere Informations-, Such-, <strong>und</strong><br />

Kontrollkosten<br />

� „niedrigere“ Energiekosten während<br />

der Nutzungsphase<br />

Auf der Kostenseite ist zunächst der höhere Produktpreis für e<strong>in</strong> Öko-Handy zu nennen.<br />

Dieser ergibt sich hauptsächlich aus gestiegenen Produktionsanforderungen <strong>und</strong><br />

niedrigeren Absatzzahlen. Positiv könnten sich jedoch mögliche Energiee<strong>in</strong>sparungen<br />

während der Nutzungsphase auf die Kosten auswirken, da moderne Ladegeräte im<br />

Stand-by-Betrieb ke<strong>in</strong>e Leistungsaufnahme besitzen. Gemäß eigenen Berechnungen<br />

liegt das E<strong>in</strong>sparpotenzial aber lediglich <strong>in</strong> der Größenordnung von wenigen Rappen,<br />

so dass hierdurch die Kosten-Nutzen-Analyse kaum bee<strong>in</strong>flusst wird. Des Weiteren<br />

fallen höhere Informations-, Such- <strong>und</strong> Kontrollkosten für die K<strong>und</strong>en bei der Beschaffung<br />

e<strong>in</strong>es Öko-Handys an. So kann z.B. der Käufer nicht ohne größeren Aufwand<br />

überprüfen, ob die angegebenen ökologischen oder sozialen Produkteigenschaften<br />

auch wahrheitsgemäß s<strong>in</strong>d. Der Käufer muss den Angaben des Herstellers respektive<br />

des Anbieters vertrauen. Auch s<strong>in</strong>d die Informationskosten höher, wenn die Produkte<br />

nicht entsprechend gekennzeichnet s<strong>in</strong>d.<br />

Auf der Nutzenseite spielt wiederum die elektromagnetische Strahlung e<strong>in</strong>e entscheidende<br />

Rolle. Aufgr<strong>und</strong> der tieferen Strahlungswerte des Öko-Handys im Vergleich zu<br />

konventionellen Mobiltelefonen bietet das Öko-Handy die Möglichkeit e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />

Risikovorsorge bezüglich ges<strong>und</strong>heitlichen Auswirkungen. Hierbei ist es nicht


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 219<br />

von großer Bedeutung, dass noch ke<strong>in</strong>e direkten Auswirkungen der elektromagnetischen<br />

Strahlung wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Vielmehr ist die K<strong>und</strong>ensicht,<br />

d.h. die vom K<strong>und</strong>en wahrgenommene Gefährdung der eigenen Ges<strong>und</strong>heit,<br />

entscheidend. E<strong>in</strong> weiterer Nutzen liegt sicherlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em guten ökologischen Gewissen,<br />

das sich e<strong>in</strong>stellen kann, wenn der Konsument sich zum Kauf e<strong>in</strong>es Öko-<br />

Handys entscheidet. Des Weiteren ist auch e<strong>in</strong> Fremdachtungsnutzen durch die Anerkennung<br />

bei Fre<strong>und</strong>en oder Bekannten denkbar. Dies hängt jedoch maßgeblich von der<br />

jeweiligen Bezugsgruppe ab.<br />

Kaufkriterien <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enwünsche<br />

Das Handy dient e<strong>in</strong>er Vielzahl von K<strong>und</strong>en vor allem als Kommunikations<strong>in</strong>strument.<br />

Deshalb s<strong>in</strong>d Displaygröße <strong>und</strong> Bedienerfre<strong>und</strong>lichkeit zentrale Kaufkriterien.<br />

Bei der Kaufentscheidung spielen aber auch weitere Aspekte e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So<br />

lässt sich bei vielen Käufern e<strong>in</strong>e starke Markenb<strong>in</strong>dung nachweisen. Häufig s<strong>in</strong>d<br />

Konsumenten nicht bereit die Marke zu wechseln, sondern bleiben aus Gewohnheitsgründen<br />

lieber bei der bisherigen Marke. Auch steht bei sehr vielen Konsumenten der<br />

Preis klar im Mittelpunkt der Kaufentscheidung. Da – wie <strong>in</strong> der Kosten-Nutzen-<br />

Analyse ausgeführt – Öko-Handys teurer als vergleichbare Handys s<strong>in</strong>d, ist dieser Aspekt<br />

von besonderer Bedeutung.<br />

Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

32%<br />

52%<br />

12%<br />

Ne<strong>in</strong> Ja, bis zu 10% Ja, bis zu 20% Ja, über 20%<br />

Abbildung 3: Bereitschaft e<strong>in</strong>en Mehrpreis für e<strong>in</strong> ökologisches Handy zu zahlen<br />

(Quelle: Swisscom 1999)<br />

3%


220 Andreas Walser<br />

In e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enbefragung der Swisscom ergab sich h<strong>in</strong>sichtlich der Zahlungsbereitschaft<br />

für Öko-Handys folgendes Bild (Abb. 3): 32% s<strong>in</strong>d nicht bereit e<strong>in</strong>en höheren<br />

Preis zu zahlen, während 52% bereit wären e<strong>in</strong>en Aufpreis von maximal 10% zu leisten.<br />

Nur 15% s<strong>in</strong>d bereit, Mehrkosten von über 10% zu zahlen. Bei der Befragung<br />

dürfte jedoch das Problem der sozialen Erwünschtheit e<strong>in</strong>e Rolle spielen, so dass die<br />

Zahlen mit Vorsicht zu <strong>in</strong>terpretieren s<strong>in</strong>d. Die tatsächliche Bereitschaft, e<strong>in</strong>en Aufschlag<br />

zu Gunsten e<strong>in</strong>es sozialeren <strong>und</strong> ökologischeren Handys zu zahlen, ist eher ger<strong>in</strong>ger<br />

e<strong>in</strong>zustufen.<br />

Zahl der Nennungen (<strong>in</strong> Prozent)<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

77%<br />

47%<br />

42%<br />

32%<br />

SAR-Wert Materialien Produktion Energieverbrauch<br />

Abbildung 4: Konkrete Verbesserungswünsche aus K<strong>und</strong>ensicht<br />

(Quelle: Eigene K<strong>und</strong>enbefragung)<br />

In der eigenen Studie aus dem Sommer 2003 wurden die Swisscom-K<strong>und</strong>en nach konkreten<br />

Verbesserungswünschen bzgl. Umweltauswirkungen gefragt (Abb. 4): Dabei<br />

nannten 77% die Verr<strong>in</strong>gerung elektromagnetischer Strahlung, 47% äußerten den<br />

Wunsch nach Verwendung recyclierbarer Materialien <strong>und</strong> 42% wünschten sich E<strong>in</strong>sparungen<br />

der Schadstoffe <strong>in</strong> der Produktion. Nur 32% wollten Verbesserungen im<br />

Stromverbrauch. Die Häufigkeit der Nennungen der Verbesserungswünsche entspricht<br />

dabei den wahrgenommenen ökologischen Problemlagen (Kap. 2), die allerd<strong>in</strong>gs nur<br />

bed<strong>in</strong>gt mit den tatsächlichen Problemen übere<strong>in</strong>stimmen.<br />

Diese Resultate <strong>und</strong> Werte zeigen e<strong>in</strong>e große Unsicherheit bezüglich elektromagnetischer<br />

Strahlung. Der Elektrosmog wird als potenzielle Bedrohung für die persönliche


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 221<br />

Ges<strong>und</strong>heit gesehen. Dass der Energieverbrauch wiederum an letzter Stelle liegt,<br />

bestätigt die Annahme, dass diesem Bereich ke<strong>in</strong>e große Bedeutung beigemessen wird.<br />

Zur Lösung des Problems der Entsorgung des Elektroschrotts hatten die Befragten ebenfalls<br />

e<strong>in</strong>e klare Präferenz. Den Befragten wurden drei verschiedene Szenarien als<br />

potenzielle Lösungen zur Auswahl gestellt: Normales Recycl<strong>in</strong>g, die Verlängerung der<br />

Nutzungsdauer der Geräte mittels Export noch funktionstüchtiger Apparate z.B. <strong>in</strong><br />

Schwellenländer oder Anreize für die längere Nutzung der eigenen Geräte wie etwa<br />

Garantieverlängerungen bei Vertragsverlängerung. An erster Stelle nannten die Befragten<br />

klar das Recycl<strong>in</strong>g. An zweiter Stelle lag die Nutzungsdauerverlängerung mittels<br />

Export <strong>und</strong> die wenigsten Nennungen erhielt die längere Nutzung des eigenen<br />

Handys. E<strong>in</strong>e Ausnahme stellt die Gruppe der 41- bis 60-Jährigen dar, welche die Nutzung<br />

des eigenen Handys vorziehen würden. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich<br />

se<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>erseits mag diese Altersgruppe nicht bereit se<strong>in</strong>, sich immer wieder<br />

auf neue Produkte <strong>und</strong> Technologien e<strong>in</strong>zulassen. Andererseits kann dies aber auch<br />

mit Qualitätsdenken, Dauerhaftigkeit der Produkte <strong>und</strong> Ökologie e<strong>in</strong>hergehen. Insgesamt<br />

lässt sich sagen, dass bei den Konsumenten offenbar ke<strong>in</strong> allzu großes Bedürfnis<br />

gibt, die Handys über die durchschnittliche Lebensdauer von 18 Monaten zu nutzen.<br />

4 Handlungsfelder <strong>und</strong> Motivallianzen<br />

Als zentrales Ergebnis der K<strong>und</strong>enbefragung kann festgehalten werden, dass die elektromagnetische<br />

Strahlung klar im Zentrum der K<strong>und</strong>enwahrnehmung liegt. Dieser Bereich<br />

erhält nicht nur die meisten Nennungen, sondern die Befragten wünschen sich <strong>in</strong><br />

diesem Bereich auch Verbesserungen. Offenbar besteht große Unsicherheit <strong>und</strong> Angst<br />

bei den Konsumenten, nicht selten hervorgerufen durch teils übertriebene, teils widersprüchliche<br />

Medienberichte. Für die Anbieter von Handys be<strong>in</strong>haltet dies e<strong>in</strong> zukünftiges<br />

Marktrisiko, da das Thema „elektromagnetische Strahlung“ auf absehbare Zeit<br />

vermutlich nicht aus der öffentlichen Diskussion verschw<strong>in</strong>den wird. Man denke hierbei<br />

nur an neue Dienste wie etwa Wireless Lan. Sollte sich <strong>in</strong> Zukunft herausstellen,<br />

dass elektromagnetische Strahlungen der Mobiltelefone im Zusammenhang stehen mit<br />

z.B. Erkrankungen im lokalen Bereich wie dem Ohr oder der Hüfte, dann wird dies<br />

auch für Telekommunikationsanbieter zum Problem <strong>und</strong> sie werden zum Reagieren<br />

gezwungen. Es sche<strong>in</strong>t hier s<strong>in</strong>nvoller, rechtzeitig aktiv tätig zu werden, anstatt sich<br />

nur reaktiv den Problemen zu stellen. Anstrengungen zur Verr<strong>in</strong>gerung des SAR-<br />

Wertes können unter diesem Aspekt e<strong>in</strong>erseits als Risikom<strong>in</strong>imierung des Unternehmens<br />

<strong>und</strong> andererseits als ges<strong>und</strong>heitliche Vorsorge für den K<strong>und</strong>en <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />

Da K<strong>und</strong>en diesem Thema zentrale Bedeutung zuweisen, kann auf diese Weise


222 Andreas Walser<br />

e<strong>in</strong>e erfolgreiche Motivallianz erzeugt werden, um so dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert zu<br />

stiften <strong>und</strong> sich gegenüber den Konkurrenten zu differenzieren.<br />

Der Energieverbrauch bei der Produktion <strong>und</strong> während der Nutzungsphase ist e<strong>in</strong>e der<br />

ökologischen Hauptbelastungen e<strong>in</strong>es Handys, wird aber von den K<strong>und</strong>en nicht als<br />

solche wahrgenommen. Nur bei e<strong>in</strong>em Drittel aller Nennungen werden <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

Verbesserungen gewünscht. Denkbar <strong>und</strong> möglich s<strong>in</strong>d v.a. technische Lösungen.<br />

Intelligente Ladegeräte s<strong>in</strong>d bei verschiedenen Mobilfunkherstellern <strong>in</strong> der Entwicklung<br />

oder bereits auf dem Markt. So bietet SonyEricsson mit dem C1002S <strong>in</strong> Japan<br />

bereits e<strong>in</strong> Mobiltelefon <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>em Ladegerät an, das über e<strong>in</strong>e<br />

sehr ger<strong>in</strong>ge Leistungsaufnahme im Stand-by-Betrieb verfügt. Da der absolute Energieverbrauch<br />

<strong>und</strong> damit auch die Kostenersparnis sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kaum wahrnehmbaren<br />

Bereich bewegen, stellt sich die Frage, <strong>in</strong>wiefern sich der Energieverbrauch als Differenzierungsmerkmal<br />

auf der Produktseite eignet, <strong>und</strong> wie hoch der dadurch beim K<strong>und</strong>en<br />

tatsächlich gestiftete Mehrwert ist. Die hohe Leistungsfähigkeit der bestehenden<br />

Akkus <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen seltener werdenden Aufladezyklen erschweren e<strong>in</strong>e<br />

Sensibilisierung der K<strong>und</strong>en für den Energieverbrauch zusätzlich. E<strong>in</strong> anderer Ansatz<br />

wäre die Entwicklung e<strong>in</strong>es Standardladegerätes, welches für alle Marken <strong>und</strong> Modelle<br />

passend ist. Bisher gibt es ke<strong>in</strong>e derartigen Geräte, obwohl sie technisch machbar<br />

s<strong>in</strong>d. Es ist allerd<strong>in</strong>gs fraglich, ob sich die Mehrkosten für e<strong>in</strong> selbst entwickeltes<br />

Standardladegerät beim K<strong>und</strong>en monetär rechnen. Der niedrigere Energieverbrauch<br />

könnte jedoch trotzdem e<strong>in</strong> Verkaufsargument se<strong>in</strong>, wenn es gel<strong>in</strong>gt, an das ökologische<br />

Gewissen des K<strong>und</strong>en zu appellieren. Dies ersche<strong>in</strong>t jedoch im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Ergebnisse der durchgeführten K<strong>und</strong>enbefragung nur dann Erfolg versprechend, wenn<br />

es <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit relevanten Kaufkriterien oder etwa mit e<strong>in</strong>em niedrigeren SAR-<br />

Wert gebracht werden kann. Mit m<strong>in</strong>imalen Kostenersparnissen alle<strong>in</strong>e lässt sich die<br />

große Mehrheit der K<strong>und</strong>en nicht überzeugen.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Handlungsfeld ist die materielle Zusammensetzung der Handys. Wie aus<br />

den ökologischen Aspekten <strong>und</strong> der K<strong>und</strong>enbefragung ersichtlich, besteht hier sowohl<br />

e<strong>in</strong>e Handlungsnotwendigkeit als auch Bedarf. Verbesserungen werden gewünscht <strong>und</strong><br />

entsprechen auch e<strong>in</strong>em der tatsächlichen ökologischen Probleme der Handys. Die<br />

steigenden Mengen an Elektroschrott werden zunehmend zu e<strong>in</strong>em Problem. Mittels<br />

