Guédelon – Bau einer Burg im 21. Jahrhundert - Webmuseum.ch
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Thomas Bitterli-Waldvogel<br />
Die Methode<br />
Detailuntersu<strong>ch</strong>ungen und Verglei<strong>ch</strong>e<br />
von Kreuzrippengewölben von über<br />
dreißig ‚philippinis<strong>ch</strong>en‘ <strong>Burg</strong>en ermögli<strong>ch</strong>ten<br />
es, die Ausführung der<br />
Kreuzrippengewölbe von <strong>Guédelon</strong><br />
bis ins Einzelne festzus<strong>ch</strong>reiben. Bei<br />
allen Details wurde darauf gea<strong>ch</strong>tet,<br />
dass ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>e Besonderheiten<br />
einzelner Ausführungen der Verglei<strong>ch</strong>sbeispiele<br />
ausges<strong>ch</strong>altet und<br />
ledigli<strong>ch</strong> die Gemeinsamkeiten mehrerer<br />
oder aller Verglei<strong>ch</strong>e berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />
werden.<br />
Für die Wahl der Mauerwerksstruktur<br />
bes<strong>ch</strong>ränkt man si<strong>ch</strong> konsequenterweise<br />
auf die lokalen Verglei<strong>ch</strong>sobjekte<br />
Château de Ratilly (13. <strong>Jahrhundert</strong>)<br />
und den Turm von Saint-Saveur-en<br />
Puisaye (11./12. <strong>Jahrhundert</strong>). Struktur<br />
und Größe der <strong>Bau</strong>steine wurden<br />
an ihnen detailliert untersu<strong>ch</strong>t, da als<br />
<strong>Bau</strong>material derselbe rötli<strong>ch</strong>e Sandstein<br />
diente.<br />
Das Vorgehen<br />
Die Bes<strong>ch</strong>reibung der <strong>Bau</strong>ausführung<br />
eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der spezifis<strong>ch</strong>en<br />
Methoden und Te<strong>ch</strong>niken wird vom<br />
<strong>Bau</strong>leiter dem wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Beirat vorgelegt. Dieser best<strong>im</strong>mt die<br />
Bedingungen zur Ausführung, damit<br />
die <strong>Bau</strong>ausführung au<strong>ch</strong> als Exper<strong>im</strong>ent<br />
gilt. Während der Arbeit werden<br />
alle Einzelheiten fotografis<strong>ch</strong> und in<br />
Detailplänen festgehalten. Auf diese<br />
Weise entsteht <strong>im</strong> Laufe der Zeit eine<br />
umfangrei<strong>ch</strong>e Datenbank/Dokumentation<br />
zu allen Details auf der <strong>Bau</strong>stelle.<br />
Dies ist eine Voraussetzung, damit<br />
ein Exper<strong>im</strong>ent am glei<strong>ch</strong>en oder<br />
andernorts wiederholt und überprüft<br />
werden kann.<br />
Ergebnisse der bisherigen<br />
<strong>Bau</strong>tätigkeit<br />
<strong>Bau</strong>unterbre<strong>ch</strong>ung <strong>im</strong> Winter<br />
Um die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fertiggestellten<br />
Mauern vor Frost zu s<strong>ch</strong>ützen, erweist<br />
si<strong>ch</strong> der Stallmist als Abdeckung auf<br />
der Mauerkrone geeigneter als Stroh.<br />
Dur<strong>ch</strong> die Sonneneinstrahlung erwärmt,<br />
hält der Mist die Wärme länger<br />
bzw. s<strong>ch</strong>ützt die gefrorenen Mauerpartien<br />
vor starken Temperaturs<strong>ch</strong>wankungen,<br />
