Carnevalis
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lebhaft gerötete Wangen und einen Stock zwischen seinen<br />
grossen, sehnigen Händen. Trotzdem würde sich bald etwas<br />
Dramatisches ereignen. Er könnte vielleicht einen Schwächeanfall<br />
erleiden oder beim Aussteigen über eine Stufe stolpern<br />
und sich womöglich das Genick brechen. Thea kaute nervös<br />
auf der Unterlippe herum. Erst zweimal war es ihr bisher<br />
gelungen, das Unvermeidliche abzuwenden, dem Schicksal<br />
einen anderen Lauf zu geben. Einmal hatte sie intuitiv eine<br />
Begleiterin aufgefordert, den Raum zu verlassen. Da war sie zu<br />
Besuch bei ihrer Therapeutin, Frau Flammer. Als die Begleiterin<br />
verschwunden war, fühlte sich Frau Flammer befreiter und<br />
konnte bald wieder ihre Arbeit aufnehmen. Beim zweiten Mal<br />
entdeckte sie eine Begleiterin rein zufällig bei einer Kinderschaukel<br />
auf einem Spielplatz. Thea wurde erst misstrauisch,<br />
als sich das Kind zu seiner Mutter drehte, welche telefonierend<br />
auf einer Bank sass. Es jammerte und verlangte, dass die<br />
Mutter es endlich aus dem engen Plastiksitz befreien möge.<br />
Die unheimliche Frau neben dem Kind lächelte und schien<br />
einfach nur zu warten. Doch worauf? Thea sprang entschlossen<br />
über eine Hecke und rannte auf das Kind zu. Dieses<br />
zwängte sich bereits aus der aufgehängten Sitzschale und hielt<br />
sich mit seinen kleinen Wollfäustlingen an den Seilen fest. Es<br />
versuchte sich umzudrehen, um der Mutter stolz zu zeigen,<br />
was es gerade ganz allein vollbracht hatte. Da geriet das Kind<br />
ins Trudeln. Es liess los. Es war zu überrascht, um zu schreien.<br />
Doch bevor es stürzen konnte, hatte Thea es bereits aufgefangen.<br />
Sie stellte das Kind auf den Boden. Es begann natürlich<br />
zu weinen, und jetzt wurde auch die Mutter aufmerksam. Was<br />
sie da bei ihrem Kind zu suchen habe, fragte sie aufgebracht.<br />
«Dieses Kind wäre beinahe aus der Schaukel gefallen», gab<br />
Thea zurück.<br />
«Nein, wäre es nicht«, widersprach die Mutter und nahm<br />
die Tochter schützend in die Arme. «Ist ja gut», tröstete sie es.<br />
«Hat sie dich einfach aus der Schaukel genommen.»<br />
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