06.07.2017 Aufrufe

25_Jahre_Alpenkonvention

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Ein- und Ausblicke<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Ein- und Ausblicke


Die Publikation „<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Ein- und Ausblicke“ wurde aus<br />

Mitteln der Pensionsabfindung von Peter Haßlacher finanziert.<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

Peter Haßlacher für CIPRA Österreich<br />

Fernkreuzweg 10a, A-6080 Igls<br />

E: peter.hasslacher@cipra.org<br />

CIPRA Österreich<br />

Salurnerstraße 1, A-6020 Innsbruck<br />

E: josef.essl@cipra.org<br />

I: www.cipra.at<br />

Layout und grafische Gestaltung<br />

Josef Essl (CIPRA Österreich)<br />

Satellitenbild<br />

Geospace International GmbH<br />

Fotonachweis<br />

A. Goller: S. 93<br />

A. Götz: S. 109<br />

A. Louvet: S. 62<br />

Büro Wilfried Haslauer: S. 82<br />

BMLFUW: S. 50<br />

C. Begle: S. 113<br />

E. Auer: S. 67<br />

E. Galle: S. 50<br />

feel-image – Fotografie e.U./Matern: S. 86<br />

Fotowerk Aichner: S. 84<br />

F. Gurgiser: S. 107 (o)<br />

G. Glantschnig: S. 101<br />

G. Liebl: S. 105 (o)<br />

G. Schindlbauer: S. 95 (o)<br />

H. Guggenberger: S. 49<br />

H. Naglmayr: S. 132<br />

H. Schlosser: S. 79, 92 (o)<br />

I. Hilber: S. 96<br />

J. Essl: S. 6, 10, 39, 55, 68, 80, 85, 92 (u), 94, 95 (u), 98, 102, 105 (u),<br />

106, 107 (u), 111 (u), 114, 115, 119, 120, 121, 123, 124<br />

M. Ploderer: S. 91 (o)<br />

P. Haßlacher: S. 118<br />

R. Gschöpf: S. 111 (o)<br />

R. Kals: S. 56<br />

S. Friedhuber: S. 124<br />

S. Schmid: S. 40<br />

S. Suchy: S. 99<br />

Salzburg Tourismus: S. 82<br />

Stadtarchiv Innsbruck: S. 89<br />

Tiroler Volkspartei/Maislinger: S. 88<br />

Tourismusverband Grossarltal: S. 126<br />

Tourismusverein Lunz a. See: S. 91 (u)<br />

W. Bätzing: S. 11<br />

W. Burhenne: S. 113<br />

W. Tschon: S. 97<br />

Wikipedia: S. 61<br />

Druck<br />

Sterndruck GmbH, Fügen (www.sterndruck.at)


Peter Haßlacher (Hrsg.)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Ein- und Ausblicke<br />

Innsbruck – Igls<br />

2016


INHALT<br />

Vorwort 6<br />

Werner Bätzing (Bamberg)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Bilanz und Ausblick 11<br />

Sebastian Schmid (Innsbruck)<br />

Auf der Suche nach dem effektiven <strong>Alpenkonvention</strong>srecht 40<br />

Ewald Galle (Wien)<br />

Bekenntnisse eines <strong>Alpenkonvention</strong>ssüchtigen 50<br />

Roland Kals (Salzburg)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Dornröschen in den Bergen und die<br />

sieben Zwerge 56<br />

Eva Lichtenberger (Hall i.T.)<br />

Die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> 62<br />

Josef Essl (Innsbruck)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich – einige Zahlen und Fakten 68<br />

Statements aus den Gebietskörperschaften<br />

Andrä Rupprechter (Wien)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein funktionierendes politisches Programm<br />

der Alpenstaaten und der EU 79<br />

Wilfried Haslauer (Salzburg)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> 81<br />

Christine Oppitz-Plörer (Innsbruck)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> als Versprechen für künftige Generationen 84<br />

Helmut Mödlhammer (Wien)<br />

Wie schaffen wir den Spagat zwischen modernen Lebenswelten<br />

und natürlichen Lebensräumen? 86<br />

Herwig van Staa (Innsbruck)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Bilanz und Ausblick 88<br />

Enge Begleiter der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Martin Ploderer (Lunz am See)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> 91<br />

4 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Josef Außerlechner (Kartitsch)<br />

Das Bergsteigerdorf ohne Grenzen setzt die <strong>Alpenkonvention</strong> um 93<br />

Gottfried Schindlbauer (Linz)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – wie soll es weitergehen? 95<br />

Walter Tschon (Innsbruck)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Resümee und Ausblick. „Wo bleibt der<br />

politische Wille?“ 97<br />

Gerold Glantschnig (Klagenfurt-Irschen)<br />

Von der Alpenschutzkonvention zur <strong>Alpenkonvention</strong> 101<br />

Gerhard Liebl (Innsbruck)<br />

Wie geht es nach schwierigen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter? 105<br />

Fritz Gurgiser (Vomp)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein „Glücksfall“ 107<br />

Andreas Götz (Vaduz)<br />

Kooperationen und Projekte müssen Rechtsumsetzung ergänzen 109<br />

Reinhard Gschöpf (Wien)<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong>: spannender Versuch über das gemeinsame<br />

Finden und Vereinbaren neuer Grenzen 111<br />

Wolfgang E. Burhenne (Steinberg am Rofan)<br />

Die Gäste für die Alpen gewinnen! 113<br />

Peter Haßlacher (Innsbruck – Igls)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong>. Hat sich der lange<br />

und mühsame Weg zu einem besseren Alpenschutz gelohnt? 115<br />

Der „Grassauer Appell“ von CIPRA Deutschland, Österreich und Südtirol 129<br />

Die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich 132<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

5


VORWORT<br />

Ein Vierteljahrhundert nach der Unterzeichnung<br />

der Rahmenkonvention in der Salzburger Landeshauptstadt<br />

und knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach dem<br />

In-Kraft-Treten der Durchführungsprotokolle der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> ist ein entsprechend langer<br />

Zeitraum vergangen, um diesen „Alpenprozess“<br />

in geeigneter Form Revue passieren zu lassen,<br />

die gewonnenen Einblicke zu bewerten und Ausblicke<br />

in die nächsten <strong>Jahre</strong> zu wagen. Zwar ist in<br />

diesen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n mit unterschiedlicher Intensität<br />

und abhängig von aktuellen Themen und Ereignissen zumindest in Österreich<br />

sehr viel über die <strong>Alpenkonvention</strong> geschrieben worden (siehe P. Haßlacher Bibliographie<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> 1988 – 2015, www.cipra.at), doch fehlt ein zusammenfassender<br />

Überblick neueren Datums.<br />

„Der Galle“ (gemeint ist sein umfassendes Werk über die <strong>Alpenkonvention</strong> aus<br />

2002) ist mittlerweile auch schon 15 <strong>Jahre</strong> alt geworden, die umfassende Arbeit<br />

von Nicole Ehlotzky über das Verkehrsprotokoll aus 2014 beleuchtet eben nur<br />

ein Durchführungsprotokoll und über die jährlich stattfindenden Workshops von<br />

CIPRA Österreich und der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> zur vornehmlich<br />

rechtlichen Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt erstmals seit 2016 ein ausführlicher<br />

Band zum „Energieprotokoll“ samt Materialien in der im Verlag Österreich<br />

erschienenen „CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong>“ vor.<br />

Aufgrund der Bedeutung des Vertragswerkes für den gesamten Alpenraum und<br />

des runden Anlasses hat sich der Herausgeber des vorliegenden „Festbandes“<br />

entschlossen, namhafte KennerInnen der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihres Entwicklungsprozesses,<br />

– und mit denen er selbst bzw. CIPRA Österreich in jahrelangem<br />

Austausch gestanden ist, zu einem Beitrag einzuladen. In Dankbarkeit und überrascht<br />

stelle ich fest, dass alle angefragten Damen und Herren mit einer Ausnahme<br />

zugesagt haben.<br />

Besonders danken möchte ich Herrn Univ.-Prof. em. Dr. Werner Bätzing (Bamberg),<br />

der ein umfassendes Bilanzwerk über die <strong>Alpenkonvention</strong> der letzten <strong>25</strong><br />

<strong>Jahre</strong> mit einem über sechsfachen Umfang als ursprünglich erbeten verfasste.<br />

Das ist wiederum ein Nachschlagewerk wie der seinerzeit im <strong>Jahre</strong> 1994 von ihm<br />

verfasste Aufsatz „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk auf<br />

dem mühevollen Weg der politischen Realisierung“ (Bätzing 1994; www.cipra.<br />

at). Beide Aufsätze sind unersetzbare Standortbestimmungen für den Sinn, die<br />

Arbeit und die Rahmenbedingungen für das Tun und Nicht-Tun-Können der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in einem sich ändernden geopolitischen Umfeld.<br />

6 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Das vorliegende Buch enthält erstmals in der Geschichte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

eine Spurensuche nach dem „effektiven <strong>Alpenkonvention</strong>srecht“. Dieser Fragestellung<br />

hat sich Herr assoz. Prof. Dr. Sebastian Schmid von der Universität Innsbruck,<br />

Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre angenommen.<br />

Als Mitglied der 2009 bei CIPRA Österreich eingerichteten Rechtsservicestelle<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> kennt er das Spektrum genau, was von der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und ihrer Durchführungsprotokolle erwartet werden kann und<br />

was eben nicht. Sichtlich schwer tat sich Freund Roland Kals, Alpenraumplaner<br />

in Salzburg und involviert in Umsetzungsprojekte der <strong>Alpenkonvention</strong>. Er setzt<br />

sich kritisch mit der Frage nach Anspruch und Wirklichkeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

auseinander und wer die <strong>Alpenkonvention</strong> überhaupt ist. Frau Dr in Eva Lichtenberger,<br />

die auf allen Ebenen des politischen Lebens über Hall i. T., Innsbruck,<br />

Wien und Brüssel tätig war, konnte den Stellenwert der <strong>Alpenkonvention</strong> und<br />

insbesondere die Herangehensweise der Europäischen Union an alpenpolitische<br />

Themen (<strong>Alpenkonvention</strong>, makroregionale Alpenraumstrategie) blendend ausleuchten.<br />

Dass es tatsächlich eine „<strong>Alpenkonvention</strong>ssucht“ gibt, ist mir nun seit<br />

den Ausführungen von Herrn Ministerialrat Dr. Ewald Galle, Chef des Focal Point<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> Österreich im BMLFUW in Wien, bekannt. Über ein Vierteljahrhundert<br />

bearbeitet er dieses Dossier ohne Unterbrechung für die Republik Österreich.<br />

Das verdient Anerkennung, Respekt und Dank!<br />

Der Herausgeber bedankt sich für die Beiträge aus den verschiedenen Gebietskörperschaften,<br />

dem Umwelt- und „<strong>Alpenkonvention</strong>s“/Minister Andrä<br />

Rupprechter, dem Vorsitzenden der österreichischen Landeshauptleutekonferenz<br />

und Landeshauptmann von Salzburg, Herrn Dr. Wilfried Haslauer, der Bürgermeisterin<br />

von Innsbruck und damit „Gastgeberin“ für das seit 2002 in Innsbruck<br />

residierende Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>, Frau Mag a Christine Oppitz-Plörer,<br />

und dem Präsidenten des Österreichischen Gemeindebundes, Herrn<br />

Helmut Mödlhammer. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> wäre ohne<br />

das besondere Engagement und den Weitblick des damaligen Bürgermeisters<br />

von Innsbruck, Herrn DDr. Herwig van Staa, später Landeshauptmann von Tirol<br />

und nun amtierender Präsident des Tiroler Landtages nicht nach Innsbruck<br />

gekommen. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> in Innsbruck ist die<br />

einzige internationale Organisation, die ihren Sitz in einer österreichischen Landeshauptstadt<br />

angesiedelt hat und auch der einzige dieser Art im gesamten Anwendungsbereich<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> (Haßlacher 1996).<br />

Besonders gefreut haben mich die pointierten Kurzbeiträge ehemaliger Mitglieder<br />

der österreichischen Delegation zur <strong>Alpenkonvention</strong> – Gerhard Liebl (Tirol)<br />

und Gerold Glantschnig (Kärnten) –, von den langjährigen Mitgliedern des CI-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

7


PRA Österreich-Komitees – Gottfried Schindlbauer (Oberösterreich) und Walter<br />

Tschon (Tirol), weiters von den Bürgermeistern der <strong>Alpenkonvention</strong>sgemeinden<br />

und Bergsteigerdörfer von Lunz am See (Niederösterreich), Herr Martin Ploderer,<br />

und aus Kartitsch (Tirol), Herr Josef Außerlechner. Kartitsch stand jahrelang im<br />

internationalen Fadenkreuz des Alemagna-Autobahnprojekts Belluno-München<br />

und hatte schon deshalb Interesse an einer raschen Ratifizierung des Verkehrsprotokolls<br />

in Österreich, Italien und in der Europäischen Union. Die Außensicht<br />

aus der Schweiz brachte der sehr geschätzte langjährige Geschäftsführer von CI-<br />

PRA International im Fürsten Liechtenstein, Herr Andreas Götz, ein, welche auch<br />

die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten einer Vertragspartei wie die Schweiz<br />

aufzeigen, die bis heute noch kein einziges Durchführungsprotokoll ratifiziert hat.<br />

Der erste Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich, Herr Dr. Reinhard<br />

Gschöpf, und nunmehr im Grünen Parlamentsklub u.a. für Alpenschutz tätig,<br />

sieht in der <strong>Alpenkonvention</strong> den spannenden Versuch über das gemeinsame<br />

Finden und Vereinbaren neuer Grenzen.<br />

Wie kaum ein anderer streicht der Präsident des Transitforums Austria-Tirol,<br />

Herr Fritz Gurgiser, die dringende Notwendigkeit der strikten Anwendung der<br />

Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> unentwegt heraus und fordert sie ein.<br />

Abschließend bedanke ich mich bei Josef Essl, Geschäftsführer von CIPRA Österreich<br />

und Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich in Innsbruck,<br />

für die oftmals nicht leichte Zusammenarbeit zum Wohle der Alpen und für die<br />

perfekte Unterstützung beim Zustandekommen dieses Bandes bei Layout und<br />

Drucklegung.<br />

Schließlich habe ich mir selbst zu meinem Rückzug aus dem <strong>Alpenkonvention</strong>sgeschehen<br />

ein Geschenk gemacht, damit einige Fakten mehr und persönliche Erlebnisse<br />

und Eindrücke der eingeladenen Persönlichkeiten in gedruckter schriftlicher<br />

Form vorliegen. Zu viele Detailinformationen, Know-how und politische<br />

Hintergründe gehen andernfalls im Laufe der <strong>Jahre</strong> und Jahrzehnte leider verloren.<br />

Verloren ginge auch meine persönliche Einsicht nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n zeitweise<br />

sehr intensiver Befassung mit diesem Vertragswerk, dass leider viele Hoffnungen<br />

und Erwartungshaltungen der Nicht-Regierungsorganisationen in der alpenkonventionspolitischen<br />

Realität nicht in Erfüllung gegangen sind. Zwischen der Ausgangslage,<br />

zum Beispiel der 89 Punkte-Resolution der UmweltministerInnen anlässlich<br />

der I. Alpenkonferenz 1989 in Berchtesgaden und selbst in den Inhalten<br />

der Durchführungsprotokollen als schließlich kleinster gemeinsamer Nenner der<br />

Alpenstaaten und dem aktuellen Stand der Umsetzung tun sich zu große Löcher<br />

auf. Zudem könnte sich die Parallelentwicklung des EUSALP-Prozesses für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

langfristig als gefährlich herausstellen.<br />

Nur eine gelungene Performance einer konsolidierten rechtlichen Umsetzung<br />

dieses völkerrechtlich verbindlichen und alpenweit geltenden Vertragswerks,<br />

begleitet von vielen maßgeschneiderten Umsetzungsprojekten und politischen<br />

8 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Initiativen sowie durch das Entstehen und Wirken weiterer Alpen-Netzwerke und<br />

Kooperationen wird die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> sichern. Doch dazu braucht<br />

es offensichtlich die Reinkarnation des in den 1990-iger <strong>Jahre</strong>n viel und oft beschworenen<br />

und mittlerweile verloren gegangenen „Geistes von Berchtesgaden“.<br />

Peter Haßlacher<br />

Igls, im September 2016<br />

Literaturhinweise<br />

Bätzing, W. (1994): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine nachhaltige<br />

Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung. In:<br />

Franz, H. (Hrsg.): Die Gefährdung und der Schutz der Alpen (= Veröffentlichungen der<br />

Kommission für Humanökologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />

Bd. 5). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 187 – 208.<br />

Ehlotzky, N. (2014): Grundfreiheiten im Spannungsfeld von Verkehr und Nachhaltigkeit.<br />

Eine Analyse anhand des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong>. Schriften zum Internationalen<br />

und Vergleichenden Öffentlichen Recht Bd. 19. Wien: Facultas Verlagsund<br />

Buchhandels AG, 329 S.<br />

Essl, J. u. S. Schmid – Hrsg. (2016): Das Protokoll „Energie“ der <strong>Alpenkonvention</strong>. Umsetzung<br />

und Anwendung in Österreich. CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Bd. 1. Wien: Verlag Österreich.<br />

Galle, E. (2002): Das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und seine<br />

Protokolle. Beiträge zur Umweltgestaltung A 148, Alpine Umweltprobleme Teil XXXIX.<br />

Berlin: Erich Schmidt Verlag, 276 S.<br />

Haßlacher, P. (1996): Gemeinsam für das <strong>Alpenkonvention</strong>ssekretariat in Innsbruck – eine<br />

Chronologie. In: CIPRA Österreich – Österreichisches Nationales Komitee (Hrsg.): Die<br />

Alpen-Konvention – Der österreichische Weg. Wien, S. 103 – 107.<br />

Haßlacher, P. (2016): <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – eine durchwachsene Bilanz. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 02/2016, S. 1.<br />

Kals, R. (2004): Entwicklungspotentiale der <strong>Alpenkonvention</strong>. Wege zu einer erfolgreichen<br />

Implementierung in Österreich. Studie im Auftrag des Lebensministeriums. Salzburg/Wien,<br />

158 S.<br />

www.cipra.at<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

9


Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

seit 2002 in der Landeshauptstadt Innsbruck<br />

im Goldenen Dachl<br />

10 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Werner Bätzing<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

Bilanz und Ausblick<br />

Von 1988 bis 1995 am Geographischen Institut der Universität Bern<br />

Von 1995 bis 2014 Professor für Kulturgeographie am Institut für Geographie<br />

der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

Seit 2014 Leiter Archivs für integrative Alpenforschung, Bamberg<br />

E: werner.baetzing@web.de<br />

Ein Vergleich zwischen der Anfangszeit und der heutigen Situation in Hinblick<br />

auf die wichtigsten Aktivitätsfelder, die zentralen Problembereiche und die unterschiedlichen<br />

politischen Rahmenbedingungen.<br />

Dieser Artikel ist Peter Hasslacher gewidmet,<br />

der die Idee dazu hatte und den nötigen Platz<br />

dafür zur Verfügung stellte.<br />

Einleitung<br />

Der <strong>25</strong>. <strong>Jahre</strong>stag der Unterzeichnung der Rahmenkonvention der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

ist Anlass, eine Bilanz über <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> zu ziehen. Die empirische<br />

und normative Grundlage dieser Bilanz beruht auf der langen Vertrautheit<br />

des Autors mit dieser Thematik: Er hat die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

von der Lindauer Konferenz im Juni 1988 bis heute aktiv in kritischer Distanz als<br />

Wissenschaftler begleitet, und er hat sich dazu häufig auch öffentlich geäußert<br />

(wissenschaftliche und politische Artikel, Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehinterviews,<br />

Gutachten). 1<br />

1 Alle Publikationen des Autors zur <strong>Alpenkonvention</strong> finden sich in seiner „thematischen Publikationsliste“<br />

(www.geographie.nat.uni-erlangen.de/personen/wbaetzing) unter Punkt 1.2.11 („Alpenpolitik und <strong>Alpenkonvention</strong>“);<br />

in seiner chronologischen Literaturliste stehen zu allen seinen, in diesem Aufsatz genannten<br />

Titeln downloads bereit. Die gesamte Literatur zur <strong>Alpenkonvention</strong> seit 1988 (!) ist durch die Bibliographie<br />

von Haßlacher 2016 auf eine vorbildliche Weise erschlossen (www.cipra.at).<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

11


In dieser Bilanz wird nach einer Überblicksdarstellung der Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

zum einen der Fokus auf ihre zentralen Aktivitätsfelder gelegt und<br />

gefragt, was die <strong>Alpenkonvention</strong> hier erreicht hat, und zum anderen werden<br />

die zentralen Probleme, die mit der <strong>Alpenkonvention</strong> von Beginn an verbunden<br />

sind, dargestellt, und es wird gefragt, was sich hierbei verändert hat. Und zum<br />

Schluss werden die völlig veränderten politischen Rahmenbedingungen für die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> in Europa dargestellt, und es wird reflektiert, wie ihre Zukunft<br />

aussehen könnte.<br />

Als Ausgangssituation dient die Anfangszeit der <strong>Alpenkonvention</strong> von der<br />

89-Punkte-Resolution der Umweltminister von Berchtesgaden im Oktober 1989<br />

über die Dokumente der II. Alpenkonferenz im November 1991 in Salzburg bis zur<br />

CIPRA-<strong>Jahre</strong>sfachkonferenz „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Zwischenbilanz“ vom<br />

Oktober 1992 in Schwangau/Bayern. Der Autor hat im Oktober 1992 direkt nach<br />

der CIPRA-<strong>Jahre</strong>sfachtagung einen längeren, bilanzierenden Artikel mit dem Titel<br />

„Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine nachhaltige<br />

Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung“ (erst<br />

im Jahr 1994 im Druck erschienen) geschrieben, der als Ausgangspunkt für diese<br />

Bilanz dient.<br />

1. Die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong> 1989 – 2016 im Überblick<br />

Um eine Bilanz von <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n <strong>Alpenkonvention</strong> ziehen zu können, muss zu Beginn<br />

ihre Entwicklung kurz skizziert werden.<br />

1.1 Vorgeschichte<br />

Die im Jahr 1952 gegründete Internationale Alpenschutzkommission CIPRA hatte<br />

zwar die Forderung nach einer Internationalen <strong>Alpenkonvention</strong> von Beginn<br />

an in ihren Gründungsdokumenten festgehalten, aber erst am 7. Februar 1987<br />

beschloss das CIPRA-Präsidium, dieses Thema auf die politische Tagesordnung<br />

zu setzen (CIPRA 1992, S. 41). Zu diesem Zweck wurden 350 Experten und Fachstellen<br />

aus den sieben Staaten mit Alpenanteil in Bezug auf den Vollzug der bisherigen<br />

grenzüberschreitenden Umweltabkommen in den Alpen befragt. Das<br />

Ergebnis – es besteht „ein hoher bis sehr hoher zusätzlicher Handlungsbedarf“<br />

(CIPRA 1992, S. 42) – wurde auf der Internationalen Konferenz „Umweltpolitik<br />

im Alpenraum“ am 24. und <strong>25</strong>. Juni 1988 in Lindau einer breiten Öffentlichkeit<br />

vorgestellt und mit der Forderung nach Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong> verbunden<br />

(CIPRA 1989). Obwohl das Europäische Parlament am 17. Mai 1988 und<br />

die ARGE ALP am 9. Juni 1989 mit Beschlüssen ebenfalls die Erarbeitung einer<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> forderten, gingen die betroffenen Experten damals davon aus,<br />

dass die Umsetzung wohl noch <strong>Jahre</strong> dauern würde.<br />

12 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


1.2 Umsetzung<br />

„Dann überschlugen sich die Ereignisse, als der deutsche Umweltminister Klaus<br />

Töpfer überraschend die Umweltminister der sieben Staaten mit Alpenanteil zum<br />

Oktober 1989 nach Berchtesgaden einlud, um über die Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong><br />

zu beschließen. (Dadurch kam) ... der Prozess der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

wesentlich schneller in Gang, als es selbst optimistische Umweltkreise erwartet<br />

hatten (Bätzing 1994, S. 187).<br />

Auf der Internationalen Alpenkonferenz der Umweltminister vom 9. bis 11. Oktober<br />

1989 in Berchtesgaden wurde eine 89 Punkte umfassende Resolution verabschiedet.<br />

2 Darin beschlossen die Umweltminister in den Punkten 87 und 88,<br />

eine <strong>Alpenkonvention</strong> mit einer Rahmenkonvention, die das allgemeine Procedere<br />

festlegt, und elf Protokolle, die verbindliche Regelungen für einzelne Bereiche<br />

enthalten, zu erarbeiten.<br />

Das Themenspektrum, das in dieser Resolution angesprochen wurde, war inhaltlich<br />

sehr breit und umfasste alle Aspekte, die wenig später auf der UNCED-<br />

Konferenz in Rio de Janeiro 1992 als „nachhaltig“ bezeichnet wurden (Verbindung<br />

von Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung, Kultur), auch wenn dieser Begriff<br />

damals noch nicht allgemein gebräuchlich war (Bätzing 1994, S. 186). Damit war<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> weltweit die erste Konvention, die nicht sektoralen Zielen<br />

verpflichtet war, sondern die Schutz- und Entwicklungsziele im Sinne der Nachhaltigkeit<br />

miteinander verknüpfte, und dies nicht für ein weitgehend unbewohntes<br />

Gebiet, sondern für einen Natur- und Wirtschaftsraum, in dem 11 Millionen<br />

Menschen lebten. Diese beiden Aspekte machten die Besonderheit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

zum damaligen Zeitpunkt aus (Bätzing 1994, S. 186).<br />

Auf der II. Alpenkonferenz am 7. November 1991 in Salzburg unterzeichneten<br />

die Umweltminister unter großer medialen Beteiligung die Rahmenkonvention<br />

(Umweltminister Flavio Cotti aus der Schweiz jedoch nur unter Vorbehalt), der<br />

Entwurf für ein erstes Protokoll (Naturschutz) wurde vorgelegt, und es wurde<br />

die Erarbeitung von sieben weiteren Protokollen (Raumplanung, Berglandwirtschaft,<br />

Bergwald, Bodenschutz, Energie, Tourismus, Verkehr) beschlossen (CIP-<br />

RA-A 1996, S. 111).<br />

Zugleich wurde die Geschäftsordnung für die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> festgelegt:<br />

Das beschlussfassende Organ ist die alle zwei <strong>Jahre</strong> stattfindende Alpenkonferenz,<br />

an der die Umweltminister der Alpenstaaten und ein EU-Vertreter<br />

teilnehmen, und deren Vorsitz alle zwei <strong>Jahre</strong> wechselt. Der Ständige Ausschuss<br />

ist das ausführende Organ und setzt sich aus Delegierten aller Vertragsparteien<br />

zusammen; er überwacht die Umsetzung der Leitgedanken, Grundsätze und Zie-<br />

2<br />

Obwohl alle Dokumente der <strong>Alpenkonvention</strong> heute im Netz zu finden sind, ist dieses relevante Anfangsdokument<br />

derzeit nicht dabei; es wurde in CIPRA 1993, S. 85-108 (deutsch) und S. 248-263 (französisch)<br />

publiziert.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

13


le der <strong>Alpenkonvention</strong> und tagt zwei Mal im Jahr (Galle 2002, S. 169 ff., www.<br />

alpconv.org).<br />

Zusätzlich dazu wurden von Anfang an „Beobachter“ ernannt, die an der Arbeit<br />

des Ständigen Ausschusses und an den Alpenkonferenzen teilnehmen und die<br />

dort ihre Vorschläge und Ideen einbringen können (derzeit gibt es 16 Beobachter).<br />

Damit hat sich die <strong>Alpenkonvention</strong> bewusst gegenüber wirtschaftlichen,<br />

kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Interessengruppen – und damit<br />

gegenüber einer breiteren Fachöffentlichkeit – geöffnet, was für eine solche Konvention<br />

außergewöhnlich war und ist und ihre Akzeptanz spürbar erhöht hat.<br />

Erst im Jahr 2003 erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong> ein Ständiges Sekretariat mit Sitz<br />

in Innsbruck und einer Außenstelle in Bozen; dieses unterstützt seitdem die Arbeit<br />

der Organe der <strong>Alpenkonvention</strong> und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.<br />

Die Rahmenkonvention wurde 1991 in Salzburg von den Staaten Deutschland,<br />

Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und der EU unterzeichnet<br />

(Slowenien als Nachfolgerin von Jugoslawien folgte am 29. März 1994, und Monaco<br />

als neuer Vertragspartner am 20.12.1994) und von den nationalen Parlamenten<br />

in Deutschland, Liechtenstein und Österreich im Jahr 1994 ratifiziert (in<br />

nationales Recht übernommen), so dass sie am 6. März 1995 in Kraft treten konnte<br />

(die Ratifizierung von drei Mitgliedsstaaten ist die Voraussetzung dafür, dass<br />

die Rahmenkonvention oder ein Protokoll in Kraft treten kann). 1995 wurde die<br />

Rahmenkonvention von Slowenien und Frankreich, 1996 von der EU, 1998 von<br />

der Schweiz und Monaco und 1999 schließlich von Italien ratifiziert, so dass sie<br />

von allen Vertragspartnern ratifiziert wurde.<br />

Bei der Erarbeitung der Protokolle war der Prozess wesentlich langwieriger als<br />

ursprünglich gedacht (CIPRA-A 1996, S. 112-113; S. 87: „schneckenartiges Vorankommen“):<br />

Obwohl die Resolution von Berchtesgaden elf, die Rahmenkonvention<br />

von Salzburg zwölf zu erarbeitende Protokolle nannte (an erster Stelle<br />

ein Protokoll Bevölkerung & Kultur, was in Berchtesgaden nicht explizit genannt<br />

wurde, obwohl dieser Bereich in der Resolution sehr prominent angesprochen<br />

wurde), wurden nach längerer Zeit lediglich acht Protokoll-Entwürfe erarbeitet,<br />

und die Protokolle Bevölkerung & Kultur, Luftreinhaltung, Wasserhaushalt und<br />

Abfallwirtschaft wurden nicht angegangen; dafür wurde zusätzlich ein Protokoll<br />

Streitbeilegung entwickelt.<br />

1.3 Zur Erarbeitung der Protokoll-Inhalte<br />

Bei der Erarbeitung der Protokoll-Inhalte gab es drei grundsätzliche Herausforderungen:<br />

a) Die Schweiz schlug im Jahr 1993 ein neues Protokoll „Wirtschaft und Gesellschaft“<br />

vor, weil die bisherigen Dokumente der <strong>Alpenkonvention</strong> den Aspekt der<br />

Berggebietsförderung viel zu wenig thematisierten und weil ein sozio-ökonomi-<br />

14 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


sches Gesamtkonzept für den Alpenraum fehlte, und die bisher vorliegenden<br />

Protokoll-Entwürfe (außer Berglandwirtschaft) sollten in dieser Beziehung überprüft<br />

und angepasst werden (Wachter 1993, S. 68-69). Dieser Vorschlag wurde<br />

jedoch von der III. Alpenkonferenz in Chambéry abgelehnt, und die Schweizer<br />

Vorschläge wurden teilweise in das Protokoll Raumplanung aufgenommen, das<br />

dadurch zum Protokoll „Raumplanung und nachhaltige Entwicklung“ erweitert<br />

wurde (Bätzing 2002, S. 55, CIPRA-A 1996, S. 112).<br />

b) Weil Österreich und vor allem den österreichischen Bundesländern das Verkehrsprotokoll<br />

mit dem darin enthaltenen Verbot des Baus von neuen Transitautobahnen<br />

(Artikel 11: „Die Vertragsparteien verzichten auf den Bau neuer<br />

hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr“) besonders wichtig war,<br />

hatte die österreichische Landeshauptleutekonferenz 1993 beschlossen, die Unterzeichnung<br />

aller anderen Protokolle von der Existenz eines akzeptablen Verkehrsprotokolls<br />

abhängig zu machen (CIPRA-A 1996, S. 112). Die Verhandlungen<br />

darüber zogen sich lange hin, drohten mehrmals an Interessengegensätzen der<br />

Vertragsparteien zu scheitern und wurden erst im Jahr 2000 auf der VI. Alpenkonferenz<br />

in Luzern positiv gelöst (Details siehe Galle 2002, S. 119-148). Erst danach<br />

konnten die bislang erarbeiteten Protokolle 2002 in Kraft treten.<br />

c) Ein Protokoll Bevölkerung & Kultur wurde zwar von der Rahmenkonvention an<br />

erster Stelle genannt, es wurde aber mit seiner Erarbeitung in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />

nicht begonnen. Erst auf der 19. Sitzung des Ständigen Ausschusses wurde am 7.<br />

September 2001 nach verschiedenen Interventionen beschlossen, eine Arbeitsgruppe<br />

zu diesem Thema einzusetzen, die jedoch lediglich Materialien zusammenstellen<br />

und keinen Protokoll-Entwurf erarbeiten sollte. Auf Grund gravierender<br />

inhaltlicher Differenzen (Bätzing 2002, S. 56) wurde schließlich auf der IX.<br />

Alpenkonferenz in Alpbach 2006 lediglich eine „Deklaration“ und kein Protokoll<br />

zu diesem Thema verabschiedet.<br />

Der Stand der Protokolle sieht heute folgendermaßen aus:<br />

● Die Schweiz hat zwar alle Protokolle unterzeichnet, aber kein einziges ratifiziert.<br />

● Die EU hat mit Ausnahme der Protokolle Bergwald und Streitbeilegung alle<br />

Protokolle unterzeichnet, hat aber die Protokolle Raumplanung & nachhaltige<br />

Entwicklung und Naturschutz & Landschaftspflege nicht ratifiziert.<br />

● Monaco hat alle Protokolle außer Energie unterzeichnet, aber die Protokolle<br />

Berglandwirtschaft, Bergwald und Verkehr nicht ratifiziert.<br />

● Die übrigen Vertragsparteien haben inzwischen alle Protokolle ratifiziert (Italien<br />

erst 2013), und sie sind alle seit 2002 in Kraft.<br />

In der Anfangszeit gab es die Überlegung, nach Fertigstellung der Protokolle und<br />

den ersten Erfahrungen mit ihrer Umsetzung eine zweite Generation der Protokolle<br />

zu erarbeiten, in denen zentrale Inhalte eindeutiger und konkreter festgelegt<br />

werden sollten (so mehrere Voten von Hohen Beamten auf der Tagung in<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

15


Schwangau: CIPRA 1993, S. 63-64), aber da die Erarbeitung der Protokolle deutlich<br />

länger dauerte als ursprünglich erwartet, unterblieb dies.<br />

1.4 Die Schwerpunkte der Arbeit<br />

In den ersten <strong>Jahre</strong>n lag der Schwerpunkt der Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> auf der<br />

Erarbeitung der Protokolle; ab dem Jahr 2000, als die acht Protokolle (plus Protokoll<br />

Streitbeilegung) unterzeichnet waren, und dem Jahr 2003, als das Ständige<br />

Sekretariat in Innsbruck eingerichtet wurde, konnte man sich weiteren Themen<br />

widmen. Dies waren (siehe www.alpconv.org):<br />

● Erarbeitung von umfangreichen Alpenzustandsberichten, die jeweils von internationalen<br />

Expertengruppen vorbereitet werden: Verkehr (2007), Wasser<br />

(2009), ländliche Entwicklung (2011), Tourismus (2013), demographischer<br />

Wandel (2015), Greening the Economy in the Alpine Region (2016).<br />

● Erarbeitung von Deklarationen, Berichten und Leitlinien zu verschiedenen<br />

Themen.<br />

● Einsetzung von Arbeitsgruppen und Plattformen, die die laufenden Entwicklungen<br />

im Alpenraum beobachten und die zuständig sind für die Erarbeitung<br />

von Empfehlungen, Umsetzungsmaßnahmen und eventuellen neuen Protokollen,<br />

Deklarationen oder Leitlinien.<br />

● Zusammenarbeit mit Organisationen, die die gleichen Ziele wie die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

verfolgen (Gemeindenetzwerk Allianz in den Alpen, Via Alpina,<br />

Arbeitsgemeinschaft Alpenstädte, Verein Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s, ÖAV-Bergsteigerdörfer<br />

u.a.).<br />

● Zusammenarbeit mit anderen Gebirgsregionen der Erde mit dem Ziel der<br />

Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, wobei die <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />

erstes internationales Abkommen dieser Art eine Vorbildfunktion erfüllt<br />

(Karpaten, Dinariden, Pyrenäen, Kaukasus, Zentralasien, Anden).<br />

Mit diesen Arbeiten wurde das Spektrum der inhaltlichen Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

über die acht Protokolle hinaus spürbar erweitert.<br />

2. Zu den wichtigsten Aktivitätsfeldern der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Was hat die <strong>Alpenkonvention</strong> bei den sechs wichtigsten Aktivitätsfeldern erreicht?<br />

2.1 Politische Zusammenarbeit<br />

Es stellt eine sehr große Leistung dar – und war vor 1989 nicht konkret vorstellbar!<br />

–, dass es gelang, für dieses anspruchsvolle Konzept (Integration von Schutz<br />

und Entwicklung als gleichwertige Verbindung der Bereiche Umwelt, Wirtschaft,<br />

Bevölkerung und Kultur) alle acht Staaten mit Alpenanteil und die EU zu gewinnen,<br />

und sie zur Ratifizierung der Rahmenkonvention und zur Unterzeichnung<br />

16 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


der acht Protokolle zu motivieren! Damit haben sich die Alpen in ihrer langen<br />

Geschichte erstmals als gemeinsamer politischer Raum konstituiert, der nicht<br />

mehr so leicht wie vorher zum Spielball europäischer Interessen gemacht werden<br />

kann, indem Alpenregionen gegeneinander ausgespielt werden. Und weiterhin<br />

ist es keineswegs selbstverständlich, dass der inhaltlich anspruchsvolle <strong>Alpenkonvention</strong>sprozess<br />

nach so langer Zeit nicht eingeschlafen oder zur Routine<br />

erstarrt ist, sondern auch heute lebendig ist und neue politische Akzente setzt.<br />

Und mit der Übertragung der Erfahrungen aus den Alpen auf andere Gebirgsregionen<br />

der Erde erhält die <strong>Alpenkonvention</strong> in den letzten <strong>Jahre</strong>n eine globale<br />

Bedeutung, an die anfangs Niemand zu denken gewagt hätte.<br />

Allerdings gibt es bei diesen sehr großen Erfolgen zwei Einschränkungen: Die<br />

EU war zu Beginn in den <strong>Alpenkonvention</strong>sprozess voll eingebunden, zog sich<br />

aber seit 2008 allmählich daraus zurück (zu den Ursachen siehe Abschnitt 4.4),<br />

was eine politische Schwächung der <strong>Alpenkonvention</strong> bedeutet, da sie in Europa<br />

nicht als Insellösung verstanden werden will, sondern weil sie auch Anstöße für<br />

neue politische Lösungen innerhalb der EU geben will (u.a. in Bezug auf Subsidiarität<br />

und Regionalisierungsprozesse). Eine noch größere Schwächung bedeutete<br />

das Abseitsstehen der Schweiz bei der <strong>Alpenkonvention</strong>: Sie ratifizierte zwar die<br />

Rahmenkonvention, unterzeichnete alle Protokolle und beteiligt sich an der regelmäßigen<br />

Arbeit (u.a. Übernahme des Vorsitzes in den <strong>Jahre</strong>n 1999-2000 und<br />

2011-2012), aber das Schweizer Parlament lehnte es ab, die Protokolle zu ratifizieren<br />

(CIPRA 1993, S. 62-63; Ursachen siehe Abschnitt 3.3). Dies bedeutete<br />

eine erhebliche Schwächung der <strong>Alpenkonvention</strong>, weil die Schweiz nicht nur ein<br />

wichtiger und unverzichtbarer Alpenstaat ist, sondern weil gerade die vielfältigen<br />

und langen Schweizer Föderalismuserfahrungen für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

sehr wichtig gewesen wären (CIPRA 1993, S. 65).<br />

Ein weiteres Problem liegt darin, dass zwar die politische Zusammenarbeit auf<br />

der Ebene der Staaten bei der <strong>Alpenkonvention</strong> gut läuft, dass aber die nachgeordneten<br />

Ebenen anfangs gar nicht und später nur zögernd eingebunden wurden<br />

(Bätzing 1994, S. 188). Dies war deshalb ein erhebliches Problem, weil es auf<br />

der Regionsebene (Bundesländer, Kantone, regioni, régions) zuvor mit der ARGE<br />

ALP, der ARGE ALP-ADRIA und der COTRAO wichtige Vorarbeiten für alpenweite<br />

Problemlösungen gegeben hatte, diese aber bei der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht<br />

aktiv eingebunden wurden, was zu politischen Verstimmungen führte (CIPRA<br />

1993, S. 61). Auch die speziell zur integrativen Berggebietsentwicklung gegründeten<br />

Strukturen in den Alpen (comunità montane in Italien, IHG-Regionen in<br />

der Schweiz, pays in Frankreich), deren Zielsetzungen denen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

stark ähnelten, wurden dabei nicht einbezogen, und erst recht nicht die sehr<br />

große Zahl der Alpengemeinden. Durch diesen fehlenden politischen „Unterbau“<br />

war die <strong>Alpenkonvention</strong> in einer langen Anfangszeit politisch abgehoben und<br />

an der Basis nicht verankert. Auch der Versuch von Seiten der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

17


diese unbefriedigende Situation mit dem Instrument der „Konferenzen der Regionen<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>“ (Chambéry 2009, Trient 2010, Brdo 2011) und der<br />

Gründung eines „Regionen-Netzwerkes der Alpen“ zu verbessern (www.alpconv.<br />

org > Die Konvention > Alpine Netzwerke), war von keinem Erfolg gekrönt: Der<br />

2011 verabschiedete Beschluss, mindestens alle zwei <strong>Jahre</strong> eine solche Konferenz<br />

durchzuführen, wurde nicht umgesetzt.<br />

Eine Ausnahme hierbei bildet allein Österreich: Schon im Jahr 1989 wurde das<br />

Österreichische Nationale Komitee für die <strong>Alpenkonvention</strong> gegründet, das aus<br />

Vertretern der betroffenen Ministerien, der Bundesländer, der nationalen NGO’s<br />

und der Sozialpartner besteht, und das als innerstaatliche Koordinationsplattform<br />

dient (CIPRA-A 1996, S. 86). 3 Dadurch ist es gelungen, die österreichischen<br />

Bundesländer auf gleichberechtigte Weise in den Prozess der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

einzubeziehen (Selbstbezeichnung: „Der österreichische Weg“, CIPRA-A 1996),<br />

und dadurch ist die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich an der politischen Basis gut<br />

verankert und akzeptiert. Es ist sehr bedauerlich, dass die anderen Vertragsstaaten<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> diesem Vorbild nicht folgen.<br />

