25_Jahre_Alpenkonvention
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<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Ein- und Ausblicke<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Ein- und Ausblicke
Die Publikation „<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Ein- und Ausblicke“ wurde aus<br />
Mitteln der Pensionsabfindung von Peter Haßlacher finanziert.<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Peter Haßlacher für CIPRA Österreich<br />
Fernkreuzweg 10a, A-6080 Igls<br />
E: peter.hasslacher@cipra.org<br />
CIPRA Österreich<br />
Salurnerstraße 1, A-6020 Innsbruck<br />
E: josef.essl@cipra.org<br />
I: www.cipra.at<br />
Layout und grafische Gestaltung<br />
Josef Essl (CIPRA Österreich)<br />
Satellitenbild<br />
Geospace International GmbH<br />
Fotonachweis<br />
A. Goller: S. 93<br />
A. Götz: S. 109<br />
A. Louvet: S. 62<br />
Büro Wilfried Haslauer: S. 82<br />
BMLFUW: S. 50<br />
C. Begle: S. 113<br />
E. Auer: S. 67<br />
E. Galle: S. 50<br />
feel-image – Fotografie e.U./Matern: S. 86<br />
Fotowerk Aichner: S. 84<br />
F. Gurgiser: S. 107 (o)<br />
G. Glantschnig: S. 101<br />
G. Liebl: S. 105 (o)<br />
G. Schindlbauer: S. 95 (o)<br />
H. Guggenberger: S. 49<br />
H. Naglmayr: S. 132<br />
H. Schlosser: S. 79, 92 (o)<br />
I. Hilber: S. 96<br />
J. Essl: S. 6, 10, 39, 55, 68, 80, 85, 92 (u), 94, 95 (u), 98, 102, 105 (u),<br />
106, 107 (u), 111 (u), 114, 115, 119, 120, 121, 123, 124<br />
M. Ploderer: S. 91 (o)<br />
P. Haßlacher: S. 118<br />
R. Gschöpf: S. 111 (o)<br />
R. Kals: S. 56<br />
S. Friedhuber: S. 124<br />
S. Schmid: S. 40<br />
S. Suchy: S. 99<br />
Salzburg Tourismus: S. 82<br />
Stadtarchiv Innsbruck: S. 89<br />
Tiroler Volkspartei/Maislinger: S. 88<br />
Tourismusverband Grossarltal: S. 126<br />
Tourismusverein Lunz a. See: S. 91 (u)<br />
W. Bätzing: S. 11<br />
W. Burhenne: S. 113<br />
W. Tschon: S. 97<br />
Wikipedia: S. 61<br />
Druck<br />
Sterndruck GmbH, Fügen (www.sterndruck.at)
Peter Haßlacher (Hrsg.)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Ein- und Ausblicke<br />
Innsbruck – Igls<br />
2016
INHALT<br />
Vorwort 6<br />
Werner Bätzing (Bamberg)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Bilanz und Ausblick 11<br />
Sebastian Schmid (Innsbruck)<br />
Auf der Suche nach dem effektiven <strong>Alpenkonvention</strong>srecht 40<br />
Ewald Galle (Wien)<br />
Bekenntnisse eines <strong>Alpenkonvention</strong>ssüchtigen 50<br />
Roland Kals (Salzburg)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Dornröschen in den Bergen und die<br />
sieben Zwerge 56<br />
Eva Lichtenberger (Hall i.T.)<br />
Die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> 62<br />
Josef Essl (Innsbruck)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich – einige Zahlen und Fakten 68<br />
Statements aus den Gebietskörperschaften<br />
Andrä Rupprechter (Wien)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein funktionierendes politisches Programm<br />
der Alpenstaaten und der EU 79<br />
Wilfried Haslauer (Salzburg)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> 81<br />
Christine Oppitz-Plörer (Innsbruck)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> als Versprechen für künftige Generationen 84<br />
Helmut Mödlhammer (Wien)<br />
Wie schaffen wir den Spagat zwischen modernen Lebenswelten<br />
und natürlichen Lebensräumen? 86<br />
Herwig van Staa (Innsbruck)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Bilanz und Ausblick 88<br />
Enge Begleiter der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Martin Ploderer (Lunz am See)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> 91<br />
4 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Josef Außerlechner (Kartitsch)<br />
Das Bergsteigerdorf ohne Grenzen setzt die <strong>Alpenkonvention</strong> um 93<br />
Gottfried Schindlbauer (Linz)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – wie soll es weitergehen? 95<br />
Walter Tschon (Innsbruck)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – Resümee und Ausblick. „Wo bleibt der<br />
politische Wille?“ 97<br />
Gerold Glantschnig (Klagenfurt-Irschen)<br />
Von der Alpenschutzkonvention zur <strong>Alpenkonvention</strong> 101<br />
Gerhard Liebl (Innsbruck)<br />
Wie geht es nach schwierigen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter? 105<br />
Fritz Gurgiser (Vomp)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein „Glücksfall“ 107<br />
Andreas Götz (Vaduz)<br />
Kooperationen und Projekte müssen Rechtsumsetzung ergänzen 109<br />
Reinhard Gschöpf (Wien)<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong>: spannender Versuch über das gemeinsame<br />
Finden und Vereinbaren neuer Grenzen 111<br />
Wolfgang E. Burhenne (Steinberg am Rofan)<br />
Die Gäste für die Alpen gewinnen! 113<br />
Peter Haßlacher (Innsbruck – Igls)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong>. Hat sich der lange<br />
und mühsame Weg zu einem besseren Alpenschutz gelohnt? 115<br />
Der „Grassauer Appell“ von CIPRA Deutschland, Österreich und Südtirol 129<br />
Die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich 132<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
5
VORWORT<br />
Ein Vierteljahrhundert nach der Unterzeichnung<br />
der Rahmenkonvention in der Salzburger Landeshauptstadt<br />
und knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach dem<br />
In-Kraft-Treten der Durchführungsprotokolle der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> ist ein entsprechend langer<br />
Zeitraum vergangen, um diesen „Alpenprozess“<br />
in geeigneter Form Revue passieren zu lassen,<br />
die gewonnenen Einblicke zu bewerten und Ausblicke<br />
in die nächsten <strong>Jahre</strong> zu wagen. Zwar ist in<br />
diesen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n mit unterschiedlicher Intensität<br />
und abhängig von aktuellen Themen und Ereignissen zumindest in Österreich<br />
sehr viel über die <strong>Alpenkonvention</strong> geschrieben worden (siehe P. Haßlacher Bibliographie<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> 1988 – 2015, www.cipra.at), doch fehlt ein zusammenfassender<br />
Überblick neueren Datums.<br />
„Der Galle“ (gemeint ist sein umfassendes Werk über die <strong>Alpenkonvention</strong> aus<br />
2002) ist mittlerweile auch schon 15 <strong>Jahre</strong> alt geworden, die umfassende Arbeit<br />
von Nicole Ehlotzky über das Verkehrsprotokoll aus 2014 beleuchtet eben nur<br />
ein Durchführungsprotokoll und über die jährlich stattfindenden Workshops von<br />
CIPRA Österreich und der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> zur vornehmlich<br />
rechtlichen Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt erstmals seit 2016 ein ausführlicher<br />
Band zum „Energieprotokoll“ samt Materialien in der im Verlag Österreich<br />
erschienenen „CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong>“ vor.<br />
Aufgrund der Bedeutung des Vertragswerkes für den gesamten Alpenraum und<br />
des runden Anlasses hat sich der Herausgeber des vorliegenden „Festbandes“<br />
entschlossen, namhafte KennerInnen der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihres Entwicklungsprozesses,<br />
– und mit denen er selbst bzw. CIPRA Österreich in jahrelangem<br />
Austausch gestanden ist, zu einem Beitrag einzuladen. In Dankbarkeit und überrascht<br />
stelle ich fest, dass alle angefragten Damen und Herren mit einer Ausnahme<br />
zugesagt haben.<br />
Besonders danken möchte ich Herrn Univ.-Prof. em. Dr. Werner Bätzing (Bamberg),<br />
der ein umfassendes Bilanzwerk über die <strong>Alpenkonvention</strong> der letzten <strong>25</strong><br />
<strong>Jahre</strong> mit einem über sechsfachen Umfang als ursprünglich erbeten verfasste.<br />
Das ist wiederum ein Nachschlagewerk wie der seinerzeit im <strong>Jahre</strong> 1994 von ihm<br />
verfasste Aufsatz „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk auf<br />
dem mühevollen Weg der politischen Realisierung“ (Bätzing 1994; www.cipra.<br />
at). Beide Aufsätze sind unersetzbare Standortbestimmungen für den Sinn, die<br />
Arbeit und die Rahmenbedingungen für das Tun und Nicht-Tun-Können der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in einem sich ändernden geopolitischen Umfeld.<br />
6 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Das vorliegende Buch enthält erstmals in der Geschichte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
eine Spurensuche nach dem „effektiven <strong>Alpenkonvention</strong>srecht“. Dieser Fragestellung<br />
hat sich Herr assoz. Prof. Dr. Sebastian Schmid von der Universität Innsbruck,<br />
Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre angenommen.<br />
Als Mitglied der 2009 bei CIPRA Österreich eingerichteten Rechtsservicestelle<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> kennt er das Spektrum genau, was von der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und ihrer Durchführungsprotokolle erwartet werden kann und<br />
was eben nicht. Sichtlich schwer tat sich Freund Roland Kals, Alpenraumplaner<br />
in Salzburg und involviert in Umsetzungsprojekte der <strong>Alpenkonvention</strong>. Er setzt<br />
sich kritisch mit der Frage nach Anspruch und Wirklichkeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
auseinander und wer die <strong>Alpenkonvention</strong> überhaupt ist. Frau Dr in Eva Lichtenberger,<br />
die auf allen Ebenen des politischen Lebens über Hall i. T., Innsbruck,<br />
Wien und Brüssel tätig war, konnte den Stellenwert der <strong>Alpenkonvention</strong> und<br />
insbesondere die Herangehensweise der Europäischen Union an alpenpolitische<br />
Themen (<strong>Alpenkonvention</strong>, makroregionale Alpenraumstrategie) blendend ausleuchten.<br />
Dass es tatsächlich eine „<strong>Alpenkonvention</strong>ssucht“ gibt, ist mir nun seit<br />
den Ausführungen von Herrn Ministerialrat Dr. Ewald Galle, Chef des Focal Point<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> Österreich im BMLFUW in Wien, bekannt. Über ein Vierteljahrhundert<br />
bearbeitet er dieses Dossier ohne Unterbrechung für die Republik Österreich.<br />
Das verdient Anerkennung, Respekt und Dank!<br />
Der Herausgeber bedankt sich für die Beiträge aus den verschiedenen Gebietskörperschaften,<br />
dem Umwelt- und „<strong>Alpenkonvention</strong>s“/Minister Andrä<br />
Rupprechter, dem Vorsitzenden der österreichischen Landeshauptleutekonferenz<br />
und Landeshauptmann von Salzburg, Herrn Dr. Wilfried Haslauer, der Bürgermeisterin<br />
von Innsbruck und damit „Gastgeberin“ für das seit 2002 in Innsbruck<br />
residierende Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>, Frau Mag a Christine Oppitz-Plörer,<br />
und dem Präsidenten des Österreichischen Gemeindebundes, Herrn<br />
Helmut Mödlhammer. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> wäre ohne<br />
das besondere Engagement und den Weitblick des damaligen Bürgermeisters<br />
von Innsbruck, Herrn DDr. Herwig van Staa, später Landeshauptmann von Tirol<br />
und nun amtierender Präsident des Tiroler Landtages nicht nach Innsbruck<br />
gekommen. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> in Innsbruck ist die<br />
einzige internationale Organisation, die ihren Sitz in einer österreichischen Landeshauptstadt<br />
angesiedelt hat und auch der einzige dieser Art im gesamten Anwendungsbereich<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> (Haßlacher 1996).<br />
Besonders gefreut haben mich die pointierten Kurzbeiträge ehemaliger Mitglieder<br />
der österreichischen Delegation zur <strong>Alpenkonvention</strong> – Gerhard Liebl (Tirol)<br />
und Gerold Glantschnig (Kärnten) –, von den langjährigen Mitgliedern des CI-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
7
PRA Österreich-Komitees – Gottfried Schindlbauer (Oberösterreich) und Walter<br />
Tschon (Tirol), weiters von den Bürgermeistern der <strong>Alpenkonvention</strong>sgemeinden<br />
und Bergsteigerdörfer von Lunz am See (Niederösterreich), Herr Martin Ploderer,<br />
und aus Kartitsch (Tirol), Herr Josef Außerlechner. Kartitsch stand jahrelang im<br />
internationalen Fadenkreuz des Alemagna-Autobahnprojekts Belluno-München<br />
und hatte schon deshalb Interesse an einer raschen Ratifizierung des Verkehrsprotokolls<br />
in Österreich, Italien und in der Europäischen Union. Die Außensicht<br />
aus der Schweiz brachte der sehr geschätzte langjährige Geschäftsführer von CI-<br />
PRA International im Fürsten Liechtenstein, Herr Andreas Götz, ein, welche auch<br />
die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten einer Vertragspartei wie die Schweiz<br />
aufzeigen, die bis heute noch kein einziges Durchführungsprotokoll ratifiziert hat.<br />
Der erste Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich, Herr Dr. Reinhard<br />
Gschöpf, und nunmehr im Grünen Parlamentsklub u.a. für Alpenschutz tätig,<br />
sieht in der <strong>Alpenkonvention</strong> den spannenden Versuch über das gemeinsame<br />
Finden und Vereinbaren neuer Grenzen.<br />
Wie kaum ein anderer streicht der Präsident des Transitforums Austria-Tirol,<br />
Herr Fritz Gurgiser, die dringende Notwendigkeit der strikten Anwendung der<br />
Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> unentwegt heraus und fordert sie ein.<br />
Abschließend bedanke ich mich bei Josef Essl, Geschäftsführer von CIPRA Österreich<br />
und Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich in Innsbruck,<br />
für die oftmals nicht leichte Zusammenarbeit zum Wohle der Alpen und für die<br />
perfekte Unterstützung beim Zustandekommen dieses Bandes bei Layout und<br />
Drucklegung.<br />
Schließlich habe ich mir selbst zu meinem Rückzug aus dem <strong>Alpenkonvention</strong>sgeschehen<br />
ein Geschenk gemacht, damit einige Fakten mehr und persönliche Erlebnisse<br />
und Eindrücke der eingeladenen Persönlichkeiten in gedruckter schriftlicher<br />
Form vorliegen. Zu viele Detailinformationen, Know-how und politische<br />
Hintergründe gehen andernfalls im Laufe der <strong>Jahre</strong> und Jahrzehnte leider verloren.<br />
Verloren ginge auch meine persönliche Einsicht nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n zeitweise<br />
sehr intensiver Befassung mit diesem Vertragswerk, dass leider viele Hoffnungen<br />
und Erwartungshaltungen der Nicht-Regierungsorganisationen in der alpenkonventionspolitischen<br />
Realität nicht in Erfüllung gegangen sind. Zwischen der Ausgangslage,<br />
zum Beispiel der 89 Punkte-Resolution der UmweltministerInnen anlässlich<br />
der I. Alpenkonferenz 1989 in Berchtesgaden und selbst in den Inhalten<br />
der Durchführungsprotokollen als schließlich kleinster gemeinsamer Nenner der<br />
Alpenstaaten und dem aktuellen Stand der Umsetzung tun sich zu große Löcher<br />
auf. Zudem könnte sich die Parallelentwicklung des EUSALP-Prozesses für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
langfristig als gefährlich herausstellen.<br />
Nur eine gelungene Performance einer konsolidierten rechtlichen Umsetzung<br />
dieses völkerrechtlich verbindlichen und alpenweit geltenden Vertragswerks,<br />
begleitet von vielen maßgeschneiderten Umsetzungsprojekten und politischen<br />
8 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Initiativen sowie durch das Entstehen und Wirken weiterer Alpen-Netzwerke und<br />
Kooperationen wird die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> sichern. Doch dazu braucht<br />
es offensichtlich die Reinkarnation des in den 1990-iger <strong>Jahre</strong>n viel und oft beschworenen<br />
und mittlerweile verloren gegangenen „Geistes von Berchtesgaden“.<br />
Peter Haßlacher<br />
Igls, im September 2016<br />
Literaturhinweise<br />
Bätzing, W. (1994): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine nachhaltige<br />
Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung. In:<br />
Franz, H. (Hrsg.): Die Gefährdung und der Schutz der Alpen (= Veröffentlichungen der<br />
Kommission für Humanökologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />
Bd. 5). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 187 – 208.<br />
Ehlotzky, N. (2014): Grundfreiheiten im Spannungsfeld von Verkehr und Nachhaltigkeit.<br />
Eine Analyse anhand des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong>. Schriften zum Internationalen<br />
und Vergleichenden Öffentlichen Recht Bd. 19. Wien: Facultas Verlagsund<br />
Buchhandels AG, 329 S.<br />
Essl, J. u. S. Schmid – Hrsg. (2016): Das Protokoll „Energie“ der <strong>Alpenkonvention</strong>. Umsetzung<br />
und Anwendung in Österreich. CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Bd. 1. Wien: Verlag Österreich.<br />
Galle, E. (2002): Das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und seine<br />
Protokolle. Beiträge zur Umweltgestaltung A 148, Alpine Umweltprobleme Teil XXXIX.<br />
Berlin: Erich Schmidt Verlag, 276 S.<br />
Haßlacher, P. (1996): Gemeinsam für das <strong>Alpenkonvention</strong>ssekretariat in Innsbruck – eine<br />
Chronologie. In: CIPRA Österreich – Österreichisches Nationales Komitee (Hrsg.): Die<br />
Alpen-Konvention – Der österreichische Weg. Wien, S. 103 – 107.<br />
Haßlacher, P. (2016): <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – eine durchwachsene Bilanz. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 02/2016, S. 1.<br />
Kals, R. (2004): Entwicklungspotentiale der <strong>Alpenkonvention</strong>. Wege zu einer erfolgreichen<br />
Implementierung in Österreich. Studie im Auftrag des Lebensministeriums. Salzburg/Wien,<br />
158 S.<br />
www.cipra.at<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
9
Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
seit 2002 in der Landeshauptstadt Innsbruck<br />
im Goldenen Dachl<br />
10 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Werner Bätzing<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
Bilanz und Ausblick<br />
Von 1988 bis 1995 am Geographischen Institut der Universität Bern<br />
Von 1995 bis 2014 Professor für Kulturgeographie am Institut für Geographie<br />
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg<br />
Seit 2014 Leiter Archivs für integrative Alpenforschung, Bamberg<br />
E: werner.baetzing@web.de<br />
Ein Vergleich zwischen der Anfangszeit und der heutigen Situation in Hinblick<br />
auf die wichtigsten Aktivitätsfelder, die zentralen Problembereiche und die unterschiedlichen<br />
politischen Rahmenbedingungen.<br />
Dieser Artikel ist Peter Hasslacher gewidmet,<br />
der die Idee dazu hatte und den nötigen Platz<br />
dafür zur Verfügung stellte.<br />
Einleitung<br />
Der <strong>25</strong>. <strong>Jahre</strong>stag der Unterzeichnung der Rahmenkonvention der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
ist Anlass, eine Bilanz über <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> zu ziehen. Die empirische<br />
und normative Grundlage dieser Bilanz beruht auf der langen Vertrautheit<br />
des Autors mit dieser Thematik: Er hat die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
von der Lindauer Konferenz im Juni 1988 bis heute aktiv in kritischer Distanz als<br />
Wissenschaftler begleitet, und er hat sich dazu häufig auch öffentlich geäußert<br />
(wissenschaftliche und politische Artikel, Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehinterviews,<br />
Gutachten). 1<br />
1 Alle Publikationen des Autors zur <strong>Alpenkonvention</strong> finden sich in seiner „thematischen Publikationsliste“<br />
(www.geographie.nat.uni-erlangen.de/personen/wbaetzing) unter Punkt 1.2.11 („Alpenpolitik und <strong>Alpenkonvention</strong>“);<br />
in seiner chronologischen Literaturliste stehen zu allen seinen, in diesem Aufsatz genannten<br />
Titeln downloads bereit. Die gesamte Literatur zur <strong>Alpenkonvention</strong> seit 1988 (!) ist durch die Bibliographie<br />
von Haßlacher 2016 auf eine vorbildliche Weise erschlossen (www.cipra.at).<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
11
In dieser Bilanz wird nach einer Überblicksdarstellung der Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
zum einen der Fokus auf ihre zentralen Aktivitätsfelder gelegt und<br />
gefragt, was die <strong>Alpenkonvention</strong> hier erreicht hat, und zum anderen werden<br />
die zentralen Probleme, die mit der <strong>Alpenkonvention</strong> von Beginn an verbunden<br />
sind, dargestellt, und es wird gefragt, was sich hierbei verändert hat. Und zum<br />
Schluss werden die völlig veränderten politischen Rahmenbedingungen für die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> in Europa dargestellt, und es wird reflektiert, wie ihre Zukunft<br />
aussehen könnte.<br />
Als Ausgangssituation dient die Anfangszeit der <strong>Alpenkonvention</strong> von der<br />
89-Punkte-Resolution der Umweltminister von Berchtesgaden im Oktober 1989<br />
über die Dokumente der II. Alpenkonferenz im November 1991 in Salzburg bis zur<br />
CIPRA-<strong>Jahre</strong>sfachkonferenz „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Zwischenbilanz“ vom<br />
Oktober 1992 in Schwangau/Bayern. Der Autor hat im Oktober 1992 direkt nach<br />
der CIPRA-<strong>Jahre</strong>sfachtagung einen längeren, bilanzierenden Artikel mit dem Titel<br />
„Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine nachhaltige<br />
Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung“ (erst<br />
im Jahr 1994 im Druck erschienen) geschrieben, der als Ausgangspunkt für diese<br />
Bilanz dient.<br />
1. Die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong> 1989 – 2016 im Überblick<br />
Um eine Bilanz von <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n <strong>Alpenkonvention</strong> ziehen zu können, muss zu Beginn<br />
ihre Entwicklung kurz skizziert werden.<br />
1.1 Vorgeschichte<br />
Die im Jahr 1952 gegründete Internationale Alpenschutzkommission CIPRA hatte<br />
zwar die Forderung nach einer Internationalen <strong>Alpenkonvention</strong> von Beginn<br />
an in ihren Gründungsdokumenten festgehalten, aber erst am 7. Februar 1987<br />
beschloss das CIPRA-Präsidium, dieses Thema auf die politische Tagesordnung<br />
zu setzen (CIPRA 1992, S. 41). Zu diesem Zweck wurden 350 Experten und Fachstellen<br />
aus den sieben Staaten mit Alpenanteil in Bezug auf den Vollzug der bisherigen<br />
grenzüberschreitenden Umweltabkommen in den Alpen befragt. Das<br />
Ergebnis – es besteht „ein hoher bis sehr hoher zusätzlicher Handlungsbedarf“<br />
(CIPRA 1992, S. 42) – wurde auf der Internationalen Konferenz „Umweltpolitik<br />
im Alpenraum“ am 24. und <strong>25</strong>. Juni 1988 in Lindau einer breiten Öffentlichkeit<br />
vorgestellt und mit der Forderung nach Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong> verbunden<br />
(CIPRA 1989). Obwohl das Europäische Parlament am 17. Mai 1988 und<br />
die ARGE ALP am 9. Juni 1989 mit Beschlüssen ebenfalls die Erarbeitung einer<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> forderten, gingen die betroffenen Experten damals davon aus,<br />
dass die Umsetzung wohl noch <strong>Jahre</strong> dauern würde.<br />
12 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
1.2 Umsetzung<br />
„Dann überschlugen sich die Ereignisse, als der deutsche Umweltminister Klaus<br />
Töpfer überraschend die Umweltminister der sieben Staaten mit Alpenanteil zum<br />
Oktober 1989 nach Berchtesgaden einlud, um über die Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong><br />
zu beschließen. (Dadurch kam) ... der Prozess der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
wesentlich schneller in Gang, als es selbst optimistische Umweltkreise erwartet<br />
hatten (Bätzing 1994, S. 187).<br />
Auf der Internationalen Alpenkonferenz der Umweltminister vom 9. bis 11. Oktober<br />
1989 in Berchtesgaden wurde eine 89 Punkte umfassende Resolution verabschiedet.<br />
2 Darin beschlossen die Umweltminister in den Punkten 87 und 88,<br />
eine <strong>Alpenkonvention</strong> mit einer Rahmenkonvention, die das allgemeine Procedere<br />
festlegt, und elf Protokolle, die verbindliche Regelungen für einzelne Bereiche<br />
enthalten, zu erarbeiten.<br />
Das Themenspektrum, das in dieser Resolution angesprochen wurde, war inhaltlich<br />
sehr breit und umfasste alle Aspekte, die wenig später auf der UNCED-<br />
Konferenz in Rio de Janeiro 1992 als „nachhaltig“ bezeichnet wurden (Verbindung<br />
von Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung, Kultur), auch wenn dieser Begriff<br />
damals noch nicht allgemein gebräuchlich war (Bätzing 1994, S. 186). Damit war<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> weltweit die erste Konvention, die nicht sektoralen Zielen<br />
verpflichtet war, sondern die Schutz- und Entwicklungsziele im Sinne der Nachhaltigkeit<br />
miteinander verknüpfte, und dies nicht für ein weitgehend unbewohntes<br />
Gebiet, sondern für einen Natur- und Wirtschaftsraum, in dem 11 Millionen<br />
Menschen lebten. Diese beiden Aspekte machten die Besonderheit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
zum damaligen Zeitpunkt aus (Bätzing 1994, S. 186).<br />
Auf der II. Alpenkonferenz am 7. November 1991 in Salzburg unterzeichneten<br />
die Umweltminister unter großer medialen Beteiligung die Rahmenkonvention<br />
(Umweltminister Flavio Cotti aus der Schweiz jedoch nur unter Vorbehalt), der<br />
Entwurf für ein erstes Protokoll (Naturschutz) wurde vorgelegt, und es wurde<br />
die Erarbeitung von sieben weiteren Protokollen (Raumplanung, Berglandwirtschaft,<br />
Bergwald, Bodenschutz, Energie, Tourismus, Verkehr) beschlossen (CIP-<br />
RA-A 1996, S. 111).<br />
Zugleich wurde die Geschäftsordnung für die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> festgelegt:<br />
Das beschlussfassende Organ ist die alle zwei <strong>Jahre</strong> stattfindende Alpenkonferenz,<br />
an der die Umweltminister der Alpenstaaten und ein EU-Vertreter<br />
teilnehmen, und deren Vorsitz alle zwei <strong>Jahre</strong> wechselt. Der Ständige Ausschuss<br />
ist das ausführende Organ und setzt sich aus Delegierten aller Vertragsparteien<br />
zusammen; er überwacht die Umsetzung der Leitgedanken, Grundsätze und Zie-<br />
2<br />
Obwohl alle Dokumente der <strong>Alpenkonvention</strong> heute im Netz zu finden sind, ist dieses relevante Anfangsdokument<br />
derzeit nicht dabei; es wurde in CIPRA 1993, S. 85-108 (deutsch) und S. 248-263 (französisch)<br />
publiziert.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
13
le der <strong>Alpenkonvention</strong> und tagt zwei Mal im Jahr (Galle 2002, S. 169 ff., www.<br />
alpconv.org).<br />
Zusätzlich dazu wurden von Anfang an „Beobachter“ ernannt, die an der Arbeit<br />
des Ständigen Ausschusses und an den Alpenkonferenzen teilnehmen und die<br />
dort ihre Vorschläge und Ideen einbringen können (derzeit gibt es 16 Beobachter).<br />
Damit hat sich die <strong>Alpenkonvention</strong> bewusst gegenüber wirtschaftlichen,<br />
kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Interessengruppen – und damit<br />
gegenüber einer breiteren Fachöffentlichkeit – geöffnet, was für eine solche Konvention<br />
außergewöhnlich war und ist und ihre Akzeptanz spürbar erhöht hat.<br />
Erst im Jahr 2003 erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong> ein Ständiges Sekretariat mit Sitz<br />
in Innsbruck und einer Außenstelle in Bozen; dieses unterstützt seitdem die Arbeit<br />
der Organe der <strong>Alpenkonvention</strong> und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.<br />
Die Rahmenkonvention wurde 1991 in Salzburg von den Staaten Deutschland,<br />
Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und der EU unterzeichnet<br />
(Slowenien als Nachfolgerin von Jugoslawien folgte am 29. März 1994, und Monaco<br />
als neuer Vertragspartner am 20.12.1994) und von den nationalen Parlamenten<br />
in Deutschland, Liechtenstein und Österreich im Jahr 1994 ratifiziert (in<br />
nationales Recht übernommen), so dass sie am 6. März 1995 in Kraft treten konnte<br />
(die Ratifizierung von drei Mitgliedsstaaten ist die Voraussetzung dafür, dass<br />
die Rahmenkonvention oder ein Protokoll in Kraft treten kann). 1995 wurde die<br />
Rahmenkonvention von Slowenien und Frankreich, 1996 von der EU, 1998 von<br />
der Schweiz und Monaco und 1999 schließlich von Italien ratifiziert, so dass sie<br />
von allen Vertragspartnern ratifiziert wurde.<br />
Bei der Erarbeitung der Protokolle war der Prozess wesentlich langwieriger als<br />
ursprünglich gedacht (CIPRA-A 1996, S. 112-113; S. 87: „schneckenartiges Vorankommen“):<br />
Obwohl die Resolution von Berchtesgaden elf, die Rahmenkonvention<br />
von Salzburg zwölf zu erarbeitende Protokolle nannte (an erster Stelle<br />
ein Protokoll Bevölkerung & Kultur, was in Berchtesgaden nicht explizit genannt<br />
wurde, obwohl dieser Bereich in der Resolution sehr prominent angesprochen<br />
wurde), wurden nach längerer Zeit lediglich acht Protokoll-Entwürfe erarbeitet,<br />
und die Protokolle Bevölkerung & Kultur, Luftreinhaltung, Wasserhaushalt und<br />
Abfallwirtschaft wurden nicht angegangen; dafür wurde zusätzlich ein Protokoll<br />
Streitbeilegung entwickelt.<br />
1.3 Zur Erarbeitung der Protokoll-Inhalte<br />
Bei der Erarbeitung der Protokoll-Inhalte gab es drei grundsätzliche Herausforderungen:<br />
a) Die Schweiz schlug im Jahr 1993 ein neues Protokoll „Wirtschaft und Gesellschaft“<br />
vor, weil die bisherigen Dokumente der <strong>Alpenkonvention</strong> den Aspekt der<br />
Berggebietsförderung viel zu wenig thematisierten und weil ein sozio-ökonomi-<br />
14 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
sches Gesamtkonzept für den Alpenraum fehlte, und die bisher vorliegenden<br />
Protokoll-Entwürfe (außer Berglandwirtschaft) sollten in dieser Beziehung überprüft<br />
und angepasst werden (Wachter 1993, S. 68-69). Dieser Vorschlag wurde<br />
jedoch von der III. Alpenkonferenz in Chambéry abgelehnt, und die Schweizer<br />
Vorschläge wurden teilweise in das Protokoll Raumplanung aufgenommen, das<br />
dadurch zum Protokoll „Raumplanung und nachhaltige Entwicklung“ erweitert<br />
wurde (Bätzing 2002, S. 55, CIPRA-A 1996, S. 112).<br />
b) Weil Österreich und vor allem den österreichischen Bundesländern das Verkehrsprotokoll<br />
mit dem darin enthaltenen Verbot des Baus von neuen Transitautobahnen<br />
(Artikel 11: „Die Vertragsparteien verzichten auf den Bau neuer<br />
hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr“) besonders wichtig war,<br />
hatte die österreichische Landeshauptleutekonferenz 1993 beschlossen, die Unterzeichnung<br />
aller anderen Protokolle von der Existenz eines akzeptablen Verkehrsprotokolls<br />
abhängig zu machen (CIPRA-A 1996, S. 112). Die Verhandlungen<br />
darüber zogen sich lange hin, drohten mehrmals an Interessengegensätzen der<br />
Vertragsparteien zu scheitern und wurden erst im Jahr 2000 auf der VI. Alpenkonferenz<br />
in Luzern positiv gelöst (Details siehe Galle 2002, S. 119-148). Erst danach<br />
konnten die bislang erarbeiteten Protokolle 2002 in Kraft treten.<br />
c) Ein Protokoll Bevölkerung & Kultur wurde zwar von der Rahmenkonvention an<br />
erster Stelle genannt, es wurde aber mit seiner Erarbeitung in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />
nicht begonnen. Erst auf der 19. Sitzung des Ständigen Ausschusses wurde am 7.<br />
September 2001 nach verschiedenen Interventionen beschlossen, eine Arbeitsgruppe<br />
zu diesem Thema einzusetzen, die jedoch lediglich Materialien zusammenstellen<br />
und keinen Protokoll-Entwurf erarbeiten sollte. Auf Grund gravierender<br />
inhaltlicher Differenzen (Bätzing 2002, S. 56) wurde schließlich auf der IX.<br />
Alpenkonferenz in Alpbach 2006 lediglich eine „Deklaration“ und kein Protokoll<br />
zu diesem Thema verabschiedet.<br />
Der Stand der Protokolle sieht heute folgendermaßen aus:<br />
● Die Schweiz hat zwar alle Protokolle unterzeichnet, aber kein einziges ratifiziert.<br />
● Die EU hat mit Ausnahme der Protokolle Bergwald und Streitbeilegung alle<br />
Protokolle unterzeichnet, hat aber die Protokolle Raumplanung & nachhaltige<br />
Entwicklung und Naturschutz & Landschaftspflege nicht ratifiziert.<br />
● Monaco hat alle Protokolle außer Energie unterzeichnet, aber die Protokolle<br />
Berglandwirtschaft, Bergwald und Verkehr nicht ratifiziert.<br />
● Die übrigen Vertragsparteien haben inzwischen alle Protokolle ratifiziert (Italien<br />
erst 2013), und sie sind alle seit 2002 in Kraft.<br />
In der Anfangszeit gab es die Überlegung, nach Fertigstellung der Protokolle und<br />
den ersten Erfahrungen mit ihrer Umsetzung eine zweite Generation der Protokolle<br />
zu erarbeiten, in denen zentrale Inhalte eindeutiger und konkreter festgelegt<br />
werden sollten (so mehrere Voten von Hohen Beamten auf der Tagung in<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
15
Schwangau: CIPRA 1993, S. 63-64), aber da die Erarbeitung der Protokolle deutlich<br />
länger dauerte als ursprünglich erwartet, unterblieb dies.<br />
1.4 Die Schwerpunkte der Arbeit<br />
In den ersten <strong>Jahre</strong>n lag der Schwerpunkt der Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> auf der<br />
Erarbeitung der Protokolle; ab dem Jahr 2000, als die acht Protokolle (plus Protokoll<br />
Streitbeilegung) unterzeichnet waren, und dem Jahr 2003, als das Ständige<br />
Sekretariat in Innsbruck eingerichtet wurde, konnte man sich weiteren Themen<br />
widmen. Dies waren (siehe www.alpconv.org):<br />
● Erarbeitung von umfangreichen Alpenzustandsberichten, die jeweils von internationalen<br />
Expertengruppen vorbereitet werden: Verkehr (2007), Wasser<br />
(2009), ländliche Entwicklung (2011), Tourismus (2013), demographischer<br />
Wandel (2015), Greening the Economy in the Alpine Region (2016).<br />
● Erarbeitung von Deklarationen, Berichten und Leitlinien zu verschiedenen<br />
Themen.<br />
● Einsetzung von Arbeitsgruppen und Plattformen, die die laufenden Entwicklungen<br />
im Alpenraum beobachten und die zuständig sind für die Erarbeitung<br />
von Empfehlungen, Umsetzungsmaßnahmen und eventuellen neuen Protokollen,<br />
Deklarationen oder Leitlinien.<br />
● Zusammenarbeit mit Organisationen, die die gleichen Ziele wie die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
verfolgen (Gemeindenetzwerk Allianz in den Alpen, Via Alpina,<br />
Arbeitsgemeinschaft Alpenstädte, Verein Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s, ÖAV-Bergsteigerdörfer<br />
u.a.).<br />
● Zusammenarbeit mit anderen Gebirgsregionen der Erde mit dem Ziel der<br />
Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, wobei die <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />
erstes internationales Abkommen dieser Art eine Vorbildfunktion erfüllt<br />
(Karpaten, Dinariden, Pyrenäen, Kaukasus, Zentralasien, Anden).<br />
Mit diesen Arbeiten wurde das Spektrum der inhaltlichen Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
über die acht Protokolle hinaus spürbar erweitert.<br />
2. Zu den wichtigsten Aktivitätsfeldern der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Was hat die <strong>Alpenkonvention</strong> bei den sechs wichtigsten Aktivitätsfeldern erreicht?<br />
2.1 Politische Zusammenarbeit<br />
Es stellt eine sehr große Leistung dar – und war vor 1989 nicht konkret vorstellbar!<br />
–, dass es gelang, für dieses anspruchsvolle Konzept (Integration von Schutz<br />
und Entwicklung als gleichwertige Verbindung der Bereiche Umwelt, Wirtschaft,<br />
Bevölkerung und Kultur) alle acht Staaten mit Alpenanteil und die EU zu gewinnen,<br />
und sie zur Ratifizierung der Rahmenkonvention und zur Unterzeichnung<br />
16 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
der acht Protokolle zu motivieren! Damit haben sich die Alpen in ihrer langen<br />
Geschichte erstmals als gemeinsamer politischer Raum konstituiert, der nicht<br />
mehr so leicht wie vorher zum Spielball europäischer Interessen gemacht werden<br />
kann, indem Alpenregionen gegeneinander ausgespielt werden. Und weiterhin<br />
ist es keineswegs selbstverständlich, dass der inhaltlich anspruchsvolle <strong>Alpenkonvention</strong>sprozess<br />
nach so langer Zeit nicht eingeschlafen oder zur Routine<br />
erstarrt ist, sondern auch heute lebendig ist und neue politische Akzente setzt.<br />
Und mit der Übertragung der Erfahrungen aus den Alpen auf andere Gebirgsregionen<br />
der Erde erhält die <strong>Alpenkonvention</strong> in den letzten <strong>Jahre</strong>n eine globale<br />
Bedeutung, an die anfangs Niemand zu denken gewagt hätte.<br />
Allerdings gibt es bei diesen sehr großen Erfolgen zwei Einschränkungen: Die<br />
EU war zu Beginn in den <strong>Alpenkonvention</strong>sprozess voll eingebunden, zog sich<br />
aber seit 2008 allmählich daraus zurück (zu den Ursachen siehe Abschnitt 4.4),<br />
was eine politische Schwächung der <strong>Alpenkonvention</strong> bedeutet, da sie in Europa<br />
nicht als Insellösung verstanden werden will, sondern weil sie auch Anstöße für<br />
neue politische Lösungen innerhalb der EU geben will (u.a. in Bezug auf Subsidiarität<br />
