01 NIV bei ARDS

ISSN 1682-6833 Erscheinungsort: Wien; Verlagspostamt: A-8600 Bruck/Mur Jahrgang 21, Ausgabe 2/17
NIV bei ARDS:
LUNG SAFEty first
Abb. 1: Patientin mit nicht-invasiver Beatmung
Parade-Indikationen für die nicht-invasive
Beatmung (NIV) sind die hyperkapnische
akute respiratorische/ventilatorische
Insuffizienz und die akute respiratorische
Insuffizienz bei kardialem Lungenödem
(Abbildung 1). Die nicht-invasive Beatmung
kann zwar auch beim ARDS den
Gasaustausch verbessern, die Versagerquote
liegt jedoch selbst in Zentren mit
hoher NIV-Expertise bei mehr als 50%
(Antonelli M; Crit Care Med 2007; 35:18).
In vielen Studien erwiesen sich dabei das
Ausmaß der Oxygenierungsstörung und
die generelle Erkrankungsschwere als
Prädiktoren für NIV-Versagen.
Laut den aktuellen Leitlinien sollte daher
NIV beim ARDS nur im milden ARDS-
Stadium zum Einsatz kommen (Westhoff
M; Pneumologie 2015; 69:719). Aufgrund
der sehr begrenzten Datenlage verzichtet
die Surviving Sepsis Campaign auf eine
Empfehlung zum Einsatz der NIV bei
Sepsis-induziertem ARDS (Rhodes A; Intensive
Care Med 2017; 43:304). Es wird
darauf hingewiesen, dass es - im Gegensatz
zu Indikationen wie COPD-Exazerbation
oder kardiogenem Lungenödem -
bei einem ARDS nur zu einer langsamen
Besserung über Tage oder sogar Wochen
kommt. Eine der wichtigsten Studien der
vergangenen Monate in der Beatmungs-
INHALT
Hämophagozytische Lymphohistiozytose • Beurteilung des Volumenstatus
High Flow Nasal Oxygen Therapie • Insultversorgung • Adrenalin bei Reanimation
Doch kein Abschied von 0.9% NaCl? • Kongresse und Veranstaltungen
www.intensivmedizin.at | www.dgiin.de | www.sepsis-gesellschaft.de | Archiv: www.medicom.cc

NIV bei ARDS
Noninvasive ventilation of patients with acute respiratory distress syndrome.
Insights from the LUNG SAFE Study.
Bellani G, Laffey JG, Pham T, Madotto F, Fan E, Brochard L, Esteban A, Gattinoni L, et al. Am J Respir Crit Care Med 2017;195:67-77
RATIONALE: Noninvasive ventilation (NIV) is increasingly used
in patients with acute respiratory distress syndrome (ARDS). The
evidence supporting NIV use in patients with ARDS remains relatively
sparse.
OBJECTIVES: To determine whether, during NIV, the categorization
of ARDS severity based on the PaO 2 /FiO 2 Berlin criteria is useful.
METHODS: The LUNG SAFE (Large Observational Study to Understand
the Global Impact of Severe Acute Respiratory Failure) study
described the management of patients with ARDS. This substudy
examines the current practice of NIV use in ARDS, the utility of the
PaO 2 /FiO 2 ratio in classifying patients receiving NIV, and the impact
of NIV on outcome.
MEASUREMENTS AND MAIN RESULTS: Of 2,813 patients
with ARDS, 436 (15.5%) were managed with NIV on days 1 and 2
following fulfillment of diagnostic criteria. Classification of ARDS severity
based on PaO 2 /FiO 2 ratio was associated with an increase in intensity
of ventilatory support, NIV failure, and intensive care unit (ICU)
mortality. NIV failure occurred in 22.2% of mild, 42.3% of moderate,
and 47.1% of patients with severe ARDS. Hospital mortality in patients
with NIV success and failure was 16.1% and 45.4%, respectively. NIV
use was independently associated with increased ICU (hazard ratio,
1.446 [95% confidence interval, 1.159-1.805]), but not hospital, mortality.
In a propensity matched analysis, ICU mortality was higher in
NIV than invasively ventilated patients with a PaO 2 /FiO 2 lower than
150 mm Hg.