Mit der Unterstützung der Arbeit des Gemeindenetzwerks Allianz in den Alpen,<br />

des Vereins „Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s“ und einer Reihe von Projekten wie die „AlpenWoche“<br />

(Scheurer 2014, S. 238-239) versucht das Ständige Sekretariat in den<br />

letzten <strong>Jahre</strong>n – durchaus nicht erfolglos – die politische Akzeptanz an der Basis<br />

gezielt zu verbessern; solange aber die einzelnen Alpenstaaten die unteren politischen<br />

Ebenen nicht aktiv in die Arbeit an der <strong>Alpenkonvention</strong> einbeziehen,<br />

bleiben die Ergebnisse dieser Aktivitäten begrenzt.<br />

2.2 Protokoll-Inhalte<br />

Bei der Erarbeitung der Protokoll-Inhalte wurde schnell klar, dass es im Alpenraum<br />

sehr unterschiedliche Situationen, Probleme und Entwicklungen und auch<br />

sehr unterschiedliche politische Zielsetzungen gibt (Schwerpunkt eher auf Schutz<br />

oder eher auf Entwicklung), so dass Einigungen auf konkrete Ziele sehr schwer<br />

waren. Dies führte dazu, dass Protokollformulierungen häufig ziemlich allgemein<br />

und manchmal auch ziemlich nichtssagend formuliert wurden und dass man sich<br />

bei konkreten Festlegungen in der Regel auf den kleinsten gemeinsamen Nenner<br />

einigte. Die einzige relevante Ausnahme davon ist das Verbot „neuer hochrangiger<br />

Straßen für den alpenquerenden Verkehr“ im Verkehrsprotokoll, dessen Ausarbeitung<br />

deshalb besonders lange gedauert und dessen Scheitern mehrmals<br />

gedroht hatte.<br />

Die Fixierung des kleinsten gemeinsamen Nenners, also des status-quo der<br />

ersten Hälfte bzw. der Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong>, ist jedoch keinesfalls nur negativ<br />

zu bewerten: Angesichts zahlreicher aktueller Erschließungs- und Ausbaupläne<br />

3 Die einzelnen Beiträge dieser wichtigen Publikation sind ein anschaulicher Beleg für die Arbeit dieses<br />

Komitees.<br />

18 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


(Wind-/Wasserkraft, Tourismus, Infrastrukturen) stellen diese Festlegungen (z.B.<br />

Bodenschutzprotokoll § 14,1) eine Möglichkeit dar, neue, umweltzerstörerische<br />

Projekte erfolgreich in Frage stellen zu können.<br />

Letztlich kann man jedoch feststellen, dass Aufwand und Ertrag bei den Protokollen<br />

in einem ungünstigen Verhältnis zueinander stehen. Das zeigt sich daran,<br />

dass das von der Rahmenkonvention an erster Stelle aufgeführte Protokoll Bevölkerung<br />

& Kultur wegen interner Widersprüche nur als Deklaration verabschiedet<br />

wurde, dass die noch fehlenden drei Protokolle Luftreinhaltung, Wasserhaushalt<br />

und Abfallwirtschaft nicht mehr erarbeitet wurden und dass eine zweite Generation<br />

der Protokolle, von der noch auf der Schwangauer Konferenz gesprochen<br />

wurde, später keine Rolle mehr spielte.<br />

Betrachtet man die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong>, so fällt auf, dass das<br />

Thema Protokolle seit etwa zehn <strong>Jahre</strong>n – mit Ausnahme einiger weniger, meist<br />

von Österreich organisierter Tagungen zu Umsetzungsproblemen bestimmter<br />

Protokolle - kaum noch eine Rolle spielt. Es wird ersetzt durch die Erarbeitung<br />

von Deklarationen, Berichten, Leitlinien, Alpenzustandsberichten u.a., mit denen<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> inhaltlich Einfluss auf die Entwicklung im Alpenraum<br />

zu nehmen versucht. Damit treten letztlich „weiche“ Instrumente (Argumentationsketten,<br />

Vorschläge, Ideen, Vernetzungen) an die Stelle der Protokolle mit<br />

ihren „harten“ Festlegungen. Der Vorteil dieser weichen Instrumente besteht in<br />

ihrem geringen Aufwand, in ihrer Flexibilität und Schnelligkeit, der Nachteil in<br />

ihrer Unverbindlichkeit.<br />

Betrachtet man die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> in den vergangenen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n,<br />

so kann man feststellen, dass die Protokolle – mit Ausnahme des Verkehrsprotokolls<br />

– die Realität der Alpen nur wenig verändert haben, dass aber die Auswirkungen<br />

der weichen Instrumente in den letzten zehn <strong>Jahre</strong>n auch nicht viel<br />

größer sind.<br />

2.3 Fördergelder für „Die Alpen“<br />

Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar und teilweise sogar auch nicht mehr<br />

bekannt, welche negative Bedeutung die staatlichen Grenzen im Alpenraum früher<br />

hatten. In einer sehr langen Anfangsphase gab es keinerlei Möglichkeiten,<br />

Fördergelder für alpenweite Projekte zu erhalten, weil es dafür keine Programme<br />

gab. Aus diesem Grund forderte die CIPRA in ihrem „Aktionsplan für die Umsetzung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>“ bereits im Jahr 1995 die Einrichtung eines öffentlichen<br />

Alpenfonds, damit die Leitideen der <strong>Alpenkonvention</strong> mittels Pilotprojekten<br />

konkret gemacht und öffentlichkeitswirksam präsentiert werden könnten. Dies<br />

wurde bedauerlicherweise nicht umgesetzt, und die <strong>Alpenkonvention</strong> verfügt bis<br />

heute über kein Budget für eigene Projekte.<br />

Diese Situation änderte sich etwas mit der Verabschiedung des Europäischen<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

19


Raumentwicklungskonzeptes EUREK im Jahr 1999 4 und der darauf aufbauenden<br />

Neukonzeption der Interreg-Programme ab dem Jahr 2001. Im Rahmen einer<br />

„transnationalen“ Zusammenarbeit wurden großräumige Kooperationsräume<br />

in Europa geschaffen, 5 und einer von ihnen war der „Kooperationsraum Alpen“<br />

oder der „Alpine Space“. Allerdings umfasste dieses Gebiet neben den eigentlichen<br />

Alpen weite perialpine Räume mit den dortigen Metropolen, so dass sich<br />

der Alpine Space aus zwei sehr heterogenen Teilräumen – große wirtschaftsstarke<br />

Metropolräume und ein peripherer, wirtschaftsschwacher Alpenraum im Sinne<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> – zusammensetzt.<br />

Dieses neue Interreg-Programm war die allererste Möglichkeit in der Geschichte<br />

des Alpenraumes, alpenweite Projekte zu fördern, und daran hat sich bis zur<br />

Entstehung der EUSALP (siehe Abschnitt 4.4) nichts geändert.<br />

Seit 2001 hat es mehr als eintausend Interreg-Projekte für den Alpine Space<br />

gegeben (www.alpine-space.org), die sich nach Aussagen von Christian Salletmaier<br />

6 zum überwiegenden Teil auf die Alpen im Sinne des Geltungsbereichs der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> und nicht auf den perialpinen Teil des Alpine Space bezogen<br />

haben bzw. beziehen. Mit diesen Projekten wurde eine neue Realität im Alpenraum<br />

geschaffen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit – vor allem<br />

unter Behörden und Institutionen – sehr stark ausgeweitet; allerdings gab es<br />

nicht sehr viele Projekte, die auch von einer breiten Öffentlichkeit in den Alpen<br />

wahrgenommen wurden oder die eine wirklich gesamtalpine Bedeutung erlangt<br />

hätten. Da die Interreg-Zielsetzungen den Zielsetzungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

sehr ähnlich sind, wurde letztlich die <strong>Alpenkonvention</strong> durch diese Entwicklung<br />

indirekt gestärkt.<br />

So positiv es einerseits ist, dass der Alpine Space die Alpen auf eine pragmatische<br />

Weise im Sinne der Abgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong> versteht, so stellt die<br />

weite Abgrenzung der Alpen, die damit eingeführt wurde, ein gewisses Problem<br />

dar, weil mit dieser anderen Alpenabgrenzung diejenige der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

erstmals ein Stück weit relativiert wird. Und nach wie vor ist es unverständlich,<br />

dass die <strong>Alpenkonvention</strong> über keinerlei Mittel zur Förderung eigener Projekte<br />

verfügt – dies blockiert die Umsetzung ihrer Ziele und schwächt eine nachhaltige<br />

Alpenentwicklung.<br />

4 Grundsätzlich zum EUREK und seiner programmatischen Bedeutung siehe Bätzing 2003, S. 350-356. Da die<br />

damals geäußerte Erwartung, der EUREK-Prozess bedeute „einen sehr wichtigen Ansatz zur föderalistischen<br />

Ausgestaltung der EU-Politiken“ (a.a.O., S. 353), aber nicht eingelöst wurde, wurden diese Abschnitte in der<br />

4. Fassung des Alpen-Buches (Bätzing 2015) wieder gestrichen.<br />

5 Diese wurden knapp zehn <strong>Jahre</strong> später „Makroregionen“ genannt, und sie erhielten mittels neu geschaffener<br />

makroregionaler Strategien eine neue politische Bedeutung innerhalb der EU; siehe dazu Abschnitt<br />

4.4.<br />

6 Persönliche Mitteilung auf der Tagung von CIPRA-Österreich zur makroregionalen Alpenraumstrategie am 8.<br />

Januar 2014 in Salzburg.<br />

20 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


2.4 Wissenschaft<br />

Sowohl in der Resolution von Berchtesgaden (Artikel 83-85) als auch in der Rahmenkonvention<br />

(Artikel 3-4) werden Forschung und Wissenschaft direkt angesprochen,<br />

weil sie wichtige Beiträge zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> liefern<br />

sollen. Daraus entwickelten sich relevante Impulse für eine alpenweit vernetzte<br />

Alpenforschung, die zuvor nur im nationalen Rahmen existiert und die lediglich<br />

bei sehr wenigen Projekten (z.B. UNESCO Man-and-Biosphere-6-Programm; siehe<br />

Messerli 2016) grenzüberschreitend zusammengearbeitet hatte.<br />

Ein erster, sehr früher Bericht über „Alpenbezogene Forschungskooperation“<br />

wurde vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung<br />

erarbeitet (Berning 1992); er bezieht sich explizit auf die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und stellt eine wichtige Bestandsaufnahme des damaligen Zustands der Alpenforschung<br />

dar.<br />

Zeitgleich entstand in der Schweiz eine Initiative für ein internationales Netzwerk<br />

Alpenforschung, das 1994 zum ersten AlpenForum in Disentis/Schweiz und<br />

1999 zur Gründung des Internationalen Wissenschaftlichen Komitees Alpenforschung<br />

(ISCAR) führte. ISCAR ist vertraglich in sechs Alpenstaaten verankert<br />

(Schweiz, Österreich, Bayern, Slowenien, Frankreich, Italien), die Geschäftsstelle<br />

befindet sich in Bern/Schweiz, und im Jahr 2000 wurde ISCAR offizieller Beobachter<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> (Scheurer 2014). 7<br />

Durch dieses neue wissenschaftliche Netzwerk gab es relevante Impulse für die<br />

Alpenforschung, die auch der <strong>Alpenkonvention</strong> zu gute kamen. Allerdings fehlt<br />

bis heute noch ein Förderprogramm, das alpenweit angelegte Forschungen finanzieren<br />

könnte. Trotz dieser Lücke kann man aber feststellen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

im Bereich Wissenschaft relevante Veränderungen und Entwicklungen<br />

ausgelöst hat.<br />

2.5 Öffentlichkeitsarbeit<br />

Da die Alpen im 20. Jahrhundert fast durchgehend von sehr starken nationalen<br />

Strukturen geprägt waren und der alpenweite Ansatz der <strong>Alpenkonvention</strong> etwas<br />

grundsätzlich Neues darstellte, war eine breite Öffentlichkeitsarbeit von großer<br />

Wichtigkeit, um ihr Anliegen im gesamten Alpenraum von Wien bis Nizza bekannt<br />

zu machen. Deshalb wird auch in der Rahmenkonvention in Artikel 4, 4 explizit<br />

die Notwendigkeit einer regelmäßigen Öffentlichkeitsarbeit angesprochen.<br />

Die beiden Alpenkonferenzen von Berchtesgaden (1989) und Salzburg (1991)<br />

erzielten in allen Alpenstaaten jeweils ein riesiges Medienecho (zahllose Presse-<br />

und Rundfunkberichte bis hin zur Berichterstattung in den abendlichen Fernsehnachrichten),<br />

aber bereits bei der III. Alpenkonferenz ließ das Medieninteresse<br />

spürbar nach und versiegte bald vollständig.<br />

7 Da der ISCAR-Geschäftsführer Entstehung und Aufgaben des ISCAR kürzlich in einem Aufsatz dargestellt hat<br />

(Scheurer 2014), können die Ausführungen hier kurz ausfallen.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

21


In dieser Situation führte CIPRA International zusammen mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und zahlreichen Kooperationspartnern in den einzelnen Alpenstaaten eine<br />

großangelegte alpenweite Informationskampagne durch (zur Umsetzung in Österreich<br />

siehe Galle 2002, S. 159-161). Sie bestand zum einen aus der Erarbeitung<br />

einer farbigen, 6-seitigen Broschüre im Format DIN A4 mit dem Titel „Die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> – Leben und Wirtschaften mit der Natur“, die in hoher Auflage<br />

in acht unterschiedlichen Ausgaben (für Deutschland, Österreich, Liechtenstein,<br />

Schweiz, Südtirol, Italien, Frankreich, Slowenien) erschien, wobei auf der ersten<br />

Seite unter der Überschrift „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Chance für ....“ auf die<br />

jeweilige Situation eingegangen wurde. Zum anderen wurde ein längerer journalistischer<br />

Text produziert, der unter dem Titel „Lebensraum Alpen“ als Beilage<br />

in vier großen deutschsprachigen Tageszeitungen erschien (Tagesanzeiger/<br />

Zürich vom 07.11.1994, Süddeutsche Zeitung/München vom 09.11.1994, Der<br />

Standard/Wien vom 24.12.1994, Dolomiten/Bozen vom 24.01.1995). Diese heute<br />

längst vergessene Informationskampagne war damals sehr erfolgreich, wurde<br />

aber seitdem nie wieder wiederholt.<br />

Mit der Eröffnung des Ständigen Sekretariats 2003 in Innsbruck erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

erstmals die Möglichkeit, eigenständig Pressearbeiten durchzuführen.<br />

Obwohl diese Möglichkeit mittels Presseerklärungen, Newsletter, Einrichtung<br />

von Info-Points, Journalistenreisen, AlpenWoche u.a. seitdem intensiv<br />

genutzt wird (siehe www.alpconv.org unter „News and Events“), bleiben die Ergebnisse<br />

letztlich bescheiden – das Thema <strong>Alpenkonvention</strong> spielt in den europäischen<br />

Medien nur noch eine sehr randliche Rolle.<br />

2.6 Indirekte Impulse<br />

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Alpenraum, die 1972 mit der<br />

Gründung der ARGE ALP sehr zögernd begonnen hatte und die sich im Verlauf<br />

der 1980er <strong>Jahre</strong> allmählich immer mehr verstärkte, erhielt durch die Entstehung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> einen sehr starken Schub: Einerseits wurde dadurch die alpenweite<br />

Zusammenarbeit von Gruppen, Initiativen und Organisationen, die an<br />

ähnlichen Problemen arbeiteten (Berglandwirtschaft, Bergwald, sanfter Tourismus,<br />

Kultur, Transitverkehr, Umweltschutz), gestärkt, und andererseits fühlten<br />

sich viele Einzelpersonen, Betriebe und Genossenschaften bei ihrem Engagement<br />

für ein umweltverträgliches Wirtschaften (Verbindung Schutz und Entwicklung)<br />

bestätigt und unterstützt. Als Folge dessen entstand im gesamten Alpenraum<br />

mit und durch die <strong>Alpenkonvention</strong> eine Art Aufbruchsbewegung in dezentralen<br />

Strukturen (Dokumentation eines Teils dieser Initiativen in Haid 1989 und 2005),<br />

die bis weit in die Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong> hinein lebendig war, die dann bis zum<br />

Jahr 2005 immer schwächer wurde und die nach 2005 wieder verschwand.<br />

22 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


2.7 Zusammenfassende Bewertung der Aktivitätsfelder<br />

Misst man die Aktivitäten und Erfolge der <strong>Alpenkonvention</strong> an den selbstgesteckten<br />

Zielen aus den <strong>Jahre</strong>n 1989 und 1991, so fällt das Ergebnis letztlich ziemlich<br />

bescheiden aus. Aber dieser Bewertungsmaßstab ist nicht wirklich angemessen:<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> als ein völlig neues und innovatives Vertragswerk war mit<br />

spezifischen Problemen verbunden, die man anfangs nur teilweise überblickte<br />

(siehe Abschnitt 3), und deshalb ist es realitätsnah, die Aktivitäten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

auf eine etwas andere Weise zu bewerten:<br />

Der größte Erfolg der <strong>Alpenkonvention</strong> bestand darin, dass es gelang, die gesamten<br />

Alpen unter einer gemeinsamen Programmatik und Zielsetzung zu vereinen<br />

und diesen Prozess bis heute lebendig zu halten. Dabei konnten in den Protokollen<br />

einige Festlegungen beschlossen werden, denen heute angesichts großer<br />

umweltzerstörerischer Erschließungsprojekte eine neue Aktualität zukommt,<br />

aber vor allem konnte der Bau von neuen Transitautobahnen durch die Alpen bis<br />

heute verhindert werden. Mindestens genauso wichtig waren darüber hinaus die<br />

indirekten Impulse der <strong>Alpenkonvention</strong> in den verschiedenen Bereichen, die zu<br />

vielen kleinen und dezentralen Veränderungen im Alpenraum führten.<br />

Diese Erfolge sind keinesfalls gering, denn wenn man die Alpen und ihre politischen<br />

und kulturellen Verhältnisse in den 1980er <strong>Jahre</strong>n gekannt hat, dann weiß<br />

man, wie wenig selbstverständlich sie sind und welch große Leistungen dahinter<br />

stehen. Und wenn man sich vorstellt, wie sich die Alpen ohne die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

entwickelt hätten, dann muss man sehr froh sein, dass es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

gibt und dass sie bis heute lebendig ist.<br />

3. Zentrale Problembereiche der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Weil die <strong>Alpenkonvention</strong> weltweit die erste Konvention war, die Schutz- und<br />

Entwicklungsziele im Sinne der Nachhaltigkeit für einen großen Natur- und Wirtschaftsraum<br />

miteinander verknüpfte, und weil damals dafür noch keine Erfahrungen<br />

und Vorbilder vorlagen, gab es von Beginn an spezifische Probleme, die<br />

die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> beeinträchtigten.<br />

3.1 Sektoraler Umweltschutz versus integrative Umweltentwicklung<br />

Bei den ersten Beschlüssen zur Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong> im Jahr 1987<br />

gingen alle Experten von einer sektoralen Umweltschutzkonvention aus, und dieser<br />

Grundgedanke ist in den Dokumenten der Lindauer Konferenz (CIPRA 1989)<br />

heute noch deutlich zu spüren. Gleichzeitig wandelte sich jedoch in der zweiten<br />

Hälfte der 1980er <strong>Jahre</strong> der traditionelle Natur- und Umweltschutz (keinerlei<br />

Nutzung der Natur) zu einem neuen Verständnis von Umweltschutz (Schutz der<br />

Umwelt durch angepasste Nutzungen; grundsätzlich dazu siehe Bätzing 2015, S.<br />

237-241). Vorreiter dabei war die CIPRA, die auf ihrer <strong>Jahre</strong>sfachtagung 1987 die<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

23


Deklaration „Für eine große Koalition zwischen Berglandwirtschaft und Naturund<br />

Heimatschutz im Alpenraum“ verabschiedete (CIPRA 1988, S. 16-21), und<br />

daraufhin folgten praktisch alle einschlägigen Organisationen, die in den folgenden<br />

<strong>Jahre</strong>n ihre Programme zum „Schutz der Alpen“ in Programme zum „Schutz<br />

und zur nachhaltigen Entwicklung der Alpen“ abänderten.<br />

Dies betraf auch die <strong>Alpenkonvention</strong> sehr direkt, die ursprünglich als reines<br />

Schutzinstrument gedacht war, die dann auf der Lindauer Konferenz vorsichtig<br />

in Richtung nachhaltige Nutzung geöffnet wurde (siehe dazu den programmatischen<br />

Beitrag von Walter Danz in CIPRA 1989, S. 63-79), und die mit der Resolution<br />

von Berchtesgaden 1989 und der Rahmenkonvention 1991 explizit eine „integrative“<br />

Perspektive verfolgte (Verbindung Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung,<br />

Kultur), auch wenn zahlreiche einzelne Formulierungen noch auf die ursprüngliche<br />

Leitidee verwiesen.<br />

Allerdings waren den betroffenen Akteuren die Konsequenzen dieses Strategiewechsels<br />

nicht vollständig bewusst, was sich an zwei Punkten zeigt: Eine integrativ<br />

angelegte <strong>Alpenkonvention</strong> hätte erstens auf der politischen Ebene nicht<br />

die Zuständigkeit der Umweltminister erfordert, sondern diejenige der Minister<br />

für Raumordnung bzw. der Kanzler/Präsidenten, und zweitens hätten die Protokolle<br />

den gesamten Bereich der Wirtschaft (also auch die gewerblich-industrielle<br />

Wirtschaft und die nicht-touristischen Dienstleistungen) und die Alpenstädte<br />

abdecken müssen, woran überhaupt nicht gedacht wurde; und die Abwertung<br />

des Protokolls Bevölkerung & Kultur zur Deklaration hat dies noch zusätzlich verstärkt.<br />

Damit enthält die <strong>Alpenkonvention</strong> von Anfang an bis heute zwei Elemente (Zuständigkeit<br />

der Umweltminister, inhaltliche Gewichtung der Protokollthemen),<br />

die auf ihre ursprüngliche Konzeption als Schutzinstrument verweisen und die in<br />

einem gewissen Widerspruch zu ihrer programmatischen Zielsetzung der nachhaltigen<br />

Alpenentwicklung stehen.<br />

Diese „Schutzlastigkeit“ (so der damals oft gebrauchte Begriff) war in den Anfangsjahren<br />

ein häufig vorgetragenes Argument gegen die <strong>Alpenkonvention</strong>, das<br />

auch heute noch gelegentlich zitiert wird. Allerdings kann man festhalten, dass<br />

die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> – im Gegensatz zu vielen plakativen<br />

Anfeindungen – nie den Schwerpunkt auf den Umweltschutz gelegt hat, sondern<br />

dass es dabei immer um die angemessene Balance zwischen Schutz und Entwicklung<br />

ging und geht.<br />

3.2 Top-down-Vorgehen statt Bottum-up<br />

Als die CIPRA die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch vorzubereiten begann, war es für sie<br />

selbstverständlich, dass der Anstoß dazu „von unten“ kommen müsste, also von<br />

der Alpenbevölkerung und vor allem von den Regionen (Bundesländer, Kantone,<br />

regioni, régions) des Alpenraums (CIPRA 1989, S. 66, CIPRA 1992, S. 42).<br />

24 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Als dann jedoch der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer die Initiative ergriff<br />

und seine Amtskollegen zur Konferenz nach Berchtesgaden einlud, war diese<br />

Umsetzungsstrategie plötzlich gescheitert. Damit waren zwei gravierende Probleme<br />

verbunden.<br />

Erstens entstand die <strong>Alpenkonvention</strong> als Top-down-Initiative eines Umweltministers,<br />

der sich damit über die „unter“geordneten politischen Ebenen hinwegsetzte.<br />

Dieser Anfangsfehler prägte die <strong>Alpenkonvention</strong> in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />

stark, und lediglich Österreich entwickelte eine Struktur, die die Bundesländer<br />

systematisch in die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> einbezog.<br />

Zweitens kam der definitive Impuls für eine <strong>Alpenkonvention</strong> aus dem alpenfernen<br />

Bonn, was im Alpenraum – der traditionellerweise gegenüber Einflussnahmen<br />

von außerhalb sehr sensibel reagiert – reflexartige Befürchtungen einer<br />

Fremdbestimmung aufkommen ließ.<br />

Im Nachhinein kann man feststellen, dass dieses Vorgehen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

erheblich geschadet hat und dass der ursprüngliche Weg wahrscheinlich sehr<br />

viel besser gewesen wäre, auch wenn er deutlich länger gedauert hätte.<br />

3.3 Das Abseitsstehen der Schweiz<br />

Sowohl die Schutzlastigkeit als auch das zentralistische Top-down-Vorgehen riefen<br />

im gesamten Alpenraum in der Anfangszeit heftige Kritik hervor. Während<br />

diese beiden Kritikpunkte im Laufe der Zeit fast überall durch die Alltagsarbeit<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> entkräftet werden konnten, blieben sie in der Schweiz bis<br />

heute bestehen.<br />

Zwar sprach sich der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, am 10. April 2008<br />

für die Ratifizierung aller neun Protokolle aus, weil die Protokoll-Inhalte nicht<br />

über nationales Recht hinausgingen, aber das Schweizer Parlament lehnte die<br />

Ratifizierung im November 2010 endgültig ab, wobei viele Parlamentarier dem<br />

Votum der Vertreter der Alpenkantone folgten.<br />

Die Ursachen dieser schwer verständlichen Ablehnung sind sehr komplex: 8 Wichtige<br />

Alpenkantone wie Wallis oder Graubünden waren früher im Rahmen des<br />

alten Staatenbundes der Eidgenossenschaft de facto eigenständige Territorien,<br />

und selbst nach 1848 (Umwandlung des Staatenbundes in einen Bundesstaat)<br />

hatten und haben sie weiterhin viele größere Eigenständigkeiten als z.B. deutsche<br />

Bundesländer. Mit der starken Zunahme der internationalen und globalen<br />

Verflechtungen in Wirtschaft und Gesellschaft ab den 1970er <strong>Jahre</strong>n und dem<br />

gleichzeitigen Aufbrechen der traditionellen kleinräumigen Wirtschaftsregionen<br />

(u.a. durch größere Tagespendlerdistanzen) verloren die Schweizer Kantone<br />

wichtige politische Handlungsspielräume, und die übergeordneten Ebenen (Bun-<br />

8 Die folgende Interpretation stellt die persönliche Bewertung des Autors dar, der von 1988 bis 1995 in der<br />

Schweiz lebte und arbeitete und in dieser Zeit u.a. Mitglied der Expertengruppe „Vertiefung sozio-ökonomischer<br />

Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong>“ (Wachter 1993) war.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

<strong>25</strong>


desstaat, EFTA, EU, GATT usw.) wurden immer wichtiger. Die Schweizer Alpenkantone<br />

erlebten diesen Strukturwandel als politische Bevormundung von außen,<br />

gegen den sie sich sehr heftig zur Wehr setzten, und zugleich versuchten sie,<br />

ihre immer größer werdende strukturelle Benachteiligung durch eine forcierte<br />

Modernisierung ihrer Wirtschaft auszugleichen (Bätzing 2015a, S. 40-47).<br />

Vor diesem angespannten Hintergrund wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> seit 1989<br />

nicht als Chance, sondern als Bedrohung wahrgenommen: Rein theoretisch hätten<br />

sich die relativ kleinen Schweizer Alpenkantone mittels der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

mit vielen anderen Alpenregionen mit ähnlichen Strukturproblemen zusammenschließen<br />

können und so einen Alpenraum bilden können, dessen Größe eine<br />

echte Stärkung ihrer Eigenständigkeit ermöglicht hätte. Aber dieser Gedanke war<br />

den Schweizer Alpenkantonen auch nicht ansatzweise zu vermitteln.<br />

Stattdessen interpretierten sie die Elemente der Schutzlastigkeit und das Topdown-Vorgehen<br />

als die bereits mehrfach erlebte Bevormundung von außen, und<br />

sie setzten sich diesmal dagegen ganz besonders vehement zur Wehr, weil sie<br />

„Alpenentwicklung“ als ihren ureigensten Kompetenzbereich ansahen, bei dem<br />

Niemand etwas mitzureden habe. Und zugleich versuchten die Alpenkantone<br />

ihre wirtschaftliche Entwicklung dadurch voranzutreiben, dass sie sich mit „ihren“<br />

benachbarten Großstädten enger vernetzten (z.B. Kantone Graubünden<br />

und Glarus mit Zürich; siehe Bätzing 2015a, S. 43-44). Durch diese Zusammenarbeit<br />

reduziert sich zwar – im Gegensatz zu einer Zusammenarbeit mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– die Eigenständigkeit der Alpenkantone, aber dies wurde und wird<br />

so nicht wahrgenommen.<br />

Die Diskussion über die <strong>Alpenkonvention</strong> wurde in der Schweiz dadurch zu einer<br />

Stellvertreterdiskussion, bei der es nur vordergründig um die <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

eigentlich aber um die Eigenständigkeit der Kantone in einer globalisierten Welt<br />

ging. Bedauerlicherweise konnten die damit verbundenen Problemkonstellationen<br />

bis heute nicht gelöst werden, so dass die Schweiz bei der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

weiterhin abseits steht und damit das Vertragswerk schwächt.<br />

3.4 Integrative Politik als „Chefsache“?<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> wurde als integratives Vertragswerk für eine nachhaltige<br />

Alpenentwicklung konzipiert. Damit waren zwei grundsätzliche Probleme verbunden.<br />

a) Die gesamte Politik ist in allen Staaten Europas auf der Ebene des Staates und<br />

der Bundesländer – und seit dem Erstarken der EU auch auf der europäischen<br />

Ebene – sektoral nach Ministerien strukturiert. Alle Politikfelder, die nicht sektoral,<br />

sondern integrativ angelegt sind (Zusammenarbeit Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung,<br />

Kultur), benötigen für die politische Umsetzung Arbeitsgruppen, die<br />

sich aus Mitgliedern der verschiedenen zuständigen Ministerien zusammensetzen.<br />

Solche interministeriellen Arbeitsgruppen, wie sie bei der Erarbeitung der<br />

26 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Protokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> existierten, bedeuten jedoch einen sehr großen<br />

Aufwand, der quer zum normalen Tagesgeschäft steht und der deshalb oft gescheut<br />

wird.<br />

Deshalb sitzt die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch gesehen eigentlich „zwischen allen<br />

Stühlen“ (Ministerien). Dies stellt für ihre Umsetzung einen stark hemmenden<br />

Faktor dar und macht alle ihre Aktivitäten besonders mühsam und umständlich<br />

(Bätzing 2015, S. 345, Conradin 2016).<br />

b) Für integrative oder querschnittsorientierte Politikbereiche ist normalerweise<br />

die politisch hauptverantwortliche Person zuständig. Bei der <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />

einem internationalen Vertragswerk von Staaten ist dies der Kanzler oder Präsident<br />

eines Staates.<br />

Das Problem liegt darin, dass Kanzler oder Präsidenten ihre Politik an den „großen“<br />

nationalen oder internationalen Themen ausrichten, die für Wählerstimmen<br />

und damit auch für ihre Wiederwahl relevant sind. Die Alpen sind aber politisch<br />

zu irrelevant und sprechen zu wenig Wähler an, als dass sie zur „Chefsache“<br />

werden könnten (so die Diskussion auf den ersten Konferenzen). Damit fehlt ein<br />

übergeordnetes politisches Interesse für eine integrative Alpenentwicklung.<br />

Diese beiden grundsätzlichen Probleme der integrativ konzipierten <strong>Alpenkonvention</strong><br />

sind bis heute ungelöst, und sie stellen relevante hemmende Faktoren<br />

für die konkrete Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> dar.<br />

3.5 Zur rechtlichen Verbindlichkeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Weil die <strong>Alpenkonvention</strong> auch juristisches Neuland betrat, gab es in der Anfangszeit<br />

sehr große Unsicherheiten, ob und wie ihre Festlegungen einen rechtlich<br />

verbindlichen Charakter erhalten könnten (Bätzing 1994, S. 192-194). Mit der<br />

Erarbeitung des Protokolls Streitbeilegung, mit der Ratifizierung der Rahmenkonvention<br />

und der Protokolle durch die staatlichen Parlamente und mit der Einsetzung<br />

eines Überprüfungsausschusses (ein Kontrollorgan der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

das die Einhaltung der einschlägigen Verpflichtungen überprüft; siehe www.alpconv.org<br />

> Organisation) erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong> allmählich auch eine verbindliche<br />

juristische Struktur. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> versucht<br />

diese Entwicklung mit der Internetseite „Mountain Lex“ (auf www.alpconv.<br />

org), einer Sammlung von europäischen und staatlichen Rechtsquellen zum Thema<br />

Schutz und Entwicklung in europäischen Gebirgsräumen, weiter zu fördern.<br />

Auch bei diesem Thema nimmt Österreich eine Vorreiterrolle im gesamten Alpenraum<br />

ein: Es gibt hier seit 2007 ein Handbuch für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

das die rechtliche Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> erleichtern soll<br />

(Lebensministerium 2007), es gibt eine Rechtsservicestelle bei der Geschäftsstelle<br />

von CIPRA-Österreich, die allgemeine, unverbindliche und kostenlose Rechtsauskünfte<br />

zu diesem Thema erteilt, und es wurde eine Rechtsdatenbank (www5.<br />

umweltbundesamt.at/alpenkonvention) aufgebaut, die derzeit knapp 300 ein-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

27


schlägige Dokumente enthält. Der Freistaat Bayern bzw. Deutschland folgte diesem<br />

Beispiel und erarbeitete ebenfalls einen Leitfaden für die rechtliche Umsetzung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> in Bayern (StMUGV/BMU 2008), während alle anderen<br />

Vertragsstaaten bislang noch keine Schritte in diese Richtung unternahmen.<br />

Diese rechtlichen Strukturen sind für zwei sehr unterschiedliche Bereiche wichtig:<br />

Einerseits wenden sich diese Regelungen nach innen, also an die Mitglieder der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>, um bei Meinungsverschiedenheiten über ein anerkanntes und<br />

verbindliches Verfahren zu verfügen, wie damit umzugehen sei (Galle 2002, S.<br />

205 ff.). Auf diese Weise sollen Selbstblockaden vermieden werden.<br />

Andererseits wenden sich die Regelungen an Dritte, indem die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

mittels Ratifizierung in nationales Recht übernommen wird. Seit einer Reihe von<br />

<strong>Jahre</strong>n werden daher bei Auseinandersetzungen vor Gericht – bislang in erster<br />

Linie in Österreich, seit kurzem aber auch in Bayern 9 – auch die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und ihre Protokolle herangezogen. Damit hat die <strong>Alpenkonvention</strong> endgültig eine<br />

juristische Verbindlichkeit erlangt; allerdings müsste das Vorgehen von Österreich<br />

auch von allen anderen Vertragsparteien konsequent angewandt werden.<br />

Damit kann festgestellt werden, dass sich die rechtliche Implementierung der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>, die anfangs völlig ungeklärt war, auf einem zwar zähen, aber<br />

guten Weg hin zu einer befriedigenden Lösung befindet.<br />

3.6 Einheitliche oder regionsspezifische Protokoll-Inhalte?<br />

Zentrales Ziel aller Protokoll-Inhalte war es, gemeinsame Rahmenbedingungen<br />

für den gesamten Alpenraum festzulegen, um die negativen Auswirkungen der<br />

nationalen Grenzen zu reduzieren (dies war der Fokus der Lindauer Konferenz)<br />

und um zu verhindern, dass einzelne Alpenregionen bei Verkehrs-, Tourismusoder<br />

Umweltfragen gegeneinander ausgespielt werden (wie es auf der Berchtesgadener<br />

Konferenz immer wieder anklang).<br />

Auf Grund der großen Heterogenität der Verhältnisse im Alpenraum müssen<br />

aber gemeinsame Rahmenbedingungen für alle Alpenregionen relativ allgemein<br />

bleiben und können nur wenig konkret werden. Aus diesem Grunde engagierte<br />

sich der Autor dieses Aufsatzes von Anfang an für die Idee einer regionsspezifischen<br />

Ausdifferenzierung der Protokoll-Inhalte, bei der die unterschiedlichen<br />

Situationen der einzelnen Alpenregionen gezielt berücksichtigt würden (siehe<br />

dazu grundsätzlich Bätzing 2015, S. 392-396). Diese Idee wurde zwar auf der<br />

Schwangauer Konferenz von einigen Politikern positiv aufgegriffen (Bätzing 2002,<br />

S. 61) und fand auch Eingang in das Schweizer Dokument zur Vertiefung sozioökonomischer<br />

Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong> (Wachter 1993, S. 61-67), wurde<br />

9 Bekanntestes Beispiel ist die beabsichtigte Auszonung des Riedberger Horns im Allgäu aus der Zone C des<br />

Bayerischen Alpenplanes zum Zweck der Errichtung einer Skischaukel, wogegen u.a. auf das Bodenschutzprotokoll<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> verwiesen wird.<br />

28 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


aber letztlich bei den Inhalten der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht berücksichtigt.<br />

Damit wurde eine wichtige Möglichkeit, die Protokoll-Inhalte sehr viel konkreter<br />

auszugestalten, nicht realisiert.<br />

3.7 Die Vielfalt der Alpenkulturen und die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> stellt das politische Dach für einen Alpenraum dar, der nicht<br />

nur in wirtschaftlicher und sozio-kultureller Beziehung sehr heterogen strukturiert<br />

ist, sondern der auch im 19. und 20. Jahrhundert sehr lange Zeit durch sehr<br />

unterschiedliche staatliche Rahmenbedingungen (und durch erbitterte Kriege)<br />

geprägt wurde. Diese Erfahrungen haben sich tief in die kollektive Erinnerung<br />

eingegraben und erschweren eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit stark.<br />

Die politische Grundlage der <strong>Alpenkonvention</strong> – die heute meist nicht mehr<br />

bekannt ist – war die Annäherung der staatlichen Berggebietspolitiken in den<br />

1980er <strong>Jahre</strong>n im Alpenraum (siehe dazu Bätzing 2015, S. 342-344), die jedoch<br />

die Heterogenität nur oberflächlich etwas reduzierte – Staats- und Sprachgrenzen<br />

waren und sind weiterhin sehr stark in den Alpen ausgeprägt.<br />

Bei der Erarbeitung der Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> ging es daher nicht nur darum,<br />

gemeinsame, alpenweit anerkannte Inhalte zu erarbeiten, sondern gleichzeitig<br />

auch immer darum zu verstehen, das „Le Alpi“, „Les Alpes“ oder „Die Alpen“<br />

nicht überall eine identische Bedeutung besitzen, sondern mit unterschiedlichen<br />

normativen Inhalten besetzt sind (siehe dazu grundsätzlich Bätzing 2002, S. 75-<br />

78).<br />

Am Anfang spielte das wechselseitige Verstehen fremder Gedankenwelten und<br />

Mentalitäten bei der <strong>Alpenkonvention</strong> noch eine wichtige Rolle – angeregt durch<br />

die CIPRA, bei der die Mehrsprachigkeit einen hohen Stellenwert besaß, um der<br />

alpinen Vielfalt gerecht werden zu können –, aber im Laufe der Zeit schwand<br />

dieses Interesse, was sich u.a. darin ausdrückte, dass die Arbeiten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

immer öfters in englischer Sprache durchgeführt wurden.<br />

Eigentlich wäre es eine wichtige Aufgabe der <strong>Alpenkonvention</strong> gewesen, das<br />

wechselseitige Verständnis der so unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten<br />

im Alpenraum im Sinne eines Kulturaustauschs aktiv zu fördern, sozusagen als<br />

kulturellen Unterbau für das politische Dach der Alpen. Aber die zuständigen<br />

Umweltminister sahen diese Notwendigkeit nicht und erteilten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

dafür weder einen politischen Auftrag, noch stellten sie ihr dafür Finanzmittel<br />

zur Verfügung.<br />

Aus diesem Grund stehen die einzelnen Kulturen und Mentalitäten der Alpen<br />

heute nach wie vor relativ isoliert nebeneinander, was für die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

ein gewisses Hemmnis bedeutet.<br />

3.8 Zusammenfassende Bewertung<br />

Da die <strong>Alpenkonvention</strong> ein innovatives Vertragswerk mit Pioniercharakter ist,<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

29


war sie von Anfang an mit bestimmten „Geburtsfehlern“ behaftet. Die meisten<br />

von ihnen konnten im Laufe der Zeit nicht oder nur teilweise behoben werden,<br />

und allein die rechtliche Verbindlichkeit konnte auf eine befriedigende Weise gelöst<br />

werden. Auch wenn die Auswirkungen einiger dieser Fehler durch ein pragmatisches<br />

Vorgehen stark reduziert werden konnten, so behindern andere Fehler<br />

die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> auch heute noch erheblich.<br />

4. Der fundamentale Wandel des Stellenwertes der Alpen in Europa<br />

zwischen 1989 und 2016 und seine Bedeutung für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Obwohl sich die Alpen seit 1989 in den Bereichen Bevölkerung, Wirtschaft und<br />

Umwelt erheblich verändert haben (siehe dazu Bätzing 2015), betraf die allergrößte<br />

und relevanteste Veränderung gar nicht die Alpen selbst, sondern ihre<br />

Stellung in Europa. Diese wandelte sich in diesem Zeitraum fundamental, indem<br />

aus der bekannten Pionier- und Vorbildregion für grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

in Europa eine unbedeutende und kostenintensive Peripherie wurde.<br />

4.1 Die Situation bis zum Jahr 1989 – 1990<br />

Bis zum Jahr 1989 wurden die europäischen Staaten von der Leitidee der sozialen<br />

Marktwirtschaft bzw. des Sozialstaats geprägt, und diese setzte sich dafür<br />

ein, die permanent über den Markt neu entstehenden sozialen und räumlichen<br />

Ungleichheiten auszugleichen und zu dämpfen. Auch wenn jeder Staat dabei etwas<br />

unterschiedlich vorging, so kann man feststellen, dass in allen ländlich-peripheren<br />

Räumen Europas ab den 1960er <strong>Jahre</strong>n die staatlichen Infrastrukturen<br />

trotz hoher Kosten stark ausgebaut wurden (Verkehrserschließung, Energieversorgung,<br />

Gesundheits-, Schul-, Bildungssystem, Verwaltung), um der Bevölkerung<br />

die Teilhabe am modernen Leben und Wirtschaften und am „Fortschritt“<br />

zu ermöglichen.<br />

Mit der Transformation der EWG in die Europäischen Gemeinschaften (EG) erhielt<br />

diese Leitidee auch eine europäische Dimension: Im neuen Europa erregten<br />

diejenigen Regionen am meisten Aufmerksamkeit, die aus der Sicht der EG<br />

peripher lagen und stark durch nationale Grenzen zerschnitten wurden. Diese<br />

besaßen erhebliche wirtschaftliche Probleme, nämlich schlechte Erreichbarkeiten<br />

und kleine Wirtschaftsregionen, die eine gewisse notwendige Mindestgröße<br />

nicht erreichten, während gleichzeitig Umweltprobleme, die an den Grenzen<br />

nicht haltmachten, stark anstiegen.<br />

In dieser Situation engagierten sich die EG für den Aufbau von großen, grenzüberschreitenden<br />

