NPHM_Herbst 2015
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WERKEINFÜHRUNG<br />
Grummeln in der Tiefe erzeugt. Zuletzt zieht das Gewitter ab; man hört nur<br />
noch leise den fernen Donner, und ein choralartiges Motiv in den Oboen<br />
und Violinen drückt die Erleichterung über die überstandene Gefahr aus.<br />
Dies wird noch deutlicher im abschließenden Allegretto mit dem Untertitel<br />
Hirtengesang: Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Bei der Uraufführung<br />
hieß der Satz sogar Wohlthätige, mit Dank an die Gottheit verbundene<br />
Gefühle nach dem Sturm. Der Kreis schließt sich: Empfindungen im Kopfsatz,<br />
Gefühle im Finale. Dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass die Sinfonie,<br />
wie so vieles bei Beethoven, prozesshaft angelegt ist und auf den Schlusssatz<br />
als das eigentliche Ziel hinsteuert. So wie in der Fünften die Konflikte der<br />
Moll-Sätze im Finale überwunden sind, so ist es hier der Konflikt in der Natur<br />
selbst, der im Gewitter kulminiert. Der Hirtengesang erklingt im 6/8-Takt,<br />
dem klassischen Taktschema der Pastoralmusiken, und das Rondothema ist<br />
aus einfachsten Dreiklangstönen aufgebaut, wie von einem Blasinstrument,<br />
das nur die Obertöne eines festen Grundtons wiedergeben kann. Doch so<br />
schlicht das auch ist: es ist zugleich so charakteristisch, dass der Komponist<br />
sich erlauben kann, das Thema bei einer späteren Wiederkehr auf die harmonische<br />
Struktur zu reduzieren. Jeder Hörer ergänzt die zugehörige Melodie<br />
unwillkürlich im Kopf. Ganz zuletzt scheint der Satz im Pianissimo, quasi im<br />
Fade-out zu verklingen, da setzt Beethoven mit zwei Akkorden im Fortissimo<br />
doch noch einen markanten Schlusspunkt.<br />
Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei: dieses vielzitierte Wort ließ Beethoven<br />
auf der Originalpartitur und ebenso auf dem Programmzettel der<br />
Uraufführung abdrucken. Der Komponist wollte seine Sinfonie eben nicht als<br />
bloße Programmmusik verstanden wissen, als reine Illustration außermusikalischer<br />
Vorgänge, sondern in erster Linie als ein autonomes Kunstwerk, des<br />
bestimmte Stimmungen hervorruft. An zwei Stellen, beim Vogelruf und beim<br />
Gewittersturm, hat Beethoven dieses Prinzip fast durchbrochen und mehr<br />
Malerei als Ausdruck der Empfindung komponiert. Doch sind dies Episoden,<br />
eingebettet in einen musikalischen Kontext, wo sie ihren Platz haben: der<br />
Vogelruf mündet in den lyrischen Schluss des langsamen Satzes, der Gewittersturm<br />
geht in das Choralmotiv und letztlich in den Hirtengesang über.<br />
Und wie um das Primat der reinen Musik zu betonen, gestaltet Beethoven das<br />
einleitende Allegro und das Andante als besonders sorgfältig ausgearbeitete<br />
Sonatensätze, und das Finale genügt allen Regeln der Rondoform. Diese Kombination<br />
von außermusikalischer Thematik und formellem Feinschliff hat auf<br />
nachfolgende Komponistengenerationen einen tiefen Eindruck gemacht und<br />
den Anstoß gegeben zur Entwicklung der mehrsätzigen Programmsinfonie<br />
– als Alternative zur einsätzigen Sinfonischen Dichtung, die ihre Wurzeln in<br />
den Konzertouvertüren hat. Werke wie die Symphonie fantastique von Berlioz,<br />
die Faust- und Dante-Sinfonie von Liszt und die Sinfonia domestica von Richard<br />
Strauss wären ohne das Vorbild von Beethovens Pastorale nicht denkbar.<br />
Reinhard Szyszka<br />
Fotos/Titelbilder: wikipedia, Fotolia