und Regionalisierungsprozesse). Eine noch größere Schwächung bedeutete<br />
das Abseitsstehen der Schweiz bei der <strong>Alpenkonvention</strong>: Sie ratifizierte zwar die<br />
Rahmenkonvention, unterzeichnete alle Protokolle und beteiligt sich an der regelmäßigen<br />
Arbeit (u.a. Übernahme des Vorsitzes in den <strong>Jahre</strong>n 1999-2000 und<br />
2011-2012), aber das Schweizer Parlament lehnte es ab, die Protokolle zu ratifizieren<br />
(CIPRA 1993, S. 62-63; Ursachen siehe Abschnitt 3.3). Dies bedeutete<br />
eine erhebliche Schwächung der <strong>Alpenkonvention</strong>, weil die Schweiz nicht nur ein<br />
wichtiger und unverzichtbarer Alpenstaat ist, sondern weil gerade die vielfältigen<br />
und langen Schweizer Föderalismuserfahrungen für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
sehr wichtig gewesen wären (CIPRA 1993, S. 65).<br />
Ein weiteres Problem liegt darin, dass zwar die politische Zusammenarbeit auf<br />
der Ebene der Staaten bei der <strong>Alpenkonvention</strong> gut läuft, dass aber die nachgeordneten<br />
Ebenen anfangs gar nicht und später nur zögernd eingebunden wurden<br />
(Bätzing 1994, S. 188). Dies war deshalb ein erhebliches Problem, weil es auf<br />
der Regionsebene (Bundesländer, Kantone, regioni, régions) zuvor mit der ARGE<br />
ALP, der ARGE ALP-ADRIA und der COTRAO wichtige Vorarbeiten für alpenweite<br />
Problemlösungen gegeben hatte, diese aber bei der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht<br />
aktiv eingebunden wurden, was zu politischen Verstimmungen führte (CIPRA<br />
1993, S. 61). Auch die speziell zur integrativen Berggebietsentwicklung gegründeten<br />
Strukturen in den Alpen (comunità montane in Italien, IHG-Regionen in<br />
der Schweiz, pays in Frankreich), deren Zielsetzungen denen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
stark ähnelten, wurden dabei nicht einbezogen, und erst recht nicht die sehr<br />
große Zahl der Alpengemeinden. Durch diesen fehlenden politischen „Unterbau“<br />
war die <strong>Alpenkonvention</strong> in einer langen Anfangszeit politisch abgehoben und<br />
an der Basis nicht verankert. Auch der Versuch von Seiten der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
17
diese unbefriedigende Situation mit dem Instrument der „Konferenzen der Regionen<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>“ (Chambéry 2009, Trient 2010, Brdo 2011) und der<br />
Gründung eines „Regionen-Netzwerkes der Alpen“ zu verbessern (www.alpconv.<br />
org > Die Konvention > Alpine Netzwerke), war von keinem Erfolg gekrönt: Der<br />
2011 verabschiedete Beschluss, mindestens alle zwei <strong>Jahre</strong> eine solche Konferenz<br />
durchzuführen, wurde nicht umgesetzt.<br />
Eine Ausnahme hierbei bildet allein Österreich: Schon im Jahr 1989 wurde das<br />
Österreichische Nationale Komitee für die <strong>Alpenkonvention</strong> gegründet, das aus<br />
Vertretern der betroffenen Ministerien, der Bundesländer, der nationalen NGO’s<br />
und der Sozialpartner besteht, und das als innerstaatliche Koordinationsplattform<br />
dient (CIPRA-A 1996, S. 86). 3 Dadurch ist es gelungen, die österreichischen<br />
Bundesländer auf gleichberechtigte Weise in den Prozess der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
einzubeziehen (Selbstbezeichnung: „Der österreichische Weg“, CIPRA-A 1996),<br />
und dadurch ist die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich an der politischen Basis gut<br />
verankert und akzeptiert. Es ist sehr bedauerlich, dass die anderen Vertragsstaaten<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> diesem Vorbild nicht folgen.<br />
Mit der Unterstützung der Arbeit des Gemeindenetzwerks Allianz in den Alpen,<br />
des Vereins „Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s“ und einer Reihe von Projekten wie die „AlpenWoche“<br />
(Scheurer 2014, S. 238-239) versucht das Ständige Sekretariat in den<br />
letzten <strong>Jahre</strong>n – durchaus nicht erfolglos – die politische Akzeptanz an der Basis<br />
gezielt zu verbessern; solange aber die einzelnen Alpenstaaten die unteren politischen<br />
Ebenen nicht aktiv in die Arbeit an der <strong>Alpenkonvention</strong> einbeziehen,<br />
bleiben die Ergebnisse dieser Aktivitäten begrenzt.<br />
2.2 Protokoll-Inhalte<br />
Bei der Erarbeitung der Protokoll-Inhalte wurde schnell klar, dass es im Alpenraum<br />
sehr unterschiedliche Situationen, Probleme und Entwicklungen und auch<br />
sehr unterschiedliche politische Zielsetzungen gibt (Schwerpunkt eher auf Schutz<br />
oder eher auf Entwicklung), so dass Einigungen auf konkrete Ziele sehr schwer<br />
waren. Dies führte dazu, dass Protokollformulierungen häufig ziemlich allgemein<br />
und manchmal auch ziemlich nichtssagend formuliert wurden und dass man sich<br />
bei konkreten Festlegungen in der Regel auf den kleinsten gemeinsamen Nenner<br />
einigte. Die einzige relevante Ausnahme davon ist das Verbot „neuer hochrangiger<br />
Straßen für den alpenquerenden Verkehr“ im Verkehrsprotokoll, dessen Ausarbeitung<br />
deshalb besonders lange gedauert und dessen Scheitern mehrmals<br />
gedroht hatte.<br />
Die Fixierung des kleinsten gemeinsamen Nenners, also des status-quo der<br />
ersten Hälfte bzw. der Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong>, ist jedoch keinesfalls nur negativ<br />
zu bewerten: Angesichts zahlreicher aktueller Erschließungs- und Ausbaupläne<br />
3 Die einzelnen Beiträge dieser wichtigen Publikation sind ein anschaulicher Beleg für die Arbeit dieses<br />
Komitees.<br />
18 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
(Wind-/Wasserkraft, Tourismus, Infrastrukturen) stellen diese Festlegungen (z.B.<br />
Bodenschutzprotokoll § 14,1) eine Möglichkeit dar, neue, umweltzerstörerische<br />
Projekte erfolgreich in Frage stellen zu können.<br />
Letztlich kann man jedoch feststellen, dass Aufwand und Ertrag bei den Protokollen<br />
in einem ungünstigen Verhältnis zueinander stehen. Das zeigt sich daran,<br />
dass das von der Rahmenkonvention an erster Stelle aufgeführte Protokoll Bevölkerung<br />
& Kultur wegen interner Widersprüche nur als Deklaration verabschiedet<br />
wurde, dass die noch fehlenden drei Protokolle Luftreinhaltung, Wasserhaushalt<br />
und Abfallwirtschaft nicht mehr erarbeitet wurden und dass eine zweite Generation<br />
der Protokolle, von der noch auf der Schwangauer Konferenz gesprochen<br />
wurde, später keine Rolle mehr spielte.<br />
Betrachtet man die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong>, so fällt auf, dass das<br />
Thema Protokolle seit etwa zehn <strong>Jahre</strong>n – mit Ausnahme einiger weniger, meist<br />
von Österreich organisierter Tagungen zu Umsetzungsproblemen bestimmter<br />
Protokolle - kaum noch eine Rolle spielt. Es wird ersetzt durch die Erarbeitung<br />
von Deklarationen, Berichten, Leitlinien, Alpenzustandsberichten u.a., mit denen<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> inhaltlich Einfluss auf die Entwicklung im Alpenraum<br />
zu nehmen versucht. Damit treten letztlich „weiche“ Instrumente (Argumentationsketten,<br />
Vorschläge, Ideen, Vernetzungen) an die Stelle der Protokolle mit<br />
ihren „harten“ Festlegungen. Der Vorteil dieser weichen Instrumente besteht in<br />
ihrem geringen Aufwand, in ihrer Flexibilität und Schnelligkeit, der Nachteil in<br />
ihrer Unverbindlichkeit.<br />
Betrachtet man die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> in den vergangenen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n,<br />
so kann man feststellen, dass die Protokolle – mit Ausnahme des Verkehrsprotokolls<br />
– die Realität der Alpen nur wenig verändert haben, dass aber die Auswirkungen<br />
der weichen Instrumente in den letzten zehn <strong>Jahre</strong>n auch nicht viel<br />
größer sind.<br />
2.3 Fördergelder für „Die Alpen“<br />
Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar und teilweise sogar auch nicht mehr<br />
bekannt, welche negative Bedeutung die staatlichen Grenzen im Alpenraum früher<br />
hatten. In einer sehr langen Anfangsphase gab es keinerlei Möglichkeiten,<br />
Fördergelder für alpenweite Projekte zu erhalten, weil es dafür keine Programme<br />
gab. Aus diesem Grund forderte die CIPRA in ihrem „Aktionsplan für die Umsetzung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>“ bereits im Jahr 1995 die Einrichtung eines öffentlichen<br />
Alpenfonds, damit die Leitideen der <strong>Alpenkonvention</strong> mittels Pilotprojekten<br />
konkret gemacht und öffentlichkeitswirksam präsentiert werden könnten. Dies<br />
wurde bedauerlicherweise nicht umgesetzt, und die <strong>Alpenkonvention</strong> verfügt bis<br />
heute über kein Budget für eigene Projekte.<br />
Diese Situation änderte sich etwas mit der Verabschiedung des Europäischen<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
19
Raumentwicklungskonzeptes EUREK im Jahr 1999 4 und der darauf aufbauenden<br />
Neukonzeption der Interreg-Programme ab dem Jahr 2001. Im Rahmen einer<br />
„transnationalen“ Zusammenarbeit wurden großräumige Kooperationsräume<br />
in Europa geschaffen, 5 und einer von ihnen war der „Kooperationsraum Alpen“<br />
oder der „Alpine Space“. Allerdings umfasste dieses Gebiet neben den eigentlichen<br />
Alpen weite perialpine Räume mit den dortigen Metropolen, so dass sich<br />
der Alpine Space aus zwei sehr heterogenen Teilräumen – große wirtschaftsstarke<br />
Metropolräume und ein peripherer, wirtschaftsschwacher Alpenraum im Sinne<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> – zusammensetzt.<br />
Dieses neue Interreg-Programm war die allererste Möglichkeit in der Geschichte<br />
des Alpenraumes, alpenweite Projekte zu fördern, und daran hat sich bis zur<br />
Entstehung der EUSALP (siehe Abschnitt 4.4) nichts geändert.<br />
Seit 2001 hat es mehr als eintausend Interreg-Projekte für den Alpine Space<br />
gegeben (www.alpine-space.org), die sich nach Aussagen von Christian Salletmaier<br />
6 zum überwiegenden Teil auf die Alpen im Sinne des Geltungsbereichs der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> und nicht auf den perialpinen Teil des Alpine Space bezogen<br />
haben bzw. beziehen. Mit diesen Projekten wurde eine neue Realität im Alpenraum<br />
geschaffen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit – vor allem<br />
unter Behörden und Institutionen – sehr stark ausgeweitet; allerdings gab es<br />
nicht sehr viele Projekte, die auch von einer breiten Öffentlichkeit in den Alpen<br />
wahrgenommen wurden oder die eine wirklich gesamtalpine Bedeutung erlangt<br />
hätten. Da die Interreg-Zielsetzungen den Zielsetzungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
sehr ähnlich sind, wurde letztlich die <strong>Alpenkonvention</strong> durch diese Entwicklung<br />
indirekt gestärkt.<br />
So positiv es einerseits ist, dass der Alpine Space die Alpen auf eine pragmatische<br />
Weise im Sinne der Abgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong> versteht, so stellt die<br />
weite Abgrenzung der Alpen, die damit eingeführt wurde, ein gewisses Problem<br />
dar, weil mit dieser anderen Alpenabgrenzung diejenige der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
erstmals ein Stück weit relativiert wird. Und nach wie vor ist es unverständlich,<br />
dass die <strong>Alpenkonvention</strong> über keinerlei Mittel zur Förderung eigener Projekte<br />
verfügt – dies blockiert die Umsetzung ihrer Ziele und schwächt eine nachhaltige<br />
Alpenentwicklung.<br />
4 Grundsätzlich zum EUREK und seiner programmatischen Bedeutung siehe Bätzing 2003, S. 350-356. Da die<br />
damals geäußerte Erwartung, der EUREK-Prozess bedeute „einen sehr wichtigen Ansatz zur föderalistischen<br />
Ausgestaltung der EU-Politiken“ (a.a.O., S. 353), aber nicht eingelöst wurde, wurden diese Abschnitte in der<br />
4. Fassung des Alpen-Buches (Bätzing 2015) wieder gestrichen.<br />
5 Diese wurden knapp zehn <strong>Jahre</strong> später „Makroregionen“ genannt, und sie erhielten mittels neu geschaffener<br />
makroregionaler Strategien eine neue politische Bedeutung innerhalb der EU; siehe dazu Abschnitt<br />
4.4.<br />
6 Persönliche Mitteilung auf der Tagung von CIPRA-Österreich zur makroregionalen Alpenraumstrategie am 8.<br />
Januar 2014 in Salzburg.<br />
20 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
2.4 Wissenschaft<br />
Sowohl in der Resolution von Berchtesgaden (Artikel 83-85) als auch in der Rahmenkonvention<br />
(Artikel 3-4) werden Forschung und Wissenschaft direkt angesprochen,<br />
weil sie wichtige Beiträge zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> liefern<br />
sollen. Daraus entwickelten sich relevante Impulse für eine alpenweit vernetzte<br />
Alpenforschung, die zuvor nur im nationalen Rahmen existiert und die lediglich<br />
bei sehr wenigen Projekten (z.B. UNESCO Man-and-Biosphere-6-Programm; siehe<br />
Messerli 2016) grenzüberschreitend zusammengearbeitet hatte.<br />
Ein erster, sehr früher Bericht über „Alpenbezogene Forschungskooperation“<br />
wurde vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung<br />
erarbeitet (Berning 1992); er bezieht sich explizit auf die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und stellt eine wichtige Bestandsaufnahme des damaligen Zustands der Alpenforschung<br />
dar.<br />
Zeitgleich entstand in der Schweiz eine Initiative für ein internationales Netzwerk<br />
Alpenforschung, das 1994 zum ersten AlpenForum in Disentis/Schweiz und<br />
1999 zur Gründung des Internationalen Wissenschaftlichen Komitees Alpenforschung<br />
(ISCAR) führte. ISCAR ist vertraglich in sechs Alpenstaaten verankert<br />
(Schweiz, Österreich, Bayern, Slowenien, Frankreich, Italien), die Geschäftsstelle<br />
befindet sich in Bern/Schweiz, und im Jahr 2000 wurde ISCAR offizieller Beobachter<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> (Scheurer 2014). 7<br />
Durch dieses neue wissenschaftliche Netzwerk gab es relevante Impulse für die<br />
Alpenforschung, die auch der <strong>Alpenkonvention</strong> zu gute kamen. Allerdings fehlt<br />
bis heute noch ein Förderprogramm, das alpenweit angelegte Forschungen finanzieren<br />
könnte. Trotz dieser Lücke kann man aber feststellen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
im Bereich Wissenschaft relevante Veränderungen und Entwicklungen<br />
ausgelöst hat.<br />
2.5 Öffentlichkeitsarbeit<br />
Da die Alpen im 20. Jahrhundert fast durchgehend von sehr starken nationalen<br />
Strukturen geprägt waren und der alpenweite Ansatz der <strong>Alpenkonvention</strong> etwas<br />
grundsätzlich Neues darstellte, war eine breite Öffentlichkeitsarbeit von großer<br />
Wichtigkeit, um ihr Anliegen im gesamten Alpenraum von Wien bis Nizza bekannt<br />
zu machen. Deshalb wird auch in der Rahmenkonvention in Artikel 4, 4 explizit<br />
die Notwendigkeit einer regelmäßigen Öffentlichkeitsarbeit angesprochen.<br />
Die beiden Alpenkonferenzen von Berchtesgaden (1989) und Salzburg (1991)<br />
erzielten in allen Alpenstaaten jeweils ein riesiges Medienecho (zahllose Presse-<br />
und Rundfunkberichte bis hin zur Berichterstattung in den abendlichen Fernsehnachrichten),<br />
aber bereits bei der III. Alpenkonferenz ließ das Medieninteresse<br />
spürbar nach und versiegte bald vollständig.<br />
7 Da der ISCAR-Geschäftsführer Entstehung und Aufgaben des ISCAR kürzlich in einem Aufsatz dargestellt hat<br />
(Scheurer 2014), können die Ausführungen hier kurz ausfallen.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
21
In dieser Situation führte CIPRA International zusammen mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und zahlreichen Kooperationspartnern in den einzelnen Alpenstaaten eine<br />
großangelegte alpenweite Informationskampagne durch (zur Umsetzung in Österreich<br />
siehe Galle 2002, S. 159-161). Sie bestand zum einen aus der Erarbeitung<br />
einer farbigen, 6-seitigen Broschüre im Format DIN A4 mit dem Titel „Die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> – Leben und Wirtschaften mit der Natur“, die in hoher Auflage<br />
in acht unterschiedlichen Ausgaben (für Deutschland, Österreich, Liechtenstein,<br />
Schweiz, Südtirol, Italien, Frankreich, Slowenien) erschien, wobei auf der ersten<br />
Seite unter der Überschrift „Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Chance für ....“ auf die<br />
jeweilige Situation eingegangen wurde. Zum anderen wurde ein längerer journalistischer<br />
Text produziert, der unter dem Titel „Lebensraum Alpen“ als Beilage<br />
in vier großen deutschsprachigen Tageszeitungen erschien (Tagesanzeiger/<br />
Zürich vom 07.11.1994, Süddeutsche Zeitung/München vom 09.11.1994, Der<br />
Standard/Wien vom 24.12.1994, Dolomiten/Bozen vom 24.01.1995). Diese heute<br />
längst vergessene Informationskampagne war damals sehr erfolgreich, wurde<br />
aber seitdem nie wieder wiederholt.<br />
Mit der Eröffnung des Ständigen Sekretariats 2003 in Innsbruck erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
erstmals die Möglichkeit, eigenständig Pressearbeiten durchzuführen.<br />
Obwohl diese Möglichkeit mittels Presseerklärungen, Newsletter, Einrichtung<br />
von Info-Points, Journalistenreisen, AlpenWoche u.a. seitdem intensiv<br />
genutzt wird (siehe www.alpconv.org unter „News and Events“), bleiben die Ergebnisse<br />
letztlich bescheiden – das Thema <strong>Alpenkonvention</strong> spielt in den europäischen<br />
Medien nur noch eine sehr randliche Rolle.<br />
2.6 Indirekte Impulse<br />
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Alpenraum, die 1972 mit der<br />
Gründung der ARGE ALP sehr zögernd begonnen hatte und die sich im Verlauf<br />
der 1980er <strong>Jahre</strong> allmählich immer mehr verstärkte, erhielt durch die Entstehung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> einen sehr starken Schub: Einerseits wurde dadurch die alpenweite<br />
Zusammenarbeit von Gruppen, Initiativen und Organisationen, die an<br />
ähnlichen Problemen arbeiteten (Berglandwirtschaft, Bergwald, sanfter Tourismus,<br />
Kultur, Transitverkehr, Umweltschutz), gestärkt, und andererseits fühlten<br />
sich viele Einzelpersonen, Betriebe und Genossenschaften bei ihrem Engagement<br />
für ein umweltverträgliches Wirtschaften (Verbindung Schutz und Entwicklung)<br />
bestätigt und unterstützt. Als Folge dessen entstand im gesamten Alpenraum<br />
mit und durch die <strong>Alpenkonvention</strong> eine Art Aufbruchsbewegung in dezentralen<br />
Strukturen (Dokumentation eines Teils dieser Initiativen in Haid 1989 und 2005),<br />
die bis weit in die Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong> hinein lebendig war, die dann bis zum<br />
Jahr 2005 immer schwächer wurde und die nach 2005 wieder verschwand.<br />
22 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
2.7 Zusammenfassende Bewertung der Aktivitätsfelder<br />
Misst man die Aktivitäten und Erfolge der <strong>Alpenkonvention</strong> an den selbstgesteckten<br />
Zielen aus den <strong>Jahre</strong>n 1989 und 1991, so fällt das Ergebnis letztlich ziemlich<br />
bescheiden aus. Aber dieser Bewertungsmaßstab ist nicht wirklich angemessen:<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> als ein völlig neues und innovatives Vertragswerk war mit<br />
spezifischen Problemen verbunden, die man anfangs nur teilweise überblickte<br />
(siehe Abschnitt 3), und deshalb ist es realitätsnah, die Aktivitäten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
auf eine etwas andere Weise zu bewerten:<br />
Der größte Erfolg der <strong>Alpenkonvention</strong> bestand darin, dass es gelang, die gesamten<br />
Alpen unter einer gemeinsamen Programmatik und Zielsetzung zu vereinen<br />
und diesen Prozess bis heute lebendig zu halten. Dabei konnten in den Protokollen<br />
einige Festlegungen beschlossen werden, denen heute angesichts großer<br />
umweltzerstörerischer Erschließungsprojekte eine neue Aktualität zukommt,<br />
aber vor allem konnte der Bau von neuen Transitautobahnen durch die Alpen bis<br />
heute verhindert werden. Mindestens genauso wichtig waren darüber hinaus die<br />
indirekten Impulse der <strong>Alpenkonvention</strong> in den verschiedenen Bereichen, die zu<br />
vielen kleinen und dezentralen Veränderungen im Alpenraum führten.<br />
Diese Erfolge sind keinesfalls gering, denn wenn man die Alpen und ihre politischen<br />
und kulturellen Verhältnisse in den 1980er <strong>Jahre</strong>n gekannt hat, dann weiß<br />
man, wie wenig selbstverständlich sie sind und welch große Leistungen dahinter<br />
stehen. Und wenn man sich vorstellt, wie sich die Alpen ohne die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
entwickelt hätten, dann muss man sehr froh sein, dass es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
gibt und dass sie bis heute lebendig ist.<br />
3. Zentrale Problembereiche der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Weil die <strong>Alpenkonvention</strong> weltweit die erste Konvention war, die Schutz- und<br />
Entwicklungsziele im Sinne der Nachhaltigkeit für einen großen Natur- und Wirtschaftsraum<br />
miteinander verknüpfte, und weil damals dafür noch keine Erfahrungen<br />
und Vorbilder vorlagen, gab es von Beginn an spezifische Probleme, die<br />
die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> beeinträchtigten.<br />
3.1 Sektoraler Umweltschutz versus integrative Umweltentwicklung<br />
Bei den ersten Beschlüssen zur Erarbeitung einer <strong>Alpenkonvention</strong> im Jahr 1987<br />
gingen alle Experten von einer sektoralen Umweltschutzkonvention aus, und dieser<br />
Grundgedanke ist in den Dokumenten der Lindauer Konferenz (CIPRA 1989)<br />
heute noch deutlich zu spüren. Gleichzeitig wandelte sich jedoch in der zweiten<br />
Hälfte der 1980er <strong>Jahre</strong> der traditionelle Natur- und Umweltschutz (keinerlei<br />
Nutzung der Natur) zu einem neuen Verständnis von Umweltschutz (Schutz der<br />
Umwelt durch angepasste Nutzungen; grundsätzlich dazu siehe Bätzing 2015, S.<br />
237-241). Vorreiter dabei war die CIPRA, die auf ihrer <strong>Jahre</strong>sfachtagung 1987 die<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
23
Deklaration „Für eine große Koalition zwischen Berglandwirtschaft und Naturund<br />
Heimatschutz im Alpenraum“ verabschiedete (CIPRA 1988, S. 16-21), und<br />
daraufhin folgten praktisch alle einschlägigen Organisationen, die in den folgenden<br />
<strong>Jahre</strong>n ihre Programme zum „Schutz der Alpen“ in Programme zum „Schutz<br />
und zur nachhaltigen Entwicklung der Alpen“ abänderten.<br />
Dies betraf auch die <strong>Alpenkonvention</strong> sehr direkt, die ursprünglich als reines<br />
Schutzinstrument gedacht war, die dann auf der Lindauer Konferenz vorsichtig<br />
in Richtung nachhaltige Nutzung geöffnet wurde (siehe dazu den programmatischen<br />
Beitrag von Walter Danz in CIPRA 1989, S. 63-79), und die mit der Resolution<br />
von Berchtesgaden 1989 und der Rahmenkonvention 1991 explizit eine „integrative“<br />
Perspektive verfolgte (Verbindung Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung,<br />
Kultur), auch wenn zahlreiche einzelne Formulierungen noch auf die ursprüngliche<br />
Leitidee verwiesen.<br />
Allerdings waren den betroffenen Akteuren die Konsequenzen dieses Strategiewechsels<br />
nicht vollständig bewusst, was sich an zwei Punkten zeigt: Eine integrativ<br />
angelegte <strong>Alpenkonvention</strong> hätte erstens auf der politischen Ebene nicht<br />
die Zuständigkeit der Umweltminister erfordert, sondern diejenige der Minister<br />
für Raumordnung bzw. der Kanzler/Präsidenten, und zweitens hätten die Protokolle<br />
den gesamten Bereich der Wirtschaft (also auch die gewerblich-industrielle<br />
Wirtschaft und die nicht-touristischen Dienstleistungen) und die Alpenstädte<br />
abdecken müssen, woran überhaupt nicht gedacht wurde; und die Abwertung<br />
des Protokolls Bevölkerung & Kultur zur Deklaration hat dies noch zusätzlich verstärkt.<br />
Damit enthält die <strong>Alpenkonvention</strong> von Anfang an bis heute zwei Elemente (Zuständigkeit<br />
der Umweltminister, inhaltliche Gewichtung der Protokollthemen),<br />
die auf ihre ursprüngliche Konzeption als Schutzinstrument verweisen und die in<br />
einem gewissen Widerspruch zu ihrer programmatischen Zielsetzung der nachhaltigen<br />
Alpenentwicklung stehen.<br />
Diese „Schutzlastigkeit“ (so der damals oft gebrauchte Begriff) war in den Anfangsjahren<br />
ein häufig vorgetragenes Argument gegen die <strong>Alpenkonvention</strong>, das<br />
auch heute noch gelegentlich zitiert wird. Allerdings kann man festhalten, dass<br />
die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> – im Gegensatz zu vielen plakativen<br />
Anfeindungen – nie den Schwerpunkt auf den Umweltschutz gelegt hat, sondern<br />
dass es dabei immer um die angemessene Balance zwischen Schutz und Entwicklung<br />
ging und geht.<br />
3.2 Top-down-Vorgehen statt Bottum-up<br />
Als die CIPRA die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch vorzubereiten begann, war es für sie<br />
selbstverständlich, dass der Anstoß dazu „von unten“ kommen müsste, also von<br />
der Alpenbevölkerung und vor allem von den Regionen (Bundesländer, Kantone,<br />
regioni, régions) des Alpenraums (CIPRA 1989, S. 66, CIPRA 1992, S. 42).<br />
24 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Als dann jedoch der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer die Initiative ergriff<br />
und seine Amtskollegen zur Konferenz nach Berchtesgaden einlud, war diese<br />
Umsetzungsstrategie plötzlich gescheitert. Damit waren zwei gravierende Probleme<br />
verbunden.<br />
Erstens entstand die <strong>Alpenkonvention</strong> als Top-down-Initiative eines Umweltministers,<br />
der sich damit über die „unter“geordneten politischen Ebenen hinwegsetzte.<br />
Dieser Anfangsfehler prägte die <strong>Alpenkonvention</strong> in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />
stark, und lediglich Österreich entwickelte eine Struktur, die die Bundesländer<br />
systematisch in die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> einbezog.<br />
Zweitens kam der definitive Impuls für eine <strong>Alpenkonvention</strong> aus dem alpenfernen<br />
Bonn, was im Alpenraum – der traditionellerweise gegenüber Einflussnahmen<br />
von außerhalb sehr sensibel reagiert – reflexartige Befürchtungen einer<br />
Fremdbestimmung aufkommen ließ.<br />
Im Nachhinein kann man feststellen, dass dieses Vorgehen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
erheblich geschadet hat und dass der ursprüngliche Weg wahrscheinlich sehr<br />
viel besser gewesen wäre, auch wenn er deutlich länger gedauert hätte.<br />
3.3 Das Abseitsstehen der Schweiz<br />
Sowohl die Schutzlastigkeit als auch das zentralistische Top-down-Vorgehen riefen<br />
im gesamten Alpenraum in der Anfangszeit heftige Kritik hervor. Während<br />
diese beiden Kritikpunkte im Laufe der Zeit fast überall durch die Alltagsarbeit<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> entkräftet werden konnten, blieben sie in der Schweiz bis<br />
heute bestehen.<br />
Zwar sprach sich der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, am 10. April 2008<br />
für die Ratifizierung aller neun Protokolle aus, weil die Protokoll-Inhalte nicht<br />
über nationales Recht hinausgingen, aber das Schweizer Parlament lehnte die<br />
Ratifizierung im November 2010 endgültig ab, wobei viele Parlamentarier dem<br />
Votum der Vertreter der Alpenkantone folgten.<br />
Die Ursachen dieser schwer verständlichen Ablehnung sind sehr komplex: 8 Wichtige<br />
Alpenkantone wie Wallis oder Graubünden waren früher im Rahmen des<br />
alten Staatenbundes der Eidgenossenschaft de facto eigenständige Territorien,<br />
und selbst nach 1848 (Umwandlung des Staatenbundes in einen Bundesstaat)<br />
hatten und haben sie weiterhin viele größere Eigenständigkeiten als z.B. deutsche<br />
Bundesländer. Mit der starken Zunahme der internationalen und globalen<br />
Verflechtungen in Wirtschaft und Gesellschaft ab den 1970er <strong>Jahre</strong>n und dem<br />
gleichzeitigen Aufbrechen der traditionellen kleinräumigen Wirtschaftsregionen<br />
(u.a. durch größere Tagespendlerdistanzen) verloren die Schweizer Kantone<br />
wichtige politische Handlungsspielräume, und die übergeordneten Ebenen (Bun-<br />
8 Die folgende Interpretation stellt die persönliche Bewertung des Autors dar, der von 1988 bis 1995 in der<br />
Schweiz lebte und arbeitete und in dieser Zeit u.a. Mitglied der Expertengruppe „Vertiefung sozio-ökonomischer<br />
Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong>“ (Wachter 1993) war.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
<strong>25</strong>
desstaat, EFTA, EU, GATT usw.) wurden immer wichtiger. Die Schweizer Alpenkantone<br />
erlebten diesen Strukturwandel als politische Bevormundung von außen,<br />
gegen den sie sich sehr heftig zur Wehr setzten, und zugleich versuchten sie,<br />
ihre immer größer werdende strukturelle Benachteiligung durch eine forcierte<br />
Modernisierung ihrer Wirtschaft auszugleichen (Bätzing 2015a, S. 40-47).<br />
Vor diesem angespannten Hintergrund wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> seit 1989<br />
nicht als Chance, sondern als Bedrohung wahrgenommen: Rein theoretisch hätten<br />
sich die relativ kleinen Schweizer Alpenkantone mittels der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
mit vielen anderen Alpenregionen mit ähnlichen Strukturproblemen zusammenschließen<br />
können und so einen Alpenraum bilden können, dessen Größe eine<br />
echte Stärkung ihrer Eigenständigkeit ermöglicht hätte. Aber dieser Gedanke war<br />
den Schweizer Alpenkantonen auch nicht ansatzweise zu vermitteln.<br />
Stattdessen interpretierten sie die Elemente der Schutzlastigkeit und das Topdown-Vorgehen<br />
als die bereits mehrfach erlebte Bevormundung von außen, und<br />
sie setzten sich diesmal dagegen ganz besonders vehement zur Wehr, weil sie<br />
„Alpenentwicklung“ als ihren ureigensten Kompetenzbereich ansahen, bei dem<br />
Niemand etwas mitzureden habe. Und zugleich versuchten die Alpenkantone<br />
ihre wirtschaftliche Entwicklung dadurch voranzutreiben, dass sie sich mit „ihren“<br />
benachbarten Großstädten enger vernetzten (z.B. Kantone Graubünden<br />
und Glarus mit Zürich; siehe Bätzing 2015a, S. 43-44). Durch diese Zusammenarbeit<br />
reduziert sich zwar – im Gegensatz zu einer Zusammenarbeit mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– die Eigenständigkeit der Alpenkantone, aber dies wurde und wird<br />
so nicht wahrgenommen.<br />
Die Diskussion über die <strong>Alpenkonvention</strong> wurde in der Schweiz dadurch zu einer<br />
Stellvertreterdiskussion, bei der es nur vordergründig um die <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
eigentlich aber um die Eigenständigkeit der Kantone in einer globalisierten Welt<br />
ging. Bedauerlicherweise konnten die damit verbundenen Problemkonstellationen<br />
bis heute nicht gelöst werden, so dass die Schweiz bei der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
weiterhin abseits steht und damit das Vertragswerk schwächt.<br />
3.4 Integrative Politik als „Chefsache“?<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> wurde als integratives Vertragswerk für eine nachhaltige<br />
Alpenentwicklung konzipiert. Damit waren zwei grundsätzliche Probleme verbunden.<br />
a) Die gesamte Politik ist in allen Staaten Europas auf der Ebene des Staates und<br />
der Bundesländer – und seit dem Erstarken der EU auch auf der europäischen<br />
Ebene – sektoral nach Ministerien strukturiert. Alle Politikfelder, die nicht sektoral,<br />
sondern integrativ angelegt sind (Zusammenarbeit Umwelt, Wirtschaft, Bevölkerung,<br />
Kultur), benötigen für die politische Umsetzung Arbeitsgruppen, die<br />
sich aus Mitgliedern der verschiedenen zuständigen Ministerien zusammensetzen.<br />
Solche interministeriellen Arbeitsgruppen, wie sie bei der Erarbeitung der<br />
26 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Protokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> existierten, bedeuten jedoch einen sehr großen<br />
Aufwand, der quer zum normalen Tagesgeschäft steht und der deshalb oft gescheut<br />
wird.<br />
Deshalb sitzt die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch gesehen eigentlich „zwischen allen<br />
Stühlen“ (Ministerien). Dies stellt für ihre Umsetzung einen stark hemmenden<br />
Faktor dar und macht alle ihre Aktivitäten besonders mühsam und umständlich<br />
(Bätzing 2015, S. 345, Conradin 2016).<br />
b) Für integrative oder querschnittsorientierte Politikbereiche ist normalerweise<br />
die politisch hauptverantwortliche Person zuständig. Bei der <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />
einem internationalen Vertragswerk von Staaten ist dies der Kanzler oder Präsident<br />
eines Staates.<br />
Das Problem liegt darin, dass Kanzler oder Präsidenten ihre Politik an den „großen“<br />
nationalen oder internationalen Themen ausrichten, die für Wählerstimmen<br />
und damit auch für ihre Wiederwahl relevant sind. Die Alpen sind aber politisch<br />
zu irrelevant und sprechen zu wenig Wähler an, als dass sie zur „Chefsache“<br />
werden könnten (so die Diskussion auf den ersten Konferenzen). Damit fehlt ein<br />
übergeordnetes politisches Interesse für eine integrative Alpenentwicklung.<br />
Diese beiden grundsätzlichen Probleme der integrativ konzipierten <strong>Alpenkonvention</strong><br />
sind bis heute ungelöst, und sie stellen relevante hemmende Faktoren<br />
für die konkrete Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> dar.<br />
3.5 Zur rechtlichen Verbindlichkeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Weil die <strong>Alpenkonvention</strong> auch juristisches Neuland betrat, gab es in der Anfangszeit<br />
sehr große Unsicherheiten, ob und wie ihre Festlegungen einen rechtlich<br />
verbindlichen Charakter erhalten könnten (Bätzing 1994, S. 192-194). Mit der<br />
Erarbeitung des Protokolls Streitbeilegung, mit der Ratifizierung der Rahmenkonvention<br />
und der Protokolle durch die staatlichen Parlamente und mit der Einsetzung<br />
eines Überprüfungsausschusses (ein Kontrollorgan der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
das die Einhaltung der einschlägigen Verpflichtungen überprüft; siehe www.alpconv.org<br />
> Organisation) erhielt die <strong>Alpenkonvention</strong> allmählich auch eine verbindliche<br />
juristische Struktur. Das Ständige Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> versucht<br />
diese Entwicklung mit der Internetseite „Mountain Lex“ (auf www.alpconv.<br />
org), einer Sammlung von europäischen und staatlichen Rechtsquellen zum Thema<br />
Schutz und Entwicklung in europäischen Gebirgsräumen, weiter zu fördern.<br />
Auch bei diesem Thema nimmt Österreich eine Vorreiterrolle im gesamten Alpenraum<br />
ein: Es gibt hier seit 2007 ein Handbuch für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
das die rechtliche Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> erleichtern soll<br />
(Lebensministerium 2007), es gibt eine Rechtsservicestelle bei der Geschäftsstelle<br />
von CIPRA-Österreich, die allgemeine, unverbindliche und kostenlose Rechtsauskünfte<br />
zu diesem Thema erteilt, und es wurde eine Rechtsdatenbank (www5.<br />
umweltbundesamt.at/alpenkonvention) aufgebaut, die derzeit knapp 300 ein-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
27
schlägige Dokumente enthält. Der Freistaat Bayern bzw. Deutschland folgte diesem<br />
Beispiel und erarbeitete ebenfalls einen Leitfaden für die rechtliche Umsetzung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> in Bayern (StMUGV/BMU 2008), während alle anderen<br />
Vertragsstaaten bislang noch keine Schritte in diese Richtung unternahmen.<br />
Diese rechtlichen Strukturen sind für zwei sehr unterschiedliche Bereiche wichtig:<br />
Einerseits wenden sich diese Regelungen nach innen, also an die Mitglieder der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>, um bei Meinungsverschiedenheiten über ein anerkanntes und<br />
verbindliches Verfahren zu verfügen, wie damit umzugehen sei (Galle 2002, S.<br />
205 ff.). Auf diese Weise sollen Selbstblockaden vermieden werden.<br />
Andererseits wenden sich die Regelungen an Dritte, indem die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
mittels Ratifizierung in nationales Recht übernommen wird. Seit einer Reihe von<br />
<strong>Jahre</strong>n werden daher bei Auseinandersetzungen vor Gericht – bislang in erster<br />
Linie in Österreich, seit kurzem aber auch in Bayern 9 – auch die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und ihre Protokolle herangezogen. Damit hat die <strong>Alpenkonvention</strong> endgültig eine<br />
juristische Verbindlichkeit erlangt; allerdings müsste das Vorgehen von Österreich<br />
auch von allen anderen Vertragsparteien konsequent angewandt werden.<br />