Regionen in den Peripherien Europas, die sowohl die wirtschaftliche<br />

Situation verbessern (Stärkung dezentraler Arbeitsplätze) als auch<br />

gleichzeitig die Umweltbelastungen reduzieren sollten (Details siehe Bätzing<br />

2012). In dieser Zeit entstanden neue großregionale Strukturen wie die Mittel-<br />

30 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


meeranrainerkonferenz, die Nordseekonferenz oder die Ostseekonvention, und<br />

vor diesem europäischen Hintergrund traf die Idee einer <strong>Alpenkonvention</strong> genau<br />

den damaligen Zeitgeist. Da die <strong>Alpenkonvention</strong> sehr schnell unterzeichnet<br />

wurde, während sich die anderen Vertragswerke nur sehr zäh entwickelten und<br />

meist völlig unverbindlich blieben, wurde sie bald zum europäischen Musterund<br />

Vorzeigeprojekt. Aus diesem Grund fand sie in den Anfangsjahren nicht nur<br />

im Alpenraum und im Gebiet der Vertragsstaaten, sondern im gesamten Europa<br />

große Beachtung – die Alpen als Vorreiter für eine neue Verbindung von wirtschaftlicher<br />

Entwicklung und Umweltschutz mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit<br />

in einer Peripherie.<br />

4.2 Die neue Situation nach 1989 – 1990<br />

Im Jahr 1989 – 1990 zerfiel die Sowjetunion, die osteuropäischen Staaten wurden<br />

eigenständig, und die DDR vereinigte sich mit der BRD. Damit war der „Kalte<br />

Krieg“ beendet, der durch die Rivalität und den Gegensatz von zwei großen<br />

Machtblöcken und zwei „Systemen“ geprägt war, und das marktwirtschaftliche<br />

System hatte den Eindruck, über das sozialistische System gesiegt zu haben (siehe<br />

dazu Bätzing 2015a, S. 48-56).<br />

Mit dem Verschwinden des Gegners verschwand für die Marktwirtschaft auch<br />

die Notwendigkeit, sich als soziale Marktwirtschaft präsentieren zu müssen, und<br />

Wirtschaft und Politik orientierten sich wieder – wie vor dem Kalten Krieg – an<br />

der Leitidee des Liberalismus, der jetzt Neoliberalismus genannt wurde.<br />

Damit waren fundamentale räumliche Veränderungen verbunden: Während die<br />

soziale Marktwirtschaft bzw. der Sozialstaat versucht hatte, die Wirtschaftsdynamik<br />

in den großen Wirtschaftszentren zu dämpfen und das Wirtschaftswachstum<br />

in den benachteiligten und peripheren Regionen aktiv zu fördern, überlassen die<br />

neoliberalen Staaten und eine neoliberal geprägte EU die räumliche Entwicklung<br />

allein dem Markt. Das bedeutet, dass die großen Wirtschaftszentren ein sehr<br />

starkes Wachstum verzeichnen, während die peripheren Räume Wirtschaftskraft<br />

und Arbeitsplätze verlieren, so dass die räumlichen Disparitäten stark zunehmen.<br />

Ausdruck dessen ist der neue Begriff „Metropole“ oder „Metropolregion“: Er<br />

wird in den 1990er <strong>Jahre</strong>n eingeführt und bezeichnet ein wirtschaftliches Zentrum<br />

(mit seinem Umland), das so groß ist, dass es im globalen Wettbewerb bestehen<br />

kann. Normativ wird mit diesem Begriff verbunden, dass Metropolregionen<br />

die Wachstumsmotoren der Volkswirtschaft seien und dass sie allein die für<br />

die globale Konkurrenzfähigkeit so zentralen Innovationen produzieren könnten.<br />

Da der neoliberale Staat auf Grund der Globalisierung über deutlich weniger<br />

Steuereinnahmen verfügt als der frühere Sozialstaat und da dieses Geld zugleich<br />

so effizient wie möglich verwendet werden soll, wird es jetzt kaum noch in den<br />

Peripherien, sondern in erster Linie in den großen Zentren eingesetzt, wodurch<br />

sich die räumlichen Disparitäten noch einmal verstärken.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

31


Während für den Sozialstaat die „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ in seinem<br />

gesamten Territorium im Zentrum standen, zieht sich der neoliberale Staat<br />

tendenziell aus der Fläche auf die Metropolregionen zurück und lässt die Ungunsträume<br />

und die Peripherien zur Wildnis werden.<br />

Lag in den 1980er <strong>Jahre</strong>n der Fokus der europäischen Aufmerksamkeit noch<br />

häufig auf den Peripherien, so ändert sich dies bald: Die Peripherien werden immer<br />

uninteressanter, das gesamte Interesse konzentriert sich immer stärker auf<br />

die europäischen Metropolen, und am Ende werden die Peripherien in der öffentlichen<br />

Diskussion Europas praktisch vergessen.<br />

4.3 Die Auswirkungen dieses Wandels auf den Alpenraum<br />

Es brauchte gut zehn <strong>Jahre</strong>, bis sich nach der Wende der <strong>Jahre</strong> 1989 – 1990 die<br />

neoliberalen Vorstellungen in Europa durchsetzen konnten. Etwa ab den <strong>Jahre</strong>n<br />

2000 – 2002 dominieren diese die Politik und die öffentliche Diskussion, und<br />

ein Ergebnis davon ist, dass die Alpen seitdem in den großen Medien – im Gegensatz<br />

zu früher – kaum noch eine Rolle spielen und nur noch selten erwähnt<br />

werden. 10 Zugleich verändert sich ihre Bedeutung im europäischen Kontext: Aus<br />

der Pionierregion für eine neue Verbindung zwischen dezentraler Wirtschaftsentwicklung<br />

und Umweltschutz wird eine schlecht erreichbare, dünnbesiedelte<br />

und wirtschaftsschwache Problemregion ohne Metropolen, deren hohe Kosten<br />

für den Erhalt staatlicher Infrastrukturen langfristig nicht mehr tragbar seien, so<br />

dass man über einen geordneten Rückzug der Menschen aus den Alpen nachdenken<br />

müsse (zentrales Stichwort dafür in der Schweiz: „alpine Brache“; siehe<br />

Bätzing 2015a, S. 54).<br />

Damit verschieben sich zentrale Bewertungen: Galt die grenzüberschreitende<br />

Zusammenarbeit zwischen peripheren Regionen in den 1980er <strong>Jahre</strong>n als innovativ<br />

und wichtig, weil damit ihre Stagnation überwunden werden könnte, so<br />

spielt dies heute keine Rolle mehr – Peripherien werden grundsätzlich negativ<br />

gesehen, und Regionen ohne Metropolen wie die Alpen (die größte Stadt der<br />

Alpen ist Grenoble, die aber zu klein ist, um das Kriterium Metropole zu erfüllen;<br />

siehe Bätzing 2015, S. 213-220) gelten jetzt als nicht mehr lebensfähig.<br />

Das neue Raumverständnis des Neoliberalismus führt dazu, dass Peripherien<br />

nur dann eine Chance auf eine positive Entwicklung zugestanden wird, wenn sie<br />

möglichst eng mit einer Metropole verflochten werden (Bau von Autobahnen<br />

oder Hochgeschwindigkeitseisenbahnlinien als Voraussetzung). Das bedeutet,<br />

dass dank besserer Erreichbarkeit all jene Funktionen aus dem großstädtischen<br />

Verdichtungskern in die Peripherie verlagert werden, für die im Zentrum kein<br />

Platz mehr ist bzw. deren Wertschöpfung dort zu gering ist (Freizeit, Sport, Um-<br />

10 Die Aussage beruht auf der regelmäßigen Auswertung von drei überregionalen Tageszeitungen in Bezug auf<br />

die Alpen durch den Autor, die von Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong> an bis heute fortlaufend durchgeführt wird und<br />

die zum Aufbau eines umfangreichen Archivs mit Zeitungsartikeln über die Alpen geführt hat.<br />

32 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


weltschutz, Wohnen in attraktiver Umgebung), und dass in der Peripherie die<br />

wirtschaftlichen Nutzungen der Einheimischen (Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus,<br />

nicht-touristische Dienstleistungen) durch diese neuen Funktionen verdrängt<br />

oder durch Filialbetriebe aus dem Zentrum ersetzt werden (Bätzing 2014).<br />

Damit wird eine Alpenregion als Wirtschaftsraum entwertet (die wirtschaftliche<br />

Wertschöpfung konzentriert sich im Verdichtungskern) und zum „Ergänzungsraum“<br />

einer benachbarten Metropole umgewandelt, der sich in allen Aspekten<br />

den Entscheidungen aus dem Zentrum zu unterwerfen hat.<br />

War es in den 1980er <strong>Jahre</strong>n noch die Leitidee, dass die Alpen zu einem gleichwertigen<br />

Lebens- und Wirtschaftsraum in Europa werden sollten, der seine Balance<br />

zwischen Wirtschaft und Umwelt eigenständig gestaltet, so wird diese Leitidee<br />

im neuen Jahrtausend durch die Vorstellung der Alpen als Ergänzungsraum<br />

der in der Nähe der Alpen gelegenen Metropolen ersetzt, die dadurch ihre Konkurrenzfähigkeit<br />

im globalen Wettbewerb weiter verbessern wollen.<br />

4.4 Eine neue Politik für die Alpen: EUSALP<br />

Während die im letzten Abschnitt vorgestellten neuen Leitideen lange Zeit rein<br />

theoretische Überlegungen blieben, wurden sie dann auf einmal sehr schnell in<br />

die politische Realität umgesetzt.<br />

Die EU griff ihre alten Vorstellungen von europäischen Makroregionen unter<br />

völlig neuen Vorzeichen wieder auf und entwickelte – zeitgleich mit ihrem Rückzug<br />

aus der <strong>Alpenkonvention</strong>! – die so genannten „makroregionalen Strategien“<br />

(Bätzing 2012), und zwar 2009 für den Ostseeraum, 2011 für den Donauraum,<br />

2014 für Adria-Ionisches Meer und 2015 für die Alpen („makroregionale EU-Strategie<br />

für den Alpenraum“, Abkürzung EUSALP). Als Abgrenzung für den EUSALP-<br />

Alpenraum wurde die Interreg-Abgrenzung des Alpine Space leicht modifiziert,<br />

also eine weite Alpenabgrenzung gewählt, die sowohl die Alpen als auch die<br />

perialpinen Gebiete unter Einschluss der großen Metropolen (Wien, München,<br />

Lyon, Marseille, Mailand usw.) umfasst. Im EUSALP-Raum leben 2011 76,6 Mio.<br />

Menschen, während im Kernraum der Alpen (Alpenabgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong>)<br />

lediglich 15 Mio. Menschen leben, so dass sich die Alpen in einer klaren<br />

Minderheitsposition befinden (Bätzing 2015, S. 369).<br />

Damit orientiert sich die Gebietsabgrenzung der EUSALP sehr eindeutig an dem<br />

neuen Raumverständnis des Neoliberalismus (Zusammenfassung des Peripherieraumes<br />

Alpen mit den benachbarten Metropolen zu einer Region), und viele<br />

– aber keineswegs alle! – programmatischen Forderungen zielen auf die bessere<br />

Vernetzung der Alpen mit den Metropolen ab, weil dies zum Vorteil beider<br />

Teilräume sei und weil dies zu einem deutlichen Wirtschaftswachstum führen<br />

würde.<br />

Dazu ist jedoch zu sagen, dass eine solche Strategie keineswegs „die Alpen“<br />

aufwertet, sondern lediglich ihre Umwandlung in einen Ergänzungsraum für die<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

33


außeralpinen Metropolen beschleunigt. Während beim Ergänzungsraum die ergänzenden<br />

Funktionen für die Metropolen die Alpen total dominieren (Wohnen,<br />

Freizeit, Sport, Umweltschutz) und die Wirtschaft nur eine untergeordnete Rolle<br />

spielt (diese hat ihre bevorzugten Standorte ja im Zentrum), ist es bei den Alpen<br />

im Sinne der <strong>Alpenkonvention</strong> ganz anders: Hier steht das eigenständige, dezentrale<br />

und umweltverträgliche Wirtschaften als Voraussetzung für menschliches<br />

Leben im Alpenraum im Zentrum, und ergänzende Funktionen für die Metropolen<br />

bzw. für Europa spielen zwar eine nicht unwichtige Rolle, dürfen aber dieses<br />

eigenständige Wirtschaften nicht gefährden und sollten ihm nachgeordnet werden.<br />

Mit diesen beiden Alpenabgrenzungen sind also zwei inhaltlich sehr unterschiedliche<br />

Leitideen der Alpenentwicklung verbunden.<br />

Die EUSALP-Strategie und ihr Aktionsplan enthalten zwar viele Aussagen, die<br />

sehr deutlich in Richtung Alpen als Ergänzungsraum gehen, aber es gibt gleichzeitig<br />

auch andere Aussagen, die sich für eine nachhaltige Alpenentwicklung im<br />

Sinne der <strong>Alpenkonvention</strong> aussprechen. Was die EUSALP und die mit ihr verbundenen<br />

Umsetzungsprojekte und Fördergelder konkret im Alpenraum bewirken<br />

werden, wird man wahrscheinlich erst in einigen <strong>Jahre</strong>n absehen können, und es<br />

ist durchaus auch möglich, dass die EUSALP kaum konkrete Ergebnisse bringt und<br />

letztlich versandet. Denn die gleichen Probleme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,<br />

die schon die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> belastet und behindert<br />

haben, treten auch bei der EUSALP auf (integrative Konzeption, keine Chefsache,<br />

Top-down-Vorgehen, rechtliche Verbindlichkeit, Vielfalt der Alpenkulturen und<br />

der politischen Strukturen). Und da die EUSALP die <strong>Alpenkonvention</strong> nur randlich<br />

einbezieht und kein Interesse bekundet hat, durch eine enge Zusammenarbeit<br />

mit der <strong>Alpenkonvention</strong> von deren spezifischen Erfahrungen zu lernen, besteht<br />

die große Gefahr, dass die EUSALP viele Fehler bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit<br />

wiederholt und dadurch kaum zu konkreten Ergebnissen kommt.<br />

4.5 EUSALP und <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Mit dem Inkrafttreten der EUSALP ist die <strong>Alpenkonvention</strong> scheinbar überflüssig<br />

geworden, und sie gilt jetzt als ein überholtes Konzept aus vergangener Zeit, das<br />

durch ein besseres und „moderneres“ Konzept ersetzt werde. Demzufolge stand<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> bei der Vorbereitung der EUSALP oft im Abseits, und sie<br />

spielt auch im laufenden Prozess als Beobachter lediglich eine marginale Rolle.<br />

Ginge es nach dem Zeitgeist, dann müsste sich die <strong>Alpenkonvention</strong> <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong><br />

nach ihrer Entstehung selbst auflösen.<br />

Diese Sichtweise ist jedoch den realen Verhältnissen im Alpenraum überhaupt<br />

nicht angemessen: Die Strategie, die Alpen zum Ergänzungsraum der Metropolen<br />

zu machen, schafft in den Alpen viel mehr neue Probleme als sie alte Probleme<br />

löst, und zugleich ist die Strategie der <strong>Alpenkonvention</strong> – die Verbindung von<br />

wirtschaftlicher Entwicklung um Umweltschutz mittels grenzüberschreitender<br />

34 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Zusammenarbeit – trotz erheblicher Umsetzungsprobleme und -defizite alternativelos,<br />

um in einer Peripherie langfristig dezentrale Lebensmöglichkeiten zu<br />

sichern.<br />

Allerdings war und ist die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch als eine Insellösung angelegt,<br />

was angesichts zahlreicher funktionaler Verflechtungen zwischen den Alpen<br />

und Europa ein echtes Problem darstellt. Wenn die EUSALP-Vertreter darauf<br />

hinweisen, dass das Verhältnis zwischen den Alpen und den benachbarten Metropolen<br />

wesentlich effizienter ausgestaltet werden müsse, dann haben sie mit<br />

dieser Kritik durchaus recht.<br />

Deshalb muss die EUSALP-Struktur fundamental modifiziert werden: Es braucht<br />

innerhalb der EUSALP die <strong>Alpenkonvention</strong> als Vertretung des Kernraumes Alpen,<br />

die auf Augenhöhe mit den Vertretern der Metropolen verhandeln kann.<br />

Denn wenn kleine Alpengemeinden oder kleine Alpenlandkreise direkt großen<br />

Metropolen gegenüberstehen und sich mit ihnen auseinandersetzen, dann können<br />

die Alpen ihre Interessen nicht durchsetzen und können auch leicht gegeneinander<br />

ausgespielt werden. Erst die <strong>Alpenkonvention</strong>, die den Kernraum Alpen<br />

mit seinen 15 Mio. Einwohnern vertritt, ist groß genug, um ein Gegengewicht<br />

gegenüber den Metropolen zu bilden und um zu verhindern, dass die Alpen zum<br />

Ergänzungsraum gemacht werden. Nur mit einer solchen Struktur kann innerhalb<br />

der EUSALP ein Gleichgewicht zwischen Metropolen und Peripherie hergestellt<br />

werden.<br />

In dieser Perspektive behält die <strong>Alpenkonvention</strong> ihre bisherigen Zielsetzungen<br />

voll und ganz bei, aber diese werden durch die wichtige zusätzliche Aufgabe – die<br />

Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Kernraum Alpen und den benachbarten<br />

Metropolen – ausgeweitet, wodurch die <strong>Alpenkonvention</strong> zusätzlich aufgewertet<br />

wird.<br />

5. Welche Zukunft für die <strong>Alpenkonvention</strong>?<br />

Aus diesen Gründen ist die <strong>Alpenkonvention</strong> keineswegs ein überholtes Instrument<br />

einer vergangenen Epoche, sondern sie steht für wichtige Leitideen, die<br />

auch nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n noch eine zentrale Bedeutung für die Zukunft der Alpen<br />

besitzen und bei denen – trotz aller genannten Probleme – ein großes Erfahrungswissen<br />

vorliegt, das nicht verlorengehen darf: Gäbe es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

nicht, dann müsste man sie eigentlich neu erfinden, was aber vor dem Hintergrund<br />

des gegenwärtiges politischen Zeitgeistes heute kaum noch möglich sein<br />

dürfte.<br />

Zugleich besitzen die <strong>Alpenkonvention</strong> und EUSALP ein großes Zukunftspotenzial:<br />

Im EUSALP-Prozess sind EU und Europa mit der Grundsatzfrage des Verhältnisses<br />

zwischen Metropolen und Peripherien konfrontiert. Ohne die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

dürfte sich dieses Verhältnis asymmetrisch und negativ entwickeln, aber<br />

zusammen mit der <strong>Alpenkonvention</strong> kann hier ein gleichwertiges und gleichbe-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

35


echtigtes Verhältnis aufgebaut werden, das zum Vorbild für andere makroregionale<br />

Strategien werden könnte.<br />

Die grundsätzliche Gefahr besteht nämlich darin, dass die makroregionalen EU-<br />

Strategien keine wirklich überzeugenden Problemlösungen entwickeln und dass<br />

sie zu sektoral, zu technisch und zu unverbindlich bleiben. Dadurch würde der<br />

Eindruck verstärkt, dass im Zeitalter der Globalisierung keinerlei regionale Entwicklungen<br />

und Problemlösungen mehr möglich seien, so wie es der neoliberale<br />

Zeitgeist behauptet. Globale Lösungen für die heutigen Wirtschafts-, Gesellschafts-<br />

und Umweltprobleme können aber auf Grund der Komplexität der Welt<br />

stets nur äußerst allgemein sein, und sie können wohl auch nur auf zentralistische<br />

Weise durchgesetzt werden, weshalb sie kaum ein geeignetes Instrument<br />

zur Problemlösung sind. Regionale Lösungen haben dagegen sehr viele Vorteile<br />

(Realitätsnähe, Konkretheit, Verbindlichkeit) und sollten deshalb unbedingt gestärkt<br />

werden.<br />

Die Erfahrungen in den Alpen und mit der <strong>Alpenkonvention</strong> zeigen sehr konkret<br />

und sehr deutlich, dass Spielräume für regionale Problemlösungen trotz Globalisierung<br />

möglich sind (die jedoch ohne Finanzmittel für eigene Projekte kaum<br />

sichtbar gemacht werden können). Aufbauend auf diesen Erfahrungen wäre es<br />

von großer Wichtigkeit, dass die EUSALP mittels des gleichberechtigten Einbezuges<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> in die Lage versetzt wird, echte regionale Lösungen zu<br />

entwickeln und dass diese dann in ganz Europa Nachahmer finden, um regionale<br />

Spielräume gegenüber der Globalisierung zu öffnen und auszubauen – die Alpen<br />

als Vorreiter für regionale Lösungen in Europa.<br />

Literatur<br />

Bätzing, W. (2015): Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft.<br />

München, 4. Fassung, 484 S.<br />

Bätzing, W. (2015a): Zwischen Wildnis und Freizeitpark – eine Streitschrift zur Zukunft der<br />

Alpen. Zürich, 145 S.<br />

Bätzing, W. (2014): Eine makroregionale EU-Strategie für den Alpenraum. Eine neue<br />

Chance für die Alpen? In: Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt (München)<br />

Bd. 79, S. 19 – 32.<br />

Bätzing, W. (2012): Makroregion Alpen und <strong>Alpenkonvention</strong> – Gegensatz oder ideale<br />

Ergänzung? Die europäischen Makroregionen zwischen Aufwertung von Peripherien<br />

und Stärkung von Metropolregionen. In: www.raumnachrichten.de/<br />

diskussionen/1528-werner-baetzing-makroregion-alpen-und-alpenkonvention<br />

29.06.2012, <strong>25</strong> S.<br />

Bätzing, W. (2003): Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft.<br />

München, 3. Fassung, 431 S.<br />

Bätzing, W. (2002): Ökologische und sozioökonomische Anforderungen an das Schwer-<br />

36 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


punktthema der <strong>Alpenkonvention</strong> „Bevölkerung und Kultur“. Hrsg.: Umweltbundesamt,<br />

Berlin, 135 S. (= UBA-Texte 61/02).<br />

Bätzing, W. (1994): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine<br />

nachhaltige Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung.<br />

In: H. Franz (Hrsg.): Gefährdung und Schutz der Alpen. Wien, S. 185 – 206 (=<br />

Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission<br />

für Humanökologie Band 5).<br />

Berning, E. (1992): Alpenbezogene Forschungskooperation – Perspektiven für eine intensivere<br />

Zusammenarbeit der Forschung in vorrangigen Problembereichen des Alpenraumes.<br />

München, 95 S. (= Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung<br />

und Hochschulplanung, Monographien NF Bd. 29). Im Internet: www.ihf.bayern.de/<br />

uploads/media/Monographie_29.pdf<br />

CIPRA (1993): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Zwischenbilanz. Ergebnisse der Jahrfachkonferenz<br />

vom 1.-3. Oktober 1992 in Schwangau. Hrsg. von W. Danz/S. Ortner. München,<br />

529 S. (= CIPRA-Schriften Bd. 10).<br />

CIPRA (1992): CIPRA 1952 – 1992. Dokumente, Initiativen, Perspektiven. Für eine bessere<br />

Zukunft der Alpen. Vaduz, 100 S.<br />

CIPRA (1989): Umweltpolitik im Alpenraum. Ergebnisse der Internationalen Konferenz<br />

vom 24.-<strong>25</strong>. Juni 1988 in Lindau. Hrsg. von W. Danz. München, 528 S. (= CIPRA-<br />

Schriften Bd. 5).<br />

CIPRA (1988): Bodenschutz und Berglandwirtschaft. Kongreßakten der <strong>Jahre</strong>sfachtagung<br />

der CIPRA vom 8. bis 10. Oktober 1987 in Brixen/Südtirol. Bozen, 244 S. (= CIPRA-<br />

Schriften Bd. 4).<br />

CIPRA Österreich (1996): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – der österreichische Weg. CIPRA Österreich,<br />

Wien, 119 S.<br />

Conradin, K. (2016): Standpunkt – <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> sind nicht genug. In: alpMedia<br />

04/2016, 2 Seiten: www.cipra.org/de/news/standpunkt-<strong>25</strong>-jahre-alpenkonvention-sind-nicht-genug<br />

Galle, E. (2002): Das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und seine<br />

Protokolle. Berlin, 271 S. (= Alpine Umweltprobleme Teil 39/Beiträge zur Umweltgestaltung<br />

Bd. A 148).<br />

Haid, H. (2005): Neues Leben in den Alpen. Initiativen, Modelle und Projekte der Bio-<br />

Landwirtschaft. Wien/Köln/Weimar, <strong>25</strong>1 S.<br />

Haid, H. (1989): Vom neuen Leben. Alternative Wirtschafts- und Lebensformen in den<br />

Alpen. Innsbruck, 287 S.<br />

Haßlacher, P. (2016): <strong>Alpenkonvention</strong> – Bibliographie. Teil 1: 1988-2002. Teil 2: 2003-<br />

2015. Innsbruck, 186 S. In: www.cipra.at > rechte Spalte ganz unten.<br />

Haßlacher, P. (2014): Die <strong>Alpenkonvention</strong> auf dem mühevollen Weg zur Umsetzung. In:<br />

T. Chilla (Hrsg.): Leben in den Alpen – Verstädterung, Entsiedlung und neue Aufwertungen.<br />

Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern, S. 247 – <strong>25</strong>7.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

37


Haßlacher, P. (1998): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Ist sie auf dem richtigen Weg? In: BERG’99 –<br />

Alpenvereinsjahrbuch. München/Innsbruck/Bozen, S. 307 – 313.<br />

Haßlacher, P. (1991): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Worthülse oder Chance für den Alpenraum?<br />

Einige Bemerkungen über Stand, Inhalt und Probleme. In: Die Alpen im Mittelpunkt.<br />

Innsbruck, S. 83 – 93 (= Fachbeiträge des ÖAV, Serie Alpine Raumordnung Nr. 5).<br />

Lebensministerium (2007): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Handbuch für ihre Umsetzung. Rahmenbedingungen,<br />

Leitlinien und Vorschläge für die Praxis zur rechtlichen Umsetzung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Durchführungsprotokolle. Wien, 161 S.<br />

Lebensministerium (2005): Sozioökonomische Dimension der <strong>Alpenkonvention</strong> unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Alpenstädte. Wien, 49 S.<br />

Messerli, B. (2016): 50 <strong>Jahre</strong> österreichisch-schweizerische Zusammenarbeit in der Gebirgsforschung<br />

und Gebirgsentwicklung. In: Die Welt verstehen – eine geographische<br />

Herausforderung. Eine Festschrift der Geographie Innsbruck für Axel Borsdorf.<br />

Innsbruck, S. 9 – 18 (= Innsbrucker Geographische Studien Bd. 40).<br />

Scheurer, T. (2014): Alpenforschung im Dialog – Beiträge und Perspektiven des Alpen-<br />

Forums. In: T. Chilla (Hrsg.): Leben in den Alpen – Verstädterung, Entsiedlung und<br />

neue Aufwertungen. Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern, S.<br />

235 – 246.<br />

Siegrist, D. (2002): Das Tourismusprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong>. Zugpferd für eine integrative<br />

Tourismusentwicklung im Alpenraum. In: K. Luger/F. Rest (Hrsg.): Der Alpentourismus.<br />

Entwicklungspotenziale im Spannungsfeld von Kultur, Ökonomie und<br />

Ökologie. Innsbruck, S. 337 – 355.<br />

StMUGV/BMU (2008): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Leitfaden für ihre Anwendung. Rahmenbedingungen,<br />

Leitlinien und Vorschläge für die Praxis zur rechtlichen Umsetzung der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Durchführungsprotokolle. Hrsg.: Bayerisches Staatsministerium<br />

für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz/Bundesministerium für<br />

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. München, 39 S.<br />

Wachter, D. (1993): Vertiefung sozio-ökonomischer Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer<br />

Protokolle – eine Untersuchung der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die<br />

Berggebiete im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft. Bern,<br />

73 S. (= Umwelt-Materialien Nr. 2/Natur und Landschaft).<br />

Internet<br />

www.alpconv.org (Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>)<br />

www.cipra.org > Alpenpolitik (Internationale Alpenschutzkommission CIPRA)<br />

www.alpenverein.at > Natur & Umwelt (Österreichischer Alpenverein)<br />

www.iscar-alpineresearch.org (AlpenForum und wissenschaftliche Zusammenarbeit)<br />

www.alpweek.org (AlpenWoche)<br />

www.alpine-space.org und www.alpine-space.eu (Interreg-Programm Alpine Space der<br />

Europäischen Union)<br />

www.alpine-region.eu (EUSALP-Programm der EU)<br />

38 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Bergsteigerdorf Vals (Tirol) –<br />

Bergsteigerdörfer sind ein Umsetzungsprojekt<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

39


Sebastian Schmid<br />

Auf der Suche nach dem effektiven<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>srecht<br />

Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der<br />

Universität Innsbruck<br />

Seit 2009 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />

Österreich<br />

E: sebastian.schmid@uibk.ac.at<br />

I. Einleitung<br />

Die Konvention zum Schutz der Alpen und ihre Durchführungsprotokolle sind<br />

weltweit das umfassendste rechtliche, auf eine Bergregion bezogene Regelwerk.<br />

Dass sich die Alpenanrainerstaaten auf diese völkerrechtlichen Verträge mit ihren<br />

vielfältigen Inhalten einigten, ist aus heutiger Sicht bemerkenswert und zeugt<br />

vom politischen Willen und der Geduld der Verhandlungsparteien.<br />

Die mit der <strong>Alpenkonvention</strong> verbundenen Erwartungen mancher Akteure waren<br />

groß, für andere stellte sie von Anfang an vergebene Liebesmüh oder gar<br />

ein Übel dar. Doch weder jene, die die <strong>Alpenkonvention</strong> als neue Wunderwaffen<br />

gegen die fortschreitende Kommerzialisierung der Alpen ansahen, noch jene, die<br />

sie als Verhinderungsinstrument jeglicher Entwicklung anprangerten, sollten am<br />

Ende Recht haben. Denn die <strong>Alpenkonvention</strong> hat sich in diesem Widerstreit der<br />

Interessen kaum positioniert, sie fristet eher das Dasein eines Hinterbänklers,<br />

der sich nur dann und wann zu Wort meldet und in Ausnahmefällen Aufmerksamkeit<br />

erfährt.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> kann daher festgestellt<br />

werden, dass ihre Bedeutung und insbesondere jene der Durchführungsprotokolle<br />

bescheiden ist. Ein im Rechtsalltag der Vollziehungsbehörden wirksames <strong>Alpenkonvention</strong>srecht<br />

gibt es kaum. In Österreich verwundert dies deshalb, weil<br />

der Nationalrat beim Abschluss der Protokolle auf einen so genannten Erfüllungsvorbehalt<br />

verzichtet hat und sie daher gleich anzuwenden sind, wie innerstaatliche<br />

Gesetze. Aber die Unauffälligkeit der <strong>Alpenkonvention</strong> ist nicht jedenfalls<br />

40 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


problematisch, können doch auch Gründe vorliegen, die diesen Zustand rechtfertigen.<br />

Problematisch wäre es nur, wenn anzuwendendes Recht unangewendet<br />

bliebe. Welche Ursachen hat also die Ineffektivität des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts?<br />

II. Ursachenforschung in zehn Thesen<br />

1. Völkerrechtliche Verträge als Kompromisse<br />

Verträge allgemein und somit auch völkerrechtliche Verträge sind in der Regel<br />

Ergebnis eines Interessenausgleichs. Da ein für den Alpenraum geltender Rechtsrahmen<br />

nur Sinn macht, wenn sich alle Alpenanrainerstaaten an seiner Ausarbeitung<br />

beteiligen, war es von Anfang an das Ziel, möglichst alle betroffenen Staaten<br />

an einen Tisch zu bringen und im Laufe der Verhandlungen keine Partei „zu<br />

verlieren“. Eindrücklich wird dies im Bericht der Regierung an den Landtag des<br />

Fürstentums Liechtenstein zusammengefasst:<br />

„Der lange Weg von der 1986 erfolgten CIPRA-Initiative für eine <strong>Alpenkonvention</strong> über die<br />

Unterzeichnung derselben im <strong>Jahre</strong> 1991 bis zur Verabschiedung der beiden jüngsten der<br />

neun Protokolle zur Konvention im <strong>Jahre</strong> 2000 zeigt deutlich auf, dass diese Zusammenarbeit<br />

nicht immer konfliktfrei verlaufen ist und auch weiterhin nicht spannungsfrei bleiben wird.“ 1<br />

Wie sich das Ringen um Kompromisse auf die Protokolle ausgewirkt hat, zeigt sich<br />

auch am Beispiel des Art 14 BSchP. In der Erstfassung war ua vorgesehen, dass<br />

die Vertragsparteien im Hinblick auf Erschließungsmaßnahmen Ausbaugrenzen<br />

festlegen, dass sie grundsätzlich auf die weitere touristische Erschließung von<br />

Gletschern verzichten und der Wirtschaftswegebau eingeschränkt wird. In der<br />

Endfassung findet sich diese Inhalte nicht mehr. Das später hinzugekommene<br />

Verbot der Errichtung von Schipisten in labilen Gebieten fiel nur deshalb nicht<br />

dem Widerstand Frankreichs zum Opfer, weil die Verhandlungen von Beamtenauf<br />

die politische Ebene verlagert wurden, wo der französische Vertreter offenbar<br />

von den übrigen Verhandlungsparteien überzeugt werden konnte.<br />

Ein solcher Prozess des Aufweichens und Aushöhlens lässt sich für alle Protokolle<br />

nachweisen. Die Wirksamkeit des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts leidet darunter,<br />

weil klare Aussagen durch Allgemeinplätze ersetzt wurden, in denen sich jede<br />

Vertragspartei mit ihren Vorstellungen und Wünschen wiederfand. Je weiter der<br />

Spielraum ist, den Rechtnormen den Vollziehungsorganen einräumen, desto<br />

flexibler können die in ihrer Anwendung ergehenden Entscheidungen getroffen<br />

werden.<br />

2. Das Sprachenproblem<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist gleichermaßen in deutscher, französischer, italienischer<br />

und slowenischer Sprache verbindlich (Art 14 AK). Die daraus resultierenden<br />

1 Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend neun Protokolle<br />

zu Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) vom 7. November 1991, Nr. 10/2002, S. 9.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

41


Auswirkungen auf die Vollziehung durch nationale Behörden hat Robert Walter<br />

auf den Punkt gebracht:<br />

Die innerstaatliche Gesetzgebung ist […] fortlaufend – wenn auch nicht immer mit Erfolg<br />

– bemüht, die zu schaffenden Rechtsregeln klar und kurz und dem bestehenden Recht angepasst<br />

zum Ausdruck zu bringen. Die generelle Transformation [völkerrechtlicher Verträge,<br />

Anm] lässt eine solche anzustrebende Gestaltung des Rechts nicht zu: Die Regelung kann<br />

nicht klar sein, weil die internationale Vertragssprache von der österreichischen Rechtssprache<br />

erheblich abweicht und weil die für die Staaten getroffenen Anordnungen in solche »umgedacht«<br />

werden müssen, die für die Rechtsunterworfenen unmittelbar gelten. Die Regelung<br />

kann nicht kurz sein, weil auch Anordnungen transformiert werden, die innerstaatlich längst<br />

gelten, womit die Masse des Rechtsstoffs überflüssigerweise und entgegen dem ökonomischen<br />

Prinzip der Gesetzestechnik […] vermehrt wird. Die Regelung kann aber auch nicht<br />

angepasst sein, weil sie für viele Rechtsordnungen – freilich nur ungefähr – passen soll.“ 2<br />

Das mit der Vollziehung der <strong>Alpenkonvention</strong> beauftragte innerstaatliche Organ<br />

sieht sich also Rechtstexten gegenüber, die vom gewohnten Standard abweichen.<br />

Was aus der Routine herausfällt, verstört und wird soweit wie möglich beiseite<br />

geschoben. Dass die Mehrsprachigkeit und die damit zusammenhängende<br />

Textierung der Durchführungsprotokolle deren Anwendung nicht gerade fördert,<br />

liegt auf der Hand.<br />

3. Anspruchsvolle Auslegung<br />

Hand in Hand mit dem eben erwähnten Sprachenproblem geht die Tatsache,<br />

dass völkerrechtliche Verträge nach speziellen Regeln auszulegen sind. Sie finden<br />

sich in den Artikeln 31 ff Wiener Vertragsrechtskonvention: Ausgangspunkt<br />

der Interpretation ist die gewöhnliche Bedeutung der Bestimmungen in ihrem<br />

Zusammenhang. Dazu gehören nicht nur der gesamte Vertragstext inklusive Präambel,<br />

sondern auch Übereinkünfte bei Vertragsabschluss oder Erklärungen einer<br />

Vertragspartei, die von den anderen angenommen wurden. Vorbereitende<br />

Arbeiten sind in erster Linie zur Bestätigung der Textauslegung heranzuziehen.<br />

Bei Verträgen mit mehreren authentischen Sprachen gilt die Vermutung, dass<br />

die Ausdrücke in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben. Hier ist<br />

im Zweifel anhand der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zu klären, mit welchem<br />

Sinngehalt ein Begriff dort verwendet wird. Unzulässigkeit ist es jedenfalls,<br />

eine einzelne Sprachfassung, meist jene, die einem vertraut ist, heranzuziehen<br />

und eine Auslegung in Zusammenschau mit nationalem Recht vorzunehmen.<br />

Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge ist komplex und aufwändig. Tiefschürfende<br />

Recherchen in wenig vertrauten Rechtsordnungen sind erforderlich, umfassende<br />

Sprachkenntnisse unabdingbare Voraussetzung. In einem von routinemäßiger<br />

Aufgabenerledigung geprägten Behördenalltag, wo in personeller und<br />

zeitlicher Hinsicht nur wenig freie Ressourcen bestehen, ist daher eine metho-<br />

2 Walter, Die Neuregelung der Transformation völkerrechtlicher Verträge in das österreichische Recht, ÖJZ<br />

1964, 449 (451) – Sperrungen im Original.<br />

42 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


disch korrekte Anwendung völkerrechtlicher Verträge, wie der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

kaum möglich.<br />

4. Erwartungshaltung der Vertragsparteien<br />

Viele Akteure, auch auf Seiten der Verhandlungsparteien, sahen die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

von Anfang an mehr als politisches Instrument, denn als so genanntes<br />

black letter law. Zum Beispiel wurde in der Schweiz in der Erklärung von Arosa<br />

klargestellt, dass die bestehenden Schweizer Gesetze den Anforderungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

genügen und Gesetzesrevisionen daher nicht nötig seien. 3 Das<br />

Protokoll „Bodenschutz“ wurde dementsprechend „als durchaus positiv zu wertendes<br />

Mittel zu vermehrter Sensibilisierung und koordiniertem Handeln bei Bodenproblemen<br />

im Alpenraum“ erachtet. 4<br />

In fast allen parlamentarischen Materialien zur Beschlussfassung der Durchführungsprotokolle<br />

findet sich der Hinweis, dass eine Anpassung innerstaatlicher<br />

Gesetze nicht notwendig sei. Bei einer solchen Grundhaltung der Gesetzgeber ist<br />

nicht zu erwarten, dass dem <strong>Alpenkonvention</strong>srecht auf Vollziehungsebene das<br />

Potential zu einschneidenden Änderungen der jeweiligen nationalen Rechtslage<br />

zugemessen wird.<br />

Dennoch: Vor diesem Hintergrund überrascht es aus heutiger Sicht, dass sich<br />

trotz der offenkundigen Einigkeit über die eher politische Funktion der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

sehr weitgehende Vorschriften in den Protokollen finden, welche<br />

den nationalen Rechtsordnungen keineswegs bekannt sind: der Verzicht neuer<br />

hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr (Art 11 VerkehrsP), die<br />

Pflicht zur Erhaltung von Schutzwäldern an Ort und Stelle (Art 6 Berg-waldP), die<br />

Zielvorgabe, beim Bau von Stromleitungen soweit wie möglich bestehende vor<br />

neuen Korridoren zu benutzen (Art 10 Abs 2 EnergieP) – die Liste ließe sich leicht<br />

fortsetzen.<br />

Wie immer also die Erwartungshaltung einiger Akteure gegenüber der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

war bzw. ist: derartige, über den nationalen Rechtsbestand hinausgehende<br />

Vorschriften sind – jedenfalls in den Rechtsordnungen jener Vertragsparteien,<br />

welche die Durchführungsprotokolle unterzeichnet haben – geltendes<br />

Recht und ihrem Inhalt entsprechend anzuwenden.<br />

5. Schleppende Ratifizierung<br />

Ein weiterer Hemmschuh für die Wirksamkeit des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts ist<br />

der schleppende Ratifizierungsprozess. Weniger schwer als die Zurückhaltung<br />

Monacos wiegt hier jene der Schweiz. Denn dadurch wird ein Ungleichgewicht<br />

geschaffen, das sich auf die Akzeptanz des Konventionsrechts in jenen Staaten,<br />

3 Abgedruckt in: Botschaft zum Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und zu verschiedenen<br />

Zusatzprotokollen vom 10. September 1997, 97.064 (BBl 1997, 657 [667]).<br />

4 Erläuterungen zum Protokoll „Bodenschutz“ der <strong>Alpenkonvention</strong>, Zi/En/26.04.95, S. 4 (unveröffentlicht).<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

43


in denen die Durchführungsprotokolle gelten, auswirkt. Dazu ein Beispiel: Das<br />

Tourismusprotokoll spricht sich in Form eine Zielbestimmung klar gegen das so<br />

genannte Heliskiing aus. Das Absetzen aus Luftfahrzeugen für sportliche Zwecke<br />

ist soweit wie möglich zu begrenzen und erforderlichenfalls zu verbieten (Art<br />

16 TourismusP). Dennoch ist Heliskiing in Vorarlberg, wo das Tourismusprotokoll<br />

geltendes Recht darstellt, gesetzlich zulässig und wurde von der Luftfahrtbehörde<br />

bisher für zwei Standorte bewilligt. Begründet wird dies damit, dass andernfalls<br />

ein Wettbewerbsnachteil zu Schweizer Schigebieten bestünde, wo das Absetzen<br />

von Schifahrern an rund 45 Außenlandeplätzen erlaubt ist und wo das<br />

Tourismusprotokoll nicht gilt.<br />

Wenn es den Alpenanrainerstaaten auch in Zukunft nicht gelingt, einen gemeinsam<br />

Rechtsrahmen für den gesamten Alpenraum zu entwickeln, wird durch diese<br />

Fragmentierung der Rückhalt für die <strong>Alpenkonvention</strong> stetig untergraben.<br />

