Haus Löwenberg: STANDHAFT - Der Aufrecht stehende Mensch
Ausstellungskatalog Museum Haus Löwenberg Stephan Balkenhol | Georg Baselitz | William N. Copley Gregory Crewdson | Vassil Donev | Richard Estes | Lothar Fischer Jean Olivier Hucleux | Johannes Hüppi | Barbara Klemm | Karin Kneffel Karl Manfred Rennertz | Gerhard Richter | Manuela Seiler | Luc Simon Jules Stauber | Florian Süssmayr | Gottfried Wiegand | Jochen Winckler
Ausstellungskatalog Museum Haus Löwenberg
Stephan Balkenhol | Georg Baselitz | William N. Copley
Gregory Crewdson | Vassil Donev | Richard Estes | Lothar Fischer
Jean Olivier Hucleux | Johannes Hüppi | Barbara Klemm | Karin Kneffel
Karl Manfred Rennertz | Gerhard Richter | Manuela Seiler | Luc Simon
Jules Stauber | Florian Süssmayr | Gottfried Wiegand | Jochen Winckler
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Vor allem bei Paulus wird die Standhaftigkeit<br />
zu einer Grundhaltung des<br />
Christen. Die Kraft dafür erhält er aber,<br />
wie schon im Judentum, nicht durch<br />
eigene Tapferkeit oder gewollte Unempfindlichkeit,<br />
sondern aus dem persönlichen<br />
Glauben und insbesondere aus der<br />
Hoffnung auf das Handeln Gottes. Die<br />
Tugend der Standhaftigkeit wird nun in<br />
einer engen Beziehung zu den Tugenden<br />
der Liebe und des Glaubens gesehen.<br />
Ausgehend von dieser neutestamentlichen<br />
Lehre behält die Tugend der Standhaftigkeit<br />
vor allem in Situationen der<br />
Verfolgung ihren hohen Stellenwert –<br />
leider bis zum heutigen Tage. Gerade die<br />
Märtyrer und Bekenner werden häufig<br />
als leuchtende Vorbilder des Glaubens<br />
und der Standhaftigkeit verehrt und<br />
besonders wertgeschätzt.<br />
BESTÄNDIGKEIT WIRD STEHN<br />
NICHT WILDER LÖWEN RACHEN<br />
NICHT SÜSER ZUNGE GLIMPF<br />
NICHT TOLLER FEINDE WUTH<br />
NICHT SCHLAUER FEINDE LIST<br />
BRINGT SIE ZUM WANKELMUTH<br />
DROH‘ IHR MIT RAD UND PFAHL<br />
LASS GLUTH UND FLAMMEN KRACHEN<br />
ERLANG IHR LEBENSZIEL<br />
HEISS SIE IN ANGST VERGEHN<br />
JA WIRF DEN HIMMEL EIN<br />
BESTÄNDIGKEIT WIRD STEHN<br />
Andreas Gryphius<br />
ISLAM<br />
Wie im Judentum und Christentum hat<br />
die Standhaftigkeit (sabr) und die damit<br />
verbundene Geduld im Islam einen<br />
hohen Stellenwert. Dabei geht es um<br />
drei Bereiche, in denen Standhaftigkeit<br />
und Geduld gefordert werden. Erstens<br />
soll man gegen Begierden und Wünsche<br />
angehen, die verantwortlich sind für die<br />
Vernachlässigung verbindlicher religiöser<br />
Verpflichtungen; dann soll man den<br />
Trieben und Neigungen widerstehen,<br />
die den <strong>Mensch</strong>en dazu ermutigen, sich<br />
verbotenen sündhaften Handlungen<br />
hinzugeben; und schließlich sollen unvorhergesehene,<br />
unglückliche Ereignisse<br />
ertragen werden, die dazu führen, dass<br />
Mut und Standhaftigkeit gebrochen<br />
werden.<br />
Welch große Bedeutung der Standhaftigkeit<br />
zukommt, ergibt sich aus einer<br />
alten Überlieferung zu den Imamen:<br />
„<strong>Der</strong> Imam besteht aus zwei Hälften.<br />
Eine Hälfte ist Standhaftigkeit, und eine<br />
Hälfte ist Dankbarkeit.“<br />
MITTELALTER<br />
Seit Thomas von Aquin wird die Standhaftigkeit<br />
der christlichen Kardinaltugend<br />
der Stärke und Tapferkeit (fortitudo)<br />
zugerechnet, zugleich aber von der<br />
Beharrlichkeit abgegrenzt. Im Gegensatz<br />
zur Beharrlichkeit, welche die Dauer<br />
der Bewältigung innerer Widerstände<br />
betrifft, besteht die Standhaftigkeit in<br />
der Meisterung äußerer Schwierigkeiten.<br />
Anknüpfend an die Lehre Aristoteles‘,<br />
dass jede Tugend die Mitte zwischen<br />
zwei Lastern sei, wird die Standhaftigkeit<br />
als die Mitte zwischen Weichlichkeit<br />
und Unbeständigkeit einerseits und<br />
Hartnäckigkeit und Starrköpfigkeit<br />
andererseits definiert.<br />
NEUZEIT<br />
<strong>Der</strong> flämische Philosoph Justus Lipsius<br />
knüpfte im 16. Jahrhundert wieder an<br />
Seneca und die Stoa an. In seinem 1583<br />
veröffentlichten zweibändigen Werk „De<br />
Constantia“ definiert er für den Neustoizismus<br />
die Standhaftigkeit als „rechte,<br />
unbewegliche Seelenstärke, die durch<br />
äußere und zufällige Ereignisse weder<br />
emporgehoben noch herabgedrückt<br />
wird.“ Dabei beruht die Standhaftigkeit<br />
auf dem rechten Gebrauch der Vernunft.<br />
Beliebt ist die Tugend der Standhaftigkeit<br />
dann vor allem im Barock, was<br />
sich nicht zuletzt an den Titelhelden der<br />
damaligen Opern, allen voran derjenigen<br />
Georg Friedrich Händels, zeigt, die sich<br />
häufig durch gerade diese Tugend auszeichnen.<br />
Standhaftigkeit meint nun die<br />
Festigkeit der Seele, die auch Schicksalsschläge<br />
unerschütterlich übersteht, wie<br />
gerade auch der große Barockdichter<br />
Andreas Gryphius in Anlehnung an Horaz<br />
schreibt. Noch in Wolfgang Amadeus<br />
Mozarts Zauberflöte ermahnen übrigens<br />
die drei Knaben Tamino: „Sei standhaft,<br />
duldsam und verschwiegen!“<br />
19. UND 20.<br />
JAHRHUNDERT<br />
Um die Standhaftigkeit als Tugend wird<br />
es in der nachbarocken Zeit zusehends<br />
ruhiger, sie verliert an Bedeutung.<br />
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts greift<br />
Friedrich Nietzsche die Standhaftigkeit<br />
mit deutlichem Bezug zu seiner eigenen<br />
existentiellen Situation wieder auf. Ob<br />
einer Wert hat oder nicht, das beweise<br />
sich letztlich daran, „daß er Stand hält“.<br />
Einen neuen Akzent setzt der Freiburger<br />
Philosoph Martin Heidegger, als er 1933