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la juive – die jüdin

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johann jacob Heinrich ebers<br />

Was <strong>die</strong> musik betrifft, so hat der Dilettant von derselben folgenden eindruck genommen:<br />

zuerst so unterscheidet sie sich von vielen anderen <strong>die</strong>ser zeit durch wahre gründlichkeit,<br />

auch durch eine innere Consequenz; sie unterstützt <strong>die</strong> leidenschaften überall und hebt sie<br />

gewaltig hervor, sie ist den letzten arbeiten aubers weit vorzuziehen; der Maskenball 4 ,<br />

obwohl melodischer, verschwindet vor <strong>die</strong>sen harmonien in nichts. Wie wenig aber auber<br />

reich an melo<strong>die</strong>n, so hat halévy für <strong>die</strong>se seine oper das melodische prinzip noch mehr<br />

verschmäht; überreich an harmonie ist sie eigentlich arm an melo<strong>die</strong>; <strong>–</strong> aber sie ist dramatisch<br />

und übertrifft in <strong>die</strong>ser Beziehung <strong>–</strong> vielleicht <strong>–</strong> das meiste, was uns <strong>die</strong> neue opern-musik<br />

gegeben hat, namentlich alles was uns <strong>die</strong> neuen italiäner geboten hatten, sie übertrifft<br />

hierin: rossinis bessere Sachen, seinen Tell z.B.; noch mehr: <strong>die</strong> Bellinischen. Sie übertrifft<br />

<strong>die</strong> Montechi und Capuleti und norma, während <strong>die</strong>se von herrlichen melo<strong>die</strong>n überfließen.<br />

trotz dem, dass <strong>die</strong> halévysche oper an <strong>die</strong>sen letzteren mangel leidet, und ungeachtet<br />

allem, was darin melodiös genannt werden möchte, z.B. einige Stellen, welche eudora singt<br />

<strong>–</strong> anderes ist uns nicht zu gehör gebracht worden <strong>–</strong> als schwach zu bezeichnen ist; allem<br />

dessen ungeachtet und allem instrumententoben zum trotz hat halévy dennoch <strong>die</strong><br />

menschenstimme, <strong>die</strong>se hauptsache im musikalischen Drama wohl bedacht, und ich<br />

möchte im gegenteil auch ganz und gar nicht behaupten, dass er der Stimme etwas<br />

zugemuthet, was sie nicht zu leisten vermöchte; wovon sich auch ein jeder, der nun den<br />

C<strong>la</strong>vier-auszug (Berlin bei Schlesinger) durchgeht, vollkommen überzeugen kann. Wenn<br />

auch <strong>die</strong> einzelnen Stellen und Solis und kleineren ensembles mit instrumenten begleitet,<br />

und so begleitet sind <strong>–</strong> z.B. mehrfältig im zweiten akt <strong>–</strong> dass man verzweifelt, wie das so<br />

fort gehen, und was nun den Chören geboten werden soll, so wird man doch dahin geleitet<br />

einzusehen, dass überall fleiß, Sicherheit, oekonomie, letztere in Bezug auf den großen<br />

reichthum des ganzen, bemerkbar sind. man wird also <strong>die</strong> halévysche musik auch in<br />

<strong>die</strong>ser Beziehung als eine der besten <strong>die</strong>ser zeit bezeichnen dürfen. [...]<br />

für den musikalischen wie dramatischen g<strong>la</strong>nzpunkt der oper halte ich den zweiten act.<br />

vortrefflich sind hier alle Bewegungen und erregungen des menschlichen gemüthes<br />

behandelt, wie herrlich und ergreifend ist der erste Chorgesang, wie richtig behandelt <strong>die</strong><br />

Scene, während eudora den Schmuck erhandelt und leopold gegenwärtig sein muß. noch<br />

besser <strong>die</strong> Scene, in der sich leopold mit recha zur flucht verständiget; <strong>die</strong> erwartung der<br />

recha, ihr kampf mit liebe und pflicht in dem schönen Duett, nachdem sie in ihrem<br />

geliebten den Christen entdeckt hat. Der eintritt eleazars am Schluss ist groß und würdig,<br />

und das Schlussterzett, in dem sich alles das zusammenstellt, was liebe, haß, zorn, Scham<br />

und verachtung in der menschenbrust zu erwecken und zu vereinigen vermögen, hat<br />