Recycl<strong>in</strong>g respektive Wertstoffrückgew<strong>in</strong>nung kann dies gem<strong>in</strong>dert <strong>und</strong> dem Ressourcenverbrauch<br />

entgegengewirkt werden. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass ab 2006<br />

verschiedene europäische Direktiven über Elektro- <strong>und</strong> Elektronikschrott wirksam<br />

werden, <strong>und</strong> damit Materialien wie Blei, Quecksilber, Cadmium <strong>und</strong> Chrom verboten<br />

s<strong>in</strong>d. Gemäß den europäischen Verordnungen müssen die Geräte e<strong>in</strong>e Recycl<strong>in</strong>gfähig-


Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen 223<br />

keit von m<strong>in</strong>destens 65% vorweisen. Zusätzlich müssen die Hersteller ihre Produkte<br />

kostenlos zurücknehmen. E<strong>in</strong>e frühzeitige Adaption dieser Direktiven würde e<strong>in</strong>em<br />

„first-mover advantage“ mit relativ ger<strong>in</strong>gem Risiko entsprechen. Möglicherweise<br />

könnte das damit gewonnene Image auch dann noch aufrecht erhalten werden, wenn<br />

andere Hersteller <strong>und</strong> Anbieter diese Direktiven umsetzen müssen. Allerd<strong>in</strong>gs muss<br />

angesichts der bei den K<strong>und</strong>en festgestellten Dom<strong>in</strong>anz der Problematik durch elektromagnetische<br />

Strahlungen darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden, dass auch e<strong>in</strong>e vorgezogene<br />

Schadstofffreiheit <strong>und</strong> Recyclebarkeit nicht e<strong>in</strong>en niedrigen SAR-Wert ersetzen kann.<br />

Wenn e<strong>in</strong> Handy z.B. über ke<strong>in</strong>e toxischen Inhaltsstoffe verfügt, wie etwa Blei oder<br />

Halogene, dafür aber gleichzeitig über e<strong>in</strong>en überdurchschnittlichen hohen SAR-Wert,<br />

so gerät das Merkmal Schadstoffarmut <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>. Sie ist daher als alle<strong>in</strong>iges<br />

Merkmal nur bed<strong>in</strong>gt geeignet, um sich von der Konkurrenz zu differenzieren <strong>und</strong> dem<br />

K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en Mehrwert zu generieren.<br />

Motivallianzen lassen sich auch h<strong>in</strong>sichtlich der sozialen Probleme von Handys ausmachen.<br />

Die Befragung zeigt, dass die K<strong>und</strong>en für die zunehmende Verschuldung Jugendlicher<br />

sensibilisiert s<strong>in</strong>d. Viele Provider bieten bereits Prepaid-Abonnements an,<br />

welche dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Überprüfung der Kosten ermöglichen. Es ist aber<br />

durchaus denkbar, diese Kostenkontrolle auf Postpaid-Abonnements auszudehnen. So<br />

könnte der Anbieter dem K<strong>und</strong>en mittels e<strong>in</strong>er Kurzmitteilung (SMS) bekannt geben,<br />

wann er für mehr als e<strong>in</strong>en gewissen im Voraus festgelegten Betrag telefoniert hat.<br />

Dies würde auch diesen K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Kostenkontrolle ermöglichen <strong>und</strong> so<br />

e<strong>in</strong>en Mehrwert stiften. Für die Telekommunikationsanbieter ergibt sich h<strong>in</strong>gegen das<br />

Dilemma, dass e<strong>in</strong>e effektive Kostenkontrolle bei den K<strong>und</strong>en zu ger<strong>in</strong>geren Umsätzen<br />

führt. Dies kann verh<strong>in</strong>dert werden, wenn es gel<strong>in</strong>gt, das Engagement für Kostentransparenz<br />

zur K<strong>und</strong>enakquise zu nutzen, <strong>und</strong>/oder das Engagement zum Transparenz-Standard<br />

für die Branche wird.<br />

5 Fazit<br />

Die Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> den K<strong>und</strong>enwünschen<br />

sche<strong>in</strong>t im Vergleich zu anderen Bedürfnisfeldern wie etwa Ernährung (Beiträge<br />

Leitner, Skoppek/Karstens <strong>und</strong> Borsani/Hildesheimer) relativ kle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Konsumenten<br />

s<strong>in</strong>d nicht oder nur <strong>in</strong> beschränktem Ausmaß bereit, Mehrkosten für e<strong>in</strong> Öko-<br />

Handy auf sich zu nehmen. Sozial-ökologische Belange stellen ke<strong>in</strong> (zentrales) Kaufkriterium<br />

dar. Der Mobilfunkmarkt ist geprägt durch ständige technologische Innovationen<br />

<strong>und</strong> sehr kurze Produktlebenszyklen. Noch ist ke<strong>in</strong>e Marktsättigung erreicht, so


224 Andreas Walser<br />

dass der Differenzierungsdruck über Zusatznutzen wie Ökologie <strong>und</strong> Soziales (noch)<br />

nicht sehr ausgeprägt ist.<br />

Nichtsdestotrotz lassen sich erste Ansätze e<strong>in</strong>es <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bei Mobilfunkanbieter<br />

beobachten, die prospektiv handeln: So setzt sich bspw. Vodaphone dafür<br />

e<strong>in</strong>, die Möglichkeiten e<strong>in</strong>es Marktes für Tantal aus der Demokratischen Republik<br />

Kongo zu untersuchen, das unter sozial- <strong>und</strong> umweltverträglichen Bed<strong>in</strong>gungen gefördert<br />

wird. Vodaphone möchte damit den Friedensprozess <strong>und</strong> die wirtschaftliche Erholung<br />

fördern. Dies geschieht zum beiderseitigen Nutzen. Vodaphone arbeitet dabei mit<br />

Fauna and Flora International (FFI) zusammen, um die Tantal verarbeitende Industrie<br />

<strong>und</strong> andere Anspruchsgruppen zu e<strong>in</strong>em pro-aktiven Ansatz zu bewegen (Vodaphone<br />

2004). Auch im Bereich des Recycl<strong>in</strong>gs gibt es diverse Projekte. So verb<strong>in</strong>den z.B. die<br />

Deutsche Telekom <strong>und</strong> die Mobilkom Austria ihre Rücknahmekonzepte mit e<strong>in</strong>em<br />

sozialen oder ökologischen Engagement. Im ersten Fall geschieht dies zugunsten der<br />

Deutschen Umwelthilfe <strong>und</strong> im zweiten Fall zugunsten „Ärzte ohne Grenzen“ (Beitrag<br />

Bucher). Die kostenlos entgegengenommenen alten Handys werden entweder recycelt<br />

oder weiterverkauft. Der Telekommunikationsanbieter spendet pro Handy e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Betrag an die entsprechenden Organisationen. E<strong>in</strong> solches Rücknahmekonzept<br />

ist e<strong>in</strong>e relativ e<strong>in</strong>fache Lösung, um e<strong>in</strong>en nachweisbaren Mehrwert für den K<strong>und</strong>en<br />

zu generieren.<br />

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Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der<br />

Telekommunikationsbranche<br />

Fabian Bucher<br />

1 Telekommunikationsmarkt zwischen<br />

Wachstumsdynamik <strong>und</strong> Sättigung<br />

Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

modernen Gesellschaft des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts von großer wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong><br />

ökologischer Bedeutung. Alle<strong>in</strong> das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste<br />

betrug im Jahr 2001 <strong>in</strong> den EU-Ländern <strong>und</strong> der Schweiz r<strong>und</strong> 225 Mrd. Euro. Dabei<br />

entfallen 113 Mrd. Euro auf Festnetztelefondienste <strong>und</strong> 85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste.<br />

Mietleitungen <strong>und</strong> Datendienste machen mit 27 Mrd. Euro den kle<strong>in</strong>sten Teil<br />

aus. Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Telekommunikationsdienste<br />

(Festnetz, Mobilfunk, Datendienste, Mietleitungen, Kabel-TV) sowie für Telekommunikationsgeräte<br />

<strong>und</strong> -netzwerktechnik betrugen im Jahr 2000 im europäischen Durchschnitt<br />

762 Euro pro Jahr. Mit Pro-Kopf-Ausgaben von 1356 Euro lagen die Ausgaben<br />

der Schweizer weit über dem EU-Durchschnitt. Ähnlich hohe Pro-Kopf-Ausgaben<br />

wies ke<strong>in</strong> anderes EU-Land aus (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003b, S. 186-190).<br />

Die Wachstumsraten im Telekommunikationssektor lagen <strong>in</strong> den letzten Jahren deutlich<br />

über den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten. In der Schweiz wuchs das<br />

Marktvolumen im Jahr 2000 um 18% bzw. im Jahr 2001 um 6%. Dieses überdurchschnittliche<br />

Wachstum wurde im Wesentlichen durch das Wachstum des Mobilfunkmarktes<br />

verursacht. So nahm der Anteil der Mobilfunkumsätze am gesamten Marktvolumen<br />

von r<strong>und</strong> 20% <strong>in</strong> 1999 auf 31% <strong>in</strong> 2001 zu, während der Anteil von Festnetzdiensten<br />

entsprechend sank (B<strong>und</strong>esamt für Kommunikation 2003a, S. 65). Dieser<br />

Trend wird sich <strong>in</strong> der Zukunft voraussichtlich weiter fortsetzen.<br />

Aus der Sicht etablierter Telekommunikationsanbieter ergibt sich <strong>in</strong> dieser Situation<br />

für das <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> die besondere Herausforderung, sich e<strong>in</strong>erseits auf dem stagnierenden<br />

Festnetzmarkt zu behaupten <strong>und</strong> andererseits am Wachstum im Mobilfunksektor<br />

zu partizipieren. Allerd<strong>in</strong>gs wird sich die Wachstumsdynamik im Gesamtmarkt nach<br />

Ansicht des European Information Technology Observatory bei 2-3% stabilisieren, so<br />

dass sich die Situationen <strong>in</strong> beiden Marktsegmenten zunehmend angleichen, zumal


228 Fabian Bucher<br />

bereits r<strong>und</strong> 75% aller Schweizer e<strong>in</strong> Handy besitzen (ebd., S. 66). Auch im Mobilfunkbereich<br />

entsteht auf diese Weise e<strong>in</strong> stärkerer Differenzierungsdruck.<br />

Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Marktteilnehmern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese heute aus der Sicht<br />

der Mehrheit der K<strong>und</strong>en bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. Die Folge<br />

war e<strong>in</strong> harter Preiskampf, um bestehende K<strong>und</strong>en halten <strong>und</strong> neue gew<strong>in</strong>nen oder von<br />

der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich e<strong>in</strong>e Stabilisierung der<br />

Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt, dass sich<br />

die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen werden<br />

(ebd., S. 54-56, 69-73, 78-79).<br />

Der vorliegende Beitrag untersucht auf der Basis des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, ob Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Ansatz zur Differenzierung<br />

im Wettbewerb darstellen könnte. Für die Zukunft wird e<strong>in</strong> erheblicher Anstieg<br />

der Sponsor<strong>in</strong>gausgaben <strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales prognostiziert. Dies<br />

wird damit begründet, dass sozial-ökologisches Engagement von Unternehmen gesellschaftliches<br />

Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> signalisiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Öffentlichkeit Sympathie<br />

schafft. Damit können Imagevorteile für Unternehmen <strong>und</strong>/oder Marken erzielt<br />

werden (Busch/Dögl/Unger 1995, S. 278; Zoll<strong>in</strong>ger 1995, S. 122; Bruhn 1998, S. 51).<br />

Im Rahmen des Beitrags stehen folgende Fragen im Vordergr<strong>und</strong>:<br />

� Welche Erwartungen haben K<strong>und</strong>en im H<strong>in</strong>blick auf Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />

an Telekommunikationsanbieter?<br />

� Welche Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten mit sozial-ökologischem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gibt es bereits<br />

von Telekommunikationsanbietern? Lassen sich hieraus spezifische Faktoren für<br />

den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ableiten?<br />

Zuerst erfolgt e<strong>in</strong>e begriffliche Bestimmung des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g (Kapitel<br />

2). Anschließend werden zentrale Ergebnisse e<strong>in</strong>er K<strong>und</strong>enumfrage vorgestellt<br />

(Kapitel 3). In Kapitel 4 werden ausgewählte Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte von<br />

europäischen Telekommunikationsanbietern dargestellt. Den Abschluss bildet e<strong>in</strong>e<br />

Analyse der beschriebenen Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte. Neben allgeme<strong>in</strong>en<br />

werden spezifische Faktoren herausgearbeitet, die für den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />

Sponsor<strong>in</strong>g maßgeblich s<strong>in</strong>d.


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 229<br />

2 Vom Sponsor<strong>in</strong>g zum Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />

Begriffliche Bestimmungen<br />

Sponsor<strong>in</strong>g kann allgeme<strong>in</strong> def<strong>in</strong>iert werden als „die Planung, Organisation, Durchführung<br />

<strong>und</strong> Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld,<br />

Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen <strong>und</strong> Institutionen<br />

zur Förderung von Personen <strong>und</strong>/oder Organisationen <strong>in</strong> den Bereichen Sport, Kultur,<br />

Soziales, Umwelt <strong>und</strong>/oder Medien verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, um damit gleichzeitig Ziele der<br />

Unternehmenskommunikation zu erreichen” (Bruhn 1991, S. 21). In diesem S<strong>in</strong>ne ist<br />

Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Geschäft, das auf Gegenseitigkeit beruht, d.h. dass für eigene Leistungen<br />

auch immer konkrete Gegenleistungen erwartet werden. Im Unterschied dazu stehen<br />

das Mäzenatentum <strong>und</strong> das Spendenwesen, welche primär aus altruistischen Motiven<br />

erfolgen. Beim Sponsor<strong>in</strong>g ist aus Sicht des Sponsors das Werbemotiv dom<strong>in</strong>anter<br />

als das Fördermotiv <strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen über Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung werden<br />

<strong>in</strong>tensiv ausgehandelt <strong>und</strong> vertraglich geregelt (ebd., S. 24). Sponsor<strong>in</strong>g stellt e<strong>in</strong>en<br />

wichtigen Bestandteil der <strong>in</strong>tegrierten Unternehmenskommunikation dar <strong>und</strong> ist e<strong>in</strong><br />

Instrument, das vielfältig e<strong>in</strong>gesetzt werden kann.<br />

Öko-Sponsor<strong>in</strong>g stellt e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen Unternehmen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen<br />

oder Organisationen dar, die sich ausschließlich <strong>und</strong> nicht-kommerziell mit der Thematisierung<br />

von ökologischen Problemen <strong>und</strong>/oder dem Schutz beziehungsweise der<br />

Sanierung der natürlichen Umwelt des Menschen befasst (Hermanns 1997, S. 85). Analog<br />

dazu kann man Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g verstehen als e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen Unternehmen<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen oder Organisationen, die ausschließlich <strong>und</strong> nichtkommerziell<br />

humanitäre Probleme von Individuen, Gruppen <strong>und</strong>/oder der Gesellschaft<br />

aufgreifen, thematisieren <strong>und</strong>/oder lösen (ebd., S. 90).<br />

Trotz der klaren Abgrenzung der Begriffe Sponsor<strong>in</strong>g, Mäzenatentum <strong>und</strong> Spendenwesen<br />