6. Normstruktur: wenige Verbote, viele Ziele<br />

In ihrer üblichen Erscheinungsform sind Rechtsnormen Konditionalnormen, die<br />

nach dem Schema „Wenn A, soll B sein“ funktionieren. Die Vertragsparteien sind<br />

zum Beispiel verpflichtet, Hoch- und Flachmoore zu erhalten (Art 9 BSchP); tun sie<br />

es nicht, dann droht als Sanktion ein Verfahren vor dem Überprüfungsausschuss.<br />

Derart eindeutige Verbotstatbestände, die nach einem Konditionalschema funktionieren,<br />

finden sich nur vereinzelt in den Durchführungsprotokollen; sie erweisen<br />

sich allerdings wegen ihrer Unbedingtheit als verblüffend weitreichend. So<br />

verpflichten sich die Vertragsparteien, Schutzgebiete im Sinn ihres Schutzzwecks<br />

(Art 11 NSchP), Hoch- und Flachmoore (Art 9 BSchP) und Schutzwälder an Ort<br />

und Stelle (Art 6 BergwaldP) zu erhalten. Keine dieser Erhaltungspflichten ist<br />

durch Ausnahmebestimmungen abgeschwächt. Gleiches gilt für den Verzicht<br />

neuer hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr (Art 11 VP) oder<br />

das Verbot der Errichtung von Schipisten in labilen Gebieten (Art 14 BSchP): auch<br />

sie sind als unbedingte Gebote konzipiert. Weshalb sich die Vertragsparteien auf<br />

derart weitreichende Verpflichtungen geeinigt haben, wenn sie doch offenbar<br />

davon ausgingen, dass durch die Durchführungsprotokolle keine Änderung der<br />

nationalen Rechtsordnungen erfolge, ist aus heutiger Sicht kaum erklärbar.<br />

In einem weitaus größeren Ausmaß enthalten die Konventionsprotokolle Finalnormen.<br />

Das Normprogramm von Zielbestimmungen sieht vor, dass dem<br />

Normadressaten bestimmte Ziele vorgegeben werden, zu deren Erreichung<br />

verschiedene Mittel zur Verfügung stehen. Im nicht seltenen Fall divergierender<br />

Zielvorgaben, sind die betroffenen Interessen zu ermitteln, ihre Bedeutung<br />

in der konkreten Situation einzuschätzen, gegenläufige Zielvorgaben in Relation<br />

zu bringen und letztlich entsprechend dieser Abwägung eine Entscheidung zu<br />

treffen. 5 In den von den Durchführungsprotokollen behandelten Rechtsgebieten,<br />

5 Schmid, Entscheidungsbesprechung BVwG 28.8.2014, W104 2000178-1/63E, ZVG 2014, 692.<br />

44 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


wie Raumordnung, Naturschutz, Forstrecht, Energierecht, ist diese Form der Entscheidungsfindung<br />

auch in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehen.<br />

Diese Zielbestimmungen stellten und stellen für die Vollziehungsbehörden offenbar<br />

eine Herausforderung dar. Üblich ist die Behauptung, dass derartige Vorschriften<br />

nicht unmittelbar anwendbar seien oder auch, dass sie sich nicht an<br />

die Vollziehungsbehörden, sondern an den Gesetzgeber richten. In vielen Fällen<br />

trifft dies allerdings nicht zu: Gleichen Zielbestimmungen in den Durchführungsprotokollen<br />

solchen in innerstaatlichen Gesetzen, dann sind sie gleichermaßen<br />

in die vom nationalen Recht vorgesehene Abwägungsentscheidung einzubeziehen.<br />

Ein gutes Beispiel dafür bietet die Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts<br />

(BVwG) zur Bewilligung einer Freileitung von Kärnten nach Italien über<br />

den Kronhofgraben. 6 In seiner abweisenden Entscheidung berief sich das Gericht<br />

ua auf Art 10 EnergieP, wonach bei Bauten von Stromleitungen soweit wie möglich<br />

bestehende Strukturen und Leitungsverläufe zu benutzen seien. Zu Recht<br />

ging das BVwG davon aus, dass Art 10 EnergieP als Zielbestimmung in die naturschutzrechtliche<br />

Interessenabwägung einzubeziehen sei. Da eine entsprechende<br />

Berücksichtigung bestehender Trassen vom Projektwerber nicht ausreichend geprüft<br />

worden sei, wurde der Antrag trotz des Vorliegens gegenläufiger öffentlicher<br />

Interessen abgewiesen.<br />

Ein positives Beispiel für die Aufarbeitung der vielfältigen Zielbestimmungen in<br />

den Durchführungsprotokollen ist der von der Umwelt- und Raumordnungsabteilung<br />

des Landes Steiermark herausgegebene Leitfaden zur <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />

der örtlichen Raumordnung. 7 In einem Textteil und einer Checkliste werden die<br />

vielfältigen Ziele für die Gemeindebehörden aufbereitet, wodurch deren Berücksichtigung<br />

merklich erleichtert wird.<br />

Der beschriebene Mix an Rechtsnormtypen, der sich in den Konventionsprotokollen<br />

findet, und die unterschiedlichen Anwendungsformen stellen eine Herausforderung<br />

für die zuständigen Vollziehungsbehörden dar, die aber zu bewältigen<br />

ist. Denn letztlich unterscheidet sich das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht in diesem Punkt<br />

nicht vom vertrauten innerstaatlichen Recht.<br />

7. Norminhalt: wenig Neues<br />

Es wurde bereits erwähnt, dass nach Ansicht der nationalen Gesetzgeber durch<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> und ihre Durchführungsprotokolle kein Anpassungsbedarf<br />

für innerstaatliches Recht gegeben ist. Zwar trifft dies – wie gezeigt wurde – in<br />

dieser Absolutheit nicht zu, in weiten Bereichen decken sich aber Konventionsrecht<br />

und nationales Recht. In diesen Fällen entfaltet die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

nachvollziehbarerweise keine Wirkung, weil durch die Vollziehung nationalen<br />

Rechts zugleich das entsprechende Völkerrecht angewendet wird. Es wird daher<br />

6 BVwG 28.8.2014, W104 2000178-1/63E.<br />

7 Abrufbar unter »www.raumplanung.steiermark.at«.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

45


in Zukunft noch stärker darauf ankommen, jene Bereiche auszuloten, in denen<br />

Vorschriften in den Durchführungsprotokollen über den innerstaatlichen Rechtsbestand<br />

hinausgehen oder diesem entgegenstehen. Wenn etwa nach Art 6 Abs<br />

3 des TourismusP die Vertragsparteien anstreben, dass in Gebieten mit starker<br />

touristischer Nutzung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen intensiven und<br />

extensiven Tourismusformen gefunden wird, dann ist eine entsprechend deutlich<br />

formulierte Zielvorgabe in der österreichischen Rechtsordnung bisher nicht<br />

festgeschrieben. Art 6 Abs 3 TourismusP ist daher gleich wie innerstaatliche Zielvorgaben<br />

in die betroffenen Abwägungsentscheidungen nach nationalem Recht,<br />

etwa in entsprechenden naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren, einzubeziehen.<br />

Generell gilt aber, dass vom <strong>Alpenkonvention</strong>srecht nicht etwas erwartet werden<br />

sollte, was es nicht liefern kann. Es war niemals intendiert, dass durch dieses<br />

völkerrechtliche Vertragswerk ein weitreichender Innovationsschub in den geregelten<br />

Sachbereichen stattfinden sollte. Seine Wirkmächtigkeit in rechtlicher<br />

Sicht war daher von vornherein beschränkt.<br />

8. Wenige und widersprüchliche höchstgerichtliche Entscheidungen<br />

Das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht ist augenscheinliches Beispiel für ein Phänomen, das<br />

sich durch alle Rechtsordnungen zieht: den Höchstgerichtpositivismus. Es wird<br />

mit diesem Ausdruck die Leitfunktion höchstgerichtlicher Entscheidungen für die<br />

Verwaltungsbehörden und nachgeordneten Gerichte beschrieben. Hätte man<br />

vor den bekannten „Mutterer-Alm-Entscheidungen“ von Umweltsenat, Verfassungsgerichtshof<br />

und Verwaltungsgerichtshof 8 gefragt, welchem Artikel im Bodenschutzprotokoll<br />

erhöhe Relevanz zukommt, dann wäre wohl bei keinem noch<br />

so guten Kenner der Materie Art 14 Abs 1 3. Spiegelstrich 2, Fall BSchP an erster<br />

Stelle gestanden. Zumal diese Bestimmung mit der sehr „weich“ formulierten<br />

Phrase eingeleitet wird: „Die Vertragsparteien wirken in der geeignetsten Weise<br />

darauf hin, …“. Mittlerweile hat diese Bestimmung aber wohl den höchsten Bekanntheitsgrad<br />

aller Konventionsvorschriften erlangt und ist Grund für die Ausarbeitung<br />

der „Checkliste Labile Gebiete“ des Amtes der Tiroler Landesregierung<br />

und der Wildbach- und Lawinenverbauung.<br />

Der spektakuläre Start, den die Durchführungsprotokolle mit diesen höchstgerichtlichen<br />

Entscheidungen in Österreich hingelegt hatten, wurde aber nur<br />

vereinzelt durch weitere Entscheidungen bestätigt. Ein wesentlicher Grund für<br />

die in weiterer Folge zögerliche Haltung der Gerichte und Gerichtshöfe war die<br />

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs „Tagbau 21 – Schönangerl“. 9 Darin<br />

setzte sich das Höchstgericht mit der Erhaltungspflicht von Hoch- und Flachmoo-<br />

8 VfGH 22.9.2003, B 1049/03-4 (unveröffentlicht); VwGH 8.6.2005, 2004/03/0116; UUS 22.3.2004, US<br />

6B/2003/8-57.<br />

9 VwSlg 16.847 A/2006.<br />

46 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


en in Art 9 BSchP auseinander und verneinte ein ausnahmsloses Erhaltungsgebot.<br />

Eine Aussage darüber, welche Bedeutung dieser Bestimmungen stattdessen<br />

zukommt, traf der Gerichtshof nicht. Diese Entscheidung steht in Widerspruch<br />

zur Mutterer-Alm-Rechtsprechung 10 und hatte für die weitere Anwendung der<br />

Durchführungsprotokolle gravierende Folgen: Denn wenn nach höchstgerichtlicher<br />

Rechtsprechung nicht einmal eine so eindeutige Vorschrift wie Art 9 BSchP<br />

Bindungswirkung entfaltet, dann trifft dies wohl jedenfalls auf wesentlich weniger<br />

präzise formulierte Artikel zu, so die gängige Begründung.<br />

In der Folge wurden immer wieder Artikel der <strong>Alpenkonvention</strong> in verwaltungsbehördlichen<br />

und verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Parteien vorgebracht,<br />

in der Regel aber von den Höchstgerichten nicht aufgegriffen. Positive Ausnahme<br />

ist die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts „Kronhofgraben“.<br />

Somit besteht eine gewisse Pattsituation: Solange höchstgerichtliche Rechtsprechung<br />

zu den Durchführungsprotokollen fehlt, wirkt sich das – wegen der<br />

Leitfunktion, die diese Entscheidungen für die Verwaltungsbehörden haben<br />

–, auf die Anwendung der Protokolle auf unterster Ebene aus. Wenn aber die<br />

Durchführungsprotokolle auf Verwaltungsebene keine oder nur eingeschränkte<br />

Anwendung finden, ist es auch unwahrscheinlich, dass sich später angerufenen<br />

Höchstgerichte damit beschäftigen.<br />

9. Zögerliche wissenschaftliche Aufarbeitung<br />

In Fragen der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde die Praxis von der Rechtswissenschaft<br />

bisher nicht sonderlich unterstützt. Monographien sind nur vereinzelt<br />

erschienen 11 und auch Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelbänden<br />

halten sich in Grenzen. 12 Dazu kommt, dass die vorliegenden Untersuchungen<br />

in den meisten Fällen aus Anlass gerichtlicher Entscheidungen erstellt wurden<br />

und somit weitgehend Vorschriften betreffen, welche ohnedies aufgearbeitete<br />

sind. Vergleicht man die <strong>Alpenkonvention</strong> mit einem Ausmalbild, dann wurden<br />

manche Stellen mit großer Akribie fein säuberlich eingefärbt, während andere<br />

Bereiche auch nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n wenig Beachtung gefunden haben.<br />

10. Änderung des Zeitgeistes<br />

Mit der letzten Ursache für die eingeschränkte Effektivität des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts<br />

begibt sich die Untersuchung auf dünnes Eis, weil es sich um eine reine<br />

Mutmaßung handelt. Die Zurückhaltung im Umgang mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

könnte, zumindest teilweise, auch am geänderten Zeitgeist liegen. Als sich<br />

10 Vgl Schmid, Moorschutz und <strong>Alpenkonvention</strong>, RdU 2007, 158.<br />

11 Siehe aus jüngerer Zeit Ehlotzky, Grundfreiheiten im Spannungsfeld von Verkehr und Nachhaltigkeit. Eine<br />

Analyse anhand des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong> (2014).<br />

12 Siehe im Detail Haßlacher (Hrsg), <strong>Alpenkonvention</strong>. Bibliographie Sammelband 1998–2011 (2012) und <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Bibliographie Teil II 2003-2015 (2016).<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

47


nach einer CIPRA-Initiative die Umweltminister der Alpenstaaten 1989 auf die<br />

Berchtesgadener Resolution einigten, wurde Umweltbewusstsein großgeschrieben<br />

und galt die Regelung umweltrelevanter Sachbereiche als modern. In den<br />

Schweizer Erläuterungen zum Bodenschutzprotokoll heißt es demgemäß, dass<br />

der Bodenschutz „eine noch sehr junge Umweltdisziplin“ sei. „Die Erhaltung der<br />

Lebensgrundlage Boden ist erst seit etwa 10 <strong>Jahre</strong>n als wichtige Staatsaufgabe<br />

anerkannt“ und das Protokoll Bodenschutz daher „als durchaus positiv zu wertendes<br />

Mittel“ zu betrachten. 13<br />

Es mag täuschen, doch scheinen Umweltschutz und Umweltgesetzgebung heute<br />

eher als Hemmschuh, denn als Chance angesehen zu werden. Dem Leitgedanken<br />

des Wirtschaftswachstums haben sich andere Interessen unterzuordnen<br />

und gegen das Argument, dass durch einen Zusammenschluss von Schigebieten<br />

die regionale Wirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze gesichert werden, ist kein –<br />

noch so geschütztes – Kraut gewachsen. Zu betonen ist, dass aus rechtlicher Sicht<br />

diese Entwicklung solange unproblematisch ist, als derartige Entscheidungen auf<br />

Grundlage der geltenden Gesetze gefällt werden. Sie sind in rechtlicher Hinsicht<br />

zu akzeptieren, weil es sich um die zulässige Ausübung politischer Macht durch<br />

demokratisch legitimierte Organe handelt. Eine politische Bewertung kann naturgemäß<br />

zu einem anderen Ergebnis kommen.<br />

III. Schluss<br />

Wer erwartet hat, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> als neue Wunderwaffe des Umweltschutzes<br />

eine weitere Nutzung und Kommerzialisierung des Alpenraums aufhalten<br />

werde, wurde enttäuscht, denn eine solche weitreichende Unterschutzstellung<br />

ist überhaupt nicht Intention und Inhalt dieses Vertragswerks. Es bezieht<br />

vielmehr die unterschiedlichen und gegenläufigen im alpinen Raum bestehenden<br />

Interessen mit ein, nimmt an manchen Stellen selbst eine Wertung und Gewichtung<br />

vor und überlässt es ansonsten den Vertragsparteien, einen Ausgleich<br />

im Einzelfall zu finden.<br />

Wer erwartet hat, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> nur eine weitere wohlgemeinte<br />

Deklaration sei, die am rechtliche Status quo nicht viel ändere, hat sich getäuscht,<br />

weil das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht keineswegs in vollem Umfang Deckung in den<br />

nationalen Rechtordnungen findet. Zum einen werden die innerstaatlichen Materiengesetze<br />

um eine Vielzahl an Zielvorgaben ergänzt, deren Anwendung durch<br />

die Einbeziehung in Abwägungsentscheidungen zu erfolgen hat. Zum anderen<br />

enthalten die Durchführungsprotokolle mehr als deutliche Verbotstatbestände,<br />

die gleichsam als Pflöcke eines in diesen Bereichen unumstößlichen Vorrangs des<br />

Schutzgedankens vor anderen Interessen in den Boden gerammt sind. Der Handlungsspielraum<br />

für die Vertragsparteien ist hier stark eingeschränkt.<br />

13 Erläuterungen zum Protokoll „Bodenschutz“ der <strong>Alpenkonvention</strong>, Zi/En/26.04.95, S. 4 (unveröffentlicht).<br />

48 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Kronhofgraben (Kärnten) –<br />

Verwaltungsgerichtshof versagt die Genehmigung<br />

zum Bau einer Starkstromleitung auf<br />

Basis des Energieprotokolls<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

49


Ewald Galle 1<br />

Bekenntnisse eines<br />

alpenkonventionssüchtigen<br />

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />

Abteilung I/9, Internationale Umweltangelegenheiten<br />

Chef des Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> Österrreich in Wien<br />

E: ewald.galle@bmlfuw.gv.at<br />

„Ich war jung und brauchte das Geld“, trifft schon einigermaßen zu; alles kann<br />

aber damit nicht geklärt werden. Kaum weg von der Uni, tauchte ich in ganz neues<br />

(Ministeriums)Leben ein und wurde gleich mit einer großen Aufgabe konfrontiert,<br />

die Ausarbeitung und Verhandlung eines Übereinkommens zum Schutz der<br />

Alpen, in Kurzform <strong>Alpenkonvention</strong>. Sie hieß am Anfang auch anders, nämlich<br />

„Übereinkommen zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung des Lebensraums<br />

Alpen“.<br />

Auch die Zutaten waren völlig neu! Etwa das Zusammenspiel mit den Bundesländern;<br />

dort waren ehrwürdige und erfahrene Beamte aus Tirol und Kärnten schon<br />

vor mir dabei. Im Ministerium selbst standen mir Dr. Walter Höfler für den nationalen<br />

Bereich und Herr Sektionschef Mag. DI Dr. Heinz Schreiber als Delegationsleiter<br />

zur Seite. Letzterer lehrte mich sehr eindringlich, was es heißt, international<br />

zu verhandeln. Als Substanzpool stand die so genannte „Berchtesgadener<br />

Resolution“ aus 1989, bis heute wohl der umfassendste und komplexeste, leider<br />

nur unverbindliche Vertrag zum alpinen Raum, zur Verfügung.<br />

Unabhängig davon war jedoch eine Sache gleich von Beginn an da und ist bis<br />

heute nicht verschwunden, die Hingabe zur <strong>Alpenkonvention</strong>. Sie hat mich vom<br />

ersten Moment an gepackt und bis heute nicht losgelassen. Die ersten <strong>Jahre</strong><br />

1 Der Autor ist Mitarbeiter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />

Abt. I/9 – Internationale Umweltangelegenheiten. Die in diesem Beitrag wiedergegebenen Ansichten<br />

sind die des Autors und müssen sich nicht mit denen der Institution decken.<br />

50 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


waren ja auch eine besondere Zeit, die Höhepunkte der „Grünbewegung“ lagen<br />

schon zurück und gleichzeitig der verordnete Höhepunkt in Form der Rio-Konferenz<br />

1992 noch vor uns. In Wahrheit waren es aber die letzten Zuckungen eines<br />

Versuchs, unser Leben und den Umgang mit den Ressourcen wirklich nachhaltig<br />

und umweltverträglich zu gestalten. Für die <strong>Alpenkonvention</strong> war es ein einmaliger<br />

Glücksfall, dass sie im November 1991 unterschrieben werden konnte. Ich<br />

denke, nur wenige <strong>Jahre</strong> später wäre sie in dieser Form nicht mehr möglich gewesen,<br />

denn die Prioritäten veränderten sich recht schnell und die seit Jahrhunderten<br />

geltende Maxime der „Wirtschaft“ eroberte wieder ihren Platz. Das galt<br />

auch für die <strong>Alpenkonvention</strong>. War sie zu Beginn noch als bahnbrechender, regionaler<br />

Umweltvertrag gefeiert worden, wurde sie rasch für ihre Wirtschaftsfeindlichkeit<br />

kritisiert, was aber überhaupt nicht zutrifft und letztlich nur Unkenntnis<br />

bezeugt. Quasi als Gegenstrategie tauchte recht bald auch eine vom Europarat<br />

initiierte und sehr ökonomielastige „Charta der Bergregionen“ auf, die später sogar<br />

in eine verbindliche Konvention umgewandelt werden sollte, was letztendlich<br />

aber verhindert werden konnte. Von da an blieb es immer wieder bei der Kritik<br />

an der <strong>Alpenkonvention</strong>, dass sie das wirtschaftliche Leben behindern würde;<br />

offensichtlich reicht das ohnehin nur sehr schwer zu erreichende <strong>Alpenkonvention</strong>sgrundziel<br />

einer Balance zwischen Ökologie und Ökonomie nicht aus, um diese<br />

Ansprüche zu befriedigen. Und wenn man sich die jüngsten Begehrlichkeiten<br />

gegenüber dem Naturraum Alpen vor Augen hält, dann entfernen wir uns von<br />

diesem Ziel in Riesenschritten.<br />

Gleichzeitig mit der <strong>Alpenkonvention</strong>, die ja bloß den Rahmen abstecken sollte,<br />

wurden die Arbeiten an den so genannten Protokollen aufgenommen. Das<br />

Naturschutzprotokoll, das Berglandwirtschaftsprotokoll, das Raumplanungsprotokoll<br />

und das Verkehrsprotokoll waren die ersten schon 1990. Anlässlich der<br />

Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> am 7. November 1991 kamen noch das<br />

Energieprotokoll sowie das Bodenschutz- und Bergwaldprotokoll dazu. Dass der<br />

Alpentransit eine harte Nuss werden würde, war allen klar, dass er uns aber zehn<br />

<strong>Jahre</strong> beschäftigen würde, hielt damals niemand für möglich. Ich lernte rasch,<br />

was ein Junktim ist und die Bundesländer, damals noch ganz auf der Welle der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

gestalteten den Prozess mit und stellten gerade in der Frage des<br />

Alpentransits klare Bedingungen. Es kam sogar noch schlimmer, kein Staat wollte<br />

mehr etwas mit dem Verkehrsprotokoll zu tun haben. In ganz kleinen Schritten<br />

versuchten wir, nachdem die Schweiz es aufgegeben hatte, die Verhandlungen<br />

zum Verkehrsprotokoll wieder zum Leben zu erwecken; zunächst, indem echte<br />

Experten und Expertinnen einen Blick darauf werfen sollten. Schließlich nahm<br />

sich Liechtenstein der Sache an und lenkte alles wieder in geordnete Bahnen.<br />

Neu für die Region war der grenzüberschreiende, internationale Ansatz. Zuerst<br />

hatte Deutschland den Vorsitz, dann Österreich, das seine Rolle bald an Frankreich<br />

abgeben sollte. Und Frankreich setzte gleich die eben noch aufgestellte<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

51


Regel, Vorsitz nicht länger als zwei <strong>Jahre</strong>, außer Gefecht und verlängerte um ein<br />

Jahr. Michel Barnier oder Angela Merkel, damals noch jung und experimentierfreudig,<br />

waren ebenfalls dabei und machten „trotz“ <strong>Alpenkonvention</strong> Karriere.<br />

Slowenien war so begeistert von der <strong>Alpenkonvention</strong>, dass gleich zwei Vorsitzperioden<br />

hintereinander übernommen wurden.<br />

Ein Meilenstein war mit Sicherheit die VI. Tagung der Alpenkonferenz am 31.<br />

Oktober 2000 in Luzern. Dort wurden fast alle Protokolle auch von fast allen Parteien<br />

unterschrieben. Es war eine neue Dynamik zu spüren; man traute der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

auf einmal mehr zu. Darunter gab es aber auch einige, gerade in<br />

Österreich, die ihr möglicherweise zu viel zutrauten. Die <strong>Alpenkonvention</strong>s-Karte<br />

wurde dann oft, vielleicht auch zu oft, gespielt und man hatte den Eindruck, die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> wäre eine Keule für alle Probleme im Alpenraum.<br />

Das Jahr 2000 war auch der Startschuss zur Etablierung eines Compliance Mechanismus<br />

in Form des Überprüfungsauschusses. Die Schweiz und Deutschland<br />

schufen die Voraussetzungen, auf deren Basis heute noch gearbeitet wird. Gerade<br />

das Procedere zur Überprüfung der getroffenen Maßnahmen und deren<br />

Wirksamkeit war und ist ein Lernprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.<br />

In den letzten <strong>Jahre</strong>n haben sich auch die so genannten Anlassfälle als sehr wirksame<br />

Instrumentarien herausgestellt, die eine vertiefte, selektive Prüfung von<br />

einzelnen Protokollbestimmungen ermöglichen.<br />

Recht bald nach der Unterzeichnung aller Protokolle wurden in Österreich erste<br />

Überlegungen angestellt, wie denn all diese neuen Verträge in das nationale<br />

Recht integriert werden könnten. Es gab die konservative Variante, die Ratifikation<br />

mit dem üblichen Hinweis der Notwendigkeit der „Erlassung von Gesetzen“<br />

abzuschließen und dann zuzuwarten. Der in anderen Staaten gewählte Weg, auf<br />

den jeweiligen Rechtsbestand zu verweisen und gleichzeitig festzuhalten, dass<br />

kein Protokoll irgendwelche Veränderungen nach sich ziehen würde, kam in Österreich<br />

nicht in Frage.<br />

Die Alternative dazu war eine lebendige Rechtsmaterie zu schaffen, die gleich<br />

Auswirkungen auf das Rechtsleben haben sollte. Diese Variante gefiel den für<br />

die Vorbereitung und Begleitung des Ratifikationsprozesses verantwortlichen<br />

Herren im Außenministerium – es waren tatsächlich nur Herren – und mir so<br />

gut, dass wir beschlossen, es zu versuchen. Und es schien auch dem österreichischen<br />

Parlament so gut zu gefallen, dass alle Protokolle von allen Parteien (!)<br />

ohne Gegenstimmen in allen beiden Kammern angenommen wurden, ohne die<br />

übliche Floskel „durch die Erlassung von Gesetzen“, was damals wie heute für die<br />

Vermutung der unmittelbaren Anwendbarkeit spricht. Der Bundesrat als Länderkammer<br />

war sogar in einer solchen Euphorie, dass auch gleich dem Streitbeilegungsprotokoll,<br />

das eigentlich gar kein Durchführungsprotokoll, sondern nur eine<br />

Vertragsergänzung ist und zudem überhaupt nicht in den Kompetenzbereich der<br />

Bundesländer fällt, zugestimmt wurde. Aus der Tatsache der verfassungsrecht-<br />

52 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


lich notwendigen Zustimmung der Bundesländer und der damit höheren Hürde<br />

beim Zustandekommen wird gelegentlich den Protokollen eine höhere formelle<br />

Wertigkeit zuerkannt.<br />

Um die konsequenterweise daran anschließende, rechtliche Umsetzung in geordnete<br />

Bahnen zu lenken, wurden in Österreich verschiedenste Initiativen ergriffen.<br />

Von Informationsveranstaltungen und Kursen in den Bundesländern, die<br />

bis heute fortgesetzt werden, bis hin zur Etablierung der Rechtsservicestelle der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich. In letzterer sehe ich eine sowohl im nationalen<br />

als auch internationalen Vergleich einmalige Einrichtung, die sich mittlerweile<br />

als Auskunftsstelle etabliert hat. Dass alles bei der <strong>Alpenkonvention</strong> etwas<br />

länger Zeit braucht, um zu greifen, ist mittlerweile eine typische Eigenschaft der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> und trifft auch auf die Implementierung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

im Wege von Projekten zu. Herausgreifen möchte ich dabei das vom Österreichischen<br />

Alpenverein getragene Projekt „Bergsteigerdörfer“, das kleinen Orten<br />

und Regionen neue touristische Perspektiven eröffnet hat und damit zu einem<br />

Paradevorhaben der ländlichen Entwicklung geworden ist.<br />

Bei all diesen Entwicklungen und in Wahrheit bei noch viel mehr spielte die<br />

Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Ohne sie gäbe es nicht einmal eine <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />

denn letztlich war es die CIPRA, die die Ausarbeitung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

über <strong>Jahre</strong> hinweg forcierte. Aber auch die IUCN in der eindrucksvollen<br />

Person von Herrn Wolfgang Burhenne hat ungemein viel zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und ihrer Implementierung beigetragen. CIPRA Österreich hat seit Anbeginn die<br />

Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> und vor allem ihrer Protokolle begleitet, unterstützt<br />

und mitgestaltet. Die allererste Öffentlichkeitskampagne in Österreich<br />

wurde schon 1992 vom Umweltministerium gestartet und von CIPRA Österreich<br />

durchgeführt und das CIPRA Österreich-<strong>Alpenkonvention</strong>sbüro gibt es mittlerweile<br />

schon seit mehr als 20 <strong>Jahre</strong>n. Auch die dort arbeitenden Personen haben<br />

über all die <strong>Jahre</strong> hinweg in unterschiedlichster Weise ihre Spuren und Abdrücke<br />

hinterlassen und sind oft weiterhin wichtige Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen<br />

in Sachen Umweltschutz im alpinen Raum.<br />

Wenn man den Blick nach vorne richtet, so fällt einem sofort ein neues Gebilde<br />

ins Auge, die Makroregionale Strategie für den Alpenraum oder kurz EUSALP. Es<br />

ist eine von der EU federführend betreute Strategie, die einen mehr als doppelt<br />

so großen Anwendungsbereich umfasst, in dem mehr als viermal so viele Menschen<br />

leben als im von der <strong>Alpenkonvention</strong> definierten Alpenbogen. Wenn man<br />

es um die Menschen und ihre alpine Umwelt gegangen wäre, dann hätte wohl<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> per se diese Strategie sein können. Ihr Handlungsspektrum<br />

umfasst alle drei Handlungsfelder der Nachhaltigkeit und sie ist ein von den Ministern<br />

und Ministerinnen genehmigtes politisches Kooperationsprogramm zum<br />

Schutz und zur Entwicklung der Alpen. Offensichtlich geht es aber um andere<br />

Interessen anderer Gruppen. Nichtsdestotrotz braucht sich die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

53


nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil, sie hat über all die <strong>Jahre</strong> viel Expertise angehäuft,<br />

die es nun gezielt einzusetzen gilt. Sie soll auch nicht zuwarten, sondern<br />

pro-aktiv all die unterschiedlichen Prozesse in diversen EUSALP-Arbeitsgruppen<br />

mitgestalten, quasi als Anwältin der Menschen in den Bergen. Und eben diese<br />

Menschen haben die jetzt in Verträgen verlangte Balance zwischen Umweltschutz,<br />

(Be)Wirtschaften und kultureller Vielfalt über Jahrhunderte vorexerziert<br />

und gelebt. Es gibt also gar keinen Grund, sich zurückdrängen zu lassen, oder den<br />

urbanen Lebensstil am besten schon vorweg zu kopieren und sich gleichzeitig<br />

benachteiligt zu fühlen! Vielleicht kann die <strong>Alpenkonvention</strong> den Menschen in<br />

den Alpen wieder ein wenig von diesem Selbstverständnis zurückgeben; es muss<br />

nicht immer die Wertschöpfung sein, es kann einem die Wertschätzung oft viel<br />

mehr und länger anhaltendes geben!<br />

54 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Ruhegebiet Kalkkögel (Tirol) –<br />

Naturschutzprotokoll verbietet den Bau einer<br />

Seilbahn durch das Schutzgebiet<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

55


Roland Kals<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

Dornröschen in den Bergen und<br />

die sieben Zwerge<br />

Geograph, Alpen-Raumplaner und bekennender Bergfreund<br />

Technisches Büro „alpen.raum.planung“ in Salzburg<br />

E: roland.kals@arp.co.at<br />

Es gab einmal eine Zeit, da war Natur- und Umweltschutz so richtig modern<br />

und hip. In Meinungsumfragen schaffte er es regelmäßig auf den 1. Platz in der<br />

Rangreihe wichtiger Themen. In rascher Folge erschienen populärwissenschaftliche<br />

Bestseller: „Die Welt als vernetztes System“, „Brundtland-Report“, „Faktor<br />

Fünf“, „Qualitatives Wachstum“, um nur einige zu nennen.<br />

Das „Waldsterben“ hatte Hochkonjunktur, die vordem (auch ideologisch) zersplitterte<br />

grüne Szene formierte sich unter den Wasserwerfern von Wackersdorf<br />

und den Hainburger Prügelpolizisten zur Bewegung.<br />

Auch in den Alpen ging es rund: Die damals noch verstaatlichte Energiewirtschaft<br />

erlitt ihr Waterloo im Kalser Dorfertal, die ebenfalls verstaatlichte VOEST<br />

das ihre im Reichraminger Hintergebirge, im heiligen Land Tirol wehrte man sich<br />

mit pfiffiger alpiner Guerillataktik gegen die Transitlawine und auch die Gebietsansprüche<br />

der Seilbahntouristiker wurden immer heftiger bekämpft.<br />

Dem legendären Ausspruch eines damaligen Bundeskanzlers zum Trotz („es ist<br />

alles so kompliziert“) schien die Richtung klar – runter vom Gas, Schutz gefährdeter<br />

Naturgebiete und sorgsames Bewirtschaften eines als fragil erkannten Ökosystems.<br />

Die österreichischen Nationalparke entstanden: Hohe Tauern, Kalkalpen,<br />

Neusiedler See, Gesäuse.<br />

Und: Die von CIPRA promovierte Idee einer „Alpenschutzkonvention“ driftete<br />

nach jahrzehntelangen Bemühungen im Jahr 1991 endlich in die Zielgerade.<br />

Rückblickend wirkt es wie ein Wunder: Da einigen sich tatsächlich alle Alpenstaa-<br />

56 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


ten auf ein umweltpolitisches Programm von seltener Klarheit: eine ganzheitliche<br />

Politik zum Schutz der Alpen, wechselseitige Abwägung der Interessen aller<br />

Alpenstaaten, grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Knapp vor Torschluss<br />

reklamierte sich noch die Europäische Union in das Abkommen hinein, deren<br />

Interessen ab da nun ebenfalls „ausgewogen“ berücksichtigt werden mussten 1<br />

– was im Rückblick gesehen vielleicht eine entscheidende Spaßbremse für die<br />

Umsetzung gewesen ist.<br />

Ein erstes, noch ganz unauffälliges Alarmzeichen: die Umbenennung der „Alpenschutzkonvention“<br />

in „<strong>Alpenkonvention</strong>“. Dieser Verzicht auf das kleine, wohl lästige<br />

Wörtchen „Schutz“ war im Grunde ein erster Schritt in Richtung Unverbindlichkeit.<br />

Man hatte entweder nicht begriffen oder vielleicht doch klar erkannt,<br />

dass dieser „Schutz“ eine Entwicklungsrichtung unter einer klaren Prämisse hätte<br />

sein sollen, also das, was man heute mit den umständlichsten Nachhaltigkeits-<br />

Definitionen wieder einfangen möchte.<br />

Es liegt im Wesen internationaler Vereinbarungen, dass es seine Zeit braucht,<br />

bis sie in Kraft treten und ihre Wirkung entfalten, aber im Jahr 1999 hatte auch<br />

Italien als letztes Land die Rahmenkonvention ratifiziert und einer gemeinsamen<br />

Alpenpolitik wäre nichts mehr im Wege gestanden, oder?<br />

Ja, wenn es da nicht die Durchführungsprotokolle gegeben hätte. In jahrelangen<br />

Verhandlungsrunden wurden unter erheblicher Beanspruchung von Juristenhirnen<br />

zahllose Details hin und her gewälzt, und heraus kamen seltsame politischjuristische<br />

Zwitterwesen, die zumindest den österreichischen Verwaltungsbeamten<br />

in Verzweiflung stürzen mussten – sind ja sowohl Rahmenkonvention als<br />

auch Durchführungsprotokolle unmittelbarer und uneingeschränkt umsetzbarer<br />

Bestandteil der heimischen Rechtsordnung. Die Interpretation der Bestimmungen<br />

ist offenbar so kompliziert geworden, dass eine eigenständige Rechtsservicestelle<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich eingerichtet werden musste, deren<br />

ehrenamtlich tätige Mitglieder eine oft unbedankte Sisyphusarbeit verrichten.<br />

Das andere Extrem: Die Schweiz hat bis heute die Durchführungsprotokolle<br />

nicht ratifiziert und es sieht nicht so aus, als würde dies jemals geschehen. Die<br />

in der Rahmenkonvention beschworene Gemeinsamkeit sieht wohl anders aus.<br />

Jedenfalls dürfte die hohe Politik ihr Interesse an der <strong>Alpenkonvention</strong> schon<br />

bald verloren haben. Ohnehin war und ist das Thema in allen Alpenstaaten bei<br />

den (mittlerweile wieder) eher bedeutungslosen Umweltministerien angesiedelt,<br />

in Österreich überdies seit mehreren Regierungsperioden nur mehr als Anhängsel<br />

der Landwirtschaft. Die Hoffnung, dass Alpenpolitik zur Chefsache werden<br />

könnte, war eine bloße solche und ist auch rasch verpufft.<br />

Dann trat der Klimawandel auf den Plan, und eine neue Sau wurde durchs Dorf<br />

getrieben. Man könnte es auch vornehmer ausdrücken: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

wurde von „moderneren“ Vertragswerken in den Hintergrund gedrängt. Ich fin-<br />

1 Vgl. Rahmenkonvention, Artikel 2 (1)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

57


de, dass hier ein Marktgesetz wirksam wurde: die gleichermaßen einprägsame<br />

wie fachlich problematische Formel „Klimaschutz“ (man beachte: hier durfte der<br />

Schutzbegriff bleiben) verkauft sich bei politischen Akteuren und in der Öffentlichkeit<br />

einfach besser als der verschnarcht – bürokratische Titel „<strong>Alpenkonvention</strong>“.<br />

Dieses Problem der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde zwar schon früh erkannt. Es ging<br />

um die Lösung der Frage: Wie bringe ich eine Top-Down-Strategie (internationale<br />

Umweltpolitik) mit der Umsetzungserfordernis an der Basis (Alpenbevölkerung)<br />

zusammen? Und die Schlüsselfrage schlechthin: Kann die <strong>Alpenkonvention</strong> ihren<br />

„Mehrwert“ allgemein verständlich machen, und damit der Diffamierungsstrategie<br />

ihrer Gegner („reines Schutzinstrument, das jede Entwicklung verhindert“)<br />

etwas Gehaltvolles entgegensetzen? Im Idealfall wären dann die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

einer breiten Öffentlichkeit geläufig und ein selbstverständlicher<br />

Bestandteil der Alltagswirklichkeit, im Sinne eines „Wir leben die <strong>Alpenkonvention</strong>“.<br />

Leider sind wir von diesem Idealbild weit entfernt. Im Rückblick lassen sich<br />

dafür mehrere Gründe finden:<br />

Zum einen hatte sich das „window of opportunity“ relativ rasch geschlossen:<br />

Anfang der 1990er <strong>Jahre</strong> war der vordem dominierende Natur- und Umweltschutz<br />

schon wieder relativ passé, und die Besorgnis der Bevölkerung richtete<br />

sich immer stärker auf das Thema „Erhalt der Arbeitsplätze“.<br />

Dann der völlig ungenügende „politische Transport“ der Inhalte. Es gab zwar<br />

einige Ansätze für die Kommunikation der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Öffentlichkeit,<br />

auch das eine oder andere Konzept, aber keine von maßgeblichen politischen<br />

Kräften getragene, geschweige denn mit vernünftigen finanziellen Mitteln ausgestattete<br />

Informationskampagne. Damit war die Chance vertan, die Bevölkerung<br />

auf Gemeindeebene zu gewinnen und die Multiplikatorfunktion der motivierten<br />

Bürgermeister und Gemeinderäte (diese gibt es durchaus und nach wie vor) zu<br />

nutzen.<br />

Teilerfolge gab es allerdings schon: Das Netzwerk der Alpenstädte, das Gemeindenetzwerk<br />

Allianz in den Alpen, das Netzwerk der alpinen Schutzgebiete.<br />

Und Österreich muss man zugute halten, dass es meines Wissens als einziges<br />

EU-Alpenland in seinem Programm für die Ländliche Entwicklung einen Umsetzungsschwerpunkt<br />

„<strong>Alpenkonvention</strong>“ aufgenommen hat, der sich allerdings<br />

– vergleicht man anderen Programmpositionen – in einer recht bescheidenen<br />

Nische aufhält.<br />

Wer ist die <strong>Alpenkonvention</strong> heute?<br />

Auf der hohen politischen Ebene ist sie nach meiner Ansicht ein Niemand. Mit<br />

der EU-Strategie für den Alpenraum (EUSALP), die eindeutig auf die Stimulierung<br />

58 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


des Wirtschaftswachstums abzielt 2 , hat man die <strong>Alpenkonvention</strong> als politisches<br />

Instrument endgültig abmontiert, ja, sie wird nicht einmal mehr erwähnt. Der in<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> zumindest implizit angesprochene Disparitätenabbau, also<br />

ein Ausgleichsmechanismus zwischen begünstigten und weniger begünstigten<br />

Gebieten, ist unmodern geworden. Nun muss sich jede Region im „Wettbewerb“<br />

behaupten – oder untergehen.<br />

Im Bereich der Verwaltungsverfahren dürfte die <strong>Alpenkonvention</strong> wohl hauptsächlich<br />

ein Störenfried sein, je nach Standpunkt entweder als Verhinderin von<br />

Projekten oder als Verursacherin überflüssiger Mehrarbeit. Irgendwie befindet<br />

sich die <strong>Alpenkonvention</strong> in einer Todesspirale: In der ohnehin schwachen Außenwahrnehmung<br />

als statisches Schutzinstrument geltend, wird sie, vorzugsweise<br />

von Umweltverbänden, immer dann hervorgezerrt, wenn sie als ultima ratio<br />

ein ungeliebtes Infrastrukturprojekt verhindern soll. Folgerichtig ist die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

nicht mehr bloß unsympathisch, sondern sogar ein „Übel“ 3 , dies wegen<br />

ihrer zumindest im Land Tirol (noch?) spürbaren juristischen Bremswirkung<br />

in (meist seilbahnrechtlichen) Genehmigungsverfahren.<br />

Auf der lokalen Ebene der Gemeinden, der Alpenbewohnerinnen und Alpenbewohner<br />

ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Wer die Hoffnung hegte, dass es<br />

gelingen könnte, die <strong>Alpenkonvention</strong> auf breiter Basis zu verankern, sah sich<br />

bald enttäuscht – in Zeiten der Aufmerksamkeitsdemokratie sind anspruchsvolle<br />