Damit kann festgestellt werden, dass sich die rechtliche Implementierung der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>, die anfangs völlig ungeklärt war, auf einem zwar zähen, aber<br />
guten Weg hin zu einer befriedigenden Lösung befindet.<br />
3.6 Einheitliche oder regionsspezifische Protokoll-Inhalte?<br />
Zentrales Ziel aller Protokoll-Inhalte war es, gemeinsame Rahmenbedingungen<br />
für den gesamten Alpenraum festzulegen, um die negativen Auswirkungen der<br />
nationalen Grenzen zu reduzieren (dies war der Fokus der Lindauer Konferenz)<br />
und um zu verhindern, dass einzelne Alpenregionen bei Verkehrs-, Tourismusoder<br />
Umweltfragen gegeneinander ausgespielt werden (wie es auf der Berchtesgadener<br />
Konferenz immer wieder anklang).<br />
Auf Grund der großen Heterogenität der Verhältnisse im Alpenraum müssen<br />
aber gemeinsame Rahmenbedingungen für alle Alpenregionen relativ allgemein<br />
bleiben und können nur wenig konkret werden. Aus diesem Grunde engagierte<br />
sich der Autor dieses Aufsatzes von Anfang an für die Idee einer regionsspezifischen<br />
Ausdifferenzierung der Protokoll-Inhalte, bei der die unterschiedlichen<br />
Situationen der einzelnen Alpenregionen gezielt berücksichtigt würden (siehe<br />
dazu grundsätzlich Bätzing 2015, S. 392-396). Diese Idee wurde zwar auf der<br />
Schwangauer Konferenz von einigen Politikern positiv aufgegriffen (Bätzing 2002,<br />
S. 61) und fand auch Eingang in das Schweizer Dokument zur Vertiefung sozioökonomischer<br />
Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong> (Wachter 1993, S. 61-67), wurde<br />
9 Bekanntestes Beispiel ist die beabsichtigte Auszonung des Riedberger Horns im Allgäu aus der Zone C des<br />
Bayerischen Alpenplanes zum Zweck der Errichtung einer Skischaukel, wogegen u.a. auf das Bodenschutzprotokoll<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> verwiesen wird.<br />
28 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
aber letztlich bei den Inhalten der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht berücksichtigt.<br />
Damit wurde eine wichtige Möglichkeit, die Protokoll-Inhalte sehr viel konkreter<br />
auszugestalten, nicht realisiert.<br />
3.7 Die Vielfalt der Alpenkulturen und die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> stellt das politische Dach für einen Alpenraum dar, der nicht<br />
nur in wirtschaftlicher und sozio-kultureller Beziehung sehr heterogen strukturiert<br />
ist, sondern der auch im 19. und 20. Jahrhundert sehr lange Zeit durch sehr<br />
unterschiedliche staatliche Rahmenbedingungen (und durch erbitterte Kriege)<br />
geprägt wurde. Diese Erfahrungen haben sich tief in die kollektive Erinnerung<br />
eingegraben und erschweren eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit stark.<br />
Die politische Grundlage der <strong>Alpenkonvention</strong> – die heute meist nicht mehr<br />
bekannt ist – war die Annäherung der staatlichen Berggebietspolitiken in den<br />
1980er <strong>Jahre</strong>n im Alpenraum (siehe dazu Bätzing 2015, S. 342-344), die jedoch<br />
die Heterogenität nur oberflächlich etwas reduzierte – Staats- und Sprachgrenzen<br />
waren und sind weiterhin sehr stark in den Alpen ausgeprägt.<br />
Bei der Erarbeitung der Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> ging es daher nicht nur darum,<br />
gemeinsame, alpenweit anerkannte Inhalte zu erarbeiten, sondern gleichzeitig<br />
auch immer darum zu verstehen, das „Le Alpi“, „Les Alpes“ oder „Die Alpen“<br />
nicht überall eine identische Bedeutung besitzen, sondern mit unterschiedlichen<br />
normativen Inhalten besetzt sind (siehe dazu grundsätzlich Bätzing 2002, S. 75-<br />
78).<br />
Am Anfang spielte das wechselseitige Verstehen fremder Gedankenwelten und<br />
Mentalitäten bei der <strong>Alpenkonvention</strong> noch eine wichtige Rolle – angeregt durch<br />
die CIPRA, bei der die Mehrsprachigkeit einen hohen Stellenwert besaß, um der<br />
alpinen Vielfalt gerecht werden zu können –, aber im Laufe der Zeit schwand<br />
dieses Interesse, was sich u.a. darin ausdrückte, dass die Arbeiten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
immer öfters in englischer Sprache durchgeführt wurden.<br />
Eigentlich wäre es eine wichtige Aufgabe der <strong>Alpenkonvention</strong> gewesen, das<br />
wechselseitige Verständnis der so unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten<br />
im Alpenraum im Sinne eines Kulturaustauschs aktiv zu fördern, sozusagen als<br />
kulturellen Unterbau für das politische Dach der Alpen. Aber die zuständigen<br />
Umweltminister sahen diese Notwendigkeit nicht und erteilten der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
dafür weder einen politischen Auftrag, noch stellten sie ihr dafür Finanzmittel<br />
zur Verfügung.<br />
Aus diesem Grund stehen die einzelnen Kulturen und Mentalitäten der Alpen<br />
heute nach wie vor relativ isoliert nebeneinander, was für die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
ein gewisses Hemmnis bedeutet.<br />
3.8 Zusammenfassende Bewertung<br />
Da die <strong>Alpenkonvention</strong> ein innovatives Vertragswerk mit Pioniercharakter ist,<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
29
war sie von Anfang an mit bestimmten „Geburtsfehlern“ behaftet. Die meisten<br />
von ihnen konnten im Laufe der Zeit nicht oder nur teilweise behoben werden,<br />
und allein die rechtliche Verbindlichkeit konnte auf eine befriedigende Weise gelöst<br />
werden. Auch wenn die Auswirkungen einiger dieser Fehler durch ein pragmatisches<br />
Vorgehen stark reduziert werden konnten, so behindern andere Fehler<br />
die konkrete Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> auch heute noch erheblich.<br />
4. Der fundamentale Wandel des Stellenwertes der Alpen in Europa<br />
zwischen 1989 und 2016 und seine Bedeutung für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Obwohl sich die Alpen seit 1989 in den Bereichen Bevölkerung, Wirtschaft und<br />
Umwelt erheblich verändert haben (siehe dazu Bätzing 2015), betraf die allergrößte<br />
und relevanteste Veränderung gar nicht die Alpen selbst, sondern ihre<br />
Stellung in Europa. Diese wandelte sich in diesem Zeitraum fundamental, indem<br />
aus der bekannten Pionier- und Vorbildregion für grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />
in Europa eine unbedeutende und kostenintensive Peripherie wurde.<br />
4.1 Die Situation bis zum Jahr 1989 – 1990<br />
Bis zum Jahr 1989 wurden die europäischen Staaten von der Leitidee der sozialen<br />
Marktwirtschaft bzw. des Sozialstaats geprägt, und diese setzte sich dafür<br />
ein, die permanent über den Markt neu entstehenden sozialen und räumlichen<br />
Ungleichheiten auszugleichen und zu dämpfen. Auch wenn jeder Staat dabei etwas<br />
unterschiedlich vorging, so kann man feststellen, dass in allen ländlich-peripheren<br />
Räumen Europas ab den 1960er <strong>Jahre</strong>n die staatlichen Infrastrukturen<br />
trotz hoher Kosten stark ausgebaut wurden (Verkehrserschließung, Energieversorgung,<br />
Gesundheits-, Schul-, Bildungssystem, Verwaltung), um der Bevölkerung<br />
die Teilhabe am modernen Leben und Wirtschaften und am „Fortschritt“<br />
zu ermöglichen.<br />
Mit der Transformation der EWG in die Europäischen Gemeinschaften (EG) erhielt<br />
diese Leitidee auch eine europäische Dimension: Im neuen Europa erregten<br />
diejenigen Regionen am meisten Aufmerksamkeit, die aus der Sicht der EG<br />
peripher lagen und stark durch nationale Grenzen zerschnitten wurden. Diese<br />
besaßen erhebliche wirtschaftliche Probleme, nämlich schlechte Erreichbarkeiten<br />
und kleine Wirtschaftsregionen, die eine gewisse notwendige Mindestgröße<br />
nicht erreichten, während gleichzeitig Umweltprobleme, die an den Grenzen<br />
nicht haltmachten, stark anstiegen.<br />
In dieser Situation engagierten sich die EG für den Aufbau von großen, grenzüberschreitenden<br />
Regionen in den Peripherien Europas, die sowohl die wirtschaftliche<br />
Situation verbessern (Stärkung dezentraler Arbeitsplätze) als auch<br />
gleichzeitig die Umweltbelastungen reduzieren sollten (Details siehe Bätzing<br />
2012). In dieser Zeit entstanden neue großregionale Strukturen wie die Mittel-<br />
30 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
meeranrainerkonferenz, die Nordseekonferenz oder die Ostseekonvention, und<br />
vor diesem europäischen Hintergrund traf die Idee einer <strong>Alpenkonvention</strong> genau<br />
den damaligen Zeitgeist. Da die <strong>Alpenkonvention</strong> sehr schnell unterzeichnet<br />
wurde, während sich die anderen Vertragswerke nur sehr zäh entwickelten und<br />
meist völlig unverbindlich blieben, wurde sie bald zum europäischen Musterund<br />
Vorzeigeprojekt. Aus diesem Grund fand sie in den Anfangsjahren nicht nur<br />
im Alpenraum und im Gebiet der Vertragsstaaten, sondern im gesamten Europa<br />
große Beachtung – die Alpen als Vorreiter für eine neue Verbindung von wirtschaftlicher<br />
Entwicklung und Umweltschutz mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit<br />
in einer Peripherie.<br />
4.2 Die neue Situation nach 1989 – 1990<br />
Im Jahr 1989 – 1990 zerfiel die Sowjetunion, die osteuropäischen Staaten wurden<br />
eigenständig, und die DDR vereinigte sich mit der BRD. Damit war der „Kalte<br />
Krieg“ beendet, der durch die Rivalität und den Gegensatz von zwei großen<br />
Machtblöcken und zwei „Systemen“ geprägt war, und das marktwirtschaftliche<br />
System hatte den Eindruck, über das sozialistische System gesiegt zu haben (siehe<br />
dazu Bätzing 2015a, S. 48-56).<br />
Mit dem Verschwinden des Gegners verschwand für die Marktwirtschaft auch<br />
die Notwendigkeit, sich als soziale Marktwirtschaft präsentieren zu müssen, und<br />
Wirtschaft und Politik orientierten sich wieder – wie vor dem Kalten Krieg – an<br />
der Leitidee des Liberalismus, der jetzt Neoliberalismus genannt wurde.<br />
Damit waren fundamentale räumliche Veränderungen verbunden: Während die<br />
soziale Marktwirtschaft bzw. der Sozialstaat versucht hatte, die Wirtschaftsdynamik<br />
in den großen Wirtschaftszentren zu dämpfen und das Wirtschaftswachstum<br />
in den benachteiligten und peripheren Regionen aktiv zu fördern, überlassen die<br />
neoliberalen Staaten und eine neoliberal geprägte EU die räumliche Entwicklung<br />
allein dem Markt. Das bedeutet, dass die großen Wirtschaftszentren ein sehr<br />
starkes Wachstum verzeichnen, während die peripheren Räume Wirtschaftskraft<br />
und Arbeitsplätze verlieren, so dass die räumlichen Disparitäten stark zunehmen.<br />
Ausdruck dessen ist der neue Begriff „Metropole“ oder „Metropolregion“: Er<br />
wird in den 1990er <strong>Jahre</strong>n eingeführt und bezeichnet ein wirtschaftliches Zentrum<br />
(mit seinem Umland), das so groß ist, dass es im globalen Wettbewerb bestehen<br />
kann. Normativ wird mit diesem Begriff verbunden, dass Metropolregionen<br />
die Wachstumsmotoren der Volkswirtschaft seien und dass sie allein die für<br />
die globale Konkurrenzfähigkeit so zentralen Innovationen produzieren könnten.<br />
Da der neoliberale Staat auf Grund der Globalisierung über deutlich weniger<br />
Steuereinnahmen verfügt als der frühere Sozialstaat und da dieses Geld zugleich<br />
so effizient wie möglich verwendet werden soll, wird es jetzt kaum noch in den<br />
Peripherien, sondern in erster Linie in den großen Zentren eingesetzt, wodurch<br />
sich die räumlichen Disparitäten noch einmal verstärken.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
31
Während für den Sozialstaat die „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ in seinem<br />
gesamten Territorium im Zentrum standen, zieht sich der neoliberale Staat<br />
tendenziell aus der Fläche auf die Metropolregionen zurück und lässt die Ungunsträume<br />
und die Peripherien zur Wildnis werden.<br />
Lag in den 1980er <strong>Jahre</strong>n der Fokus der europäischen Aufmerksamkeit noch<br />
häufig auf den Peripherien, so ändert sich dies bald: Die Peripherien werden immer<br />
uninteressanter, das gesamte Interesse konzentriert sich immer stärker auf<br />
die europäischen Metropolen, und am Ende werden die Peripherien in der öffentlichen<br />
Diskussion Europas praktisch vergessen.<br />
4.3 Die Auswirkungen dieses Wandels auf den Alpenraum<br />
Es brauchte gut zehn <strong>Jahre</strong>, bis sich nach der Wende der <strong>Jahre</strong> 1989 – 1990 die<br />
neoliberalen Vorstellungen in Europa durchsetzen konnten. Etwa ab den <strong>Jahre</strong>n<br />
2000 – 2002 dominieren diese die Politik und die öffentliche Diskussion, und<br />
ein Ergebnis davon ist, dass die Alpen seitdem in den großen Medien – im Gegensatz<br />
zu früher – kaum noch eine Rolle spielen und nur noch selten erwähnt<br />
werden. 10 Zugleich verändert sich ihre Bedeutung im europäischen Kontext: Aus<br />
der Pionierregion für eine neue Verbindung zwischen dezentraler Wirtschaftsentwicklung<br />
und Umweltschutz wird eine schlecht erreichbare, dünnbesiedelte<br />
und wirtschaftsschwache Problemregion ohne Metropolen, deren hohe Kosten<br />
für den Erhalt staatlicher Infrastrukturen langfristig nicht mehr tragbar seien, so<br />
dass man über einen geordneten Rückzug der Menschen aus den Alpen nachdenken<br />
müsse (zentrales Stichwort dafür in der Schweiz: „alpine Brache“; siehe<br />
Bätzing 2015a, S. 54).<br />
Damit verschieben sich zentrale Bewertungen: Galt die grenzüberschreitende<br />
Zusammenarbeit zwischen peripheren Regionen in den 1980er <strong>Jahre</strong>n als innovativ<br />
und wichtig, weil damit ihre Stagnation überwunden werden könnte, so<br />
spielt dies heute keine Rolle mehr – Peripherien werden grundsätzlich negativ<br />
gesehen, und Regionen ohne Metropolen wie die Alpen (die größte Stadt der<br />
Alpen ist Grenoble, die aber zu klein ist, um das Kriterium Metropole zu erfüllen;<br />
siehe Bätzing 2015, S. 213-220) gelten jetzt als nicht mehr lebensfähig.<br />
Das neue Raumverständnis des Neoliberalismus führt dazu, dass Peripherien<br />
nur dann eine Chance auf eine positive Entwicklung zugestanden wird, wenn sie<br />
möglichst eng mit einer Metropole verflochten werden (Bau von Autobahnen<br />
oder Hochgeschwindigkeitseisenbahnlinien als Voraussetzung). Das bedeutet,<br />
dass dank besserer Erreichbarkeit all jene Funktionen aus dem großstädtischen<br />
Verdichtungskern in die Peripherie verlagert werden, für die im Zentrum kein<br />
Platz mehr ist bzw. deren Wertschöpfung dort zu gering ist (Freizeit, Sport, Um-<br />
10 Die Aussage beruht auf der regelmäßigen Auswertung von drei überregionalen Tageszeitungen in Bezug auf<br />
die Alpen durch den Autor, die von Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong> an bis heute fortlaufend durchgeführt wird und<br />
die zum Aufbau eines umfangreichen Archivs mit Zeitungsartikeln über die Alpen geführt hat.<br />
32 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
weltschutz, Wohnen in attraktiver Umgebung), und dass in der Peripherie die<br />
wirtschaftlichen Nutzungen der Einheimischen (Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus,<br />
nicht-touristische Dienstleistungen) durch diese neuen Funktionen verdrängt<br />
oder durch Filialbetriebe aus dem Zentrum ersetzt werden (Bätzing 2014).<br />
Damit wird eine Alpenregion als Wirtschaftsraum entwertet (die wirtschaftliche<br />
Wertschöpfung konzentriert sich im Verdichtungskern) und zum „Ergänzungsraum“<br />
einer benachbarten Metropole umgewandelt, der sich in allen Aspekten<br />
den Entscheidungen aus dem Zentrum zu unterwerfen hat.<br />
War es in den 1980er <strong>Jahre</strong>n noch die Leitidee, dass die Alpen zu einem gleichwertigen<br />
Lebens- und Wirtschaftsraum in Europa werden sollten, der seine Balance<br />
zwischen Wirtschaft und Umwelt eigenständig gestaltet, so wird diese Leitidee<br />
im neuen Jahrtausend durch die Vorstellung der Alpen als Ergänzungsraum<br />
der in der Nähe der Alpen gelegenen Metropolen ersetzt, die dadurch ihre Konkurrenzfähigkeit<br />
im globalen Wettbewerb weiter verbessern wollen.<br />
4.4 Eine neue Politik für die Alpen: EUSALP<br />
Während die im letzten Abschnitt vorgestellten neuen Leitideen lange Zeit rein<br />
theoretische Überlegungen blieben, wurden sie dann auf einmal sehr schnell in<br />
die politische Realität umgesetzt.<br />
Die EU griff ihre alten Vorstellungen von europäischen Makroregionen unter<br />
völlig neuen Vorzeichen wieder auf und entwickelte – zeitgleich mit ihrem Rückzug<br />
aus der <strong>Alpenkonvention</strong>! – die so genannten „makroregionalen Strategien“<br />
(Bätzing 2012), und zwar 2009 für den Ostseeraum, 2011 für den Donauraum,<br />
2014 für Adria-Ionisches Meer und 2015 für die Alpen („makroregionale EU-Strategie<br />
für den Alpenraum“, Abkürzung EUSALP). Als Abgrenzung für den EUSALP-<br />
Alpenraum wurde die Interreg-Abgrenzung des Alpine Space leicht modifiziert,<br />
also eine weite Alpenabgrenzung gewählt, die sowohl die Alpen als auch die<br />
perialpinen Gebiete unter Einschluss der großen Metropolen (Wien, München,<br />
Lyon, Marseille, Mailand usw.) umfasst. Im EUSALP-Raum leben 2011 76,6 Mio.<br />
Menschen, während im Kernraum der Alpen (Alpenabgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong>)<br />
lediglich 15 Mio. Menschen leben, so dass sich die Alpen in einer klaren<br />
Minderheitsposition befinden (Bätzing 2015, S. 369).<br />
Damit orientiert sich die Gebietsabgrenzung der EUSALP sehr eindeutig an dem<br />
neuen Raumverständnis des Neoliberalismus (Zusammenfassung des Peripherieraumes<br />
Alpen mit den benachbarten Metropolen zu einer Region), und viele<br />
– aber keineswegs alle! – programmatischen Forderungen zielen auf die bessere<br />
Vernetzung der Alpen mit den Metropolen ab, weil dies zum Vorteil beider<br />
Teilräume sei und weil dies zu einem deutlichen Wirtschaftswachstum führen<br />
würde.<br />
Dazu ist jedoch zu sagen, dass eine solche Strategie keineswegs „die Alpen“<br />
aufwertet, sondern lediglich ihre Umwandlung in einen Ergänzungsraum für die<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
33
außeralpinen Metropolen beschleunigt. Während beim Ergänzungsraum die ergänzenden<br />
Funktionen für die Metropolen die Alpen total dominieren (Wohnen,<br />
Freizeit, Sport, Umweltschutz) und die Wirtschaft nur eine untergeordnete Rolle<br />
spielt (diese hat ihre bevorzugten Standorte ja im Zentrum), ist es bei den Alpen<br />
im Sinne der <strong>Alpenkonvention</strong> ganz anders: Hier steht das eigenständige, dezentrale<br />
und umweltverträgliche Wirtschaften als Voraussetzung für menschliches<br />
Leben im Alpenraum im Zentrum, und ergänzende Funktionen für die Metropolen<br />
bzw. für Europa spielen zwar eine nicht unwichtige Rolle, dürfen aber dieses<br />
eigenständige Wirtschaften nicht gefährden und sollten ihm nachgeordnet werden.<br />
Mit diesen beiden Alpenabgrenzungen sind also zwei inhaltlich sehr unterschiedliche<br />
Leitideen der Alpenentwicklung verbunden.<br />
Die EUSALP-Strategie und ihr Aktionsplan enthalten zwar viele Aussagen, die<br />
sehr deutlich in Richtung Alpen als Ergänzungsraum gehen, aber es gibt gleichzeitig<br />
auch andere Aussagen, die sich für eine nachhaltige Alpenentwicklung im<br />
Sinne der <strong>Alpenkonvention</strong> aussprechen. Was die EUSALP und die mit ihr verbundenen<br />
Umsetzungsprojekte und Fördergelder konkret im Alpenraum bewirken<br />
werden, wird man wahrscheinlich erst in einigen <strong>Jahre</strong>n absehen können, und es<br />
ist durchaus auch möglich, dass die EUSALP kaum konkrete Ergebnisse bringt und<br />
letztlich versandet. Denn die gleichen Probleme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,<br />
die schon die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> belastet und behindert<br />
haben, treten auch bei der EUSALP auf (integrative Konzeption, keine Chefsache,<br />
Top-down-Vorgehen, rechtliche Verbindlichkeit, Vielfalt der Alpenkulturen und<br />
der politischen Strukturen). Und da die EUSALP die <strong>Alpenkonvention</strong> nur randlich<br />
einbezieht und kein Interesse bekundet hat, durch eine enge Zusammenarbeit<br />
mit der <strong>Alpenkonvention</strong> von deren spezifischen Erfahrungen zu lernen, besteht<br />
die große Gefahr, dass die EUSALP viele Fehler bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit<br />
wiederholt und dadurch kaum zu konkreten Ergebnissen kommt.<br />
4.5 EUSALP und <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Mit dem Inkrafttreten der EUSALP ist die <strong>Alpenkonvention</strong> scheinbar überflüssig<br />
geworden, und sie gilt jetzt als ein überholtes Konzept aus vergangener Zeit, das<br />
durch ein besseres und „moderneres“ Konzept ersetzt werde. Demzufolge stand<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> bei der Vorbereitung der EUSALP oft im Abseits, und sie<br />
spielt auch im laufenden Prozess als Beobachter lediglich eine marginale Rolle.<br />
Ginge es nach dem Zeitgeist, dann müsste sich die <strong>Alpenkonvention</strong> <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong><br />
nach ihrer Entstehung selbst auflösen.<br />
Diese Sichtweise ist jedoch den realen Verhältnissen im Alpenraum überhaupt<br />
nicht angemessen: Die Strategie, die Alpen zum Ergänzungsraum der Metropolen<br />
zu machen, schafft in den Alpen viel mehr neue Probleme als sie alte Probleme<br />
löst, und zugleich ist die Strategie der <strong>Alpenkonvention</strong> – die Verbindung von<br />
wirtschaftlicher Entwicklung um Umweltschutz mittels grenzüberschreitender<br />
34 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Zusammenarbeit – trotz erheblicher Umsetzungsprobleme und -defizite alternativelos,<br />
um in einer Peripherie langfristig dezentrale Lebensmöglichkeiten zu<br />
sichern.<br />
Allerdings war und ist die <strong>Alpenkonvention</strong> politisch als eine Insellösung angelegt,<br />
was angesichts zahlreicher funktionaler Verflechtungen zwischen den Alpen<br />
und Europa ein echtes Problem darstellt. Wenn die EUSALP-Vertreter darauf<br />
hinweisen, dass das Verhältnis zwischen den Alpen und den benachbarten Metropolen<br />
wesentlich effizienter ausgestaltet werden müsse, dann haben sie mit<br />
dieser Kritik durchaus recht.<br />
Deshalb muss die EUSALP-Struktur fundamental modifiziert werden: Es braucht<br />
innerhalb der EUSALP die <strong>Alpenkonvention</strong> als Vertretung des Kernraumes Alpen,<br />
die auf Augenhöhe mit den Vertretern der Metropolen verhandeln kann.<br />
Denn wenn kleine Alpengemeinden oder kleine Alpenlandkreise direkt großen<br />
Metropolen gegenüberstehen und sich mit ihnen auseinandersetzen, dann können<br />
die Alpen ihre Interessen nicht durchsetzen und können auch leicht gegeneinander<br />
ausgespielt werden. Erst die <strong>Alpenkonvention</strong>, die den Kernraum Alpen<br />
mit seinen 15 Mio. Einwohnern vertritt, ist groß genug, um ein Gegengewicht<br />
gegenüber den Metropolen zu bilden und um zu verhindern, dass die Alpen zum<br />
Ergänzungsraum gemacht werden. Nur mit einer solchen Struktur kann innerhalb<br />
der EUSALP ein Gleichgewicht zwischen Metropolen und Peripherie hergestellt<br />
werden.<br />
In dieser Perspektive behält die <strong>Alpenkonvention</strong> ihre bisherigen Zielsetzungen<br />
voll und ganz bei, aber diese werden durch die wichtige zusätzliche Aufgabe – die<br />
Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Kernraum Alpen und den benachbarten<br />
Metropolen – ausgeweitet, wodurch die <strong>Alpenkonvention</strong> zusätzlich aufgewertet<br />
wird.<br />
5. Welche Zukunft für die <strong>Alpenkonvention</strong>?<br />
Aus diesen Gründen ist die <strong>Alpenkonvention</strong> keineswegs ein überholtes Instrument<br />
einer vergangenen Epoche, sondern sie steht für wichtige Leitideen, die<br />
auch nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n noch eine zentrale Bedeutung für die Zukunft der Alpen<br />
besitzen und bei denen – trotz aller genannten Probleme – ein großes Erfahrungswissen<br />
vorliegt, das nicht verlorengehen darf: Gäbe es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
nicht, dann müsste man sie eigentlich neu erfinden, was aber vor dem Hintergrund<br />
des gegenwärtiges politischen Zeitgeistes heute kaum noch möglich sein<br />
dürfte.<br />
Zugleich besitzen die <strong>Alpenkonvention</strong> und EUSALP ein großes Zukunftspotenzial:<br />
Im EUSALP-Prozess sind EU und Europa mit der Grundsatzfrage des Verhältnisses<br />
zwischen Metropolen und Peripherien konfrontiert. Ohne die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
dürfte sich dieses Verhältnis asymmetrisch und negativ entwickeln, aber<br />
zusammen mit der <strong>Alpenkonvention</strong> kann hier ein gleichwertiges und gleichbe-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
35
echtigtes Verhältnis aufgebaut werden, das zum Vorbild für andere makroregionale<br />
Strategien werden könnte.<br />
Die grundsätzliche Gefahr besteht nämlich darin, dass die makroregionalen EU-<br />
Strategien keine wirklich überzeugenden Problemlösungen entwickeln und dass<br />
sie zu sektoral, zu technisch und zu unverbindlich bleiben. Dadurch würde der<br />
Eindruck verstärkt, dass im Zeitalter der Globalisierung keinerlei regionale Entwicklungen<br />
und Problemlösungen mehr möglich seien, so wie es der neoliberale<br />
Zeitgeist behauptet. Globale Lösungen für die heutigen Wirtschafts-, Gesellschafts-<br />
und Umweltprobleme können aber auf Grund der Komplexität der Welt<br />
stets nur äußerst allgemein sein, und sie können wohl auch nur auf zentralistische<br />
Weise durchgesetzt werden, weshalb sie kaum ein geeignetes Instrument<br />
zur Problemlösung sind. Regionale Lösungen haben dagegen sehr viele Vorteile<br />
(Realitätsnähe, Konkretheit, Verbindlichkeit) und sollten deshalb unbedingt gestärkt<br />
werden.<br />
Die Erfahrungen in den Alpen und mit der <strong>Alpenkonvention</strong> zeigen sehr konkret<br />
und sehr deutlich, dass Spielräume für regionale Problemlösungen trotz Globalisierung<br />
möglich sind (die jedoch ohne Finanzmittel für eigene Projekte kaum<br />
sichtbar gemacht werden können). Aufbauend auf diesen Erfahrungen wäre es<br />
von großer Wichtigkeit, dass die EUSALP mittels des gleichberechtigten Einbezuges<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> in die Lage versetzt wird, echte regionale Lösungen zu<br />
entwickeln und dass diese dann in ganz Europa Nachahmer finden, um regionale<br />
Spielräume gegenüber der Globalisierung zu öffnen und auszubauen – die Alpen<br />
als Vorreiter für regionale Lösungen in Europa.<br />
Literatur<br />
Bätzing, W. (2015): Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft.<br />
München, 4. Fassung, 484 S.<br />
Bätzing, W. (2015a): Zwischen Wildnis und Freizeitpark – eine Streitschrift zur Zukunft der<br />
Alpen. Zürich, 145 S.<br />
Bätzing, W. (2014): Eine makroregionale EU-Strategie für den Alpenraum. Eine neue<br />
Chance für die Alpen? In: Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt (München)<br />
Bd. 79, S. 19 – 32.<br />
Bätzing, W. (2012): Makroregion Alpen und <strong>Alpenkonvention</strong> – Gegensatz oder ideale<br />
Ergänzung? Die europäischen Makroregionen zwischen Aufwertung von Peripherien<br />
und Stärkung von Metropolregionen. In: www.raumnachrichten.de/<br />
diskussionen/1528-werner-baetzing-makroregion-alpen-und-alpenkonvention<br />
29.06.2012, <strong>25</strong> S.<br />
Bätzing, W. (2003): Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft.<br />
München, 3. Fassung, 431 S.<br />
Bätzing, W. (2002): Ökologische und sozioökonomische Anforderungen an das Schwer-<br />
36 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
punktthema der <strong>Alpenkonvention</strong> „Bevölkerung und Kultur“. Hrsg.: Umweltbundesamt,<br />
Berlin, 135 S. (= UBA-Texte 61/02).<br />
Bätzing, W. (1994): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – ein internationales Vertragswerk für eine<br />
nachhaltige Alpenentwicklung auf dem mühevollen Weg der politischen Realisierung.<br />
In: H. Franz (Hrsg.): Gefährdung und Schutz der Alpen. Wien, S. 185 – 206 (=<br />
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission<br />
für Humanökologie Band 5).<br />
Berning, E. (1992): Alpenbezogene Forschungskooperation – Perspektiven für eine intensivere<br />
Zusammenarbeit der Forschung in vorrangigen Problembereichen des Alpenraumes.<br />
München, 95 S. (= Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung<br />
und Hochschulplanung, Monographien NF Bd. 29). Im Internet: www.ihf.bayern.de/<br />
uploads/media/Monographie_29.pdf<br />
CIPRA (1993): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – eine Zwischenbilanz. Ergebnisse der Jahrfachkonferenz<br />
vom 1.-3. Oktober 1992 in Schwangau. Hrsg. von W. Danz/S. Ortner. München,<br />
529 S. (= CIPRA-Schriften Bd. 10).<br />
CIPRA (1992): CIPRA 1952 – 1992. Dokumente, Initiativen, Perspektiven. Für eine bessere<br />
Zukunft der Alpen. Vaduz, 100 S.<br />
CIPRA (1989): Umweltpolitik im Alpenraum. Ergebnisse der Internationalen Konferenz<br />
vom 24.-<strong>25</strong>. Juni 1988 in Lindau. Hrsg. von W. Danz. München, 528 S. (= CIPRA-<br />
Schriften Bd. 5).<br />
CIPRA (1988): Bodenschutz und Berglandwirtschaft. Kongreßakten der <strong>Jahre</strong>sfachtagung<br />
der CIPRA vom 8. bis 10. Oktober 1987 in Brixen/Südtirol. Bozen, 244 S. (= CIPRA-<br />
Schriften Bd. 4).<br />
CIPRA Österreich (1996): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – der österreichische Weg. CIPRA Österreich,<br />
Wien, 119 S.<br />
Conradin, K. (2016): Standpunkt – <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> sind nicht genug. In: alpMedia<br />
04/2016, 2 Seiten: www.cipra.org/de/news/standpunkt-<strong>25</strong>-jahre-alpenkonvention-sind-nicht-genug<br />
Galle, E. (2002): Das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und seine<br />
Protokolle. Berlin, 271 S. (= Alpine Umweltprobleme Teil 39/Beiträge zur Umweltgestaltung<br />
Bd. A 148).<br />
Haid, H. (2005): Neues Leben in den Alpen. Initiativen, Modelle und Projekte der Bio-<br />
Landwirtschaft. Wien/Köln/Weimar, <strong>25</strong>1 S.<br />
Haid, H. (1989): Vom neuen Leben. Alternative Wirtschafts- und Lebensformen in den<br />
Alpen. Innsbruck, 287 S.<br />
Haßlacher, P. (2016): <strong>Alpenkonvention</strong> – Bibliographie. Teil 1: 1988-2002. Teil 2: 2003-<br />
2015. Innsbruck, 186 S. In: www.cipra.at > rechte Spalte ganz unten.<br />
Haßlacher, P. (2014): Die <strong>Alpenkonvention</strong> auf dem mühevollen Weg zur Umsetzung. In:<br />
T. Chilla (Hrsg.): Leben in den Alpen – Verstädterung, Entsiedlung und neue Aufwertungen.<br />
Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern, S. 247 – <strong>25</strong>7.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
37
Haßlacher, P. (1998): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Ist sie auf dem richtigen Weg? In: BERG’99 –<br />
Alpenvereinsjahrbuch. München/Innsbruck/Bozen, S. 307 – 313.<br />
Haßlacher, P. (1991): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Worthülse oder Chance für den Alpenraum?<br />
Einige Bemerkungen über Stand, Inhalt und Probleme. In: Die Alpen im Mittelpunkt.<br />
Innsbruck, S. 83 – 93 (= Fachbeiträge des ÖAV, Serie Alpine Raumordnung Nr. 5).<br />
Lebensministerium (2007): Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Handbuch für ihre Umsetzung. Rahmenbedingungen,<br />
Leitlinien und Vorschläge für die Praxis zur rechtlichen Umsetzung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Durchführungsprotokolle. Wien, 161 S.<br />
Lebensministerium (2005): Sozioökonomische Dimension der <strong>Alpenkonvention</strong> unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Alpenstädte. Wien, 49 S.<br />
Messerli, B. (2016): 50 <strong>Jahre</strong> österreichisch-schweizerische Zusammenarbeit in der Gebirgsforschung<br />
und Gebirgsentwicklung. In: Die Welt verstehen – eine geographische<br />
Herausforderung. Eine Festschrift der Geographie Innsbruck für Axel Borsdorf.<br />
Innsbruck, S. 9 – 18 (= Innsbrucker Geographische Studien Bd. 40).<br />
Scheurer, T. (2014): Alpenforschung im Dialog – Beiträge und Perspektiven des Alpen-<br />
Forums. In: T. Chilla (Hrsg.): Leben in den Alpen – Verstädterung, Entsiedlung und<br />
neue Aufwertungen. Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern, S.<br />
235 – 246.<br />
Siegrist, D. (2002): Das Tourismusprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong>. Zugpferd für eine integrative<br />
Tourismusentwicklung im Alpenraum. In: K. Luger/F. Rest (Hrsg.): Der Alpentourismus.<br />
Entwicklungspotenziale im Spannungsfeld von Kultur, Ökonomie und<br />
Ökologie. Innsbruck, S. 337 – 355.<br />
StMUGV/BMU (2008): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Leitfaden für ihre Anwendung. Rahmenbedingungen,<br />
Leitlinien und Vorschläge für die Praxis zur rechtlichen Umsetzung der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Durchführungsprotokolle. Hrsg.: Bayerisches Staatsministerium<br />
für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz/Bundesministerium für<br />
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. München, 39 S.<br />
Wachter, D. (1993): Vertiefung sozio-ökonomischer Aspekte der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer<br />
Protokolle – eine Untersuchung der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die<br />
Berggebiete im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft. Bern,<br />
73 S. (= Umwelt-Materialien Nr. 2/Natur und Landschaft).<br />
Internet<br />
www.alpconv.org (Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>)<br />
www.cipra.org > Alpenpolitik (Internationale Alpenschutzkommission CIPRA)<br />
www.alpenverein.at > Natur & Umwelt (Österreichischer Alpenverein)<br />
www.iscar-alpineresearch.org (AlpenForum und wissenschaftliche Zusammenarbeit)<br />
www.alpweek.org (AlpenWoche)<br />
www.alpine-space.org und www.alpine-space.eu (Interreg-Programm Alpine Space der<br />
Europäischen Union)<br />
www.alpine-region.eu (EUSALP-Programm der EU)<br />
38 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Bergsteigerdorf Vals (Tirol) –<br />
Bergsteigerdörfer sind ein Umsetzungsprojekt<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
39
Sebastian Schmid<br />
Auf der Suche nach dem effektiven<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>srecht<br />
Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der<br />
Universität Innsbruck<br />
Seit 2009 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />
Österreich<br />
E: sebastian.schmid@uibk.ac.at<br />
I. Einleitung<br />
Die Konvention zum Schutz der Alpen und ihre Durchführungsprotokolle sind<br />
weltweit das umfassendste rechtliche, auf eine Bergregion bezogene Regelwerk.<br />
Dass sich die Alpenanrainerstaaten auf diese völkerrechtlichen Verträge mit ihren<br />
vielfältigen Inhalten einigten, ist aus heutiger Sicht bemerkenswert und zeugt<br />
vom politischen Willen und der Geduld der Verhandlungsparteien.<br />
Die mit der <strong>Alpenkonvention</strong> verbundenen Erwartungen mancher Akteure waren<br />
groß, für andere stellte sie von Anfang an vergebene Liebesmüh oder gar<br />
ein Übel dar. Doch weder jene, die die <strong>Alpenkonvention</strong> als neue Wunderwaffen<br />
gegen die fortschreitende Kommerzialisierung der Alpen ansahen, noch jene, die<br />
sie als Verhinderungsinstrument jeglicher Entwicklung anprangerten, sollten am<br />
Ende Recht haben. Denn die <strong>Alpenkonvention</strong> hat sich in diesem Widerstreit der<br />
Interessen kaum positioniert, sie fristet eher das Dasein eines Hinterbänklers,<br />
der sich nur dann und wann zu Wort meldet und in Ausnahmefällen Aufmerksamkeit<br />
erfährt.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> kann daher festgestellt<br />
werden, dass ihre Bedeutung und insbesondere jene der Durchführungsprotokolle<br />
bescheiden ist. Ein im Rechtsalltag der Vollziehungsbehörden wirksames <strong>Alpenkonvention</strong>srecht<br />
gibt es kaum. In Österreich verwundert dies deshalb, weil<br />
der Nationalrat beim Abschluss der Protokolle auf einen so genannten Erfüllungsvorbehalt<br />
verzichtet hat und sie daher gleich anzuwenden sind, wie innerstaatliche<br />
Gesetze. Aber die Unauffälligkeit der <strong>Alpenkonvention</strong> ist nicht jedenfalls<br />
40 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
problematisch, können doch auch Gründe vorliegen, die diesen Zustand rechtfertigen.<br />
Problematisch wäre es nur, wenn anzuwendendes Recht unangewendet<br />
bliebe. Welche Ursachen hat also die Ineffektivität des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts?<br />
II. Ursachenforschung in zehn Thesen<br />
1. Völkerrechtliche Verträge als Kompromisse<br />
Verträge allgemein und somit auch völkerrechtliche Verträge sind in der Regel<br />
Ergebnis eines Interessenausgleichs. Da ein für den Alpenraum geltender Rechtsrahmen<br />