<strong>in</strong> der Literatur hat sich <strong>in</strong> der Sponsor<strong>in</strong>g-<strong>Praxis</strong> e<strong>in</strong> teilweise sehr weitgefasstes<br />

Verständnis des Begriffes Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>gestellt. Dies führt dazu, dass <strong>in</strong> der Umgangssprache<br />

nahezu jede Form der Förderung von E<strong>in</strong>zelpersonen, Gruppen oder Organisationen<br />

durch Unternehmen als „Sponsor<strong>in</strong>g“ bezeichnet wird (Bruhn 1991,<br />

S. 19). Dar<strong>in</strong> dürfte auch e<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong> liegen, dass e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Zuweisung<br />

der unternehmerischen Aktivitäten <strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales zum<br />

Sponsor<strong>in</strong>g oder Mäzenatentum/Spendenwesen sich nicht nur für Außenstehende,<br />

sondern oftmals auch für das Unternehmen selbst als schwierig erweist. Deshalb ist<br />

davon auszugehen, dass e<strong>in</strong>e Vielzahl von Unternehmen ihre ökologischen <strong>und</strong>


230 Fabian Bucher<br />

sozialen Engagements vielmehr dem Mäzenatentum anstatt dem Sponsor<strong>in</strong>g zuordnen<br />

<strong>und</strong> dadurch <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>potenziale ungenutzt lassen (Hermanns 1997, S. 87).<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Status Quo des Sponsor<strong>in</strong>g<br />

In den 1980er Jahren ließ sich feststellen, dass <strong>in</strong> den Pr<strong>in</strong>tmedien <strong>und</strong> im Fernsehen<br />

e<strong>in</strong> zunehmender Information-Overload entstand <strong>und</strong> als Folge davon Werbebotschaften<br />

<strong>und</strong> Werber vom K<strong>und</strong>en immer weniger wahrgenommen werden (Kroeber-<br />

Riel/We<strong>in</strong>berg 2003, S. 380-382). Zusätzlich wirkten sich Preissteigerungen bei den<br />

klassischen Werbeträgern <strong>und</strong> Kommunikationsmitteln, gesetzliche Restriktionen sowie<br />

die zunehmende Ähnlichkeit im Werbeauftritt der konkurrierenden Unternehmen<br />

negativ auf den Imagetransfer <strong>und</strong> die Erreichung von Kommunikationszielen aus.<br />

Daraus erfolgte die Ergänzung der klassischen Kommunikationsmittel durch die so<br />

genannten nicht-klassischen, modernen Kommunikationsmittel, wozu auch das Sponsor<strong>in</strong>g<br />

zählt.<br />

Im Jahre 2002 wurden <strong>in</strong> der Schweiz <strong>in</strong>sgesamt über 5 Mrd. Franken <strong>in</strong> Werbung <strong>in</strong>vestiert<br />

(Werbemedienforschung AG 2004). Die jährlichen Ausgaben für Sponsor<strong>in</strong>gengagements<br />

machen bei Schweizer Unternehmen mit fast 12% den drittgrößten Anteil<br />

des gesamten Kommunikationsbudgets aus. Dies zeigt auf, dass dem Sponsor<strong>in</strong>g<br />

als Kommunikations<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>e wichtige Bedeutung zukommt (Abb. 1).<br />

Die Entstehung <strong>und</strong> Verbreitung von Sponsor<strong>in</strong>g g<strong>in</strong>g mit der generellen Tendenz e<strong>in</strong>her,<br />

verstärkt Freizeit<strong>in</strong>teressen der Bevölkerung für Zwecke der Unternehmenskommunikation<br />

zu nutzen. Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten wurde von der Öffentlichkeit <strong>und</strong> den<br />

Medien anfangs viel Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb das Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den<br />

1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen hat (Bruhn 1998, S. 28-37). In den<br />

letzten Jahren ist im Sponsor<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> „Burn-Out-Effekt“ zu erkennen. Da immer mehr<br />

Unternehmen Sponsor<strong>in</strong>g betreiben, zeichnet sich auch hier e<strong>in</strong> Information-Overload<br />

ab, was sich wiederum negativ auf die Wahrnehmung der Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten seitens<br />

der Zielgruppen auswirkt. Dies ist vor allem im Bereich des Sport-Sponsor<strong>in</strong>g der<br />

Fall. Vor 10-15 Jahren konnte die Mehrheit der Besucher e<strong>in</strong>es Fußballstadions oder<br />

Sport-Events noch sagen, wer der (Haupt-)Sponsor war. Dies ist heute nicht mehr <strong>in</strong><br />

dem Maße der Fall. E<strong>in</strong> möglicher Gr<strong>und</strong> dafür ist dar<strong>in</strong> zu sehen, dass der Marktbereich<br />

Sport aus Sicht des Sponsor<strong>in</strong>g gesättigt ist (Bruhn 1998, S. 31, S. 49-50). Es<br />

stellt sich deshalb die Frage, ob <strong>in</strong> anderen Sponsor<strong>in</strong>g-Bereichen wie dem Öko- <strong>und</strong><br />

Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g noch Wachstumspotenziale vorhanden s<strong>in</strong>d.


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 231<br />

Werbung<br />

Verkaufsförderung<br />

Sponsor<strong>in</strong>g<br />

PR<br />

Eventmarket<strong>in</strong>g<br />

Multimedia / E-Comm.<br />

Spenden<br />

Anderes<br />

0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%<br />

4%<br />

3%<br />

6%<br />

12%<br />

11%<br />

11%<br />

19%<br />

Abbildung 1: Verteilung des Kommunikations-Budgets <strong>in</strong> der Schweiz<br />

(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)<br />

Wie die Abbildung 2 zeigt, fließt e<strong>in</strong> Großteil der Sponsor<strong>in</strong>gmittel schweizerischer<br />

Unternehmen <strong>in</strong> den Sportbereich. Für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g werden knapp<br />

10% der zur Verfügung stehenden Mittel verwendet. Aus folgenden Gründen ist zukünftig<br />

mit e<strong>in</strong>en Anstieg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g zu rechnen (Bruhn 1998,<br />

S. 274):<br />

� Umweltthemen <strong>und</strong> soziale Fragestellungen weisen <strong>in</strong> der Bevölkerung e<strong>in</strong>en immer<br />

größeren Stellenwert auf <strong>und</strong> ihre Lösung wird als besonders dr<strong>in</strong>glich angesehen.<br />

� Der Staat verfügt nicht über ausreichende f<strong>in</strong>anzielle Mittel, um all die ökologischen,<br />

sozialen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Probleme eigenständig lösen zu können.<br />

� Unternehmen werden sich ihrer ökologischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Verantwortung<br />

vermehrt bewusst <strong>und</strong> nehmen diese auch vermehrt wahr.<br />

� Unternehmen erkennen zusehends, dass Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g dazu beitragen<br />

kann, angestrebte Positionierungen erreichen <strong>und</strong> „weiche“ Ziele der Unternehmenskommunikation<br />

realisieren zu können.<br />

34%


232 Fabian Bucher<br />

Es stellt sich die Frage, wie die K<strong>und</strong>en von Telekommunikationsunternehmen e<strong>in</strong><br />

solches Engagement beurteilen.<br />

3%<br />

6%<br />

7%<br />

24%<br />

16%<br />

43%<br />

Abbildung 2: Aufteilung des Sponsor<strong>in</strong>gbudgets im Jahr 2002 <strong>in</strong> der Schweiz<br />

(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)<br />

3 Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von Telekommunikations-<br />

Unternehmen aus der Sicht der K<strong>und</strong>en<br />

Soziales<br />

Ökologie<br />

Kultur<br />

Sport<br />

Event-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Sonstiges<br />

Im Juli 2003 führte das Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität St. Gallen<br />

(IWÖ-HSG) e<strong>in</strong>e explorative Studie mit K<strong>und</strong>en der Swisscom zum Thema „Öko- <strong>und</strong><br />

Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche“ durch (vgl. auch Beitrag Walser).<br />

Der standardisierte Fragebogen setzte sich aus <strong>in</strong>sgesamt zehn Fragen aus den<br />

Teilbereichen Produkte, Dienstleistungen <strong>und</strong> Sponsor<strong>in</strong>g sowie aus Angaben zur Person<br />

zusammen. Die Datenerhebung erfolgte <strong>in</strong> Swisscom-Shops der Städte Genf, Fribourg,<br />

Bern, St. Gallen, Chur <strong>und</strong> Thun. Insgesamt wurden 104 Fragebögen komplett<br />

ausgefüllt. R<strong>und</strong> 85% der Befragten waren zwischen 21 <strong>und</strong> 60 Jahre alt. Zwei Drittel<br />

aller Befragten waren Männer. Obwohl die Stichprobe nicht repräsentativ ist <strong>und</strong> damit<br />

auch nicht ohne weiteres auf die gesamte schweizerische Bevölkerung geschlossen<br />

werden kann, liefert die Befragung doch erste H<strong>in</strong>weise auf das Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />

Sponsor<strong>in</strong>g aus K<strong>und</strong>ensicht. In e<strong>in</strong>er Teilfrage wurden die Personen aufgefordert, die<br />

vier Sponsor<strong>in</strong>gbereiche Sport, Kultur, Ökologie <strong>und</strong> Soziales ihrer subjektiven Wichtigkeit<br />

nach zu ordnen. Die Frage lautete: „Wie würden Sie persönlich das Sponsor<strong>in</strong>g-


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 233<br />

budget von Swisscom aufteilen? Ordnen Sie die zur Auswahl stehenden Bereiche nach<br />

deren Wichtigkeit (1 = am wichtigsten; 4 = am wenigsten wichtig).“<br />

Der Frage lag die Annahme zugr<strong>und</strong>e, dass Sport-Sponsor<strong>in</strong>g aufgr<strong>und</strong> des breiten<br />

öffentlichen <strong>und</strong> medialen Interesses sowie den <strong>in</strong>tensiven Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten am<br />

häufigsten auf Platz e<strong>in</strong>s genannt werden würde. Das empirische Ergebnis hat aber<br />

gezeigt, dass vielmehr der Bereich Soziales von e<strong>in</strong>em Drittel der befragten Personen<br />

am häufigsten auf Platz e<strong>in</strong>s gesetzt wurde. Auf den Plätzen zwei <strong>und</strong> drei folgten die<br />

Bereiche Ökologie <strong>und</strong> Kultur. Der Bereich Sport schnitt e<strong>in</strong>deutig am schlechtesten<br />

ab. Auf den ersten Blick ist dieses Ergebnis sehr überraschend, sollte aber mit Vorsicht<br />

<strong>in</strong>terpretiert werden. Möglicherweise hat das Phänomen der sozialen Erwünschtheit<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Antworten der Befragten gehabt. Demnach haben die Personen Antworten<br />

gegeben, von denen sie glauben, dass sie von ihnen erwartet bzw. erwünscht<br />

werden. Man kann die Ergebnisse aber auch dah<strong>in</strong>gehend <strong>in</strong>terpretieren, dass sich die<br />

befragten Personen tatsächlich vermehrt Engagements von Telekommunikationsunternehmen<br />

<strong>in</strong> den Bereichen Ökologie <strong>und</strong> Soziales wünschen. Zum<strong>in</strong>dest mag das unerwartete<br />

Ergebnis der K<strong>und</strong>enumfrage Anlass se<strong>in</strong>, die Verteilung der Sponsor<strong>in</strong>gbudgets<br />

zu überdenken <strong>und</strong> gegebenenfalls neue Akzente im sozial-ökologischen Bereich<br />

zu setzen. Voraussetzung hierfür ist e<strong>in</strong>e orig<strong>in</strong>elle <strong>und</strong> professionelle Durchführung<br />

der entsprechenden Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten. Im Folgenden werden ausgewählte Projekte<br />

von Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />

beschrieben <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>ander verglichen, um Erfolgsfaktoren daraus abzuleiten.<br />

4 Ausgewählte Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekte<br />

von Telekommunikationsanbietern <strong>in</strong> Europa<br />

In der Schweiz <strong>und</strong> <strong>in</strong> Europa konzentrieren sich die Telekommunikationsanbieter<br />

hauptsächlich auf die Sponsor<strong>in</strong>gfelder Sport, Kultur, Soziales <strong>und</strong> Bildung. Tabelle 1<br />

gibt e<strong>in</strong>en Überblick über die Anzahl der Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Bereichen.<br />

Die Anzahl sagt noch nichts über die Größe des zur Verfügung gestellten<br />

Budgets aus. Es ist aber ersichtlich, dass sich gewisse Unternehmen stark diversifizieren,<br />

während andere ihre Ressourcen auf e<strong>in</strong>ige wenige Aktivitäten konzentrieren. Die<br />

Unternehmen <strong>und</strong> ihre Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten wurden im Rahmen e<strong>in</strong>er Internetrecherche,<br />

die der Autor <strong>in</strong> der Zeit von November 2003 bis März 2004 durchgeführt hat,<br />

ausgewählt. Entscheidendes Kriterium dabei war, dass das Unternehmen Öko<strong>und</strong>/oder<br />

Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g betreibt. In Tabelle 1 f<strong>in</strong>den sich auch Engagements wieder,<br />

die im S<strong>in</strong>ne der obigen Def<strong>in</strong>itionen nicht als Sponsor<strong>in</strong>g-Engagement gezählt<br />

werden dürften, sondern unter Mäzenatentum oder Spenden e<strong>in</strong>zuordnen s<strong>in</strong>d. Damit


234 Fabian Bucher<br />

bestätigt sich die Aussage, dass viele Unternehmen trotz der klaren Def<strong>in</strong>ition der<br />

Begriffe Sponsor<strong>in</strong>g, Mäzenatentum <strong>und</strong> Spendenwesen Mühe haben, ihre Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten<br />

klar abzugrenzen. Vier der 26 recherchierten Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />

Sponsor<strong>in</strong>gaktivitäten ersche<strong>in</strong>en geeignet, sie e<strong>in</strong>gehender zu beschreiben <strong>und</strong> im<br />

H<strong>in</strong>blick auf Erfolgsfaktoren zu analysieren: Swisscom <strong>und</strong> SMARAGD, Orange <strong>und</strong><br />

UNICEF, mobilkom austria <strong>und</strong> Ärzte ohne Grenzen sowie British Telecom (BT) <strong>und</strong><br />

Am I Listen<strong>in</strong>g?<br />

Orange Sunrise Deutsche<br />

Telekom<br />

Mobilkom<br />

Austria<br />

British<br />

Telecom<br />

Swisscom<br />

Sport 2 6 16<br />

Kultur 2 1 17<br />

Ökologie 1 1 4<br />

Soziales 2 2 8 3 1 4<br />

Bildung 1 5 2 2<br />

Wirtschaft 2 4<br />

Tabelle 1: Engagements im Überblick<br />

(Quellen: Orange 2004, Sunrise 2004, Deutsche Telekom 2004, mobilkom austria 2004, British Telecom<br />

2004, Swisscom 2004)<br />

SMARAGD ist e<strong>in</strong> Öko-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von Swisscom. Swisscom war 1998 das<br />

erste nach ISO 14001 zertifizierte Telekommunikationsunternehmen <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong><br />

bekennt sich auf ihrer Homepage zu e<strong>in</strong>er ökonomisch, ökologisch <strong>und</strong> sozial nachhaltigen<br />

Unternehmensführung. Zudem <strong>in</strong>formiert sie <strong>in</strong>teressierte K<strong>und</strong>en ausführlich<br />

