Georg Büchner Woyzeck Märchen aus dem Drama ... - Kerber-Net
Georg Büchner Woyzeck Märchen aus dem Drama ... - Kerber-Net
Georg Büchner Woyzeck Märchen aus dem Drama ... - Kerber-Net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Georg</strong> <strong>Büchner</strong><br />
<strong>Woyzeck</strong><br />
1. Textsorte<br />
<strong>Märchen</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Drama</strong> „<strong>Woyzeck</strong>“<br />
<strong>Georg</strong> <strong>Büchner</strong> (1813 - 1837)<br />
<strong>Märchen</strong>, sowohl phantastische als auch realistische Elemente;<br />
Phantastisch: Nichtbeachtung der physikalischen Gesetzmäßigkeit;<br />
Realistisch: Verneinung der traditionellen <strong>Märchen</strong>k<strong>aus</strong>alität, völlige Isolierung und Täuschung<br />
des armen Kindes; Andauern des trostlosen Zustandes des Kindes in der<br />
Erzählzeit;<br />
=> ANTIMÄRCHEN<br />
2. Literaturgeschichtliche Einordnung des Textes<br />
<strong>Georg</strong> <strong>Büchner</strong> (1813-1837), republikanisch und sozialkritisch engagiert in einer Zeit<br />
reaktionärer Monarchen; Medizinstudium, wegen seiner theoretischen und praktischen<br />
sozialpolitischen Aktionen steckbrieflich gesucht; Aufführung seiner Dramen erst ab 1895.<br />
Das <strong>Märchen</strong> steht in <strong>dem</strong> sozialkritischen <strong>Drama</strong> „<strong>Woyzeck</strong>“. Es wird von der Großmutter Kindern<br />
des vierten Standes erzählt. Die Kinder wollen in dieser Szene etwas Schönes erzählt bekommen<br />
(Erwartungshaltung).<br />
3. Differenzierende und interpretierende Inhaltsangabe<br />
Die Großmutter erzählt armen Kindern in der personalen Erzählperspektive ein <strong>Märchen</strong>, genauer<br />
ein Antimärchen.<br />
Thema: Armut und Verlassenheit eines Waisenkindes.<br />
Es versucht durch häufigen Ortswechsel vergeblich seinem psychisch und wirtschaftlich<br />
hoffnungslosen Zustand zu entrinnen. Das nicht - märchenhafte Schicksal des Kindes erhält<br />
aktuelle Bedeutung. „Und da sitzt es noch und ist ganz allein.“<br />
Die Identifizierungsmöglichkeit für die Zuhörer im <strong>Drama</strong> ist durch die Gleichheit der sozialen<br />
Verhältnisse von <strong>Märchen</strong>figur und Zuhörer gegeben.<br />
Erzählzeit: Präteritum, <strong>aus</strong>genommen der letzte Satz mit einer präsentisch - aktuellen Funktion.<br />
Situation I: Verlassenheit des armen Kindes<br />
Weggang und vergebliche Suche nach jeman<strong>dem</strong> auf der Erde.<br />
Situation II: Gang in den Himmel (Metapher = Bild für Hilfe und Problemlösung).<br />
Erwartungsvorstellungen (Illusion? Utopie?) - zunehmende Erfahrung der<br />
Täuschung, der Isolation, Einsamkeit (Mond - Sonne - Sterne)<br />
Situation III. Rückkehr zur Erde<br />
Erfahrung der Unbewohnbarkeit der Erde,<br />
Andauern von Verlassenheit und Unglück des Kindes in der Gegenwart.<br />
Das Anti - <strong>Märchen</strong>: ein Bild für den desolaten Zustand des armen, sozial nicht emanzipierten<br />
Menschen.<br />
4. Semantisch - syntaktisches Material<br />
4.1 Mundartlich - schichtenspezifischer und umgangssprachlicher Sprachkode:<br />
4.1.1 Flexionsloses Adjektiv: „arm Kind“; „faul Holz“; „verwelkt Sonnenblum“<br />
4.1.2 Elisionen (Ausstoßung eines Selbstlautes am Ende eines Wortes vor einem folgenden, mit<br />
Vokal beginnenden Wort): „is hingegangen“; „Sonn“; „Wollt’s“; „wie’s“; „waren’s“; sich’s“;<br />
„hatt“.<br />
4.1.3 Allgemeine Anklänge an den hessischen Dialekt: „guckt“.<br />
4.2. Emphatisierende (Emphase = Eindringlichkeit) Wiederholungen von Aussagen und Nomen:<br />
„war alles tot und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, ...“. „Und da is es zur Sonn<br />
gegangen, und wie es zur Sonn kam ... Und wie’s zu den Sternen kam ... Und wie’s wieder<br />
auf die Erde wollt, war die Erde ...“<br />
© H. <strong>Kerber</strong> 1994 | 2000 | 2006
<strong>Märchen</strong> 2<br />
4.3 Vergleiche und Metaphern (<strong>aus</strong> der einfachen Erfahrungswelt der Resignation): Mond -<br />
Holz, Sonne - verwelkte Sonnenblum. Sterne - kleine goldene Mücken, vom Neuntöter auf<br />
die Schlehen gesteckt, Erde - umgestürzter Hafen.<br />
4.4 Stereotype Wiederholungen von Konjunktionen des so genannten restringierten<br />
(eingeschränkten) Sprachkodes (Wortwahl, Satzbau): elliptische (unvollständige Sätze):<br />
„war alles tot ... , alles tot“; Häufigkeit der Konjunktionen „und“, „und wie“ = als, „da =<br />
dann<br />
5. Aussageabsichten:<br />
Resignierende Feststellung oder als versteckte Aufforderung zur Reflexion, zur Veränderung; die<br />
Dekodierungsrichtung der Aussagen hängt zum großen Teil vom Leser ab.<br />
© H. <strong>Kerber</strong> 1994 | 2000 | 2006