10 Hohe Hepatitis-A-Immunitätsrate bei Flüchtlingen in Deutschland
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Orig<strong>in</strong>alien<br />
Anteil <strong>in</strong> %<br />
<strong>10</strong>0<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
weiblich<br />
männlich<br />
ausreichende<br />
Immunität<br />
ke<strong>in</strong>e ausreichende<br />
Immunität<br />
Abb. 3 8 Geschlechtsabhängige HAV-Immunität<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Flüchtl<strong>in</strong>gskohorte. Ausreichende<br />
Immunität mit HAV Ig > 20 IU/ml; ke<strong>in</strong>e<br />
ausreichende Immunität mit HAV Ig < 20 IU/ml<br />
Ausbrüche akuter HAV-Infektionen<br />
<strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gsheimen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Literatur<br />
beschrieben [13, 14], größerer Ausbrüche<br />
<strong>in</strong>e<strong>in</strong>emFlüchtl<strong>in</strong>gslagerersche<strong>in</strong>en<br />
aber <strong>bei</strong> der hier beobachteten <strong>Immunitätsrate</strong><br />
von 90 %, selbst <strong>bei</strong> unzureichenden<br />
hygienischen Bed<strong>in</strong>gungen,<br />
eher unwahrsche<strong>in</strong>lich. Dennoch muss<br />
berücksichtigt werden, dass gerade <strong>bei</strong><br />
Erwachsenen oder <strong>bei</strong> Ko<strong>in</strong>fektionen mit<br />
anderen viralen Hepatitiden (<strong>Hepatitis</strong> B,<br />
<strong>Hepatitis</strong> C etc.) schwere kl<strong>in</strong>ischen Verläufe<br />
auftreten können, die bis h<strong>in</strong> zum<br />
fulm<strong>in</strong>anten Leberversagen führen können.<br />
E<strong>in</strong>e akute <strong>Hepatitis</strong>-A-Infektion<br />
Bei e<strong>in</strong>er Patient<strong>in</strong> konnten hochpositive<br />
<strong>Hepatitis</strong>-A-Gesamtantikörper <strong>bei</strong><br />
grenzwertigem <strong>Hepatitis</strong>-A-IgM nachgewiesen<br />
werden. Diese Konstellation<br />
der Immunglobul<strong>in</strong>e spricht für e<strong>in</strong>e<br />
kürzlich zurückliegende, akute HAV-<br />
Infektion. Anhand der vorliegenden Daten<br />
kann nicht ausgeschlossen werden,<br />
Tab. 1 AltersabhängigeundHAV-Gesamtimmunitätsraten<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Flüchtl<strong>in</strong>gskohorte<br />
Alter Anzahl<br />
Seren<br />
<strong>Hepatitis</strong>-A-<br />
Immunschutz<br />
Jahre n Anteil <strong>in</strong> %<br />
0–17 22 81,8<br />
18–25 80 82,5<br />
24–34 75 94,7<br />
35–49 53 98,1<br />
>50 14 <strong>10</strong>0<br />
Unbekannt 5 60<br />
Gesamt 249 90,0<br />
Männlich 2<strong>10</strong> 89,0<br />
Weiblich 39 94,9<br />
dass e<strong>in</strong>zelne Flüchtl<strong>in</strong>ge mit formal<br />
unauffälligem Screen<strong>in</strong>gtest, die daher<br />
ke<strong>in</strong>e HAV-Ig-Testung erhielten, sich <strong>in</strong><br />
der Inkubationszeit der HAV-Infektion<br />
befanden. Die Testung erfolgte bereits<br />
bis zu 2 Wochen vor Entdeckung des<br />
Indexfalles aus Rückstellproben, sodass<br />
zum Zeitpunkt der Untersuchung noch<br />
ke<strong>in</strong> ausreichender Titeranstieg nachweisbar<br />
se<strong>in</strong> konnte.<br />
Impfempfehlungen<br />
Derzeit wird <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> e<strong>in</strong>e Impfung<br />
gegen <strong>Hepatitis</strong> A für Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />
nicht empfohlen. Allerd<strong>in</strong>gs sollten<br />
<strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>richtungen tätige Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
geschützt werden. Wie auch für<br />
sonstiges Personal im Gesundheitsdienst<br />
oder <strong>in</strong> Große<strong>in</strong>richtungen mit K<strong>in</strong>derkontakt<br />
empfiehl die STIKO hier e<strong>in</strong>e<br />
HAV-Impfung mit oder ohne vorherige<br />
Testung der Immunität [15, 16]. Dieses<br />
Vorgehen wird von den Daten dieser<br />
kle<strong>in</strong>en Studie grundsätzlich unterstützt,<br />