über Ihre Sponsor<strong>in</strong>gphilosophie. Der europaweite Schutz von gefährdeten Tier- <strong>und</strong><br />

Pflanzenarten <strong>und</strong> die Vernetzung von Arten <strong>und</strong> Lebensräumen ist die Aufgabe des<br />

WWF-Projektes SMARAGD, die Vernetzung von Menschen die Aufgabe von Swisscom<br />

Fixnet. Somit stellt der Begriff Vernetzung die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Swisscom<br />

Fixnet, WWF <strong>und</strong> dem Projekt SMARAGD her. WWF wird von Swisscom mit F<strong>in</strong>anz-<br />

<strong>und</strong> Sachmitteln, Dienstleistungen, Know-how <strong>und</strong> Personal unterstützt. So<br />

werden zum Beispiel Naturschutze<strong>in</strong>sätze im Feld durchgeführt, an denen sich Mitarbeiter<br />

von Swisscom beteiligen. Des Weiteren <strong>in</strong>tegriert Swisscom ihr Öko-


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 235<br />

Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Unternehmenskommunikation, <strong>in</strong>dem bspw. Rechnungsbeilagen zu<br />

diesem Thema versendet <strong>und</strong> Informationsblätter <strong>in</strong> den Swisscom Shops aufgelegt<br />

werden (Swisscom 2004).<br />

Orange for UNICEF ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von Orange Schweiz. Orange<br />

<strong>in</strong>formiert K<strong>und</strong>en auf ihrer Homepage sehr detailliert über ihre Unternehmens- <strong>und</strong><br />

Sponsor<strong>in</strong>gphilosophie <strong>und</strong> bekennt sich öffentlich dazu, das Unternehmen sozialökologisch<br />

verantwortungsvoll zu führen. Die Glaubwürdigkeit dieses Bekenntnisses<br />

wird durch die freiwillige Implementierung e<strong>in</strong>es Corporate Social Responsibility Management<br />

(CSR) unterstrichen. Dieses Managementsystem def<strong>in</strong>iert klare Ziele <strong>in</strong> den<br />

Bereichen Soziales, Umwelt <strong>und</strong> Kultur, sucht den offenen Dialog zu den Anspruchsgruppen<br />

<strong>und</strong> nimmt e<strong>in</strong>e Kontrollfunktion war. Die Begriffe Kommunikation <strong>und</strong> Bildung<br />

stellen die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zwischen dem Sponsor, dem Gesponserten <strong>und</strong> dem<br />

Projekt dar, denn Orange vertritt die Ansicht, dass Bildung die Voraussetzung für gegenseitiges<br />

Verständnis <strong>und</strong> Kommunikation darstellt. Da weltweit aber ca. 100 Millionen<br />

K<strong>in</strong>der nicht zur Schule gehen, ist Orange mit UNICEF e<strong>in</strong>e langfristige Partnerschaft<br />

mit dem Ziel e<strong>in</strong>gegangen, <strong>in</strong> verschiedenen Entwicklungsländern den Aufbau<br />

von Schulen zu ermöglichen. Orange unterstützt die Hilfsorganisation mit F<strong>in</strong>anzmitteln<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen. E<strong>in</strong>e dieser Dienstleistungen besteht dar<strong>in</strong>, dass Orange-<br />

K<strong>und</strong>en per SMS e<strong>in</strong>en Betrag von zwei Franken <strong>in</strong> vollem Umfang direkt an<br />

UNICEF spenden können (Orange 2004).<br />

Ärzte ohne Grenzen ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von mobilkom austria. Das Unternehmen<br />

erhielt für dieses Engagement im November 2002 <strong>in</strong> München den Internationalen<br />

Sponsor<strong>in</strong>g Award <strong>in</strong> der Kategorie „Public Sponsor<strong>in</strong>g“. Zum Anlass des 30-jährigen<br />

Bestehens von Ärzte ohne Grenzen im Jahre 2001 beschloss mobilkom austria, e<strong>in</strong>e<br />

langfristige Partnerschaft mit der österreichischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen<br />

e<strong>in</strong>zugehen. Fortan warben die beiden Partner geme<strong>in</strong>sam im Rahmen e<strong>in</strong>er breit angelegten<br />

Informationskampagne für die Anliegen der Hilfsorganisation. mobilkom<br />

austria f<strong>in</strong>anziert Werbekampagnen <strong>und</strong> stellt technologisches Know-how sowie Handys<br />

für den E<strong>in</strong>satz zur Verfügung. Darüber h<strong>in</strong>aus bietet mobilkom austria ihren<br />

K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>en SMS-Spenden-Service an. Die Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen<br />

basiert laut mobilkom austria auf e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Wertehaltung. Die Begriffe Mobilität<br />

<strong>und</strong> Flexibilität s<strong>in</strong>d der geme<strong>in</strong>same Nenner. Seit Oktober 2003 verknüpft mobilkom<br />

austria das Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g Ärzte ohne Grenzen erfolgreich mit e<strong>in</strong>em Öko-<br />

Sponsor<strong>in</strong>g. Geme<strong>in</strong>sam mit der Stadt Wien hat mobilkom austria e<strong>in</strong>e Alt-Handy-<br />

Sammelaktion lanciert, bei der alte, nicht mehr gebrauchte oder nicht mehr funktionstüchtige<br />

Handys <strong>und</strong> Zubehör <strong>in</strong> die Shops zurückgebracht oder gratis per Post


236 Fabian Bucher<br />

zurückgesendet werden können. mobilkom austria kümmert sich e<strong>in</strong>erseits um e<strong>in</strong>e<br />

Wiederverwendung oder e<strong>in</strong>e umweltgerechte Verwertung der Geräte <strong>und</strong> spendet andererseits<br />

für jedes zurückgegebene Handy drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Durch<br />

die thematische Verknüpfung des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g von mobilkom austria<br />

entstehen Synergieeffekte, die nicht nur den gesponserten Projekten, sondern auch<br />

dem Unternehmen zugute kommen. So wirken sich beispielsweise Kommunikationsanstrengungen<br />

für die Alt-Handy-Sammelaktion auch auf das Projekt Ärzte ohne Grenzen<br />

aus <strong>und</strong> die Glaubwürdigkeit beider Sponsor<strong>in</strong>gprojekte wird erhöht. Dies bee<strong>in</strong>flusst<br />

wiederum das Image von mobilkom austria <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven S<strong>in</strong>ne (mobilkom<br />

austria 2004).<br />

Am I Listen<strong>in</strong>g? ist e<strong>in</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt von British Telecom <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />

mit ChildL<strong>in</strong>e. British Telecom hat e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Managementsystem, welches<br />

ökonomischen, ökologischen <strong>und</strong> sozialen Aspekten Rechnung trägt. Ebenso wie<br />

Swisscom ist British Telecom seit 1999 gemäß ISO 14001 zertifiziert. Aufgr<strong>und</strong> von<br />

K<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> Mitarbeitergesprächen identifizierte British Telecom zwei relevante<br />

Themenfelder – Kommunikation <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der. Nach weiterführenden Studien <strong>in</strong> diesen<br />

beiden Bereichen stellte sich heraus, dass im Bereich der Telefonseelsorge Handlungsbedarf<br />

bestand. Vor der Zusammenarbeit mit British Telecom konnte ChildL<strong>in</strong>e<br />

von den täglich 4000 Anrufern nur knapp die Hälfte betreuen. British Telecom entschied<br />

sich zu e<strong>in</strong>er langfristigen Partnerschaft mit ChildL<strong>in</strong>e mit dem klaren Ziel, die<br />

Kapazitäten von ChildL<strong>in</strong>e soweit auszubauen, dass <strong>in</strong> Zukunft sämtliche Anrufe bearbeitet<br />

werden können. Die Unterstützung erfolgt durch F<strong>in</strong>anz- <strong>und</strong> Sachmittel,<br />

Dienstleistungen, Know-how-Transfers <strong>und</strong> Personal. Mitarbeiter von British Telecom<br />

unterstützen ChildL<strong>in</strong>e als freiwillige Helfer bei Events, als Telefonseelsorger oder als<br />

Spendensammler. Durch den aktiven E<strong>in</strong>bezug der Mitarbeiter von British Telecom <strong>in</strong><br />

die gesamte Kampagne wird der soziale Gedanke im Unternehmen selbst gelebt <strong>und</strong><br />

somit die Glaubwürdigkeit des Engagements nach außen erhöht. Das Engagement ist<br />

auf der Homepage von British Telecom sehr gut dokumentiert. Interessierte, aber auch<br />

skeptische K<strong>und</strong>en können sich ausführlich darüber <strong>in</strong>formieren. Zusätzlich liefert der<br />

Begriff Kommunikation dem K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e klare Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zwischen British<br />

Telecom, ChildL<strong>in</strong>e <strong>und</strong> dem Projekt Am I Listen<strong>in</strong>g? Diese beiden Faktoren wirken<br />

sich positiv auf die Glaubwürdigkeit des Engagements aus (British Telecom 2004).


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 237<br />

5 Kritische Erfolgsfaktoren für Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe von allgeme<strong>in</strong>en Faktoren, die zum Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />

Sponsor<strong>in</strong>g beitragen. Dazu zählen u.a. e<strong>in</strong>e klare Zielgruppenbestimmung, die Festlegung<br />

von Sponsor<strong>in</strong>gzielen, e<strong>in</strong>e gute Planung <strong>und</strong> Durchführung, die Langfristigkeit<br />

des Engagements sowie die Integration des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Kommunikations-Mix<br />

der Unternehmung. Wor<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Erfolgsfaktoren zu sehen, die<br />

spezifisch für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d? Die Analyse der ausgewählten<br />

Projekte <strong>und</strong> Unternehmen im Telekommunikationsbereich lässt auf m<strong>in</strong>destens drei<br />

spezifische Erfolgsfaktoren des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g schließen.<br />

E<strong>in</strong> erster spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ist die Glaubwürdigkeit.<br />

Nur wenn die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Werte im Unternehmen fest verankert<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> gelebt werden, lässt sich e<strong>in</strong> solches Engagement glaubwürdig kommunizieren<br />

(Bruhn 1998, S. 317). Im Fall von British Telecom geschieht dies <strong>in</strong> vorbildlicher<br />

Art <strong>und</strong> Weise. Es kann als „Best Practice“ bezüglich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Management im Telekommunikationssektor bezeichnet werden. Das britische Telekommunikationsunternehmen<br />

fühlt sich e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung verpflichtet<br />

<strong>und</strong> bekennt sich öffentlich zu se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Verantwortung. Um soziale,<br />

ökologische <strong>und</strong> ökonomische Aspekte <strong>in</strong> das Alltagsgeschäft zu <strong>in</strong>tegrieren, hat British<br />

Telecom e<strong>in</strong> umfassendes Corporate Social Responsibility (CSR) System implementiert.<br />

Der „BT Social and Environmental Report“ aus dem Jahr 2004 gibt ausführlich<br />

Auskunft über die sozialen <strong>und</strong> ökologischen Leistungen des Unternehmens. Der<br />

Sozial- <strong>und</strong> Umweltbericht ist nach den Richtl<strong>in</strong>ien der Global Report<strong>in</strong>g Initiative<br />

(GRI) erstellt <strong>und</strong> von unabhängiger Stelle verifiziert worden. Der Bericht dient als<br />

wichtige Gr<strong>und</strong>lage für e<strong>in</strong>en aktiv <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensiv geführten Anspruchsgruppendialog.<br />

Für se<strong>in</strong> sozial-ökologisches Engagement ist British Telecom mehrfach ausgezeichnet<br />

worden (u.a. The Queen’s Award for Susta<strong>in</strong>able Development 2003). Im Rahmen des<br />

Dow Jones Susta<strong>in</strong>ability Index 2004 wird British Telecom zum drittenmal <strong>in</strong> Folge<br />

als das beste Unternehmen im Telekommunikationssektor geführt.<br />

E<strong>in</strong> zweiter spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g ist die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie<br />

zwischen dem Unternehmen <strong>und</strong> den geförderten Projekten. Die zentrale<br />

Frage lautet: Inwiefern kann der K<strong>und</strong>e <strong>und</strong> die Öffentlichkeit e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvollen Zusammenhang<br />

zwischen dem Sponsor <strong>und</strong> den Gesponserten erkennen? Solche Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien<br />

können sehr unterschiedlicher Natur se<strong>in</strong> <strong>und</strong> werden abgeleitet aus:<br />

Verantwortungs-, Zielgruppen- , Regional- , Produkt-/Dienstleitungs-, Image- oder


238 Fabian Bucher<br />

Know-how-Bezug (Bruhn 1998, S. 336-340). Unter Verantwortungsbezug wird die<br />

ethische Verpflichtung des Unternehmens verstanden, sich an der Lösung sozialökologischer<br />

Probleme der Gesellschaft zu beteiligen. E<strong>in</strong> Zielgruppenbezug ist dann<br />

gegeben, wenn durch den neu zu <strong>in</strong>itiierenden Dialog mit ausgewählten Zielgruppen<br />

(z.B. Umweltschutzorganisationen) e<strong>in</strong> Beitrag zur Lösung sozial-ökologischer Probleme<br />

erreicht werden kann. Beim Regionalbezug liegt der Fokus auf der Lösung regional<br />

begrenzter Probleme oder lokalen Fragen. Beim Produkt-/Dienstleistungsbezug<br />

bestehen Zusammenhänge zu den Produkten bzw. Dienstleistungen des Unternehmens,<br />

deren Herstellung, Verwendung oder Post-Verwendung. E<strong>in</strong> Imagebezug kann dann<br />

hergeleitet werden, wenn sich das Unternehmen bereits <strong>in</strong> der Vergangenheit sozialökologisch<br />

verhalten hat <strong>und</strong> deshalb über gewisse sozial-ökologische Merkmale verfügt.<br />

E<strong>in</strong> Know-how-Bezug begründet sich daraus, dass die vorhandenen Ressourcen<br />

e<strong>in</strong>es Unternehmens dazu geeignet s<strong>in</strong>d, bestimmte ökologische <strong>und</strong> soziale Probleme<br />

zu lösen.<br />

Den vier ausgewählten Telekommunikationsunternehmen ist geme<strong>in</strong>sam, dass sie sich<br />

aus Verantwortung für soziale <strong>und</strong> ökologische Projekte engagieren. E<strong>in</strong> solcher Verantwortungsbezug<br />

ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber noch ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für<br />

den Erfolg des Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g. Im Fall von British Telecom <strong>und</strong> dem Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt<br />

Am I Listen<strong>in</strong>g? besteht die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> der Kommunikation.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus lässt sich e<strong>in</strong> klarer Produkt-/Dienstleistungsbezug <strong>und</strong> Know-<br />

How-Bezug herstellen: British Telecom stellt ChildL<strong>in</strong>e Telefone <strong>und</strong> Telefonleitungen<br />

gratis zur Verfügung <strong>und</strong> die Mitarbeiter von British Telecom unterstützen<br />

ChildL<strong>in</strong>e als freiwillige Helfer. Orange sieht Bildung als e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung<br />

für gegenseitiges Verständnis <strong>und</strong> Kommunikation, wor<strong>in</strong> die Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie zu<br />

dem Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt mit UNICEF besteht. Der Dienstleistungsbezug ist dadurch<br />

gewährleistet, dass Orange-K<strong>und</strong>en per SMS e<strong>in</strong>en Betrag von zwei Schweizer<br />