CONCLUSIONS: NIV was used in 15% of patients with ARDS, irrespective
of severity category. NIV seems to be associated with higher
ICU mortality in patients with a PaO 2 /FiO 2 lower than 150 mm Hg.
medizin ist die LUNG SAFE-Studie,
die 2016 im JAMA publiziert wurde
(Bellani G; JAMA 2016; 315:788).
In der nun erschienenen Folge-Publikation
wurde speziell das Kollektiv der
nicht-invasiv beatmeten Patienten der
LUNG SAFE-Studie beschrieben (Bellani
G; Am J Resp Crit Care Med 2017;
195:67).
Es handelt sich dabei um eine internationale,
multizentrische, prospektive
Kohortenstudie, die während vier konsekutiver
Wochen im Winter 2014 alle
beatmeten Patienten von 459 Intensivstationen
aus 50 Ländern erfasste. Ziel
war es, die ARDS-Inzidenz zu erfassen,
des Weiteren wurden die Charakteristika
der ARDS-Patienten analysiert.
Von den 2813 Patienten mit ARDS
wurden 436 (15.5%) mit NIV an Tag
1 und 2 behandelt. Ein NIV-Versagen
trat bei 22,2% im milden, bei 42,3% im
moderaten und bei 47,1% der Patienten
im schweren ARDS auf. In einer
Propensity-Score-Matching-Analyse
war die Intensivmortalität bei NIV
höher als bei invasiv beatmeten Patienten,
wenn der PaO 2 /FIO 2 -Quotient
< 150 mmHg lag (Abbildung 2).
Die korrekte Diagnosestellung eines
ARDS wurde bei invasiver Beatmung
nur bei 64,2% der Patienten gestellt, bei
NIV jedoch lediglich bei 48,2% der Patienten.
Folgende Limitationen der Studie müssen
aber beachtet werden:
OO
Es wurden alle Patienten (n = 75), die
an Tag 1 mit NIV behandelt wurden,
aber an Tag 2 intubiert wurden, von
der Analyse ausgeschlossen. Dies unterschätzt
die Intubationsrate in der
NIV-Gruppe.
OO
Der Ausgangs-CO 2 -Wert war mit
46 mmHg für ARDS-Patienten relativ
hoch, ein hoher Anteil der Patienten
hatte eine COPD (31%) oder
eine Herzinsuffizienz (15%). Bei
diesen Indikationen ist die NIV besonders
erfolgreich, insofern könnte
dies ebenfalls zu der relativ niedrigen
Intubationsrate beigetragen haben.
OO
Es handelt sich um eine Observationsstudie
zum ARDS allgemein,
ohne Fokus auf die nicht-invasive
Beatmung. So fehlen zum Beispiel
Informationen darüber, welche genauen
NIV-Einstellungen oder auch
welcher NIV-Maskentyp verwendet
wurden. Dies könnte durchaus von
Relevanz sein (Patel BK; JAMA 2016;
315:2435).
OO
BGAs und Ventilatoreinstellungen
wurden nur einmal täglich dokumentiert,
dies mindert die Datenqualität
erheblich. So liegen beispielsweise
auch keine Informationen darüber
vor, wie lange die NIV-Dauer vor der
Intubation war.
OO
Patienten mit High-Flow-Sauerstofftherapie
wurden von der Analyse
ausgeschlossen.
Trotzdem sind die Ergebnisse von hoher
Relevanz. Die Daten der LUNG
SAFE-Studie sind einer der größten
prospektiven Datensätze zum Thema
ARDS sowie zum Unterthema NIV
Nr. 2, 2017 3

NIV bei ARDS
Nicht-invasive Beatmung
Invasive Beatmung
Nicht-invasive Beatmung
Invasive Beatmung
Nicht-invasive Beatmung
Invasive Beatmung
Überlebenswahrscheinlichkeit
Überlebenswahrscheinlichkeit
Überlebenswahrscheinlichkeit
Klein und Moeschberger Test
p-value = 0.0649
Klein und Moeschberger Test
p-value = 0.1228
Klein und Moeschberger Test
p-value = 0.4795
Dauer bis Ereignis (Tage) Dauer bis Ereignis (Tage) Dauer bis Ereignis (Tage)
Abb. 2: Kaplan-Meier-Überlebenskurve der mit NIV oder invasiver Beatmung behandelten ARDS-Patienten (Propensity-Score-Matching-Analyse).
