Wir sind (immer) noch da - Evangelisch in Regensburg

Das Geheimnis der Erinnerung
g Der Urlaub in Italien. Dieses labbrige Geld mit
den vielen Nullen. Die Münzen, die keiner wollte.
Die eigentlichen Telefonmünzen, von denen
man nie genug hatte.
Opas Ausweis mit einer Reichsbanknote darin.
Als Kinder dachten wir, das wäre ein Schatz,
ganz viel Geld. Und konnten uns kaum vorstellen,
dass das in den schlimmsten Zeiten nicht
gereicht hätte um ein Brötchen dafür zu kaufen.
Die Reise nach Israel. Hitze und Abkühlung im
See Genezareth. Zum Glück erfuhr man erst danach,
dass es da Giftschlangen gibt. Der Führer,
der durch alle Sperren kam – weil er wohl beim
Geheimdienst war. Die biblischen Orte, allesamt
mit schrecklichen Kirchen überbaut.
Die Fahrt mit der Mutter nach Schlesien, ohne
Sprachkenntnisse, ohne Ansprechpartner. Das
Haus gefunden, mit den netten Bewohnern
Kaffee getrunken und gemerkt: Meine Mutter
kommt ja vom Land!
Und der herrliche Duft aus der Zigarrenkiste. Als
Kind war das etwas Besonderes, auch Verbotenes.
Wie wir dem Großvater eine Zigarette
geklaut und sie heimlich geraucht haben unter
schrecklichem Gehuste.
Was steckt in dieser Kiste alles drin! Es sind nur
Münzen, die zusammengerechnet wahrscheinlich
nur ein paar Euro ausmachen. Aber trotzdem
steckt darin ein ganzer Schatz. Jede Münze
erzählt eine Geschichte, jedes Stück ist auch ein
Stück meines Lebens.
Und doch sind so viele Erlebnisse tief in mir
vergraben. Sind verborgen unter dem ganzen Anderen,
das mich erfüllt. Scheinbar sind sie vergessen,
so als wäre es nie gewesen. Doch dann reicht
ein kleiner Anstoß, ein kleiner Auslöser – und
alles ist auf einmal wieder präsent und greifbar,
als ob es gerade erst gewesen sei.
Forscher führen das darauf zurück, dass unser
Gehirn zwar alles speichert, aber nur die (fürs
Überleben in der Wildnis) wichtigen Dinge im
Vordergrund lässt. Damit wird gewährleistet, dass
wir nicht im Überfluss der Eindrücke und Erinnerungen
versinken.
Und doch ist es gut, wenn wir uns erinnern
können. An die schönen Tage, an die gelungenen
Momente, an alles, was uns Kraft gegeben hat.
Und dann mögen ein paar Fotos oder so eine
Münzkiste reichen, um das alles wieder hervorzuholen.
Denn der Schatz schlummert nicht in der Zigarrenkiste,
sondern er ist in uns. Wir tragen so viel
Wertvolles mit uns herum und erinnern uns meist
nicht daran.
Deshalb vielleicht diese Urlaubsübung: Sich Zeit
nehmen, egal ob Sie am Strand liegen oder in den
Bergen die Aussicht genießen oder im Liegestuhl
sitzen. Sich Zeit nehmen und in Erinnerungen
schwelgen. Suchen Sie sich kleine Auslöser oder
spinnen Sie einfach ein wenig zurück. Sie werden
staunen, was sie finden. Und bestehen Sie darauf,
dass es die schönen Seiten sind, die Sie betrachten.
Alles andere kann wieder verschwinden.
Klaus Weber
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