Haltung, muskuläre Balance und Training - Biomechanik und ...
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4.3 Untersuchungen zur hiomechanischen Analyse der menschlichen<br />
Körperhaltung<br />
Immer wieder begegnet man in der Literatur der Meinung, der menschliche Körper<br />
könne auch ohne Muskelaktivität aufgr<strong>und</strong> seiner passiven Haltevorrichtungen in einer<br />
aufrechten <strong>Haltung</strong> verbleiben 3 9 Dieser Standpunkt kann jedoch schnell durch den<br />
Versuch, einen ohnmächtigen oder schlafenden Menschen in einer aufrechten Körperstellung<br />
zu fixieren, widerlegt werden4 0<br />
Liegt der Schwerpunkt eines Körperteils nicht senkrecht oberhalb des folgenden kau<br />
dal gelegenen Gelenkes, muß dem Drehmoment. das die Schwerkraft diesem Körper<br />
teil verleiht, durch Muskelkraft ein entgegengerichtetes Drehmoment entgegengesetzt<br />
werden. Bei der Untersuchung der Statik der menschlichen Körperhaltung ist zum<br />
einen die Lage des Körperschwerpunktes <strong>und</strong> der Körperteilschwerpunkte <strong>und</strong> zum<br />
anderen die Position der Drehachsen von Interesse. Von der Kenntnis dieser Faktoren<br />
kann auf die Aktivität der Muskulatur geschlossen werden <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
Neben theoretischen Überlegungen <strong>und</strong> Untersuchungen an Modellen (STORCK<br />
1951), innerhalb derer die Lage des Körperschwerpunktes <strong>und</strong> der Körperteilschwer<br />
punkte berechnet werden. ermöglichen vor allem die Plattform-Standanalyse <strong>und</strong> die<br />
Elektrornyographie wertvolle Erkenntnisse.<br />
Bei der EMG-Analyse im Rahmen der Untersuchung der Körperhaltung werden Mus<br />
kelaktionsströme gemessen, um das Aktivitätsmuster der Muskulatur unter den ver<br />
schiedenen <strong>Haltung</strong>sbedingungen qualitativ <strong>und</strong> quantitativ bestimmen zu können. Bei<br />
der Bestimmung, welche Muskeln bei der <strong>Haltung</strong> aktiviert werden, treten Wider<br />
sprüche auf. Diese resultieren einerseits aus Unterschieden in den Methoden<br />
(GROENEVELD 1976, 31 f.) <strong>und</strong> andererseits aus der Tatsache, daß die Teilschwer<br />
punkte bei intra- <strong>und</strong> interindividuell unterschiedlichen Körperhaltungen verschieden<br />
große <strong>und</strong> ggf. entgegengerichtete Drehmomente in den entsprechenden kaudal gele<br />
genen Gelenken verursachen, denen dann mit unterschiedlichen "Gegenschwerge<br />
wichtsrnuskeln" (ASMUSSEN 1960,289) entgegengearbeitet werden muß.<br />
39 "Wir lassen die Muskeln ruhen, wenn das Zusammenspiel von Schwerkraft <strong>und</strong><br />
Haltebändern genügt, um unsere <strong>Haltung</strong> zu sichern." (SCHEDE 1969.50) "Die<br />
tiefe Ruhehaltung ist dadurch gekennzeichnet, daß der Rumpf sich mechanisch<br />
auspendelt, so daß keine aktive Muskelspannung notwendig ist." (MATTHlASS<br />
1977,69) "Der Mensch vermag auch ohne aktive Muskelkraft ruhig zu stehen."<br />
(SCHOLTZMETHNER 1976, 111) Bei SCHIEBLER u.a. (1987,375) wird von<br />
einem "a<strong>muskuläre</strong>n Stand" gesprochen,<br />
40 "As Steindler (1955) showed, a completly passive equilibrium is impossible<br />
because the centres of gravity of the links and the movernent-centres of the joints<br />