Franken <strong>in</strong> vollem Umfang direkt an UNICEF spenden können. Kritisch stellt sich die<br />

Frage, wie viele K<strong>und</strong>en davon tatsächlich Gebrauch machen. Swisscom sieht den Zusammenhang<br />

zum Öko-Sponsor<strong>in</strong>gprojekt SMARAGD <strong>in</strong> der Vernetzung: Hat Swisscom<br />

Fixnet die Aufgabe, Menschen zu vernetzen, so besteht die Aufgabe des WWF-<br />

Projektes SMARAGD <strong>in</strong> der Vernetzung von Arten <strong>und</strong> Lebensräumen zum Schutz<br />

von gefährdeten Tier- <strong>und</strong> Pflanzenarten. Dieser Zusammenhang ist sehr abstrakt <strong>und</strong><br />

es stellt sich kritisch die Frage, <strong>in</strong>wiefern er für den Durchschnittsk<strong>und</strong>en der Swisscom<br />

e<strong>in</strong>sichtig ist.<br />

E<strong>in</strong> dritter spezifischer Erfolgsfaktor kann <strong>in</strong> der geschickten Verknüpfung des Öko<strong>und</strong><br />

Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g bestehen. Wie aus den obigen Zahlen hervorgeht, s<strong>in</strong>d die


Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche 239<br />

Budgets für das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g im Vergleich zum Sport- <strong>und</strong> Kultursponsor<strong>in</strong>g<br />

knapp bemessen. Dementsprechend weisen die Öko- <strong>und</strong> Sozio-<br />

Sponsonsor<strong>in</strong>gprojekte vielfach nur e<strong>in</strong>e begrenzte Reichweite auf. Um so wichtiger<br />

ist das Ausnutzen von Synergieeffekten. E<strong>in</strong> gutes Beispiel hierfür ist mobilkom austria,<br />

die das Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g geschickt mite<strong>in</strong>ander verknüpfen: Für jedes<br />

zurückgegebene Mobiltelefon spendet das österreichische Telekommunikationsunternehmen<br />

automatisch e<strong>in</strong>en Betrag von drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Dies erhöht<br />

den Anreiz für die K<strong>und</strong>en, die nicht mehr funktionstüchtigen oder gebrauchten Mobiltelefone<br />

<strong>in</strong> die Shops zurückzubr<strong>in</strong>gen. Der K<strong>und</strong>e hat damit wenig zusätzlichen<br />

Aufwand. Die Rückgabe <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Spende h<strong>in</strong>gegen verleihen dem<br />

K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong> gutes ökologisches <strong>und</strong> soziales Gewissen.<br />

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Teil IV:<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />

Perspektiven


Aktive Verantwortungsübernahme von<br />

Unternehmen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>:<br />

Implikationen für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

1 E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist e<strong>in</strong> theoretisches Konzept zur systematischen Ausrichtung<br />

von <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung, d.h. es <strong>in</strong>tegriert ökonomische,<br />

ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte <strong>und</strong> Ziele. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

dient somit nicht nur der Verwirklichung ökonomischer Ziele von Unternehmen, wie<br />

dies im herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der Fall ist, sondern verfolgt auch ökologische <strong>und</strong><br />

soziale Ziele. <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist dann erfolgreich, wenn sich die Unternehmung<br />

langfristig im Wettbewerb behaupten kann <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en wahrnehmbaren Beitrag<br />

zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Probleme leistet. Dieser Beitrag steht –<br />

s<strong>in</strong>nvollerweise – primär <strong>in</strong> Zusammenhang mit den durch die Unternehmung angebotenen<br />

Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen. Erst der direkte Bezug zur Unternehmenstätigkeit<br />

schafft den angestrebten Zusatznutzen im <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist aber nicht nur e<strong>in</strong> theoretisches Konzept, sondern längst<br />

auch erprobte <strong>Praxis</strong>. Soziale <strong>und</strong> ökologische Lösungsbeiträge werden vielerorts <strong>in</strong><br />

die <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Aktivitäten von Unternehmen <strong>in</strong>tegriert. Die vielfältigen Beispiele im<br />

Buch zeigen dies e<strong>in</strong>drücklich. Sie verdeutlichen, dass die sozial-ökologischen Problemlagen<br />

auch e<strong>in</strong>e Chance darstellen, nicht trotz, sondern wegen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Erfolg zu haben. Meist werden entsprechende <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Aktivitäten jedoch<br />

noch ohne direkten Bezug auf e<strong>in</strong> <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>konzept <strong>und</strong> dementsprechend<br />

eher zufällig angewandt.<br />

Als erste große Herausforderung für <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> ergibt sich somit die Aufgabe,<br />

die noch nebene<strong>in</strong>ander stehenden <strong>Praxis</strong>erfahrungen mit Hilfe des Konzeptes<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese<br />

Weise können die Erfahrungen systematisch weiterentwickelt <strong>und</strong> verbessert werden.<br />

Dabei gilt es zu beachten – <strong>und</strong> auch dies machen die Fallstudien im Buch sehr deutlich<br />

– dass <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ke<strong>in</strong>e Patentlösung für alle Probleme ist. Es gibt


244 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

allgeme<strong>in</strong>e Faktoren, die dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Grenzen setzen (bspw. sehr<br />

weitreichende Konsumentenbedürfnisse oder das ungünstige Verhältnis der steuerlichen<br />

Belastung auf Arbeit <strong>und</strong> Energie). Neben diesen allgeme<strong>in</strong>en gibt es aber auch<br />

vielfältige branchenspezifische Faktoren, welche die Erfolgschancen des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

erhöhen oder begrenzen. Und selbst <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Branche s<strong>in</strong>d situative<br />

Spezifizierungen notwendig (Beitrag Leitner). <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist<br />

nicht pauschal, sondern jeweils an die entsprechenden Kontexte situativ anzupassen.<br />

Entsprechende Lösungsansätze f<strong>in</strong>den sich im zweiten Teil des Buches. Aus den von<br />

den Autoren gegebenen Antworten lässt sich e<strong>in</strong>e ebenso <strong>in</strong>teressante wie brisante Erkenntnis<br />

ableiten: Der entscheidungsorientierte Ansatz des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

(Beitrag Belz) ist so offen, dass er pr<strong>in</strong>zipiell überall Anwendung f<strong>in</strong>den kann. Selbst<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für den <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Diskurs eher schwer zugänglichem Feld wie der Telekommunikationsbranche<br />

(Beitrag Walser) gibt es erfolgreiche Ansätze des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

(Beitrag Bucher). Auch die Unternehmensgröße ist für den Erfolg<br />

des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht maßgeblich (Beitrag Leitner). E<strong>in</strong>e Zuordnung<br />

des Konzeptes <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> als „Nischenansatz“ ist dezidiert zurückzuweisen.<br />

„Nur für Kle<strong>in</strong>unternehmen“, „nur im Lebensmittelmarkt“ oder andere „Nischenzuweisungen“<br />

können auf der Basis der vorliegenden Beiträge als widerlegt angesehen<br />

werden.<br />

Hieraus lässt sich e<strong>in</strong>e zweite große Herausforderung ableiten: Herkömmliches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

kann <strong>und</strong> sollte konsequent mit dem Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

konfrontiert <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en werden. Das Aufzeigen der vielfältigen Chancen für die<br />

Anwendung von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> be<strong>in</strong>haltet nicht nur e<strong>in</strong>e Handlungsoption,<br />

sondern auch e<strong>in</strong>en normativen Anspruch. Wenn <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

gr<strong>und</strong>sätzlich möglich ist, dann kann man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen<br />

Verantwortung erwarten, dass sie dieses auch anwenden. Der zentrale<br />

Unterschied zum herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> liegt eben nicht <strong>in</strong> besonderen Kommunikations<strong>in</strong>strumenten<br />

oder ähnlichem (Beitrag Schrader; Beitrag Konrad/Scholl), sondern<br />

<strong>in</strong> der Anerkennung dieser Mitverantwortung der Unternehmen an gesellschaftlichen<br />

Problemen. Es ist offensichtlich, dass die vielfältigen negativen Nebenwirkungen<br />

des herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht länger ignoriert, aber auch nicht länger ausgelagert<br />

werden können. Bereits e<strong>in</strong>fache Überlegungen verleihen diesem „ethischen<br />

Mehrwert“ des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Überzeugungskraft, <strong>in</strong> dem sie zeigen, dass<br />

die bestehenden Produktions- <strong>und</strong> Konsummuster, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Ländern der<br />

OECD, zunehmend aber auch <strong>in</strong> den aufstrebenden Ländern Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> Indien (Gardner/Assadourian/Sar<strong>in</strong><br />

2004, S. 6-8) nicht nachhaltig s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d weder auf die ge-


Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 245<br />

samte Weltbevölkerung übertragbar (räumliche Beschränkung) noch auf Dauer aufrecht<br />

zu erhalten (zeitliche Begrenztheit). Insofern verstoßen sie sowohl gegen die<br />

<strong>in</strong>tra- als auch gegen die <strong>in</strong>tergenerative Gerechtigkeit. Als ausgewählte Beispiele nehme<br />

man das Ernährungs- <strong>und</strong> Mobilitätsverhalten <strong>in</strong> Deutschland: Jährlich verzehrt<br />

jeder Deutsche r<strong>und</strong> 90 kg Fleisch <strong>und</strong> tr<strong>in</strong>kt ca. 120 Liter Bier. Würde jeder Ch<strong>in</strong>ese<br />

ebenso viel Fleisch essen <strong>und</strong> Bier tr<strong>in</strong>ken wie der durchschnittliche Deutsche, gäbe es<br />

weltweit nicht genügend Getreide (Brown 1995). Ebenso verhält es sich im Mobilitätsbereich:<br />

Mehr als jeder zweite Deutsche besitzt e<strong>in</strong> Automobil. Damit werden jährlich<br />

im Durchschnitt r<strong>und</strong> 11.000 Kilometer gefahren. Würde man dieses Ausmaß an<br />

<strong>in</strong>dividueller motorisierter Mobilität auf Ch<strong>in</strong>a übertragen, wären die Ölvorräte b<strong>in</strong>nen<br />

weniger Jahre aufgebraucht – mit der Folge ökologischer, sozialer <strong>und</strong> wirtschaftlicher<br />

Instabilitäten (Dyllick 1982). Nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die zukünftigen<br />

Generationen wären davon erheblich betroffen.<br />

Gemäß dem Verantwortungspr<strong>in</strong>zip ist jeder E<strong>in</strong>zelne <strong>und</strong> jede Organisation für die<br />

Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitpr<strong>in</strong>zip tragen alle Verantwortung<br />

für den Erhalt <strong>und</strong> die Sicherung der natürlichen <strong>und</strong> sozialen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

der Menschen (Meffert/Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4).<br />

Bezogen auf Unternehmen <strong>und</strong> Konsumenten heißt das, dass beide e<strong>in</strong>e geteilte Verantwortung<br />

tragen. Sowohl Unternehmen als auch Konsumenten s<strong>in</strong>d aufgefordert,<br />

ökonomische, ökologische <strong>und</strong> soziale Aspekte <strong>in</strong> ihre Entscheidungen e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />

In dem Maß, <strong>in</strong> dem Unternehmen ihrem Teil der Verantwortung für e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />

Entwicklung gerecht werden, <strong>in</strong> dem Maß können sich auch Konsumenten danach<br />

richten <strong>und</strong> vice versa: In dem Maß, <strong>in</strong> dem Konsumenten ihrem Teil der Verantwortung<br />

für e<strong>in</strong>e nachhaltige Um- <strong>und</strong> Mitwelt nachkommen, <strong>in</strong> dem Maß gibt es für Unternehmen<br />

Anreize, sich entsprechend zu verhalten. Mit anderen Worten: <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

<strong>und</strong> nachhaltiger Konsum bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>ander. Was bedeutet dies für<br />

die Verantwortung von Unternehmen? Welche Schlussfolgerungen können aus den<br />

vorliegenden Beiträgen zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gezogen werden?


246 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

2 Drei Ebenen aktiver Verantwortungsübernahme<br />

von Unternehmen durch <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Die Verantwortung von Unternehmen für nachhaltige Produktions- <strong>und</strong> Konsummuster,<br />

welche die Gr<strong>und</strong>lage für das <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> darstellt, kann auf<br />

drei Ebenen verortet werden (Belz/Pobisch 2004):<br />

� Angebot von sozial-ökologischen Produkten;<br />

� Förderung von nachhaltigem Konsum;<br />

� Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Angebot von sozial-ökologischen Produkten<br />

Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten liefert e<strong>in</strong>en wertvollen Beitrag zur<br />

Veränderung der vorhandenen Produktions- <strong>und</strong> Konsumstrukturen. Mit dem bloßen<br />

Angebot von sozial-ökologischen Produkten eröffnen Unternehmen den Konsumenten<br />

Wahlfreiheiten jenseits der Nulloption, d.h. jenseits des Konsumverzichts. Aus der<br />

Sicht der Unternehmen geht es nicht nur darum, die Herstellung der Produkte sozial zu<br />

gestalten <strong>und</strong> ökologisch zu optimieren, sondern auch die Beschaffung nach sozialökologischen<br />

Kriterien auszurichten. In diesem Fall spricht man von <strong>in</strong>tegrierten Lieferantenketten<br />

(„<strong>in</strong>tegrated supply cha<strong>in</strong>s“), welche die vorgelagerten Stufen mit berücksichtigen<br />

(Roome 1998, S. 263; Welford 1998). Umwelt- <strong>und</strong> Sozialmanagementsysteme<br />

wie ISO 14001, EMAS <strong>und</strong> SA 8000 dienen dazu, sozial-ökologische Aspekte<br />

systematisch <strong>in</strong> die Entscheidungsprozesse <strong>und</strong> den Managementzyklus von „Plan-<br />

Do-Check-Act“ e<strong>in</strong>zubeziehen. Aus den vorliegenden Beiträgen des Buches wird deutlich,<br />

dass es Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen <strong>und</strong> Ländern gibt, die ihrer<br />

Verantwortung nachkommen <strong>und</strong> sozial-ökologische Produkte im Sortiment anbieten.<br />

Nach dem Alter der Unternehmen (etabliert/neu gegründet) <strong>und</strong> dem Ausmaß der Sortimentsumstellung<br />

(teilweise/vollständig) kann man vier verschiedene Typen von sozial-ökologischen<br />

Unternehmen unterscheiden (Tab. 1).<br />

Beim ersten Typ handelt es sich um etablierte Unternehmen, die ihr Sortiment zum<strong>in</strong>dest<br />

teilweise auf sozial-ökologische Produkte umstellen. Vielfach s<strong>in</strong>d es <strong>in</strong>novative<br />

Leaderunternehmen, die auf nationaler oder <strong>in</strong>ternationaler Ebene e<strong>in</strong>e marktführende<br />

Position e<strong>in</strong>nehmen. Beispiele aus dem Lebensmittelbereich s<strong>in</strong>d das schweizerische<br />

Familienunternehmen Baer (Beitrag Leitner), die schweizerischen Handelsunternehmen<br />

Migros (Beitrag Borsani/Hildesheimer) <strong>und</strong> Coop (Beitrag Belz/Ditze) sowie das<br />

<strong>in</strong>ternational tätige Unternehmen Unilever. Im Automobilbereich bietet Volkswagen<br />

neben Mittelklassewagen <strong>und</strong> Nobelkarosserien seit dem Jahr 1999 den VW Lupo


Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 247<br />

auch als Drei-Liter-Auto serienmäßig an. DaimlerChrysler hat sich mit dem energieeffizienten<br />

smart als Zweisitzer erfolgreich <strong>in</strong> der Nische der Kle<strong>in</strong>(st)wagen etabliert<br />

(Belz 2001, S. 202-206). Toyota <strong>und</strong> Honda setzen vermehrt auf Hybridautos, die sowohl<br />

mit Benz<strong>in</strong>- als auch Elektromotoren ausgestattet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die nicht nur <strong>in</strong> Japan,<br />

sondern auch <strong>in</strong> Nordamerika <strong>und</strong> Westeuropa wachsende Absatzzahlen verzeichnen.<br />

Im Energiebereich kann man Unternehmen wie BP <strong>und</strong> Shell nennen, die neben der<br />

Exploration, Förderung <strong>und</strong> Vermarktung von Erdöl <strong>und</strong> Gas damit begonnen haben,<br />

auch erneuerbare Energiequellen wie Sonne, W<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Biomasse zu nutzen <strong>und</strong> zu<br />

vermarkten. Die etablierten marktführenden Unternehmen verfügen <strong>in</strong> der Regel über<br />

f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> personelle Ressourcen, welche die erfolgreiche E<strong>in</strong>führung von sozialökologischen<br />

Produkten am Markt ermöglichen. E<strong>in</strong>e besondere Herausforderung besteht<br />

dar<strong>in</strong>, die „mental maps“, die Barrieren im Kopf zu überw<strong>in</strong>den. So hat bspw.<br />

Migros das strategische Erfolgspotenzial von Bioprodukten lange Zeit verkannt, weil<br />

sie es als Nischenphänomen abgetan haben (Villiger 2000, S. 215-222). Teilweise besteht<br />

die Ansicht, dass die Doppelgleisigkeit von konventionellen <strong>und</strong> sozialökologischen<br />

Produkten im Sortiment zu Glaubwürdigkeitsproblemen führen könnte.<br />

Dies hat sich jedoch <strong>in</strong> der <strong>Praxis</strong> als unberechtigt erwiesen. Der durchschnittliche<br />

Konsument vertritt diesbezüglich ke<strong>in</strong>e radikal-f<strong>und</strong>amentalistische Position des „entweder<br />

oder“, sondern eher e<strong>in</strong>e pragmatische nach dem Motto „sowohl als auch“.<br />

Alter des<br />

Unternehmen<br />

Etabliert<br />

Neu gegründet<br />

Sortimentsumstellung<br />

Teilweise<br />

Tabelle 1: Typologie sozial-ökologischer Pionier- <strong>und</strong> Leaderunternehmen<br />

I<br />

III<br />

Vollständig<br />

II<br />

IV


248 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

Der zweite Typ kennzeichnet Unternehmen, die seit längerem am Markt etabliert s<strong>in</strong>d,<br />

aber vollständig auf sozial-ökologische Produkte umsteigen. Im Automobilbereich, der<br />

von wenigen großen Konzernen beherrscht wird, ersche<strong>in</strong>t dies kurz- <strong>und</strong> mittelfristig<br />

unmöglich (auch wenn Toyota hier hohe Erwartungen weckt, <strong>in</strong>dem es mit dem Slogan<br />

wirbt: „Nichts ist unmöglich!“). E<strong>in</strong>e vollständige Umstellung würde <strong>in</strong> dieser<br />

Branche bei gegebenen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen die <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

gefährden. Im Lebensmittelbereich <strong>und</strong> auf regionaler Ebene kann das eher gel<strong>in</strong>gen,<br />

wie etwa das Beispiel der Hofpfisterei Stocker belegt. Sie hat <strong>in</strong> den 1980er Jahren<br />

begonnen, Brot mit Bio-Getreide aus der Region zu backen. Die Umstellung des gesamten<br />

Brotsortiments auf Bio hat aufgr<strong>und</strong> von Engpässen <strong>in</strong> der Beschaffung r<strong>und</strong><br />

10 Jahre <strong>in</strong> Anspruch genommen. Mit über 150 eigenen Filialen <strong>in</strong> Bayern <strong>und</strong> Baden-<br />

Württemberg nimmt die Hofpfisterei Stocker e<strong>in</strong>e führende Stellung im Qualitätssegment<br />

e<strong>in</strong> <strong>und</strong> ist weitgehend unabhängig vom Preisdiktat des konventionellen Lebensmittelhandels.<br />

Erfolgt die vollständige Umstellung des gesamten Produktsortiments<br />

nach sozial-ökologischen Kriterien, besteht die Gefahr der Segmentverengung.<br />

Wie die empirische Untersuchung von Unternehmen <strong>in</strong> der Schweiz zeigt, ist diese<br />

Option allenfalls für kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen <strong>in</strong>teressant, die mit e<strong>in</strong>er<br />

solchen Profilierung e<strong>in</strong>e attraktive Nische bzw. e<strong>in</strong> attraktives Marktsegment besetzen<br />

(Beitrag Belz).<br />

Der dritte Typ charakterisiert Unternehmen, die neu gegründet worden s<strong>in</strong>d oder sich<br />

neu formiert haben <strong>und</strong> die sowohl konventionelle als auch sozial-ökologische Produkte<br />

anbieten. Da Neugründungen im Normalfall e<strong>in</strong>e sehr ger<strong>in</strong>ge Produktdiversifikation<br />

haben, s<strong>in</strong>d Komb<strong>in</strong>ationsangebote eher selten <strong>und</strong> erst mit der Etablierung des Unternehmens<br />

zu erwarten. Dann entsprechen sie aber Typ 1 oder Typ 2.<br />

Im zahlenmäßigen Gegensatz steht hierzu der vierte Typ, die nachhaltigen Pioniere,<br />

die mit dem Zweck gegründet worden s<strong>in</strong>d bzw. werden, sozial-ökologische Produkte<br />

zu entwickeln, e<strong>in</strong>zuführen <strong>und</strong> erfolgreich zu vermarkten. In diesem Zusammenhang<br />

kann man auch von „Ecopreneuren“ oder „Susta<strong>in</strong>able Champions“ reden (Petersen<br />

2003, S. 18-19). Beispiele aus dem Lebensmittelbereich s<strong>in</strong>d das niederländische<br />

Großhandelsunternehmen Eosta (Beitrag Skoppek/Karstens) oder die deutsche Supermarktkette<br />

Basic. Diese wurde 1998 gegründet, führt ausschließlich Bio- <strong>und</strong> teilweise<br />

Fair Trade-Produkte im Sortiment <strong>und</strong> expandiert sukzessive <strong>in</strong> deutschen Großstädten.<br />

Besonders <strong>in</strong>teressant <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist der deutsche W<strong>in</strong>denergiemarkt,<br />

der den weltweit größten nationalen Markt darstellt. Dieser wird heute noch v.a.<br />

im Bereich der Projektierung von Start-up-Unternehmen dom<strong>in</strong>iert. Auch der deutsche<br />

Marktführer bei der Produktion von W<strong>in</strong>dkraftanlagen Enercon ist e<strong>in</strong> unabhängiges


Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 249<br />

Unternehmen der ersten St<strong>und</strong>e (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 12). E<strong>in</strong> anderes Beispiel<br />

ist die schweizerische Genossenschaft Mobility CarShar<strong>in</strong>g, die 1997 aus der<br />

Fusion von AutoTeilet <strong>und</strong> ShareCom entstanden ist (Belz 2002, S. 21-22). Mobility<br />

CarShar<strong>in</strong>g verfügt über e<strong>in</strong>e Flotte von 1700 Fahrzeugen, die an 1000 Standorten <strong>in</strong><br />

der Schweiz verteilt s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> genutzt werden können. Mit über 60.000 K<strong>und</strong>en im Jahr<br />

2004 ist Mobility weltweit die größte Car Shar<strong>in</strong>g Organisation. Mobility CarShar<strong>in</strong>g<br />

baut Brücken zum öffentlichen Verkehr <strong>und</strong> ermöglicht komb<strong>in</strong>ierte Mobilität. Es beruht<br />

auf der Idee des Nutzens statt Besitzens <strong>und</strong> möchte die Mobilitätslandschaft <strong>in</strong><br />

der Schweiz nachhaltig verändern. Weitere Firmen, die erfolgreich ausschließlich<br />

nachhaltig positionierte Produkte herstellen <strong>und</strong> vertreiben s<strong>in</strong>d z.B. die Schweizer<br />

Firma Held, welche Produkte für das umweltschonende Waschen <strong>und</strong> Putzen produziert<br />

oder der ökologische Supermarkt Vatter <strong>in</strong> Bern: „Wir treten täglich den Tatbeweis<br />

an, dass die Schonung unserer Lebensgr<strong>und</strong>lagen nicht mit Verzicht verb<strong>und</strong>en<br />

ist, sondern im Gegenteil e<strong>in</strong> Plus an Lebensqualität bedeutet“ (Vatter 2004). Ganz<br />

anders positioniert ist die Firma Freitag, die Taschen aus Recycl<strong>in</strong>gmaterial herstellt,<br />

welche zehn Jahre nach Gründung der Firma schon zum Kultobjekt avanciert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />

globale Verbreitung gef<strong>und</strong>en haben. Hauptausgangsmaterial s<strong>in</strong>d gebrauchte Lastwagenplanen,<br />

was jede Tasche <strong>in</strong>dividuell aussehen lässt. Hier wird mit e<strong>in</strong>em jugendlichen,<br />

kreativen, hedonistischen Lifestyle <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> gemacht. Der Umweltschutz ist<br />

der Firma zwar wichtig, aber er wird nicht als Argument im Verkauf e<strong>in</strong>gesetzt, weil<br />

bewusst ke<strong>in</strong>e „Verzichtsphilosophie“, sondern Lebenslust mit dem Produkt verb<strong>und</strong>en<br />

se<strong>in</strong> soll.<br />

Förderung von nachhaltigem Konsum<br />

Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten ist e<strong>in</strong>e notwendige, aber noch ke<strong>in</strong>e<br />

h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung für die erfolgreiche Vermarktung. Wird das Produkt zu e<strong>in</strong>em<br />

relativ hohen Preis verkauft, wenig beworben <strong>und</strong> ist es schwer erhältlich, dann trägt<br />

das nicht zur Förderung e<strong>in</strong>es nachhaltigen Konsums bei. E<strong>in</strong> solches Beispiel ist das<br />

Drei-Liter-Auto von Volkswagen, der VW Lupo 3L TDI, von dem lediglich e<strong>in</strong>ige<br />

Tausend Exemplare jährlich verkauft werden <strong>und</strong> der somit auf e<strong>in</strong>e Nische beschränkt<br />

bleibt. E<strong>in</strong> zentraler Gr<strong>und</strong> dafür dürfte <strong>in</strong> dem vergleichsweise hohen Anschaffungspreis<br />

liegen. In Me<strong>in</strong>ungsumfragen bezeugen die Befragten zwar e<strong>in</strong>e höhere Preisbereitschaft,<br />

aber häufig besteht e<strong>in</strong>e wesentliche Diskrepanz zwischen dem Sozial-/<br />

Umweltbewusstse<strong>in</strong> <strong>und</strong> entsprechendem Verhalten (Balderjahn 2004, S. 152-170).<br />

Tatsächlich ist die Bereitschaft, für sozial-ökologische Produkte mehr zu bezahlen,<br />

sehr ger<strong>in</strong>g (Balderjahn 2003, S. 387-404; Umweltb<strong>und</strong>esamt 2002, S. 81). E<strong>in</strong> Lö-


250 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

sungsansatz besteht dar<strong>in</strong>, die Kosten <strong>und</strong> damit den Preis zu reduzieren oder e<strong>in</strong>e<br />

Mischkalkulation zugunsten nachhaltiger Produkte vorzunehmen. So bietet bspw. Coop<br />

als zweitgrößtes schweizerisches Handelsunternehmen ausschließlich Bananen an,<br />

die aus Fair Trade-Produktion stammen. Durch den direkten E<strong>in</strong>kauf, das Überspr<strong>in</strong>gen<br />

von Zwischenstufen <strong>und</strong> die Senkung der Logistikkosten können die Fair Trade-<br />

Bananen zum selben Preis angeboten werden wie konventionelle. Der K<strong>und</strong>e erhält<br />

e<strong>in</strong>en sozial-ökologischen Mehrwert „zum Nulltarif“ (Kaas 1992, S. 475-476). Die<br />

Geschäftsphilosophie der Supermarktkette Basic ist, Bio für alle anzubieten. In ihrem<br />

Sortiment haben sie Bio-Eigenmarken, die zu günstigen Preisen angeboten werden. Im<br />

Car Shar<strong>in</strong>g entstehen neue Leistungs- <strong>und</strong> Preiskategorien, die sich schwer mit privatem<br />

Automobilbesitz vergleichen lassen. Nimmt der K<strong>und</strong>e dennoch e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen<br />

Kostenvergleich zwischen <strong>in</strong>dividuellem Automobilbesitz <strong>und</strong> Car Shar<strong>in</strong>g Angeboten<br />

vor, dann wird er bei e<strong>in</strong>er jährlichen Fahrleistung von wenigen Tausend Kilometern<br />

die f<strong>in</strong>anzielle Überlegenheit des Konzepts „Benutzens statt Besitzens“ erkennen.<br />

Neben der klassischen Preisstrategie stehen dem <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />

moderner <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Instrumente offen, die <strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> h<strong>in</strong>reichend<br />

erprobt <strong>und</strong> erforscht s<strong>in</strong>d. Es geht dementsprechend beim <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

auf strategischen <strong>und</strong> operativen Ebenen nicht darum, „das Rad neu zu erf<strong>in</strong>den“, sondern<br />

konventionelle Methoden wie bspw. K<strong>und</strong>enb<strong>in</strong>dungsprogramme oder Sponsor<strong>in</strong>g<br />

zieladäquat e<strong>in</strong>zusetzen (Beitrag Konrad/Scholl; Beitrag Bucher). E<strong>in</strong>e zentrale,<br />

aber ke<strong>in</strong>e unlösbare Herausforderung ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen<br />

Information <strong>und</strong> Animation <strong>in</strong> der Kommunikation (Beitrag Schrader; Beitrag<br />

Belz/Ditze). Für den Erfolg von <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> ist es v.a. bei sozialökologischen<br />

Pionierunternehmen wichtig, die Erkenntnisse aus <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />

des herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> verstärkt e<strong>in</strong>zubeziehen. Es muss berücksichtigt werden,<br />

dass sich <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> nicht durch die Methoden, sondern durch die<br />

erweiterte Zielperspektive <strong>und</strong> die Übernahme von Verantwortung vom klassischen<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> unterscheidet. Umgekehrt – <strong>und</strong> dies leitet zur dritten Ebene über – müssen<br />

v.a. Leaderunternehmen anerkennen, dass sich die aktive Verantwortungsübernahme<br />

nicht nur auf die Produkte <strong>und</strong> Leistungen bezieht, sondern auch auf die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg<br />

von sozial-ökologischen Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen s<strong>in</strong>d, werden auch von Unternehmen<br />

– bewusst oder unbewusst – bee<strong>in</strong>flusst. Diese Bee<strong>in</strong>flussung kann sich auf


Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 251<br />

Gesetze, auf allgeme<strong>in</strong>e Normen <strong>und</strong> Produktkennzeichnungen (z.B. Labels), aber<br />

auch auf allgeme<strong>in</strong>e Deutungsmuster beziehen (z.B. „Öko = teuer“). Neben der erweiterten<br />

Zielperspektive ist dieser Gestaltungsaspekt das zweite Spezifikum des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

gegenüber dem herkömmlichen <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Gesellschaftliche<br />

Strukturen <strong>und</strong> menschliches Verhalten s<strong>in</strong>d nicht exogen vorgegeben, sondern endogen,<br />

d.h. sie können im Laufe der Zeit geändert werden. Während dies im herkömmlichen<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> entweder ignoriert <strong>und</strong> als unbee<strong>in</strong>flussbare Randbed<strong>in</strong>gung akzeptiert<br />

oder nur unter dem Blickw<strong>in</strong>kel des unternehmerischen Eigen<strong>in</strong>teresses verfolgt wird,<br />

steht im <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> das „wohlverstandene Eigen<strong>in</strong>teresse“ im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Wohlverstanden ist e<strong>in</strong> Eigen<strong>in</strong>teresse bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte<br />

dann, wenn es erstens zur Verr<strong>in</strong>gerung sozial-ökologischer Problemlagen (relativ<br />

zum Status Quo) beiträgt <strong>und</strong> es zweitens effektivere Lösungsansätze nicht verh<strong>in</strong>dert<br />

(Beitrag Bilharz). Dies be<strong>in</strong>haltet auch die Bereitschaft zum Wandel <strong>in</strong> der Produktpolitik,<br />

wenn das Eigen<strong>in</strong>teresse konträr zu effektiven sozial-ökologischen Problemlösungen<br />

ist. Für die e<strong>in</strong>zelne Unternehmung ist dies zwar e<strong>in</strong> besonders schwieriges<br />

Terra<strong>in</strong>, aber nicht alles, was im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung <strong>und</strong> der<br />

Allgeme<strong>in</strong>heit als s<strong>in</strong>nvoll angesehen werden kann, erweist sich auch für die e<strong>in</strong>zelne<br />

Unternehmung als zweckmäßig. Mit anderen Worten: Es gibt Gew<strong>in</strong>ner, aber durchaus<br />

auch Verlierer im Rahmen e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung. Hier gilt es, <strong>in</strong>telligente<br />

Übergänge zu entwickeln wie z.B. der viel diskutierte <strong>und</strong> wenig vollzogene Weg von<br />

der Energieproduktion zur Energiedienstleistung (Göll<strong>in</strong>ger 2001, S. 231-340) oder<br />

von der Autoproduktion zur Mobilitätsdienstleistung (Liebehenschel 1999, S. 307-<br />

366). Außerdem zeigt sich auch hier die hohe Anschlussfähigkeit des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<br />

Konzeptes. Es kann unter sozialer Perspektive s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />

Strukturwandel abzufedern oder zu verlangsamen, nicht aber als kritisch e<strong>in</strong>gestufte<br />

Produktionsmuster aufrecht zu erhalten.<br />

Transformativem <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, das sich auf die Veränderung von gesellschaftlichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen bezieht, kommt deshalb beim <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> besondere<br />

Bedeutung zu (Belz 2001, S. 91-99). Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d die Lancierung von<br />

Labels wie die „Bio-Knospe“ oder die von vielen Unternehmen unterstützten Vergütungssätze<br />

für erneuerbare Energien <strong>in</strong> Deutschland durch das Erneuerbare-Energien-<br />

Gesetz (EEG). Das transformative <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> stellt nicht nur e<strong>in</strong>en wichtigen Bauste<strong>in</strong><br />

im Konzept des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> dar, sondern liefert Unternehmen auch e<strong>in</strong>e<br />

hohe gesellschaftliche Legitimation.<br />

Transformatives <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> kann durch e<strong>in</strong>zelne Unternehmen, aber auch im Verb<strong>und</strong><br />

betrieben werden. Dazu gehört im engeren S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> politisches Lobby<strong>in</strong>g für die


252 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

Ausgestaltung nachhaltigkeitsfre<strong>und</strong>licher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Die ÖBU beispielsweise<br />

setzt dies um, <strong>in</strong>dem sie den Schweizer B<strong>und</strong>esparlamentariern regelmäßig e<strong>in</strong><br />

Dialogforum anbietet, parteiübergreifend <strong>und</strong> mit sozial-ökologischen Themen jenseits<br />

der tagespolitischen Agenda. Ziel s<strong>in</strong>d nicht kontroverse, sondern konstruktive Gespräche<br />

zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Politik. In immer neuen Variationen wird den Politikern<br />

präsentiert, dass ökologisches <strong>und</strong> sozialverantwortliches Wirtschaften profitabel<br />

se<strong>in</strong> kann. Das persönliche E<strong>in</strong>treten von erfolgreichen <strong>Nachhaltigkeits</strong>-Pionieren für<br />

entsprechende Regulierungen wirkt dabei vertrauensbildend <strong>und</strong> überzeugend.<br />

Im weiteren S<strong>in</strong>ne unterstützt auch e<strong>in</strong>e fokussierte Öffentlichkeitsarbeit das transformative<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. In den Medien, an Sem<strong>in</strong>aren <strong>und</strong> Konferenzen wird durch die<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>verbände der Unternehmen regelmäßig die Botschaft kommuniziert,<br />

dass Nachhaltigkeit die Wettbewerbskraft stärken kann. Das Zielpublikum besteht<br />

nicht nur <strong>in</strong> Unternehmen, sondern die breite Öffentlichkeit ist angesprochen, welche<br />

als Konsumenten <strong>und</strong> Wähler die Entwicklung maßgeblich mit bee<strong>in</strong>flussen. Die Diskussionen<br />

zeigen, dass nachhaltige Entwicklung bzw. Nachhaltigkeit noch nicht <strong>in</strong> den<br />

Köpfen der Bevölkerung verankert ist. Die gezielte, professionelle Vermittlung der<br />

entsprechenden Informationen (<strong>und</strong> Emotionen) kann zu e<strong>in</strong>er maßgeblichen Erhöhung<br />

des Umsatzes nachhaltiger Produkte <strong>und</strong> Dienstleitungen beitragen. Die Unternehmensverbände<br />

erfüllen bei dieser „Aufklärungsarbeit“ e<strong>in</strong>e wichtige Koord<strong>in</strong>ationsaufgabe,<br />

damit die begrenzten Mittel effizient e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

3 Ausblick<br />

Unternehmen, die aktiv ihre Verantwortung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er nachhaltigen Entwicklung<br />

übernehmen, benötigen Unterstützung sowohl von Seiten der Politik durch die Gestaltung<br />

förderlicher Rahmenbed<strong>in</strong>gungen als auch von Seiten der Konsumenten. So kann<br />

man als Spiegelbild zur Verantwortung von Unternehmen für e<strong>in</strong>e nachhaltige Entwicklung<br />

auch die Verantwortung von Konsumenten auf drei verschiedenen Ebenen<br />

ansiedeln:<br />

� Nachfrage nach sozial-ökologischen Produkten;<br />

� E<strong>in</strong>fordern von Transparenz <strong>und</strong> Information zu den Produkten durch kritische<br />

Konsumenten bzw. Konsumentengruppen;<br />

� Aktive Mitwirkung an der Veränderung <strong>in</strong>stitutioneller Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong><br />

Richtung Nachhaltigkeit (z.B. Mitgliedschaft <strong>und</strong> Teilnahme bei Food Watch,<br />

WWF oder Greenpeace).


Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen 253<br />

Damit die wechselseitige Abhängigkeit von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage nicht <strong>in</strong> lähmenden<br />

Dilemma-Situationen verharrt, <strong>in</strong> denen jeder mit dem Zeigef<strong>in</strong>ger auf den anderen<br />

zeigt, ist es notwendig, dass alle Akteure aktiv den für sie möglichen nächsten<br />

Schritt unternehmen, um so die Schnittmenge zwischen Ökologie <strong>und</strong> Sozialem e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>und</strong> Ökonomie andererseits kont<strong>in</strong>uierlich zu erhöhen. Unternehmen können somit<br />

nicht aus der hier aufgezeigten Verantwortung – die sich auf den drei skizzierten<br />

Ebenen manifestiert – entlassen werden. Es liegt an den Unternehmen, aus dieser Verantwortung<br />

e<strong>in</strong>e Chance für die eigene Unternehmung zu machen. Das Konzept des<br />

<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> bietet jedenfalls – davon s<strong>in</strong>d wir überzeugt – e<strong>in</strong>en geeigneten<br />

Ansatz hierzu. Die theoretischen Chancen s<strong>in</strong>d ausgeleuchtet, praktische Erfolgsbeispiele<br />

weisen den Weg.<br />

Literatur<br />

Balderjahn, I. (2003): Erfassung der Preisbereitschaft. In: Diller, H./Hermann, A.<br />

(Hrsg.): Handbuch Preispolitik, Wiesbaden 2003, S. 387-404.<br />

Balderjahn, I. (2004): Nachhaltiges <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Management. Möglichkeiten e<strong>in</strong>er umwelt-<br />

<strong>und</strong> sozialverträglichen Unternehmenspolitik, Stuttgart.<br />

Belz, F.-M. (2001): Integratives Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Erfolgreiche Vermarktung von ökologischen<br />

Produkten <strong>und</strong> Leistungen, Wiesbaden.<br />

Belz, F.-M. (2002): Nachhaltige Produkt- <strong>und</strong> Leistungs<strong>in</strong>novationen im Bereich Mobilität,<br />

<strong>in</strong>: UmweltWirtschaftsForum (UWF), 10. Jg., Nr. 4.<br />

Belz, F.-M../Pobisch, J. (2004): Shared Responsibility for Susta<strong>in</strong>able Consumption?<br />

The Case of the German Food Industry, Paper accepted and to be presented at the<br />

12 th International Conference of Green<strong>in</strong>g of Industry Network <strong>in</strong> Hong Kong,<br />

November 7-10, 2004, Conference Proceed<strong>in</strong>gs.<br />

Brown, L.R. (1995): Who will Feed Ch<strong>in</strong>a? Wake-Up Call for a Small Planet, New<br />

York 1995.<br />

Dyllick, T. (1982): Gesellschaftliche Instabilität <strong>und</strong> Unternehmungsführung. Ansätze<br />

e<strong>in</strong>er gesellschaftsbezogenen Managementlehre, Bern, Stuttgart 1982.<br />

Gardner, G./Assadourian, E./Sar<strong>in</strong>, R. (2004): The State of Consumption Today. In:<br />

Worldwatch Institute (Hrsg.): State of the World 2004, New York, London 2004,<br />

S. 3-21.<br />

Göll<strong>in</strong>ger, T. (2001): Strategien für e<strong>in</strong>e nachhaltige Energiewirtschaft. E<strong>in</strong> Beitrag zur<br />

Ökologischen Ökonomie, Aachen 2001.<br />

Kaas, K.P. (1992): <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> für umweltfre<strong>und</strong>liche Produkte – E<strong>in</strong> Ausweg aus dem<br />

Dilemma der Umweltpolitik?, <strong>in</strong>: Die Betriebswirtschaft, 52. Jg., Nr. 4,<br />

S. 473-487.


254 Frank-Mart<strong>in</strong> Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz<br />

Liebehenschel, T. (1999): Ökologieorientierte Produkt- <strong>und</strong> Dienstleistungspolitik.<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Trends am Beispiel der Automobil<strong>in</strong>dustrie, Marburg.<br />

Meffert, H./Kirchgeorg, M. (1993): Das neue Leitbild Susta<strong>in</strong>able Development – der<br />

Weg ist das Ziel, <strong>in</strong>: Harvard Bus<strong>in</strong>ess Manager, 15. Jg., 1993, Nr. 2, S. 34-45.<br />

Roome N.J. (1998): Conclusion. Implications for Management Practice, Education,<br />

and Research. Roome, N.J. (Hrsg.): Susta<strong>in</strong>ability Strategies for Industry. The<br />

Future of Corporate Practice, Wash<strong>in</strong>gton, D.C., Covelo, California, S. 259-276.<br />

Petersen, H. (2003): Ecopreneurship <strong>und</strong> Wettbewerbsstrategie. Verbreitung ökologischer<br />

Innovationen auf Gr<strong>und</strong>lage von Wettbewerbsvorteilen, Marburg 2003.<br />

Vatter (2004): Unternehmensleitbild des „logischen Supermarktes Vatter“, Download<br />

[24.12.2004]: http://www.vatter.ch/ueber_uns/<strong>in</strong>dex.htm.<br />

Villiger, A. (2000): Von der Öko-Nische zum ökologischen Massenmarkt. Stand <strong>und</strong><br />

Perspektiven im Lebensmittelsektor, Wiesbaden.<br />

Welford, R. (1995): Environmental Strategy and Susta<strong>in</strong>able Development. The corporate<br />

challenge for the 21 st century, London and New York.<br />

Wüstenhagen, R./Bilharz, M. (2004): Green Energy Market Development <strong>in</strong> Germany:<br />

Effective Public Policy and Emerg<strong>in</strong>g Customer Demand, IWÖ-<br />

Diskussionsbeitrag Nr. 111, St. Gallen.