Langfristthemen nur mit Mühe an den Mann oder die Frau zu bringen. Im<br />

Internet und insbesondere in den sogenannten sozialen Medien hat es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

schwer – das „alpine Lebensgefühl“ spielt sich momentan auf anderen<br />

Ebenen ab. Der vom Generalsekretariat vor mehr als zwei <strong>Jahre</strong>n lancierte<br />

Youtube-Beitrag „Was ist die <strong>Alpenkonvention</strong>“ beispielsweise fand ganze 159 Interessenten.<br />

Selbst eine so bekannte Persönlichkeit wie Bergsteigerlegende Kurt<br />

Diemberger sammelte mit seinem You-Tube Votum für die <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />

drei <strong>Jahre</strong>n nur 308 Aufrufe. Und der einsame Facebook-Eintrag „<strong>Alpenkonvention</strong>“<br />

kann sich über atemberaubende 23 „likes“ freuen.<br />

Vielleicht ein unfairer Vergleich, aber doch: Das mäßig originelle, ungefähr zur<br />

selben Zeit produzierte Hiphop-Musikvideo „Crack Ignaz – König der Alpen“ wurde<br />

bisher über 600.000 mal aufgerufen.<br />

Andererseits erlebt man gerade auf der Gemeindeebene immer wieder ein gefestigtes<br />

Bewusstsein über die unabweisbare Notwendigkeit, die künftige Entwicklung<br />

in eine alpenverträgliche und nachhaltige Entwicklung zu steuern. Hier<br />

ist jedenfalls das im Jahr 1997 gegründete Gemeindenetzwerk „Allianz in den<br />

Alpen“ zu nennen. Heute, nach fast 20 <strong>Jahre</strong>n besteht es aus etwa 300 meist<br />

kleineren und mittelgroßen Kommunen, die für ihre Gemeindeentwicklung die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> als Grundlage und Leitfaden anwenden – das sind ganze 6 %<br />

2 vgl. EUSALP-Mission Statement: „Growth of the region in line with EU 2020 Strategy objectives“.<br />

3 © Hannes Parth, Ischgler Urgestein und Vorstand der Silvretta Seilbahn AG; lt. Der Standard 1.4.2016.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

59


aller Gemeinden im Perimeter der <strong>Alpenkonvention</strong>, zwar achtbar, im Sinne einer<br />

wahrnehmbaren „kritischen Masse“ aber bei weitem zu wenige. Auch der Verein<br />

„Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s“ zeichnet sich durch Exklusivität aus. Immerhin 15 Städte<br />

konnten sich zu einer Mitgliedschaft entschließen, die – vorzugsweise aus den eigenen<br />

Reihen – alljährlich einen Titelträger küren. Das Potential dieser Initiative<br />

wäre allerdings erheblich: immerhin zwei Drittel der Alpenbevölkerung leben in<br />

verstädterten Regionen.<br />

Kommt man mit diesen kommunalen Speerspitzen der <strong>Alpenkonvention</strong> in näheren<br />

Kontakt, dann wird man zwischen Begeisterung und Wehmut hin- und hergerissen:<br />

Begeistert über die Klarheit, mit der Kommunalpolitiker die Botschaft<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> zu ihrer eigenen machen, bedrückt darüber, wie wenig dieses<br />

Engagement außerhalb der Gemeindegrenzen wahrgenommen und gewürdigt,<br />

geschweige denn als Beispiel genommen wird.<br />

60 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Blick vom Monte Piano gegen Norden in das tiefeingeschnittene<br />

Höhlensteintal (Südtirol). Dort hindurch<br />

ist die Alemagna-Autobahn geplant –<br />

Das Verkehrsprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

verbietet den Bau der Autobahn<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

61


Eva Lichtenberger<br />

Die Zukunft der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong><br />

Ab 1989 Abgeordnete zum Tiroler Landtag<br />

Ab 1994 Landesrätin für Umweltschutz<br />

Ab 1999 Abgeordnete zum Nationalrat; dort von 1999 bis 2004 Mitglied<br />

des Verkehrsausschusses, zuständig für Europaangelegenheiten<br />

und Sprecherin der Grünen für Verkehr und Tourismus<br />

von 2004 bis 2014 Abgeordnete zum Europäischen Parlament;<br />

Schwerpunkt der Tätigkeiten im Verkehrsausschuss: Alpenverkehr<br />

und Tourismus.<br />

E: eva.lichtenberger@chello.at<br />

Es hatte sehr viel strategisches Geschick seitens der Alpenregionen gebraucht,<br />

um die <strong>Alpenkonvention</strong> zu entwickeln und durchzusetzen. Schon immer wurden<br />

die wesentlichen Entscheidungen für die Alpen nicht vor Ort, sondern in<br />

den jeweiligen Hauptstädten getroffen. Das Verständnis für die Besonderheit des<br />

Alpenraumes in den hauptstädtischen politischen Gremien war jedoch enden<br />

wollend. Sei es die Verkehrsbelastung, die Interessen der Energiewirtschaft oder<br />

die kleiner strukturierte Wirtschaft – in den Zentralräumen im Flachland wurden<br />

die spezifischen Bedürfnisse des Berglandes nicht als essenziell akzeptiert – oder<br />

aber den eigenen Interessen untergeordnet.<br />

In den letzten <strong>Jahre</strong>n seit dem In-Kraft-Treten der <strong>Alpenkonvention</strong> gab es<br />

selbstverständlich auch Diskussionen um ihre Anwendung auf Konfliktfälle, vor<br />

allem im Verkehr und im Tourismus. Das Verkehrsprotokoll – das eine Ablehnung<br />

neuer alpenquerender Straßenverbindungen enthält – muss natürlich auch für<br />

Projekte wie etwa die sattsam bekannte „Alemagna“ 1 angewandt werden und<br />

das ist sowohl für das Veneto 2 also auch für viele Freunde des Straßenverkehrs<br />

im südlichen Österreich 3 ein politisches Hindernis.<br />

Letztlich aber etablierte sich die <strong>Alpenkonvention</strong> und seither gibt es ein Ständi-<br />

1 hochrangige Straßenverbindung zwischen dem Veneto und Bayern.<br />

2 Antwort des italienischen Umweltministers Corrado Clini 2012, Interview mit dem ÖAV zur <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />

der Ausbau der Alemagna sei positiv – Verweis auf die Bedürfnisse der Wirtschaft im Veneto (E-mail-<br />

Interview vom 28.6.2012, zugesandt vom ital. Umweltministerium).<br />

3 Siehe dazu: Protokoll der 42. Sitzung des Kärntner Landtages vom 28.6.2016 zum Dringlichkeitsantrag der<br />

ÖVP-Abgeordneten betreffend Sicherheitsausbau der B 100 Drautalstraße.<br />

62 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


ges Sekretariat in Innsbruck und viele sehr interessante Projekte der Umsetzung<br />

im gesamten Alpenbogen. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang<br />

die Einrichtung eines Jugendparlamentes der <strong>Alpenkonvention</strong> 4 oder aber<br />

die Idee, die Alpen zu einer Modellregion für den Klimaschutz zu machen 5 , oder<br />

das Gemeindenetzwerk Allianz in den Alpen. Langsam aber sicher hat die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

auch an Bekanntheit gewonnen.<br />

Die Makroregion Alpen und die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Im Grunde wurde das Modell der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Europäischen Kommission<br />

als Beispiel für eine themenzentrierte transnationale Zusammenarbeit positiv<br />

gesehen. Von Anfang an hatte die Europäische Kommission aber vorgeschlagen,<br />

den Geltungsbereich weiter zu fassen und die nahen Hauptstadtregionen<br />

mit einzubeziehen. Damit orientierte man sich offensichtlich in der Alpenpolitik<br />

eher am Modell der „alten“ ARGE ALP – historisch bekannt geworden durch den<br />

massiven Einsatz für den Ausbau der Straßentransitachsen durch die Alpen.<br />

Trotzdem war die Hoffnung berechtigt, dass die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> die<br />

Grundlage für die Entwicklung einer zukünftigen Makroregion Alpen bilden und<br />

dass auch das Anwendungsgebiet dem der <strong>Alpenkonvention</strong> entsprechen würde.<br />

Die Idee einer Makroregion Alpen stammt schon aus den neunziger <strong>Jahre</strong>n. Damals<br />

wurde auch empfohlen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> die Grundlage bilden sollte.<br />

Dies wurde übrigens auch in einer Resolution des Europäischen Parlamentes<br />

und in einem Antrag an den Bayrischen Landtag verlangt, die für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

als Leitidee für die Makroregion Alpen eintraten 6 . Auch ein gemeinsamer<br />

Beschluss der Landtage von Südtirol, Tirol und Trentino geht in diese Richtung 7 .<br />

Die Gremien der <strong>Alpenkonvention</strong> befassten sich schon ab 2011 mit dem Thema<br />

und versuchten Verbündete zu finden. Die Entwicklung der konkreten Makroregion<br />

Alpen fand aber ohne Anhörung der Zivilgesellschaft oder von lokalen<br />

Entscheidungsträgern statt, obwohl in allen Grundsatzpapieren der Union zu<br />

makroregionalen Modellen die Notwendigkeit einer Bottom-Up-Strategie betont<br />

wurde. Dieser Widerspruch zieht sich durch den gesamten Entstehungsprozess<br />

der Makroregion Alpen.<br />

Vergleicht man nämlich die Strukturen der <strong>Alpenkonvention</strong> mit jener der Makroregion<br />

Alpen, fällt sofort ins Auge, dass trotz der oben erwähnten Beteuerungen<br />

das EU-Modell weder eine Mitwirkung der Zivilgesellschaft noch die lokalen<br />

Politikebenen in zentralen Gremien vorsieht. Die Entscheidungsebene ist regie-<br />

4 Dieses hielt in Tirol im Juni 2006 eine Sitzung ab.<br />

5 CIPRA-Info Nr. 85, Dezember 2007, S. 4 ff<br />

6 Leider wurde dieser Beschluss im Plenum abgeschwächt (Entschließung des Europäischen Parlaments vom<br />

23.5.2013 zu einer makroregionalen Strategie für die Alpen, 2013/<strong>25</strong>49(RSP), Punkt 7; Antrag der Fraktion<br />

Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 4.2.2016, Nr. 17/99<strong>25</strong><br />

7 Gemeinsame Sitzung vom 30.3.2011 in Meran<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

63


ungszentriert, Nichtregierungsorganisationen oder die lokale Ebene sind nur in<br />

rein operativen Gremien zu finden. Im Prozess für die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

hingegen haben sich sowohl regionale Entscheidungsträger als auch<br />

die Zivilgesellschaft engagiert und Ergebnisse geliefert, die für die Makro-Region<br />

Alpen von hoher Relevanz wären.<br />

Die Europäische Union und die Alpen<br />

Es ist keine Überraschung dass die Kommission eher die Top-Down-Strategien<br />

bevorzugt. Die Kommission selbst spricht in ihrem Bericht zur Governance der<br />

Makroregion eine sehr deutliche Sprache: Der Strategieprozess wird auf hoher<br />

politischer Ebene angesiedelt, ergänzt durch „National Contact Points“ und Experten.<br />

8 Die Regionen wie auch die Zivilgesellschaft kommen nur in einer unterstützenden<br />

Rolle vor. Der Reichtum an zivilgesellschaftlichem Engagement im<br />

Alpenraum findet wenig Berücksichtigung.<br />

Um die Haltung zu Berggebieten in den europäischen Institutionen insgesamt<br />

zu verstehen, lohnt ein Blick auf einen kürzlich bearbeiteten Initiativbericht im<br />

Europäischen Parlament zu „Kohäsionspolitik in Bergregionen“. In diesem Bericht<br />

wird die übliche Fülle von verschiedensten Maßnahmen aufgeführt, allerdings<br />

mit einem spezifischen Schwerpunkt auf Jobs und Wachstum in den Bergregionen.<br />

Vor allem wird aber der Wunsch nach einer stärkeren Nutzung der Ressourcen<br />

der Berggebiete betont 9 . Die volle Nutzung der Wasserkraft – auch gegen<br />

Schutzinteressen – und die hohe Qualität des Alpenwassers dürften hier wohl in<br />

den Fokus kommen. All das zeigt deutlich, dass hier noch immer der alte Geist<br />

herrscht und die Besonderheit der Bergregionen nicht wirklich verstanden wird.<br />

Auch innerhalb der Alpen herrscht ein sehr unterschiedlicher Blick auf das Leben<br />

in den Bergen und auf politische Handlungsmöglichkeiten. Beispiel Tourismus:<br />

Während die Ostalpen intensiv über den Konflikt zwischen der Erhaltung der intakten<br />

Bergnatur und regionalen Erschließungswünschen diskutieren, herrscht in<br />

großen Teilen der politischen Elite in den Westalpen nach wie vor der ungebrochene<br />

Glaube an Wachstum und Fortschritt durch Erschließung um jeden Preis.<br />

Folgerichtig haben sich auch innerhalb der EUSALP ACTION GROUPS die Region<br />

Lombardei für die „Entwicklung eines effiziente Forschungs- und Innovations-<br />

Ökosystems“ und die Auvergne-Rhone-Alps für die „Steigerung des ökonomischen<br />

Potentials in strategischen Sektoren“ stark gemacht 10 . Beides Themen, die<br />

einen stadtzentrierten Fokus aufweisen.<br />

8 siehe dazu: Bericht der Kommission zur Governance makroregionaler Strategien, Brüssel, im Mai 2014,<br />

COM (2014) 284 final<br />

9 Committe report „ Cohesion policy in mountainous regions of the EU, 2015/2279(INI)<br />

10 EUSALP ACTION GROUPS, Stand Februar 2016<br />

64 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Stadt – Land – Berg<br />

Wie schon in den ersten Dokumenten zur Alpenstrategie angedacht, wurde der<br />

Geltungsbereich schließlich bis ins Alpenvorland (inklusive dem Burgenland und<br />

ganz Baden-Württemberg) ausgedehnt, – damit ist sichergestellt, dass die Metropolregionen<br />

wie München, Mailand, Turin etc. einen wesentlich stärkeren<br />

Einfluss haben werden. Dies bedeutet für die Makroregion, dass die Stärke der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>, in der die alpinen Kerngebiete selbst federführend für die Entwicklung<br />

ihrer Zukunftsvorstellungen sind, verloren geht.<br />

Die Frage des Verhältnisses des Alpenraums zu den nahen Metropolregionen<br />

und die daraus möglicherweise resultierenden Interessenkonflikte wird zudem<br />

nicht deutlich genug angesprochen. Dahinter steht die Frage des Ausgleichs von<br />

Schutz- und Nutzungsinteressen sowohl innerhalb der Alpen als auch zwischen<br />

den Kernalpen und jenen des ökonomisch starken Voralpenlandes. Schon auf<br />

Grund der Bevölkerungszahlen und der Wirtschaftskraft der voralpinen Metropolen<br />

drohen das Kerngebiet der Alpen – und die Zielsetzungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

- dabei aus dem Blickfeld zu geraten. Dies ist wohl ein sehr problematischer<br />

Ansatz für die weitere Entwicklung, denn die Abgrenzung entscheidet darüber,<br />

ob in Zukunft die Entwicklung in den Alpen endogen oder exogen gesteuert sein<br />

wird. Zudem ist aus den Zielsetzungen der Alpenstrategie deutlich zu erkennen,<br />

dass hier eher Themen im Mittelpunkt stehen, die es den Großstädten möglich<br />

machen, wesentliche Fördermittel für ihre Notwendigkeiten abzuziehen. Da es ja<br />

für die Makroregionen keine zusätzlichen Fördermittel geben wird, könnte dies<br />

auf Kosten von Projekten der Kernregion gehen.<br />

Pessimistisch macht, dass die bisher von der <strong>Alpenkonvention</strong> erarbeiteten<br />

Grundsatzarbeiten nicht hinreichend berücksichtigt werden. Soll hier wieder einmal<br />

das Rad neu erfunden werden oder stehen dahinter politische Intentionen?<br />

Während die Protokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> gesamt dem Prinzip der Nachhaltigkeit<br />

verpflichtet sind, war dieser Aspekt für die frühen Promotoren einer Makroregion<br />

Alpen nicht zentral. Das zeigt sich auch in den Vorschlägen für politische<br />

Schwerpunkte, die sich mehr im Rahmen von regionaler Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Beschäftigung bewegten. Interessant ist, dass diese Vorschläge der Makroregion<br />

Alpen, die nun als Schwerpunkte festgelegt wurden, stark jenen der ARGE<br />

ALP ähneln 11 . In die gleiche Kerbe schlägt ein Seminar der Region Rhone-Alpes<br />

vom Jänner 2012, das die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den großen<br />

Städten im Alpenvorland mit dem alpinen Kerngebiet betont 12 .<br />

Ein Zurückdrängen der <strong>Alpenkonvention</strong> zugunsten der Makroregionalen Strategie<br />

könnte natürlich auch sehr konkrete Auswirkungen auf konkrete Projek-<br />

11 Ergebnisprotokoll der 35. Konferenz der Regierungschefs der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer am<br />

<strong>25</strong>.6.2004 in Alpbach, Tirol, S. 21 ff<br />

12 Protokoll der politischen Debatte, Seminar über eine europäische Strategie für den Alpenraum vom<br />

13.1.2013 in Grenoble<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

65


te haben. Das oben zitierte Beispiel der Alemagna würde möglicherweise unter<br />

dem Fördertitel „Connectivity“ in bestimmten Teilbereichen sogar Anspruch auf<br />

EU-Gelder haben. Da in erster Linie Regionen und Ministerien die Entscheidungsgewalt<br />

haben und die Stimme der NGOs nur beratend ist, könnte das dieses alte<br />

Straßentransitprojekt durchaus begünstigen. Auch bei Erschließungsprojekten in<br />

sensiblen Gebieten könnte dies in Zukunft eine ähnliche Rolle spielen.<br />

Wird also der Bottom-up-Prozess der Alpenregion selbst zugunsten einer Top-<br />

Down-Strategie der Kommission im Verein mit den alten Lobbyisten der ARGE<br />

ALP an den Rand gedrängt? Das muss nicht sein. Unter bestimmten Bedingungen<br />

wäre es sicher möglich, dass sowohl die <strong>Alpenkonvention</strong> als auch die Europäische<br />

Makroregion Alpen zu einer Koexistenz finden.<br />

Dazu sind aber mehrere Voraussetzungen notwendig. Zum ersten dürfen die<br />

Finanzflüsse seitens der Europäischen Union nicht einseitig auf die Schwerpunkte<br />

der makroregionalen Strategie allein konzentriert werden. Diese sind nämlich<br />

samt und sonders eher auf die großen städtischen Agglomerationen im Alpenvorland<br />

zugeschnitten als auf das alpine Kerngebiet. Zweitens müssen in den entscheidenden<br />

Gremien personelle Verschränkungen stattfinden, sodass also die<br />

VertreterInnen der <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren Ideen und Projekten Berücksichtigung<br />

finden. Und drittens muss eine offene Auseinandersetzung über die oft<br />

sehr unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen betreffend den Alpenbogen<br />

zwischen den Alpenregionen selbst und den Stadtregionen des Alpenvorlandes<br />

geführt werden. Die Alpen haben gute FreundInnen in den Städten, welche die<br />

alpinen Anliegen auch unterstützen. Diese sind aber wesentlich weniger effizient<br />

organisiert als jene Gruppen, die reine Nutzungsinteressen ohne Berücksichtigung<br />

der Gegebenheiten in den Alpen und der Bedürfnisse der BewohnerInnen<br />

der Kernalpen durchsetzen wollen. Es gilt also, wieder Bündnisse zu organisieren.<br />

Dann ist es möglich, die <strong>Alpenkonvention</strong> – vielleicht nicht auf dem Papier, aber<br />

in der Praxis - zur Leitidee für eine europäische Alpenpolitik zu machen.<br />

66 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Erweiterung Mölltaler Gletscher durch die Naturschutzgebiete<br />

Kleinfragant & Wurten-West (Kärnten)<br />

– Naturschutz- und Bodenschutzprotokoll lässt<br />

den Bau von Schipisten und Seilbahnen nicht zu<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

67


Josef Essl<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich –<br />

einige Zahlen und Fakten<br />

Von 1995 bis 2008 in der Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz<br />

im Österreichischen Alpenverein<br />

Seit 2013 bei CIPRA Österreich (seit 2015 Geschäftsführer)<br />

Seit 2013 Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich<br />

Seit 2013 Mitglied des Nationalen Komitees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in Österreich<br />

Von 2011 bis 2015 Mitglied des Naturschutzbeirates beim Amt der<br />

Tiroler Landesregierung<br />

E: josef.essl@cipra.org<br />

Man kann es als eine große Errungenschaft bezeichnen, als am 7. November 1991<br />

in Salzburg die Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> als ein umfassendes internationales<br />

Vertragswerk zum Schutz und für eine nachhaltige Entwicklung der<br />

Alpen für knapp 14 Millionen Menschen und einer Fläche von 190.912 km² durch<br />

die Vertragsparteien der Alpenstaaten erfolgt ist. Österreich ist ein Kernland im<br />

Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> und war viele <strong>Jahre</strong> hindurch ein Vorreiter<br />

bei der Umsetzung des internationalen Vertragswerkes. Einige Zahlen und<br />

Fakten sollen unterstreichen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> gerade in Österreich ein<br />

unerlässliches Werkzeug und zukunftsorientierter Wegweiser für einen umfassenden<br />

Alpenschutz und eine nachhaltige Alpenentwicklung darstellt. Ebenso<br />

werden Vergleiche, Stärken, Schwächen und Herausforderungen der Berggebiete<br />

gegenüber den außeralpinen Regionen dokumentiert.<br />

Alpenland Österreich<br />

Mit knapp 65 % Anteil an der österreichischen Staatsfläche, liegt Österreich unter<br />

den großen Alpenstaaten an der Spitze des Geltungsbereiches der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Vor allem die westlichen Bundesländer, wie Vorarlberg, Tirol und Kärnten<br />

bringen 100 % ihrer Fläche in den Anwendungsbereich ein. Dahinter folgt mit<br />

beinahe 95 % das Bundesland Salzburg. Selbst das Burgenland im östlichsten<br />

Anwendungsbereich ist mit fast 12 % enthalten. Die einzige Ausnahme bildet<br />

die Bundeshauptstadt Wien, die keinen Anteil an den Alpen besitzt. Mit dem In-<br />

68 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Kraft-Treten der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt erstmals eine gemeindescharfe Abgrenzung<br />

vor.<br />

Bundesland Fläche im Anwendungsbereich<br />

in % der Gesamtfläche<br />

(in km²)<br />

Vorarlberg 2.601,40 100<br />

Tirol 12.648,00 100<br />

Kärnten 9.533,12 100<br />

Salzburg 6.779,78 94,77<br />

Oberösterreich 3.483,48 29,08<br />

Niederösterreich 6.069,09 31,65<br />

Steiermark 1 12.672,70 77,33<br />

Burgenland 471,57 11,89<br />

Österreich 54.<strong>25</strong>9,14 64,71<br />

Quelle: ABIS 1999<br />

Österreichische Gemeinden in der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Mit der Abgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong> im <strong>Jahre</strong> 1995 (BGBl. 477/1995), wurden<br />

5.971 Gemeinden im gesamten Alpenraum erfasst. Mit 1.135 Gemeinden<br />

lag Österreich hinter Italien (1.764) und Frankreich (1.750) an dritter Stelle. Umfassende<br />

Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark 2015, haben beinahe<br />

zu einer Halbierung der Gemeinden geführt. Von ursprünglich 302 Gemeinden<br />

im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet, hat sich die Zahl auf 169 Gemeinden und damit um<br />

44 % reduziert. Davon fallen aktuell 9 Gemeinden und deren Gemeindeflächen<br />

nur teilweise in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong>. Von Seiten des<br />

Bundesministeriums gilt es noch zu klären, wie und in welchem Umfang diese<br />

Gemeinden in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> integriert werden.<br />

1 Aufgrund der Gemeindestrukturreform in der Steiermark 2015, fallen 9 Gemeinden zwar in den Anwendungsbereich<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>, sind aber davon nur teilweise betroffen. Genaue Festlegungen, die möglicherweise<br />

zu kleinräumigen Flächenänderungen führen, sind vom Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> im Bundesministerium<br />

für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft noch zu erheben.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

69


Bundesland<br />

Anzahl der Gemeinden<br />

Vorarlberg 96<br />

Tirol 279<br />

Kärnten 132<br />

Salzburg 101<br />

Oberösterreich 61<br />

Niederösterreich 160<br />

Steiermark 2 169<br />

Burgenland 16<br />

Österreich 1.014<br />

Quelle: ABIS 1999<br />

Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2015<br />

eigene Berechnungen 2016<br />

Österreich – ein großer Player im Alpenraum<br />

Bezogen auf das gesamte Staatsgebiet zählt Österreich mit seinen 83.879 km²<br />

gegenüber Frankreich, Italien oder Deutschland, die allesamt auch Anteile am <strong>Alpenkonvention</strong>sperimeter<br />

haben, zu den Kleinstaaten in Europa. Doch warum ist<br />

das Instrument der <strong>Alpenkonvention</strong> gerade in Österreich so wichtig? Dies hat einen<br />

einfachen Grund, denn zieht man die Oberfläche der einzelnen Staaten und<br />

die darin lebende Bevölkerung nur für den Alpenraum heran, liegt Österreich mit<br />

54.<strong>25</strong>9,14 km² und einer Einwohnerzahl von 3.318,045 Millionen (Stand 2013)<br />

an zweiter Stelle hinter Italien und noch vor Frankreich und Deutschland. Was<br />

hingegen die Bevölkerungsdichte im alpinen Raum betrifft, befindet sich Österreich<br />

mit durchschnittlich 60,8 Einwohnern pro km² nur vor Slowenien an vorletzter<br />

Stelle. Die mit Abstand größten Bevölkerungsdichten weisen Monaco mit<br />

18.475 E/km² und Liechtenstein mit 230,2 E/km² auf.<br />

Vergleich alpiner und nicht alpiner Raum in Österreich<br />

Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte betrug in Österreich 2013 ca. 101 Einwohner<br />

pro km². Im alpinen Raum sind es knapp 61 E/km². Die durchschnittlich<br />

hohe Bevölkerungsdichte für Österreich ist leicht erklärbar, denn auf 29.619,89<br />

km² nicht alpinem Staatsgebiet und damit nicht <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet, leben<br />

über 5,1 Million Menschen, was einem Anteil von ca. 61 % bedeutet. Bekannt ist,<br />

2 Von den 169 Gemeinden fallen 9 Gemeinden nach der Gemeindestrukturreform in der Steiermark nur teilweise<br />

in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong>. Eine genaue Festlegung der Gemeinden ist vom<br />

Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft<br />

noch zu treffen.<br />

70 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


dass der Dauersiedlungsraum im alpinen Raum sehr begrenzt ist. In Zahlen für<br />

Österreich ausgedrückt bedeutet dies, dass in Österreichs Alpen nur 11.566 km²<br />

als Dauersiedlungsraum gelten, im nicht alpinen Raum sind es hingegen 20.874<br />

km², was einem prozentuellem Anteil von 21,3 % zu 70,5 % Prozent an der jeweiligen<br />

Gesamtfläche bedeutet. Rechnet man jedoch die auf den Dauersiedlungsraum<br />

bezogene Bevölkerungsdichte heraus, so ist diese im österreichischen<br />

Alpenanteil mit 286,9 E/km² um einiges höher als im außeralpinen Raum mit 246<br />

E/km² (Stand 2013, Quelle: Demographischer Wandel in den Alpen – Alpenzustandsbericht,<br />

2015).<br />

Bevölkerungsstruktur – die Menschen werden älter<br />

Mittlerweile beträgt der alpenweite Anteil von Menschen mit über 65 <strong>Jahre</strong>n<br />

an der Gesamtbevölkerung 19,5 %. In Österreichs Alpen – hier vor allem in den<br />

westlichen Bundesländern – liegt dieser Anteil bei 18,7 % und damit etwas darunter.<br />

Vergleicht man diesen Wert mit den außeralpinen Regionen in Österreich,<br />

so steht hier ein Wert von 17,6 % gegenüber. Dieser höhere Anteil im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet<br />

hängt damit zusammen, dass vor allem große Teile Kärntens,<br />

inneralpine Grenzgebiete zwischen Niederösterreich und der Steiermark als auch<br />

zu Oberösterreich zumeist deutlich älter sind als andere Regionen in Österreichs<br />

Alpen.<br />

Beschäftigung in Österreichs Alpen<br />

Der Arbeitsmarkt ist im Alpenraum, bedingt durch den demographischen Wandel,<br />

die unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, die Lage und Erreichbarkeit<br />

und das Bildungsangebot sehr eng miteinander verknüpft. So haben primär gut<br />

erreichbare Städte, Gemeinden und Regionen einen durchaus sichtbaren wirtschaftlichen<br />

Vorteil. Dennoch garantiert eine gute Erreichbarkeit von Haus aus<br />

keinen Erfolg, da gerade die Alpen von einem komplexen Zusammenspiel geprägt<br />

sind. Um die Arbeitsmarktlage genauer eruieren zu können, benötigt es<br />

die Berücksichtigung dreier Indikatoren: Erwerbstätigenquote, Arbeitslosenquote<br />

und Anteil der Nicht-Erwerbspersonen. Demnach ist die Erwerbstätigenquote<br />

in Österreichs Alpen mit 70,4 % höher angesiedelt, wie jene außerhalb des<br />

Anwendungsbereiches mit 69,6 %. Die Arbeitslosenquote liegt in Österreich im<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>sbereich mit 5,4 % gegenüber 6,0 % doch um 0,6 Prozentpunkte<br />

niedriger. Nur unwesentlich geringer ist der Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />

mit <strong>25</strong>,6 % im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet gegenüber <strong>25</strong>,9 % außerhalb der österreichischen<br />

Alpen.<br />

Bricht man nun die Zahlen auf die Altersgruppe der 15 – 64 jährigen und der 15<br />

– 24 jährigen herunter, zeigen die entsprechenden Indikatoren für Männer und<br />

Frauen hinsichtlich des Anteiles der Nicht-Erwerbspersonen, der Erwerbstätigen-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

71


quote und der Arbeitslosenquote für das <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet in Österreich,<br />

gegenüber dem außeralpinen Raum, ein durchwegs positives Bild (siehe Tabelle).<br />

GESAMT<br />

Alpiner Raum Nichtalpiner<br />

Raum<br />

Österreich<br />

gesamt<br />

Alter 15 – 64 <strong>Jahre</strong><br />

Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />

<strong>25</strong>,6 26,2 20,5<br />

(in %)<br />

Erwerbstätigenquote (in %) 70,4 69,2 69,6<br />

Arbeitslosenquote (in %) 5,4 6,3 6,0<br />

Alter 15 – 24 <strong>Jahre</strong><br />

Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />

37,7 41,3 39,9<br />

(in %)<br />

Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />

57,5 53,2 54,9<br />

(in %)<br />

Arbeitslosenquote (in %) 7,8 9,4 8,7<br />

Arbeitsmarktindikatoren für Österreich (Frauen und Männer)<br />

Quelle: EURAC 2011<br />

Bildung in Österreichs Alpen<br />

Im Alpenraum ist der Bildungsgrad und -standard sehr heterogen ausgeprägt.<br />

Dies hängt mit den unterschiedlichen Bildungssystemen und -angeboten, in Ergänzung<br />

mit den räumlichen Gegebenheiten zusammen. Das Fehlen mitunter<br />

guter Ausbildungsmöglichkeiten in den ländlichen Regionen führt häufig dazu,<br />

dass junge Menschen verstärkt in perialpine Regionen mit besseren und hochqualifizierten<br />

Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten abwandern, weshalb es zu<br />

unterschiedlichen demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen<br />

zwischen den ländlichen Räumen und den Metropolen kommen kann. Im<br />

Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich weist die Sekundarbildung<br />

mit 58,6 % einen höheren Anteil als in außeralpinen Gebieten mit 55,7 %<br />

auf, womit auch eine abgeschlossene Tertiärbildung mit 13,6 % unter dem österreichweiten<br />

Durschnitt von 14,8 % liegt. Die Verteilung der Bevölkerung mit einer<br />

abgeschlossenen Tertiärbildung konzentriert sich sehr stark auf die städtischen<br />

Räume, da in den ländlichen Räumen häufig gutqualifizierte Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

fehlen.<br />

72 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Alpiner Raum<br />

GESAMT<br />

Nichtalpiner<br />

Raum<br />

Österreich<br />

gesamt<br />

Sekundärbildung (in %) 58,6 55,7 56,8<br />

Tertiärbildung (in %) 13,6 15,6 14,8<br />

Abgeschlossene Sekundär- und Tertiärbildung in Österreich (Frauen und Männer)<br />

Quelle: EURAC 2011<br />

Der Tourismus in Österreich<br />

Quelle: Statistik Austria<br />

Noch im Jahr 1975 war Österreich ein klassisches touristisches Sommerland.<br />

74 Mio. Nächtigungen im Sommer standen damals 31 Mio. Nächtigungen im<br />

Winter gegenüber. In den folgenden Jahrzehnten wurde unaufhörlich in den<br />

Wintertourismus bzw. in die technische Infrastruktur (Seilbahnen, Schipisten,<br />

Beschneiung, usw.) investiert. Eine stete Zunahme der Nächtigung im Wintertourismus<br />

in den 1980er- und 1990er-<strong>Jahre</strong>n und ein mitunter starker Rückgang<br />

im Sommertourismus zwischen 1990 und 2005, führt mittlerweile seit 2005 zu<br />

einem beinahe Gleichschritt in den Sommer- und Winternächtigungen. 2015<br />

war der vorläufige Höhepunkt mit über 135 Mio. Übernachtungen (davon 69<br />

Mio. im Sommer und 66 Mio. im Winter). Diese Zahlen mögen auf den ersten<br />

Blick positiv erscheinen, doch bei genauer Betrachtungsweise erhöht diese Tourismusintensität<br />

den Druck auf die Landschaft, führt zu einem unweigerlichen<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

73


Verdrängungswettbewerb einzelner Tourismusorte und -regionen, womit die<br />

Aufschaukelung der alpenweiten Tourismusspirale weiter vorangetrieben wird.<br />

a) Tourismusintensität in Österreichs Alpen – in Bezug auf die Bevölkerung<br />

Wird in den Tourismusregionen eine hohe Anzahl an Übernachtungen im<br />

Verhältnis weniger Einwohner lukriert, kann von einer hohen Tourismusintensität<br />

ausgegangen werden. Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Teile Kärntens<br />

weisen hohe Werte auf und sind in ihrem Erscheinungsbild durchaus homogen,<br />

wogegen im östlichen Teil der österreichischen Alpengemeinden eine<br />

entsprechende Heterogenität und Abnahme der Intensität zu verzeichnen ist.<br />

b) Tourismusintensität in Österreich – Durchschnittliche Aufenthaltsdauer<br />

Der Trend, im Jahr mehrere Kurzurlaube zu unternehmen und damit die<br />

durchschnittliche Aufenthaltsdauer weiter nach unten zu drücken, hat sich<br />

in den letzten <strong>Jahre</strong>n unaufhörlich fortgesetzt. Von 2001 bis 2010 hat die<br />

durchschnittliche Aufenthaltsdauer alpenweit um durchschnittlich 11,8 %<br />

abgenommen. In Vorarlberg und Kärnten fiel der Rückgang der Aufenthaltsdauer<br />

mit 17 % und 19 % noch dramatischer aus. 2001 verweilten die Gäste<br />

im Durchschnitt noch 4 Tage in den Urlaubsgebieten, 2010 waren es nur<br />

mehr 3,5 Tage. Österreich bildet hier keine Ausnahme, denn 2015 betrug die<br />

durchschnittliche Aufenthaltsdauer nur mehr 3,4 Tage. Sie entspricht damit<br />

auch der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in Österreichs Alpengemein-<br />

74 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

75


den von 3-4 Tagen. Ein möglicher längerer Aufenthalt konnte dann festgestellt<br />

werden, wenn der Ort oder die Region eine zentrale Lage in den Alpen<br />

aufweist. Befinden sich die Alpengemeinden jedoch in der Nähe von Städten<br />

(z.B. Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt), reduziert sich die durchschnittliche<br />

Aufenthaltsdauer nur mehr auf 3 Tage.<br />

Schlussbemerkung<br />

Der Beitrag zeigt nur einen kleinen Ausschnitt über die statistische Welt der österreichischen<br />

Alpen. Doch schon diese wenigen Zahlen und Fakten belegen,<br />

dass gerade für den Alpenraum das Instrument der <strong>Alpenkonvention</strong> auf spezifische<br />

Fragen durchwegs konkrete Ziele und Strategien für eine zukunftsfähige<br />

Entwicklung formuliert und gleichzeitig auch als ein wichtiges Bindeglied zu den<br />

außeralpinen Regionen fungiert. Einzelne Zahlen sollen aber auch wachrütteln<br />

und aufzeigen, wie sehr der Alpenraum in Österreich unter Druck steht. Sei es<br />

im Tourismus, wo man nach wie vor ein grenzenloses Wachstum anstrebt oder<br />

in der Raumplanung, wo täglich mit durchschnittlich 20 Hektar bester Grund und<br />

Boden verbaut und versiegelt wird. Bereits 2002 wurde unter dem damaligen<br />

deutschen Vorsitz die Arbeitsgruppe „Umweltziele und Indikatoren“ eingesetzt,<br />

um die <strong>Alpenkonvention</strong> und ihre Protokolle auf Basis eines alpenweiten Indikatorensystems<br />

umsetzen zu können. Ein derartiges Indikatorensystem sollte demnach<br />

ein langfristiger Bestandteil des Alpenbeobachtungs- und Informationssystems<br />

(ABIS) sein und vom Ständigen Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> aufgebaut<br />

werden. Das Alpenbeobachtungs- und Informationssystem scheint im Aufbau<br />

steckengeblieben zu sein, denn eine Fortsetzung ist seit 2004 nicht erkennbar.<br />

Die von der <strong>Alpenkonvention</strong> eingesetzten Arbeitsgruppen und Plattformen mit<br />

namhaften Experten konnten über viele <strong>Jahre</strong> eine Vielzahl interessanter alpenweiter<br />

Daten sammeln, doch wurde es bisher verabsäumt, diese einer interessierten<br />

Öffentlichkeit in Form einer einfach zugänglichen Datenbank zur Verfügung<br />

zu stellen. Die Herausgabe der Alpenzustandsberichte ist schön und gut,<br />

doch auch hier hat man den Weg einer breit angelegten Information missen lassen.<br />

So werden wohl die Alpenzustandsberichte auch weiterhin nur von einem<br />

kleinen und elitären <strong>Alpenkonvention</strong>s-Kreis gelesen.<br />

Anstatt in den vergangenen <strong>Jahre</strong>n ein umfassendes alpenweites Datennetz<br />

aufzubauen, um die Spezifikationen des Alpenraumes als Lebens-, Natur-, Kultur-<br />

und Wirtschaftsraum darzustellen und dabei die Fragilität dieses Ökosystems<br />

herauszustreichen, strebt man nun über die makroregionale Alpenraumstrategie<br />

eine Zusammenarbeit mit dem Raumbeobachtungsprogramm ESPON<br />

an, um vergleichbare Daten auf EU-Ebene zu generieren. Dies bedeutet wohl,<br />

dass der Alpenraum im gesamten EU-Kontext nur eine Randerscheinung bleiben<br />

wird und zukünftig die „weichen“ EU-Maßstäbe auch für den Alpenraum gelten<br />

werden, ohne dabei die besonderen Unterschiede und Spezifikationen zum<br />

76 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


außeralpinen Raum zu berücksichtigen. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat in den letzten<br />

<strong>Jahre</strong>n eine Chance vertan und viel Zeit für den Aufbau einer umfassenden Datenbank<br />

verloren. Ein für die AlpenbewohnerInnen zugängliches umfassendes<br />

und alpenweites Datennetzwerk würde einerseits dazu führen, die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

verstehen zu lernen und andererseits eine breite Kommunikation und<br />

konstruktive Diskussion gebirgsbedingter Probleme und Herausforderungen für<br />

die kommenden <strong>Jahre</strong> und Jahrzehnte auszulösen, um in weiterer Folge entsprechende<br />

Maßnahmen für eine ökologisch nachhaltige Zukunft sicherstellen<br />

zu können.<br />

Literatur<br />

Amt der Steiermärkischen Landesregierung – Hrsg. (2012): Leitfaden – <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in der örtlichen Raumplanung. Graz, S. 21<br />

CIPRA International – Hrsg. (2007): WIR ALPEN! Menschen gestalten Zukunft. 3. Alpenreport.<br />

Haupt Verlag. Bern, Stuttgart, Wien, 299 S.<br />

Haßlacher, P. – Red. (2011): VADEMECUM <strong>Alpenkonvention</strong>. Österreichischer Alpenverein,<br />

Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz (Hrsg.). 4., aktualisierte und ergänzte<br />

Aufl.; Innsbruck, 146 S.<br />

Rumpolt, P.A. (2015): Der (österreichische) Alpenraum – demographisch betrachtet – Ein<br />

Blick in den 5. Alpenzustandsbericht. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung<br />

für die Alpen. CIPRA Österreich (Hrsg.). Nr. 4; Innsbruck, S. 9 – 10.<br />

Rumpolt, P.A. (2015): Die <strong>Alpenkonvention</strong> und die Region der niederösterreichischen<br />

Randalpen – Möglichkeiten der nachhaltigen Regionalentwicklung. In: Tagungsband<br />

der CIPRA Österreich-<strong>Jahre</strong>sfachtagung, 29.-30. September 2015 in Lunz am<br />

See. CIPRA Österreich (Hrsg.). Veröffentlichungen Nr. 5; Innsbruck-Wien, S. 32 – 37.<br />

Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2013): Nachhaltiger Tourismus in<br />

den Alpen – Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong>: Alpensignale – Sonderserie<br />

4. Innsbruck, 145 S.<br />

Ständiges Sekretariat dewr <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2015): Demographischer Wandel<br />

in den Alpen – Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong>: Alpensignale – Sonderserie<br />

5. Innsbruck, 168 S.<br />

Umweltbundesamt – Hrsg. (2004): Die Veränderung des Lebensraums Alpen dokumentieren:<br />

Indikatorensystem und Konzept für einen Alpenzustandsbericht. Abschlussbericht<br />

der Arbeitsgruppe „Umweltziele und Indikatoren“ der <strong>Alpenkonvention</strong> (3.<br />

Mandatsphase). Berlin, 146 S.<br />

Internet<br />

www.statistik.gv.at/web_de/statistiken/wirtschaft/tourismus/beherbergung/ankuenfte_naechtigungen/index.html<br />

www.austriatourism.com/tourismusforschung/tourismus-in-zahlen/oesterreichischertourismus-in-zahlen/<br />

www.espon.eu/main/<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

77


Statements aus den<br />

Gebietskörperschaften<br />

78 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Andrä Rupprechter<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

ein funktionierendes politisches Programm<br />

der Alpenstaaten und der EU<br />

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />

Wien<br />

E: buero.rupprechter@bmlfuw.gv.at<br />

Der Alpenraum ist ein außerordentlich vielfältiges, aber auch fragiles Ökosystem.<br />