die zu Rissen führen<br />
könnten. Na<strong>ch</strong>teil dieser Abdeckung<br />
ist das vermehrte Zuführen von organis<strong>ch</strong>en<br />
Stoffen, die na<strong>ch</strong> Regen oder<br />
Tauwetter über die Maueroberflä<strong>ch</strong>e<br />
abfließen und die Bildung von Algen<br />
fördern. Erkennbar ist dies an der<br />
grünli<strong>ch</strong>en Oberflä<strong>ch</strong>e großer Mauerpartien.<br />
Aufbau eines Sternrippengewölbes<br />
Die Grundform:<br />
Das Verglei<strong>ch</strong>en der Sternrippengewölbe<br />
ma<strong>ch</strong>te ras<strong>ch</strong> klar, dass für die<br />
fragli<strong>ch</strong>e <strong>Bau</strong>zeit (1230 bis 1240)<br />
das typis<strong>ch</strong>e Gewölbe in den runden<br />
Haupt- und Ecktürmen aus se<strong>ch</strong>s<br />
Rippen besteht. Die <strong>Bau</strong>aufnahmen<br />
der Gewölbe von Château de Yèvrele-<strong>ch</strong>âtel<br />
(Loiret) und von Dourdan<br />
(Essone) dienen als direkte Vorlage<br />
und bilden die Grundlage für die Bes<strong>ch</strong>reibung<br />
der <strong>Bau</strong>ausführung: se<strong>ch</strong>s<br />
Rippen (nervures) ruhen auf je auf<br />
einem Kämpfer (culot); je zwei Rippen<br />
bilden einen einen Rundbogen<br />
(arc en plein cintre) der si<strong>ch</strong> über<br />
den Raum spannt. Die Gewölbesteine<br />
(voussoires) haben eine Stärke von 32<br />
cm und weisen abgefaste Kanten auf<br />
(arète <strong>ch</strong>anfreiné). Die Gewölbekappen<br />
(voutain) bestehen aus Bru<strong>ch</strong>steinen<br />
und liegen auf den Rippenrücken<br />
(extrados) auf.<br />
Lage der Sternrippen:<br />
Als erstes muss die Lage der Sternrippen<br />
best<strong>im</strong>mt werden. Der runde<br />
Raum <strong>im</strong> Bergfried von <strong>Guédelon</strong><br />
hat einen Dur<strong>ch</strong>messer von 7,8 m,<br />
die Grundmauern sind 2,3 m stark.<br />
Abgest<strong>im</strong>mt werden muss die Lage<br />
der Sternrippen mit der Tür- und den<br />
S<strong>ch</strong>artenöffnungen des Raumes; die<br />
Kämpfer müssen in Wandberei<strong>ch</strong>en<br />
liegen, die voll gemauert sind, damit<br />
die Last der Bögen auf die Grundmauer<br />
abgeleitet werden kann. Die<br />
Tür, die den Raum vom Hof her<br />
ers<strong>ch</strong>ließt, best<strong>im</strong>mt die Lage der<br />
Rippen. Die S<strong>ch</strong>litzs<strong>ch</strong>arten müssen<br />
so angeordnet sein, dass sie sowohl<br />
Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Rippen nehmen als<br />
au<strong>ch</strong> den Verteidigungsbedürfnissen<br />
(S<strong>ch</strong>ussri<strong>ch</strong>tungen) entspre<strong>ch</strong>en. Die<br />
Stärke der Gewölbesteine hängt von<br />
der Bogengröße ab; für Bögen mit 3<br />
bis 4 m Dur<strong>ch</strong>messer genügen 25 cm,<br />
für größere Dur<strong>ch</strong>messer werden 32<br />
cm benötigt.<br />
Die Kämpferlinie:<br />
Der runde Unterbau des Raumes wird<br />
bis zur Kämpferlinie (lingne de la<br />
naissance) fertiggestellt. Erkennbar<br />
ist diese Linie be<strong>im</strong> unverputzten<br />
Mauerwerk an der rundumlaufenden<br />