nur Sinn macht, wenn sich alle Alpenanrainerstaaten an seiner Ausarbeitung<br />
beteiligen, war es von Anfang an das Ziel, möglichst alle betroffenen Staaten<br />
an einen Tisch zu bringen und im Laufe der Verhandlungen keine Partei „zu<br />
verlieren“. Eindrücklich wird dies im Bericht der Regierung an den Landtag des<br />
Fürstentums Liechtenstein zusammengefasst:<br />
„Der lange Weg von der 1986 erfolgten CIPRA-Initiative für eine <strong>Alpenkonvention</strong> über die<br />
Unterzeichnung derselben im <strong>Jahre</strong> 1991 bis zur Verabschiedung der beiden jüngsten der<br />
neun Protokolle zur Konvention im <strong>Jahre</strong> 2000 zeigt deutlich auf, dass diese Zusammenarbeit<br />
nicht immer konfliktfrei verlaufen ist und auch weiterhin nicht spannungsfrei bleiben wird.“ 1<br />
Wie sich das Ringen um Kompromisse auf die Protokolle ausgewirkt hat, zeigt sich<br />
auch am Beispiel des Art 14 BSchP. In der Erstfassung war ua vorgesehen, dass<br />
die Vertragsparteien im Hinblick auf Erschließungsmaßnahmen Ausbaugrenzen<br />
festlegen, dass sie grundsätzlich auf die weitere touristische Erschließung von<br />
Gletschern verzichten und der Wirtschaftswegebau eingeschränkt wird. In der<br />
Endfassung findet sich diese Inhalte nicht mehr. Das später hinzugekommene<br />
Verbot der Errichtung von Schipisten in labilen Gebieten fiel nur deshalb nicht<br />
dem Widerstand Frankreichs zum Opfer, weil die Verhandlungen von Beamtenauf<br />
die politische Ebene verlagert wurden, wo der französische Vertreter offenbar<br />
von den übrigen Verhandlungsparteien überzeugt werden konnte.<br />
Ein solcher Prozess des Aufweichens und Aushöhlens lässt sich für alle Protokolle<br />
nachweisen. Die Wirksamkeit des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts leidet darunter,<br />
weil klare Aussagen durch Allgemeinplätze ersetzt wurden, in denen sich jede<br />
Vertragspartei mit ihren Vorstellungen und Wünschen wiederfand. Je weiter der<br />
Spielraum ist, den Rechtnormen den Vollziehungsorganen einräumen, desto<br />
flexibler können die in ihrer Anwendung ergehenden Entscheidungen getroffen<br />
werden.<br />
2. Das Sprachenproblem<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist gleichermaßen in deutscher, französischer, italienischer<br />
und slowenischer Sprache verbindlich (Art 14 AK). Die daraus resultierenden<br />
1 Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend neun Protokolle<br />
zu Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) vom 7. November 1991, Nr. 10/2002, S. 9.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
41
Auswirkungen auf die Vollziehung durch nationale Behörden hat Robert Walter<br />
auf den Punkt gebracht:<br />
Die innerstaatliche Gesetzgebung ist […] fortlaufend – wenn auch nicht immer mit Erfolg<br />
– bemüht, die zu schaffenden Rechtsregeln klar und kurz und dem bestehenden Recht angepasst<br />
zum Ausdruck zu bringen. Die generelle Transformation [völkerrechtlicher Verträge,<br />
Anm] lässt eine solche anzustrebende Gestaltung des Rechts nicht zu: Die Regelung kann<br />
nicht klar sein, weil die internationale Vertragssprache von der österreichischen Rechtssprache<br />
erheblich abweicht und weil die für die Staaten getroffenen Anordnungen in solche »umgedacht«<br />
werden müssen, die für die Rechtsunterworfenen unmittelbar gelten. Die Regelung<br />
kann nicht kurz sein, weil auch Anordnungen transformiert werden, die innerstaatlich längst<br />
gelten, womit die Masse des Rechtsstoffs überflüssigerweise und entgegen dem ökonomischen<br />
Prinzip der Gesetzestechnik […] vermehrt wird. Die Regelung kann aber auch nicht<br />
angepasst sein, weil sie für viele Rechtsordnungen – freilich nur ungefähr – passen soll.“ 2<br />
Das mit der Vollziehung der <strong>Alpenkonvention</strong> beauftragte innerstaatliche Organ<br />
sieht sich also Rechtstexten gegenüber, die vom gewohnten Standard abweichen.<br />
Was aus der Routine herausfällt, verstört und wird soweit wie möglich beiseite<br />
geschoben. Dass die Mehrsprachigkeit und die damit zusammenhängende<br />
Textierung der Durchführungsprotokolle deren Anwendung nicht gerade fördert,<br />
liegt auf der Hand.<br />
3. Anspruchsvolle Auslegung<br />
Hand in Hand mit dem eben erwähnten Sprachenproblem geht die Tatsache,<br />
dass völkerrechtliche Verträge nach speziellen Regeln auszulegen sind. Sie finden<br />
sich in den Artikeln 31 ff Wiener Vertragsrechtskonvention: Ausgangspunkt<br />
der Interpretation ist die gewöhnliche Bedeutung der Bestimmungen in ihrem<br />
Zusammenhang. Dazu gehören nicht nur der gesamte Vertragstext inklusive Präambel,<br />
sondern auch Übereinkünfte bei Vertragsabschluss oder Erklärungen einer<br />
Vertragspartei, die von den anderen angenommen wurden. Vorbereitende<br />
Arbeiten sind in erster Linie zur Bestätigung der Textauslegung heranzuziehen.<br />
Bei Verträgen mit mehreren authentischen Sprachen gilt die Vermutung, dass<br />
die Ausdrücke in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben. Hier ist<br />
im Zweifel anhand der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zu klären, mit welchem<br />
Sinngehalt ein Begriff dort verwendet wird. Unzulässigkeit ist es jedenfalls,<br />
eine einzelne Sprachfassung, meist jene, die einem vertraut ist, heranzuziehen<br />
und eine Auslegung in Zusammenschau mit nationalem Recht vorzunehmen.<br />
Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge ist komplex und aufwändig. Tiefschürfende<br />
Recherchen in wenig vertrauten Rechtsordnungen sind erforderlich, umfassende<br />
Sprachkenntnisse unabdingbare Voraussetzung. In einem von routinemäßiger<br />
Aufgabenerledigung geprägten Behördenalltag, wo in personeller und<br />
zeitlicher Hinsicht nur wenig freie Ressourcen bestehen, ist daher eine metho-<br />
2 Walter, Die Neuregelung der Transformation völkerrechtlicher Verträge in das österreichische Recht, ÖJZ<br />
1964, 449 (451) – Sperrungen im Original.<br />
42 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
disch korrekte Anwendung völkerrechtlicher Verträge, wie der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
kaum möglich.<br />
4. Erwartungshaltung der Vertragsparteien<br />
Viele Akteure, auch auf Seiten der Verhandlungsparteien, sahen die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
von Anfang an mehr als politisches Instrument, denn als so genanntes<br />
black letter law. Zum Beispiel wurde in der Schweiz in der Erklärung von Arosa<br />
klargestellt, dass die bestehenden Schweizer Gesetze den Anforderungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
genügen und Gesetzesrevisionen daher nicht nötig seien. 3 Das<br />
Protokoll „Bodenschutz“ wurde dementsprechend „als durchaus positiv zu wertendes<br />
Mittel zu vermehrter Sensibilisierung und koordiniertem Handeln bei Bodenproblemen<br />
im Alpenraum“ erachtet. 4<br />
In fast allen parlamentarischen Materialien zur Beschlussfassung der Durchführungsprotokolle<br />
findet sich der Hinweis, dass eine Anpassung innerstaatlicher<br />
Gesetze nicht notwendig sei. Bei einer solchen Grundhaltung der Gesetzgeber ist<br />
nicht zu erwarten, dass dem <strong>Alpenkonvention</strong>srecht auf Vollziehungsebene das<br />
Potential zu einschneidenden Änderungen der jeweiligen nationalen Rechtslage<br />
zugemessen wird.<br />
Dennoch: Vor diesem Hintergrund überrascht es aus heutiger Sicht, dass sich<br />
trotz der offenkundigen Einigkeit über die eher politische Funktion der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
sehr weitgehende Vorschriften in den Protokollen finden, welche<br />
den nationalen Rechtsordnungen keineswegs bekannt sind: der Verzicht neuer<br />
hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr (Art 11 VerkehrsP), die<br />
Pflicht zur Erhaltung von Schutzwäldern an Ort und Stelle (Art 6 Berg-waldP), die<br />
Zielvorgabe, beim Bau von Stromleitungen soweit wie möglich bestehende vor<br />
neuen Korridoren zu benutzen (Art 10 Abs 2 EnergieP) – die Liste ließe sich leicht<br />
fortsetzen.<br />
Wie immer also die Erwartungshaltung einiger Akteure gegenüber der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
war bzw. ist: derartige, über den nationalen Rechtsbestand hinausgehende<br />
Vorschriften sind – jedenfalls in den Rechtsordnungen jener Vertragsparteien,<br />
welche die Durchführungsprotokolle unterzeichnet haben – geltendes<br />
Recht und ihrem Inhalt entsprechend anzuwenden.<br />
5. Schleppende Ratifizierung<br />
Ein weiterer Hemmschuh für die Wirksamkeit des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts ist<br />
der schleppende Ratifizierungsprozess. Weniger schwer als die Zurückhaltung<br />
Monacos wiegt hier jene der Schweiz. Denn dadurch wird ein Ungleichgewicht<br />
geschaffen, das sich auf die Akzeptanz des Konventionsrechts in jenen Staaten,<br />
3 Abgedruckt in: Botschaft zum Übereinkommen zum Schutz der Alpen (<strong>Alpenkonvention</strong>) und zu verschiedenen<br />
Zusatzprotokollen vom 10. September 1997, 97.064 (BBl 1997, 657 [667]).<br />
4 Erläuterungen zum Protokoll „Bodenschutz“ der <strong>Alpenkonvention</strong>, Zi/En/26.04.95, S. 4 (unveröffentlicht).<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
43
in denen die Durchführungsprotokolle gelten, auswirkt. Dazu ein Beispiel: Das<br />
Tourismusprotokoll spricht sich in Form eine Zielbestimmung klar gegen das so<br />
genannte Heliskiing aus. Das Absetzen aus Luftfahrzeugen für sportliche Zwecke<br />
ist soweit wie möglich zu begrenzen und erforderlichenfalls zu verbieten (Art<br />
16 TourismusP). Dennoch ist Heliskiing in Vorarlberg, wo das Tourismusprotokoll<br />
geltendes Recht darstellt, gesetzlich zulässig und wurde von der Luftfahrtbehörde<br />
bisher für zwei Standorte bewilligt. Begründet wird dies damit, dass andernfalls<br />
ein Wettbewerbsnachteil zu Schweizer Schigebieten bestünde, wo das Absetzen<br />
von Schifahrern an rund 45 Außenlandeplätzen erlaubt ist und wo das<br />
Tourismusprotokoll nicht gilt.<br />
Wenn es den Alpenanrainerstaaten auch in Zukunft nicht gelingt, einen gemeinsam<br />
Rechtsrahmen für den gesamten Alpenraum zu entwickeln, wird durch diese<br />
Fragmentierung der Rückhalt für die <strong>Alpenkonvention</strong> stetig untergraben.<br />
6. Normstruktur: wenige Verbote, viele Ziele<br />
In ihrer üblichen Erscheinungsform sind Rechtsnormen Konditionalnormen, die<br />
nach dem Schema „Wenn A, soll B sein“ funktionieren. Die Vertragsparteien sind<br />
zum Beispiel verpflichtet, Hoch- und Flachmoore zu erhalten (Art 9 BSchP); tun sie<br />
es nicht, dann droht als Sanktion ein Verfahren vor dem Überprüfungsausschuss.<br />
Derart eindeutige Verbotstatbestände, die nach einem Konditionalschema funktionieren,<br />
finden sich nur vereinzelt in den Durchführungsprotokollen; sie erweisen<br />
sich allerdings wegen ihrer Unbedingtheit als verblüffend weitreichend. So<br />
verpflichten sich die Vertragsparteien, Schutzgebiete im Sinn ihres Schutzzwecks<br />
(Art 11 NSchP), Hoch- und Flachmoore (Art 9 BSchP) und Schutzwälder an Ort<br />
und Stelle (Art 6 BergwaldP) zu erhalten. Keine dieser Erhaltungspflichten ist<br />
durch Ausnahmebestimmungen abgeschwächt. Gleiches gilt für den Verzicht<br />
neuer hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr (Art 11 VP) oder<br />
das Verbot der Errichtung von Schipisten in labilen Gebieten (Art 14 BSchP): auch<br />
sie sind als unbedingte Gebote konzipiert. Weshalb sich die Vertragsparteien auf<br />
derart weitreichende Verpflichtungen geeinigt haben, wenn sie doch offenbar<br />
davon ausgingen, dass durch die Durchführungsprotokolle keine Änderung der<br />
nationalen Rechtsordnungen erfolge, ist aus heutiger Sicht kaum erklärbar.<br />
In einem weitaus größeren Ausmaß enthalten die Konventionsprotokolle Finalnormen.<br />
Das Normprogramm von Zielbestimmungen sieht vor, dass dem<br />
Normadressaten bestimmte Ziele vorgegeben werden, zu deren Erreichung<br />
verschiedene Mittel zur Verfügung stehen. Im nicht seltenen Fall divergierender<br />
Zielvorgaben, sind die betroffenen Interessen zu ermitteln, ihre Bedeutung<br />
in der konkreten Situation einzuschätzen, gegenläufige Zielvorgaben in Relation<br />
zu bringen und letztlich entsprechend dieser Abwägung eine Entscheidung zu<br />
treffen. 5 In den von den Durchführungsprotokollen behandelten Rechtsgebieten,<br />
5 Schmid, Entscheidungsbesprechung BVwG 28.8.2014, W104 2000178-1/63E, ZVG 2014, 692.<br />
44 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
wie Raumordnung, Naturschutz, Forstrecht, Energierecht, ist diese Form der Entscheidungsfindung<br />
auch in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehen.<br />
Diese Zielbestimmungen stellten und stellen für die Vollziehungsbehörden offenbar<br />
eine Herausforderung dar. Üblich ist die Behauptung, dass derartige Vorschriften<br />
nicht unmittelbar anwendbar seien oder auch, dass sie sich nicht an<br />
die Vollziehungsbehörden, sondern an den Gesetzgeber richten. In vielen Fällen<br />
trifft dies allerdings nicht zu: Gleichen Zielbestimmungen in den Durchführungsprotokollen<br />
solchen in innerstaatlichen Gesetzen, dann sind sie gleichermaßen<br />
in die vom nationalen Recht vorgesehene Abwägungsentscheidung einzubeziehen.<br />
Ein gutes Beispiel dafür bietet die Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts<br />
(BVwG) zur Bewilligung einer Freileitung von Kärnten nach Italien über<br />
den Kronhofgraben. 6 In seiner abweisenden Entscheidung berief sich das Gericht<br />
ua auf Art 10 EnergieP, wonach bei Bauten von Stromleitungen soweit wie möglich<br />
bestehende Strukturen und Leitungsverläufe zu benutzen seien. Zu Recht<br />
ging das BVwG davon aus, dass Art 10 EnergieP als Zielbestimmung in die naturschutzrechtliche<br />
Interessenabwägung einzubeziehen sei. Da eine entsprechende<br />
Berücksichtigung bestehender Trassen vom Projektwerber nicht ausreichend geprüft<br />
worden sei, wurde der Antrag trotz des Vorliegens gegenläufiger öffentlicher<br />
Interessen abgewiesen.<br />
Ein positives Beispiel für die Aufarbeitung der vielfältigen Zielbestimmungen in<br />
den Durchführungsprotokollen ist der von der Umwelt- und Raumordnungsabteilung<br />
des Landes Steiermark herausgegebene Leitfaden zur <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />
der örtlichen Raumordnung. 7 In einem Textteil und einer Checkliste werden die<br />
vielfältigen Ziele für die Gemeindebehörden aufbereitet, wodurch deren Berücksichtigung<br />
merklich erleichtert wird.<br />
Der beschriebene Mix an Rechtsnormtypen, der sich in den Konventionsprotokollen<br />
findet, und die unterschiedlichen Anwendungsformen stellen eine Herausforderung<br />
für die zuständigen Vollziehungsbehörden dar, die aber zu bewältigen<br />
ist. Denn letztlich unterscheidet sich das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht in diesem Punkt<br />
nicht vom vertrauten innerstaatlichen Recht.<br />
7. Norminhalt: wenig Neues<br />
Es wurde bereits erwähnt, dass nach Ansicht der nationalen Gesetzgeber durch<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> und ihre Durchführungsprotokolle kein Anpassungsbedarf<br />
für innerstaatliches Recht gegeben ist. Zwar trifft dies – wie gezeigt wurde – in<br />
dieser Absolutheit nicht zu, in weiten Bereichen decken sich aber Konventionsrecht<br />
und nationales Recht. In diesen Fällen entfaltet die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
nachvollziehbarerweise keine Wirkung, weil durch die Vollziehung nationalen<br />
Rechts zugleich das entsprechende Völkerrecht angewendet wird. Es wird daher<br />
6 BVwG 28.8.2014, W104 2000178-1/63E.<br />
7 Abrufbar unter »www.raumplanung.steiermark.at«.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
45
in Zukunft noch stärker darauf ankommen, jene Bereiche auszuloten, in denen<br />
Vorschriften in den Durchführungsprotokollen über den innerstaatlichen Rechtsbestand<br />
hinausgehen oder diesem entgegenstehen. Wenn etwa nach Art 6 Abs<br />
3 des TourismusP die Vertragsparteien anstreben, dass in Gebieten mit starker<br />
touristischer Nutzung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen intensiven und<br />
extensiven Tourismusformen gefunden wird, dann ist eine entsprechend deutlich<br />
formulierte Zielvorgabe in der österreichischen Rechtsordnung bisher nicht<br />
festgeschrieben. Art 6 Abs 3 TourismusP ist daher gleich wie innerstaatliche Zielvorgaben<br />
in die betroffenen Abwägungsentscheidungen nach nationalem Recht,<br />
etwa in entsprechenden naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren, einzubeziehen.<br />
Generell gilt aber, dass vom <strong>Alpenkonvention</strong>srecht nicht etwas erwartet werden<br />
sollte, was es nicht liefern kann. Es war niemals intendiert, dass durch dieses<br />
völkerrechtliche Vertragswerk ein weitreichender Innovationsschub in den geregelten<br />
Sachbereichen stattfinden sollte. Seine Wirkmächtigkeit in rechtlicher<br />
Sicht war daher von vornherein beschränkt.<br />
8. Wenige und widersprüchliche höchstgerichtliche Entscheidungen<br />
Das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht ist augenscheinliches Beispiel für ein Phänomen, das<br />
sich durch alle Rechtsordnungen zieht: den Höchstgerichtpositivismus. Es wird<br />
mit diesem Ausdruck die Leitfunktion höchstgerichtlicher Entscheidungen für die<br />
Verwaltungsbehörden und nachgeordneten Gerichte beschrieben. Hätte man<br />
vor den bekannten „Mutterer-Alm-Entscheidungen“ von Umweltsenat, Verfassungsgerichtshof<br />
und Verwaltungsgerichtshof 8 gefragt, welchem Artikel im Bodenschutzprotokoll<br />
erhöhe Relevanz zukommt, dann wäre wohl bei keinem noch<br />
so guten Kenner der Materie Art 14 Abs 1 3. Spiegelstrich 2, Fall BSchP an erster<br />
Stelle gestanden. Zumal diese Bestimmung mit der sehr „weich“ formulierten<br />
Phrase eingeleitet wird: „Die Vertragsparteien wirken in der geeignetsten Weise<br />
darauf hin, …“. Mittlerweile hat diese Bestimmung aber wohl den höchsten Bekanntheitsgrad<br />
aller Konventionsvorschriften erlangt und ist Grund für die Ausarbeitung<br />
der „Checkliste Labile Gebiete“ des Amtes der Tiroler Landesregierung<br />
und der Wildbach- und Lawinenverbauung.<br />
Der spektakuläre Start, den die Durchführungsprotokolle mit diesen höchstgerichtlichen<br />
Entscheidungen in Österreich hingelegt hatten, wurde aber nur<br />
vereinzelt durch weitere Entscheidungen bestätigt. Ein wesentlicher Grund für<br />
die in weiterer Folge zögerliche Haltung der Gerichte und Gerichtshöfe war die<br />
Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs „Tagbau 21 – Schönangerl“. 9 Darin<br />
setzte sich das Höchstgericht mit der Erhaltungspflicht von Hoch- und Flachmoo-<br />
8 VfGH 22.9.2003, B 1049/03-4 (unveröffentlicht); VwGH 8.6.2005, 2004/03/0116; UUS 22.3.2004, US<br />
6B/2003/8-57.<br />
9 VwSlg 16.847 A/2006.<br />
46 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
en in Art 9 BSchP auseinander und verneinte ein ausnahmsloses Erhaltungsgebot.<br />
Eine Aussage darüber, welche Bedeutung dieser Bestimmungen stattdessen<br />
zukommt, traf der Gerichtshof nicht. Diese Entscheidung steht in Widerspruch<br />
zur Mutterer-Alm-Rechtsprechung 10 und hatte für die weitere Anwendung der<br />
Durchführungsprotokolle gravierende Folgen: Denn wenn nach höchstgerichtlicher<br />
Rechtsprechung nicht einmal eine so eindeutige Vorschrift wie Art 9 BSchP<br />
Bindungswirkung entfaltet, dann trifft dies wohl jedenfalls auf wesentlich weniger<br />
präzise formulierte Artikel zu, so die gängige Begründung.<br />
In der Folge wurden immer wieder Artikel der <strong>Alpenkonvention</strong> in verwaltungsbehördlichen<br />
und verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Parteien vorgebracht,<br />
in der Regel aber von den Höchstgerichten nicht aufgegriffen. Positive Ausnahme<br />
ist die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts „Kronhofgraben“.<br />
Somit besteht eine gewisse Pattsituation: Solange höchstgerichtliche Rechtsprechung<br />
zu den Durchführungsprotokollen fehlt, wirkt sich das – wegen der<br />
Leitfunktion, die diese Entscheidungen für die Verwaltungsbehörden haben<br />
–, auf die Anwendung der Protokolle auf unterster Ebene aus. Wenn aber die<br />
Durchführungsprotokolle auf Verwaltungsebene keine oder nur eingeschränkte<br />
Anwendung finden, ist es auch unwahrscheinlich, dass sich später angerufenen<br />
Höchstgerichte damit beschäftigen.<br />
9. Zögerliche wissenschaftliche Aufarbeitung<br />
In Fragen der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde die Praxis von der Rechtswissenschaft<br />
bisher nicht sonderlich unterstützt. Monographien sind nur vereinzelt<br />
erschienen 11 und auch Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelbänden<br />
halten sich in Grenzen. 12 Dazu kommt, dass die vorliegenden Untersuchungen<br />
in den meisten Fällen aus Anlass gerichtlicher Entscheidungen erstellt wurden<br />
und somit weitgehend Vorschriften betreffen, welche ohnedies aufgearbeitete<br />
sind. Vergleicht man die <strong>Alpenkonvention</strong> mit einem Ausmalbild, dann wurden<br />
manche Stellen mit großer Akribie fein säuberlich eingefärbt, während andere<br />
Bereiche auch nach <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n wenig Beachtung gefunden haben.<br />
10. Änderung des Zeitgeistes<br />
Mit der letzten Ursache für die eingeschränkte Effektivität des <strong>Alpenkonvention</strong>srechts<br />
begibt sich die Untersuchung auf dünnes Eis, weil es sich um eine reine<br />
Mutmaßung handelt. Die Zurückhaltung im Umgang mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
könnte, zumindest teilweise, auch am geänderten Zeitgeist liegen. Als sich<br />
10 Vgl Schmid, Moorschutz und <strong>Alpenkonvention</strong>, RdU 2007, 158.<br />
11 Siehe aus jüngerer Zeit Ehlotzky, Grundfreiheiten im Spannungsfeld von Verkehr und Nachhaltigkeit. Eine<br />
Analyse anhand des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong> (2014).<br />
12 Siehe im Detail Haßlacher (Hrsg), <strong>Alpenkonvention</strong>. Bibliographie Sammelband 1998–2011 (2012) und <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Bibliographie Teil II 2003-2015 (2016).<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
47
nach einer CIPRA-Initiative die Umweltminister der Alpenstaaten 1989 auf die<br />
Berchtesgadener Resolution einigten, wurde Umweltbewusstsein großgeschrieben<br />
und galt die Regelung umweltrelevanter Sachbereiche als modern. In den<br />
Schweizer Erläuterungen zum Bodenschutzprotokoll heißt es demgemäß, dass<br />
der Bodenschutz „eine noch sehr junge Umweltdisziplin“ sei. „Die Erhaltung der<br />
Lebensgrundlage Boden ist erst seit etwa 10 <strong>Jahre</strong>n als wichtige Staatsaufgabe<br />
anerkannt“ und das Protokoll Bodenschutz daher „als durchaus positiv zu wertendes<br />
Mittel“ zu betrachten. 13<br />
Es mag täuschen, doch scheinen Umweltschutz und Umweltgesetzgebung heute<br />
eher als Hemmschuh, denn als Chance angesehen zu werden. Dem Leitgedanken<br />
des Wirtschaftswachstums haben sich andere Interessen unterzuordnen<br />
und gegen das Argument, dass durch einen Zusammenschluss von Schigebieten<br />
die regionale Wirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze gesichert werden, ist kein –<br />
noch so geschütztes – Kraut gewachsen. Zu betonen ist, dass aus rechtlicher Sicht<br />
diese Entwicklung solange unproblematisch ist, als derartige Entscheidungen auf<br />
Grundlage der geltenden Gesetze gefällt werden. Sie sind in rechtlicher Hinsicht<br />
zu akzeptieren, weil es sich um die zulässige Ausübung politischer Macht durch<br />
demokratisch legitimierte Organe handelt. Eine politische Bewertung kann naturgemäß<br />
zu einem anderen Ergebnis kommen.<br />
III. Schluss<br />
Wer erwartet hat, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> als neue Wunderwaffe des Umweltschutzes<br />
eine weitere Nutzung und Kommerzialisierung des Alpenraums aufhalten<br />
werde, wurde enttäuscht, denn eine solche weitreichende Unterschutzstellung<br />
ist überhaupt nicht Intention und Inhalt dieses Vertragswerks. Es bezieht<br />
vielmehr die unterschiedlichen und gegenläufigen im alpinen Raum bestehenden<br />
Interessen mit ein, nimmt an manchen Stellen selbst eine Wertung und Gewichtung<br />
vor und überlässt es ansonsten den Vertragsparteien, einen Ausgleich<br />
im Einzelfall zu finden.<br />
Wer erwartet hat, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> nur eine weitere wohlgemeinte<br />
Deklaration sei, die am rechtliche Status quo nicht viel ändere, hat sich getäuscht,<br />
weil das <strong>Alpenkonvention</strong>srecht keineswegs in vollem Umfang Deckung in den<br />
nationalen Rechtordnungen findet. Zum einen werden die innerstaatlichen Materiengesetze<br />
um eine Vielzahl an Zielvorgaben ergänzt, deren Anwendung durch<br />
die Einbeziehung in Abwägungsentscheidungen zu erfolgen hat. Zum anderen<br />
enthalten die Durchführungsprotokolle mehr als deutliche Verbotstatbestände,<br />
die gleichsam als Pflöcke eines in diesen Bereichen unumstößlichen Vorrangs des<br />
Schutzgedankens vor anderen Interessen in den Boden gerammt sind. Der Handlungsspielraum<br />
für die Vertragsparteien ist hier stark eingeschränkt.<br />
13 Erläuterungen zum Protokoll „Bodenschutz“ der <strong>Alpenkonvention</strong>, Zi/En/26.04.95, S. 4 (unveröffentlicht).<br />
48 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Kronhofgraben (Kärnten) –<br />
Verwaltungsgerichtshof versagt die Genehmigung<br />
zum Bau einer Starkstromleitung auf<br />
Basis des Energieprotokolls<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
49
Ewald Galle 1<br />
Bekenntnisse eines<br />
alpenkonventionssüchtigen<br />
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />
Abteilung I/9, Internationale Umweltangelegenheiten<br />
Chef des Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> Österrreich in Wien<br />
E: ewald.galle@bmlfuw.gv.at<br />
„Ich war jung und brauchte das Geld“, trifft schon einigermaßen zu; alles kann<br />
aber damit nicht geklärt werden. Kaum weg von der Uni, tauchte ich in ganz neues<br />
(Ministeriums)Leben ein und wurde gleich mit einer großen Aufgabe konfrontiert,<br />
die Ausarbeitung und Verhandlung eines Übereinkommens zum Schutz der<br />
Alpen, in Kurzform <strong>Alpenkonvention</strong>. Sie hieß am Anfang auch anders, nämlich<br />
„Übereinkommen zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung des Lebensraums<br />
Alpen“.<br />
Auch die Zutaten waren völlig neu! Etwa das Zusammenspiel mit den Bundesländern;<br />
dort waren ehrwürdige und erfahrene Beamte aus Tirol und Kärnten schon<br />
vor mir dabei. Im Ministerium selbst standen mir Dr. Walter Höfler für den nationalen<br />
Bereich und Herr Sektionschef Mag. DI Dr. Heinz Schreiber als Delegationsleiter<br />
zur Seite. Letzterer lehrte mich sehr eindringlich, was es heißt, international<br />
zu verhandeln. Als Substanzpool stand die so genannte „Berchtesgadener<br />
Resolution“ aus 1989, bis heute wohl der umfassendste und komplexeste, leider<br />
nur unverbindliche Vertrag zum alpinen Raum, zur Verfügung.<br />
Unabhängig davon war jedoch eine Sache gleich von Beginn an da und ist bis<br />
heute nicht verschwunden, die Hingabe zur <strong>Alpenkonvention</strong>. Sie hat mich vom<br />
ersten Moment an gepackt und bis heute nicht losgelassen. Die ersten <strong>Jahre</strong><br />
1 Der Autor ist Mitarbeiter im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />
Abt. I/9 – Internationale Umweltangelegenheiten. Die in diesem Beitrag wiedergegebenen Ansichten<br />
sind die des Autors und müssen sich nicht mit denen der Institution decken.<br />
50 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
waren ja auch eine besondere Zeit, die Höhepunkte der „Grünbewegung“ lagen<br />
schon zurück und gleichzeitig der verordnete Höhepunkt in Form der Rio-Konferenz<br />
1992 noch vor uns. In Wahrheit waren es aber die letzten Zuckungen eines<br />
Versuchs, unser Leben und den Umgang mit den Ressourcen wirklich nachhaltig<br />
und umweltverträglich zu gestalten. Für die <strong>Alpenkonvention</strong> war es ein einmaliger<br />
Glücksfall, dass sie im November 1991 unterschrieben werden konnte. Ich<br />
denke, nur wenige <strong>Jahre</strong> später wäre sie in dieser Form nicht mehr möglich gewesen,<br />
denn die Prioritäten veränderten sich recht schnell und die seit Jahrhunderten<br />
geltende Maxime der „Wirtschaft“ eroberte wieder ihren Platz. Das galt<br />
auch für die <strong>Alpenkonvention</strong>. War sie zu Beginn noch als bahnbrechender, regionaler<br />
Umweltvertrag gefeiert worden, wurde sie rasch für ihre Wirtschaftsfeindlichkeit<br />
kritisiert, was aber überhaupt nicht zutrifft und letztlich nur Unkenntnis<br />
bezeugt. Quasi als Gegenstrategie tauchte recht bald auch eine vom Europarat<br />
initiierte und sehr ökonomielastige „Charta der Bergregionen“ auf, die später sogar<br />
in eine verbindliche Konvention umgewandelt werden sollte, was letztendlich<br />
aber verhindert werden konnte. Von da an blieb es immer wieder bei der Kritik<br />
an der <strong>Alpenkonvention</strong>, dass sie das wirtschaftliche Leben behindern würde;<br />
offensichtlich reicht das ohnehin nur sehr schwer zu erreichende <strong>Alpenkonvention</strong>sgrundziel<br />
einer Balance zwischen Ökologie und Ökonomie nicht aus, um diese<br />
Ansprüche zu befriedigen. Und wenn man sich die jüngsten Begehrlichkeiten<br />
gegenüber dem Naturraum Alpen vor Augen hält, dann entfernen wir uns von<br />
diesem Ziel in Riesenschritten.<br />
Gleichzeitig mit der <strong>Alpenkonvention</strong>, die ja bloß den Rahmen abstecken sollte,<br />
wurden die Arbeiten an den so genannten Protokollen aufgenommen. Das<br />
Naturschutzprotokoll, das Berglandwirtschaftsprotokoll, das Raumplanungsprotokoll<br />
und das Verkehrsprotokoll waren die ersten schon 1990. Anlässlich der<br />
Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> am 7. November 1991 kamen noch das<br />
Energieprotokoll sowie das Bodenschutz- und Bergwaldprotokoll dazu. Dass der<br />
Alpentransit eine harte Nuss werden würde, war allen klar, dass er uns aber zehn<br />
<strong>Jahre</strong> beschäftigen würde, hielt damals niemand für möglich. Ich lernte rasch,<br />
was ein Junktim ist und die Bundesländer, damals noch ganz auf der Welle der <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
gestalteten den Prozess mit und stellten gerade in der Frage des<br />
Alpentransits klare Bedingungen. Es kam sogar noch schlimmer, kein Staat wollte<br />
mehr etwas mit dem Verkehrsprotokoll zu tun haben. In ganz kleinen Schritten<br />
versuchten wir, nachdem die Schweiz es aufgegeben hatte, die Verhandlungen<br />
zum Verkehrsprotokoll wieder zum Leben zu erwecken; zunächst, indem echte<br />
Experten und Expertinnen einen Blick darauf werfen sollten. Schließlich nahm<br />
sich Liechtenstein der Sache an und lenkte alles wieder in geordnete Bahnen.<br />
Neu für die Region war der grenzüberschreiende, internationale Ansatz. Zuerst<br />
hatte Deutschland den Vorsitz, dann Österreich, das seine Rolle bald an Frankreich<br />
abgeben sollte. Und Frankreich setzte gleich die eben noch aufgestellte<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
51
Regel, Vorsitz nicht länger als zwei <strong>Jahre</strong>, außer Gefecht und verlängerte um ein<br />
Jahr. Michel Barnier oder Angela Merkel, damals noch jung und experimentierfreudig,<br />
waren ebenfalls dabei und machten „trotz“ <strong>Alpenkonvention</strong> Karriere.<br />
Slowenien war so begeistert von der <strong>Alpenkonvention</strong>, dass gleich zwei Vorsitzperioden<br />
hintereinander übernommen wurden.<br />
Ein Meilenstein war mit Sicherheit die VI. Tagung der Alpenkonferenz am 31.<br />
Oktober 2000 in Luzern. Dort wurden fast alle Protokolle auch von fast allen Parteien<br />
unterschrieben. Es war eine neue Dynamik zu spüren; man traute der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
auf einmal mehr zu. Darunter gab es aber auch einige, gerade in<br />
Österreich, die ihr möglicherweise zu viel zutrauten. Die <strong>Alpenkonvention</strong>s-Karte<br />
wurde dann oft, vielleicht auch zu oft, gespielt und man hatte den Eindruck, die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> wäre eine Keule für alle Probleme im Alpenraum.<br />
Das Jahr 2000 war auch der Startschuss zur Etablierung eines Compliance Mechanismus<br />
in Form des Überprüfungsauschusses. Die Schweiz und Deutschland<br />
schufen die Voraussetzungen, auf deren Basis heute noch gearbeitet wird. Gerade<br />
das Procedere zur Überprüfung der getroffenen Maßnahmen und deren<br />
Wirksamkeit war und ist ein Lernprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n haben sich auch die so genannten Anlassfälle als sehr wirksame<br />
Instrumentarien herausgestellt, die eine vertiefte, selektive Prüfung von<br />
einzelnen Protokollbestimmungen ermöglichen.<br />
Recht bald nach der Unterzeichnung aller Protokolle wurden in Österreich erste<br />
Überlegungen angestellt, wie denn all diese neuen Verträge in das nationale<br />
Recht integriert werden könnten. Es gab die konservative Variante, die Ratifikation<br />
mit dem üblichen Hinweis der Notwendigkeit der „Erlassung von Gesetzen“<br />
abzuschließen und dann zuzuwarten. Der in anderen Staaten gewählte Weg, auf<br />
den jeweiligen Rechtsbestand zu verweisen und gleichzeitig festzuhalten, dass<br />
kein Protokoll irgendwelche Veränderungen nach sich ziehen würde, kam in Österreich<br />
nicht in Frage.<br />
Die Alternative dazu war eine lebendige Rechtsmaterie zu schaffen, die gleich<br />
Auswirkungen auf das Rechtsleben haben sollte. Diese Variante gefiel den für<br />
die Vorbereitung und Begleitung des Ratifikationsprozesses verantwortlichen<br />
Herren im Außenministerium – es waren tatsächlich nur Herren – und mir so<br />
gut, dass wir beschlossen, es zu versuchen. Und es schien auch dem österreichischen<br />
Parlament so gut zu gefallen, dass alle Protokolle von allen Parteien (!)<br />
ohne Gegenstimmen in allen beiden Kammern angenommen wurden, ohne die<br />
übliche Floskel „durch die Erlassung von Gesetzen“, was damals wie heute für die<br />
Vermutung der unmittelbaren Anwendbarkeit spricht. Der Bundesrat als Länderkammer<br />
war sogar in einer solchen Euphorie, dass auch gleich dem Streitbeilegungsprotokoll,<br />
das eigentlich gar kein Durchführungsprotokoll, sondern nur eine<br />
Vertragsergänzung ist und zudem überhaupt nicht in den Kompetenzbereich der<br />
Bundesländer fällt, zugestimmt wurde. Aus der Tatsache der verfassungsrecht-<br />
52 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
lich notwendigen Zustimmung der Bundesländer und der damit höheren Hürde<br />
beim Zustandekommen wird gelegentlich den Protokollen eine höhere formelle<br />
Wertigkeit zuerkannt.<br />
Um die konsequenterweise daran anschließende, rechtliche Umsetzung in geordnete<br />
Bahnen zu lenken, wurden in Österreich verschiedenste Initiativen ergriffen.<br />
Von Informationsveranstaltungen und Kursen in den Bundesländern, die<br />
bis heute fortgesetzt werden, bis hin zur Etablierung der Rechtsservicestelle der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich. In letzterer sehe ich eine sowohl im nationalen<br />
als auch internationalen Vergleich einmalige Einrichtung, die sich mittlerweile<br />
als Auskunftsstelle etabliert hat. Dass alles bei der <strong>Alpenkonvention</strong> etwas<br />
länger Zeit braucht, um zu greifen, ist mittlerweile eine typische Eigenschaft der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> und trifft auch auf die Implementierung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
im Wege von Projekten zu. Herausgreifen möchte ich dabei das vom Österreichischen<br />
Alpenverein getragene Projekt „Bergsteigerdörfer“, das kleinen Orten<br />
und Regionen neue touristische Perspektiven eröffnet hat und damit zu einem<br />
Paradevorhaben der ländlichen Entwicklung geworden ist.<br />
Bei all diesen Entwicklungen und in Wahrheit bei noch viel mehr spielte die<br />
Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Ohne sie gäbe es nicht einmal eine <strong>Alpenkonvention</strong>,<br />
denn letztlich war es die CIPRA, die die Ausarbeitung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
über <strong>Jahre</strong> hinweg forcierte. Aber auch die IUCN in der eindrucksvollen<br />
Person von Herrn Wolfgang Burhenne hat ungemein viel zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und ihrer Implementierung beigetragen. CIPRA Österreich hat seit Anbeginn die<br />
Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> und vor allem ihrer Protokolle begleitet, unterstützt<br />
und mitgestaltet. Die allererste Öffentlichkeitskampagne in Österreich<br />
wurde schon 1992 vom Umweltministerium gestartet und von CIPRA Österreich<br />