A = Gesamtkohorte, B = Horowitz-Index (PaO 2 /FiO 2 ) < 150, C = Horowitz-Index (PaO 2 /FiO 2 ) ≥ 150 (modifiziert nach Bellani G; Am J Respir Crit Care Med 2017;195:67).
und ARDS. Die Studie untermauert,
dass beim manifesten ARDS eine NIV
nur mit größter Vorsicht durchgeführt
werden sollte. In diesem Zusammenhang
ist es alarmierend, dass die korrekte
Diagnosestellung eines ARDS nur
bei 48,2% der NIV-Patienten erfolgte.
Bei den invasiv beatmeten Patienten
war die Quote nicht viel besser, zudem
wurden 35,1% der intubierten Patienten
mit einem Tidalvolumen > 8 mL/
kg und damit nicht protektiv beatmet,
eine Bauchlagerung wurde selbst beim
schweren ARDS nur bei 16,3% der Fälle
angewendet.
Beim Thema NIV und ARDS muss
auch diskutiert werden, ob Patienten
heute nicht primär mit „High-Flow-
Sauerstofftherapie“ (HFNC) behandelt
werden sollten. In der wichtigsten
Studie zu dieser Thematik, der prospektiven,
randomisierten FLORALI-
Studie, führte die High-Flow-Sauerstofftherapie
zur signifikanten Abnahme
der beatmungsfreien Tage und der
90-Tage-Sterblichkeit im Vergleich zur
NIV (p = 0,006) bei Patienten mit akutem
nicht-hyperkapnischen, hypoxämischen
Lungenversagen (Frat JP; N Engl
J Med 2015; 372:2185, siehe auch Dünser
M; Intensiv-News 5, 2015). Formal
muss angemerkt werden, dass in dieser
4
Studie die Patienten nicht als ARDS-
Patienten klassifiziert wurden.
Demoule et al. haben diesbezüglich einen
Algorithmus für den praktischen
Einsatz von HFNC und NIV bei
ARDS vorgestellt und schlagen vor,
bei Patienten mit ARDS (PaO 2 /FiO 2
≤ 300) primär einen Therapieversuch
mit High-Flow-Sauerstoff durchzuführen
(Demoule A; Intensive Care Med
2016; 42:768).
Nach einer Stunde sollte der Patient erneut
evaluiert werden, zeigt sich dann
keine Verbesserung der Oxygenierung
oder sogar eine respiratorische Verschlechterung,
so sollte der Wechsel auf
NIV erfolgen. Erneut erfolgt nach einer
Stunde eine Evaluierung, zeigt sich keine
Verbesserung der Oxygenierung oder
eine respiratorische Verschlechterung,
so sollte der Patient intubiert werden.
Eine Intubation wird ebenfalls bei hämodynamischer
Instabilität, verminderter
Bewusstseinslage, akutem Nierenversagen
oder einem PaO 2 /FiO 2 -Quotienten
von < 150 empfohlen.
Fazit für die Praxis
Es bleibt nach aktueller Studienlage
dabei, dass NIV beim ARDS generell
nur im milden ARDS angewendet
werden sollte. Im Einzelfall kann man
bei schwer immunsupprimierten Patienten
und hoher Ko-Morbidität versuchen,
die Intubation mit längerdauernder
NIV zu vermeiden. In jedem Fall
muss aber ein engmaschiges Monitoring
erfolgen. Insbesondere eine zu späte
Intubation kann zu einem ungünstigen
Verlauf führen.
Alarmierend ist die Tatsache, dass das
ARDS in vielen Fällen von den behandelnden
Ärzten nicht als solches erkannt
wird. Diesbezüglich müssen Bestrebungen
unternommen werden, um die Diagnosehäufigkeit
zu verbessern. Ein Horowitz-Index
(PaO 2 /FiO 2 ) ≤ 300 bei jedem
beatmeten Patienten sollte zu einer
Diskussion über alle beim ARDS zu ergreifenden
Maßnahmen führen.
Interessenkonflikte: Keine
Prof. Dr. Stefan Kluge
Dr. Dominik Jarczak
Klinik für Intensivmedizin
Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf
skluge@uke.de
Dr. Stephan Braune
IV. Medizinische Klinik
St. Franziskus-Hospital
Münster
Nr. 2, 2017