Er wird von uns Menschen intensiv genutzt und gepflegt – als Lebens-,<br />

Wirtschafts-, Kultur- und Naturraum zugleich. Leider führt der Klimawandel zu<br />

tiefgreifenden Veränderungen in der Ökologie, in der Ökonomie sowie in der sozialen<br />

Struktur dieser Gebiete. Darum ist das Übereinkommen zum Schutz der<br />

Alpen, kurz <strong>Alpenkonvention</strong>, heute wichtiger denn je.<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche politische Kooperation.<br />

Seit mittlerweile <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n arbeiten die Alpenstaaten und die Europäische<br />

Union im Rahmen dieses Programms zusammen. Das gemeinsame Ziel: Die<br />

Umwelt sowie wertvolle Ressourcen schützen und zugleich den Lebensraum für<br />

Millionen von Menschen zukunftsorientiert weiterentwickeln.<br />

In Österreich haben die <strong>Alpenkonvention</strong> und insbesondere ihre Protokolle einen<br />

besonders hohen Stellenwert. Seit Dezember 2002 sind acht Durchführungsprotokolle<br />

auch rechtlich als nationale Gesetze verankert. 2007 wurde zum Beispiel<br />

ein Handbuch zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> veröffentlicht, seit 2009<br />

besteht eine RechtsservicesteIle, die kostenlos Fragen über die Auslegung der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Protokolle beantwortet.<br />

Erfolgreiche Projekte zur Gestaltung und Entwicklung des alpinen Lebensraums<br />

stellen sicher, dass nicht nur die Natur geschützt, sondern auch den Menschen<br />

geholfen wird. Die Maßnahmen reichen von einfachen Informationsbroschüren<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

79


über die Finanzierung des ersten Elektromobils in Kärnten bis hin zum mittlerweile<br />

so erfolgreichen Projekt der „Bergsteigerdörfer“. All diese Vorhaben beweisen,<br />

wie umfassend das Vertragswerk der <strong>Alpenkonvention</strong> ist.<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist inzwischen auch zu einem Exportartikel geworden. Die<br />

Karpatenstaaten haben sich in der Karpatenkonvention ebenfalls zu einer gemeinsamen<br />

Grundlage bekannt und setzen diese bereits Schritt für Schritt um.<br />

Mit der Makroregionalen Strategie für den Alpenraum (EUSALP) stehen wir in<br />

den nächsten <strong>Jahre</strong>n<br />

vor einer neuen<br />

großen Herausforderung.<br />

Die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong><br />

kann uns dabei von<br />

Beginn an unterstützen<br />

– sozusagen<br />

als pro-aktive<br />

Anwältin, welche<br />

für die vitalen Interessen<br />

der im<br />

Alpenraum lebenden<br />

und wirtschaftenden<br />

Menschen<br />

eintritt.<br />

Das sensible Ökosystem der Alpen erfordert eine ausgewogene Balance zwischen<br />

Ökologie und Ökonomie.<br />

Der Alpenraum<br />

steht für außergewöhnlich<br />

hohe Lebensqualität.<br />

Ganz<br />

gleich ob wir hier wohnen, arbeiten oder einfach nur unseren Urlaub oder unsere<br />

Freizeit verbringen – wir alle spüren, wie einzigartig dieser Lebensraum ist. Wir<br />

tragen die große Verantwortung, ihn zu schützen und nachhaltig weiterzuentwickeln.<br />

Nur dann können wir den nächsten Generationen ein lebenswertes Österreich<br />

übergeben, mit reiner Luft, sauberem Wasser und einer vielfältigen Natur.<br />

Mensch und Natur müssen in Einklang stehen, es braucht eine Balance von<br />

Ökologie und Ökonomie. Die <strong>Alpenkonvention</strong> leistet dazu einen entscheidenden<br />

Beitrag. <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach seinem Entstehen ist dieses gemeinsame politische<br />

Programm der Alpenstaaten und der Europäischen Union unverzichtbar geworden.<br />

80 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Wilfried Haslauer<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Landeshauptmann von Salzburg<br />

Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz<br />

E: haslauer@salzburg.gv.at<br />

Lange Zeit wurde der Alpenraum in der Außensicht verkannt: Zum einen als mühsam<br />

zu überwindendes Hindernis auf den Handels- und Reisewegen zwischen<br />

Nord und Süd, zum anderen als bloße Ressource für wichtige Rohstoffe, wie Erze,<br />

Holz oder auch Wild. In der Zeit der Romantik mit der beginnenden Mobilität des<br />

Industrie- und Eisenbahnzeitalters kam das Bild von den Alpen als vormoderne,<br />

scheinbar unberührte Bergidylle hinzu. Der sukzessive einsetzende Tourismus erwies<br />

sich für die Alpenregion als Segen und als Fluch zugleich: Er brachte Erschließung,<br />

Publizität, Gäste und damit auch Erträge. Dadurch wurden die in weiten<br />

Teilen der Alpen naturbedingte Standortnachteile kompensiert und flächenhafte<br />

Abwanderung weitgehend verhindert. Gleichzeitig damit wurde der Alpenraum<br />

zum Sehnsuchtsort des Massentourismus und auch zum Objekt einer technokratischen<br />

Planungs- und Entwicklungslogik, die auf die Besonderheiten des Lebens<br />

und Arbeitens unter alpinen Bedingungen und auf die sensible alpine Ökosphäre<br />

wenig bis gar keine Rücksicht nahm.<br />

Vor diesem epochalen Hintergrund war es geradezu logisch – und deshalb nicht<br />

weniger verdienstvoll und dankenswert! –, dass sich mitten in der Euphorie des<br />

„Wirtschaftswunders“ der 50er-<strong>Jahre</strong> eine bemerkenswerte Allianz bildete: Deren<br />

weitblickende Proponenten erkannten den für sich stehenden hohen Eigenwert<br />

des Alpenraumes, seine besondere Verwundbarkeit und davon abgeleitet<br />

auch seinen legitimen Anspruch auf angemessenen Schutz. Diese Pioniere machten<br />

ihr umfassendes Anliegen eines zeitgemäßen Alpenschutzes zum Gegenstand<br />

eines institutionellen Langzeitprojektes, das unter dem Namen CIPRA in die Geschichte<br />

der europäischen Ökologiebewegung eingegangen ist. Wichtig zu betonen,<br />

dass im Zeichen der CIPRA, der Internationalen Kommission für den Schutz<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

81


Die II. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen fand am 7. November 1991 in der Landeshauptstadt Salzburg<br />

statt.<br />

der Alpenregionen, „Ökologie“ nicht allein als „Natur- und Umweltschutz“, sondern<br />

– im ursprünglichen Wortsinn – als gesamthaft auf das Zusammenleben<br />

von Mensch und Natur bezogen aufgefasst wurde. Gerade die von der CIPRA seit<br />

1986 lancierte <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihrem Ziel einer sozioökonomisch und ökologisch<br />

ausgewogenen Entwicklung im Alpenraum ist ein Eckpfeiler nachhaltiger<br />

Daseinsvorsorge in diesem für ganz Europa zentralen Gebirgsraum geworden.<br />

Zu den herausragenden Eigenschaften der CIPRA – und vermutlich auch zu ihren<br />

Erfolgsgeheimnissen – zählte dabei von Anbeginn an der Umstand, dass hier<br />

nicht nur staatliche Organe, insbesondere Ländervertreter, aktiv beteiligt waren,<br />

sondern – auf gleicher Augenhöhe und in partnerschaftlicher Kooperation mit<br />

diesen verbunden – auch führende Repräsentanten von Nicht-Regierungsorganisationen<br />

insbesondere aus dem Bereich der Alpinvereine, der Naturschutzorganisationen<br />

und auch des Tourismus. In einer Zeit, als noch niemand von „Zivilgesellschaft“<br />

und von „Governance“ oder auch von „Nachhaltigkeit“ sprach, erwies<br />

sich das als absolut zukunftsweisender Ansatz!<br />

Als Landeshauptmann von Salzburg darf ich an der Stelle mit Stolz und Freude<br />

darauf verweisen, dass Salzburg zwei Mal in der langen Erfolgsgeschichte der<br />

CIPRA eine wichtige Rolle als Tagungsort und Impulsgeber gespielt hat: Und zwar<br />

1975, als hier die Gründungsversammlung der CIPRA Österreich stattfand, und<br />

dann vor allem auch im Jahr 1991, als ebenfalls in der Salzachstadt die Umwelt-<br />

82 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


minister der Alpen-Anrainerstaaten die <strong>Alpenkonvention</strong> unterzeichneten. Diese<br />

„Magna Charta“ einer gesamthaften, nachhaltigen Sicht auf den Alpenraum und<br />

eines verantwortungsvollen Umganges damit blickt demnach heuer auf ein erfolgreiches<br />

Vierteljahrhundert ihres Bestehens zurück.<br />

Dieses stolze Jubiläum ist Anlass für eine Rückschau auf durchaus mühsame<br />

<strong>Jahre</strong> des Ringens um rechtliche Anerkennung – man denke an den langen Weg<br />

der Ratifizierung des Verkehrsprotokolls durch die Republik Österreich, die erst<br />

im Jahr 2002 erfolgte. Inzwischen hat auch die Europäische Union die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– wenn auch noch nicht alle Protokolle – ratifiziert.<br />

Trotz eines allgemein stark gestiegenen Umweltbewusstseins, trotz der unbestreitbaren<br />

Erfolge des Naturschutzes einschließlich des Nationalparkgedankens<br />

seither und trotz der ständig verbesserten Regulierungsstandards hält der Verwertungsdruck<br />

auf den Alpenbogen unvermindert an. Heute, wie damals, müssen<br />

tragfähige Kompromisse zwischen den legitimen Anliegen des „Schützens“<br />

und des „Nützens“ gesucht und gefunden werden. Ich nenne hier nur exemplarisch<br />

die ewig aktuellen Themenbereiche: Touristische Erschließung, Energiegewinnung<br />

und -transport, Landschaftsverbrauch und Verkehr.<br />

In all den <strong>Jahre</strong>n ihres Bestehens hat sich die <strong>Alpenkonvention</strong> als fachlich solides,<br />

keineswegs bequemes und als insgesamt sehr wirksames Instrument zur<br />

Erhaltung des Alpenraumes als ökologisch intakte, wirtschaftlich zukunftsfähige<br />

und Nationen-übergreifende Großregion im Herzen Europas erwiesen. Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

bleibt, unbeschadet ihrer erwiesenen historischen Verdienste,<br />

ein in die Zukunft gerichtetes Projekt. Und die CIPRA dessen wichtigster Proponent<br />

und Anwalt.<br />

Dass gerade das Land Salzburg, das zu 94 % seiner Landesfläche mit 107 von<br />

119 Gemeinden im Geltungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt, den Anliegen<br />

und Inhalten der <strong>Alpenkonvention</strong> in besonderer Weise verbunden ist und auch<br />

auf Dauer bleiben wird, bedarf an sich keiner gesonderten Erwähnung.<br />

Ich möchte die Gelegenheit des <strong>25</strong>-Jahr-Jubiläums nützen, um mich insbesondere<br />

auch namens des Landes Salzburg bei allen Repräsentanten und Aktiven der<br />

CIPRA für ihre beharrliche, längst unverzichtbar gewordene Aufbauarbeit über<br />

viele Jahrzehnte sehr herzlich zu bedanken. Wir dürfen gerade angesichts dieses<br />

<strong>Jahre</strong>stages der <strong>Alpenkonvention</strong> gemeinsam stolz auf die Früchte dieser Arbeit<br />

sein.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

83


Christine Oppitz-Plörer<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> als Versprechen<br />

für künftige Generationen<br />

Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck<br />

E: buero.buergermeisterin@innsbruck.gv.at<br />

In der Tiroler Landeshauptstadt sind sie allgegenwärtig. Unabhängig davon, wo<br />

man sich aufhält, meist genügt ein Schritt um die nächste Ecke oder sogar schon<br />

ein Blick aus dem Fenster und ihre imposanten Erscheinungen sind zu erkennen.<br />

Ob im Norden oder im Süden – sie geben Innsbruck einen starken geographischen<br />

Rahmen, sind Anziehungspunkt für Gäste aus dem In- und Ausland und<br />

sorgen nicht zuletzt für eine außergewöhnliche Lebensqualität. Die Rede ist von<br />

den Alpen. Sie sind es, die unserer Stadt jene alpin-urbane Atmosphäre verleihen,<br />

für die sie weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt ist. In<br />

einer Stadt zu leben, die auf eindrucksvolle Art und Weise dieses Zusammenspiel<br />

von Natur und Kultur sowie hochalpiner Berglandschaft und Zivilisation verinnerlicht,<br />

ist ein wahres Privileg.<br />

Es gibt nichts Schöneres als dort leben zu können, wo andere Urlaub machen.<br />

Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt es, gemeinsam eine Absiedlung der ländlichen<br />

Bevölkerung zu verhindern. Darüber hinaus endet die Landflucht letztendlich in<br />

den Städten. Durch den konzentrierten Zuzug stehen betroffene Ballungsräume<br />

vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Ziel einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,<br />

basierend auf der <strong>Alpenkonvention</strong>, muss es deshalb sein, entsprechende<br />

Maßnahmen für die Bevölkerung am Land zu setzen, sodass diese<br />

nicht zur Abwanderung gezwungen wird. Ländliche Gebiete müssen befähigt<br />

werden, sich selbst zu erhalten. Sie dürfen nicht von Fördertöpfen abhängig sein,<br />

denn wenn diese versiegen, wirkt sich dies unausweichlich auf die wirtschaftliche<br />

Lage der dort ansässigen Betriebe aus.<br />

84 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Ebenjenes Vorgehen<br />

stimmt mit dem Leitgedanken<br />

der CIPRA<br />

– auf deren Initiative<br />

bereits der völkerrechtliche<br />

Vertrag der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

entstand<br />

– überein: „Im Mittelpunkt<br />

unserer Bestrebungen<br />

steht ein Leben<br />

in den Alpen, das auch<br />

für künftige Generationen<br />

attraktiv und lohnend<br />

ist. Dazu gehören<br />

ein ausgewogener Naturhaushalt<br />

und eine intakte<br />

Landschaft.“ Dies<br />

sollte auch immer die<br />

Basis für eine gedeihliche,<br />

nachhaltige, wirtschaftliche<br />

Entwicklung<br />

sein.<br />

Die enge Verbindung<br />

Innsbrucks mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

und der<br />

Dachorganisation CIP-<br />

RA umfasst auch einen<br />

konkreten physischen<br />

Aspekt: Seit dem Jahr<br />

2003 – wobei der Beschluss in Meran bereits ein Jahr zuvor fiel – ist unsere Alpenstadt<br />

Sitz des Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>. Uns wird damit<br />

die Möglichkeit zuteil, einen Beitrag zur Existenz dieses internationalen Übereinkommens<br />

für eine nachhaltige Alpenentwicklung zu leisten. CIPRA ist eine wichtige<br />

Einrichtung, wenn es darum geht, für ein effizientes Handeln für den Schutz<br />

der Alpen und die nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes einzutreten.<br />

Das <strong>25</strong>-jährige Jubiläum der <strong>Alpenkonvention</strong> gibt uns heute den perfekten Anlass,<br />

um auf Erfolge zurückzublicken, den Ist-Stand auszuloten aber auch um die<br />

Ziele und Ideale der Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren. Immerhin haben<br />

wir mit ihrer Unterzeichnung künftigen Generationen gegenüber ein Versprechen<br />

gegeben.<br />

Vorsitzender von CIPRA Österreich, P. Haßlacher, Bgm in C. Oppitz-Plörer, GS M.<br />

Reiterer und LH G. Platter vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck, dem Sitz des<br />

Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

85


Helmut Mödlhammer<br />

Wie schaffen wir den Spagat zwischen<br />

modernen Lebenswelten<br />

und natürlichen Lebensräumen?<br />

Seit 1999 Präsident des Österreichischen Gemeindebundes<br />

E: office@gemeindebund.gv.at<br />

Seit mehr als 60 <strong>Jahre</strong>n setzt sich CIPRA für den Schutz des Alpenraumes ein. Vor<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> unterzeichnet, die maßgeblich zum Schutz<br />

der alpinen Räume und Landschaften beiträgt. Rund 1.000 Gemeinden liegen im<br />

Anwendungsbereich dieser Konvention. Sie helfen mit, die Ziele, nämlich Naturschutz<br />

und Erhalt dieser alpinen Räume in möglichst nachhaltiger Weise sicherzustellen.<br />

Das ist nicht immer einfach, denn neben dem Naturschutz gibt es viele, viele<br />

Bedürfnisse, die auch im Alpenraum erfüllt werden wollen. Man darf nicht<br />

vergessen, dass ein sehr relevanter Teil der heimischen Wirtschaftsleistung im<br />

Tourismus liegt. Ein guter Teil der Gäste aus dem In- und Ausland kommt zu uns,<br />

um in unseren Bergen zu urlauben, Skisport zu betreiben oder sich im Sommer<br />

beim Wandern zu erholen. Ebenso dürfen wir aber nie vergessen: Diese Gäste<br />

kommen gerade deshalb, weil sie in unserem Land, in unseren Alpenräumen ein<br />

hohes Ausmaß unverfälschter Natur vorfinden. Die nachhaltige und sorgsame<br />

Bewirtschaftung dieser Regionen ist die große Aufgabe, der wir uns auch in den<br />

Gemeinden jeden Tag stellen müssen. Wo können die Bedürfnisse der Tourismuswirtschaft<br />

beginnen, wo müssen sie enden? Wie kann es uns gelingen, die<br />

Alpen auch als Lebensraum für die Menschen, die dauerhaft dort leben, attraktiv<br />

zu erhalten? Wie schaffen wir den Spagat zwischen modernen Lebenswelten und<br />

natürlichen Lebensräumen für Menschen, aber natürlich auch für die Tier- und<br />

86 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Pflanzenwelt?<br />

All das sind Fragen, die wir<br />

unmöglich allein beantworten<br />

können. Es ist notwendig<br />

und richtig, dass wir uns<br />

hier am Wissen von Experten<br />

bedienen, die uns dabei<br />

unterstützen, die richtigen<br />

Entscheidungsgrundlagen zu<br />

schaffen. Denn eines steht<br />

auch außer Frage: Die Mitwirkung<br />

der Gemeinden am<br />

Schutz der alpinen Lebensräume<br />

ist essentiell. Nicht<br />

Die Gemeinde Mäder (Vorarlberg) ist seit 1997 Mitglied im Gemeindenetzwerk<br />

Allianz in den Alpen. Sie setzt zusammen mit ca.<br />

300 Gemeinden im Alpenbogen die <strong>Alpenkonvention</strong> um.<br />

nur im Hinblick auf die Vorbildwirkung, die kommunales Handeln auch für Menschen<br />

hat. In alpinen Gemeinden ist nahezu jede Entscheidung auch im Hinblick<br />

auf diese Themenstellungen zu untersuchen. Jedes Projekt, jedes Vorhaben hat<br />

Folgewirkungen. Viele davon gehen tief in den Naturschutz, in die Achtsamkeit,<br />

mit der wir unsere Umwelt behandeln, hinein. Das Netzwerk von CIPRA hat hier<br />

– nämlich nicht nur auf nationaler Ebene – eine ganz wichtige Rolle. Die Alpen<br />

beginnen und enden ja nicht an den Grenzen unseres Landes, sie erstrecken sich<br />

weit über mehrere Nationalstaaten. Manche Problemstellungen können und<br />

müssen wir lokal lösen. Einige wichtige und große Entscheidungen betreffen aber<br />

alle Alpenstaaten. Die Internationalität der CIPRA-Organisation ist deshalb ein<br />

sehr wesentlicher Faktor, den in der Zwischenzeit auch alle beteiligten Umweltminister/innen<br />

hoch einzuschätzen wissen.<br />

Viele Gemeinden – egal in welchem Alpenstaat sie liegen – haben ja ähnliche<br />

Problemstellungen und Herausforderungen zu bewältigen, wenn es um den<br />

Schutz dieser Räume geht. Es ist g’scheit, dass es Möglichkeiten und Netzwerke<br />

gibt, um Antworten auf diese Fragestellungen auszutauschen. Da geht es gelegentlich<br />

auch um komplexe Prozesse. Und eben darum, dass niemand das Rad<br />

neu erfinden muss, wenn eine Erfahrung anderswo schon gemacht wurde. Die<br />

Weitergabe und der Austausch von so genannten „Best-Practice-Beispielen“ in<br />

Kombination mit dem Know-how der Expertenebene, das sind die Elemente, die<br />

zum Erfolg führen und beitragen.<br />

Bei CIPRA weiß man das seit Jahrzehnten. Die <strong>Alpenkonvention</strong> war ein gemeinsamer<br />

Meilenstein, der wichtige Grundlagen und Definitionen geschaffen hat. In<br />

den nächsten <strong>Jahre</strong>n und Jahrzehnten gilt es, nicht stehen zu bleiben, sondern<br />

weiter dafür zu kämpfen, dass dieser einzigartige Lebensraum im Herzen Europas<br />

unseren nachfolgenden Generationen in dieser Schönheit und Nachhaltigkeit zur<br />

Verfügung steht. Daran arbeiten wir in den Gemeinden gerne mit.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

87


Herwig van Staa<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

Bilanz und Ausblick<br />

Von 1994 bis 2002 Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck<br />

Von 2002 bis 2008 Landeshauptmann von Tirol<br />

Seit 2004 Vizepräsident des Ausschusses der Regionen<br />

Seit 2008 Präsident des Tiroler Landtages<br />

E: herwig.vanstaa@tirol.gv.at<br />

Dass die <strong>Alpenkonvention</strong> für Österreich von Beginn an einen besonderen Stellenwert<br />

hatte, zeigt die Tatsache, dass es unter österreichischem Vorsitz geschah,<br />

als anlässlich der II. Alpenkonferenz am 7. November 1991 in Salzburg die<br />

anwesenden UmweltministerInnen und der EU-Umweltkommissar die Rahmenkonvention<br />

feierlich unterzeichneten. Die damalige Zielsetzung war klar: durch<br />

völkerrechtlich verpflichtende Rahmenbedingungen soll eine umweltverträgliche<br />

Nutzung des gesamten Alpenraumes möglich gemacht werden. Als weiterer<br />

fester österreichischer Bezugspunkt und gleichzeitig operative Basis der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

konnte das Ständige Sekretariat im Jahr 2003 in Innsbruck mit einer<br />

Außenstelle in Bozen eingerichtet werden.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der ersten Vertragsunterzeichnung kann festgestellt werden, dass<br />

sich die <strong>Alpenkonvention</strong> in ihrer Struktur und ihrem Auftreten gefestigt und vor<br />

allem dank einer engen Kooperation mit der Zivilgesellschaft eine gute Entwicklung<br />

gemacht hat. Als Vertragswerk und Institution, die auch operativ tätig ist,<br />

sollte sie allerdings im Bewusstsein der Menschen noch viel besser verankert<br />

sein. Positiv anzumerken ist der wesentliche Beitrag, den die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

bei der Entwicklung, Ausarbeitung und Beschlussfassung der Makroregionalen<br />

Strategie für den Alpenraum (EUSALP), welche im Jänner 2016 erfolgt ist, geleistet<br />

hat. Völlig zurecht gehört sie nunmehr auch dem Lenkungsausschuss von<br />

EUSALP an und wird daher auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der Fortschreibung<br />

dieser Strategie sein.<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat als ihre zentrale Aufgabe immer schon den Schutz der<br />

88 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Bild oben: Am 24. Juni 2003<br />

wurde das Amtsitzabkommen<br />

zwischen der Republik<br />

Österreich und dem Ständigen<br />

Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

im Goldenen<br />

Dachl in Innsbruck von Frau<br />

Bundesministerin für auswärtige<br />

Angelegenheiten Dr.<br />

Benita Ferrero-Waldner und<br />

Generalsekretär ad interim<br />

Noël Lebel im Beisein hoher<br />

Polit- und Diplomatenprominenz<br />

unterzeichnet. Ohne<br />

das besondere Engagement<br />

des Innsbrucker Bürgermeisters<br />

DDr. Herwig van Staa hätte die Landeshauptstadt den Zuschlag gegen prominente Konkurrenten aus Grenoble,<br />

Lugano, Bozen und Marburg nicht erhalten.<br />

kl. Bild: LH DDr. Herwig van Staa, Alpenvereinspräsident Dr. Peter Grauss, BM in Dr. Benita Ferrero-Waldner,<br />

Alpenvereins-Raumplaner Peter Haßlacher und Bürgermeisterin Hilde Zach.<br />

Berggebiete im Kern des Alpenraumes wahrgenommen. Im Rahmen von EUSALP<br />

liegt die Herausforderung darin, zwischen diesen Kerngebieten und dem Umland<br />

mit den großen Ballungsräumen einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, der eine<br />

Balance der Interessen beider Gebiete sicherstellt und zu einer besseren Vernetzung<br />

der Inhalte der Strategien führt. Der Aufbau von Governance-Strukturen<br />

mit unmittelbarer Einbeziehung der betroffenen BürgerInnen und der regionalen<br />

Akteure auf den verschiedenen politischen Ebenen ist hier wohl unabdingbare<br />

Voraussetzung.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

89


Enge Begleiter der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong><br />

90 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Martin Ploderer<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Seit 2000 Bürgermeister der Marktgemeinde Lunz am See<br />

(Niederösterreich); nunmehr in der 4. Periode<br />

Von Beginn an begeistertes Mitglied des Projekts „Bergsteigerdörfer“<br />

des Österreichischen Alpenvereins<br />

E: martin.ploderer@aon.at<br />

Bürger und Berge prägen seit <strong>Jahre</strong>n mein Leben. Ich bin Bürgermeister und ich<br />

bin Bergsteiger – beides mit voller Begeisterung und großem Engagement. Daher<br />

bin ich stolz darauf, in meiner Arbeit für unsere Gemeinde Lunz am See beides<br />

miteinander verbinden zu können. Mein Heimatort in den Ybbstaler Alpen in Niederösterreich<br />

ist seit 10 <strong>Jahre</strong>n offizielles Bergsteigerdorf des Österreichischen Alpenvereins.<br />

Die Bergsteigerdörfer sind für mich die praktischen Botschafter der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Vertragswerke brauchen wir als Basis und Grundlage, sie müssen<br />

allerdings in konkreten Projekten und Maßnahmen spürbar werden, um auf breite<br />

Akzeptanz zu<br />

stoßen. Die Idee<br />

der Bergsteigerdörfer<br />

ermöglicht<br />

beides: Sie<br />

gibt Gemeinden<br />

einen Rahmen<br />

vor, in dem sie<br />

sich nachhaltig<br />

(im Tourismus,<br />

in der Landwirtschaft)<br />

entwickeln<br />

können<br />

Lunz am See lebt seit Beginn die Idee der Bergsteigerdörfer des ÖAV und damit die<br />

Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

und sollen, sie<br />

stößt aber auch<br />

konkrete Initi-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

91


Lunz am See ist ein wichtiger Forschungsstandort<br />

der Universität<br />

für Bodenkultur. Neben einer<br />

Biologischen Station verfügt die<br />

Forschungsstelle auch über eine<br />

Schwall-Versuchsanlage HyTEC.<br />

ativen an (wie bei uns im<br />

Ort etwa den Aufbau eines<br />

Verleihs von Tourenski-<br />

Ausrüstung). Die Auszeichnung<br />

als Bergsteigerdorf<br />

gibt uns zudem Selbstbewusstsein,<br />

und ich freue<br />

mich, dass heute immer<br />

mehr Lunzer Bürger sagen,<br />

dass sie in einem Kulturund<br />

Bergsteigerdorf leben.<br />

Mein Wunsch für die<br />

nächsten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />

Initiativen wie<br />

die Bergsteigerdörfer sind<br />

zu stärken. Sie müssen<br />

sich von Vermarktungsplattformen<br />

zu Unterstützungsinstrumenten<br />

konkreter<br />

Vorhaben vor Ort<br />

weiterentwickeln. Auch ist<br />

daran zu arbeiten, die unterschiedlichsten Labels im Alpenraum (von den Alpine<br />

Pearls über die Wanderdörfer bis hin zu den Bergsteigerdörfern) noch stärker zu<br />

verschränken. Gelingt uns beides – das Anstoßen konkreter Initiativen und das<br />

gemeinsame Auftreten –, dann sind Bürger und Berge auch in Zukunft ein dynamisches<br />

und höchst vitales Gespann.<br />

92 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Josef Außerlechner<br />

Das Bergsteigerdorf ohne Grenzen<br />

setzt die <strong>Alpenkonvention</strong> um<br />

Seit 1998 Gemeinderat in Kartitsch (Tirol)<br />

Seit 2010 Bürgermeister von Kartitsch; nunmehr in der 2. Periode<br />

E: buergermeister@kartitsch.at<br />

Kartitsch, eine kleine Gemeinde im Süden Osttirols, liegt mit seinen 840 Einwohnern<br />

im Tiroler Gailtal. Auf 1.360 m Seehöhe gelegen, wird das Bergsteigerdorf im<br />

Süden von den Karnischen<br />

Alpen, im Norden von<br />

den Gailtaler Alpen und<br />

im Osten von der Wasserscheide<br />

der Großen und<br />

Kleinen Gail am Kartitscher<br />

Sattel umschlossen.<br />

Kartitsch zählt zu einer<br />

Reihe von Kleingemeinden,<br />

die die Seitentäler<br />

Osttirols prägen. Kartitsch,<br />

das „Bergsteigerdorf ohne<br />

Grenzen“, stellt sich ambitioniert<br />

den Aufgaben<br />

der nächsten <strong>Jahre</strong> und<br />

ist bemüht, sich als attraktive<br />

Wohngemeinde sich auch durch eine gelebte Tradition und Authenzitiät aus.<br />

Kartitsch, eine kleine Bergsteigerdorf-Gemeinde im Süden Osttirols, ist<br />

nicht nur von einer grandiosen Bergwelt umgeben, sondern zeichnet<br />

zu etablieren. Maßvolle<br />

Infrastruktur und ausgewogene Verkehrserschließung vor allem mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln gehören zu dieser Zukunftsvision. Damit soll der Abwanderung<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

93


entgegengewirkt und der Erhalt der landwirtschaftlichen Betriebe, die Ansiedlung<br />

von kleingewerblichen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben und die<br />

Schaffung ortsnaher Arbeitsplätze gefördert werden. Der Ort will den naturnahen<br />

Tourismus weiterentwickeln und möchte sich als kultureller, alpenländischer<br />

Begegnungsort präsentieren.<br />

Von seiner<br />

geographischen Lage<br />

her, eignet sich Kartitsch<br />

als innovativer<br />

Treffpunkt und bietet<br />

sich auch als Tagungsort<br />

an. Naturnahe<br />

Quellgebiete und<br />

ausreichende, hochwertige<br />

Trinkwasserreserven<br />

geben der<br />

Gemeinde künftig<br />

Der I. Weltkrieg ist am Karnischen Kamm überall sichtbar (im Bild ein kleiner<br />

Kriegerfriedhof oberhalb des Obstanser Sees.<br />

einen besonderen<br />

Stellenwert. Kartitsch<br />

und die Region möchten<br />

ein unverzichtbares<br />

Gegengewicht<br />

zu den Ballungsräumen<br />

sein und sich als<br />

Gesundheits- und Erholungsraum, als familienfreundliche Gemeinde sowie als<br />

naturnahes Ausflugs- und Urlaubsziel für ältere Menschen anbieten. Die kleine<br />

Gemeinde Kartitsch, das Bergsteigerdorf ohne Grenzen, ist bereit, die Zukunft<br />

mit und für die Menschen mitzugestalten. Seit Mitte der 1990-iger <strong>Jahre</strong> ist die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> in Kartitsch durch die heiß geführte Alemagna- und Cavallino-<br />

Tunnel-Diskussion ein Begriff. Sie hätte nach den Planungen der italienischen<br />

Straßenbauer mitten durch unser Dorf führen sollen. Zahllose Gespräche und<br />

Exkursionen führten in unser Dorf. Als Dorf mit Geschichte – Front I. Weltkrieg –<br />

und der Begegnung mit der <strong>Alpenkonvention</strong> bietet sich Kartitsch als Gemeinde<br />

mit der notwendigen Bodenhaftung für Gespräche zur Weiterentwicklung dieses<br />

wichtigen alpenweiten Vertragswerks an.<br />

94 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Gottfried Schindlbauer<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

Wie soll es weitergehen?<br />

Seit 1983 Landesbeauftragter für Natur- und Landschaftsschutz<br />

1991 bis 2001 Leiter des Naturschutz-Fachdienstes<br />

Seit 2001 Leiter der Abteilung Naturschutz<br />

Seit 2008 Leiter der Direktion für Landesplanung, wirtschaftliche und<br />

ländliche Entwicklung in Oberösterreich<br />

Seit 1994 Universitätslektor an der Universität Salzburg<br />

Seit 1999 Ländervertreter im Komitee von CIPRA Österreich<br />

E: gottfried.schindlbauer@ooe.gv.at<br />

Vor einem Vierteljahrhundert wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> im Rahmen der Alpenkonferenz<br />

unterzeichnet. Die damaligen Problemstellungen haben bis heute<br />

nichts an Brisanz verloren.<br />

Ganz im Gegenteil:<br />

Einerseits geht die Entvölkerung<br />

in bestimmten<br />

Regionen des Alpenbogens<br />

unvermindert weiter,<br />

andererseits verkommen<br />

ganze Gebirgszüge zum alpinen<br />

Sportgerät und Täler<br />

verlieren infolge fehlender<br />

Baukultur das ursprüngliche<br />

Gesicht.<br />

Die Erwartungen, die an<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> geknüpft<br />

waren, haben sich<br />

Eine fehlende Baukultur führt sehr häufig dazu, dass immer mehr Orte<br />

und Täler ihr ursprüngliches Gesicht verlieren.<br />

bei weitem nicht erfüllt.<br />

Generell kann man sagen,<br />

dass Projekte trotz massiver<br />

fachlicher Einwände oft unter dem bequemen Titel des öffentlichen Interesses<br />

umgesetzt werden.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

95


Der Jugend zur Mitgestaltung verstärkt eine Stimme geben, denn sie sind die EntscheidungsträgerInnen von<br />

morgen. Im Jugendparlament der <strong>Alpenkonvention</strong> oder im Jugendbeirat der CIPRA, können junge Menschen<br />

ihre Ideen aktiv in die Gestaltung des Lebensraumes Alpen einbringen.<br />

Viele wichtige Themen ließen sich für die nächsten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> auflisten. Einige wenige<br />

möchte ich anführen, auch im Wissen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> allein nicht<br />

die einzige Problemlöserin sein kann.<br />

• Professionelle Bewusstseinsbildung mit dem Ziel, die Alpen als unverzichtbare<br />

Vielfalt im umfassenden Sinne darzustellen. Die Alpen sollten einen Wert erhalten,<br />

der mit nachhaltigem Leben und Wirtschaften in Verbindung gebracht<br />

wird.<br />

• Vermehrte Einbeziehung der jüngeren Generation im Sinne der durchgeführten<br />

Öffnung der CIPRA für die Jugend.<br />

• Erarbeitung von neuen touristischen Konzepten im Hinblick auf die Klimasituation.<br />

• Erhaltung der noch ursprünglichen und wenig erschlossenen Landschaftsräume<br />

im Sinne der „Weißzonen“ in Vorarlberg als interdisziplinäres Projekt.<br />

• Berücksichtigung der Anliegen jener Menschen, die ganzjährig in und von den<br />

Alpen leben.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass die Alpen auch von den Entscheidungsträgern als fragiles<br />

Ökosystem erkannt werden und an Wert gewinnen und die <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />

rechtlicher Rahmen gestärkt aus den gegenwärtigen Diskussionen hervorgeht.<br />

96 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Walter Tschon<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

Resümee und Ausblick<br />

„Wo Bleibt der Politische Wille?“<br />

Seit 2001 stellvertretender Landesumweltanwalt in der Tiroler<br />

Umweltanwaltschaft<br />

Seit 1995 Ländervertreter im Komitee von CIPRA Österreich<br />

Seit 2008 im Nationalen Komitee für die <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />

Österreich<br />

E: walter.tschon@tirol.gv.at<br />

Ich bin „immer noch“ fasziniert von den Protokollinhalten der <strong>Alpenkonvention</strong>;<br />

sie sind in vielerlei Hinsicht noch sehr aktuell und damit zukunftsweisend.<br />

Die angesprochenen Thematiken liefern insbesondere gesamtheitliche Ansätze<br />

und Antworten auf Zukunftsfragen der Alpen. Es liegt in der Natur der Sache,<br />

dass manche Herausforderungen und Fragenkomplexe im Rahmen der Erarbeitung<br />

bzw. der Verhandlungen vor mittlerweile <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n nicht höchste Priorität<br />

aufwiesen. Zum Beispiel hatten Aspekte und Fragen im Zusammenhang mit dem<br />

„Klima“ geringere Bedeutung.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> sind mittlerweile seit der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> anlässlich<br />

der II. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen in Salzburg vergangen. Aufgrund<br />

meiner 20-jährigen beruflichen Tätigkeit im „Nahbereich“ der Agenden der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> ist aber festzustellen, dass dieses Vertragswerk nach wie vor<br />

aktuell dazu beitragen kann, eine ausgewogene Entwicklung im Alpenraum zu<br />

ermöglichen. Damit auch unmittelbar verbunden sind die Erhaltung und in einzelnen<br />

Bereichen die Steigerung der Lebensqualität der AlpenbewohnerInnen/-<br />

besucherInnen, der Landschaft als solcher sowie der Natur. Dennoch ist anzumerken,<br />

dass die <strong>Alpenkonvention</strong> nur bruchstückhaft vor den Vorhang tritt. Viel<br />

zu wenig, um damit dauerhaft und konsequent den Schutz der Bergwelt und eine<br />

nachhaltige Entwicklung im Alpenraum zu sichern.<br />

Tirol nimmt im Vergleich zu anderen Bundesländern und Regionen im Alpenbo-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

97


gen zweifelsohne eine Vorreiterrolle in der rechtlichen Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

ein. Allerdings herrscht hinsichtlich der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in vielerlei Hinsicht eine Intransparenz.<br />

Der Status quo, ob und wenn ja in welcher Form die <strong>Alpenkonvention</strong> tatsächlich<br />

in Verfahren „eine Rolle spielt“, ist weitestgehend unerforscht. Die jeweiligen<br />

„Nachforschungen und Erhebungen“ brachten keine aussagekräftigen/eindeutigen<br />

Ergebnisse. Diesbezüglich ist es sinnvoll bzw. geradezu unabdingbar, diese<br />

Fakten näher zu hinterfragen. Ob und inwieweit gar eine Studie in Auftrag zu<br />

geben ist, sollte einer breiten Diskussion unterzogen werden.<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist (wie auch CIPRA Österreich) nach wie vor nicht bekannt.<br />

Zudem ist den meisten BürgerInnen des Alpenraums das Konstrukt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

fremd. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass völkerrechtliche Verträge<br />

für viele nicht bzw. kaum greifbar sind. Vielfach werden durch die derzeitigen<br />

Aktivitäten nur Personen angesprochen, die bereits mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

regelmäßig zu tun haben bzw. aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in Kontakt<br />

kommen.<br />

Überlegenswert sind daher weitere Projekte, die in einem einfachen (leicht<br />

nachvollziehbaren) Bezug zur <strong>Alpenkonvention</strong> stehen und auf die Zivilgesellschaft<br />

abzielen. Derzeit werden auf der Homepage des Ständigen Sekretariats<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> unter anderem die Aktivitäten und Projekte „Fotowettbewerb“,<br />

„Auszeichnung für junge Akademiker“, „Mountain LEX“, „Wir sind Alpen“,<br />

„Games“ und „Berge lesen“ präsentiert. Diese sind zwar zum Teil geeignet, Leute<br />

aus anderen Bereichen anzusprechen, sind jedoch aus verschiedenen Gesichtspunkten<br />

unzureichend.<br />

Beispielsweise sei darüber hinaus als Anregung das Projekt alte Tiroler Getreidesorten<br />

genannt, das durchaus ausgebaut werden könnte in „alte alpine Getreidesorten“<br />

und so z.B. Art 16 des Protokolls „Naturschutz und Landschaftspflege“<br />

sowie Art 9 Protokoll „Berglandwirtschaft“ entspricht. Damit könnte ein aktiver<br />

Beitrag zur sichtbaren Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> geleistet werden. Auch<br />

wenn sich die <strong>Alpenkonvention</strong> primär an die Vertragsparteien richtet, ist es zielführend,<br />

solche Projekte aktiv zu „pushen“.<br />

Des Weiteren sind auch Veranstaltungen publikumswirksam. Es werden zwar<br />

bisher Veranstaltungen zu Fachthemen organisiert; allerdings sind die TeilnehmerInnen<br />

oftmals bereits in die Tätigkeiten der <strong>Alpenkonvention</strong> involviert. Dieser<br />

Bereich könnte – ähnlich wie der Bereich Aktivitäten und Projekte – noch<br />

ausgebaut werden.<br />

„Es benötigt eine Offensive in der Wahrnehmbarkeit.“<br />

Schließlich ist es sinnvoll, verstärkt Projekte im Zusammenhang mit Universitäten<br />

zu starten und die <strong>Alpenkonvention</strong> aktiv in Vorlesungen und Seminaren einzubinden.<br />

Dies kann auch fächerübergreifend (Rechtswissenschaften, Biologie,<br />

98 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Bild oben: Die Rekultivierung „alter alpiner Getreidesorten“,<br />

wie etwa der Obernberger Schwarzhafer,<br />

bereichert nicht nur die Landschaft, sondern kann<br />

auch als ein Umsetzungsprojekt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

bezeichnet werden.<br />

Bild rechts: Händisch erfolgt die Ernte dieser alten<br />

alpinen Getreidesorte in Puschlin bei Fließ (T).<br />

Forstwirtschaft, Landschaftsplanung, …) und vor allem auch länder- und staatenübergreifend<br />

geschehen.<br />

Ein weiteres „Problem der <strong>Alpenkonvention</strong>“ liegt mittlerweile auch darin, dass<br />

zahlreiche Bestimmungen durch EU-Recht abgedeckt sind. Provokant ausgedrückt:<br />

„Es stellt sich die Frage, ob es die <strong>Alpenkonvention</strong> in Zukunft noch brauchen<br />

wird.“ Ein Vorteil des EU-Rechtes liegt nämlich in der in weiten Bereichen unmittelbaren<br />