durchgeführt und das CIPRA Österreich-<strong>Alpenkonvention</strong>sbüro gibt es mittlerweile<br />
schon seit mehr als 20 <strong>Jahre</strong>n. Auch die dort arbeitenden Personen haben<br />
über all die <strong>Jahre</strong> hinweg in unterschiedlichster Weise ihre Spuren und Abdrücke<br />
hinterlassen und sind oft weiterhin wichtige Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen<br />
in Sachen Umweltschutz im alpinen Raum.<br />
Wenn man den Blick nach vorne richtet, so fällt einem sofort ein neues Gebilde<br />
ins Auge, die Makroregionale Strategie für den Alpenraum oder kurz EUSALP. Es<br />
ist eine von der EU federführend betreute Strategie, die einen mehr als doppelt<br />
so großen Anwendungsbereich umfasst, in dem mehr als viermal so viele Menschen<br />
leben als im von der <strong>Alpenkonvention</strong> definierten Alpenbogen. Wenn man<br />
es um die Menschen und ihre alpine Umwelt gegangen wäre, dann hätte wohl<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> per se diese Strategie sein können. Ihr Handlungsspektrum<br />
umfasst alle drei Handlungsfelder der Nachhaltigkeit und sie ist ein von den Ministern<br />
und Ministerinnen genehmigtes politisches Kooperationsprogramm zum<br />
Schutz und zur Entwicklung der Alpen. Offensichtlich geht es aber um andere<br />
Interessen anderer Gruppen. Nichtsdestotrotz braucht sich die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
53
nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil, sie hat über all die <strong>Jahre</strong> viel Expertise angehäuft,<br />
die es nun gezielt einzusetzen gilt. Sie soll auch nicht zuwarten, sondern<br />
pro-aktiv all die unterschiedlichen Prozesse in diversen EUSALP-Arbeitsgruppen<br />
mitgestalten, quasi als Anwältin der Menschen in den Bergen. Und eben diese<br />
Menschen haben die jetzt in Verträgen verlangte Balance zwischen Umweltschutz,<br />
(Be)Wirtschaften und kultureller Vielfalt über Jahrhunderte vorexerziert<br />
und gelebt. Es gibt also gar keinen Grund, sich zurückdrängen zu lassen, oder den<br />
urbanen Lebensstil am besten schon vorweg zu kopieren und sich gleichzeitig<br />
benachteiligt zu fühlen! Vielleicht kann die <strong>Alpenkonvention</strong> den Menschen in<br />
den Alpen wieder ein wenig von diesem Selbstverständnis zurückgeben; es muss<br />
nicht immer die Wertschöpfung sein, es kann einem die Wertschätzung oft viel<br />
mehr und länger anhaltendes geben!<br />
54 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Ruhegebiet Kalkkögel (Tirol) –<br />
Naturschutzprotokoll verbietet den Bau einer<br />
Seilbahn durch das Schutzgebiet<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
55
Roland Kals<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
Dornröschen in den Bergen und<br />
die sieben Zwerge<br />
Geograph, Alpen-Raumplaner und bekennender Bergfreund<br />
Technisches Büro „alpen.raum.planung“ in Salzburg<br />
E: roland.kals@arp.co.at<br />
Es gab einmal eine Zeit, da war Natur- und Umweltschutz so richtig modern<br />
und hip. In Meinungsumfragen schaffte er es regelmäßig auf den 1. Platz in der<br />
Rangreihe wichtiger Themen. In rascher Folge erschienen populärwissenschaftliche<br />
Bestseller: „Die Welt als vernetztes System“, „Brundtland-Report“, „Faktor<br />
Fünf“, „Qualitatives Wachstum“, um nur einige zu nennen.<br />
Das „Waldsterben“ hatte Hochkonjunktur, die vordem (auch ideologisch) zersplitterte<br />
grüne Szene formierte sich unter den Wasserwerfern von Wackersdorf<br />
und den Hainburger Prügelpolizisten zur Bewegung.<br />
Auch in den Alpen ging es rund: Die damals noch verstaatlichte Energiewirtschaft<br />
erlitt ihr Waterloo im Kalser Dorfertal, die ebenfalls verstaatlichte VOEST<br />
das ihre im Reichraminger Hintergebirge, im heiligen Land Tirol wehrte man sich<br />
mit pfiffiger alpiner Guerillataktik gegen die Transitlawine und auch die Gebietsansprüche<br />
der Seilbahntouristiker wurden immer heftiger bekämpft.<br />
Dem legendären Ausspruch eines damaligen Bundeskanzlers zum Trotz („es ist<br />
alles so kompliziert“) schien die Richtung klar – runter vom Gas, Schutz gefährdeter<br />
Naturgebiete und sorgsames Bewirtschaften eines als fragil erkannten Ökosystems.<br />
Die österreichischen Nationalparke entstanden: Hohe Tauern, Kalkalpen,<br />
Neusiedler See, Gesäuse.<br />
Und: Die von CIPRA promovierte Idee einer „Alpenschutzkonvention“ driftete<br />
nach jahrzehntelangen Bemühungen im Jahr 1991 endlich in die Zielgerade.<br />
Rückblickend wirkt es wie ein Wunder: Da einigen sich tatsächlich alle Alpenstaa-<br />
56 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
ten auf ein umweltpolitisches Programm von seltener Klarheit: eine ganzheitliche<br />
Politik zum Schutz der Alpen, wechselseitige Abwägung der Interessen aller<br />
Alpenstaaten, grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Knapp vor Torschluss<br />
reklamierte sich noch die Europäische Union in das Abkommen hinein, deren<br />
Interessen ab da nun ebenfalls „ausgewogen“ berücksichtigt werden mussten 1<br />
– was im Rückblick gesehen vielleicht eine entscheidende Spaßbremse für die<br />
Umsetzung gewesen ist.<br />
Ein erstes, noch ganz unauffälliges Alarmzeichen: die Umbenennung der „Alpenschutzkonvention“<br />
in „<strong>Alpenkonvention</strong>“. Dieser Verzicht auf das kleine, wohl lästige<br />
Wörtchen „Schutz“ war im Grunde ein erster Schritt in Richtung Unverbindlichkeit.<br />
Man hatte entweder nicht begriffen oder vielleicht doch klar erkannt,<br />
dass dieser „Schutz“ eine Entwicklungsrichtung unter einer klaren Prämisse hätte<br />
sein sollen, also das, was man heute mit den umständlichsten Nachhaltigkeits-<br />
Definitionen wieder einfangen möchte.<br />
Es liegt im Wesen internationaler Vereinbarungen, dass es seine Zeit braucht,<br />
bis sie in Kraft treten und ihre Wirkung entfalten, aber im Jahr 1999 hatte auch<br />
Italien als letztes Land die Rahmenkonvention ratifiziert und einer gemeinsamen<br />
Alpenpolitik wäre nichts mehr im Wege gestanden, oder?<br />
Ja, wenn es da nicht die Durchführungsprotokolle gegeben hätte. In jahrelangen<br />
Verhandlungsrunden wurden unter erheblicher Beanspruchung von Juristenhirnen<br />
zahllose Details hin und her gewälzt, und heraus kamen seltsame politischjuristische<br />
Zwitterwesen, die zumindest den österreichischen Verwaltungsbeamten<br />
in Verzweiflung stürzen mussten – sind ja sowohl Rahmenkonvention als<br />
auch Durchführungsprotokolle unmittelbarer und uneingeschränkt umsetzbarer<br />
Bestandteil der heimischen Rechtsordnung. Die Interpretation der Bestimmungen<br />
ist offenbar so kompliziert geworden, dass eine eigenständige Rechtsservicestelle<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich eingerichtet werden musste, deren<br />
ehrenamtlich tätige Mitglieder eine oft unbedankte Sisyphusarbeit verrichten.<br />
Das andere Extrem: Die Schweiz hat bis heute die Durchführungsprotokolle<br />
nicht ratifiziert und es sieht nicht so aus, als würde dies jemals geschehen. Die<br />
in der Rahmenkonvention beschworene Gemeinsamkeit sieht wohl anders aus.<br />
Jedenfalls dürfte die hohe Politik ihr Interesse an der <strong>Alpenkonvention</strong> schon<br />
bald verloren haben. Ohnehin war und ist das Thema in allen Alpenstaaten bei<br />
den (mittlerweile wieder) eher bedeutungslosen Umweltministerien angesiedelt,<br />
in Österreich überdies seit mehreren Regierungsperioden nur mehr als Anhängsel<br />
der Landwirtschaft. Die Hoffnung, dass Alpenpolitik zur Chefsache werden<br />
könnte, war eine bloße solche und ist auch rasch verpufft.<br />
Dann trat der Klimawandel auf den Plan, und eine neue Sau wurde durchs Dorf<br />
getrieben. Man könnte es auch vornehmer ausdrücken: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
wurde von „moderneren“ Vertragswerken in den Hintergrund gedrängt. Ich fin-<br />
1 Vgl. Rahmenkonvention, Artikel 2 (1)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
57
de, dass hier ein Marktgesetz wirksam wurde: die gleichermaßen einprägsame<br />
wie fachlich problematische Formel „Klimaschutz“ (man beachte: hier durfte der<br />
Schutzbegriff bleiben) verkauft sich bei politischen Akteuren und in der Öffentlichkeit<br />
einfach besser als der verschnarcht – bürokratische Titel „<strong>Alpenkonvention</strong>“.<br />
Dieses Problem der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde zwar schon früh erkannt. Es ging<br />
um die Lösung der Frage: Wie bringe ich eine Top-Down-Strategie (internationale<br />
Umweltpolitik) mit der Umsetzungserfordernis an der Basis (Alpenbevölkerung)<br />
zusammen? Und die Schlüsselfrage schlechthin: Kann die <strong>Alpenkonvention</strong> ihren<br />
„Mehrwert“ allgemein verständlich machen, und damit der Diffamierungsstrategie<br />
ihrer Gegner („reines Schutzinstrument, das jede Entwicklung verhindert“)<br />
etwas Gehaltvolles entgegensetzen? Im Idealfall wären dann die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
einer breiten Öffentlichkeit geläufig und ein selbstverständlicher<br />
Bestandteil der Alltagswirklichkeit, im Sinne eines „Wir leben die <strong>Alpenkonvention</strong>“.<br />
Leider sind wir von diesem Idealbild weit entfernt. Im Rückblick lassen sich<br />
dafür mehrere Gründe finden:<br />
Zum einen hatte sich das „window of opportunity“ relativ rasch geschlossen:<br />
Anfang der 1990er <strong>Jahre</strong> war der vordem dominierende Natur- und Umweltschutz<br />
schon wieder relativ passé, und die Besorgnis der Bevölkerung richtete<br />
sich immer stärker auf das Thema „Erhalt der Arbeitsplätze“.<br />
Dann der völlig ungenügende „politische Transport“ der Inhalte. Es gab zwar<br />
einige Ansätze für die Kommunikation der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Öffentlichkeit,<br />
auch das eine oder andere Konzept, aber keine von maßgeblichen politischen<br />
Kräften getragene, geschweige denn mit vernünftigen finanziellen Mitteln ausgestattete<br />
Informationskampagne. Damit war die Chance vertan, die Bevölkerung<br />
auf Gemeindeebene zu gewinnen und die Multiplikatorfunktion der motivierten<br />
Bürgermeister und Gemeinderäte (diese gibt es durchaus und nach wie vor) zu<br />
nutzen.<br />
Teilerfolge gab es allerdings schon: Das Netzwerk der Alpenstädte, das Gemeindenetzwerk<br />
Allianz in den Alpen, das Netzwerk der alpinen Schutzgebiete.<br />
Und Österreich muss man zugute halten, dass es meines Wissens als einziges<br />
EU-Alpenland in seinem Programm für die Ländliche Entwicklung einen Umsetzungsschwerpunkt<br />
„<strong>Alpenkonvention</strong>“ aufgenommen hat, der sich allerdings<br />
– vergleicht man anderen Programmpositionen – in einer recht bescheidenen<br />
Nische aufhält.<br />
Wer ist die <strong>Alpenkonvention</strong> heute?<br />
Auf der hohen politischen Ebene ist sie nach meiner Ansicht ein Niemand. Mit<br />
der EU-Strategie für den Alpenraum (EUSALP), die eindeutig auf die Stimulierung<br />
58 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
des Wirtschaftswachstums abzielt 2 , hat man die <strong>Alpenkonvention</strong> als politisches<br />
Instrument endgültig abmontiert, ja, sie wird nicht einmal mehr erwähnt. Der in<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> zumindest implizit angesprochene Disparitätenabbau, also<br />
ein Ausgleichsmechanismus zwischen begünstigten und weniger begünstigten<br />
Gebieten, ist unmodern geworden. Nun muss sich jede Region im „Wettbewerb“<br />
behaupten – oder untergehen.<br />
Im Bereich der Verwaltungsverfahren dürfte die <strong>Alpenkonvention</strong> wohl hauptsächlich<br />
ein Störenfried sein, je nach Standpunkt entweder als Verhinderin von<br />
Projekten oder als Verursacherin überflüssiger Mehrarbeit. Irgendwie befindet<br />
sich die <strong>Alpenkonvention</strong> in einer Todesspirale: In der ohnehin schwachen Außenwahrnehmung<br />
als statisches Schutzinstrument geltend, wird sie, vorzugsweise<br />
von Umweltverbänden, immer dann hervorgezerrt, wenn sie als ultima ratio<br />
ein ungeliebtes Infrastrukturprojekt verhindern soll. Folgerichtig ist die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
nicht mehr bloß unsympathisch, sondern sogar ein „Übel“ 3 , dies wegen<br />
ihrer zumindest im Land Tirol (noch?) spürbaren juristischen Bremswirkung<br />
in (meist seilbahnrechtlichen) Genehmigungsverfahren.<br />
Auf der lokalen Ebene der Gemeinden, der Alpenbewohnerinnen und Alpenbewohner<br />
ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Wer die Hoffnung hegte, dass es<br />
gelingen könnte, die <strong>Alpenkonvention</strong> auf breiter Basis zu verankern, sah sich<br />
bald enttäuscht – in Zeiten der Aufmerksamkeitsdemokratie sind anspruchsvolle<br />
Langfristthemen nur mit Mühe an den Mann oder die Frau zu bringen. Im<br />
Internet und insbesondere in den sogenannten sozialen Medien hat es die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
schwer – das „alpine Lebensgefühl“ spielt sich momentan auf anderen<br />
Ebenen ab. Der vom Generalsekretariat vor mehr als zwei <strong>Jahre</strong>n lancierte<br />
Youtube-Beitrag „Was ist die <strong>Alpenkonvention</strong>“ beispielsweise fand ganze 159 Interessenten.<br />
Selbst eine so bekannte Persönlichkeit wie Bergsteigerlegende Kurt<br />
Diemberger sammelte mit seinem You-Tube Votum für die <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />
drei <strong>Jahre</strong>n nur 308 Aufrufe. Und der einsame Facebook-Eintrag „<strong>Alpenkonvention</strong>“<br />
kann sich über atemberaubende 23 „likes“ freuen.<br />
Vielleicht ein unfairer Vergleich, aber doch: Das mäßig originelle, ungefähr zur<br />
selben Zeit produzierte Hiphop-Musikvideo „Crack Ignaz – König der Alpen“ wurde<br />
bisher über 600.000 mal aufgerufen.<br />
Andererseits erlebt man gerade auf der Gemeindeebene immer wieder ein gefestigtes<br />
Bewusstsein über die unabweisbare Notwendigkeit, die künftige Entwicklung<br />
in eine alpenverträgliche und nachhaltige Entwicklung zu steuern. Hier<br />
ist jedenfalls das im Jahr 1997 gegründete Gemeindenetzwerk „Allianz in den<br />
Alpen“ zu nennen. Heute, nach fast 20 <strong>Jahre</strong>n besteht es aus etwa 300 meist<br />
kleineren und mittelgroßen Kommunen, die für ihre Gemeindeentwicklung die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> als Grundlage und Leitfaden anwenden – das sind ganze 6 %<br />
2 vgl. EUSALP-Mission Statement: „Growth of the region in line with EU 2020 Strategy objectives“.<br />
3 © Hannes Parth, Ischgler Urgestein und Vorstand der Silvretta Seilbahn AG; lt. Der Standard 1.4.2016.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
59
aller Gemeinden im Perimeter der <strong>Alpenkonvention</strong>, zwar achtbar, im Sinne einer<br />
wahrnehmbaren „kritischen Masse“ aber bei weitem zu wenige. Auch der Verein<br />
„Alpenstadt des <strong>Jahre</strong>s“ zeichnet sich durch Exklusivität aus. Immerhin 15 Städte<br />
konnten sich zu einer Mitgliedschaft entschließen, die – vorzugsweise aus den eigenen<br />
Reihen – alljährlich einen Titelträger küren. Das Potential dieser Initiative<br />
wäre allerdings erheblich: immerhin zwei Drittel der Alpenbevölkerung leben in<br />
verstädterten Regionen.<br />
Kommt man mit diesen kommunalen Speerspitzen der <strong>Alpenkonvention</strong> in näheren<br />
Kontakt, dann wird man zwischen Begeisterung und Wehmut hin- und hergerissen:<br />
Begeistert über die Klarheit, mit der Kommunalpolitiker die Botschaft<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> zu ihrer eigenen machen, bedrückt darüber, wie wenig dieses<br />
Engagement außerhalb der Gemeindegrenzen wahrgenommen und gewürdigt,<br />
geschweige denn als Beispiel genommen wird.<br />
60 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Blick vom Monte Piano gegen Norden in das tiefeingeschnittene<br />
Höhlensteintal (Südtirol). Dort hindurch<br />
ist die Alemagna-Autobahn geplant –<br />
Das Verkehrsprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
verbietet den Bau der Autobahn<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
61
Eva Lichtenberger<br />
Die Zukunft der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong><br />
Ab 1989 Abgeordnete zum Tiroler Landtag<br />
Ab 1994 Landesrätin für Umweltschutz<br />
Ab 1999 Abgeordnete zum Nationalrat; dort von 1999 bis 2004 Mitglied<br />
des Verkehrsausschusses, zuständig für Europaangelegenheiten<br />
und Sprecherin der Grünen für Verkehr und Tourismus<br />
von 2004 bis 2014 Abgeordnete zum Europäischen Parlament;<br />
Schwerpunkt der Tätigkeiten im Verkehrsausschuss: Alpenverkehr<br />
und Tourismus.<br />
E: eva.lichtenberger@chello.at<br />
Es hatte sehr viel strategisches Geschick seitens der Alpenregionen gebraucht,<br />
um die <strong>Alpenkonvention</strong> zu entwickeln und durchzusetzen. Schon immer wurden<br />
die wesentlichen Entscheidungen für die Alpen nicht vor Ort, sondern in<br />
den jeweiligen Hauptstädten getroffen. Das Verständnis für die Besonderheit des<br />
Alpenraumes in den hauptstädtischen politischen Gremien war jedoch enden<br />
wollend. Sei es die Verkehrsbelastung, die Interessen der Energiewirtschaft oder<br />
die kleiner strukturierte Wirtschaft – in den Zentralräumen im Flachland wurden<br />
die spezifischen Bedürfnisse des Berglandes nicht als essenziell akzeptiert – oder<br />
aber den eigenen Interessen untergeordnet.<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n seit dem In-Kraft-Treten der <strong>Alpenkonvention</strong> gab es<br />
selbstverständlich auch Diskussionen um ihre Anwendung auf Konfliktfälle, vor<br />
allem im Verkehr und im Tourismus. Das Verkehrsprotokoll – das eine Ablehnung<br />
neuer alpenquerender Straßenverbindungen enthält – muss natürlich auch für<br />
Projekte wie etwa die sattsam bekannte „Alemagna“ 1 angewandt werden und<br />
das ist sowohl für das Veneto 2 also auch für viele Freunde des Straßenverkehrs<br />
im südlichen Österreich 3 ein politisches Hindernis.<br />
Letztlich aber etablierte sich die <strong>Alpenkonvention</strong> und seither gibt es ein Ständi-<br />
1 hochrangige Straßenverbindung zwischen dem Veneto und Bayern.<br />
2 Antwort des italienischen Umweltministers Corrado Clini 2012, Interview mit dem ÖAV zur <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />
der Ausbau der Alemagna sei positiv – Verweis auf die Bedürfnisse der Wirtschaft im Veneto (E-mail-<br />
Interview vom 28.6.2012, zugesandt vom ital. Umweltministerium).<br />
3 Siehe dazu: Protokoll der 42. Sitzung des Kärntner Landtages vom 28.6.2016 zum Dringlichkeitsantrag der<br />
ÖVP-Abgeordneten betreffend Sicherheitsausbau der B 100 Drautalstraße.<br />
62 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
ges Sekretariat in Innsbruck und viele sehr interessante Projekte der Umsetzung<br />
im gesamten Alpenbogen. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang<br />
die Einrichtung eines Jugendparlamentes der <strong>Alpenkonvention</strong> 4 oder aber<br />
die Idee, die Alpen zu einer Modellregion für den Klimaschutz zu machen 5 , oder<br />
das Gemeindenetzwerk Allianz in den Alpen. Langsam aber sicher hat die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
auch an Bekanntheit gewonnen.<br />
Die Makroregion Alpen und die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Im Grunde wurde das Modell der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Europäischen Kommission<br />
als Beispiel für eine themenzentrierte transnationale Zusammenarbeit positiv<br />
gesehen. Von Anfang an hatte die Europäische Kommission aber vorgeschlagen,<br />
den Geltungsbereich weiter zu fassen und die nahen Hauptstadtregionen<br />
mit einzubeziehen. Damit orientierte man sich offensichtlich in der Alpenpolitik<br />
eher am Modell der „alten“ ARGE ALP – historisch bekannt geworden durch den<br />
massiven Einsatz für den Ausbau der Straßentransitachsen durch die Alpen.<br />
Trotzdem war die Hoffnung berechtigt, dass die Arbeit der <strong>Alpenkonvention</strong> die<br />
Grundlage für die Entwicklung einer zukünftigen Makroregion Alpen bilden und<br />
dass auch das Anwendungsgebiet dem der <strong>Alpenkonvention</strong> entsprechen würde.<br />
Die Idee einer Makroregion Alpen stammt schon aus den neunziger <strong>Jahre</strong>n. Damals<br />
wurde auch empfohlen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> die Grundlage bilden sollte.<br />
Dies wurde übrigens auch in einer Resolution des Europäischen Parlamentes<br />
und in einem Antrag an den Bayrischen Landtag verlangt, die für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
als Leitidee für die Makroregion Alpen eintraten 6 . Auch ein gemeinsamer<br />
Beschluss der Landtage von Südtirol, Tirol und Trentino geht in diese Richtung 7 .<br />
Die Gremien der <strong>Alpenkonvention</strong> befassten sich schon ab 2011 mit dem Thema<br />
und versuchten Verbündete zu finden. Die Entwicklung der konkreten Makroregion<br />
Alpen fand aber ohne Anhörung der Zivilgesellschaft oder von lokalen<br />
Entscheidungsträgern statt, obwohl in allen Grundsatzpapieren der Union zu<br />
makroregionalen Modellen die Notwendigkeit einer Bottom-Up-Strategie betont<br />
wurde. Dieser Widerspruch zieht sich durch den gesamten Entstehungsprozess<br />
der Makroregion Alpen.<br />
Vergleicht man nämlich die Strukturen der <strong>Alpenkonvention</strong> mit jener der Makroregion<br />
Alpen, fällt sofort ins Auge, dass trotz der oben erwähnten Beteuerungen<br />
das EU-Modell weder eine Mitwirkung der Zivilgesellschaft noch die lokalen<br />
Politikebenen in zentralen Gremien vorsieht. Die Entscheidungsebene ist regie-<br />
4 Dieses hielt in Tirol im Juni 2006 eine Sitzung ab.<br />
5 CIPRA-Info Nr. 85, Dezember 2007, S. 4 ff<br />
6 Leider wurde dieser Beschluss im Plenum abgeschwächt (Entschließung des Europäischen Parlaments vom<br />
23.5.2013 zu einer makroregionalen Strategie für die Alpen, 2013/<strong>25</strong>49(RSP), Punkt 7; Antrag der Fraktion<br />
Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 4.2.2016, Nr. 17/99<strong>25</strong><br />
7 Gemeinsame Sitzung vom 30.3.2011 in Meran<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
63
ungszentriert, Nichtregierungsorganisationen oder die lokale Ebene sind nur in<br />
rein operativen Gremien zu finden. Im Prozess für die Entwicklung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
hingegen haben sich sowohl regionale Entscheidungsträger als auch<br />
die Zivilgesellschaft engagiert und Ergebnisse geliefert, die für die Makro-Region<br />
Alpen von hoher Relevanz wären.<br />
Die Europäische Union und die Alpen<br />
Es ist keine Überraschung dass die Kommission eher die Top-Down-Strategien<br />
bevorzugt. Die Kommission selbst spricht in ihrem Bericht zur Governance der<br />
Makroregion eine sehr deutliche Sprache: Der Strategieprozess wird auf hoher<br />
politischer Ebene angesiedelt, ergänzt durch „National Contact Points“ und Experten.<br />
8 Die Regionen wie auch die Zivilgesellschaft kommen nur in einer unterstützenden<br />
Rolle vor. Der Reichtum an zivilgesellschaftlichem Engagement im<br />
Alpenraum findet wenig Berücksichtigung.<br />
Um die Haltung zu Berggebieten in den europäischen Institutionen insgesamt<br />
zu verstehen, lohnt ein Blick auf einen kürzlich bearbeiteten Initiativbericht im<br />
Europäischen Parlament zu „Kohäsionspolitik in Bergregionen“. In diesem Bericht<br />
wird die übliche Fülle von verschiedensten Maßnahmen aufgeführt, allerdings<br />
mit einem spezifischen Schwerpunkt auf Jobs und Wachstum in den Bergregionen.<br />
Vor allem wird aber der Wunsch nach einer stärkeren Nutzung der Ressourcen<br />
der Berggebiete betont 9 . Die volle Nutzung der Wasserkraft – auch gegen<br />
Schutzinteressen – und die hohe Qualität des Alpenwassers dürften hier wohl in<br />
den Fokus kommen. All das zeigt deutlich, dass hier noch immer der alte Geist<br />
herrscht und die Besonderheit der Bergregionen nicht wirklich verstanden wird.<br />
Auch innerhalb der Alpen herrscht ein sehr unterschiedlicher Blick auf das Leben<br />
in den Bergen und auf politische Handlungsmöglichkeiten. Beispiel Tourismus:<br />
Während die Ostalpen intensiv über den Konflikt zwischen der Erhaltung der intakten<br />
Bergnatur und regionalen Erschließungswünschen diskutieren, herrscht in<br />
großen Teilen der politischen Elite in den Westalpen nach wie vor der ungebrochene<br />
Glaube an Wachstum und Fortschritt durch Erschließung um jeden Preis.<br />
Folgerichtig haben sich auch innerhalb der EUSALP ACTION GROUPS die Region<br />
Lombardei für die „Entwicklung eines effiziente Forschungs- und Innovations-<br />
Ökosystems“ und die Auvergne-Rhone-Alps für die „Steigerung des ökonomischen<br />
Potentials in strategischen Sektoren“ stark gemacht 10 . Beides Themen, die<br />
einen stadtzentrierten Fokus aufweisen.<br />
8 siehe dazu: Bericht der Kommission zur Governance makroregionaler Strategien, Brüssel, im Mai 2014,<br />
COM (2014) 284 final<br />
9 Committe report „ Cohesion policy in mountainous regions of the EU, 2015/2279(INI)<br />
10 EUSALP ACTION GROUPS, Stand Februar 2016<br />
64 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Stadt – Land – Berg<br />
Wie schon in den ersten Dokumenten zur Alpenstrategie angedacht, wurde der<br />
Geltungsbereich schließlich bis ins Alpenvorland (inklusive dem Burgenland und<br />
ganz Baden-Württemberg) ausgedehnt, – damit ist sichergestellt, dass die Metropolregionen<br />
wie München, Mailand, Turin etc. einen wesentlich stärkeren<br />
Einfluss haben werden. Dies bedeutet für die Makroregion, dass die Stärke der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>, in der die alpinen Kerngebiete selbst federführend für die Entwicklung<br />
ihrer Zukunftsvorstellungen sind, verloren geht.<br />
Die Frage des Verhältnisses des Alpenraums zu den nahen Metropolregionen<br />
und die daraus möglicherweise resultierenden Interessenkonflikte wird zudem<br />
nicht deutlich genug angesprochen. Dahinter steht die Frage des Ausgleichs von<br />
Schutz- und Nutzungsinteressen sowohl innerhalb der Alpen als auch zwischen<br />
den Kernalpen und jenen des ökonomisch starken Voralpenlandes. Schon auf<br />
Grund der Bevölkerungszahlen und der Wirtschaftskraft der voralpinen Metropolen<br />
drohen das Kerngebiet der Alpen – und die Zielsetzungen der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
- dabei aus dem Blickfeld zu geraten. Dies ist wohl ein sehr problematischer<br />
Ansatz für die weitere Entwicklung, denn die Abgrenzung entscheidet darüber,<br />
ob in Zukunft die Entwicklung in den Alpen endogen oder exogen gesteuert sein<br />
wird. Zudem ist aus den Zielsetzungen der Alpenstrategie deutlich zu erkennen,<br />
dass hier eher Themen im Mittelpunkt stehen, die es den Großstädten möglich<br />
machen, wesentliche Fördermittel für ihre Notwendigkeiten abzuziehen. Da es ja<br />
für die Makroregionen keine zusätzlichen Fördermittel geben wird, könnte dies<br />
auf Kosten von Projekten der Kernregion gehen.<br />
Pessimistisch macht, dass die bisher von der <strong>Alpenkonvention</strong> erarbeiteten<br />
Grundsatzarbeiten nicht hinreichend berücksichtigt werden. Soll hier wieder einmal<br />
das Rad neu erfunden werden oder stehen dahinter politische Intentionen?<br />
Während die Protokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> gesamt dem Prinzip der Nachhaltigkeit<br />
verpflichtet sind, war dieser Aspekt für die frühen Promotoren einer Makroregion<br />
Alpen nicht zentral. Das zeigt sich auch in den Vorschlägen für politische<br />
Schwerpunkte, die sich mehr im Rahmen von regionaler Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Beschäftigung bewegten. Interessant ist, dass diese Vorschläge der Makroregion<br />
Alpen, die nun als Schwerpunkte festgelegt wurden, stark jenen der ARGE<br />
ALP ähneln 11 . In die gleiche Kerbe schlägt ein Seminar der Region Rhone-Alpes<br />
vom Jänner 2012, das die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den großen<br />
Städten im Alpenvorland mit dem alpinen Kerngebiet betont 12 .<br />
Ein Zurückdrängen der <strong>Alpenkonvention</strong> zugunsten der Makroregionalen Strategie<br />
könnte natürlich auch sehr konkrete Auswirkungen auf konkrete Projek-<br />
11 Ergebnisprotokoll der 35. Konferenz der Regierungschefs der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer am<br />
<strong>25</strong>.6.2004 in Alpbach, Tirol, S. 21 ff<br />
12 Protokoll der politischen Debatte, Seminar über eine europäische Strategie für den Alpenraum vom<br />
13.1.2013 in Grenoble<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
65
te haben. Das oben zitierte Beispiel der Alemagna würde möglicherweise unter<br />
dem Fördertitel „Connectivity“ in bestimmten Teilbereichen sogar Anspruch auf<br />
EU-Gelder haben. Da in erster Linie Regionen und Ministerien die Entscheidungsgewalt<br />
haben und die Stimme der NGOs nur beratend ist, könnte das dieses alte<br />
Straßentransitprojekt durchaus begünstigen. Auch bei Erschließungsprojekten in<br />
sensiblen Gebieten könnte dies in Zukunft eine ähnliche Rolle spielen.<br />
Wird also der Bottom-up-Prozess der Alpenregion selbst zugunsten einer Top-<br />
Down-Strategie der Kommission im Verein mit den alten Lobbyisten der ARGE<br />
ALP an den Rand gedrängt? Das muss nicht sein. Unter bestimmten Bedingungen<br />
wäre es sicher möglich, dass sowohl die <strong>Alpenkonvention</strong> als auch die Europäische<br />
Makroregion Alpen zu einer Koexistenz finden.<br />
Dazu sind aber mehrere Voraussetzungen notwendig. Zum ersten dürfen die<br />
Finanzflüsse seitens der Europäischen Union nicht einseitig auf die Schwerpunkte<br />
der makroregionalen Strategie allein konzentriert werden. Diese sind nämlich<br />
samt und sonders eher auf die großen städtischen Agglomerationen im Alpenvorland<br />
zugeschnitten als auf das alpine Kerngebiet. Zweitens müssen in den entscheidenden<br />
Gremien personelle Verschränkungen stattfinden, sodass also die<br />
VertreterInnen der <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren Ideen und Projekten Berücksichtigung<br />
finden. Und drittens muss eine offene Auseinandersetzung über die oft<br />
sehr unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen betreffend den Alpenbogen<br />
zwischen den Alpenregionen selbst und den Stadtregionen des Alpenvorlandes<br />
geführt werden. Die Alpen haben gute FreundInnen in den Städten, welche die<br />
alpinen Anliegen auch unterstützen. Diese sind aber wesentlich weniger effizient<br />
organisiert als jene Gruppen, die reine Nutzungsinteressen ohne Berücksichtigung<br />
der Gegebenheiten in den Alpen und der Bedürfnisse der BewohnerInnen<br />
der Kernalpen durchsetzen wollen. Es gilt also, wieder Bündnisse zu organisieren.<br />
Dann ist es möglich, die <strong>Alpenkonvention</strong> – vielleicht nicht auf dem Papier, aber<br />
in der Praxis - zur Leitidee für eine europäische Alpenpolitik zu machen.<br />
66 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Erweiterung Mölltaler Gletscher durch die Naturschutzgebiete<br />
Kleinfragant & Wurten-West (Kärnten)<br />
– Naturschutz- und Bodenschutzprotokoll lässt<br />
den Bau von Schipisten und Seilbahnen nicht zu<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
67
Josef Essl<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich –<br />
einige Zahlen und Fakten<br />
Von 1995 bis 2008 in der Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz<br />
im Österreichischen Alpenverein<br />
Seit 2013 bei CIPRA Österreich (seit 2015 Geschäftsführer)<br />
Seit 2013 Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich<br />
Seit 2013 Mitglied des Nationalen Komitees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in Österreich<br />
Von 2011 bis 2015 Mitglied des Naturschutzbeirates beim Amt der<br />
Tiroler Landesregierung<br />
E: josef.essl@cipra.org<br />
Man kann es als eine große Errungenschaft bezeichnen, als am 7. November 1991<br />
in Salzburg die Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> als ein umfassendes internationales<br />
Vertragswerk zum Schutz und für eine nachhaltige Entwicklung der<br />
Alpen für knapp 14 Millionen Menschen und einer Fläche von 190.912 km² durch<br />
die Vertragsparteien der Alpenstaaten erfolgt ist. Österreich ist ein Kernland im<br />
Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> und war viele <strong>Jahre</strong> hindurch ein Vorreiter<br />
bei der Umsetzung des internationalen Vertragswerkes. Einige Zahlen und<br />
Fakten sollen unterstreichen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> gerade in Österreich ein<br />
unerlässliches Werkzeug und zukunftsorientierter Wegweiser für einen umfassenden<br />
Alpenschutz und eine nachhaltige Alpenentwicklung darstellt. Ebenso<br />
werden Vergleiche, Stärken, Schwächen und Herausforderungen der Berggebiete<br />
gegenüber den außeralpinen Regionen dokumentiert.<br />
Alpenland Österreich<br />
Mit knapp 65 % Anteil an der österreichischen Staatsfläche, liegt Österreich unter<br />
den großen Alpenstaaten an der Spitze des Geltungsbereiches der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Vor allem die westlichen Bundesländer, wie Vorarlberg, Tirol und Kärnten<br />
bringen 100 % ihrer Fläche in den Anwendungsbereich ein. Dahinter folgt mit<br />
beinahe 95 % das Bundesland Salzburg. Selbst das Burgenland im östlichsten<br />
Anwendungsbereich ist mit fast 12 % enthalten. Die einzige Ausnahme bildet<br />
die Bundeshauptstadt Wien, die keinen Anteil an den Alpen besitzt. Mit dem In-<br />
68 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Kraft-Treten der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt erstmals eine gemeindescharfe Abgrenzung<br />
vor.<br />
Bundesland Fläche im Anwendungsbereich<br />
in % der Gesamtfläche<br />
(in km²)<br />
Vorarlberg 2.601,40 100<br />
Tirol 12.648,00 100<br />
Kärnten 9.533,12 100<br />
Salzburg 6.779,78 94,77<br />
Oberösterreich 3.483,48 29,08<br />
Niederösterreich 6.069,09 31,65<br />
Steiermark 1 12.672,70 77,33<br />
Burgenland 471,57 11,89<br />
Österreich 54.<strong>25</strong>9,14 64,71<br />
Quelle: ABIS 1999<br />
Österreichische Gemeinden in der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Mit der Abgrenzung der <strong>Alpenkonvention</strong> im <strong>Jahre</strong> 1995 (BGBl. 477/1995), wurden<br />
5.971 Gemeinden im gesamten Alpenraum erfasst. Mit 1.135 Gemeinden<br />
lag Österreich hinter Italien (1.764) und Frankreich (1.750) an dritter Stelle. Umfassende<br />
Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark 2015, haben beinahe<br />
zu einer Halbierung der Gemeinden geführt. Von ursprünglich 302 Gemeinden<br />
im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet, hat sich die Zahl auf 169 Gemeinden und damit um<br />
44 % reduziert. Davon fallen aktuell 9 Gemeinden und deren Gemeindeflächen<br />
nur teilweise in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong>. Von Seiten des<br />
Bundesministeriums gilt es noch zu klären, wie und in welchem Umfang diese<br />
Gemeinden in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> integriert werden.<br />
1 Aufgrund der Gemeindestrukturreform in der Steiermark 2015, fallen 9 Gemeinden zwar in den Anwendungsbereich<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>, sind aber davon nur teilweise betroffen. Genaue Festlegungen, die möglicherweise<br />
zu kleinräumigen Flächenänderungen führen, sind vom Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> im Bundesministerium<br />
für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft noch zu erheben.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
69
Bundesland<br />
Anzahl der Gemeinden<br />
Vorarlberg 96<br />
Tirol 279<br />
Kärnten 132<br />
Salzburg 101<br />
Oberösterreich 61<br />
Niederösterreich 160<br />
Steiermark 2 169<br />
Burgenland 16<br />
Österreich 1.014<br />
Quelle: ABIS 1999<br />
Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2015<br />
eigene Berechnungen 2016<br />
Österreich – ein großer Player im Alpenraum<br />
Bezogen auf das gesamte Staatsgebiet zählt Österreich mit seinen 83.879 km²<br />
gegenüber Frankreich, Italien oder Deutschland, die allesamt auch Anteile am <strong>Alpenkonvention</strong>sperimeter<br />
haben, zu den Kleinstaaten in Europa. Doch warum ist<br />
das Instrument der <strong>Alpenkonvention</strong> gerade in Österreich so wichtig? Dies hat einen<br />
einfachen Grund, denn zieht man die Oberfläche der einzelnen Staaten und<br />
die darin lebende Bevölkerung nur für den Alpenraum heran, liegt Österreich mit<br />
54.<strong>25</strong>9,14 km² und einer Einwohnerzahl von 3.318,045 Millionen (Stand 2013)<br />
an zweiter Stelle hinter Italien und noch vor Frankreich und Deutschland. Was<br />
hingegen die Bevölkerungsdichte im alpinen Raum betrifft, befindet sich Österreich<br />
mit durchschnittlich 60,8 Einwohnern pro km² nur vor Slowenien an vorletzter<br />
Stelle. Die mit Abstand größten Bevölkerungsdichten weisen Monaco mit<br />
