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Das „geheime Wort“ und Fragen der Erkenntnis in Novalis' „Wenn ...

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als auch im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er falschen, moralisch verfehlten Lebensform. 6 In diesem S<strong>in</strong>ne könnte<br />

die Stelle also sowohl als H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e neue Form <strong>der</strong> Welterkenntnis verstanden werden<br />

als auch auf e<strong>in</strong>e neue Lebensform, die durch die Poesie erschaffen wird.<br />

<strong>Das</strong> <strong>„geheime</strong> <strong>Wort“</strong>, e<strong>in</strong> Zentralbegriff des ganzen Gedichts, könnte man deuten als e<strong>in</strong><br />

Wort aus e<strong>in</strong>er geheimen poetischen Sprache, als Chiffre, die nicht nur neue <strong>Erkenntnis</strong>horizonte<br />

erschließt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e neue Welt schafft. Parallelen zu diesem <strong>„geheime</strong>n <strong>Wort“</strong> f<strong>in</strong>den<br />

wir nicht nur im „He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen“, wo Mathilde „ihm e<strong>in</strong> w<strong>und</strong>erbares geheimes<br />

Wort <strong>in</strong> den M<strong>und</strong>“ 7 legte, son<strong>der</strong>n später auch <strong>in</strong> Eichendorffs Gedicht „Wünschelruthe“:<br />

„Schläft e<strong>in</strong> Lied <strong>in</strong> allen D<strong>in</strong>gen, / Die da träumen fort <strong>und</strong> fort, / Und die Welt hebt an<br />

zu s<strong>in</strong>gen, / Triffst du nur das Zauberwort.“. 8 Auch hier hat das geheime Zauberwort e<strong>in</strong>e<br />

weltverän<strong>der</strong>nde Wirkung. Auf den Zusammenhang <strong>der</strong> Begriffe <strong>„geheime</strong>s <strong>Wort“</strong>, „Zauberwort“,<br />

Chiffre <strong>und</strong> Hieroglyphe, <strong>der</strong> für das Verständnis dieser Stelle <strong>in</strong> Novalis’ Gedicht<br />

nützlich ist, werde ich <strong>in</strong> Abschnitt 2.3 e<strong>in</strong>gehen.<br />

2.2 E<strong>in</strong>ordnung <strong>in</strong> den Kontext des „He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen“<br />

Im folgenden Abschnitt möchte ich das Gedicht <strong>in</strong> den Kontext des Romans „He<strong>in</strong>rich von<br />

Ofterd<strong>in</strong>gen“ stellen <strong>und</strong> Parallelen zwischen den beiden Texten herausarbeiten. In e<strong>in</strong>em<br />

Gespräch zwischen Kl<strong>in</strong>gsohr <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich stellt Novalis die für ihn wichtigsten <strong>Erkenntnis</strong>wege<br />

vor: 9<br />

Die Erzählung eurer Reise, sagte Kl<strong>in</strong>gsohr, hat mir gestern Abend e<strong>in</strong>e angenehme Unterhaltung<br />

gewährt. Ich habe wohl gemerkt, daß <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Dichtkunst euer fre<strong>und</strong>licher Begleiter<br />

ist. Eure Gefährten s<strong>in</strong>d unbemerkt se<strong>in</strong>e Stimmen geworden. In <strong>der</strong> Nähe des Dichters bricht<br />

die Poesie überall aus. <strong>Das</strong> Land <strong>der</strong> Poesie, das romantische Morgenland, hat euch mit se<strong>in</strong>er<br />

süßen Wehmuth begrüßt; <strong>der</strong> Krieg hat euch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wilden Herrlichkeit angeredet, <strong>und</strong> die<br />

Natur <strong>und</strong> Geschichte s<strong>in</strong>d euch unter <strong>der</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es Bergmanns <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>siedlers begegnet.<br />

Ihr vergeßt das Beste, lieber Meister, die himmlische Ersche<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Liebe.<br />

Diese Passage kann als e<strong>in</strong> Resumé <strong>der</strong> im „He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen“ behandelten Aspekte<br />

<strong>der</strong> <strong>Erkenntnis</strong> gesehen werden. Stellt man diesen Abschnitt stellvertretend für den gesamten<br />

Roman dem Gedicht gegenüber, so lassen sich deutliche thematische Parallelen erkennen.<br />

Kl<strong>in</strong>gsohr hebt an dieser Stelle des Romans die beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>der</strong> Poesie <strong>und</strong> des Dichters<br />

noch e<strong>in</strong>mal hervor. Dem entspricht <strong>in</strong> den Zeilen 3/4 <strong>und</strong> 9/10 des Gedichts Novalis’ Aussage,<br />

dass die „so s<strong>in</strong>gen“ durch „Mährchen <strong>und</strong> Gedichte“ e<strong>in</strong>en tieferen Zugang zum Wissen<br />

haben. Im „He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen“ äußert sich auch <strong>der</strong> als E<strong>in</strong>siedler lebende Graf von<br />

Hohenzollern über die Dichtung <strong>und</strong> erklärt, dass sich „mehr Wahrheit <strong>in</strong> ihren Mährchen, als<br />

<strong>in</strong> gelehrten Chroniken“ f<strong>in</strong>den lasse. 10 Unter den wahrheitsträchtigen Erzählungen kann man<br />

6 Jacob <strong>und</strong> Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 29, Berl<strong>in</strong> 1960, S. 542 <strong>und</strong> Karl Friedrich Wilhelm<br />

Wan<strong>der</strong> (Hrsg.), Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Bd. 4, Leipzig 1876, Sp. 343-344<br />

7 Novalis, He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen, HKA I, S. 279<br />

8 Harry Fröhlich / Ursula Regener (Hg.), Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historischkritische<br />

Ausgabe, Bd. I/1: Gedichte. Erster Teil, Stuttgart u.a. 1993, S. 121<br />

9 Novalis, He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen, HKA I, S. 283f.<br />

10 Novalis, He<strong>in</strong>rich von Ofterd<strong>in</strong>gen, HKA I, S. 259<br />

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