Horizontalfuge. Na<strong>ch</strong> der Lagebe-<br />
st<strong>im</strong>mung der Sternrippen werden<br />
die se<strong>ch</strong>s Kämpfersteine gesetzt und<br />
eingemauert. Dana<strong>ch</strong> folgen auf jeden<br />
Kämpfer die ersten drei Gewölbesteine<br />
(sommier et contre-sommiers), die<br />
ein verlängertes Rückteil aufweisen.<br />
Damit werden sie mit der Füllung des<br />
Turmmauerwerkes verbunden und<br />
bilden eine Art Kragsteine für den<br />
Rippenbogen. Diese Steine werden<br />
ohne Lehrgerüst gesetzt, da sie na<strong>ch</strong><br />
hinten belastet sind.<br />
Aufbau der Rippen mit Lehrgerüst:<br />
Ab dem vierten Gewölbestein (voussoir)<br />
ist das Einri<strong>ch</strong>ten eines Lehrgerüstes<br />
(cintre) nötig. Es besteht<br />
aus se<strong>ch</strong>s Halbrundbögen, verbunden<br />
mit einem zentralen Pfosten und auf<br />
se<strong>ch</strong>s Balken ruhend. Die Holzbogen<br />
müssen genau der Innenwölbung der<br />
Rippen entspre<strong>ch</strong>en. Es ist deshalb<br />
nötig, dass der Steinmetz und der<br />
Z<strong>im</strong>mermann auf demselben Rissboden<br />
arbeiten. Die Balken ruhen auf<br />
einem Satz von Keilen (aus Ei<strong>ch</strong>e),<br />
die Kopf an Fuß (also gegenläufig)<br />
gesetzt wurden. Soll das fertige Gewölbe<br />
ausges<strong>ch</strong>alt werden, so werden<br />
diese Keile langsam wegges<strong>ch</strong>lagen<br />
und die S<strong>ch</strong>alung bzw. das Lehrgerüst<br />
senkt si<strong>ch</strong> ab.<br />
Während das Lehrgerüst eingebaut<br />
wird, beginnt eine zweite Gruppe<br />
von Maurern mit dem Ho<strong>ch</strong>ziehen<br />
der Gewölbewände (Innens<strong>ch</strong>ale des<br />
Turmmauerwerkes), die dann ab <strong>einer</strong><br />
best<strong>im</strong>mten Höhe mit einem Rundbogen<br />
abs<strong>ch</strong>ließen.<br />
S<strong>ch</strong>ließen der Rippenbogen:<br />
Inzwis<strong>ch</strong>en sind alle Gewölbesteine<br />
(a<strong>ch</strong>t Stück je Halbbogen) samt<br />
S<strong>ch</strong>lussstein fertig und warten auf den<br />
Einbau. Drei Arbeitsgruppen von je<br />
zwei Maurern setzen in drei Tagen die<br />
Rippenbogen ein. Die Gewölbesteine<br />
werden in ein Mörtelbett gesetzt, um<br />
die Verteilung der Last an den Stoßflä<strong>ch</strong>en/Fugen<br />
zu begünstigen. Sind die<br />
Gewölbesteine einmal gesetzt, können<br />
sie kaum mehr verrückt werden. Um<br />
Ans<strong>ch</strong>lussfehler be<strong>im</strong> S<strong>ch</strong>lussstein zu<br />
vermeiden, erwies es si<strong>ch</strong> als günstiger,<br />
zuerst den S<strong>ch</strong>lussstein mit den<br />
se<strong>ch</strong>s festen Ans<strong>ch</strong>lussstümpfen auf<br />
das Lehrgerüst zu setzen und erst dann<br />
die Gewölbesteine zu setzen. Dabei<br />
wird vom S<strong>ch</strong>lussstein zum Kragstein<br />
eine Holzlatte, ähnli<strong>ch</strong> wie ein Lineal,<br />
gesetzt, an der die Gewölbesteine ausgeri<strong>ch</strong>tet<br />
und eingesetzt werden. In die<br />
Stoßfugen der Gewölbesteine werden<br />
20 <strong>Burg</strong>en und S<strong>ch</strong>lösser 4/2006