18.475 E/km² und Liechtenstein mit 230,2 E/km² auf.<br />
Vergleich alpiner und nicht alpiner Raum in Österreich<br />
Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte betrug in Österreich 2013 ca. 101 Einwohner<br />
pro km². Im alpinen Raum sind es knapp 61 E/km². Die durchschnittlich<br />
hohe Bevölkerungsdichte für Österreich ist leicht erklärbar, denn auf 29.619,89<br />
km² nicht alpinem Staatsgebiet und damit nicht <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet, leben<br />
über 5,1 Million Menschen, was einem Anteil von ca. 61 % bedeutet. Bekannt ist,<br />
2 Von den 169 Gemeinden fallen 9 Gemeinden nach der Gemeindestrukturreform in der Steiermark nur teilweise<br />
in den Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong>. Eine genaue Festlegung der Gemeinden ist vom<br />
Focal Point <strong>Alpenkonvention</strong> im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft<br />
noch zu treffen.<br />
70 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
dass der Dauersiedlungsraum im alpinen Raum sehr begrenzt ist. In Zahlen für<br />
Österreich ausgedrückt bedeutet dies, dass in Österreichs Alpen nur 11.566 km²<br />
als Dauersiedlungsraum gelten, im nicht alpinen Raum sind es hingegen 20.874<br />
km², was einem prozentuellem Anteil von 21,3 % zu 70,5 % Prozent an der jeweiligen<br />
Gesamtfläche bedeutet. Rechnet man jedoch die auf den Dauersiedlungsraum<br />
bezogene Bevölkerungsdichte heraus, so ist diese im österreichischen<br />
Alpenanteil mit 286,9 E/km² um einiges höher als im außeralpinen Raum mit 246<br />
E/km² (Stand 2013, Quelle: Demographischer Wandel in den Alpen – Alpenzustandsbericht,<br />
2015).<br />
Bevölkerungsstruktur – die Menschen werden älter<br />
Mittlerweile beträgt der alpenweite Anteil von Menschen mit über 65 <strong>Jahre</strong>n<br />
an der Gesamtbevölkerung 19,5 %. In Österreichs Alpen – hier vor allem in den<br />
westlichen Bundesländern – liegt dieser Anteil bei 18,7 % und damit etwas darunter.<br />
Vergleicht man diesen Wert mit den außeralpinen Regionen in Österreich,<br />
so steht hier ein Wert von 17,6 % gegenüber. Dieser höhere Anteil im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet<br />
hängt damit zusammen, dass vor allem große Teile Kärntens,<br />
inneralpine Grenzgebiete zwischen Niederösterreich und der Steiermark als auch<br />
zu Oberösterreich zumeist deutlich älter sind als andere Regionen in Österreichs<br />
Alpen.<br />
Beschäftigung in Österreichs Alpen<br />
Der Arbeitsmarkt ist im Alpenraum, bedingt durch den demographischen Wandel,<br />
die unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, die Lage und Erreichbarkeit<br />
und das Bildungsangebot sehr eng miteinander verknüpft. So haben primär gut<br />
erreichbare Städte, Gemeinden und Regionen einen durchaus sichtbaren wirtschaftlichen<br />
Vorteil. Dennoch garantiert eine gute Erreichbarkeit von Haus aus<br />
keinen Erfolg, da gerade die Alpen von einem komplexen Zusammenspiel geprägt<br />
sind. Um die Arbeitsmarktlage genauer eruieren zu können, benötigt es<br />
die Berücksichtigung dreier Indikatoren: Erwerbstätigenquote, Arbeitslosenquote<br />
und Anteil der Nicht-Erwerbspersonen. Demnach ist die Erwerbstätigenquote<br />
in Österreichs Alpen mit 70,4 % höher angesiedelt, wie jene außerhalb des<br />
Anwendungsbereiches mit 69,6 %. Die Arbeitslosenquote liegt in Österreich im<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>sbereich mit 5,4 % gegenüber 6,0 % doch um 0,6 Prozentpunkte<br />
niedriger. Nur unwesentlich geringer ist der Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />
mit <strong>25</strong>,6 % im <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet gegenüber <strong>25</strong>,9 % außerhalb der österreichischen<br />
Alpen.<br />
Bricht man nun die Zahlen auf die Altersgruppe der 15 – 64 jährigen und der 15<br />
– 24 jährigen herunter, zeigen die entsprechenden Indikatoren für Männer und<br />
Frauen hinsichtlich des Anteiles der Nicht-Erwerbspersonen, der Erwerbstätigen-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
71
quote und der Arbeitslosenquote für das <strong>Alpenkonvention</strong>sgebiet in Österreich,<br />
gegenüber dem außeralpinen Raum, ein durchwegs positives Bild (siehe Tabelle).<br />
GESAMT<br />
Alpiner Raum Nichtalpiner<br />
Raum<br />
Österreich<br />
gesamt<br />
Alter 15 – 64 <strong>Jahre</strong><br />
Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />
<strong>25</strong>,6 26,2 20,5<br />
(in %)<br />
Erwerbstätigenquote (in %) 70,4 69,2 69,6<br />
Arbeitslosenquote (in %) 5,4 6,3 6,0<br />
Alter 15 – 24 <strong>Jahre</strong><br />
Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />
37,7 41,3 39,9<br />
(in %)<br />
Anteil der Nicht-Erwerbspersonen<br />
57,5 53,2 54,9<br />
(in %)<br />
Arbeitslosenquote (in %) 7,8 9,4 8,7<br />
Arbeitsmarktindikatoren für Österreich (Frauen und Männer)<br />
Quelle: EURAC 2011<br />
Bildung in Österreichs Alpen<br />
Im Alpenraum ist der Bildungsgrad und -standard sehr heterogen ausgeprägt.<br />
Dies hängt mit den unterschiedlichen Bildungssystemen und -angeboten, in Ergänzung<br />
mit den räumlichen Gegebenheiten zusammen. Das Fehlen mitunter<br />
guter Ausbildungsmöglichkeiten in den ländlichen Regionen führt häufig dazu,<br />
dass junge Menschen verstärkt in perialpine Regionen mit besseren und hochqualifizierten<br />
Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten abwandern, weshalb es zu<br />
unterschiedlichen demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen<br />
zwischen den ländlichen Räumen und den Metropolen kommen kann. Im<br />
Anwendungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> in Österreich weist die Sekundarbildung<br />
mit 58,6 % einen höheren Anteil als in außeralpinen Gebieten mit 55,7 %<br />
auf, womit auch eine abgeschlossene Tertiärbildung mit 13,6 % unter dem österreichweiten<br />
Durschnitt von 14,8 % liegt. Die Verteilung der Bevölkerung mit einer<br />
abgeschlossenen Tertiärbildung konzentriert sich sehr stark auf die städtischen<br />
Räume, da in den ländlichen Räumen häufig gutqualifizierte Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
fehlen.<br />
72 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Alpiner Raum<br />
GESAMT<br />
Nichtalpiner<br />
Raum<br />
Österreich<br />
gesamt<br />
Sekundärbildung (in %) 58,6 55,7 56,8<br />
Tertiärbildung (in %) 13,6 15,6 14,8<br />
Abgeschlossene Sekundär- und Tertiärbildung in Österreich (Frauen und Männer)<br />
Quelle: EURAC 2011<br />
Der Tourismus in Österreich<br />
Quelle: Statistik Austria<br />
Noch im Jahr 1975 war Österreich ein klassisches touristisches Sommerland.<br />
74 Mio. Nächtigungen im Sommer standen damals 31 Mio. Nächtigungen im<br />
Winter gegenüber. In den folgenden Jahrzehnten wurde unaufhörlich in den<br />
Wintertourismus bzw. in die technische Infrastruktur (Seilbahnen, Schipisten,<br />
Beschneiung, usw.) investiert. Eine stete Zunahme der Nächtigung im Wintertourismus<br />
in den 1980er- und 1990er-<strong>Jahre</strong>n und ein mitunter starker Rückgang<br />
im Sommertourismus zwischen 1990 und 2005, führt mittlerweile seit 2005 zu<br />
einem beinahe Gleichschritt in den Sommer- und Winternächtigungen. 2015<br />
war der vorläufige Höhepunkt mit über 135 Mio. Übernachtungen (davon 69<br />
Mio. im Sommer und 66 Mio. im Winter). Diese Zahlen mögen auf den ersten<br />
Blick positiv erscheinen, doch bei genauer Betrachtungsweise erhöht diese Tourismusintensität<br />
den Druck auf die Landschaft, führt zu einem unweigerlichen<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
73
Verdrängungswettbewerb einzelner Tourismusorte und -regionen, womit die<br />
Aufschaukelung der alpenweiten Tourismusspirale weiter vorangetrieben wird.<br />
a) Tourismusintensität in Österreichs Alpen – in Bezug auf die Bevölkerung<br />
Wird in den Tourismusregionen eine hohe Anzahl an Übernachtungen im<br />
Verhältnis weniger Einwohner lukriert, kann von einer hohen Tourismusintensität<br />
ausgegangen werden. Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Teile Kärntens<br />
weisen hohe Werte auf und sind in ihrem Erscheinungsbild durchaus homogen,<br />
wogegen im östlichen Teil der österreichischen Alpengemeinden eine<br />
entsprechende Heterogenität und Abnahme der Intensität zu verzeichnen ist.<br />
b) Tourismusintensität in Österreich – Durchschnittliche Aufenthaltsdauer<br />
Der Trend, im Jahr mehrere Kurzurlaube zu unternehmen und damit die<br />
durchschnittliche Aufenthaltsdauer weiter nach unten zu drücken, hat sich<br />
in den letzten <strong>Jahre</strong>n unaufhörlich fortgesetzt. Von 2001 bis 2010 hat die<br />
durchschnittliche Aufenthaltsdauer alpenweit um durchschnittlich 11,8 %<br />
abgenommen. In Vorarlberg und Kärnten fiel der Rückgang der Aufenthaltsdauer<br />
mit 17 % und 19 % noch dramatischer aus. 2001 verweilten die Gäste<br />
im Durchschnitt noch 4 Tage in den Urlaubsgebieten, 2010 waren es nur<br />
mehr 3,5 Tage. Österreich bildet hier keine Ausnahme, denn 2015 betrug die<br />
durchschnittliche Aufenthaltsdauer nur mehr 3,4 Tage. Sie entspricht damit<br />
auch der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in Österreichs Alpengemein-<br />
74 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
75
den von 3-4 Tagen. Ein möglicher längerer Aufenthalt konnte dann festgestellt<br />
werden, wenn der Ort oder die Region eine zentrale Lage in den Alpen<br />
aufweist. Befinden sich die Alpengemeinden jedoch in der Nähe von Städten<br />
(z.B. Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt), reduziert sich die durchschnittliche<br />
Aufenthaltsdauer nur mehr auf 3 Tage.<br />
Schlussbemerkung<br />
Der Beitrag zeigt nur einen kleinen Ausschnitt über die statistische Welt der österreichischen<br />
Alpen. Doch schon diese wenigen Zahlen und Fakten belegen,<br />
dass gerade für den Alpenraum das Instrument der <strong>Alpenkonvention</strong> auf spezifische<br />
Fragen durchwegs konkrete Ziele und Strategien für eine zukunftsfähige<br />
Entwicklung formuliert und gleichzeitig auch als ein wichtiges Bindeglied zu den<br />
außeralpinen Regionen fungiert. Einzelne Zahlen sollen aber auch wachrütteln<br />
und aufzeigen, wie sehr der Alpenraum in Österreich unter Druck steht. Sei es<br />
im Tourismus, wo man nach wie vor ein grenzenloses Wachstum anstrebt oder<br />
in der Raumplanung, wo täglich mit durchschnittlich 20 Hektar bester Grund und<br />
Boden verbaut und versiegelt wird. Bereits 2002 wurde unter dem damaligen<br />
deutschen Vorsitz die Arbeitsgruppe „Umweltziele und Indikatoren“ eingesetzt,<br />
um die <strong>Alpenkonvention</strong> und ihre Protokolle auf Basis eines alpenweiten Indikatorensystems<br />
umsetzen zu können. Ein derartiges Indikatorensystem sollte demnach<br />
ein langfristiger Bestandteil des Alpenbeobachtungs- und Informationssystems<br />
(ABIS) sein und vom Ständigen Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> aufgebaut<br />
werden. Das Alpenbeobachtungs- und Informationssystem scheint im Aufbau<br />
steckengeblieben zu sein, denn eine Fortsetzung ist seit 2004 nicht erkennbar.<br />
Die von der <strong>Alpenkonvention</strong> eingesetzten Arbeitsgruppen und Plattformen mit<br />
namhaften Experten konnten über viele <strong>Jahre</strong> eine Vielzahl interessanter alpenweiter<br />
Daten sammeln, doch wurde es bisher verabsäumt, diese einer interessierten<br />
Öffentlichkeit in Form einer einfach zugänglichen Datenbank zur Verfügung<br />
zu stellen. Die Herausgabe der Alpenzustandsberichte ist schön und gut,<br />
doch auch hier hat man den Weg einer breit angelegten Information missen lassen.<br />
So werden wohl die Alpenzustandsberichte auch weiterhin nur von einem<br />
kleinen und elitären <strong>Alpenkonvention</strong>s-Kreis gelesen.<br />
Anstatt in den vergangenen <strong>Jahre</strong>n ein umfassendes alpenweites Datennetz<br />
aufzubauen, um die Spezifikationen des Alpenraumes als Lebens-, Natur-, Kultur-<br />
und Wirtschaftsraum darzustellen und dabei die Fragilität dieses Ökosystems<br />
herauszustreichen, strebt man nun über die makroregionale Alpenraumstrategie<br />
eine Zusammenarbeit mit dem Raumbeobachtungsprogramm ESPON<br />
an, um vergleichbare Daten auf EU-Ebene zu generieren. Dies bedeutet wohl,<br />
dass der Alpenraum im gesamten EU-Kontext nur eine Randerscheinung bleiben<br />
wird und zukünftig die „weichen“ EU-Maßstäbe auch für den Alpenraum gelten<br />
werden, ohne dabei die besonderen Unterschiede und Spezifikationen zum<br />
76 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
außeralpinen Raum zu berücksichtigen. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat in den letzten<br />
<strong>Jahre</strong>n eine Chance vertan und viel Zeit für den Aufbau einer umfassenden Datenbank<br />
verloren. Ein für die AlpenbewohnerInnen zugängliches umfassendes<br />
und alpenweites Datennetzwerk würde einerseits dazu führen, die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
verstehen zu lernen und andererseits eine breite Kommunikation und<br />
konstruktive Diskussion gebirgsbedingter Probleme und Herausforderungen für<br />
die kommenden <strong>Jahre</strong> und Jahrzehnte auszulösen, um in weiterer Folge entsprechende<br />
Maßnahmen für eine ökologisch nachhaltige Zukunft sicherstellen<br />
zu können.<br />
Literatur<br />
Amt der Steiermärkischen Landesregierung – Hrsg. (2012): Leitfaden – <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in der örtlichen Raumplanung. Graz, S. 21<br />
CIPRA International – Hrsg. (2007): WIR ALPEN! Menschen gestalten Zukunft. 3. Alpenreport.<br />
Haupt Verlag. Bern, Stuttgart, Wien, 299 S.<br />
Haßlacher, P. – Red. (2011): VADEMECUM <strong>Alpenkonvention</strong>. Österreichischer Alpenverein,<br />
Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz (Hrsg.). 4., aktualisierte und ergänzte<br />
Aufl.; Innsbruck, 146 S.<br />
Rumpolt, P.A. (2015): Der (österreichische) Alpenraum – demographisch betrachtet – Ein<br />
Blick in den 5. Alpenzustandsbericht. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung<br />
für die Alpen. CIPRA Österreich (Hrsg.). Nr. 4; Innsbruck, S. 9 – 10.<br />
Rumpolt, P.A. (2015): Die <strong>Alpenkonvention</strong> und die Region der niederösterreichischen<br />
Randalpen – Möglichkeiten der nachhaltigen Regionalentwicklung. In: Tagungsband<br />
der CIPRA Österreich-<strong>Jahre</strong>sfachtagung, 29.-30. September 2015 in Lunz am<br />
See. CIPRA Österreich (Hrsg.). Veröffentlichungen Nr. 5; Innsbruck-Wien, S. 32 – 37.<br />
Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2013): Nachhaltiger Tourismus in<br />
den Alpen – Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong>: Alpensignale – Sonderserie<br />
4. Innsbruck, 145 S.<br />
Ständiges Sekretariat dewr <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2015): Demographischer Wandel<br />
in den Alpen – Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong>: Alpensignale – Sonderserie<br />
5. Innsbruck, 168 S.<br />
Umweltbundesamt – Hrsg. (2004): Die Veränderung des Lebensraums Alpen dokumentieren:<br />
Indikatorensystem und Konzept für einen Alpenzustandsbericht. Abschlussbericht<br />
der Arbeitsgruppe „Umweltziele und Indikatoren“ der <strong>Alpenkonvention</strong> (3.<br />
Mandatsphase). Berlin, 146 S.<br />
Internet<br />
www.statistik.gv.at/web_de/statistiken/wirtschaft/tourismus/beherbergung/ankuenfte_naechtigungen/index.html<br />
www.austriatourism.com/tourismusforschung/tourismus-in-zahlen/oesterreichischertourismus-in-zahlen/<br />
www.espon.eu/main/<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
77
Statements aus den<br />
Gebietskörperschaften<br />
78 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Andrä Rupprechter<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
ein funktionierendes politisches Programm<br />
der Alpenstaaten und der EU<br />
Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,<br />
Wien<br />
E: buero.rupprechter@bmlfuw.gv.at<br />
Der Alpenraum ist ein außerordentlich vielfältiges, aber auch fragiles Ökosystem.<br />
Er wird von uns Menschen intensiv genutzt und gepflegt – als Lebens-,<br />
Wirtschafts-, Kultur- und Naturraum zugleich. Leider führt der Klimawandel zu<br />
tiefgreifenden Veränderungen in der Ökologie, in der Ökonomie sowie in der sozialen<br />
Struktur dieser Gebiete. Darum ist das Übereinkommen zum Schutz der<br />
Alpen, kurz <strong>Alpenkonvention</strong>, heute wichtiger denn je.<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche politische Kooperation.<br />
Seit mittlerweile <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n arbeiten die Alpenstaaten und die Europäische<br />
Union im Rahmen dieses Programms zusammen. Das gemeinsame Ziel: Die<br />
Umwelt sowie wertvolle Ressourcen schützen und zugleich den Lebensraum für<br />
Millionen von Menschen zukunftsorientiert weiterentwickeln.<br />
In Österreich haben die <strong>Alpenkonvention</strong> und insbesondere ihre Protokolle einen<br />
besonders hohen Stellenwert. Seit Dezember 2002 sind acht Durchführungsprotokolle<br />
auch rechtlich als nationale Gesetze verankert. 2007 wurde zum Beispiel<br />
ein Handbuch zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> veröffentlicht, seit 2009<br />
besteht eine RechtsservicesteIle, die kostenlos Fragen über die Auslegung der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Protokolle beantwortet.<br />
Erfolgreiche Projekte zur Gestaltung und Entwicklung des alpinen Lebensraums<br />
stellen sicher, dass nicht nur die Natur geschützt, sondern auch den Menschen<br />
geholfen wird. Die Maßnahmen reichen von einfachen Informationsbroschüren<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
79
über die Finanzierung des ersten Elektromobils in Kärnten bis hin zum mittlerweile<br />
so erfolgreichen Projekt der „Bergsteigerdörfer“. All diese Vorhaben beweisen,<br />
wie umfassend das Vertragswerk der <strong>Alpenkonvention</strong> ist.<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist inzwischen auch zu einem Exportartikel geworden. Die<br />
Karpatenstaaten haben sich in der Karpatenkonvention ebenfalls zu einer gemeinsamen<br />
Grundlage bekannt und setzen diese bereits Schritt für Schritt um.<br />
Mit der Makroregionalen Strategie für den Alpenraum (EUSALP) stehen wir in<br />
den nächsten <strong>Jahre</strong>n<br />
vor einer neuen<br />
großen Herausforderung.<br />
Die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong><br />
kann uns dabei von<br />
Beginn an unterstützen<br />
– sozusagen<br />
als pro-aktive<br />
Anwältin, welche<br />
für die vitalen Interessen<br />
der im<br />
Alpenraum lebenden<br />
und wirtschaftenden<br />
Menschen<br />
eintritt.<br />
Das sensible Ökosystem der Alpen erfordert eine ausgewogene Balance zwischen<br />
Ökologie und Ökonomie.<br />
Der Alpenraum<br />
steht für außergewöhnlich<br />
hohe Lebensqualität.<br />
Ganz<br />
gleich ob wir hier wohnen, arbeiten oder einfach nur unseren Urlaub oder unsere<br />
Freizeit verbringen – wir alle spüren, wie einzigartig dieser Lebensraum ist. Wir<br />
tragen die große Verantwortung, ihn zu schützen und nachhaltig weiterzuentwickeln.<br />
Nur dann können wir den nächsten Generationen ein lebenswertes Österreich<br />
übergeben, mit reiner Luft, sauberem Wasser und einer vielfältigen Natur.<br />
Mensch und Natur müssen in Einklang stehen, es braucht eine Balance von<br />
Ökologie und Ökonomie. Die <strong>Alpenkonvention</strong> leistet dazu einen entscheidenden<br />
Beitrag. <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach seinem Entstehen ist dieses gemeinsame politische<br />
Programm der Alpenstaaten und der Europäischen Union unverzichtbar geworden.<br />
80 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Wilfried Haslauer<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Landeshauptmann von Salzburg<br />
Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz<br />
E: haslauer@salzburg.gv.at<br />
Lange Zeit wurde der Alpenraum in der Außensicht verkannt: Zum einen als mühsam<br />
zu überwindendes Hindernis auf den Handels- und Reisewegen zwischen<br />
Nord und Süd, zum anderen als bloße Ressource für wichtige Rohstoffe, wie Erze,<br />
Holz oder auch Wild. In der Zeit der Romantik mit der beginnenden Mobilität des<br />
Industrie- und Eisenbahnzeitalters kam das Bild von den Alpen als vormoderne,<br />
scheinbar unberührte Bergidylle hinzu. Der sukzessive einsetzende Tourismus erwies<br />
sich für die Alpenregion als Segen und als Fluch zugleich: Er brachte Erschließung,<br />
Publizität, Gäste und damit auch Erträge. Dadurch wurden die in weiten<br />
Teilen der Alpen naturbedingte Standortnachteile kompensiert und flächenhafte<br />
Abwanderung weitgehend verhindert. Gleichzeitig damit wurde der Alpenraum<br />
zum Sehnsuchtsort des Massentourismus und auch zum Objekt einer technokratischen<br />
Planungs- und Entwicklungslogik, die auf die Besonderheiten des Lebens<br />
und Arbeitens unter alpinen Bedingungen und auf die sensible alpine Ökosphäre<br />
wenig bis gar keine Rücksicht nahm.<br />
Vor diesem epochalen Hintergrund war es geradezu logisch – und deshalb nicht<br />
weniger verdienstvoll und dankenswert! –, dass sich mitten in der Euphorie des<br />
„Wirtschaftswunders“ der 50er-<strong>Jahre</strong> eine bemerkenswerte Allianz bildete: Deren<br />
weitblickende Proponenten erkannten den für sich stehenden hohen Eigenwert<br />
des Alpenraumes, seine besondere Verwundbarkeit und davon abgeleitet<br />
auch seinen legitimen Anspruch auf angemessenen Schutz. Diese Pioniere machten<br />
ihr umfassendes Anliegen eines zeitgemäßen Alpenschutzes zum Gegenstand<br />
eines institutionellen Langzeitprojektes, das unter dem Namen CIPRA in die Geschichte<br />
der europäischen Ökologiebewegung eingegangen ist. Wichtig zu betonen,<br />
dass im Zeichen der CIPRA, der Internationalen Kommission für den Schutz<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
81
Die II. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen fand am 7. November 1991 in der Landeshauptstadt Salzburg<br />
statt.<br />
der Alpenregionen, „Ökologie“ nicht allein als „Natur- und Umweltschutz“, sondern<br />
– im ursprünglichen Wortsinn – als gesamthaft auf das Zusammenleben<br />
von Mensch und Natur bezogen aufgefasst wurde. Gerade die von der CIPRA seit<br />
1986 lancierte <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihrem Ziel einer sozioökonomisch und ökologisch<br />
ausgewogenen Entwicklung im Alpenraum ist ein Eckpfeiler nachhaltiger<br />
Daseinsvorsorge in diesem für ganz Europa zentralen Gebirgsraum geworden.<br />
Zu den herausragenden Eigenschaften der CIPRA – und vermutlich auch zu ihren<br />
Erfolgsgeheimnissen – zählte dabei von Anbeginn an der Umstand, dass hier<br />
nicht nur staatliche Organe, insbesondere Ländervertreter, aktiv beteiligt waren,<br />
sondern – auf gleicher Augenhöhe und in partnerschaftlicher Kooperation mit<br />
diesen verbunden – auch führende Repräsentanten von Nicht-Regierungsorganisationen<br />
insbesondere aus dem Bereich der Alpinvereine, der Naturschutzorganisationen<br />
und auch des Tourismus. In einer Zeit, als noch niemand von „Zivilgesellschaft“<br />
und von „Governance“ oder auch von „Nachhaltigkeit“ sprach, erwies<br />
sich das als absolut zukunftsweisender Ansatz!<br />
Als Landeshauptmann von Salzburg darf ich an der Stelle mit Stolz und Freude<br />
darauf verweisen, dass Salzburg zwei Mal in der langen Erfolgsgeschichte der<br />
CIPRA eine wichtige Rolle als Tagungsort und Impulsgeber gespielt hat: Und zwar<br />
1975, als hier die Gründungsversammlung der CIPRA Österreich stattfand, und<br />
dann vor allem auch im Jahr 1991, als ebenfalls in der Salzachstadt die Umwelt-<br />
82 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
minister der Alpen-Anrainerstaaten die <strong>Alpenkonvention</strong> unterzeichneten. Diese<br />
„Magna Charta“ einer gesamthaften, nachhaltigen Sicht auf den Alpenraum und<br />
eines verantwortungsvollen Umganges damit blickt demnach heuer auf ein erfolgreiches<br />
Vierteljahrhundert ihres Bestehens zurück.<br />
Dieses stolze Jubiläum ist Anlass für eine Rückschau auf durchaus mühsame<br />
<strong>Jahre</strong> des Ringens um rechtliche Anerkennung – man denke an den langen Weg<br />
der Ratifizierung des Verkehrsprotokolls durch die Republik Österreich, die erst<br />
im Jahr 2002 erfolgte. Inzwischen hat auch die Europäische Union die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– wenn auch noch nicht alle Protokolle – ratifiziert.<br />
Trotz eines allgemein stark gestiegenen Umweltbewusstseins, trotz der unbestreitbaren<br />
Erfolge des Naturschutzes einschließlich des Nationalparkgedankens<br />
seither und trotz der ständig verbesserten Regulierungsstandards hält der Verwertungsdruck<br />
auf den Alpenbogen unvermindert an. Heute, wie damals, müssen<br />
tragfähige Kompromisse zwischen den legitimen Anliegen des „Schützens“<br />
und des „Nützens“ gesucht und gefunden werden. Ich nenne hier nur exemplarisch<br />
die ewig aktuellen Themenbereiche: Touristische Erschließung, Energiegewinnung<br />
und -transport, Landschaftsverbrauch und Verkehr.<br />
In all den <strong>Jahre</strong>n ihres Bestehens hat sich die <strong>Alpenkonvention</strong> als fachlich solides,<br />
keineswegs bequemes und als insgesamt sehr wirksames Instrument zur<br />
Erhaltung des Alpenraumes als ökologisch intakte, wirtschaftlich zukunftsfähige<br />
und Nationen-übergreifende Großregion im Herzen Europas erwiesen. Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
bleibt, unbeschadet ihrer erwiesenen historischen Verdienste,<br />
ein in die Zukunft gerichtetes Projekt. Und die CIPRA dessen wichtigster Proponent<br />
und Anwalt.<br />
Dass gerade das Land Salzburg, das zu 94 % seiner Landesfläche mit 107 von<br />
119 Gemeinden im Geltungsbereich der <strong>Alpenkonvention</strong> liegt, den Anliegen<br />
und Inhalten der <strong>Alpenkonvention</strong> in besonderer Weise verbunden ist und auch<br />
auf Dauer bleiben wird, bedarf an sich keiner gesonderten Erwähnung.<br />
Ich möchte die Gelegenheit des <strong>25</strong>-Jahr-Jubiläums nützen, um mich insbesondere<br />
auch namens des Landes Salzburg bei allen Repräsentanten und Aktiven der<br />
CIPRA für ihre beharrliche, längst unverzichtbar gewordene Aufbauarbeit über<br />
viele Jahrzehnte sehr herzlich zu bedanken. Wir dürfen gerade angesichts dieses<br />
<strong>Jahre</strong>stages der <strong>Alpenkonvention</strong> gemeinsam stolz auf die Früchte dieser Arbeit<br />
sein.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
83
Christine Oppitz-Plörer<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> als Versprechen<br />
für künftige Generationen<br />
Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck<br />
E: buero.buergermeisterin@innsbruck.gv.at<br />
In der Tiroler Landeshauptstadt sind sie allgegenwärtig. Unabhängig davon, wo<br />
man sich aufhält, meist genügt ein Schritt um die nächste Ecke oder sogar schon<br />
ein Blick aus dem Fenster und ihre imposanten Erscheinungen sind zu erkennen.<br />
Ob im Norden oder im Süden – sie geben Innsbruck einen starken geographischen<br />
Rahmen, sind Anziehungspunkt für Gäste aus dem In- und Ausland und<br />
sorgen nicht zuletzt für eine außergewöhnliche Lebensqualität. Die Rede ist von<br />
den Alpen. Sie sind es, die unserer Stadt jene alpin-urbane Atmosphäre verleihen,<br />
für die sie weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt ist. In<br />
einer Stadt zu leben, die auf eindrucksvolle Art und Weise dieses Zusammenspiel<br />
von Natur und Kultur sowie hochalpiner Berglandschaft und Zivilisation verinnerlicht,<br />
ist ein wahres Privileg.<br />
Es gibt nichts Schöneres als dort leben zu können, wo andere Urlaub machen.<br />
Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt es, gemeinsam eine Absiedlung der ländlichen<br />
Bevölkerung zu verhindern. Darüber hinaus endet die Landflucht letztendlich in<br />
den Städten. Durch den konzentrierten Zuzug stehen betroffene Ballungsräume<br />
vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Ziel einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,<br />
basierend auf der <strong>Alpenkonvention</strong>, muss es deshalb sein, entsprechende<br />
Maßnahmen für die Bevölkerung am Land zu setzen, sodass diese<br />
nicht zur Abwanderung gezwungen wird. Ländliche Gebiete müssen befähigt<br />
werden, sich selbst zu erhalten. Sie dürfen nicht von Fördertöpfen abhängig sein,<br />
denn wenn diese versiegen, wirkt sich dies unausweichlich auf die wirtschaftliche<br />
Lage der dort ansässigen Betriebe aus.<br />
84 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Ebenjenes Vorgehen<br />
stimmt mit dem Leitgedanken<br />
der CIPRA<br />
– auf deren Initiative<br />
bereits der völkerrechtliche<br />
Vertrag der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
entstand<br />
– überein: „Im Mittelpunkt<br />
unserer Bestrebungen<br />
steht ein Leben<br />
in den Alpen, das auch<br />
für künftige Generationen<br />
attraktiv und lohnend<br />
ist. Dazu gehören<br />
ein ausgewogener Naturhaushalt<br />
und eine intakte<br />
Landschaft.“ Dies<br />
sollte auch immer die<br />
Basis für eine gedeihliche,<br />
nachhaltige, wirtschaftliche<br />
Entwicklung<br />
sein.<br />
Die enge Verbindung<br />
Innsbrucks mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
und der<br />
Dachorganisation CIP-<br />
RA umfasst auch einen<br />
konkreten physischen<br />
Aspekt: Seit dem Jahr<br />
2003 – wobei der Beschluss in Meran bereits ein Jahr zuvor fiel – ist unsere Alpenstadt<br />
Sitz des Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>. Uns wird damit<br />
die Möglichkeit zuteil, einen Beitrag zur Existenz dieses internationalen Übereinkommens<br />
für eine nachhaltige Alpenentwicklung zu leisten. CIPRA ist eine wichtige<br />
Einrichtung, wenn es darum geht, für ein effizientes Handeln für den Schutz<br />
der Alpen und die nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes einzutreten.<br />
Das <strong>25</strong>-jährige Jubiläum der <strong>Alpenkonvention</strong> gibt uns heute den perfekten Anlass,<br />
um auf Erfolge zurückzublicken, den Ist-Stand auszuloten aber auch um die<br />
Ziele und Ideale der Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren. Immerhin haben<br />
wir mit ihrer Unterzeichnung künftigen Generationen gegenüber ein Versprechen<br />
gegeben.<br />
Vorsitzender von CIPRA Österreich, P. Haßlacher, Bgm in C. Oppitz-Plörer, GS M.<br />
Reiterer und LH G. Platter vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck, dem Sitz des<br />
Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
85
Helmut Mödlhammer<br />
Wie schaffen wir den Spagat zwischen<br />
modernen Lebenswelten<br />
und natürlichen Lebensräumen?<br />
Seit 1999 Präsident des Österreichischen Gemeindebundes<br />
E: office@gemeindebund.gv.at<br />
Seit mehr als 60 <strong>Jahre</strong>n setzt sich CIPRA für den Schutz des Alpenraumes ein. Vor<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> unterzeichnet, die maßgeblich zum Schutz<br />
der alpinen Räume und Landschaften beiträgt. Rund 1.000 Gemeinden liegen im<br />
Anwendungsbereich dieser Konvention. Sie helfen mit, die Ziele, nämlich Naturschutz<br />
und Erhalt dieser alpinen Räume in möglichst nachhaltiger Weise sicherzustellen.<br />
Das ist nicht immer einfach, denn neben dem Naturschutz gibt es viele, viele<br />
Bedürfnisse, die auch im Alpenraum erfüllt werden wollen. Man darf nicht<br />
vergessen, dass ein sehr relevanter Teil der heimischen Wirtschaftsleistung im<br />
Tourismus liegt. Ein guter Teil der Gäste aus dem In- und Ausland kommt zu uns,<br />
um in unseren Bergen zu urlauben, Skisport zu betreiben oder sich im Sommer<br />
beim Wandern zu erholen. Ebenso dürfen wir aber nie vergessen: Diese Gäste<br />
kommen gerade deshalb, weil sie in unserem Land, in unseren Alpenräumen ein<br />
hohes Ausmaß unverfälschter Natur vorfinden. Die nachhaltige und sorgsame<br />
Bewirtschaftung dieser Regionen ist die große Aufgabe, der wir uns auch in den<br />
Gemeinden jeden Tag stellen müssen. Wo können die Bedürfnisse der Tourismuswirtschaft<br />
beginnen, wo müssen sie enden? Wie kann es uns gelingen, die<br />
Alpen auch als Lebensraum für die Menschen, die dauerhaft dort leben, attraktiv<br />
zu erhalten? Wie schaffen wir den Spagat zwischen modernen Lebenswelten und<br />
natürlichen Lebensräumen für Menschen, aber natürlich auch für die Tier- und<br />
86 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Pflanzenwelt?<br />
All das sind Fragen, die wir<br />
unmöglich allein beantworten<br />
können. Es ist notwendig<br />
und richtig, dass wir uns<br />
hier am Wissen von Experten<br />
bedienen, die uns dabei<br />
unterstützen, die richtigen<br />
Entscheidungsgrundlagen zu<br />
schaffen. Denn eines steht<br />
auch außer Frage: Die Mitwirkung<br />
der Gemeinden am<br />
Schutz der alpinen Lebensräume<br />
ist essentiell. Nicht<br />
Die Gemeinde Mäder (Vorarlberg) ist seit 1997 Mitglied im Gemeindenetzwerk<br />
Allianz in den Alpen. Sie setzt zusammen mit ca.<br />
300 Gemeinden im Alpenbogen die <strong>Alpenkonvention</strong> um.<br />
nur im Hinblick auf die Vorbildwirkung, die kommunales Handeln auch für Menschen<br />
hat. In alpinen Gemeinden ist nahezu jede Entscheidung auch im Hinblick<br />
auf diese Themenstellungen zu untersuchen. Jedes Projekt, jedes Vorhaben hat<br />
Folgewirkungen. Viele davon gehen tief in den Naturschutz, in die Achtsamkeit,<br />
mit der wir unsere Umwelt behandeln, hinein. Das Netzwerk von CIPRA hat hier<br />
– nämlich nicht nur auf nationaler Ebene – eine ganz wichtige Rolle. Die Alpen<br />
beginnen und enden ja nicht an den Grenzen unseres Landes, sie erstrecken sich<br />
weit über mehrere Nationalstaaten. Manche Problemstellungen können und<br />
müssen wir lokal lösen. Einige wichtige und große Entscheidungen betreffen aber<br />
alle Alpenstaaten. Die Internationalität der CIPRA-Organisation ist deshalb ein<br />
sehr wesentlicher Faktor, den in der Zwischenzeit auch alle beteiligten Umweltminister/innen<br />
hoch einzuschätzen wissen.<br />
Viele Gemeinden – egal in welchem Alpenstaat sie liegen – haben ja ähnliche<br />
Problemstellungen und Herausforderungen zu bewältigen, wenn es um den<br />
Schutz dieser Räume geht. Es ist g’scheit, dass es Möglichkeiten und Netzwerke<br />
gibt, um Antworten auf diese Fragestellungen auszutauschen. Da geht es gelegentlich<br />
auch um komplexe Prozesse. Und eben darum, dass niemand das Rad<br />
neu erfinden muss, wenn eine Erfahrung anderswo schon gemacht wurde. Die<br />
Weitergabe und der Austausch von so genannten „Best-Practice-Beispielen“ in<br />
Kombination mit dem Know-how der Expertenebene, das sind die Elemente, die<br />
zum Erfolg führen und beitragen.<br />
Bei CIPRA weiß man das seit Jahrzehnten. Die <strong>Alpenkonvention</strong> war ein gemeinsamer<br />
Meilenstein, der wichtige Grundlagen und Definitionen geschaffen hat. In<br />
den nächsten <strong>Jahre</strong>n und Jahrzehnten gilt es, nicht stehen zu bleiben, sondern<br />
weiter dafür zu kämpfen, dass dieser einzigartige Lebensraum im Herzen Europas<br />
unseren nachfolgenden Generationen in dieser Schönheit und Nachhaltigkeit zur<br />
Verfügung steht. Daran arbeiten wir in den Gemeinden gerne mit.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
87
Herwig van Staa<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
Bilanz und Ausblick<br />
Von 1994 bis 2002 Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck<br />
Von 2002 bis 2008 Landeshauptmann von Tirol<br />
Seit 2004 Vizepräsident des Ausschusses der Regionen<br />
Seit 2008 Präsident des Tiroler Landtages<br />
E: herwig.vanstaa@tirol.gv.at<br />
Dass die <strong>Alpenkonvention</strong> für Österreich von Beginn an einen besonderen Stellenwert<br />
hatte, zeigt die Tatsache, dass es unter österreichischem Vorsitz geschah,<br />
als anlässlich der II. Alpenkonferenz am 7. November 1991 in Salzburg die<br />
anwesenden UmweltministerInnen und der EU-Umweltkommissar die Rahmenkonvention<br />
feierlich unterzeichneten. Die damalige Zielsetzung war klar: durch<br />
völkerrechtlich verpflichtende Rahmenbedingungen soll eine umweltverträgliche<br />
Nutzung des gesamten Alpenraumes möglich gemacht werden. Als weiterer<br />
fester österreichischer Bezugspunkt und gleichzeitig operative Basis der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
konnte das Ständige Sekretariat im Jahr 2003 in Innsbruck mit einer<br />
Außenstelle in Bozen eingerichtet werden.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der ersten Vertragsunterzeichnung kann festgestellt werden, dass<br />
sich die <strong>Alpenkonvention</strong> in ihrer Struktur und ihrem Auftreten gefestigt und vor<br />
allem dank einer engen Kooperation mit der Zivilgesellschaft eine gute Entwicklung<br />