<strong>–</strong> wenigstens auf mich <strong>–</strong> einen großen eindruck hinter<strong>la</strong>ssen, ich möchte es wieder den<br />

g<strong>la</strong>nzpunkt <strong>die</strong>ses ganzen nennen. endlich ist noch auf den wirklich-tragisch-musikalischen<br />

effekt aufmerksam zu machen, der im dritten akt hervorgebracht wird, wo recha mitten<br />

hinein in den jubel des festmahls mit der fackel der rache und des gekränkten Stolzes<br />

hineintritt: „haltet ein und nehmt zurück das zeichen.“ alle leidenschaften werden hier in<br />

Bewegung gebracht, <strong>die</strong> rache, der zorn, <strong>die</strong> furcht (eleazars „Sei still recha“), mut,<br />

erstaunen, entsetzen, der fluch der kirche, der donnernd eintritt; das letzte zusammentreten<br />

aller Stimmen hat etwas wahrhaft ergreifendes. für <strong>die</strong> Beurtheilung eines Dilettanten, der es<br />

sich versagen muß, in <strong>die</strong> musikalischen einzelheiten einzugehen und nicht <strong>die</strong> fertigkeit<br />

eines heinse, Weber und hoffmann besitzt, <strong>die</strong> musikalischen formen dem auge vorzustellen,<br />

ist das, was ich im einzelnen und über dasselbe gesagt vielleicht schon zu viel, genug aber, um<br />

den kunstfreund auf den Werth der oper aufmerksam zu machen. [...]<br />

halévy ist <strong>die</strong> verherrlichung des judentums weit besser gelungen 5 , d.h. nicht vor unserer<br />

christlichen ansicht; aber vollkommen in der von ihm aufgefassten nicht christlichen, von<br />

seinem Standpunkte aus also ganz richtig festgehaltenen und durchgeführten; <strong>–</strong> dramatisch<br />

wie musikalisch. Seine Strenge hat ebenfalls das melodische prinzip ausgeschlossen und<br />

verschmäht, und an dessen Stelle das harmonisch-dramatische gestellt, ihm ist aber bei der<br />

musikalischen Behandlung der Stoff selbst zugute gekommen, der wenig sanfte melo<strong>die</strong>n<br />

vertragen möchte. Denn selbst <strong>die</strong> zarten regungen des gemüths gehen auf, in fast wilder<br />

leidenschaft, und in ewig aufgeregten affekten. man muss bewundern, mit welcher<br />

musikalischen Consequenz der 2te und zum Theil der 3te act und <strong>die</strong> hauptscenen im<br />

4ten acte durchgeführt, und wie sowohl dramatisch als ganz besonders musikalisch sich<br />

alles auf <strong>die</strong> hauptsache hinwendet, während je länger je mehr alle interessen in den<br />

hintergrund treten. leopold verschwindet mit dem 3ten act, eudoras liebe erblicken wir<br />

nur noch im anfang des vierten, und sie wird von der größe der Seele der <strong>jüdin</strong> so verdrängt,<br />

dass, so wie sie <strong>die</strong> Bühne verlässt, weder für sie noch für leopold irgendeine Theilnahme<br />

übrig bleibt; ja noch mehr, <strong>die</strong> Sorge und <strong>die</strong> angst des Cardinals um seine verlorene<br />

tochter erregt geringen antheil, denn kaum ahnet man, dass recha <strong>die</strong>ses kind sei; ebenso<br />

ist das letzte ende vollkommen sicher, in der musik wie in der dramatischen ausführung<br />

behandelt. nur indem das mädchen sich aufopfert, sich selbst in <strong>die</strong> f<strong>la</strong>mmen stürzt, und<br />

der jude, nachdem er seine rache erfüllt und seinem g<strong>la</strong>uben das höchste opfer gebracht<br />

zerknirscht zusammen stürzt, löset sich aus unserer Brust der Schrei des entsetzens. aber<br />

läugnen kann niemand, dass <strong>die</strong> apotheose eines gewaltigen, alles irdische vernichtenden<br />

religiösen g<strong>la</strong>ubens, vollständig in dem Sinne halévy’s erreicht ist; ja so groß ist <strong>die</strong> gewalt<br />

<strong>die</strong>ser musik und <strong>die</strong>ser handlung, dass sich gar kein anderes gefühl in uns mehr zu ent-<br />

wickeln vermag, als das interesse an der hauptperson des Dramas.<br />

4) Das heißt <strong>die</strong> von auber komponierte oper Gustave iii. 5) als Spohr <strong>die</strong> des Christentums in seinem oratorium des Hei<strong>la</strong>nds letzte Stunden<br />

> eine der besten Musiken <strong>die</strong>ser Zeit<br />

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