12.05.2017 Aufrufe

NPHM_Herbst 2015

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WERKEINFÜHRUNG<br />

Grummeln in der Tiefe erzeugt. Zuletzt zieht das Gewitter ab; man hört nur<br />

noch leise den fernen Donner, und ein choralartiges Motiv in den Oboen<br />

und Violinen drückt die Erleichterung über die überstandene Gefahr aus.<br />

Dies wird noch deutlicher im abschließenden Allegretto mit dem Untertitel<br />

Hirtengesang: Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Bei der Uraufführung<br />

hieß der Satz sogar Wohlthätige, mit Dank an die Gottheit verbundene<br />

Gefühle nach dem Sturm. Der Kreis schließt sich: Empfindungen im Kopfsatz,<br />

Gefühle im Finale. Dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass die Sinfonie,<br />

wie so vieles bei Beethoven, prozesshaft angelegt ist und auf den Schlusssatz<br />

als das eigentliche Ziel hinsteuert. So wie in der Fünften die Konflikte der<br />

Moll-Sätze im Finale überwunden sind, so ist es hier der Konflikt in der Natur<br />

selbst, der im Gewitter kulminiert. Der Hirtengesang erklingt im 6/8-Takt,<br />

dem klassischen Taktschema der Pastoralmusiken, und das Rondothema ist<br />

aus einfachsten Dreiklangstönen aufgebaut, wie von einem Blasinstrument,<br />

das nur die Obertöne eines festen Grundtons wiedergeben kann. Doch so<br />

schlicht das auch ist: es ist zugleich so charakteristisch, dass der Komponist<br />

sich erlauben kann, das Thema bei einer späteren Wiederkehr auf die harmonische<br />

Struktur zu reduzieren. Jeder Hörer ergänzt die zugehörige Melodie<br />

unwillkürlich im Kopf. Ganz zuletzt scheint der Satz im Pianissimo, quasi im<br />

Fade-out zu verklingen, da setzt Beethoven mit zwei Akkorden im Fortissimo<br />

doch noch einen markanten Schlusspunkt.<br />

Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei: dieses vielzitierte Wort ließ Beethoven<br />

auf der Originalpartitur und ebenso auf dem Programmzettel der<br />

Uraufführung abdrucken. Der Komponist wollte seine Sinfonie eben nicht als<br />

bloße Programmmusik verstanden wissen, als reine Illustration außermusikalischer<br />

Vorgänge, sondern in erster Linie als ein autonomes Kunstwerk, des<br />

bestimmte Stimmungen hervorruft. An zwei Stellen, beim Vogelruf und beim<br />

Gewittersturm, hat Beethoven dieses Prinzip fast durchbrochen und mehr<br />

Malerei als Ausdruck der Empfindung komponiert. Doch sind dies Episoden,<br />

eingebettet in einen musikalischen Kontext, wo sie ihren Platz haben: der<br />

Vogelruf mündet in den lyrischen Schluss des langsamen Satzes, der Gewittersturm<br />

geht in das Choralmotiv und letztlich in den Hirtengesang über.<br />

Und wie um das Primat der reinen Musik zu betonen, gestaltet Beethoven das<br />

einleitende Allegro und das Andante als besonders sorgfältig ausgearbeitete<br />

Sonatensätze, und das Finale genügt allen Regeln der Rondoform. Diese Kombination<br />

von außermusikalischer Thematik und formellem Feinschliff hat auf<br />

nachfolgende Komponistengenerationen einen tiefen Eindruck gemacht und<br />

den Anstoß gegeben zur Entwicklung der mehrsätzigen Programmsinfonie<br />

– als Alternative zur einsätzigen Sinfonischen Dichtung, die ihre Wurzeln in<br />

den Konzertouvertüren hat. Werke wie die Symphonie fantastique von Berlioz,<br />

die Faust- und Dante-Sinfonie von Liszt und die Sinfonia domestica von Richard<br />

Strauss wären ohne das Vorbild von Beethovens Pastorale nicht denkbar.<br />

Reinhard Szyszka<br />

Fotos/Titelbilder: wikipedia, Fotolia

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!