between them cannot be all brought to coincide perfectly with the common line of<br />
gravity." (BASMAJIAN 1974, 177)<br />
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ASMUSSEN (1960), ASMUSSEN u.a. (1962), KLAUSEN (1965) <strong>und</strong> KLAUSEN<br />
u.a. (1978) weisen in überzeugender Weise für die Bauch- <strong>und</strong> Rückenmuskeln nach,<br />
daß eine normative Einteilung dieser antagonistischen Rumpfmuskeln in <strong>Haltung</strong>s<br />
<strong>und</strong> Bewegungsmuskeln weder durch elektromyographische - noch durch Plattform<br />
Untersuchungen belegt werden kann. Diese Untersuchungen werden aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
zentralen Bedeutung im folgenden ausführlich dargestellt.<br />
ASMUSSEN (1960) wählte unter Bezugnahme auf AKERBLOM (zit. bei AS<br />
MUSSEN. 279) einen bemerkenswert ideenreichen <strong>und</strong> innovativen Versuchsauf<br />
bau41, um die horizontale Position der Vertikalen durch den Teilschwerpunkt der<br />
Körpermasse oberhalb des 4. Lendenwirbelkörpers zu bestimmen. Bei diesem Ver<br />
suchsautbau standen die Probanden in einem Behälter <strong>und</strong> waren bis zum oberen Rand<br />
des Kreuzbeines in Wasser eingetaucht, so daß die darunterliegenden Körperteile<br />
praktisch gewichtslos waren. Durch eine Kraftmeßplane, die sich in dem Behälter be<br />
fand, konnte die vertikale Position des Oberkörperteilschwerpunktes bestimmt <strong>und</strong> mit<br />
der Vertikalen durch den Gehörgang in Beziehung gesetzt werden. Dabei lag die<br />
Oberkörperschwerpunktlinie im Durchschnitt um 1,3 cm vor der Vertikalen durch den<br />
Gehörgang mit einer Streubreite von -3 cm bis +4,2 cm. Bei einem Meßfehler von<br />
maximal I cm folgerten die Autoren, daß die Oberkörperschwerelinie um mehrere<br />
Zentimeter bzgl. der Vertikalen durch den Gehörgang schwankt. Trotz dieser Un<br />
sicherheit wurde bei den weiteren Messungen die Vertikale durch den Gehörgang als<br />
beste Annäherung an die Oberkörperschwerpunktlinie zugr<strong>und</strong>egelegt (279).<br />
Die Ergebnisse einer röntgenologischen Studie bewegten den Autor zu der<br />
Annahme42, daß die Oberkörperschwerpunktlinie im Durchschnitt ventral vor dem<br />
4. Lendenwirbel liegt (280).<br />
Bei seinen elektromyographischen Untersuchungen wurde die elektrische Aktivität des<br />
lumhalen Anteils des M. erector spinae <strong>und</strong> des M. rectus abdorninis bei 22 Pro<br />
banden in Ruhehaltung erfaßt. Die Versuche hatten die folgenden Ergebnisse:<br />
I. Bei den verschiedenen Probanden ließ sich bei der Ruhehaltung jeweils ausschließ<br />
lich bei einer der beiden antagonistischen Muskelgruppen elektrische Aktivität<br />
nachzuweisen.<br />
2. Dabei waren in 19 Fällen die Rückenstrecker - <strong>und</strong> in 3 Fällen die Bauchmuskeln<br />
aktiv (283).<br />
41 LEGER vertrat 1959 die Meinung, daß sich die Lage der Einzelschwerpunkte<br />
lediglich an Leichen bestimmen ließe (15).<br />
42 ASMUSSEN schreibt: " ... it seems reasonable to assume [m.H.1 that on an<br />
average and for the majority the line of gravity runs ventrally to the center of the<br />
most prominent lumbar vertebra, L 4." (280) Dabei ist das Verb "to assume"<br />
vermutlich eine Konzession an das Verfahren. als Parameter für die<br />
Oberkörperschwerelinie die Vertikale durch den Gehörgang zugr<strong>und</strong>ezulegen.