Wirkung im EU-Recht begründet. Des Weiteren ist der Rechtsschutz<br />

in der Europäischen Union im Vergleich zur <strong>Alpenkonvention</strong> zweckmäßiger/<br />

effektiver, weil Fragen zur Auslegung der Protokolle einen tauglichen Vorlagegegenstand<br />

in Anwendung des § 167 AEUV darstellen (können). Die Empfehlungen<br />

des Überprüfungsausschusses hingegen sind zudem nicht (einmal) bindend.<br />

Wenn die <strong>Alpenkonvention</strong> daher nicht endlich aktiv gelebt wird, wird sie früher<br />

oder später ein Schattendasein fristen, da die Bestimmungen durch EU-Recht<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

99


größtenteils abgedeckt sind/sein werden und die Konvention bzw. ihre Organe<br />

praktisch an Bedeutung verlieren.<br />

Zu wesentlichen Themen fehlen auch klare Aussagen. Beispielhaft sei die<br />

„Checkliste labile Gebiete“ erwähnt, zu der es meines Wissens nach keine klare<br />

Position seitens der Organe der <strong>Alpenkonvention</strong> in Bezug auf die Vereinbarkeit<br />

mit den Bestimmungen des Bodenschutzprotokolls gibt.<br />

Nicht nur aus meiner Sicht bedarf es eines aktiveren (im Sinne: nach außen<br />

agierenden) Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>. Die Rechtsservicestelle<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich kann hier durchaus als Vorbild gesehen<br />

werden.<br />

„Die Bekanntheit der <strong>Alpenkonvention</strong> muss gesteigert werden.“<br />

Eine Überarbeitung des<br />

Handbuches aus dem <strong>Jahre</strong><br />

2007 wird angeregt.<br />

Andererseits stellt die <strong>Alpenkonvention</strong> ein taugliches Werkzeug dar, das von<br />

verschiedenen Seiten zu wenig genutzt wird. Dies liegt daran, dass die einschlägigen<br />

Bestimmungen oftmals über mehrere Protokolle<br />

verstreut und deshalb eher unübersichtlich gegliedert<br />

sind. Viele Querschnittsmaterien bzw. -bestimmungen<br />

sind schwer zu greifen. Diesbezüglich wären zeitgemäße<br />

Kommentare oder auch Anleitungen inklusive Stichwortverzeichnis<br />

von Vorteil.<br />

Darüber hinaus ist es an der Zeit, das 2007 herausgegebene<br />

Handbuch und die Rechtsdatenbank zu aktualisieren.<br />

Insbesondere sollten bei der Entscheidungsdatenbank<br />

auch die höchstgerichtlichen Urteile aktualisiert<br />

werden.<br />

Die Workshops der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />

bei CIPRA Österreich zu den einzelnen Protokollen<br />

sind zukunftsweisend und sollten weitergeführt werden.<br />

Sie tragen wesentlich zur Rechtsfortbildung bei. Ich<br />

kann deshalb empfehlen, solche Workshops zu besuchen<br />

und auch gegebenenfalls aktiv mitzuarbeiten.<br />

Die nachhaltige Entwicklung des „Lebensraumes Alpen“ ist eine herausfordernde<br />

Aufgabe. Mit der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde uns ein passendes Werkzeug in die<br />

Hand gelegt, diese Aufgabe zu meistern; es liegt an uns, dieses auch richtig zu<br />

verwenden bzw. aktiv anzuwenden.<br />

100 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Gerold Glantschnig<br />

Von der Alpenschutzkonvention<br />

zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Von 1990 bis 2012 Mitglied des Österreichischen Nationalen Komitees<br />

für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Von 1989 bis 2012 Mitglied im Ständigen Ausschuss der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

als Länderdelegierter inkl. Arbeitsgruppe Hohe Beamte<br />

Mehrfach in ad hoc Arbeitsgruppen der <strong>Alpenkonvention</strong> tätig<br />

Seit 2013 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />

Österreich<br />

E: gerold.glantschnig@aon.at<br />

Dem Ersuchen von Peter Haßlacher, den Vorsitzenden von CIPRA Österreich, aus<br />

dem Anlass, dass seit der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> ein Vierteljahrhundert<br />

vergangen ist, einen Rückblick zu machen, aber vor allem auch einen<br />

Ausblick auf die Zukunft des Vertragswerkes zu richten, komme ich sehr gerne<br />

nach. War ich doch von Anbeginn als Mitglied der österreichischen Delegation<br />

in der „Arbeitsgruppe Hoher Beamter“ – so der relativ hochtrabende Titel des<br />

Gremiums-, das im Rahmen der I. Alpenkonferenz vom 9. bis 11. Oktober 1989<br />

in Berchtesgaden damit beauftragt wurde, unter österreichischem Vorsitz bis zur<br />

II. Alpenkonferenz im <strong>Jahre</strong> 1991 eine Rahmenkonvention zum Schutz der Alpen<br />

auszuarbeiten.<br />

Bei einer rückblickenden Betrachtung der Entwicklung dieser <strong>Alpenkonvention</strong>sinitiative<br />

kann ich einen deutlichen Wandel in den Prioritäten feststellen, die<br />

mit diesem Projekt verfolgt werden. Der Tenor der Resolution, die im Rahmen<br />

der I.Internationalen Alpenkonferenz in Berchtesgaden beschlossen wurde, war<br />

noch deutlich vom Schutzgedanken geprägt. In den sehr ausführlich formulierten<br />

und in immerhin 89 Unterpunkten untergliederten Zielstellungen dieser Resolution<br />

wird immer wieder die Notwendigkeit des Schutzes des Alpenraumes und<br />

der dort vorkommenden Naturgüter hervorgehoben. Diese Problemsicht kann<br />

auch damit zusammenhängen, dass an dieser Konferenz in Berchtesgaden, wie<br />

in der Resolution ausdrücklich hervorgehoben wird, „die für Umwelt- und Naturschutz<br />

zuständigen Minister“ der Alpenstaaten teilgenommen haben.<br />

Es verwundert daher auch nicht, dass der erste Entwurf der vorzubereitenden<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

101


Zu Beginn der Verhandlungen um die <strong>Alpenkonvention</strong> im <strong>Jahre</strong> 1990, stand noch der Schutz der Umwelt und<br />

der Erhalt des Lebensraumes Alpen im Vordergrund. Mit Fortdauer der Gespräche wurde zunehmend auch auf<br />

eine nachhaltige Entwicklung Bedacht genommen.<br />

Rahmenkonvention, wie er für die Beratungen am 30./31. Mai 1990 vorgelegt<br />

wurde, noch mit „Übereinkommen zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung<br />

des Lebensraumes Alpen (Alpenschutzkonvention) übertitelt war. Die Beratungen<br />

dieses Entwurfes, aber im Besonderen eine von der Schweizer Delegation am<br />

5. Juni 1990 vorgelegte Aktennotiz, die darauf hinwies, dass man im Titel auch<br />

darauf Bedacht nehmen müsse, dass die Alpen auch Lebens- und Wirtschaftsraum<br />

der in den Alpen lebenden Bevölkerung sind, hat schließlich zu einer Umformulierung<br />

des Titels geführt. Vor allem ist man in der Folge auf den Kurztitel<br />

„<strong>Alpenkonvention</strong>“ umgestiegen.<br />

Dieser modifizierte Fokus in der Schutzstrategie ist aber auch aus anderen Details<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>sentwicklung ableitbar. Beispielsweise lässt sich dieser<br />

Prioritätenwandel auch aus der Verwendung des Begriffes „Nachhaltigkeit“ ablesen.<br />

Dieser Begriff hat in den letzten Jahrzehnten in den verschiedensten Zusammenhängen<br />

geradezu den Status eines Modewortes erlangt. Ausgangspunkt<br />

für die Renaissance dieses lange Zeit lediglich ein forstliches Bewirtschaftungsprinzip<br />

umschreibendes Wort (nicht mehr Holz schlägern, als nachwächst), war<br />

wohl der 1983 von der Brundtland-Kommission erstellte Bericht, in dem unter<br />

diesem Prätext die umweltpolitischen Ziele den ökonomischen und sozialen Entwicklungszielen<br />

gleichgestellt wurden. Man kann allerdings überhaupt sagen,<br />

dass ein an diesen Grundsätzen orientierter Umgang mit den natürlichen Ressourcen<br />

gleichsam einem althergebrachten bäuerlichen Nutzungsverständnis<br />

102 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


entspricht, den man neuerdings fallweise auch mit dem Eigenschaftswort „enkeltauglich“<br />

umschreibt. Jedenfalls wird damit ein verantwortungsbewusster, auf<br />

Dauerhaftigkeit ausgelegter Umgang mit einem System verstanden.<br />

In der umfassenden Berchtesgadener Resolution aus dem <strong>Jahre</strong> 1989 findet sich<br />

dieser Begriff der Nachhaltigkeit noch in keinem der 89 Unterpunkte. Als eine<br />

denkbare Begründung dafür kann das bereits eingangs angesprochene Schutzdenken<br />

dienen, von dem diese Resolution geprägt ist. In der Rahmenkonvention,<br />

die sich schließlich, wie auch aus der erwähnten Änderung des Kurztitels ersichtlich,<br />

von der ursprünglichen Schutzpriorität löste, findet sich erstmals der Begriff<br />

der Nachhaltigkeit. Im Artikel 2 unter den Allgemeinen Verpflichtungen werden<br />

die Vertragsparteien dazu verhalten, eine „nachhaltige Nutzung“ der Ressourcen<br />

sicherzustellen. Das statisch-protektionistische Denken wurde damit von einem<br />

Auftrag zu einer aktiven Bestandessicherung abgelöst.<br />

Deutlich häufiger wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Folge in den einzelnen<br />

Durchführungsprotokollen zur <strong>Alpenkonvention</strong>, insbesondere im Naturschutzprotoll,<br />

im Tourismusprotokoll, im Bodenschutzprotokoll, im Energieprotokoll<br />

aber auch im Verkehrsprotokoll angesprochen. Auch diese Änderung in<br />

der Begriffswahl kann letztlich als Indiz dafür gewertet werden, dass Zielvorgabe<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht die Einrichtung eines „Alpenreservates“ ist, sondern<br />

ein verantwortungsbewusster, auf Dauerhaftigkeit und Bestand ausgerichteter,<br />

eben „nachhaltiger“ Umgang mit diesem Naturraum. Die <strong>Alpenkonvention</strong> soll<br />

kein reines „Verhinderungsinstrumentarium“ sein, sondern Leitlinie für ein zukunftsorientiertes<br />

und die Interessen der in den Alpen lebenden Menschen berücksichtigendes<br />

Nutzen dieses „Herzstückes“ von Europa. Vor allem aber soll<br />

diese Leitlinie über die nationalen Grenzen hinweg für das gesamte Alpengebiet<br />

verbindlich sein und eine harmonische, wechselseitig abgestimmte Entwicklung<br />

gewährleisten.<br />

Mit einigem Bedauern muss festgestellt werden, dass die rechtliche Implementierung<br />

der Durchführungsprotokolle noch immer nicht im gesamten Alpenraum<br />

finalisiert werden konnte. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, weil erst die<br />

Protokolle die konkreten Aufträge und Verpflichtungen umschreiben. Man hätte<br />

eigentlich davon ausgehen müssen, dass die Vertragsstaaten bereits mit der<br />

Unterzeichnung und Ratifikation des Rahmenvertrages sich geradezu auch verpflichtet<br />

sehen, in der Folge die gemeinsam ausverhandelten und in den Protokollen<br />

ausformulierten Konkretisierungen der Konvention mitzutragen. Gerade<br />

für den Alpenzentralstaat Schweiz, der sich eigentlich immer als ein besonders<br />

den Interessen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit verpflichtetes Gemeinwesen<br />

präsentiert hat, ist die bisherige Nichtratifizierung der Protokolle<br />

nicht nachvollziehbar.<br />

Bei einem bewusst vorsichtigen Blick in die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> muss<br />

vor allem das Thema Makroregionale EU-Strategie für den Alpenraum (EUSALP)<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

103


angesprochen werden. Es wäre wohl verkehrt, würde man diese Initiative aus<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>ssicht ignorieren oder gar unterschätzen. Man kann diese Bestrebungen<br />

auch als Bestätigung dafür sehen, dass die Alpenstaaten mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

einen richtigen Schritt gesetzt haben, um von der Globalisierung<br />

nicht überrollt zu werden. Wenn nun versucht werden sollte, mit dieser Makroregionalen<br />

Strategie ein Gegengewicht zur <strong>Alpenkonvention</strong> aufzubauen, so wird<br />

das nur dann ohne Schaden und Nachteile für den Konventionsraum stattfinden,<br />

wenn sich die Verantwortungsträger dieses Raumes proaktiv in den Prozess einklinken,<br />

um dabei nicht nur Schaden vom Alpenraum abzuhalten, sondern daraus<br />

letztlich auch einen Mehrwert für den Konventionsbereich zu lukrieren.<br />

Auch <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> muss allerdings<br />

noch immer ein weitverbreitetes Unwissen über die tatsächlichen Inhalte und<br />

Ziele dieses Vertragswerkes registriert werden. Es besteht die Hoffnung, dass die<br />

wohl eher als Abwehrreaktion konzipierte Makroregionale Strategie dazu genutzt<br />

werden kann, den Stellenwert der <strong>Alpenkonvention</strong> zu erhöhen und sie<br />

vom Nimbus einer reinen Abwehrwaffe zu befreien. Sie hat zwar auch in dieser<br />

Hinsicht durchaus ihre Berechtigung, wenn sie dazu genutzt wird, Erschließungsund<br />

Nutzungsgigantomanien im Alpenbereich hintanzuhalten. So scheiterte beispielsweise<br />

das aus vielerlei Gründen höchst problematische Projekt einer Talabfahrt<br />

vom Mölltaler Gletscher in Kärnten letztlich an der schutzzweckbezogenen<br />

Erhaltungspflicht, wie sie in Artikel 11 Absatz 1 des Naturschutzprotokolls festgelegt<br />

ist, weil diese Abfahrt zwei Naturschutzgebiete beeinträchtigt hätte. Damit<br />

wurde einer zumindest angedachten Option einer Änderung oder gar Aufhebung<br />

dieser Schutzgebiete von vorneherein ein Riegel vorgeschoben. Auch bei der Ablehnung<br />

des Stromleitungsprojektes über den Kronhofgraben von Weidenburg<br />

im Kärntner Gailtal nach Somplago in Friaul durch den Verwaltungsgerichtshof,<br />

die sich zwar vorrangig auf naturschutzrechtliche Bedenken stützte, lieferten die<br />

Festlegungen im Energieprotokoll wichtige Zusatzargumente.<br />

Nachdem solche Projektblockaden in der Öffentlichkeit eher erhöhte Aufmerksamkeit<br />

zur Folge haben, ist es nur schwer vermeidbar, dass „die <strong>Alpenkonvention</strong>“<br />

nur allzu leicht in den Verdacht der Wirtschafts- und Entwicklungsfeindlichkeit<br />

gerät. Gerade um eine derartige, am Kern der <strong>Alpenkonvention</strong>sidee<br />

vorbeigehende Punzierung zu vermeiden, hat man sich schon in der Anfangsphase<br />

der Ausarbeitung des Konventionstextes darauf geeinigt, die Betonung<br />

des Schutzcharakters nicht in den Vordergrund zu stellen und den Kurztitel „Alpenschutzkonvention“<br />

durch den neutraleren Titel „<strong>Alpenkonvention</strong>“ ersetzt. Es<br />

wird letztlich eine entscheidende Rolle für die weitere Bedeutung und Zukunft<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> spielen, inwieweit es gelingt, diese Balance zwischen dem<br />

Schutz- und Entwicklungsauftrag zu finden und die Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum<br />

zu erhalten.<br />

104 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Gerhard Liebl<br />

Wie geht es nach schwierigen<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter?<br />

Von 1990 bis Ende 2005 Mitglied des Österreichischen Nationalen Komitees<br />

für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Von 1988 bis Ende 2005 Mitglied im Ständigen Ausschuss der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

als Länderdelegierter inkl. Arbeitsgruppe Hohe Beamte<br />

Von 1989 bis 1991 Mitglied in der Arbeitsgruppe „Protokoll Naturschutz<br />

und Landschaftspflege“<br />

Seit 2010 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />

E: gerhard.liebl@chello.at<br />

Die Skepsis, ob aus den CIPRA-Forderungen zum Alpenschutz etwas wird, die<br />

mich zu den ersten Besprechungen in Deutschland begleitete, taucht bei mir wieder<br />

auf. Wie geht es nach schwierigen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter? Die intensive Arbeit aller<br />

in der Arbeitsgruppe „Hohe Beamte“ endete schließlich trotz aller sprachlichen,<br />

rechtlichen und geopolitischen Differenzen 1991 mit der Unterfertigung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in<br />

Salzburg. Dazu auch<br />

eine Reihe von Erfüllungsprotokollen<br />

mit wichtigen und<br />

zukunftsorientierten<br />

Vorgaben bzw. Vorschriften.<br />

Dazu noch<br />

die Installierung des<br />

„Ständigen Sekretariats“<br />

in Innsbruck, als<br />

Zentrale des Alpen-<br />

Ein eigenes Durchführungsprotokoll<br />

zum Wasser wurde<br />

von den Vertragsparteien bis<br />

heute nicht verhandelt.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

105


Das Protokoll „Berglandwirtschaft“ der <strong>Alpenkonvention</strong> beinhaltet viel Potenzial, doch bleibt es in den Diskussionen<br />

zumeist ungenutzt.<br />

konventionsgeschehens. Und was bleibt von dieser Alpeneuphorie? Die Schweiz<br />

hat noch kein Protokoll ratifiziert. Die Erstellung neuer Protokolle (z.B. im Bereich<br />

Wasser) wird blockiert. Der Überprüfungsausschuss schiebt alles auf die lange<br />

Bank. Die Tagesordnung der Alpenkonferenz enthält nur Banales. Das Ständige<br />

Sekretariat und sein Generalsekretär sind in der Öffentlichkeit völlig unbekannt.<br />

Symptomatisch dafür, dass der Innsbrucker Bürgermeisterin die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

nur von der Ablehnung einer Seilbahn her bekannt ist. Medial existiert die<br />

Konvention nur als Verhinderungsgrund für Erschließungsprojekte. Dies bedeutet,<br />

dass z.B. die vielen in den Protokollen enthaltenen, zukunftsweisenden Vorgaben<br />

überwiegend unbekannt sind. Nicht einmal das Bundesministerium für<br />

Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft samt Minister, zuständig<br />

für die <strong>Alpenkonvention</strong>, stützt sich bei Verhandlungen mit der EU zur Landwirtschaftsförderung<br />

oder zum Freihandelsabkommen TTIP darauf. Die Anstrengungen<br />

der CIPRA mit Projekten der Konvention den berechtigten Stellenwert<br />

zu verschaffen, sind leider nur „Tropfen auf den heißen Stein“. Ich fürchte daher,<br />

dass meine Skepsis über die weitere Bedeutung der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer<br />

Protokolle berechtigt ist.<br />

106 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Fritz Gurgiser<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />

ein „Glücksfall“<br />

Seit 1994 Präsident des Transitforums Austria-Tirol<br />

Von 2008 bis 2013 Abgeordneter zum Tiroler Landtag<br />

Mitglied des Nationalen Komtees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in Österreich<br />

Konrad Lorenz-Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz<br />

E: fritz.gurgiser@a1.net<br />

„Wer das Glück hat, im Alpenraum geboren zu sein, hier zu arbeiten, seine Familie,<br />

Freunde und Bekannten zu haben, hat auch die Verantwortung und Verpflichtung,<br />

etwas von diesem Glück zurück zu geben“. In diesem Satz steckt meine<br />

persönliche Motivation über Jahrzehnte, in denen ich das Entstehen und In-Kraft-<br />

Treten der Durchführungsprotokolle dieses völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommens<br />

für die Alpen ein wenig begleiten durfte.<br />

Diesen Satz gebe ich zu diesem Anlass allen mit, die in der 3. Phase der Umsetzung<br />

die „Flucht“<br />

antreten (Phase<br />

1: Internationales<br />

Bekenntnis zum<br />

Schaffen der Konvention;<br />

Phase 2:<br />

Schwierige Konsensfindung<br />

bis<br />

zum In-Kraft-Tre-<br />

Bürgerversammlung auf<br />

der Autobahn A12 bei<br />

Vomp gegen den überbordenden<br />

Transitverkehr<br />

im Oktober 2002.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

107


Die Alpen (im Bild das Ruhegebiet Kalkkögel/Tirol) sind unser Erbe und unsere Zukunft. Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

kann zum Erhalt und einer nachhaltigen Entwicklung einen wesentlichen Beitrag leisten.<br />

ten der Durchführungsprotokolle). Ich schäme mich, wenn anstelle von „Pacta<br />

sunt servanda – Verträge sind zu halten“ nun „Klientelschutz“ wie ein „Eiserner<br />

Vorhang“ die rechtmäßige Umsetzung blockiert, wenn „plündern“ statt „schützen“<br />

das politische Tagesgeschäft dokumentiert. Übersehen wir nicht: Im heutigen<br />

globalen Liberalisierungs- und Plünderungswahn wäre die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

nicht mehr machbar!<br />

Die geforderte Abwägung: Wollen die politischen Entscheidungsträger in einer<br />

„solidarischen Gesamtverantwortung“ diesen Alpenraum für die eigene Bevölkerung<br />

als Lebens- und Wirtschaftsgrundlage und für die angrenzenden voralpinen<br />

Räume und Flachländer als Luft- und Wasserspeicher sowie als Erholungsraum<br />

erhalten oder nicht? Wenn ja, sind die Durchführungsprotokolle jeder politischen<br />

Entscheidung zu Grunde zu legen: Von der Kleinstgemeinde bis zu EU-Richtlinien.<br />

Der „Begleitdruck“ dazu muss von der Zivilgesellschaft kommen. Die Alpen sind<br />

unser Erbe und unsere Zukunft. Nutzen wir die <strong>Alpenkonvention</strong> als Auftrag und<br />

„Glücksfall“ mit Respekt und als existenzielle Vorsorge für die, die nach uns kommen:<br />

Kinder, Enkel und Urenkel. Glück auf!<br />

108 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Andreas Götz<br />

Kooperationen und Projekte<br />

müssen Rechtsumsetzung ergänzen<br />

Von 1996 bis 2012 Geschäftsführer von CIPRA International<br />

Von 1996 bis 2012 Teilnahme an den Sitzungen des Ständigen<br />

Ausschusses sowie Teilnahme in Arbeitsgruppen und Plattformen<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Seit 2012 Inhaber der Götz Charity Consulting AG in Liechtenstein<br />

E: goetz@charityconsulting.li<br />

16 <strong>Jahre</strong> – von 1996 bis 2012 – durfte ich die <strong>Alpenkonvention</strong> als Geschäftsführer<br />

von CIPRA International beobachten und kritisch begleiten. In diesen <strong>Jahre</strong>n<br />

stellte sich die CIPRA immer wieder die Frage „aussteigen oder weitermachen?“.<br />

Lohnten sich das Engagement und die Kosten, wo die Vertragsparteien gemäß<br />

unserer Wahrnehmung viel zu zaghaft und mutlos waren und die großen Chancen<br />

des Vertragswerks nicht erkannten?<br />

Vielleicht waren die Staaten überfordert mit dem neuen Ansatz. Eine Konvention<br />

für ein ganzes Berggebiet, das eine dermaßen breite Fülle von Themen – von<br />

Raumplanung über Naturschutz bis hin zu Energie oder „Bevölkerung und Kultur“<br />

– abdeckt, das hatte es noch nie gegeben. Offenbar war es für manche einfacher<br />

zu sagen, es sei juristisch ein Unding, innerhalb eines Staates Sondergesetze<br />

für bloß einen Teil des Territoriums zu erlassen. So mutierte die Innovation in der<br />

Sichtweise mancher Alpenstaaten im Laufe der Zeit zur Altlast aus den umweltsensibleren<br />

1980er <strong>Jahre</strong>n, sie wurde sozusagen alt-lästig, man erhielt sie zwar<br />

am Leben, versuchte aber, konkrete Auswirkungen bestmöglich zu verhindern.<br />

Nichtsdestotrotz hat die Jubilarin, die mit ihren <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n eigentlich noch jugendlich<br />

frisch sein dürfte, Bemerkenswertes erreicht. Einfluss auf die Gesetzgebung<br />

und Rechtsprechung hatte sie zwar praktisch nur in Österreich. Und wohl in keinem<br />

anderen Land wurden in diesem Ausmaß Fördertöpfe für die Umsetzung der<br />

Anliegen der <strong>Alpenkonvention</strong> erschlossen. Aber die Auswirkungen gehen deutlich<br />

über die Grenzen des Musterschülers hinaus. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat nämlich<br />

das Denken verändert, hat den Gebirgszug in den Köpfen von Politikern und<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

109


Bevölkerung Grenzen überwinden lassen. Schon früh wurden Netzwerke gegründet,<br />

die sich auf die <strong>Alpenkonvention</strong> berufen: das Gemeindenetzwerk Allianz in<br />

den Alpen, das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete, das Internationale Wissenschaftliche<br />

Komitee für Alpenforschung und viele andere. Denn dank der Konvention<br />

wurden die Alpen nun als internationaler Gebirgszug wahrgenommen, während<br />

diese Wahrnehmung noch vor wenigen Jahrzehnten nur bis zu den jeweiligen<br />

Landesgrenzen<br />

reichte.<br />

Diese Netzwerke<br />

und viele nichtstaatliche<br />

Organisationen<br />

wie die<br />

CIPRA haben in<br />

manchen Bereichen<br />

wesentlich<br />

konkretere Resultate<br />

vorzuweisen<br />

als die Vertragsparteien<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Sie pflegen einen<br />

Austausch von<br />

Das Netzwerk „Alpiner Schutzgebiete“ ist beispielgebend dafür, wie eine alpenweite<br />

und damit grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Sinne der Alpenkon-<br />

Wissen und führen<br />

gemeinsam<br />

vention funktioniert.<br />

Projekte durch.<br />

Und hierin läge eine der wohl bedeutendsten Chancen der Konvention: Dass man<br />

sich regelmäßig trifft und gemeinsam aktiv werden könnte, themen- und länderübergreifend,<br />

Vertragsparteien und Beobachter am gleichen Strang ziehend.<br />

Dies wird noch zu wenig erkannt und genutzt.<br />

In diesem Sinne darf die CIPRA auch selbstkritisch sein. Zu ausschließlich haben<br />

wir auf die juristische Umsetzung der Konvention fokussiert, unser Heil in neuen<br />

Protokollen gesucht und gehofft, dass noch mehr Staaten einen „österreichischen“<br />

Umgang mit der Konvention entwickeln könnten. Dies war oft sehr aufreibend<br />

und hat zu wenige in der Bevölkerung spürbare Resultate gebracht, obwohl<br />

natürlich Einrichtungen wie die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />

Österreich ausgesprochen wertvoll sind. Wichtig ist aber eine Doppelstrategie:<br />

Die juristische Umsetzung muss weiterhin eingefordert werden, gleichzeitig soll<br />

die Konvention besser als Plattform für Projekte und Kooperationen genutzt werden.<br />

Schaffen die Alpenstaaten dies nicht, werden Bevölkerung, Nichtregierungsorganisationen<br />

und Netzwerke den Nutzen des Vertragswerks nicht erkennen.<br />

Dies wäre keine gute Basis für weitere <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

110 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Reinhard Gschöpf<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />

spannender Versuch über das gemeinsame<br />

Finden und Vereinbaren neuer Grenzen<br />

Von 1994 bis 2000 Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA<br />

Österreich<br />

Seit 2000 im Grünen Parlamentsklub: Koordination Team Umwelt<br />

& als Referent zuständig für Verkehr, Alpenschutz, Tourismus, Post/<br />

Telekom<br />

E: reinhard.gschoepf@gruene.at<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> geht über Grenzen hinweg und ist zugleich ein spannender<br />

Versuch über das gemeinsame Finden und Vereinbaren neuer Grenzen.<br />

Als Staatsvertrag bindet sie Verwaltungs- und Regierungszentren bis zur EU ein<br />

und inspiriert Netzwerke und andere Gebirgsräume.<br />

Zugleich endet im<br />

Alpenraum manche<br />

Entgrenzung unserer<br />

globalisierten und spätdemokratischen<br />

Welt<br />

an Grenzen der Nutzung,<br />

der Einebnung<br />

von Vielfalt, der Geschwindigkeit<br />

sozialverträglichen<br />

Wandels, der<br />

rein monetären Inwert-<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren<br />

Durchführungsprotokollen ist die<br />

Richtschnur, um Grenzen in der<br />

Alpenerschließung zu setzen.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

111


setzung, der Naturzerstörung. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hält durch ihre inhaltliche<br />

Nähe zum Leben und Wirtschaften Antworten bereit. Hören muss man sie wollen.<br />

Im Gesetzesrang sind Konvention und Protokolle in Österreich seit 20 <strong>Jahre</strong>n.<br />

Aber werden die vereinbarten Grenzen seitdem auch respektiert? Bei Transitstraßen<br />

und Erschließungsprojekten wurde wohl mehr in die Umgehung der Protokolle<br />

als in ihre Einhaltung investiert, leider auch von staatlichen Instanzen.<br />

Ohne beharrliches Engagement vieler Umweltbewegter, Rechtskundiger und ExpertInnen<br />

bis hinein in Verwaltung und Politik hätte sich Ellbogen und dicke Lippe<br />

aus manch „starkem Tal“ heraus wohl trotz <strong>Alpenkonvention</strong> schon flächendeckend<br />

die Alpen untertan gemacht, die Rücksichtlosigkeit nach innen hinter lautem<br />

Geschrei nach „draußen“ vernebelnd.<br />

Österreichs regierend Verantwortliche haben umsomehr eine besonnene Rolle<br />

in der Alpenpolitik wahrzunehmen: Wenn <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Geburt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

ihr Vorsitz für zwei <strong>Jahre</strong> nach Österreich zurückkehrt, sind nicht<br />

Stammtischsprüche über Wölfe und Jagdkarten gefordert, sondern seriöse Arbeit.<br />

Die Klimabeschlüsse von Paris haben Belastungs- und Beschädigungsgrenzen<br />

und die Pflicht zu mutig-balancierten Lösungen wieder in die Mitte der politischen<br />

Agenda gebracht – die <strong>Alpenkonvention</strong> liegt als Leitschnur bereit, zum<br />

Tun wie zum Grenzen setzen.<br />

112 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Wolfgang E. Burhenne<br />

Die Gäste für die Alpen<br />

gewinnen!<br />

Dr. Wolfgang E. Burhenne gilt schlichtweg als der Doyen der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Als CIPRA International-Gründungssekretär (1952 – 1956)<br />

brachte er zu ihrer Gründung 1952 in Rottach-Egern (D) den Vorschlag<br />

zur Ausarbeitung einer Alpenschutzkonvention ein. Mit CIPRA, deren<br />

Ehrenmitglied er seit 1992 ist, war und ist er stets verbunden. Seine<br />

jahrzehntelange Erfahrung mit internationalen Verträgen half während<br />

der Zeit der Verhandlungen der einzelnen Durchführungsprotokolle der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> durch manch knifflige Phase. Er war anerkannt und<br />

geschätzt bei den Vertragsparteien ebenso wie bei den Beobachterorganisationen.<br />

Weit über 90 <strong>Jahre</strong> alt ist Wolfgang E. Burhenne noch<br />

in allen Erdteilen unterwegs. Sein Optimismus und sein stetes Streben<br />

nach der Weiterentwicklung des internationalen Umweltrechts und<br />

die Umsetzung im Kleinen in seinen geliebten Tiroler Bergen im Karwendel<br />

und Rofan halten ihn jung. Inmitten der Gebirgsempore des<br />

Rofangebirges in Steinberg am Rofan hat er sich einen Alterswohnsitz<br />

eingerichtet.<br />

CIPRA Österreich wird ihm immer zu Dank und Anerkennung verpflichtet<br />

sein!<br />

Für diese Schrift zur <strong>25</strong>. Wiederkehr der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

hat er uns, bescheiden wie er ist, einen Wunsch zur Umsetzung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> mitgegeben.<br />

E: steinberg2704 @t-online.de<br />

Als bergbegeisterter Schüler in einer Alpenstadt, waren die Wochenenden vor<br />

dem Krieg ausgefüllt mit vielen Stunden in der Natur. Negativ waren immer die<br />

Landesgrenzen mit den damals noch vorhandenen Vorschriften, die aber jetzt<br />

Gott sei Dank mit der Schaffung der EU weggefallen sind. Beeindruckt war ich<br />

auch immer von den zum Teil sehr verschiedenen Schutzmaßnahmen für die alpine<br />

Flora. Ich erinnere mich sehr wohl an eine kräftige Ohrfeige meiner Mutter, als<br />

ich ihr einmal mit einem kleinen Strauß geschützter Blumen eine Freude bereiten<br />

wollte.<br />

Daran musste ich auch denken, als mich die neugegründete CIPRA um einen<br />

Vorschlag für ein Arbeitsprogramm bat. Meine Erinnerung an die Verschiedenheit<br />

vieler Vorschriften in den Alpenländern und meiner in der Zwischenzeit erfolgten<br />

Ausbildung entsprechend, habe ich dann die Forderung nach einer <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in das Programm vorgeschlagen. Dem ist man gefolgt. <strong>Jahre</strong> später wurde<br />

zur Freude vieler dieser Vorschlag realisiert.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

113


Wolfgang Burhenne hat im idyllischen Steinberg, mit Blick auf die Nordwände des Rofangebirges, einen wunderschönen<br />

Alterswohnsitz in Österreich gefunden.<br />

Wenn heute gefragt wird, was man sich zur Realisierung dieses rechtlich bindenden<br />

Staatsvertrages wünscht, bleibt nicht viel übrig, wenn man die Forderung<br />

nach einer strengen Umsetzung durch die zuständigen Behörden beiseite lässt.<br />

Leider ist die <strong>Alpenkonvention</strong> den vielen Touristen nicht voll bewusst. Das Sekretariat<br />

hat schon eine sehr aufschlussreiche Karte des gesamten, unter den<br />

Vertrag fallenden Gebietes herausgegeben. Ich würde mir eine kleine Schrift zur<br />

Verteilung an die Touristen wünschen, die jedoch so gestaltet werden sollte, dass<br />

sie zum Mitnehmen und Aufbewahren einlädt und nicht die Landschaft und Papierkörbe<br />

füllt.<br />

Diese kleine Schrift könnte um attraktiv zu sein, meine Kindheitserfahrung einbeziehend,<br />

neben allgemeinen Regeln auch eine Übersicht der alpinen Pflanzen,<br />

mit Hinweis auf die in den Ländern verschiedenen Vorschriften, enthalten.<br />

Sicherlich gibt es auch noch zusätzliche Wege, um die <strong>Alpenkonvention</strong> nicht nur<br />

bei den Verwaltungen und einschlägigen Organisationen, sondern auch den Besuchern<br />

populärer zu machen.<br />

114 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Peter Haßlacher<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Unterzeichnung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />

Hat sich der lange und mühsame Weg zu<br />

einem besseren Alpenschutz gelohnt?<br />

Von 1980 bis 2013 Leiter der Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz<br />

im Österreichischen Alpenverein<br />

Von 1995 bis 2001 2. Vizepräsident von CIPRA International<br />

Seit 2007 Vorsitzender von CIPRA Österreich<br />

Seit 1990 Mitglied des Nationalen Komitees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

in Österreich<br />

Konrad Lorenz-Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz<br />

E: peter.hasslacher@cipra.org<br />

oder peter.hasslacher@chello.at<br />

Die <strong>Jahre</strong> vor der Unterzeichnung der Rahmenkonvention am 7. November 1991<br />

in der Landeshauptstadt Salzburg waren entscheidungsbildend dafür, ob ein Engagement<br />

für ein derart umfassendes und alpenweit geltendes Vertragswerk<br />

überhaupt sinnvoll sei. Herr Landeshauptmann von Tirol, Wendelin Weingartner,<br />

hat mir damals über den Vorsitzenden des Österreichischen Alpenvereins ausrichten<br />

lassen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> für uns eine Nummer zu groß sei und<br />

wir die Finger davon lassen sollten.<br />

Es sollte ja tatsächlich eine gewaltige Herausforderung werden, die Überlegungen<br />

und Forderungen der alpenschützenden Nicht-Regierungsorganisationen in<br />

die diplomatische Sphäre der Vertragsstaaten einzubringen, seine Rolle zu finden<br />

und das Gesicht doch nicht zu verlieren.<br />

Im Nachhinein betrachtet, hätten wir manche Schwerpunkte und Strategien<br />

anders anlegen müssen. Vor allem die politische Bedeutung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

mit Mehrwert für den gesamten Alpenraum hätte stärker gewichtet und darauf<br />

ausgerichtet eine zeitgemäße und effiziente Governance eingesetzt werden<br />

müssen. Eine alle zwei <strong>Jahre</strong> tagende Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />

mit immer weniger hochrangiger Besetzung kann wohl nicht der Weisheit letzter<br />

Schluss sein? Wir hätten bei der Ausarbeitung der Inhalte der Durchführungs-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

115


protokolle besser auf die juristische Handhabung achten müssen. So wird heute<br />

immer noch nahezu verbissen um die richtige innerstaatliche Auslegung gerungen<br />

(Wicker, 2003).<br />

Die Verhandlungsphase vor Salzburg 1991 und die dabei getroffenen Festlegungen<br />

wie zum Beispiel die Resolution anlässlich der I. Alpenkonferenz der Umweltministerinnen<br />

1989 waren sozusagen die „Geschäftsgrundlage“, auf deren<br />

Basis unsererseits (= NGOs) in den „Alpenprozess“ eingestiegen worden ist. Die<br />

verschiedenen Mitgestalter dieses „Prozesses“ werden wahrscheinlich nach <strong>25</strong><br />

<strong>Jahre</strong>n zu unterschiedlichen Einsichten kommen. Dem Alpenschutz verpflichtete<br />

Organisationen und Personen aus der Zivilgesellschaft sei es aber auch gestattet,<br />

diesen „Alpenprozess“ in seiner Bedeutung und Wirksamkeit, insbesondere in<br />

den Bereichen, die von ihnen vorrangig bearbeitet werden, zu bewerten.<br />

Wichtige Stationen auf dem Weg zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />

17. Mai 1988 Einstimmiger Plenumsbeschluss im Europäischen Parlament<br />

auf Einreichung der Fraktion der Europäischen<br />

Volkspartei zur „Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />

(Europäisches Parlament Sitzungsdokumente B2-<br />

177/88)<br />

24. – <strong>25</strong>. Juni 1988 Internationale Konferenz „Umweltpolitik im Alpenraum“,<br />

Lindau (Bodensee); veranstaltet von CIPRA International<br />

und Deutscher Naturschutzring<br />

27./28. August 1988 „Erklärung zum Schutz der Alpen“ am Großvenediger,<br />

Gemeinde Prägraten am Großvenediger mit der 2. Nationalratspräsidentin<br />

Dr. Marga Hubinek und Bundesministerin<br />

für Umwelt, Familie und Jugend Dr. Marilies<br />

Flemming sowie Alpenverein und Naturschutzbund<br />

9. – 11. Oktober 1989 I. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen in Berchtesgaden<br />

(D) mit Beschluss der 89-Punkte-Resolution.<br />

Persönliche Überlegungen zum Eintreten für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Als ein großer Anhänger einer eigenständigen und auf zukunftsfähige Nachhaltigkeit<br />

ausgerichteten Regionalentwicklung und im naturschutzpolitischen Nahkampf<br />

erprobt, habe ich mich ehrlich gesagt in den Vorstadien der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

recht schwer getan, mich für dieses multilaterale, multifunktionale und<br />

auf hoher Ebene abgehandelte Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen<br />

Entwicklung so richtig zu engagieren. Die zunehmende Machtlosigkeit aber bei<br />

landespolitischen Naturschutz- und Raumordnungsentscheidungen (touristische<br />

Erschließungen, Speicherkraftwerke, Straßenbauvorhaben) trieb uns sozusagen<br />

116 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


auf diese übergeordnete Alpenebene, welche da gerade vorbereitet worden ist.<br />

Vielleicht könnte eine gemeinsame Alpenpolitik der Alpenstaaten einen Weg<br />

gegen die hemmungslose gegenseitige Aufschaukelung beim Ausbau der Infrastrukturen<br />

darstellen? Gemeinsame Richtlinien könnten bei erfolgreich geführten<br />

Verhandlungen immer noch wirksamer sein als die Mühsale der vielen Einzelverfahren?<br />

Möglicherweise wäre die <strong>Alpenkonvention</strong> ein Ausgleich für den<br />

gescheiterten Anlauf für ein eigenes Ziel 7-Gebiet „Alpen“ bei der Europäischen<br />

Kommission in Brüssel? Diese, ähnliche und weitere Gedanken schossen vor und<br />

während der Verhandlungen über die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> durch den<br />

Kopf. Gott sei Dank war die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA fachlich<br />

und personell darauf vorbereitet und konnte den Prozess ständig begleiten.<br />

Die „Geschäftsgrundlage“ für den Alpenprozess<br />

Wie bei jeder Evaluation eines Entwicklungsprozesses – in diesem Fall des Alpenprozesses<br />

nach mehr als einem Vierteljahrhundert – gilt der Blick auf Referenzdokumente.<br />

Im Wesentlichen sind es im Falle der <strong>Alpenkonvention</strong> zwei Dokumente,<br />

die am Ausgangspunkt des Alpenprozesses standen, und für natur- und<br />

alpenschutzrelevante Organisationen entscheidend waren, sich am Alpenprozess<br />

zu beteiligen und für dieses neue Instrument zu engagieren:<br />

● Einstimmiger Plenumsbeschluss im Europäischen Parlament vom<br />

17. Mai 1988 zur „Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />

„Das Europäische Parlament fordert die Kommission unter Hinweis auf die<br />

Gefährdung der natürlichen Ressourcen des Alpenraumes – wie reine Luft,<br />

sauberes Wasser, gesunde Böden, großräumige Ruhegebiete mit Tieren und<br />

Pflanzen, die in anderen Teilen Europas bereits ausgestorben sind – durch<br />

Umwelteinwirkungen wie Luftschadstoffe, Transitverkehr, Sommer- und Wintertourismus<br />

und Großprojekte der Wasserenergiegewinnung, auf, einen Entwurf<br />

einer Konvention zum Schutz des Alpenraumes vorzulegen …“.<br />

● Resolution anlässlich der I. Alpenkonferenz „Internationale Alpenkonferenz<br />

der Umweltminister“, Berchtesgaden, 9. – 11. Oktober 1989;<br />

89 Punkte<br />

dabei insbesondere die Punkte wie<br />

37: Konkretisierung der Raumordnungsgrundsätze in überörtlichen und örtlichen<br />

fachübergreifenden Programmen und Plänen mit verbindlichen Zielen<br />

der Raumordnung wie zum Besipiel<br />

zur Freihaltung möglichst weiter Gebiete von großtechnischer Erschließung,<br />

zur Schaffung großräumiger Schutz- und Ruhezonen.<br />

60: Vereinbaren, zur Erreichung dieser Ziele (Anmerkung: im Tourismusbereich)<br />

zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Ausweisung großflächiger<br />

