hatte es im Blut, schon immer, und das sah man ihm an. Außer ein paar Pflichtreitstunden brauchte er keine besondere Vorbereitung für sein Amt. Am Samstag, dem 11. Juli war es richtig heiß. Was die Sonne am Himmel veranstaltete war bald nicht mehr schön, einige sprachen von „unbarmherzig“. Aber so etwas kann ausgewachsene Schützenbrüder nicht bange machen. Zum Antreten waren alle da, zumindest die, die da waren. Auch die Generalität, in schmucken Uniformen, schön anzusehen auf sauber geputzten Pferden. Walter und seine Amazonen. Generalfeldmarschall und Hauptmann hatten ihre Mannen im Griff. In geordnetem Zug, die Reiterei voran, ging es mit klingendem Spiel schweißtriefend zum Königshaus an der Heerstraße, wo nach einem erfrischenden Trunk ein Königsmaien gesetzt wurde, wie ihn „die Welt bisher noch nicht gesehen hatte“. Anschließend wandte sich der farbenprächtige Zug Richtung Altenheim, um den dortigen Bewohnern einen kurzen Besuch abzustatten. Der Einzug über den Park war grandios. Strah-lendes Wetter, ein bunter Schützenzug und zahlreiche freudig erregte Senioren, was wollte man mehr? Zudem gab es auch hier alles an Erfrischungen, was das Herz begehrte: herrlich kühles Bier und Wasser – na ja – für die Pferde. Nachdem er den Heimvorstand und die Bewohner herz- lich begrüßt und sich elegant aus dem Sattel geschwungen hatte, flüchtete auch unser Generalfeldmarschall wie alle anderen, unter die Schatten spendenden Sonnenschirme. Bis jetzt war alles prima gelaufen. Wer hätte je daran gezweifelt? Irgendwann kam dann das Kommando vom Hauptmann Peter: „Fertig machen zum Antreten“. Und so traten sie alle wieder an. Frisch gestärkt und frohen Mutes. Der Königsstaat machte sich im großen Saal für den feierlichen Auszug fertig. Die Generalität saß auf, die Schützenbrüder standen still und Generalfeldmarschall Walter bedankte sich vom Rücken seines Pferdes herab für die freundliche Aufnahme und die Bewirtung und ließ König, <strong>Bruderschaft</strong> und alle Heimbewohner noch einmal hochleben. Und dann zeigte die Hitze ihre Wirkung. An dem einzelnen Bier konnte es nicht liegen, auch nicht an den mitreitenden Amazonen, dass seine Sinne plötzlich benebelt waren. Jedenfalls erteilte er laut und deutlich das Kommando „Rechts um! Im Gleichschritt Marsch!“, und alle taten wie geheißen. Der Generalfeldmarschall ritt voller Stolz über sein bisheriges Tun und zufrieden mit sich selbst in ruhigem Trab an die Spitze des Zuges. Unterwegs verspürte er zwar eine gewisse Unruhe unter den Schützenbrüdern, konnte sich aber keinen Reim darauf machen, bis plötzlich der Ruf erscholl: „Der König fehlt“! Der Ruf kam aus den hinteren Rei-hen des Schützenzuges, wo die „Schlüffkes und effe Schötte“ Aufstellung genommen hatten. Und da wusste er, was er getan hatte, bzw. nicht getan hatte. Er hatte den König im Altenheim vergessen! Er riss sein Pferd herum und sprengte im gestreckten Galopp über den Rasen des Altenheims, machte kurz vor dem Saal eine Vollbremsung, die ihn fast aus dem Sattel hob und holte tief Luft. Innerlich hatte er sich schon mindestens dreimal in denselben getreten, und das sah man ihm an, wie er auf seinem Sattel hin und herrutschte, als säße er in einem Haufen Ameisen. Erst kürzlich hatte er noch über das Missgeschick seines Generalskollegen aus Schier gegrinst, und jetzt das! Noch niemals war ihm ein solches Malheur passiert und er fürchtete jetzt schon die schadenfrohe Strenge des Spießes, die er unerbittlich auf sich zu kommen sah und die der Spieß mit Sicherheit genüsslich auskosten würde. Zutiefst zerknirscht fiel er dem König innerlich zu Füßen und murmelte etwas, das eher einer eigenen Zurechtweisung glich als einer Entschuldigung. Im Saal des Altenheims hatte der Königsstaat mit verdutzten Gesichtern gerätselte, warum sie nicht mitgenommen werden sollten, denn keiner war sich dessen bewusst, dass er eventuell für immer dort bleiben sollte. Umso mehr freuten sie sich daher, dass sie nun doch mit weiter ziehen durften und nicht vergessen worden waren – dank einiger aufmerksamer „effe Schötte“. Es war also ein schwieriges Jahr für die Könige, dieses Jahr 2009, und es wird nicht das letzte bleiben mit solch interessanten menschlichen Zügen. Letztlich fragt sich nur, wer bei diesem „Vergessen“ eigentlich besser dran gewesen wäre, der Schützenkönig in Schier im Vereinslokal oder der <strong>Waldniel</strong>er König im Altenheim. Langfristig, aber wirklich nur ganz langfristig spricht Vieles für den <strong>Waldniel</strong>er König, aber soweit in die Zukunft wollen wir nicht spekulieren. 68 69
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