da die aktuelle Flüchtl<strong>in</strong>gspopulation<br />
selbst e<strong>in</strong>e hohe <strong>Immunitätsrate</strong><br />
aufweist, die e<strong>in</strong>e Impfung im gesamten<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gskollektiv nicht s<strong>in</strong>nvoll ersche<strong>in</strong>en<br />
lässt. Bei Flüchtl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong>dern,<br />
die e<strong>in</strong>e vergleichsweise ger<strong>in</strong>ge <strong>Immunitätsrate</strong><br />
<strong>in</strong> unserer Kohorte aufwiesen,<br />
empfehlen die Autoren e<strong>in</strong>e sorgfältige<br />
Überprüfung der <strong>in</strong>dividuellen Impf<strong>in</strong>dikation.<br />
Zwar verläuft <strong>bei</strong> K<strong>in</strong>dern die<br />
HAV-Infektion <strong>in</strong> den meisten Fällen <strong>in</strong>apparent,kannaber<strong>in</strong>seltenenFällen<br />
auch mit hoher Morbidität assoziiert se<strong>in</strong><br />
[17]. Bei typischen kl<strong>in</strong>ischen Manifestationen<br />
wie Durchfall und Ikterus <strong>bei</strong> ankommenden<br />
und <strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>richtungen<br />
lebenden Migranten sollte immer<br />
ane<strong>in</strong>e<strong>Hepatitis</strong>Agedachtwerden.Dann<br />
sollten entsprechende kl<strong>in</strong>ische und serologische<br />
Kontrollen sowie Transam<strong>in</strong>asenkontrollen<br />
erfolgen und im Verlauf<br />
auf e<strong>in</strong>e Isolation bzw. sorgfältige<br />
Hygieneaufklärung und -gewährleistung<br />
geachtet werden.<br />
DienatürlicheHAV-Seroprävalenzim<br />
Alter von 18–79 Jahren <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
ist mit 48,6 % relativ ger<strong>in</strong>g [18]. E<strong>in</strong>e<br />
Impfung des erwachsenen Personals <strong>in</strong><br />
Flüchtl<strong>in</strong>gsheimenwirddeshalbempfohlen,<br />
da hier die Infektion zu e<strong>in</strong>em deutlich<br />
fulm<strong>in</strong>anteren Verlauf führen kann<br />
[13, 17, 19, 20]. Durch die hohe Kontagiosität<br />
des HAV sollte <strong>in</strong>sbesondere<br />
Re<strong>in</strong>igungspersonal und Personen, die<br />
<strong>in</strong> der K<strong>in</strong>der- und Krankenbetreuung<br />
<strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gslagern tätig s<strong>in</strong>d, geimpft<br />
se<strong>in</strong> [13, 14].<br />
Limitationen<br />
Bei der Interpretation dieser Daten ist<br />
auf Limitationen unserer Untersuchung<br />
h<strong>in</strong>zuweisen. Die hier untersuchte Population<br />
stellt nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stichprobe<br />
der Migrantenpopulation <strong>in</strong> Europa dar<br />
und Rückschlüsse auf patientenspezifische<br />
Herkunftsländer oder Nationalitäten<br />
können nicht gezogen werden.<br />
Die Tatsache, dass die meisten untersuchten<br />
Migranten männlich waren<br />
(84,3 %) sowie das vergleichsweise niedrigemittlereAlterderPatienten(29,1Jahre),<br />
spricht dafür, dass diese Stichprobe<br />
die derzeitige Flüchtl<strong>in</strong>gspopulation <strong>in</strong><br />
Europa gut abbildet [1].<br />
Auch kann nicht zwischen e<strong>in</strong>er<br />
HAV-Immunität, die durch Impfung<br />
entstanden oder aufgrund von natürlicher<br />
Durchseuchung aufgetreten ist,<br />
differenziert werden. Zu bedenken ist<br />
auch, dass sich die untersuchten Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />
eigenmotiviert <strong>in</strong> ärztliche Behandlung<br />
begaben. Dies könnte zu e<strong>in</strong>er<br />
Stichprobenverzerrung geführt haben,<br />
da diese Flüchtl<strong>in</strong>ge möglicherweise<br />
e<strong>in</strong>e niedrigere Hemmschwelle als andere<br />
Migranten hatten, mediz<strong>in</strong>ische<br />
Versorgung wahrzunehmen. Diese Limitationen<br />
können umgangen werden,<br />
350 Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik - Intensivmediz<strong>in</strong> und Notfallmediz<strong>in</strong> 4 · 2017