Zonen, in denen jede touristische Erschließung unzulässig ist, beim Verzicht<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

117


Marga Hubinek (l.) und Marilies Flemming waren wesentliche<br />

Unterstützerinnen für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

(Defreggerhaus, 27.08.1988).<br />

auf weitere Erschließung von Gletschergebieten und besonders empfindlichen<br />

Ökosystemen und Landschaftsteilen, sowie bei der Reduzierung von Belastungen<br />

durch Wintersportanlagen und belastende Freizeitaktivitäten; dies<br />

schließt ein Verbot besonders umweltbelastender Freizeitaktivitäten ein,<br />

70: Sind übereinstimmend der Meinung, dass im Hinblick auf die Verkehrssituation<br />

und die künftig zu erwartende Steigerung des Verkehrsaufkommens<br />

weitere Maßnahmen kurz- und längerfristiger Art getroffen werden müssen,<br />

die insbesondere zum Ziel haben, – die Belastungen für Menschen und Umwelt<br />

durch Verkehr in den Alpen und durch die Alpen zu verringern<br />

(Berchtesgaden; 1989, 89 Punkte; www.cipra.at).<br />

Ohne Zweifel haben uns die Inhalte dieser beiden supranationalen Dokumente<br />

bei unserer Arbeit und den Forderungen bestätigt und ermuntert. Unterstützung<br />

fand die im Entstehen begriffene <strong>Alpenkonvention</strong> u.a. in der „Erklärung<br />

zum Schutz der Alpen“, abgegeben am 27./28. August 1988 durch Bundesministerin<br />

für Umwelt, Jugend und<br />

Familie, Dr. Marilies Flemming, und<br />

die 2. Nationalratspräsidentin, Dr.<br />

Marga Hubinek, auf der Osttiroler<br />

Seite des Großvenedigers in der Gemeinde<br />

Prägraten (www.cipra.at).<br />

Zweifelsfrei wurden in den oben genannten<br />

Dokumenten die Probleme<br />

resultierend aus dem überbordenden<br />

Verkehr, die Belastungen durch<br />

Winter- und Sommerfremdenverkehr<br />

und Großprojekte der Wasserenergiegewinnung<br />

erkannt und als<br />

Grundlagen für die Ausarbeitung<br />

von Lösungen gesehen. Die alpenpolitische<br />

Existenz und Bedeutung<br />

dieser Dokumente wird heute meistens verschwiegen.<br />

Der Zeitpunkt, <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach Unterzeichnung, der Rahmenkonvention eröffnet<br />

nun den Anlass, auf diese Ausgangslage hinzuweisen und somit auch die<br />

Alpen(konventions)politik zu bilanzieren. Viele <strong>Jahre</strong> hindurch wurde nämlich die<br />

I. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen 1989 in Berchtesgaden und die dort<br />

beschlossene Resolution als Meilenstein der Alpenpolitik gesehen und in heiklen<br />

Phasen der Ausverhandlung der Protokollinhalte, insbesondere des Verkehrsprotokolls,<br />

der legendäre „Geist von Berchtesgaden“ beschworen.<br />

Es geht nicht um Schuldzuweisungen an d i e Politik, weil sich d i e <strong>Alpenkonvention</strong><br />

(noch) nicht so entwickelt hat, wie es der Geist von Berchtesgaden versprach.<br />

Zu komplex ist d i e <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren Inhalten, Abläufen, Stakeholder-<br />

118 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


spektrum und im Laufe der <strong>Jahre</strong> an sich gezogenen Themen, und zu vielschichtig,<br />

wenig einschätzbar und kaum interessiert ist die Politik geworden, welche<br />

dieses politische Instrument einfach anschieben müsste, um es am Leben zu erhalten<br />

und um Umsetzungserfolge zu erzielen.<br />

Viel Kompetenz auf der Habenseite<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> gilt <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach ihrer Unterzeichnung und 15 <strong>Jahre</strong> nach<br />

In-Kraft-Treten der Durchführungsprotokolle (Österreich, Liechtenstein, Deutschland<br />

im <strong>Jahre</strong> 2002) als Kompetenzzentrum par excellence durch das große<br />

angesammelte Wissen aus den Arbeitsgruppen, Plattformen, der Arbeit des<br />

Überprüfungsausschusses, der Alpenzustandsberichte und der Beiträge der Beobachterorganisationen<br />

und der Zivilgesellschaft (Haßlacher, 2014: <strong>25</strong>1). Mehrfach<br />

wird die <strong>Alpenkonvention</strong> mittlerweile als Wissenspool und Kompetenzzentrum<br />

für die europäische Alpenraumstrategie EUSALP und ihre Arbeitsgruppen<br />

gesehen (Nasi, 2013; Declaration oft he XIV th Alpine Conference on Fostering a<br />

Sustainable Economy in the Alps“, 2016). Während der Amtstätigkeit von Generalsekretär<br />

Marco Onida gab es eine fürwahr starke Publikationstätigkeit.<br />

Obschon die Zahl der rechtlich „harten“, verbindlich und unmittelbar anwendbaren<br />

Artikel in den Durchführungsprotokollen<br />

nicht allzu groß ist und<br />

der Implementierungsprozess<br />

auch in Österreich<br />

mitunter sehr zäh<br />

voranschreitet, zeigt<br />

allein die Existenz der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> und<br />

die Praxis der Rechtsanwendung<br />

eine politisch<br />

präventive Wirkung.<br />

Bei den gut besuchten Workshops der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />

wird die Rechtsauslegung der einzelnen Durchführungsprotokolle<br />

genau erläutert.<br />

Neben mittlerweile<br />

reich gefächerten Behördenentscheidungen<br />

und Erkenntnissen von<br />

Höchstgerichten entwickelt<br />

sich die bei CIPRA<br />

Österreich eingerichtete<br />

Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> als eine höchst professionelle und mit<br />

langjähriger Erfahrung gespickte Auskunftsstelle zu Fragen der rechtlichen Anwendung<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> (Tschon, 2015; www.cipra.at, siehe Seite 132 in<br />

diesem Band). Bisher wurden 40 zum Teil umfangreiche Stellungnahmen abgege-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

119


Das Verkehrsprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong> verbietet den Bau neuer hochrangiger<br />

Straßen durch die Alpen. Ein Weiterbau der Alemagna in Richtung<br />

Norden in den Bezirk Lienz ist daher nicht möglich.<br />

ben, fanden jährlich Workshops mit dem Schwerpunkt auf der juristischen Umsetzung<br />

ausgewählter Durchführungsprotokolle statt, und wurden 2016 erstmals<br />

die Ergebnisse des Workshops zum Energieprotokoll im Verlag Österreich veröffentlicht<br />

(Essl/Schmid, 2016; siehe dazu auch Hinweis in diesem Band auf Seite<br />

133). In <strong>Alpenkonvention</strong>skreisen taucht auch manchmal Kritik an der in Österreich<br />

anscheinend zu rechtslastig stattfindenden Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

auf. Die Umsetzung eines Rechtskonstrukts findet nun aber einmal auf dem<br />

Rechtswege statt, ist von den Behörden anzuwenden, von Konsenswerbern Ernst<br />

zu nehmen und wird von NGOs als Instrument zur Durchsetzung von Interessen<br />

der Zivilgesellschaft gesehen. CIPRA Österreich weist in diesem Zusammenhang<br />

immer wieder auf die Dualität der <strong>Alpenkonvention</strong> als juristisches Instrument<br />

und Mittel für eine nachhaltige Alpenraumentwicklung durch entsprechende<br />

Projekte und zielgerichtete Rahmenbedingungen hin. Wenn die wirtschaftspolitischen<br />

Inhalte und Handlungsoptionen in den Durchführungsprotokollen nicht<br />

erkannt und aufgegriffen werden, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass bestimmte<br />

(Wirtschafts-)<br />

Kreise die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

als „Verhinderungsinstrument“<br />

hinstellen und damit<br />

nicht akzeptieren.<br />

Ohne Zweifel hat die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> bereits<br />

sehr früh eine<br />

präventive Wirkung<br />

entfaltet. So zum Beispiel<br />

in Hinblick auf<br />

große verkehrsinfrastrukturelle<br />

Projekte<br />

(Alemagna – Belluno/<br />

München; Ulm – Mailand),<br />

schitouristische<br />

Erschließungsprojekte<br />

vor dem Hintergrund von Artikel 11 Absatz 1 „Schutzgebiete“ im Protokoll „Naturschutz<br />

und Landschaftspflege“, „labile Gebiete“ im Artikel 14 Absatz 1 3. Anstrich<br />

im Protokoll „Bodenschutz“ oder zum Beispiel Artikel 6 Protokoll „Tourismus“<br />

ausgewogenes Verhältnis zwischen intensiven und extensiven Tourismusformen.<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> trägt dazu bei, die Alpengesamtheit zu sehen und ihre Anliegen<br />

durch Kooperationen und Netzwerke zu stärken. Eine besondere Bedeutung<br />

nimmt darin das Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ (Stand 2015: 92<br />

Mitglieder mit 274 Gemeinden alpenweit) und der Verein Alpenstädte ein (18<br />

120 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Mitglieder). Den wissenschaftlichen Beitrag leistet das Internationale Wissenschaftliche<br />

Komitee Alpenforschung ISCAR. An der Universität Innsbruck hat sich<br />

im Nachgang an die großartige Unterstützung der Universität Innsbruck unter<br />

Magnifizenz Univ.-Prof. Dr. Hans Moser um die Bewerbung der Landeshauptstadt<br />

Innsbruck um den Sitz des Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong> (Zuschlag<br />

anlässlich der VII. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen 2002 in Meran)<br />

der Forschungsschwerpunkt „Alpiner Raum – Mensch und Umwelt“ (www.uibk.<br />

ac.at/alpinerraum) entwickelt. Leider hat das 2009 durch Generalsekretär Marco<br />

Onida initiierte Regionen-Netzwerk der Alpen nach drei Konferenzen (Chambery,<br />

Trient, Brdo) keine<br />

Fortsetzung erlebt.<br />

Damit geht jedenfalls<br />

die Vorhaltung an die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> ins<br />

Leere, sie habe sich<br />

nicht um die Regionen<br />

kümmern wollen<br />

und deshalb sei<br />

eine makroregionale<br />

Alpenraumstrategie<br />

mit den Regionen so<br />

wichtig. In Österreich<br />

wurde auf Initiative<br />

des Österreichischen<br />

Alpenvereins/Fachabteilung<br />

Raumplanung-<br />

Naturschutz das Netzwerk „Alpiner Bergsteigerdörfer“ mit Förderung durch das<br />

BMLFUW und später durch das LE-Programm der EU gestartet (Haßlacher, 2004).<br />

Dieses österreichische Projekt zur Unterstützung kleiner und feiner Alpenorte<br />

ohne große Infrastrukturen wird nunmehr Zug um Zug auf andere Vertragsstaaten<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> erweitert.<br />

Alle diese Netzwerkaktivitäten lassen nach außen in der Öffentlichkeit das gesamtstaatliche<br />

Desinteresse an der Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht mit<br />

aller Deutlichkeit erscheinen und überdecken auch die Tatsache, dass mit der<br />

Schweizerischen Eidgenossenschaft ein zentraler Alpenstaat kein einziges Durchführungsprotokoll<br />

ratifiziert hat und die Europäische Kommission immer deutlicher<br />

im alpenkonventionspolitischen Abseits steht.<br />

… Das zeigt Grenzen auf<br />

Die Regionen-Netzwerk Konferenzen, wie etwa in Trient, fanden keine Fortsetzung.<br />

CIPRA International hat bereits im <strong>Jahre</strong> 1996 sehr nachdrücklich nach dem<br />

In-Kraft-Treten der Rahmenkonvention 1995 in ihrem Aktionsplan für die Um-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

121


setzung der <strong>Alpenkonvention</strong> auf die Finanzierung vordringlicher gemeinsamer<br />

Maßnahmen hingewiesen (CIPRA, 1996). Darin wird die Einrichtung eines öffentlichen<br />

Alpenfonds vorgeschlagen. Der Einsicht, dass der Mehrwert der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

durch umgesetzte Projekte sichtbar gemacht werden muss, mag zwar<br />

vorhanden gewesen sein, wurde aber bis heute nicht zum Durchbruch verholfen.<br />

Das in Österreich derzeit dem BMLFUW zur Verfügung stehende <strong>Jahre</strong>sbudget<br />

beträgt € 315.000,- (inkl. Finanzierungsbeitrag für das Ständige Sekretariat in<br />

Innsbruck), während der Vorsitzjahre 2017/2018 € 450.000,-, was weniger als<br />

ein Viertel des vom deutschen Vorsitz veranschlagten Budgetrahmens ausmacht.<br />

Ein möglichst unbürokratischer Budgetansatz für Kleinstprojekte zum Anstoßen<br />

einer nachhaltigen Orts- und Regionalentwicklung könnte viel bewirken. In diese<br />

Bresche wird nun die EUSALP springen, wo von politischer Seite die möglichst<br />

rasche Finanzierung und Umsetzung von Projekten erwartet wird. Der Alpentross<br />

wird also weiterziehen:<br />

i Pionierphase des professionellen Alpenschutzes<br />

i <strong>Alpenkonvention</strong><br />

i EUSALP<br />

Leider hat der Wille nicht mehr gereicht, die drei noch ausstehenden Protokolle<br />

Wasserhaushalt, Luftreinhaltung und Abfallwirtschaft auszuverhandeln.<br />

Statt sich nun um den Kern der Umsetzung der Protokolle zu kümmern, werden<br />

inhaltsleere soft-policy-Deklarationen verabschiedet (zum Beispiel Nachhaltige<br />

Raumentwicklung, Grünes Wirtschaften), welche alsbald die tatsächliche Umsetzung<br />

der Protokollinhalte vergessen lassen werden. Der Mainstream der alpenpolitischen<br />

Entwicklungen wird in den Aktionsgruppen der EUSALP kreiert werden,<br />

die <strong>Alpenkonvention</strong> vielleicht noch als Wissenspool und umweltpolitisches<br />

Korrektiv benötigt. Sehr schnell wird die (berechtigte) Frage auftauchen, wozu<br />

parallele Arbeitsgruppen von <strong>Alpenkonvention</strong> und EUSALP zu ein und demselben<br />

Thema bestehen? Da kommt es dann auf das Selbstverständnis der für die<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> verantwortlichen Vertragsparteien an, ob sie die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

im Anlassfall verteidigen werden.<br />

Sind die Hoffnungen und Versprechungen in den Bereichen Verkehr,<br />

Alpiner Freiraumschutz und touristische Entwicklung aufgegangen?<br />

Wie schon eingangs ausgeführt, waren für die Alpen-NGOs 1988/89 vorrangig<br />

die Themenbereiche Alpine Raumordnung, touristische Übererschließung und<br />

die Verkehrsbelastung ausschlaggebend dafür, dass sie sich auf den Prozess der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong> eingelassen haben. Es würde aus heutiger Sicht der Arbeit der<br />

NGOs nicht gerecht werden, würde man diese nur auf das oben genannte Aufgabenspektrum<br />

reduzieren wollen. Nicht-Regierungsorganisationen weisen in der<br />

122 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Zwischenzeit ein wesentlich breiteres Tätigkeitsfeld auf und haben die Transformation<br />

vom allein verhindernden Tun längst hin zur mitgestaltenden Kraft geschafft.<br />

Trotzdem sei es erlaubt, <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der Rahmenkonvention<br />

und knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach In-Kraft-Treten der Protokolle eine kurze Bewertung<br />

– vornehmlich aus österreichischer NGO-Sicht – zu treffen.<br />

Verkehr<br />

Die Bewertung des Verkehrsprotokolls ist schwierig. Mit Sicherheit besitzt dieses<br />

Leitprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong> einen präventiven Charakter, dass zum Beispiel<br />

größere Straßenbauprojekte für den alpenquerenden Verkehr erst gar nicht<br />

angefangen worden sind. Die Projekte „Alemagna“ (Venedig – München über<br />

den Bezirk Lienz) oder die „Ulm – Mailand“ (in Österreich durch die Bezirke Reutte,<br />

Imst und Landeck) tauchen trotz des in Kraft gesetzten Verkehrsprotokolls<br />

immer wieder von Neuem auf. Es scheint zumindest derzeit, dass solche Projekte<br />

in Zusammenhang mit den EUSALP-Strategien der „missing links“ und „interconnectivity“<br />

neuen Aufschwung erleben und Rückenwind auf der europäischen<br />

Ebene verspüren. Nicht<br />

anders kann etwa die<br />

Zustimmung des Ver-<br />

Blick in den Talboden von Nassereith. Dahinter der Simmering-Tschirgantkamm,<br />

durch diesen der Tunnel ins Inntal geplant ist.<br />

kehrsausschusses im<br />

Europäischen Parlament<br />

vom Oktober 2016 zum<br />

Weiterbau der Alemagna<br />

in Richtung Norden<br />

(bis in den Bezirk Lienz)<br />

auf hauptsächliches Treiben<br />

von Vertretern aus<br />

dem Veneto ausgelegt<br />

werden. Gott sei Dank<br />

ist das Europäische Parlament<br />

dieser Beschlusslage<br />

nicht gefolgt. In den Bezirken Reutte und Imst startete ziemlich zeitgleich<br />

die Diskussion zum wiederholten Male darüber, wie der Verkehr von der bei der<br />

deutsch-österreichischen Staatsgrenze bei Füssen endenden Autobahn über<br />

die Bezirke Reutte und Imst (Fernpass) mittels neuer Tunnels ins Inntal gelenkt<br />

werden kann. Dazu wurde nunmehr sogar eine Petition betreffend „Ausbau der<br />

Fernpassroute – Bau des Tschirganttunnels“ an den österreichischen Nationalrat<br />

eingebracht (90/PET vom 12.10.2016 XXV.GP). Dabei spielt der geplante Zusammenschluss<br />

der beiden Gletscherschigebiete von Pitz- und Ötztal mit 64 Hektar<br />

an neuen Schipisten als Zielgebiet des Verkehrs eine nicht unwichtige Rolle.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

123


Mit Ausnahme von Maßnahmen im öffentlichen Verkehr und bei tourismusbezogenen<br />

Transporten ist unter der Flagge des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

wenig Greifbares zu vermerken.<br />

Alpine Freiräume und ihre raumordnerische Sicherung<br />

Die Implementierung der Durchführungsprotokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> zum<br />

Schutz und zur Sicherung bisher unerschlossener Gebirgsräume vor intensiver<br />

Erschließung ist kaum vorangekommen, obschon diese Absicht in der „Berchtesgadener<br />

Resolution“ von<br />

1989 und in einzelnen<br />

Protokollen (Stichwort<br />

„Ruhezonen“) prominent<br />

verankert ist. Ungeachtet<br />

dessen steuert<br />

der Alpenraum auf eine<br />

kaum da gewesene Erschließungswelle<br />

und<br />

Zerschneidung ganzer<br />

Gebirgsgruppen durch<br />

großräumige Schigebietszusammenschlüsse<br />

zu. Es gilt das aktuelle<br />

Prinzip der Gigantomanien:<br />

„größtes Schigebiet<br />

Österreichs“ am<br />

Arlberg, Projekt des<br />

„weltgrößten Gletscherschigebietes“<br />

durch den<br />

Foto oben: Den geplanten Zusammenschluss zwischen dem Pitztaler<br />

und Ötztaler Gletscherschigebiet kann man nur mehr als Gigantonomie<br />

bezeichnen, denn allein rund um den Linken Fernerkogel und die Braunschweiger<br />

Hütte (Bild), sollen im Ausmaß von 64 Hektar Seilbahnen, Pisten,<br />

Beschneiungsteich, Restauration, usw. entstehen.<br />

Foto unten: Obwohl der imposante Karststock des Warscheneck-Massivs<br />

unter Naturschutz steht und zudem ein wichtiges Wasserreservoir<br />

darstellt, sind Seilbahnen und Pisten durch diese Gebirgslandschaft geplant.<br />

Zusammenschluss der<br />

Gletscherschigebiete des<br />

Ötz- und des Pitztales,<br />

größtes „Winter Opening<br />

der Alpen – Snow Break<br />

Europe“ in Schladming,<br />

zweitgrößter Skikartenverbund<br />

der Welt in Salzburg<br />

und Tirol ... – um<br />

des kurzfristigen Wettbewerbsvorteils.<br />

Die nationalen Vertretungen<br />

der Internationa-<br />

124 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


len Alpenschutzkommission CIPRA in Deutschland, Österreich und von Südtirol<br />

fordern deshalb zu Recht mehr Engagement der Gremien der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

zur Stärkung der Alpinen Raumordnung (Haßlacher, 2016). Im „Grassauer Appell“<br />

vom 12. Oktober 2016 an die XIV. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />

drängen sie auf ein „Moratorium<br />

beim Ausbau von Skigebieten mit dem<br />

Ziel der Entwicklung von Raumplanungsregularien<br />

auf Basis der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

für eine staaten- und regionenübergreifende<br />

Alpine Raumordnung“ (siehe Seiten<br />

129 – 131 in diesem Band).<br />

Erschwerend kommt für den Alpenschutz<br />

hinzu, dass die Seilbahnindustrie<br />

in vermehrtem Maße in die Sanktuarien<br />

des Alpenschutzes und der Alpinen<br />

Raumordnung eingreifen will: Naturschutzgebiet<br />

„Warscheneck-Nord“ (OÖ),<br />

Ruhegebiet „Kalkkögel“ (T), „Bayerischer<br />

Alpenplan“ (Riedberger Horn) im deutschen<br />

Alpengebiet, usw.<br />

Hilfestellung kommt möglicherweise<br />

durch die konsequente Anwendung des<br />

Bodenschutzprotokolls „labile Gebiete“,<br />

des Tourismusprotokolls für die Gleichrangigkeit<br />

von extensiven und intensiven<br />

Tourismusformen in touristischen Intensivgebieten<br />

und des Protokolls Naturschutz<br />

und Landschaftspflege mit dem Artikel über Schutzgebiete. Die Artikel zu<br />

den Ruhezonen in den Protokollen werden als black boxes bisher umschifft.<br />

Touristische Entwicklung<br />

Der seit Beginn der 1970er-<strong>Jahre</strong> bestehende<br />

Bayerische Alpenplan, soll für eine geplante<br />

Schierschließung (Riedberger Horn) ausgehebelt<br />

werden.<br />

Zwar liegt seit dem <strong>Jahre</strong> 2013 der Alpenzustandsbericht „Nachhaltiger Tourismus<br />

in den Alpen“ vor (Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>, 2013), doch<br />

an der generellen touristischen Ausrichtung hat sich wenig geändert. Dieser ExpertInnenbericht<br />

ist für Insider interessant, dringt aber nicht an die breite Öffentlichkeit<br />

und politikrelevante Kreise vor. Denn der infrastrukturintensive Tourismus<br />

des Winters scheint nun auch zum Vorbild für den Sommer zu werden. Die<br />

touristisch wenig bis gar nicht genutzten stillen Räume der Alpen werden kleiner<br />

und weniger, die Verdichtung der Tourismusaktivitäten nimmt laufend zu und<br />

wird neuerdings auch von den etablierten Bergsportorganisationen befeuert. Es<br />

wundert daher nicht, dass die Forst- und Jagdvereine dagegen Sturm laufen und<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

1<strong>25</strong>


sich Bündnisse der besonderen Art zum Beispiel zwischen Jägern und Seilbahngesellschaften<br />

bilden.<br />

Der Status quo ist meilenweit von der Anwendung alpenweit geltender Vereinbarungen<br />

für eine Begrenzung des touristischen Wachstums, für Endausbaugrenzen<br />

und für eine ausbalancierte Alpine Raumordnung entfernt. Nur über<br />

eine alpenweit eingerichtete Plattform – wie eben auf besondere Art und Weise<br />

die völkerrechtlich verbindliche <strong>Alpenkonvention</strong> – kann die Anstrengung unternommen<br />

werden, die gegenseitige und nahezu automatisierte Aufschaukelung<br />

der Investitionen in immer mehr Fläche, Events und Werbeetats zu überwinden.<br />

Keine Region wird von<br />

sich aus auf weitere<br />

Erschließungen<br />

verzichten wollen,<br />

wenn sie nicht wirklich<br />

sicher weiß, dass<br />

auch für andere benachbarte<br />

Regionen<br />

dieselben Spielregeln<br />

gelten. Unter dem<br />

Verweis auf Klimawandel,<br />

sich auch in<br />

touristischen Zentren<br />

ändernde demogra-<br />

Das Projekt der „Bergsteigerdörfer“ ist zu einem Herzeigeprojekt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

geworden (Hüttschlag, Salzburg).<br />

phische Entwicklungen<br />

(= Abwanderung;<br />

Dax et al., 2016),<br />

Marktsättigung, usw.<br />

hat sich die CIPRA<br />

mehrfach an die <strong>Alpenkonvention</strong>sgremien gewandt und dringenden Handlungsbedarf<br />

signalisiert. Kein Erfolg!<br />

Mit Stolz verweise ich auf das vom Verfasser zu Beginn dieses Jahrtausends erfundene<br />

und mühevoll gestartete Projekt der „ÖAV-Bergsteigerdörfer“, welches<br />

heute als <strong>Alpenkonvention</strong>sherzeigeprojekt bezeichnet wird (Haßlacher, 2004).<br />

Ein kurzes Resümee<br />

Bei Betrachtung der dargestellten Herzensanliegen der Alpen-NGOs ist leicht<br />

feststellbar, dass die ursprünglich in die <strong>Alpenkonvention</strong> gesetzten Erwartungen<br />

nicht in Erfüllung gegangen sind. Trotzdem haben diese das Vorhaben und die<br />

Umsetzung des Vertragswerks stets unterstützt, Strategien entwickelt, Projekte<br />

entworfen und umgesetzt. CIPRA Österreich hat den in Österreich gemeinsam<br />

getragenen, abgestimmten und diskutierten Alpenprozess als den „österrei-<br />

126 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


chischen Weg“ bezeichnet (CIPRA Österreich, 1996). Dieser gemeinsame Weg<br />

mit den NGOs ist nach einem Vierteljahrhundert guter Kooperation in Gefahr<br />

geraten. Es ist mehr als legitim und angebracht, wenn von NGOs und aus der<br />

Zivilgesellschaft der dringende Appell zur Umsetzung der als Ausgangslage und<br />

Geschäftsgrundlage zu bezeichnenden Grundforderungen an die Politik gerichtet<br />

wird. Das wird aber in Österreich nicht gerne gesehen. Ja, die politische Lage<br />

und die Zusammensetzung der Gremien haben sich geändert. Wurde früher beispielsweise<br />

der Ländervertreter in die österreichische Delegation zum Überprüfungsausschuss<br />

mit einem anerkannten Umweltjuristen des Landes Tirol besetzt,<br />

so ist es jetzt der beamtete Seilbahnrechtler des Landes Tirol.<br />

Trotzdem wird die Diskussion über die Überbelastungen resultierend aus Verkehr<br />

und Tourismus nicht mehr vom Tisch zu wischen sein. Sie wird bei ständigem<br />

Ignorieren nur noch heftiger werden.<br />

Persönlich möchte ich die vielen <strong>Jahre</strong> „mit der <strong>Alpenkonvention</strong>“ nicht vermissen,<br />

habe viel gelernt, erfahren und weiß besser, wie manche Situationen und<br />

Sachlagen einzuschätzen sind. Man lernt im Laufe der <strong>Jahre</strong> auch, für was sich<br />

der Einsatz lohnt. Effizienz und Schlagzahl der <strong>Alpenkonvention</strong> mag in Diplomatenkreisen<br />

okay sein, nur in der derzeitigen „Lage der Alpen“ ist sie eindeutig zu<br />

niedrig.<br />

Literatur<br />

CIPRA International (1996): Aktionsplan zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> – ein Vorschlag<br />

der CIPRA. CIPRA Info Nr. 42, S. 1 – 3.<br />

CIPRA Österreich – Hrsg. (1996): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Der österreichische Weg. Wien,<br />

119 S. (ISBN 3-900-711-60/7)<br />

Danz, W. – Hrsg. (1989): Umweltpolitik im Alpenraum. Ergebnisse der Internationalen<br />

Konferenz 24.-<strong>25</strong>.06.1988 in Lindau (Bodensee). CIPRA Schriften Bd. 5, 528 S.<br />

Dax, T. et al. (2016): Regionen mit Bevölkerungsrückgang. Experten-Impulspapier zu regional-<br />

und raumordnungspolitischen Entwicklungs- und Anpassungsstrategien.<br />

Analyse und strategische Orientierungen. Endbericht i.A. des Bundeskanzleramtes<br />

Österreich. Wien, 95 S.<br />

Essl, J. u. S. Schmid – Hrsg. (2016): Das Protokoll „Energie“ der <strong>Alpenkonvention</strong>. Umsetzung<br />

und Anwendung in Österreich. CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />

Bd. 1. Wien: Verlag Österreich.<br />

Haßlacher, P. (2004): Entwicklung und Förderung von Bergsteigerdörfern – Zukunftsaufgabe<br />

für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>. In: Haßlacher, P. (Red.): Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– Markierungen für Ihre Umsetzung (= Fachbeiträge des Oesterreichischen<br />

Alpenvereins – Serie: Alpine Raumordnung Nr. 24). Innsbruck, S. 36 – 45.<br />

Haßlacher, P. (2014): Die <strong>Alpenkonvention</strong> auf dem mühevollen Weg zur Umsetzung. In:<br />

Chilla, T. (Hrsg.): Leben in den Alpen. Verstädterung, Entsiedlung und neue Aufwer-<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

127


tungen. Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern: Haupt Verlag, S.<br />

247 – <strong>25</strong>7.<br />

Haßlacher, P. (2016): Neue Alpine Raumordnungsarchitektur dringend gefordert. Vertragsstaaten<br />

der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Verantwortung. In: Innsbruck alpin ( = Mitteilung<br />

der Innsbrucker Alpenvereinssektionen ), H. 3, S. 37 – 41.<br />

Haßlacher, P. (2016 ): <strong>Alpenkonvention</strong> muss Alpine Raumordnung endlich stärken. In:<br />

Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 02/2016, S.<br />

7 – 9.<br />

Haßlacher, P. (2016): <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – eine durchwachsene Bilanz. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 03/2016, S. 1.<br />

Nasi, A. (2013): Die <strong>Alpenkonvention</strong> als hervorragendes Kompetenzzentrum für die<br />

künftige EU-Alpenraumstrategie. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung<br />

für die Alpen Nr.73/2013, 04/2013, S. 6 – 7.<br />

Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2013): Nachhaltiger Tourismus in den<br />

Alpen. Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong> Alpensignale – Sonderserie 4. Innsbruck,<br />

152 S.<br />

Tschon, W. (2015): Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> hat sich bewährt. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />

– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 80/2015, 04/2015, S. 2.<br />

Wicker, H.-R. (2003): Ist Kultur messbar? In: Schweizerische Akademie der Geistes- und<br />

Sozialwissenschaften (Hrsg.): Kulturelle Diversität im Alpenraum (= Schriftenreihe<br />

des Schwerpunktes „Alpen-Forschung“). Bern, S. 39 – 51 (ISBN 3-907835).<br />

128 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Der „Grassauer Appell“ von CIPRA<br />

Deutschland, Österreich und Südtirol<br />

an die XIV. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />

Die Alpenstaaten haben vor <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n mit der <strong>Alpenkonvention</strong> ein einzigartiges<br />

Instrument zur nachhaltigen Entwicklung einer zusammenhängenden Bergregion<br />

– den Alpen – geschaffen. Die nationalen und regionalen Vertretungen der Internationalen<br />

Alpenschutzkommission CIPRA 1 von Deutschland, Österreich und<br />

Südtirol nehmen dies zum Anlass, an die vereinbarten Grundwerte zu erinnern<br />

und deren Umsetzung anzumahnen.<br />

In der <strong>Alpenkonvention</strong> ist festgehalten, dass die alpine Staatengemeinschaft<br />

und die Europäische Gemeinschaft eine ganzheitliche Politik zum Schutz der Alpen<br />

und zum Wohle der alpinen Bevölkerung entwickeln will, unter Beachtung<br />

des Vorsorge-, des Verursacher- und des Kooperationsprinzips insbesondere in<br />

den Bereichen<br />

Raumplanung – mit dem Ziel einer ausgewogenen und dem kulturellen Erbe<br />

entsprechenden Entwicklung des Gesamtraumes mit sparsamer und rationeller<br />

Flächennutzung unter besonderer Beachtung der Naturgefahren, der Vermeidung<br />

von Über- und Unternutzungen sowie der Erhaltung oder Wiederherstellung<br />

der natürlichen Lebensgrundlagen durch vorausschauende integrierte Planung<br />

mit umfassender Klärung und Abwägung der nachfolgend aufgeführten<br />

Nutzungsbereiche, sowie Abstimmung der daraus resultierenden Maßnahmen,<br />

Naturschutz und Landschaftspflege – mit dem Ziel, Natur und Landschaft<br />

so zu schützen, zu pflegen und, soweit erforderlich, wiederherzustellen,<br />

dass die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme, die Erhaltung der Tier- und Pflanzenwelt<br />

einschließlich ihrer Lebensräume, die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige<br />

Leistungsfähigkeit der Ökosysteme sowie Vielfalt, Eigenart und Schönheit<br />

der Natur und Landschaft in ihrer Gesamtheit dauerhaft gesichert werden,<br />

1<br />

Die nationalen und regionalen Vertretungen der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA<br />

von Deutschland, Österreich und Südtirol arbeiten bei brennenden alpenpolitischen Fragestellungen<br />

länderübergreifend auf dem Fundament der <strong>Alpenkonvention</strong> zusammen.<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

129


Tourismus und Freizeit – mit dem Ziel, die touristischen und Freizeitaktivitäten<br />

mit den ökologischen und sozialen Erfordernissen in Einklang zu bringen,<br />

insbesondere durch Festlegung von Ruhezonen<br />

Verkehr – mit dem Ziel, Belastungen und Risiken im Bereich des inneralpinen<br />

und alpenquerenden Verkehrs auf ein Maß zu senken, das für Menschen, Tiere<br />

und Pflanzen sowie deren Lebensräume erträglich ist, unter anderem durch eine<br />

verstärkte Verlagerung des Verkehrs, insbesondere des Güterverkehrs, auf die<br />

Schiene, vor allem durch die Schaffung geeigneter Infrastrukturen und marktkonformer<br />

Anreize, ohne Diskriminierung aus Gründen der Nationalität,<br />

Energie – mit dem Ziel, eine natur- und landschaftsschonende sowie umweltverträgliche<br />

Erzeugung, Verteilung und Nutzung der Energie zu erreichen und<br />

energieeinsparende Maßnahmen zu fördern.<br />

Vor diesem Hintergrund fordern CIPRA Deutschland, CIPRA Österreich und<br />

CIPRA Südtirol die für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> verantwortlichen<br />

Staaten und Regionen auf,<br />

1. die Ziele der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Protokolle in die makroregionale Strategie<br />

für den Alpenraum (EUSALP) zu integrieren und umzusetzen.<br />

Die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> und der Durchführungsprotokolle sowie Deklarationen<br />

müssen für die operative Umsetzung in den Arbeits- und Leitungsgruppen<br />

der EUSALP Maßstab und Verpflichtung sein.<br />

2. alpenweit die Raumplanungs- und Entwicklungspolitiken zu harmonisieren,<br />

um der naturzerstörenden Versiegelung der Landschaft entgegenzuwirken.<br />

Der Verbrauch von Natur und Landschaft muss alpenweit gestoppt werden,<br />

um Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ihrer Funktionen zu erhalten.<br />

3. die Vorgaben der Landesplanung strikt einzuhalten und die Schutzgebiete zu<br />

erhalten, möglichst zu erweitern sowie neue zu entwickeln oder auszuweisen,<br />

um mit Schon- und Ruhezonen einen alpenweit funktionsfähigen ökologischen<br />

Verbund zu knüpfen.<br />

Die natürliche Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten kann nur erhalten werden,<br />

wenn deren Lebensräume auch ausreichend vernetzt sind.<br />

4. für die weitere flächenmäßige Entwicklung des Tourismus ein einfach anwendbares<br />

Instrument der Raumplanung zu entwickeln, das ein geordnetes Nebeneinander<br />

von intensiven Freizeitaktivitäten sowie von „sanftem“ Tourismus<br />

und beruhigten Räumen ermöglicht. Der Alpenraum muss vor einer ungeordneten<br />

Zulassung von Erschließungsprojekten geschützt werden.<br />

● Dazu ist zunächst ein Moratorium beim Ausbau von Skigebieten mit dem<br />

Ziel der Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus notwendig.<br />

● Es müssen Raumplanungsregularien auf Basis der <strong>Alpenkonvention</strong> für eine<br />

130<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


staaten- und regionenübergreifende Alpine Raumordnung entwickeln werden.<br />

5. die Belastungen durch den Verkehr auf ein für Mensch und Umwelt verträgliches<br />

Maß zu reduzieren.<br />

● Durch eine alpenweite Harmonisierung der Benutzungsgebühren an Alpenübergängen.<br />

So sind Ausweichverkehre zu verhindern, die zu Überlastungen<br />

an einzelnen Übergängen führen.<br />

● Durch die Einführung eines alpenweit gültigen „Cap and trade“-Prinzips, um<br />

den Transport von Gütern auf ein alpen- und raumverträgliches Maß zu begrenzen.<br />

● Durch die bessere Lenkung der durch den Tourismus induzierten Verkehre,<br />

insbesondere durch verstärkte Angebote im öffentlichen Verkehr.<br />

6. die Erzeugung von erneuerbaren Energien im Einklang mit den Erfordernissen<br />

des Natur- und Umweltschutzes und der Raumplanung zu fördern sowie<br />

Maßnahmen zur Energieeinsparung insbesondere bei Produktionsprozessen,<br />

im Verkehr sowie im privaten Haushalt und im Tourismus zu ergreifen.<br />

Erwin Rothgang Peter Haßlacher Klauspeter Dissinger<br />

CIPRA Deutschland CIPRA Österreich CIPRA Südtirol<br />

Grassau, am 13. Oktober 2016<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

131


Die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />

bei CIPRA Österreich<br />

Die über viele <strong>Jahre</strong> geplante und diskutierte Stollenbahn<br />

durch den Nationalpark Hohe Tauern zum Mölltaler Gletscher<br />

ist nach der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht realisierbar.<br />

Mit dem österreichweiten In-Kraft-Treten der Rahmenkonvention bzw. aller<br />

Durchführungsprotokolle in den <strong>Jahre</strong>n 1995 bzw. 2002 hat sich Österreich zur<br />

konsequenten Umsetzung des Übereinkommens verpflichtet.<br />

Die vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft<br />

unterstützte Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich<br />

setzt sich mit Fragen der rechtliche Auslegung der <strong>Alpenkonvention</strong>, insbesondere<br />

ihrer Protokolle auseinander.<br />

Ziel der Rechtsservicestelle ist es, vorhandene Berührungsängste mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />

sowie Wissens- und Anwendungsdefizite abzubauen, um in weiterer<br />

Folge Entscheidungsprozesse zu erleichtern und eventuell zu beschleunigen.<br />

Ein erlesener Kreis unabhängiger RechtsexpertInnen aus Wissenschaft, Verwaltung<br />

und Rechtsanwaltschaft<br />

bildet den Kern dieses für den<br />

Alpenraum einzigartigen und ehrenamtlich<br />

tätigen Gremiums.<br />

Konkret umfasst die Serviceleistung<br />

seitens der ExpertInnen eine<br />

erste, unverbindliche und allgemeine<br />

Auskunft zur rechtlichen<br />

Auslegung bzw. Umsetzung der<br />

<strong>Alpenkonvention</strong>. Mit dieser kostenlos<br />

arbeitenden Einrichtung<br />

wird sowohl Behörden, NGOs,<br />

Bürgerinitiativen als auch Privatpersonen<br />

eine rechtlich fundierte Hilfestellung gegeben. Die Auskunft ersetzt<br />

jedoch keinesfalls behördliche Ermittlungsverfahren oder etwa Gutachten von<br />

Sachverständigen. Auch nimmt das Expertengremium weder Projektbeurteilungen<br />

noch Überprüfungen von Bescheiden vor.<br />

Seit 2009 hat die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> 40 Stellungnahmen zu<br />

konkreten Anfragen abgegeben und die Anfragen nehmen laufend zu. Darunter<br />

befinden sich brisante Fälle wie die schitouristischen Erschließungsprojekte<br />

durch das Ruhegebiet „Kalkkögel“ (Tirol), die geplante Stollenbahn durch den<br />

Nationalpark Hohe Tauern zum Mölltaler Gletscher (Salzburg), das Naturschutzgebiet<br />

„Warscheneck-Nord“ (Oberösterreich), die Naturschutzgebiete „Kleinfragant“<br />

und „Wurten-West“ (Kärnten) oder auch zum Heliskiing in Vorarlberg.<br />

Durch die laufende Befassung mit der rechtlichen Implementierung der Inhalte<br />

der Durchführungsprotokolle der <strong>Alpenkonvention</strong>, besitzt die Rechtsservicestelle<br />

mittlerweile ein über <strong>Jahre</strong> exzellent aufgebautes Know-how.<br />

132 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

133


Notizen<br />

134 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>


Zeitspiegel<br />

<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />

1951 Idee einer Alpenschutzkonvention durch CIPRA International<br />

1988 Europäisches Parlament beschließt Ausarbeitung einer<br />

„Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />

1989 I. Alpenkonferenz in Berchtesgaden (D)<br />

1991 II. Alpenkonferenz in Salzburg (A)<br />

1994 III. Alpenkonferenz in Chambéry (F)<br />

1995 Einrichtung des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich<br />

1996 IV. Alpenkonferenz in Brdo (SLO)<br />

1998 V. Alpenkonferenz in Bled (SLO)<br />

2000 VI. Alpenkonferenz in Luzern (CH)<br />

2002 VII. Alpenkonferenz in Meran (I)<br />

2002 Ständiges Sekretariat nach Innsbruck vergeben; Außenstelle in Bozen<br />

2002 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Liechtenstein, Österreich<br />

und Deutschland<br />

2004 VIII. Alpenkonferenz in Garmisch-Partenkirchen (D)<br />

2004 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Slowenien<br />

2005 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Frankreich<br />

2006 IX. Alpenkonferenz in Alpbach (A)<br />

2008 X. Alpenkonferenz in Evian (F)<br />

2009 Einrichtung der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich<br />

2011 XI. Alpenkonferenz in Brdo pri Kranju (SLO)<br />

2012 XII. Alpenkonferenz in Poschiavo (CH)<br />

2013 Ratifizierung und In-Kraft-Treten des Verkehrsprotokolls durch die<br />

Europäische Union<br />

2014 XIII. Alpenkonferenz in Turin (I)<br />

2016 XIV. Alpenkonferenz in Grassau (D)<br />

www.cipra.org<br />

www.alpconv.org

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!