gemacht hat. Als Vertragswerk und Institution, die auch operativ tätig ist,<br />
sollte sie allerdings im Bewusstsein der Menschen noch viel besser verankert<br />
sein. Positiv anzumerken ist der wesentliche Beitrag, den die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
bei der Entwicklung, Ausarbeitung und Beschlussfassung der Makroregionalen<br />
Strategie für den Alpenraum (EUSALP), welche im Jänner 2016 erfolgt ist, geleistet<br />
hat. Völlig zurecht gehört sie nunmehr auch dem Lenkungsausschuss von<br />
EUSALP an und wird daher auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der Fortschreibung<br />
dieser Strategie sein.<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat als ihre zentrale Aufgabe immer schon den Schutz der<br />
88 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Bild oben: Am 24. Juni 2003<br />
wurde das Amtsitzabkommen<br />
zwischen der Republik<br />
Österreich und dem Ständigen<br />
Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
im Goldenen<br />
Dachl in Innsbruck von Frau<br />
Bundesministerin für auswärtige<br />
Angelegenheiten Dr.<br />
Benita Ferrero-Waldner und<br />
Generalsekretär ad interim<br />
Noël Lebel im Beisein hoher<br />
Polit- und Diplomatenprominenz<br />
unterzeichnet. Ohne<br />
das besondere Engagement<br />
des Innsbrucker Bürgermeisters<br />
DDr. Herwig van Staa hätte die Landeshauptstadt den Zuschlag gegen prominente Konkurrenten aus Grenoble,<br />
Lugano, Bozen und Marburg nicht erhalten.<br />
kl. Bild: LH DDr. Herwig van Staa, Alpenvereinspräsident Dr. Peter Grauss, BM in Dr. Benita Ferrero-Waldner,<br />
Alpenvereins-Raumplaner Peter Haßlacher und Bürgermeisterin Hilde Zach.<br />
Berggebiete im Kern des Alpenraumes wahrgenommen. Im Rahmen von EUSALP<br />
liegt die Herausforderung darin, zwischen diesen Kerngebieten und dem Umland<br />
mit den großen Ballungsräumen einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, der eine<br />
Balance der Interessen beider Gebiete sicherstellt und zu einer besseren Vernetzung<br />
der Inhalte der Strategien führt. Der Aufbau von Governance-Strukturen<br />
mit unmittelbarer Einbeziehung der betroffenen BürgerInnen und der regionalen<br />
Akteure auf den verschiedenen politischen Ebenen ist hier wohl unabdingbare<br />
Voraussetzung.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
89
Enge Begleiter der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong><br />
90 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Martin Ploderer<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Seit 2000 Bürgermeister der Marktgemeinde Lunz am See<br />
(Niederösterreich); nunmehr in der 4. Periode<br />
Von Beginn an begeistertes Mitglied des Projekts „Bergsteigerdörfer“<br />
des Österreichischen Alpenvereins<br />
E: martin.ploderer@aon.at<br />
Bürger und Berge prägen seit <strong>Jahre</strong>n mein Leben. Ich bin Bürgermeister und ich<br />
bin Bergsteiger – beides mit voller Begeisterung und großem Engagement. Daher<br />
bin ich stolz darauf, in meiner Arbeit für unsere Gemeinde Lunz am See beides<br />
miteinander verbinden zu können. Mein Heimatort in den Ybbstaler Alpen in Niederösterreich<br />
ist seit 10 <strong>Jahre</strong>n offizielles Bergsteigerdorf des Österreichischen Alpenvereins.<br />
Die Bergsteigerdörfer sind für mich die praktischen Botschafter der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Vertragswerke brauchen wir als Basis und Grundlage, sie müssen<br />
allerdings in konkreten Projekten und Maßnahmen spürbar werden, um auf breite<br />
Akzeptanz zu<br />
stoßen. Die Idee<br />
der Bergsteigerdörfer<br />
ermöglicht<br />
beides: Sie<br />
gibt Gemeinden<br />
einen Rahmen<br />
vor, in dem sie<br />
sich nachhaltig<br />
(im Tourismus,<br />
in der Landwirtschaft)<br />
entwickeln<br />
können<br />
Lunz am See lebt seit Beginn die Idee der Bergsteigerdörfer des ÖAV und damit die<br />
Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
und sollen, sie<br />
stößt aber auch<br />
konkrete Initi-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
91
Lunz am See ist ein wichtiger Forschungsstandort<br />
der Universität<br />
für Bodenkultur. Neben einer<br />
Biologischen Station verfügt die<br />
Forschungsstelle auch über eine<br />
Schwall-Versuchsanlage HyTEC.<br />
ativen an (wie bei uns im<br />
Ort etwa den Aufbau eines<br />
Verleihs von Tourenski-<br />
Ausrüstung). Die Auszeichnung<br />
als Bergsteigerdorf<br />
gibt uns zudem Selbstbewusstsein,<br />
und ich freue<br />
mich, dass heute immer<br />
mehr Lunzer Bürger sagen,<br />
dass sie in einem Kulturund<br />
Bergsteigerdorf leben.<br />
Mein Wunsch für die<br />
nächsten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />
Initiativen wie<br />
die Bergsteigerdörfer sind<br />
zu stärken. Sie müssen<br />
sich von Vermarktungsplattformen<br />
zu Unterstützungsinstrumenten<br />
konkreter<br />
Vorhaben vor Ort<br />
weiterentwickeln. Auch ist<br />
daran zu arbeiten, die unterschiedlichsten Labels im Alpenraum (von den Alpine<br />
Pearls über die Wanderdörfer bis hin zu den Bergsteigerdörfern) noch stärker zu<br />
verschränken. Gelingt uns beides – das Anstoßen konkreter Initiativen und das<br />
gemeinsame Auftreten –, dann sind Bürger und Berge auch in Zukunft ein dynamisches<br />
und höchst vitales Gespann.<br />
92 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Josef Außerlechner<br />
Das Bergsteigerdorf ohne Grenzen<br />
setzt die <strong>Alpenkonvention</strong> um<br />
Seit 1998 Gemeinderat in Kartitsch (Tirol)<br />
Seit 2010 Bürgermeister von Kartitsch; nunmehr in der 2. Periode<br />
E: buergermeister@kartitsch.at<br />
Kartitsch, eine kleine Gemeinde im Süden Osttirols, liegt mit seinen 840 Einwohnern<br />
im Tiroler Gailtal. Auf 1.360 m Seehöhe gelegen, wird das Bergsteigerdorf im<br />
Süden von den Karnischen<br />
Alpen, im Norden von<br />
den Gailtaler Alpen und<br />
im Osten von der Wasserscheide<br />
der Großen und<br />
Kleinen Gail am Kartitscher<br />
Sattel umschlossen.<br />
Kartitsch zählt zu einer<br />
Reihe von Kleingemeinden,<br />
die die Seitentäler<br />
Osttirols prägen. Kartitsch,<br />
das „Bergsteigerdorf ohne<br />
Grenzen“, stellt sich ambitioniert<br />
den Aufgaben<br />
der nächsten <strong>Jahre</strong> und<br />
ist bemüht, sich als attraktive<br />
Wohngemeinde sich auch durch eine gelebte Tradition und Authenzitiät aus.<br />
Kartitsch, eine kleine Bergsteigerdorf-Gemeinde im Süden Osttirols, ist<br />
nicht nur von einer grandiosen Bergwelt umgeben, sondern zeichnet<br />
zu etablieren. Maßvolle<br />
Infrastruktur und ausgewogene Verkehrserschließung vor allem mit öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln gehören zu dieser Zukunftsvision. Damit soll der Abwanderung<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
93
entgegengewirkt und der Erhalt der landwirtschaftlichen Betriebe, die Ansiedlung<br />
von kleingewerblichen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben und die<br />
Schaffung ortsnaher Arbeitsplätze gefördert werden. Der Ort will den naturnahen<br />
Tourismus weiterentwickeln und möchte sich als kultureller, alpenländischer<br />
Begegnungsort präsentieren.<br />
Von seiner<br />
geographischen Lage<br />
her, eignet sich Kartitsch<br />
als innovativer<br />
Treffpunkt und bietet<br />
sich auch als Tagungsort<br />
an. Naturnahe<br />
Quellgebiete und<br />
ausreichende, hochwertige<br />
Trinkwasserreserven<br />
geben der<br />
Gemeinde künftig<br />
Der I. Weltkrieg ist am Karnischen Kamm überall sichtbar (im Bild ein kleiner<br />
Kriegerfriedhof oberhalb des Obstanser Sees.<br />
einen besonderen<br />
Stellenwert. Kartitsch<br />
und die Region möchten<br />
ein unverzichtbares<br />
Gegengewicht<br />
zu den Ballungsräumen<br />
sein und sich als<br />
Gesundheits- und Erholungsraum, als familienfreundliche Gemeinde sowie als<br />
naturnahes Ausflugs- und Urlaubsziel für ältere Menschen anbieten. Die kleine<br />
Gemeinde Kartitsch, das Bergsteigerdorf ohne Grenzen, ist bereit, die Zukunft<br />
mit und für die Menschen mitzugestalten. Seit Mitte der 1990-iger <strong>Jahre</strong> ist die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> in Kartitsch durch die heiß geführte Alemagna- und Cavallino-<br />
Tunnel-Diskussion ein Begriff. Sie hätte nach den Planungen der italienischen<br />
Straßenbauer mitten durch unser Dorf führen sollen. Zahllose Gespräche und<br />
Exkursionen führten in unser Dorf. Als Dorf mit Geschichte – Front I. Weltkrieg –<br />
und der Begegnung mit der <strong>Alpenkonvention</strong> bietet sich Kartitsch als Gemeinde<br />
mit der notwendigen Bodenhaftung für Gespräche zur Weiterentwicklung dieses<br />
wichtigen alpenweiten Vertragswerks an.<br />
94 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Gottfried Schindlbauer<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
Wie soll es weitergehen?<br />
Seit 1983 Landesbeauftragter für Natur- und Landschaftsschutz<br />
1991 bis 2001 Leiter des Naturschutz-Fachdienstes<br />
Seit 2001 Leiter der Abteilung Naturschutz<br />
Seit 2008 Leiter der Direktion für Landesplanung, wirtschaftliche und<br />
ländliche Entwicklung in Oberösterreich<br />
Seit 1994 Universitätslektor an der Universität Salzburg<br />
Seit 1999 Ländervertreter im Komitee von CIPRA Österreich<br />
E: gottfried.schindlbauer@ooe.gv.at<br />
Vor einem Vierteljahrhundert wurde die <strong>Alpenkonvention</strong> im Rahmen der Alpenkonferenz<br />
unterzeichnet. Die damaligen Problemstellungen haben bis heute<br />
nichts an Brisanz verloren.<br />
Ganz im Gegenteil:<br />
Einerseits geht die Entvölkerung<br />
in bestimmten<br />
Regionen des Alpenbogens<br />
unvermindert weiter,<br />
andererseits verkommen<br />
ganze Gebirgszüge zum alpinen<br />
Sportgerät und Täler<br />
verlieren infolge fehlender<br />
Baukultur das ursprüngliche<br />
Gesicht.<br />
Die Erwartungen, die an<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> geknüpft<br />
waren, haben sich<br />
Eine fehlende Baukultur führt sehr häufig dazu, dass immer mehr Orte<br />
und Täler ihr ursprüngliches Gesicht verlieren.<br />
bei weitem nicht erfüllt.<br />
Generell kann man sagen,<br />
dass Projekte trotz massiver<br />
fachlicher Einwände oft unter dem bequemen Titel des öffentlichen Interesses<br />
umgesetzt werden.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
95
Der Jugend zur Mitgestaltung verstärkt eine Stimme geben, denn sie sind die EntscheidungsträgerInnen von<br />
morgen. Im Jugendparlament der <strong>Alpenkonvention</strong> oder im Jugendbeirat der CIPRA, können junge Menschen<br />
ihre Ideen aktiv in die Gestaltung des Lebensraumes Alpen einbringen.<br />
Viele wichtige Themen ließen sich für die nächsten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> auflisten. Einige wenige<br />
möchte ich anführen, auch im Wissen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> allein nicht<br />
die einzige Problemlöserin sein kann.<br />
• Professionelle Bewusstseinsbildung mit dem Ziel, die Alpen als unverzichtbare<br />
Vielfalt im umfassenden Sinne darzustellen. Die Alpen sollten einen Wert erhalten,<br />
der mit nachhaltigem Leben und Wirtschaften in Verbindung gebracht<br />
wird.<br />
• Vermehrte Einbeziehung der jüngeren Generation im Sinne der durchgeführten<br />
Öffnung der CIPRA für die Jugend.<br />
• Erarbeitung von neuen touristischen Konzepten im Hinblick auf die Klimasituation.<br />
• Erhaltung der noch ursprünglichen und wenig erschlossenen Landschaftsräume<br />
im Sinne der „Weißzonen“ in Vorarlberg als interdisziplinäres Projekt.<br />
• Berücksichtigung der Anliegen jener Menschen, die ganzjährig in und von den<br />
Alpen leben.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass die Alpen auch von den Entscheidungsträgern als fragiles<br />
Ökosystem erkannt werden und an Wert gewinnen und die <strong>Alpenkonvention</strong> als<br />
rechtlicher Rahmen gestärkt aus den gegenwärtigen Diskussionen hervorgeht.<br />
96 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Walter Tschon<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
Resümee und Ausblick<br />
„Wo Bleibt der Politische Wille?“<br />
Seit 2001 stellvertretender Landesumweltanwalt in der Tiroler<br />
Umweltanwaltschaft<br />
Seit 1995 Ländervertreter im Komitee von CIPRA Österreich<br />
Seit 2008 im Nationalen Komitee für die <strong>Alpenkonvention</strong> in<br />
Österreich<br />
E: walter.tschon@tirol.gv.at<br />
Ich bin „immer noch“ fasziniert von den Protokollinhalten der <strong>Alpenkonvention</strong>;<br />
sie sind in vielerlei Hinsicht noch sehr aktuell und damit zukunftsweisend.<br />
Die angesprochenen Thematiken liefern insbesondere gesamtheitliche Ansätze<br />
und Antworten auf Zukunftsfragen der Alpen. Es liegt in der Natur der Sache,<br />
dass manche Herausforderungen und Fragenkomplexe im Rahmen der Erarbeitung<br />
bzw. der Verhandlungen vor mittlerweile <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n nicht höchste Priorität<br />
aufwiesen. Zum Beispiel hatten Aspekte und Fragen im Zusammenhang mit dem<br />
„Klima“ geringere Bedeutung.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> sind mittlerweile seit der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> anlässlich<br />
der II. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen in Salzburg vergangen. Aufgrund<br />
meiner 20-jährigen beruflichen Tätigkeit im „Nahbereich“ der Agenden der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> ist aber festzustellen, dass dieses Vertragswerk nach wie vor<br />
aktuell dazu beitragen kann, eine ausgewogene Entwicklung im Alpenraum zu<br />
ermöglichen. Damit auch unmittelbar verbunden sind die Erhaltung und in einzelnen<br />
Bereichen die Steigerung der Lebensqualität der AlpenbewohnerInnen/-<br />
besucherInnen, der Landschaft als solcher sowie der Natur. Dennoch ist anzumerken,<br />
dass die <strong>Alpenkonvention</strong> nur bruchstückhaft vor den Vorhang tritt. Viel<br />
zu wenig, um damit dauerhaft und konsequent den Schutz der Bergwelt und eine<br />
nachhaltige Entwicklung im Alpenraum zu sichern.<br />
Tirol nimmt im Vergleich zu anderen Bundesländern und Regionen im Alpenbo-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
97
gen zweifelsohne eine Vorreiterrolle in der rechtlichen Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
ein. Allerdings herrscht hinsichtlich der Anwendung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in vielerlei Hinsicht eine Intransparenz.<br />
Der Status quo, ob und wenn ja in welcher Form die <strong>Alpenkonvention</strong> tatsächlich<br />
in Verfahren „eine Rolle spielt“, ist weitestgehend unerforscht. Die jeweiligen<br />
„Nachforschungen und Erhebungen“ brachten keine aussagekräftigen/eindeutigen<br />
Ergebnisse. Diesbezüglich ist es sinnvoll bzw. geradezu unabdingbar, diese<br />
Fakten näher zu hinterfragen. Ob und inwieweit gar eine Studie in Auftrag zu<br />
geben ist, sollte einer breiten Diskussion unterzogen werden.<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> ist (wie auch CIPRA Österreich) nach wie vor nicht bekannt.<br />
Zudem ist den meisten BürgerInnen des Alpenraums das Konstrukt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
fremd. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass völkerrechtliche Verträge<br />
für viele nicht bzw. kaum greifbar sind. Vielfach werden durch die derzeitigen<br />
Aktivitäten nur Personen angesprochen, die bereits mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
regelmäßig zu tun haben bzw. aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in Kontakt<br />
kommen.<br />
Überlegenswert sind daher weitere Projekte, die in einem einfachen (leicht<br />
nachvollziehbaren) Bezug zur <strong>Alpenkonvention</strong> stehen und auf die Zivilgesellschaft<br />
abzielen. Derzeit werden auf der Homepage des Ständigen Sekretariats<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> unter anderem die Aktivitäten und Projekte „Fotowettbewerb“,<br />
„Auszeichnung für junge Akademiker“, „Mountain LEX“, „Wir sind Alpen“,<br />
„Games“ und „Berge lesen“ präsentiert. Diese sind zwar zum Teil geeignet, Leute<br />
aus anderen Bereichen anzusprechen, sind jedoch aus verschiedenen Gesichtspunkten<br />
unzureichend.<br />
Beispielsweise sei darüber hinaus als Anregung das Projekt alte Tiroler Getreidesorten<br />
genannt, das durchaus ausgebaut werden könnte in „alte alpine Getreidesorten“<br />
und so z.B. Art 16 des Protokolls „Naturschutz und Landschaftspflege“<br />
sowie Art 9 Protokoll „Berglandwirtschaft“ entspricht. Damit könnte ein aktiver<br />
Beitrag zur sichtbaren Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> geleistet werden. Auch<br />
wenn sich die <strong>Alpenkonvention</strong> primär an die Vertragsparteien richtet, ist es zielführend,<br />
solche Projekte aktiv zu „pushen“.<br />
Des Weiteren sind auch Veranstaltungen publikumswirksam. Es werden zwar<br />
bisher Veranstaltungen zu Fachthemen organisiert; allerdings sind die TeilnehmerInnen<br />
oftmals bereits in die Tätigkeiten der <strong>Alpenkonvention</strong> involviert. Dieser<br />
Bereich könnte – ähnlich wie der Bereich Aktivitäten und Projekte – noch<br />
ausgebaut werden.<br />
„Es benötigt eine Offensive in der Wahrnehmbarkeit.“<br />
Schließlich ist es sinnvoll, verstärkt Projekte im Zusammenhang mit Universitäten<br />
zu starten und die <strong>Alpenkonvention</strong> aktiv in Vorlesungen und Seminaren einzubinden.<br />
Dies kann auch fächerübergreifend (Rechtswissenschaften, Biologie,<br />
98 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Bild oben: Die Rekultivierung „alter alpiner Getreidesorten“,<br />
wie etwa der Obernberger Schwarzhafer,<br />
bereichert nicht nur die Landschaft, sondern kann<br />
auch als ein Umsetzungsprojekt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
bezeichnet werden.<br />
Bild rechts: Händisch erfolgt die Ernte dieser alten<br />
alpinen Getreidesorte in Puschlin bei Fließ (T).<br />
Forstwirtschaft, Landschaftsplanung, …) und vor allem auch länder- und staatenübergreifend<br />
geschehen.<br />
Ein weiteres „Problem der <strong>Alpenkonvention</strong>“ liegt mittlerweile auch darin, dass<br />
zahlreiche Bestimmungen durch EU-Recht abgedeckt sind. Provokant ausgedrückt:<br />
„Es stellt sich die Frage, ob es die <strong>Alpenkonvention</strong> in Zukunft noch brauchen<br />
wird.“ Ein Vorteil des EU-Rechtes liegt nämlich in der in weiten Bereichen unmittelbaren<br />
Wirkung im EU-Recht begründet. Des Weiteren ist der Rechtsschutz<br />
in der Europäischen Union im Vergleich zur <strong>Alpenkonvention</strong> zweckmäßiger/<br />
effektiver, weil Fragen zur Auslegung der Protokolle einen tauglichen Vorlagegegenstand<br />
in Anwendung des § 167 AEUV darstellen (können). Die Empfehlungen<br />
des Überprüfungsausschusses hingegen sind zudem nicht (einmal) bindend.<br />
Wenn die <strong>Alpenkonvention</strong> daher nicht endlich aktiv gelebt wird, wird sie früher<br />
oder später ein Schattendasein fristen, da die Bestimmungen durch EU-Recht<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
99
größtenteils abgedeckt sind/sein werden und die Konvention bzw. ihre Organe<br />
praktisch an Bedeutung verlieren.<br />
Zu wesentlichen Themen fehlen auch klare Aussagen. Beispielhaft sei die<br />
„Checkliste labile Gebiete“ erwähnt, zu der es meines Wissens nach keine klare<br />
Position seitens der Organe der <strong>Alpenkonvention</strong> in Bezug auf die Vereinbarkeit<br />
mit den Bestimmungen des Bodenschutzprotokolls gibt.<br />
Nicht nur aus meiner Sicht bedarf es eines aktiveren (im Sinne: nach außen<br />
agierenden) Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong>. Die Rechtsservicestelle<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich kann hier durchaus als Vorbild gesehen<br />
werden.<br />
„Die Bekanntheit der <strong>Alpenkonvention</strong> muss gesteigert werden.“<br />
Eine Überarbeitung des<br />
Handbuches aus dem <strong>Jahre</strong><br />
2007 wird angeregt.<br />
Andererseits stellt die <strong>Alpenkonvention</strong> ein taugliches Werkzeug dar, das von<br />
verschiedenen Seiten zu wenig genutzt wird. Dies liegt daran, dass die einschlägigen<br />
Bestimmungen oftmals über mehrere Protokolle<br />
verstreut und deshalb eher unübersichtlich gegliedert<br />
sind. Viele Querschnittsmaterien bzw. -bestimmungen<br />
sind schwer zu greifen. Diesbezüglich wären zeitgemäße<br />
Kommentare oder auch Anleitungen inklusive Stichwortverzeichnis<br />
von Vorteil.<br />
Darüber hinaus ist es an der Zeit, das 2007 herausgegebene<br />
Handbuch und die Rechtsdatenbank zu aktualisieren.<br />
Insbesondere sollten bei der Entscheidungsdatenbank<br />
auch die höchstgerichtlichen Urteile aktualisiert<br />
werden.<br />
Die Workshops der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />
bei CIPRA Österreich zu den einzelnen Protokollen<br />
sind zukunftsweisend und sollten weitergeführt werden.<br />
Sie tragen wesentlich zur Rechtsfortbildung bei. Ich<br />
kann deshalb empfehlen, solche Workshops zu besuchen<br />
und auch gegebenenfalls aktiv mitzuarbeiten.<br />
Die nachhaltige Entwicklung des „Lebensraumes Alpen“ ist eine herausfordernde<br />
Aufgabe. Mit der <strong>Alpenkonvention</strong> wurde uns ein passendes Werkzeug in die<br />
Hand gelegt, diese Aufgabe zu meistern; es liegt an uns, dieses auch richtig zu<br />
verwenden bzw. aktiv anzuwenden.<br />
100 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Gerold Glantschnig<br />
Von der Alpenschutzkonvention<br />
zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Von 1990 bis 2012 Mitglied des Österreichischen Nationalen Komitees<br />
für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Von 1989 bis 2012 Mitglied im Ständigen Ausschuss der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
als Länderdelegierter inkl. Arbeitsgruppe Hohe Beamte<br />
Mehrfach in ad hoc Arbeitsgruppen der <strong>Alpenkonvention</strong> tätig<br />
Seit 2013 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />
Österreich<br />
E: gerold.glantschnig@aon.at<br />
Dem Ersuchen von Peter Haßlacher, den Vorsitzenden von CIPRA Österreich, aus<br />
dem Anlass, dass seit der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> ein Vierteljahrhundert<br />
vergangen ist, einen Rückblick zu machen, aber vor allem auch einen<br />
Ausblick auf die Zukunft des Vertragswerkes zu richten, komme ich sehr gerne<br />
nach. War ich doch von Anbeginn als Mitglied der österreichischen Delegation<br />
in der „Arbeitsgruppe Hoher Beamter“ – so der relativ hochtrabende Titel des<br />
Gremiums-, das im Rahmen der I. Alpenkonferenz vom 9. bis 11. Oktober 1989<br />
in Berchtesgaden damit beauftragt wurde, unter österreichischem Vorsitz bis zur<br />
II. Alpenkonferenz im <strong>Jahre</strong> 1991 eine Rahmenkonvention zum Schutz der Alpen<br />
auszuarbeiten.<br />
Bei einer rückblickenden Betrachtung der Entwicklung dieser <strong>Alpenkonvention</strong>sinitiative<br />
kann ich einen deutlichen Wandel in den Prioritäten feststellen, die<br />
mit diesem Projekt verfolgt werden. Der Tenor der Resolution, die im Rahmen<br />
der I.Internationalen Alpenkonferenz in Berchtesgaden beschlossen wurde, war<br />
noch deutlich vom Schutzgedanken geprägt. In den sehr ausführlich formulierten<br />
und in immerhin 89 Unterpunkten untergliederten Zielstellungen dieser Resolution<br />
wird immer wieder die Notwendigkeit des Schutzes des Alpenraumes und<br />
der dort vorkommenden Naturgüter hervorgehoben. Diese Problemsicht kann<br />
auch damit zusammenhängen, dass an dieser Konferenz in Berchtesgaden, wie<br />
in der Resolution ausdrücklich hervorgehoben wird, „die für Umwelt- und Naturschutz<br />
zuständigen Minister“ der Alpenstaaten teilgenommen haben.<br />
Es verwundert daher auch nicht, dass der erste Entwurf der vorzubereitenden<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
101
Zu Beginn der Verhandlungen um die <strong>Alpenkonvention</strong> im <strong>Jahre</strong> 1990, stand noch der Schutz der Umwelt und<br />
der Erhalt des Lebensraumes Alpen im Vordergrund. Mit Fortdauer der Gespräche wurde zunehmend auch auf<br />
eine nachhaltige Entwicklung Bedacht genommen.<br />
Rahmenkonvention, wie er für die Beratungen am 30./31. Mai 1990 vorgelegt<br />
wurde, noch mit „Übereinkommen zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung<br />
des Lebensraumes Alpen (Alpenschutzkonvention) übertitelt war. Die Beratungen<br />
dieses Entwurfes, aber im Besonderen eine von der Schweizer Delegation am<br />
5. Juni 1990 vorgelegte Aktennotiz, die darauf hinwies, dass man im Titel auch<br />
darauf Bedacht nehmen müsse, dass die Alpen auch Lebens- und Wirtschaftsraum<br />
der in den Alpen lebenden Bevölkerung sind, hat schließlich zu einer Umformulierung<br />
des Titels geführt. Vor allem ist man in der Folge auf den Kurztitel<br />
„<strong>Alpenkonvention</strong>“ umgestiegen.<br />
Dieser modifizierte Fokus in der Schutzstrategie ist aber auch aus anderen Details<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>sentwicklung ableitbar. Beispielsweise lässt sich dieser<br />
Prioritätenwandel auch aus der Verwendung des Begriffes „Nachhaltigkeit“ ablesen.<br />
Dieser Begriff hat in den letzten Jahrzehnten in den verschiedensten Zusammenhängen<br />
geradezu den Status eines Modewortes erlangt. Ausgangspunkt<br />
für die Renaissance dieses lange Zeit lediglich ein forstliches Bewirtschaftungsprinzip<br />
umschreibendes Wort (nicht mehr Holz schlägern, als nachwächst), war<br />
wohl der 1983 von der Brundtland-Kommission erstellte Bericht, in dem unter<br />
diesem Prätext die umweltpolitischen Ziele den ökonomischen und sozialen Entwicklungszielen<br />
gleichgestellt wurden. Man kann allerdings überhaupt sagen,<br />
dass ein an diesen Grundsätzen orientierter Umgang mit den natürlichen Ressourcen<br />
gleichsam einem althergebrachten bäuerlichen Nutzungsverständnis<br />
102 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
entspricht, den man neuerdings fallweise auch mit dem Eigenschaftswort „enkeltauglich“<br />
umschreibt. Jedenfalls wird damit ein verantwortungsbewusster, auf<br />
Dauerhaftigkeit ausgelegter Umgang mit einem System verstanden.<br />
In der umfassenden Berchtesgadener Resolution aus dem <strong>Jahre</strong> 1989 findet sich<br />
dieser Begriff der Nachhaltigkeit noch in keinem der 89 Unterpunkte. Als eine<br />
denkbare Begründung dafür kann das bereits eingangs angesprochene Schutzdenken<br />
dienen, von dem diese Resolution geprägt ist. In der Rahmenkonvention,<br />
die sich schließlich, wie auch aus der erwähnten Änderung des Kurztitels ersichtlich,<br />
von der ursprünglichen Schutzpriorität löste, findet sich erstmals der Begriff<br />
der Nachhaltigkeit. Im Artikel 2 unter den Allgemeinen Verpflichtungen werden<br />
die Vertragsparteien dazu verhalten, eine „nachhaltige Nutzung“ der Ressourcen<br />
sicherzustellen. Das statisch-protektionistische Denken wurde damit von einem<br />
Auftrag zu einer aktiven Bestandessicherung abgelöst.<br />
Deutlich häufiger wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Folge in den einzelnen<br />
Durchführungsprotokollen zur <strong>Alpenkonvention</strong>, insbesondere im Naturschutzprotoll,<br />
im Tourismusprotokoll, im Bodenschutzprotokoll, im Energieprotokoll<br />
aber auch im Verkehrsprotokoll angesprochen. Auch diese Änderung in<br />
der Begriffswahl kann letztlich als Indiz dafür gewertet werden, dass Zielvorgabe<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht die Einrichtung eines „Alpenreservates“ ist, sondern<br />
ein verantwortungsbewusster, auf Dauerhaftigkeit und Bestand ausgerichteter,<br />
eben „nachhaltiger“ Umgang mit diesem Naturraum. Die <strong>Alpenkonvention</strong> soll<br />
kein reines „Verhinderungsinstrumentarium“ sein, sondern Leitlinie für ein zukunftsorientiertes<br />
und die Interessen der in den Alpen lebenden Menschen berücksichtigendes<br />
Nutzen dieses „Herzstückes“ von Europa. Vor allem aber soll<br />
diese Leitlinie über die nationalen Grenzen hinweg für das gesamte Alpengebiet<br />
verbindlich sein und eine harmonische, wechselseitig abgestimmte Entwicklung<br />
gewährleisten.<br />
Mit einigem Bedauern muss festgestellt werden, dass die rechtliche Implementierung<br />
der Durchführungsprotokolle noch immer nicht im gesamten Alpenraum<br />
finalisiert werden konnte. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, weil erst die<br />
Protokolle die konkreten Aufträge und Verpflichtungen umschreiben. Man hätte<br />
eigentlich davon ausgehen müssen, dass die Vertragsstaaten bereits mit der<br />
Unterzeichnung und Ratifikation des Rahmenvertrages sich geradezu auch verpflichtet<br />
sehen, in der Folge die gemeinsam ausverhandelten und in den Protokollen<br />
ausformulierten Konkretisierungen der Konvention mitzutragen. Gerade<br />
für den Alpenzentralstaat Schweiz, der sich eigentlich immer als ein besonders<br />
den Interessen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit verpflichtetes Gemeinwesen<br />
präsentiert hat, ist die bisherige Nichtratifizierung der Protokolle<br />
nicht nachvollziehbar.<br />
Bei einem bewusst vorsichtigen Blick in die Zukunft der <strong>Alpenkonvention</strong> muss<br />
vor allem das Thema Makroregionale EU-Strategie für den Alpenraum (EUSALP)<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
103
angesprochen werden. Es wäre wohl verkehrt, würde man diese Initiative aus<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>ssicht ignorieren oder gar unterschätzen. Man kann diese Bestrebungen<br />
auch als Bestätigung dafür sehen, dass die Alpenstaaten mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
einen richtigen Schritt gesetzt haben, um von der Globalisierung<br />
nicht überrollt zu werden. Wenn nun versucht werden sollte, mit dieser Makroregionalen<br />
Strategie ein Gegengewicht zur <strong>Alpenkonvention</strong> aufzubauen, so wird<br />
das nur dann ohne Schaden und Nachteile für den Konventionsraum stattfinden,<br />
wenn sich die Verantwortungsträger dieses Raumes proaktiv in den Prozess einklinken,<br />
um dabei nicht nur Schaden vom Alpenraum abzuhalten, sondern daraus<br />
letztlich auch einen Mehrwert für den Konventionsbereich zu lukrieren.<br />
Auch <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong> muss allerdings<br />
noch immer ein weitverbreitetes Unwissen über die tatsächlichen Inhalte und<br />
Ziele dieses Vertragswerkes registriert werden. Es besteht die Hoffnung, dass die<br />
wohl eher als Abwehrreaktion konzipierte Makroregionale Strategie dazu genutzt<br />
werden kann, den Stellenwert der <strong>Alpenkonvention</strong> zu erhöhen und sie<br />
vom Nimbus einer reinen Abwehrwaffe zu befreien. Sie hat zwar auch in dieser<br />
Hinsicht durchaus ihre Berechtigung, wenn sie dazu genutzt wird, Erschließungsund<br />
Nutzungsgigantomanien im Alpenbereich hintanzuhalten. So scheiterte beispielsweise<br />
das aus vielerlei Gründen höchst problematische Projekt einer Talabfahrt<br />
vom Mölltaler Gletscher in Kärnten letztlich an der schutzzweckbezogenen<br />
Erhaltungspflicht, wie sie in Artikel 11 Absatz 1 des Naturschutzprotokolls festgelegt<br />
ist, weil diese Abfahrt zwei Naturschutzgebiete beeinträchtigt hätte. Damit<br />
wurde einer zumindest angedachten Option einer Änderung oder gar Aufhebung<br />
dieser Schutzgebiete von vorneherein ein Riegel vorgeschoben. Auch bei der Ablehnung<br />
des Stromleitungsprojektes über den Kronhofgraben von Weidenburg<br />
im Kärntner Gailtal nach Somplago in Friaul durch den Verwaltungsgerichtshof,<br />
die sich zwar vorrangig auf naturschutzrechtliche Bedenken stützte, lieferten die<br />
Festlegungen im Energieprotokoll wichtige Zusatzargumente.<br />
Nachdem solche Projektblockaden in der Öffentlichkeit eher erhöhte Aufmerksamkeit<br />
zur Folge haben, ist es nur schwer vermeidbar, dass „die <strong>Alpenkonvention</strong>“<br />
nur allzu leicht in den Verdacht der Wirtschafts- und Entwicklungsfeindlichkeit<br />
gerät. Gerade um eine derartige, am Kern der <strong>Alpenkonvention</strong>sidee<br />
vorbeigehende Punzierung zu vermeiden, hat man sich schon in der Anfangsphase<br />
der Ausarbeitung des Konventionstextes darauf geeinigt, die Betonung<br />
des Schutzcharakters nicht in den Vordergrund zu stellen und den Kurztitel „Alpenschutzkonvention“<br />
durch den neutraleren Titel „<strong>Alpenkonvention</strong>“ ersetzt. Es<br />
wird letztlich eine entscheidende Rolle für die weitere Bedeutung und Zukunft<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> spielen, inwieweit es gelingt, diese Balance zwischen dem<br />
Schutz- und Entwicklungsauftrag zu finden und die Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum<br />
zu erhalten.<br />
104 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Gerhard Liebl<br />
Wie geht es nach schwierigen<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter?<br />
Von 1990 bis Ende 2005 Mitglied des Österreichischen Nationalen Komitees<br />
für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Von 1988 bis Ende 2005 Mitglied im Ständigen Ausschuss der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
als Länderdelegierter inkl. Arbeitsgruppe Hohe Beamte<br />
Von 1989 bis 1991 Mitglied in der Arbeitsgruppe „Protokoll Naturschutz<br />
und Landschaftspflege“<br />
Seit 2010 Mitglied der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />
E: gerhard.liebl@chello.at<br />
Die Skepsis, ob aus den CIPRA-Forderungen zum Alpenschutz etwas wird, die<br />
mich zu den ersten Besprechungen in Deutschland begleitete, taucht bei mir wieder<br />
auf. Wie geht es nach schwierigen <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n weiter? Die intensive Arbeit aller<br />
in der Arbeitsgruppe „Hohe Beamte“ endete schließlich trotz aller sprachlichen,<br />
rechtlichen und geopolitischen Differenzen 1991 mit der Unterfertigung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in<br />
Salzburg. Dazu auch<br />
eine Reihe von Erfüllungsprotokollen<br />
mit wichtigen und<br />
zukunftsorientierten<br />
Vorgaben bzw. Vorschriften.<br />
Dazu noch<br />
die Installierung des<br />
„Ständigen Sekretariats“<br />
in Innsbruck, als<br />
Zentrale des Alpen-<br />
Ein eigenes Durchführungsprotokoll<br />
zum Wasser wurde<br />
von den Vertragsparteien bis<br />
heute nicht verhandelt.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
105
Das Protokoll „Berglandwirtschaft“ der <strong>Alpenkonvention</strong> beinhaltet viel Potenzial, doch bleibt es in den Diskussionen<br />
zumeist ungenutzt.<br />
konventionsgeschehens. Und was bleibt von dieser Alpeneuphorie? Die Schweiz<br />
hat noch kein Protokoll ratifiziert. Die Erstellung neuer Protokolle (z.B. im Bereich<br />
Wasser) wird blockiert. Der Überprüfungsausschuss schiebt alles auf die lange<br />
Bank. Die Tagesordnung der Alpenkonferenz enthält nur Banales. Das Ständige<br />
Sekretariat und sein Generalsekretär sind in der Öffentlichkeit völlig unbekannt.<br />
Symptomatisch dafür, dass der Innsbrucker Bürgermeisterin die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
nur von der Ablehnung einer Seilbahn her bekannt ist. Medial existiert die<br />
Konvention nur als Verhinderungsgrund für Erschließungsprojekte. Dies bedeutet,<br />
dass z.B. die vielen in den Protokollen enthaltenen, zukunftsweisenden Vorgaben<br />
überwiegend unbekannt sind. Nicht einmal das Bundesministerium für<br />
Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft samt Minister, zuständig<br />
für die <strong>Alpenkonvention</strong>, stützt sich bei Verhandlungen mit der EU zur Landwirtschaftsförderung<br />
oder zum Freihandelsabkommen TTIP darauf. Die Anstrengungen<br />
der CIPRA mit Projekten der Konvention den berechtigten Stellenwert<br />
zu verschaffen, sind leider nur „Tropfen auf den heißen Stein“. Ich fürchte daher,<br />
dass meine Skepsis über die weitere Bedeutung der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer<br />
Protokolle berechtigt ist.<br />
106 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Fritz Gurgiser<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> –<br />
ein „Glücksfall“<br />
Seit 1994 Präsident des Transitforums Austria-Tirol<br />
Von 2008 bis 2013 Abgeordneter zum Tiroler Landtag<br />
Mitglied des Nationalen Komtees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in Österreich<br />
Konrad Lorenz-Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz<br />
E: fritz.gurgiser@a1.net<br />
„Wer das Glück hat, im Alpenraum geboren zu sein, hier zu arbeiten, seine Familie,<br />
Freunde und Bekannten zu haben, hat auch die Verantwortung und Verpflichtung,<br />
etwas von diesem Glück zurück zu geben“. In diesem Satz steckt meine<br />
persönliche Motivation über Jahrzehnte, in denen ich das Entstehen und In-Kraft-<br />
Treten der Durchführungsprotokolle dieses völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommens<br />