Autorenangaben<br />

Prof. Dr. Frank-Mart<strong>in</strong> Belz ist seit Sommer 2003 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre<br />

Brau- <strong>und</strong> Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie an der TU München (<strong>TUM</strong> Bus<strong>in</strong>ess<br />

School). An der Universität St. Gallen (HSG) <strong>in</strong> der Schweiz promovierte er 1995 zum<br />

Thema „Ökologie <strong>und</strong> Wettbewerbsfähigkeit von Lebensmittelunternehmen“ <strong>und</strong> habilitierte<br />

sich 2001 zum Thema „Integratives Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“. Als Assistenz-<br />

Professor wirkte er bis 2003 an der Universität St. Gallen. Seit April 2004 ist er Studiendekan<br />

des neu e<strong>in</strong>gerichteten Masterstudiengangs Consumer Science an der TU<br />

München. Aktuell koord<strong>in</strong>iert er zudem das <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är ausgerichtete Verb<strong>und</strong>forschungsprojekt<br />

"Nachhaltiger Konsum <strong>und</strong> Verbraucherpolitik im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert",<br />

welches im Frühjahr 2004 angelaufen ist.<br />

E-Mail: Frank.Belz@wi.tum.de<br />

Michael Bilharz war von 2002 bis 2004 Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Er studierte von 1993 bis 1999 an<br />

der Universität Regensburg Pädagogik <strong>und</strong> Betriebswirtschaftslehre. Von 2000 bis<br />

2002 arbeitete er im DFG-Forschungsprojekt „Förderung ökologischer Kompetenz“<br />

am Lehrstuhl für empirische Pädagogik <strong>und</strong> pädagogische Psychologie an der LMU <strong>in</strong><br />

München. 2003-2004 war er Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Green Energy Market<br />

Development <strong>in</strong> Germany: Effective Public Policy and Emerg<strong>in</strong>g Customer Demand“.<br />

Seit August 2004 bearbeitet er im Rahmen des Verb<strong>und</strong>forschungsprojektes „Nachhaltiger<br />

Konsum <strong>und</strong> Verbraucherpolitik im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“ an der TU München das<br />

Teilprojekt „Nachhaltiger Konsum als strukturpolitisches Instrument der Verbraucherpolitik“.<br />

E-Mail: Michael.Bilharz@mytum.de<br />

Fausta Borsani ist seit 2000 Projektleiter<strong>in</strong> Ethik beim Schweizer Detailhändler<br />

Migros. Sie studierte von 1982 bis 1988 Agrarwirtschaft an der ETH Zürich <strong>und</strong> war<br />

danach bei e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>bauern<strong>in</strong>itiative <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em privaten Ökologie-Büro tätig. Von<br />

1989 bis 1995 arbeitete sie als Umweltbeauftragte <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de Uster. Gleichzeitig<br />

machte sie 1995 den Abschluss des 2-jährigen Nachdiplomstudiengangs „Nachhaltige


256 Autorenangaben<br />

Ressourcenbewirtschaftung“ am Technikum Rapperswil. Von 1995 bis 2000 war sie<br />

Projektleiter<strong>in</strong> bei der Stiftung für Konsumentenschutz für den Bereich „Publikationen<br />

<strong>in</strong> Ethik- <strong>und</strong> Umweltfragen“.<br />

E-Mail: Fausta.Borsani@mgb.ch<br />

Fabian Bucher studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre.<br />

Nach der Matura im Jahr 1999 folgte e<strong>in</strong> halbjähriger Auslandsaufenthalt <strong>in</strong> Australien.<br />

Von 2000 bis 2001 war er als Flight Attendant bei der Swissair beschäftigt. Im<br />

Rahmen se<strong>in</strong>er Bachelor-Arbeit über Öko- <strong>und</strong> Sozio-Sponsor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Telekommunikationsbranche<br />

arbeitete er am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie an der Universität<br />

St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt „Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland<br />

(SMS)“ (2003-2004).<br />

E-Mail: Fabian.Bucher@student.unisg.ch<br />

Daria Ditze arbeitet zur Zeit bei Man Investments <strong>in</strong> Pfäffikon/Schweiz im Product-<br />

Management. Nach der Matura im Jahr 1998 studierte sie Betriebswirtschaftslehre mit<br />

Vertiefung F<strong>in</strong>anzen, Rechnungslegung <strong>und</strong> Controll<strong>in</strong>g an der Universität St. Gallen.<br />

Im März 2004 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab. 2001 arbeitete sie zudem bei Hisalba<br />

(Holcim) <strong>in</strong> Madrid im Bereich Personalmanagement <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>.<br />

E-Mail: dariad@gmx.ch<br />

Gabi Hildesheimer ist seit 1998 Geschäftsleiter<strong>in</strong> der Schweizerischen Vere<strong>in</strong>igung<br />

für ökologisch bewusste Unternehmungsführung (ÖBU) <strong>in</strong> Zürich. Sie studierte von<br />

1979-1985 Biologie an der Universität Zürich <strong>und</strong> war von 1982 bis 1987 Assistent<strong>in</strong><br />

an der Schule für Gestaltung <strong>in</strong> Zürich. Danach arbeitete sie von 1988 bis 1997 als<br />

Projekt- <strong>und</strong> stellvertretende Geschäftsleiter<strong>in</strong> bei envico. Projekte waren u.a. Umweltverträglichkeitsstudien<br />

(z.B. für Straßenbauprojekte <strong>in</strong> den neuen deutschen B<strong>und</strong>esländern).<br />

Sie war <strong>und</strong> ist Mitglied <strong>in</strong> verschiedenen Gremien, u.a. im beratenden<br />

Organ des B<strong>und</strong>esrates <strong>in</strong> Klimafragen, im Stiftungsrat von Documenta Natura (seit<br />

1993) <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Expertengruppe Raum, Umwelt, Energie des B<strong>und</strong>esamtes für Statistik<br />

(seit 2000).<br />

E-Mail: Hildesheimer@oebu.ch


Autorenangaben 257<br />

Birte Karstens ist wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong> an der Professur für Betriebswirtschaftslehre<br />

Brau- <strong>und</strong> Lebensmittel<strong>in</strong>dustrie der Technischen Universität München.<br />

Dort arbeitet sie <strong>in</strong> der Forschungsgruppe „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“<br />

mit dem Ziel der Promotion. Sie studierte von 1998 bis 2004 Betriebswirtschaftslehre<br />

<strong>und</strong> Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg mit den<br />

Schwerpunkten <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>und</strong> Kommunikation. In ihrer Diplomarbeit befasste sie<br />

sich mit dem Thema „Vom Öko- zum <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>: e<strong>in</strong>e theoretische<br />

Diskussion der Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des Verkaufs ökologischer Produkte“.<br />

E-mail: Birte.Karstens@wi.tum.de.<br />

Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg ist Inhaber des Lehrstuhls <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>management an<br />

der HHL – Leipzig Graduate School of Management. In drei Competence Centers<br />

werden an se<strong>in</strong>em Lehrstuhl Forschungsprojekte auf die Bereiche „Ganzheitliche<br />

Markenforschung“, „Medienmanagement“ <strong>und</strong> „<strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>“ ausgerichtet.<br />

Vor zwanzig Jahren begann Prof. Kirchgeorg am Institut für <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> der<br />

Universität <strong>in</strong> Münster mit se<strong>in</strong>en ersten Forschungen zum Umweltmanagement <strong>und</strong><br />

Öko-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong>. Nach se<strong>in</strong>er Promotion über den "E<strong>in</strong>fluss der Ökologie auf das Unternehmensverhalten"<br />

beschäftigte er sich im Rahmen se<strong>in</strong>er Habilitationsschrift mit<br />

dem Themenkomplex des „Marktstrategischen Kreislaufmanagements“. Er hat vielfältige<br />

Lehraufträge an verschiedenen Universitäten im In- <strong>und</strong> Ausland wahrgenommen<br />

<strong>und</strong> ist Mitglied <strong>in</strong> zahlreichen betriebswirtschaftlichen Vere<strong>in</strong>igungen.<br />

E-Mail: Kirchgeorg@market<strong>in</strong>g.hhl.de<br />

Dr. Wilfried Konrad ist seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische<br />

Wirtschaftsforschung (IÖW) im Büro Heidelberg. Er studierte von 1980 bis<br />

1984 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z <strong>und</strong><br />

von 1984 bis 1991 Soziologie an der Universität Frankfurt am Ma<strong>in</strong>. Von 1991 bis<br />

1998 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung <strong>in</strong><br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong> beschäftigt. Hier promovierte er 1996 über die europäische Telekommunikationspolitik<br />

<strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> <strong>in</strong>dustrie- <strong>und</strong> techniksoziologischen Projekten,<br />

bis er 1998 an das IÖW nach Heidelberg wechselte. Se<strong>in</strong>e Tätigkeitsschwerpunkte<br />

s<strong>in</strong>d nachhaltiger Konsum, ökoeffiziente Dienstleistungen, Innovationsforschung <strong>und</strong><br />

produktbezogener Umweltschutz.<br />

E-Mail: Wilfried.Konrad@heidelberg.ioew.de


258 Autorenangaben<br />

Kathar<strong>in</strong>a Leitner promoviert am Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie der Universität<br />

St. Gallen (IWÖ-HSG) zum Thema „E<strong>in</strong>fluss sozial-ökologischer Pionier- <strong>und</strong> Folgerstrategien<br />

auf die Entwicklung von Wettbewerbsfeldern <strong>in</strong> der Lebensmittelbranche“.<br />

Sie studierte von 1993-1999 Biologie <strong>und</strong> hält e<strong>in</strong>en Magister (Master of Science) der<br />

Naturwissenschaften (Biologie/Genetik) der Paris Lodron Universität Salzburg sowie<br />

den European Master <strong>in</strong> Environmental Management der EAEME. Von 2000-2003<br />

war sie <strong>in</strong> Basel an dem Schweizerischen Zentrum für Biosicherheit <strong>und</strong> Nachhaltigkeit<br />

(BATS) beschäftigt. Während der gesamten Laufzeit des Projektes Susta<strong>in</strong>ability<br />

<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS) (2002-2004) leitete sie verschiedene Teilprojekte zur<br />

Lebensmittelbranche. Zur Zeit arbeitet sie bei Swisscom Innovations <strong>und</strong> erstellt im<br />

Rahmen des Forschungsprojektes Vision 2015 e<strong>in</strong>e historische Analyse der Telekommunikationsbranche.<br />

E-Mail: Kathar<strong>in</strong>a.Leitner@unisg.ch<br />

Rita Pant ist <strong>in</strong> der Textilfirma Cosmosupplylab (Hong Kong) als Vizedirektor<strong>in</strong> der<br />

E<strong>in</strong>kaufsabteilung tätig. Nach ihrer Schulausbildung <strong>in</strong> Freiburg nahm sie 1991 bis<br />

1992 am American Culture Programm des Randolph Macon Woman’s College (USA)<br />

teil. Es folgte von 1992 bis 1995 die Ausbildung zur Mode Designer<strong>in</strong> im Studio Bercot<br />

(Frankreich). Von 1995 bis 2001 studierte sie Wirtschaftswissenschaft an der Universität<br />

Witten/Herdecke (Deutschland). Anschließend war sie bis 2003 Assistent<strong>in</strong> am<br />

Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie, Universität St. Gallen (Schweiz).<br />

E-Mail: rita@cosmosupplylab.com<br />

Kathar<strong>in</strong>a Sammer arbeitet seit 2000 als Lehrstuhlassistent<strong>in</strong> am Institut für Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Sie studierte von 1992-2000<br />

Volkswirtschaft <strong>und</strong> Umweltsystemwissenschaften an der Karl-Franzens Universität <strong>in</strong><br />

Graz. 1997 legte sie e<strong>in</strong> Auslandssemester im Rahmen des Erasmus-Programms <strong>in</strong><br />

L<strong>und</strong>/Schweden e<strong>in</strong>. Innerhalb des Forschungsprojektes "Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

Switzerland" (SMS) behandelte sie die Aspekte des <strong>Nachhaltigkeits</strong>-<strong>Market<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> der<br />

Schweizer Baubranche. Derzeit arbeitet sie an e<strong>in</strong>em Projekt des B<strong>und</strong>esamt für Energie<br />

(Schweiz), <strong>in</strong> welchem die E<strong>in</strong>flussnahme der Energieetikette (EU-Energielabel)<br />

auf den Kaufentscheid ermittelt wird.<br />

E-Mail: Kathar<strong>in</strong>a.Sammer@unisg.ch


Autorenangaben 259<br />

Gerd Scholl ist Senior Researcher <strong>und</strong> Projektleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung<br />

(IÖW) im Büro Berl<strong>in</strong>. Er hat von 1987 bis 1993 Volkswirtschaftslehre<br />

<strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Bonn studiert <strong>und</strong> ist seit 1993 als Mitarbeiter im Forschungsfeld<br />

„Ökologische Produktpolitik“ am IÖW beschäftigt. Se<strong>in</strong>e Arbeitsschwerpunkte<br />

s<strong>in</strong>d nachhaltiger Konsum, nachhaltige Dienstleistungen, produktbezogene Umweltpolitik<br />

sowie Umwelt- <strong>und</strong> Soziallabell<strong>in</strong>g. Auftraggeber waren u.a. das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Reaktorsicherheit (BMU), das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Bildung <strong>und</strong> Forschung (BMBF) <strong>und</strong> die Europäische Kommission.<br />

E-Mail: Gerd.Scholl@ioew.de<br />

Dr. Ulf Schrader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>und</strong> Habilitand am Lehrstuhl <strong>Market<strong>in</strong>g</strong><br />

I: Markt <strong>und</strong> Konsum an der Universität Hannover. Er studierte Wirtschaftswissenschaften,<br />

Politologie <strong>und</strong> Soziologie <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen, Dubl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Hannover. Neben<br />

se<strong>in</strong>er Lehrtätigkeit leitete er verschiedene Forschungsprojekte im Themenfeld „Nachhaltiger<br />

Konsum“, unter anderem das von der Deutschen B<strong>und</strong>esstiftung Umwelt geförderte<br />

Projekt „Eigentumsloser Konsum – Untersuchung <strong>und</strong> exemplarische Umsetzung<br />

e<strong>in</strong>es ökologischeren Konsumstils“ (1997-2000), den deutschen Part des von der<br />

EU-Kommission geförderten Forschungsprojekts „Strategies towards the Susta<strong>in</strong>able<br />

Household“ (1998-2001) sowie die Arbeit des Lehrstuhls im BMBF-geförderten Projekt<br />

„Investorenentscheidungen als Determ<strong>in</strong>anten e<strong>in</strong>er nachhaltigen Unternehmensführung“<br />

(2001-2003). Se<strong>in</strong>e Dissertation beschäftigte sich mit der Konsumentenakzeptanz<br />

eigentumsersetzender Dienstleistungen. Se<strong>in</strong>e Forschungsschwerpunkte s<strong>in</strong>d<br />

Ökologisches <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>, Wirtschafts- <strong>und</strong> <strong>Market<strong>in</strong>g</strong>-Ethik, Konsumentenverhalten,<br />

Dienstleistungsmarket<strong>in</strong>g, Nachhaltiger Konsum.<br />

E-Mail: us@muk.ifb.uni-hannover.de<br />

Hugo Skoppek ist bei Eosta als Projektleiter von Nature & More für die <strong>in</strong>haltliche<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Entwicklung des dynamischen Qualitätssystems verantwortlich. Er hat<br />

mehr als 30 Jahre Erfahrung <strong>in</strong> der „Bio-Szene“. Nach dem Studium von Betriebswirtschaft<br />

<strong>und</strong> „Social Development“ arbeitete er während se<strong>in</strong>er beruflichen Laufbahn <strong>in</strong><br />

den verschiedensten Bereichen entlang der Bio-Handelskette. 1985 begann er sich im<br />

Bereich der Qualitätssicherung zu spezialisieren. Se<strong>in</strong>e Kenntnis <strong>und</strong> Kompetenz liegen<br />

im Bereich der Projektentwicklung <strong>und</strong> Zertifizierung/Akkreditierung. Von 1987<br />

bis 2000 hat er als „Certification Manager“ <strong>und</strong> „Executive Director“ führender Kon-


260 Autorenangaben<br />

trollorganisationen <strong>in</strong> den USA maßgeblich an deren <strong>in</strong>haltlicher Gestaltung <strong>und</strong> Qualitätspolitik<br />

beigetragen. Bevor er die neue Herausforderung bei Eosta annahm, konzentrierte<br />

er sich als Geschäftsführer von „Fair Trade Labell<strong>in</strong>g Organisations International“<br />

auf den sozialen Bereich.<br />

E-Mail: Hugo.Skoppek@natureandmore.com<br />

Andreas Walser studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre.<br />

Nach der Matura im Jahr 1998 absolvierte er bis 2000 se<strong>in</strong>en Militärdienst bei der<br />

Schweizer Armee. Im Rahmen se<strong>in</strong>er Bachelor-Arbeit über „Mobiltelefone im Spannungsfeld<br />

von sozial-ökologischen Problemen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enbedürfnissen“ war er am<br />

Institut für Wirtschaft <strong>und</strong> Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt<br />

„Susta<strong>in</strong>ability <strong>Market<strong>in</strong>g</strong> Switzerland (SMS)“ beschäftigt (2003 bis<br />

2004).<br />

E-Mail: Andreas.Walser@student.unisg.ch

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