Ole Frahm / Torsten Michaelsen: Hört die anderen Wellen! Zur ...
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schreibt Walter Benjamin in seinem Essay zum zehnten Todestag<br />
Franz Kafkas 1934 29 — 25 Jahre vor den Entdeckungen der<br />
Tonbandstimmenforschung. Mit der Intervention der<br />
Aufzeichnungsme<strong>die</strong>n wird <strong>die</strong> beruhigende und scheinbar<br />
naturwüchsige Verbindung zwischen Körper und Stimme einer Probe<br />
unterzogen, in der sie nicht aufrecht erhalten werden kann. Vom<br />
Zeitpunkt und Ort ihrer Artikulation abgezogen, wird <strong>die</strong> Stimme<br />
nicht wiedererkannt, nicht wiederangeeignet und bleibt somit als<br />
fremder Klang im Raum stehen. Die ersten unheimlichen,<br />
ursprungslosen Stimmen, <strong>die</strong> Menschen in <strong>die</strong> Verwirrung trieben,<br />
waren also ihre befremdlich gewordenen eigenen. Um Einschränkung<br />
bemüht, läßt Benjamin <strong>die</strong>sen Spuk noch in einem von der Außenwelt<br />
abgeschlossenen Experiment stattfinden. Doch wäre es nicht denkbar,<br />
daß sich in den Stimmen, <strong>die</strong> Friedrich Jürgenson 1959 das erste Mal<br />
auf seinem Tonband heimsuchten, nichts anderes niederschlug, als <strong>die</strong><br />
mit der Verbreitung des "Experiments" freigesetzte Gespenstigkeit der<br />
Stimme? Eine Fremdheit, <strong>die</strong> zumindest eine erste Ahnung davon<br />
aufkommen läßt, daß jedes Mal, wenn ich mich über das "'lebendig'<br />
genannte [...] Wort" (Derrida) bei mir selbst heimisch machen will,<br />
etwas anderes mitspricht - und übertönt werden muß.<br />
Wer das nicht hinbekommt, somit <strong>die</strong> Äußerlichkeit der<br />
Stimme nicht auf <strong>die</strong> eigene Identität reduzieren kann und sie deshalb<br />
als fremde wahrnimmt, ist göttliches Medium oder besessen. In<br />
zeitgemäßerer Terminologie bietet es sich am ehesten an, in einem<br />
solchen Fall von Verrücktheit zu reden. Als verrückt wird bezeichnet,<br />
wer den Standards moderner Subjektivität nicht genügt, wer also<br />
beispielsweise nicht weiß, daß er eine eigene Stimme hat (und nur<br />
eine!). Genau <strong>die</strong>se Stimme ist es, <strong>die</strong> seiner Person, seinem Körper,<br />
Gewicht verleiht, indem sie aus ihm austritt und <strong>die</strong> seine bleibt. Mit<br />
<strong>die</strong>ser Stimme ist dann auch politische Partizipation erlaubt. Eine<br />
Auflösung der Bindung hingegen kann sich zu einem individuellen<br />
der eigenen Stimme entweder in der Gewöhnung ihren Schrecken verlor oder gerade<br />
zur Quelle gruseligen Hörgenusses wurde.<br />
29 Benjamin, Walter, Franz Kafka. <strong>Zur</strong> zehnten Wiederkehr seines Todestages. In:<br />
ders., Gesammelte Schriften, Bd. II.2. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 409-<br />
438, hier: S. 436.<br />
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