für die Alpen ein wenig begleiten durfte.<br />
Diesen Satz gebe ich zu diesem Anlass allen mit, die in der 3. Phase der Umsetzung<br />
die „Flucht“<br />
antreten (Phase<br />
1: Internationales<br />
Bekenntnis zum<br />
Schaffen der Konvention;<br />
Phase 2:<br />
Schwierige Konsensfindung<br />
bis<br />
zum In-Kraft-Tre-<br />
Bürgerversammlung auf<br />
der Autobahn A12 bei<br />
Vomp gegen den überbordenden<br />
Transitverkehr<br />
im Oktober 2002.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
107
Die Alpen (im Bild das Ruhegebiet Kalkkögel/Tirol) sind unser Erbe und unsere Zukunft. Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
kann zum Erhalt und einer nachhaltigen Entwicklung einen wesentlichen Beitrag leisten.<br />
ten der Durchführungsprotokolle). Ich schäme mich, wenn anstelle von „Pacta<br />
sunt servanda – Verträge sind zu halten“ nun „Klientelschutz“ wie ein „Eiserner<br />
Vorhang“ die rechtmäßige Umsetzung blockiert, wenn „plündern“ statt „schützen“<br />
das politische Tagesgeschäft dokumentiert. Übersehen wir nicht: Im heutigen<br />
globalen Liberalisierungs- und Plünderungswahn wäre die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
nicht mehr machbar!<br />
Die geforderte Abwägung: Wollen die politischen Entscheidungsträger in einer<br />
„solidarischen Gesamtverantwortung“ diesen Alpenraum für die eigene Bevölkerung<br />
als Lebens- und Wirtschaftsgrundlage und für die angrenzenden voralpinen<br />
Räume und Flachländer als Luft- und Wasserspeicher sowie als Erholungsraum<br />
erhalten oder nicht? Wenn ja, sind die Durchführungsprotokolle jeder politischen<br />
Entscheidung zu Grunde zu legen: Von der Kleinstgemeinde bis zu EU-Richtlinien.<br />
Der „Begleitdruck“ dazu muss von der Zivilgesellschaft kommen. Die Alpen sind<br />
unser Erbe und unsere Zukunft. Nutzen wir die <strong>Alpenkonvention</strong> als Auftrag und<br />
„Glücksfall“ mit Respekt und als existenzielle Vorsorge für die, die nach uns kommen:<br />
Kinder, Enkel und Urenkel. Glück auf!<br />
108 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Andreas Götz<br />
Kooperationen und Projekte<br />
müssen Rechtsumsetzung ergänzen<br />
Von 1996 bis 2012 Geschäftsführer von CIPRA International<br />
Von 1996 bis 2012 Teilnahme an den Sitzungen des Ständigen<br />
Ausschusses sowie Teilnahme in Arbeitsgruppen und Plattformen<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Seit 2012 Inhaber der Götz Charity Consulting AG in Liechtenstein<br />
E: goetz@charityconsulting.li<br />
16 <strong>Jahre</strong> – von 1996 bis 2012 – durfte ich die <strong>Alpenkonvention</strong> als Geschäftsführer<br />
von CIPRA International beobachten und kritisch begleiten. In diesen <strong>Jahre</strong>n<br />
stellte sich die CIPRA immer wieder die Frage „aussteigen oder weitermachen?“.<br />
Lohnten sich das Engagement und die Kosten, wo die Vertragsparteien gemäß<br />
unserer Wahrnehmung viel zu zaghaft und mutlos waren und die großen Chancen<br />
des Vertragswerks nicht erkannten?<br />
Vielleicht waren die Staaten überfordert mit dem neuen Ansatz. Eine Konvention<br />
für ein ganzes Berggebiet, das eine dermaßen breite Fülle von Themen – von<br />
Raumplanung über Naturschutz bis hin zu Energie oder „Bevölkerung und Kultur“<br />
– abdeckt, das hatte es noch nie gegeben. Offenbar war es für manche einfacher<br />
zu sagen, es sei juristisch ein Unding, innerhalb eines Staates Sondergesetze<br />
für bloß einen Teil des Territoriums zu erlassen. So mutierte die Innovation in der<br />
Sichtweise mancher Alpenstaaten im Laufe der Zeit zur Altlast aus den umweltsensibleren<br />
1980er <strong>Jahre</strong>n, sie wurde sozusagen alt-lästig, man erhielt sie zwar<br />
am Leben, versuchte aber, konkrete Auswirkungen bestmöglich zu verhindern.<br />
Nichtsdestotrotz hat die Jubilarin, die mit ihren <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n eigentlich noch jugendlich<br />
frisch sein dürfte, Bemerkenswertes erreicht. Einfluss auf die Gesetzgebung<br />
und Rechtsprechung hatte sie zwar praktisch nur in Österreich. Und wohl in keinem<br />
anderen Land wurden in diesem Ausmaß Fördertöpfe für die Umsetzung der<br />
Anliegen der <strong>Alpenkonvention</strong> erschlossen. Aber die Auswirkungen gehen deutlich<br />
über die Grenzen des Musterschülers hinaus. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hat nämlich<br />
das Denken verändert, hat den Gebirgszug in den Köpfen von Politikern und<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
109
Bevölkerung Grenzen überwinden lassen. Schon früh wurden Netzwerke gegründet,<br />
die sich auf die <strong>Alpenkonvention</strong> berufen: das Gemeindenetzwerk Allianz in<br />
den Alpen, das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete, das Internationale Wissenschaftliche<br />
Komitee für Alpenforschung und viele andere. Denn dank der Konvention<br />
wurden die Alpen nun als internationaler Gebirgszug wahrgenommen, während<br />
diese Wahrnehmung noch vor wenigen Jahrzehnten nur bis zu den jeweiligen<br />
Landesgrenzen<br />
reichte.<br />
Diese Netzwerke<br />
und viele nichtstaatliche<br />
Organisationen<br />
wie die<br />
CIPRA haben in<br />
manchen Bereichen<br />
wesentlich<br />
konkretere Resultate<br />
vorzuweisen<br />
als die Vertragsparteien<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Sie pflegen einen<br />
Austausch von<br />
Das Netzwerk „Alpiner Schutzgebiete“ ist beispielgebend dafür, wie eine alpenweite<br />
und damit grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Sinne der Alpenkon-<br />
Wissen und führen<br />
gemeinsam<br />
vention funktioniert.<br />
Projekte durch.<br />
Und hierin läge eine der wohl bedeutendsten Chancen der Konvention: Dass man<br />
sich regelmäßig trifft und gemeinsam aktiv werden könnte, themen- und länderübergreifend,<br />
Vertragsparteien und Beobachter am gleichen Strang ziehend.<br />
Dies wird noch zu wenig erkannt und genutzt.<br />
In diesem Sinne darf die CIPRA auch selbstkritisch sein. Zu ausschließlich haben<br />
wir auf die juristische Umsetzung der Konvention fokussiert, unser Heil in neuen<br />
Protokollen gesucht und gehofft, dass noch mehr Staaten einen „österreichischen“<br />
Umgang mit der Konvention entwickeln könnten. Dies war oft sehr aufreibend<br />
und hat zu wenige in der Bevölkerung spürbare Resultate gebracht, obwohl<br />
natürlich Einrichtungen wie die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA<br />
Österreich ausgesprochen wertvoll sind. Wichtig ist aber eine Doppelstrategie:<br />
Die juristische Umsetzung muss weiterhin eingefordert werden, gleichzeitig soll<br />
die Konvention besser als Plattform für Projekte und Kooperationen genutzt werden.<br />
Schaffen die Alpenstaaten dies nicht, werden Bevölkerung, Nichtregierungsorganisationen<br />
und Netzwerke den Nutzen des Vertragswerks nicht erkennen.<br />
Dies wäre keine gute Basis für weitere <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
110 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Reinhard Gschöpf<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong>:<br />
spannender Versuch über das gemeinsame<br />
Finden und Vereinbaren neuer Grenzen<br />
Von 1994 bis 2000 Leiter des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA<br />
Österreich<br />
Seit 2000 im Grünen Parlamentsklub: Koordination Team Umwelt<br />
& als Referent zuständig für Verkehr, Alpenschutz, Tourismus, Post/<br />
Telekom<br />
E: reinhard.gschoepf@gruene.at<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> geht über Grenzen hinweg und ist zugleich ein spannender<br />
Versuch über das gemeinsame Finden und Vereinbaren neuer Grenzen.<br />
Als Staatsvertrag bindet sie Verwaltungs- und Regierungszentren bis zur EU ein<br />
und inspiriert Netzwerke und andere Gebirgsräume.<br />
Zugleich endet im<br />
Alpenraum manche<br />
Entgrenzung unserer<br />
globalisierten und spätdemokratischen<br />
Welt<br />
an Grenzen der Nutzung,<br />
der Einebnung<br />
von Vielfalt, der Geschwindigkeit<br />
sozialverträglichen<br />
Wandels, der<br />
rein monetären Inwert-<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren<br />
Durchführungsprotokollen ist die<br />
Richtschnur, um Grenzen in der<br />
Alpenerschließung zu setzen.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
111
setzung, der Naturzerstörung. Die <strong>Alpenkonvention</strong> hält durch ihre inhaltliche<br />
Nähe zum Leben und Wirtschaften Antworten bereit. Hören muss man sie wollen.<br />
Im Gesetzesrang sind Konvention und Protokolle in Österreich seit 20 <strong>Jahre</strong>n.<br />
Aber werden die vereinbarten Grenzen seitdem auch respektiert? Bei Transitstraßen<br />
und Erschließungsprojekten wurde wohl mehr in die Umgehung der Protokolle<br />
als in ihre Einhaltung investiert, leider auch von staatlichen Instanzen.<br />
Ohne beharrliches Engagement vieler Umweltbewegter, Rechtskundiger und ExpertInnen<br />
bis hinein in Verwaltung und Politik hätte sich Ellbogen und dicke Lippe<br />
aus manch „starkem Tal“ heraus wohl trotz <strong>Alpenkonvention</strong> schon flächendeckend<br />
die Alpen untertan gemacht, die Rücksichtlosigkeit nach innen hinter lautem<br />
Geschrei nach „draußen“ vernebelnd.<br />
Österreichs regierend Verantwortliche haben umsomehr eine besonnene Rolle<br />
in der Alpenpolitik wahrzunehmen: Wenn <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Geburt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
ihr Vorsitz für zwei <strong>Jahre</strong> nach Österreich zurückkehrt, sind nicht<br />
Stammtischsprüche über Wölfe und Jagdkarten gefordert, sondern seriöse Arbeit.<br />
Die Klimabeschlüsse von Paris haben Belastungs- und Beschädigungsgrenzen<br />
und die Pflicht zu mutig-balancierten Lösungen wieder in die Mitte der politischen<br />
Agenda gebracht – die <strong>Alpenkonvention</strong> liegt als Leitschnur bereit, zum<br />
Tun wie zum Grenzen setzen.<br />
112 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Wolfgang E. Burhenne<br />
Die Gäste für die Alpen<br />
gewinnen!<br />
Dr. Wolfgang E. Burhenne gilt schlichtweg als der Doyen der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Als CIPRA International-Gründungssekretär (1952 – 1956)<br />
brachte er zu ihrer Gründung 1952 in Rottach-Egern (D) den Vorschlag<br />
zur Ausarbeitung einer Alpenschutzkonvention ein. Mit CIPRA, deren<br />
Ehrenmitglied er seit 1992 ist, war und ist er stets verbunden. Seine<br />
jahrzehntelange Erfahrung mit internationalen Verträgen half während<br />
der Zeit der Verhandlungen der einzelnen Durchführungsprotokolle der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> durch manch knifflige Phase. Er war anerkannt und<br />
geschätzt bei den Vertragsparteien ebenso wie bei den Beobachterorganisationen.<br />
Weit über 90 <strong>Jahre</strong> alt ist Wolfgang E. Burhenne noch<br />
in allen Erdteilen unterwegs. Sein Optimismus und sein stetes Streben<br />
nach der Weiterentwicklung des internationalen Umweltrechts und<br />
die Umsetzung im Kleinen in seinen geliebten Tiroler Bergen im Karwendel<br />
und Rofan halten ihn jung. Inmitten der Gebirgsempore des<br />
Rofangebirges in Steinberg am Rofan hat er sich einen Alterswohnsitz<br />
eingerichtet.<br />
CIPRA Österreich wird ihm immer zu Dank und Anerkennung verpflichtet<br />
sein!<br />
Für diese Schrift zur <strong>25</strong>. Wiederkehr der Unterzeichnung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
hat er uns, bescheiden wie er ist, einen Wunsch zur Umsetzung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> mitgegeben.<br />
E: steinberg2704 @t-online.de<br />
Als bergbegeisterter Schüler in einer Alpenstadt, waren die Wochenenden vor<br />
dem Krieg ausgefüllt mit vielen Stunden in der Natur. Negativ waren immer die<br />
Landesgrenzen mit den damals noch vorhandenen Vorschriften, die aber jetzt<br />
Gott sei Dank mit der Schaffung der EU weggefallen sind. Beeindruckt war ich<br />
auch immer von den zum Teil sehr verschiedenen Schutzmaßnahmen für die alpine<br />
Flora. Ich erinnere mich sehr wohl an eine kräftige Ohrfeige meiner Mutter, als<br />
ich ihr einmal mit einem kleinen Strauß geschützter Blumen eine Freude bereiten<br />
wollte.<br />
Daran musste ich auch denken, als mich die neugegründete CIPRA um einen<br />
Vorschlag für ein Arbeitsprogramm bat. Meine Erinnerung an die Verschiedenheit<br />
vieler Vorschriften in den Alpenländern und meiner in der Zwischenzeit erfolgten<br />
Ausbildung entsprechend, habe ich dann die Forderung nach einer <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in das Programm vorgeschlagen. Dem ist man gefolgt. <strong>Jahre</strong> später wurde<br />
zur Freude vieler dieser Vorschlag realisiert.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
113
Wolfgang Burhenne hat im idyllischen Steinberg, mit Blick auf die Nordwände des Rofangebirges, einen wunderschönen<br />
Alterswohnsitz in Österreich gefunden.<br />
Wenn heute gefragt wird, was man sich zur Realisierung dieses rechtlich bindenden<br />
Staatsvertrages wünscht, bleibt nicht viel übrig, wenn man die Forderung<br />
nach einer strengen Umsetzung durch die zuständigen Behörden beiseite lässt.<br />
Leider ist die <strong>Alpenkonvention</strong> den vielen Touristen nicht voll bewusst. Das Sekretariat<br />
hat schon eine sehr aufschlussreiche Karte des gesamten, unter den<br />
Vertrag fallenden Gebietes herausgegeben. Ich würde mir eine kleine Schrift zur<br />
Verteilung an die Touristen wünschen, die jedoch so gestaltet werden sollte, dass<br />
sie zum Mitnehmen und Aufbewahren einlädt und nicht die Landschaft und Papierkörbe<br />
füllt.<br />
Diese kleine Schrift könnte um attraktiv zu sein, meine Kindheitserfahrung einbeziehend,<br />
neben allgemeinen Regeln auch eine Übersicht der alpinen Pflanzen,<br />
mit Hinweis auf die in den Ländern verschiedenen Vorschriften, enthalten.<br />
Sicherlich gibt es auch noch zusätzliche Wege, um die <strong>Alpenkonvention</strong> nicht nur<br />
bei den Verwaltungen und einschlägigen Organisationen, sondern auch den Besuchern<br />
populärer zu machen.<br />
114 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Peter Haßlacher<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Unterzeichnung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong>.<br />
Hat sich der lange und mühsame Weg zu<br />
einem besseren Alpenschutz gelohnt?<br />
Von 1980 bis 2013 Leiter der Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz<br />
im Österreichischen Alpenverein<br />
Von 1995 bis 2001 2. Vizepräsident von CIPRA International<br />
Seit 2007 Vorsitzender von CIPRA Österreich<br />
Seit 1990 Mitglied des Nationalen Komitees für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
in Österreich<br />
Konrad Lorenz-Staatspreisträger für Natur- und Umweltschutz<br />
E: peter.hasslacher@cipra.org<br />
oder peter.hasslacher@chello.at<br />
Die <strong>Jahre</strong> vor der Unterzeichnung der Rahmenkonvention am 7. November 1991<br />
in der Landeshauptstadt Salzburg waren entscheidungsbildend dafür, ob ein Engagement<br />
für ein derart umfassendes und alpenweit geltendes Vertragswerk<br />
überhaupt sinnvoll sei. Herr Landeshauptmann von Tirol, Wendelin Weingartner,<br />
hat mir damals über den Vorsitzenden des Österreichischen Alpenvereins ausrichten<br />
lassen, dass die <strong>Alpenkonvention</strong> für uns eine Nummer zu groß sei und<br />
wir die Finger davon lassen sollten.<br />
Es sollte ja tatsächlich eine gewaltige Herausforderung werden, die Überlegungen<br />
und Forderungen der alpenschützenden Nicht-Regierungsorganisationen in<br />
die diplomatische Sphäre der Vertragsstaaten einzubringen, seine Rolle zu finden<br />
und das Gesicht doch nicht zu verlieren.<br />
Im Nachhinein betrachtet, hätten wir manche Schwerpunkte und Strategien<br />
anders anlegen müssen. Vor allem die politische Bedeutung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
mit Mehrwert für den gesamten Alpenraum hätte stärker gewichtet und darauf<br />
ausgerichtet eine zeitgemäße und effiziente Governance eingesetzt werden<br />
müssen. Eine alle zwei <strong>Jahre</strong> tagende Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />
mit immer weniger hochrangiger Besetzung kann wohl nicht der Weisheit letzter<br />
Schluss sein? Wir hätten bei der Ausarbeitung der Inhalte der Durchführungs-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
115
protokolle besser auf die juristische Handhabung achten müssen. So wird heute<br />
immer noch nahezu verbissen um die richtige innerstaatliche Auslegung gerungen<br />
(Wicker, 2003).<br />
Die Verhandlungsphase vor Salzburg 1991 und die dabei getroffenen Festlegungen<br />
wie zum Beispiel die Resolution anlässlich der I. Alpenkonferenz der Umweltministerinnen<br />
1989 waren sozusagen die „Geschäftsgrundlage“, auf deren<br />
Basis unsererseits (= NGOs) in den „Alpenprozess“ eingestiegen worden ist. Die<br />
verschiedenen Mitgestalter dieses „Prozesses“ werden wahrscheinlich nach <strong>25</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n zu unterschiedlichen Einsichten kommen. Dem Alpenschutz verpflichtete<br />
Organisationen und Personen aus der Zivilgesellschaft sei es aber auch gestattet,<br />
diesen „Alpenprozess“ in seiner Bedeutung und Wirksamkeit, insbesondere in<br />
den Bereichen, die von ihnen vorrangig bearbeitet werden, zu bewerten.<br />
Wichtige Stationen auf dem Weg zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />
17. Mai 1988 Einstimmiger Plenumsbeschluss im Europäischen Parlament<br />
auf Einreichung der Fraktion der Europäischen<br />
Volkspartei zur „Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />
(Europäisches Parlament Sitzungsdokumente B2-<br />
177/88)<br />
24. – <strong>25</strong>. Juni 1988 Internationale Konferenz „Umweltpolitik im Alpenraum“,<br />
Lindau (Bodensee); veranstaltet von CIPRA International<br />
und Deutscher Naturschutzring<br />
27./28. August 1988 „Erklärung zum Schutz der Alpen“ am Großvenediger,<br />
Gemeinde Prägraten am Großvenediger mit der 2. Nationalratspräsidentin<br />
Dr. Marga Hubinek und Bundesministerin<br />
für Umwelt, Familie und Jugend Dr. Marilies<br />
Flemming sowie Alpenverein und Naturschutzbund<br />
9. – 11. Oktober 1989 I. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen in Berchtesgaden<br />
(D) mit Beschluss der 89-Punkte-Resolution.<br />
Persönliche Überlegungen zum Eintreten für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Als ein großer Anhänger einer eigenständigen und auf zukunftsfähige Nachhaltigkeit<br />
ausgerichteten Regionalentwicklung und im naturschutzpolitischen Nahkampf<br />
erprobt, habe ich mich ehrlich gesagt in den Vorstadien der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
recht schwer getan, mich für dieses multilaterale, multifunktionale und<br />
auf hoher Ebene abgehandelte Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen<br />
Entwicklung so richtig zu engagieren. Die zunehmende Machtlosigkeit aber bei<br />
landespolitischen Naturschutz- und Raumordnungsentscheidungen (touristische<br />
Erschließungen, Speicherkraftwerke, Straßenbauvorhaben) trieb uns sozusagen<br />
116 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
auf diese übergeordnete Alpenebene, welche da gerade vorbereitet worden ist.<br />
Vielleicht könnte eine gemeinsame Alpenpolitik der Alpenstaaten einen Weg<br />
gegen die hemmungslose gegenseitige Aufschaukelung beim Ausbau der Infrastrukturen<br />
darstellen? Gemeinsame Richtlinien könnten bei erfolgreich geführten<br />
Verhandlungen immer noch wirksamer sein als die Mühsale der vielen Einzelverfahren?<br />
Möglicherweise wäre die <strong>Alpenkonvention</strong> ein Ausgleich für den<br />
gescheiterten Anlauf für ein eigenes Ziel 7-Gebiet „Alpen“ bei der Europäischen<br />
Kommission in Brüssel? Diese, ähnliche und weitere Gedanken schossen vor und<br />
während der Verhandlungen über die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> durch den<br />
Kopf. Gott sei Dank war die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA fachlich<br />
und personell darauf vorbereitet und konnte den Prozess ständig begleiten.<br />
Die „Geschäftsgrundlage“ für den Alpenprozess<br />
Wie bei jeder Evaluation eines Entwicklungsprozesses – in diesem Fall des Alpenprozesses<br />
nach mehr als einem Vierteljahrhundert – gilt der Blick auf Referenzdokumente.<br />
Im Wesentlichen sind es im Falle der <strong>Alpenkonvention</strong> zwei Dokumente,<br />
die am Ausgangspunkt des Alpenprozesses standen, und für natur- und<br />
alpenschutzrelevante Organisationen entscheidend waren, sich am Alpenprozess<br />
zu beteiligen und für dieses neue Instrument zu engagieren:<br />
● Einstimmiger Plenumsbeschluss im Europäischen Parlament vom<br />
17. Mai 1988 zur „Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />
„Das Europäische Parlament fordert die Kommission unter Hinweis auf die<br />
Gefährdung der natürlichen Ressourcen des Alpenraumes – wie reine Luft,<br />
sauberes Wasser, gesunde Böden, großräumige Ruhegebiete mit Tieren und<br />
Pflanzen, die in anderen Teilen Europas bereits ausgestorben sind – durch<br />
Umwelteinwirkungen wie Luftschadstoffe, Transitverkehr, Sommer- und Wintertourismus<br />
und Großprojekte der Wasserenergiegewinnung, auf, einen Entwurf<br />
einer Konvention zum Schutz des Alpenraumes vorzulegen …“.<br />
● Resolution anlässlich der I. Alpenkonferenz „Internationale Alpenkonferenz<br />
der Umweltminister“, Berchtesgaden, 9. – 11. Oktober 1989;<br />
89 Punkte<br />
dabei insbesondere die Punkte wie<br />
37: Konkretisierung der Raumordnungsgrundsätze in überörtlichen und örtlichen<br />
fachübergreifenden Programmen und Plänen mit verbindlichen Zielen<br />
der Raumordnung wie zum Besipiel<br />
zur Freihaltung möglichst weiter Gebiete von großtechnischer Erschließung,<br />
zur Schaffung großräumiger Schutz- und Ruhezonen.<br />
60: Vereinbaren, zur Erreichung dieser Ziele (Anmerkung: im Tourismusbereich)<br />
zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Ausweisung großflächiger<br />
Zonen, in denen jede touristische Erschließung unzulässig ist, beim Verzicht<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
117
Marga Hubinek (l.) und Marilies Flemming waren wesentliche<br />
Unterstützerinnen für die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
(Defreggerhaus, 27.08.1988).<br />
auf weitere Erschließung von Gletschergebieten und besonders empfindlichen<br />
Ökosystemen und Landschaftsteilen, sowie bei der Reduzierung von Belastungen<br />
durch Wintersportanlagen und belastende Freizeitaktivitäten; dies<br />
schließt ein Verbot besonders umweltbelastender Freizeitaktivitäten ein,<br />
70: Sind übereinstimmend der Meinung, dass im Hinblick auf die Verkehrssituation<br />
und die künftig zu erwartende Steigerung des Verkehrsaufkommens<br />
weitere Maßnahmen kurz- und längerfristiger Art getroffen werden müssen,<br />
die insbesondere zum Ziel haben, – die Belastungen für Menschen und Umwelt<br />
durch Verkehr in den Alpen und durch die Alpen zu verringern<br />
(Berchtesgaden; 1989, 89 Punkte; www.cipra.at).<br />
Ohne Zweifel haben uns die Inhalte dieser beiden supranationalen Dokumente<br />
bei unserer Arbeit und den Forderungen bestätigt und ermuntert. Unterstützung<br />
fand die im Entstehen begriffene <strong>Alpenkonvention</strong> u.a. in der „Erklärung<br />
zum Schutz der Alpen“, abgegeben am 27./28. August 1988 durch Bundesministerin<br />
für Umwelt, Jugend und<br />
Familie, Dr. Marilies Flemming, und<br />
die 2. Nationalratspräsidentin, Dr.<br />
Marga Hubinek, auf der Osttiroler<br />
Seite des Großvenedigers in der Gemeinde<br />
Prägraten (www.cipra.at).<br />
Zweifelsfrei wurden in den oben genannten<br />
Dokumenten die Probleme<br />
resultierend aus dem überbordenden<br />
Verkehr, die Belastungen durch<br />
Winter- und Sommerfremdenverkehr<br />
und Großprojekte der Wasserenergiegewinnung<br />
erkannt und als<br />
Grundlagen für die Ausarbeitung<br />
von Lösungen gesehen. Die alpenpolitische<br />
Existenz und Bedeutung<br />
dieser Dokumente wird heute meistens verschwiegen.<br />
Der Zeitpunkt, <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach Unterzeichnung, der Rahmenkonvention eröffnet<br />
nun den Anlass, auf diese Ausgangslage hinzuweisen und somit auch die<br />
Alpen(konventions)politik zu bilanzieren. Viele <strong>Jahre</strong> hindurch wurde nämlich die<br />
I. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen 1989 in Berchtesgaden und die dort<br />
beschlossene Resolution als Meilenstein der Alpenpolitik gesehen und in heiklen<br />
Phasen der Ausverhandlung der Protokollinhalte, insbesondere des Verkehrsprotokolls,<br />
der legendäre „Geist von Berchtesgaden“ beschworen.<br />
Es geht nicht um Schuldzuweisungen an d i e Politik, weil sich d i e <strong>Alpenkonvention</strong><br />
(noch) nicht so entwickelt hat, wie es der Geist von Berchtesgaden versprach.<br />
Zu komplex ist d i e <strong>Alpenkonvention</strong> mit ihren Inhalten, Abläufen, Stakeholder-<br />
118 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
spektrum und im Laufe der <strong>Jahre</strong> an sich gezogenen Themen, und zu vielschichtig,<br />
wenig einschätzbar und kaum interessiert ist die Politik geworden, welche<br />
dieses politische Instrument einfach anschieben müsste, um es am Leben zu erhalten<br />
und um Umsetzungserfolge zu erzielen.<br />
Viel Kompetenz auf der Habenseite<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> gilt <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach ihrer Unterzeichnung und 15 <strong>Jahre</strong> nach<br />
In-Kraft-Treten der Durchführungsprotokolle (Österreich, Liechtenstein, Deutschland<br />
im <strong>Jahre</strong> 2002) als Kompetenzzentrum par excellence durch das große<br />
angesammelte Wissen aus den Arbeitsgruppen, Plattformen, der Arbeit des<br />
Überprüfungsausschusses, der Alpenzustandsberichte und der Beiträge der Beobachterorganisationen<br />
und der Zivilgesellschaft (Haßlacher, 2014: <strong>25</strong>1). Mehrfach<br />
wird die <strong>Alpenkonvention</strong> mittlerweile als Wissenspool und Kompetenzzentrum<br />
für die europäische Alpenraumstrategie EUSALP und ihre Arbeitsgruppen<br />
gesehen (Nasi, 2013; Declaration oft he XIV th Alpine Conference on Fostering a<br />
Sustainable Economy in the Alps“, 2016). Während der Amtstätigkeit von Generalsekretär<br />
Marco Onida gab es eine fürwahr starke Publikationstätigkeit.<br />
Obschon die Zahl der rechtlich „harten“, verbindlich und unmittelbar anwendbaren<br />
Artikel in den Durchführungsprotokollen<br />
nicht allzu groß ist und<br />
der Implementierungsprozess<br />
auch in Österreich<br />
mitunter sehr zäh<br />
voranschreitet, zeigt<br />
allein die Existenz der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> und<br />
die Praxis der Rechtsanwendung<br />
eine politisch<br />
präventive Wirkung.<br />
Bei den gut besuchten Workshops der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />
wird die Rechtsauslegung der einzelnen Durchführungsprotokolle<br />
genau erläutert.<br />
Neben mittlerweile<br />
reich gefächerten Behördenentscheidungen<br />
und Erkenntnissen von<br />
Höchstgerichten entwickelt<br />
sich die bei CIPRA<br />
Österreich eingerichtete<br />
Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> als eine höchst professionelle und mit<br />
langjähriger Erfahrung gespickte Auskunftsstelle zu Fragen der rechtlichen Anwendung<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> (Tschon, 2015; www.cipra.at, siehe Seite 132 in<br />
diesem Band). Bisher wurden 40 zum Teil umfangreiche Stellungnahmen abgege-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
119
Das Verkehrsprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong> verbietet den Bau neuer hochrangiger<br />
Straßen durch die Alpen. Ein Weiterbau der Alemagna in Richtung<br />
Norden in den Bezirk Lienz ist daher nicht möglich.<br />
ben, fanden jährlich Workshops mit dem Schwerpunkt auf der juristischen Umsetzung<br />
ausgewählter Durchführungsprotokolle statt, und wurden 2016 erstmals<br />
die Ergebnisse des Workshops zum Energieprotokoll im Verlag Österreich veröffentlicht<br />
(Essl/Schmid, 2016; siehe dazu auch Hinweis in diesem Band auf Seite<br />
133). In <strong>Alpenkonvention</strong>skreisen taucht auch manchmal Kritik an der in Österreich<br />
anscheinend zu rechtslastig stattfindenden Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
auf. Die Umsetzung eines Rechtskonstrukts findet nun aber einmal auf dem<br />
Rechtswege statt, ist von den Behörden anzuwenden, von Konsenswerbern Ernst<br />
zu nehmen und wird von NGOs als Instrument zur Durchsetzung von Interessen<br />
der Zivilgesellschaft gesehen. CIPRA Österreich weist in diesem Zusammenhang<br />
immer wieder auf die Dualität der <strong>Alpenkonvention</strong> als juristisches Instrument<br />
und Mittel für eine nachhaltige Alpenraumentwicklung durch entsprechende<br />
Projekte und zielgerichtete Rahmenbedingungen hin. Wenn die wirtschaftspolitischen<br />
Inhalte und Handlungsoptionen in den Durchführungsprotokollen nicht<br />
erkannt und aufgegriffen werden, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass bestimmte<br />
(Wirtschafts-)<br />
Kreise die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
als „Verhinderungsinstrument“<br />
hinstellen und damit<br />
nicht akzeptieren.<br />
Ohne Zweifel hat die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> bereits<br />
sehr früh eine<br />
präventive Wirkung<br />
entfaltet. So zum Beispiel<br />
in Hinblick auf<br />
große verkehrsinfrastrukturelle<br />
Projekte<br />
(Alemagna – Belluno/<br />
München; Ulm – Mailand),<br />
schitouristische<br />
Erschließungsprojekte<br />
vor dem Hintergrund von Artikel 11 Absatz 1 „Schutzgebiete“ im Protokoll „Naturschutz<br />
und Landschaftspflege“, „labile Gebiete“ im Artikel 14 Absatz 1 3. Anstrich<br />
im Protokoll „Bodenschutz“ oder zum Beispiel Artikel 6 Protokoll „Tourismus“<br />
ausgewogenes Verhältnis zwischen intensiven und extensiven Tourismusformen.<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> trägt dazu bei, die Alpengesamtheit zu sehen und ihre Anliegen<br />
durch Kooperationen und Netzwerke zu stärken. Eine besondere Bedeutung<br />
nimmt darin das Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ (Stand 2015: 92<br />
Mitglieder mit 274 Gemeinden alpenweit) und der Verein Alpenstädte ein (18<br />
120 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Mitglieder). Den wissenschaftlichen Beitrag leistet das Internationale Wissenschaftliche<br />
Komitee Alpenforschung ISCAR. An der Universität Innsbruck hat sich<br />
im Nachgang an die großartige Unterstützung der Universität Innsbruck unter<br />
Magnifizenz Univ.-Prof. Dr. Hans Moser um die Bewerbung der Landeshauptstadt<br />
Innsbruck um den Sitz des Ständigen Sekretariats der <strong>Alpenkonvention</strong> (Zuschlag<br />
anlässlich der VII. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen 2002 in Meran)<br />
der Forschungsschwerpunkt „Alpiner Raum – Mensch und Umwelt“ (www.uibk.<br />
ac.at/alpinerraum) entwickelt. Leider hat das 2009 durch Generalsekretär Marco<br />
Onida initiierte Regionen-Netzwerk der Alpen nach drei Konferenzen (Chambery,<br />
Trient, Brdo) keine<br />
Fortsetzung erlebt.<br />
Damit geht jedenfalls<br />
die Vorhaltung an die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> ins<br />
Leere, sie habe sich<br />
nicht um die Regionen<br />
kümmern wollen<br />
und deshalb sei<br />
eine makroregionale<br />
Alpenraumstrategie<br />
mit den Regionen so<br />
wichtig. In Österreich<br />
wurde auf Initiative<br />
des Österreichischen<br />
Alpenvereins/Fachabteilung<br />
Raumplanung-<br />
Naturschutz das Netzwerk „Alpiner Bergsteigerdörfer“ mit Förderung durch das<br />
BMLFUW und später durch das LE-Programm der EU gestartet (Haßlacher, 2004).<br />
Dieses österreichische Projekt zur Unterstützung kleiner und feiner Alpenorte<br />
ohne große Infrastrukturen wird nunmehr Zug um Zug auf andere Vertragsstaaten<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> erweitert.<br />
Alle diese Netzwerkaktivitäten lassen nach außen in der Öffentlichkeit das gesamtstaatliche<br />
Desinteresse an der Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht mit<br />
aller Deutlichkeit erscheinen und überdecken auch die Tatsache, dass mit der<br />
Schweizerischen Eidgenossenschaft ein zentraler Alpenstaat kein einziges Durchführungsprotokoll<br />
ratifiziert hat und die Europäische Kommission immer deutlicher<br />
im alpenkonventionspolitischen Abseits steht.<br />
… Das zeigt Grenzen auf<br />
Die Regionen-Netzwerk Konferenzen, wie etwa in Trient, fanden keine Fortsetzung.<br />
CIPRA International hat bereits im <strong>Jahre</strong> 1996 sehr nachdrücklich nach dem<br />
In-Kraft-Treten der Rahmenkonvention 1995 in ihrem Aktionsplan für die Um-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
121
setzung der <strong>Alpenkonvention</strong> auf die Finanzierung vordringlicher gemeinsamer<br />
Maßnahmen hingewiesen (CIPRA, 1996). Darin wird die Einrichtung eines öffentlichen<br />
Alpenfonds vorgeschlagen. Der Einsicht, dass der Mehrwert der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
durch umgesetzte Projekte sichtbar gemacht werden muss, mag zwar<br />
vorhanden gewesen sein, wurde aber bis heute nicht zum Durchbruch verholfen.<br />
Das in Österreich derzeit dem BMLFUW zur Verfügung stehende <strong>Jahre</strong>sbudget<br />
beträgt € 315.000,- (inkl. Finanzierungsbeitrag für das Ständige Sekretariat in<br />
Innsbruck), während der Vorsitzjahre 2017/2018 € 450.000,-, was weniger als<br />
ein Viertel des vom deutschen Vorsitz veranschlagten Budgetrahmens ausmacht.<br />
Ein möglichst unbürokratischer Budgetansatz für Kleinstprojekte zum Anstoßen<br />
einer nachhaltigen Orts- und Regionalentwicklung könnte viel bewirken. In diese<br />
Bresche wird nun die EUSALP springen, wo von politischer Seite die möglichst<br />
rasche Finanzierung und Umsetzung von Projekten erwartet wird. Der Alpentross<br />
wird also weiterziehen:<br />
i Pionierphase des professionellen Alpenschutzes<br />
i <strong>Alpenkonvention</strong><br />
i EUSALP<br />
Leider hat der Wille nicht mehr gereicht, die drei noch ausstehenden Protokolle<br />
Wasserhaushalt, Luftreinhaltung und Abfallwirtschaft auszuverhandeln.<br />
Statt sich nun um den Kern der Umsetzung der Protokolle zu kümmern, werden<br />
inhaltsleere soft-policy-Deklarationen verabschiedet (zum Beispiel Nachhaltige<br />
Raumentwicklung, Grünes Wirtschaften), welche alsbald die tatsächliche Umsetzung<br />
der Protokollinhalte vergessen lassen werden. Der Mainstream der alpenpolitischen<br />
Entwicklungen wird in den Aktionsgruppen der EUSALP kreiert werden,<br />
die <strong>Alpenkonvention</strong> vielleicht noch als Wissenspool und umweltpolitisches<br />
Korrektiv benötigt. Sehr schnell wird die (berechtigte) Frage auftauchen, wozu<br />
parallele Arbeitsgruppen von <strong>Alpenkonvention</strong> und EUSALP zu ein und demselben<br />
Thema bestehen? Da kommt es dann auf das Selbstverständnis der für die<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> verantwortlichen Vertragsparteien an, ob sie die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
im Anlassfall verteidigen werden.<br />
Sind die Hoffnungen und Versprechungen in den Bereichen Verkehr,<br />
Alpiner Freiraumschutz und touristische Entwicklung aufgegangen?<br />
Wie schon eingangs ausgeführt, waren für die Alpen-NGOs 1988/89 vorrangig<br />
die Themenbereiche Alpine Raumordnung, touristische Übererschließung und<br />
die Verkehrsbelastung ausschlaggebend dafür, dass sie sich auf den Prozess der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong> eingelassen haben. Es würde aus heutiger Sicht der Arbeit der<br />
NGOs nicht gerecht werden, würde man diese nur auf das oben genannte Aufgabenspektrum<br />
reduzieren wollen. Nicht-Regierungsorganisationen weisen in der<br />
122 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Zwischenzeit ein wesentlich breiteres Tätigkeitsfeld auf und haben die Transformation<br />
vom allein verhindernden Tun längst hin zur mitgestaltenden Kraft geschafft.<br />
Trotzdem sei es erlaubt, <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der Unterzeichnung der Rahmenkonvention<br />
und knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach In-Kraft-Treten der Protokolle eine kurze Bewertung<br />
– vornehmlich aus österreichischer NGO-Sicht – zu treffen.<br />
Verkehr<br />
Die Bewertung des Verkehrsprotokolls ist schwierig. Mit Sicherheit besitzt dieses<br />
Leitprotokoll der <strong>Alpenkonvention</strong> einen präventiven Charakter, dass zum Beispiel<br />
größere Straßenbauprojekte für den alpenquerenden Verkehr erst gar nicht<br />
angefangen worden sind. Die Projekte „Alemagna“ (Venedig – München über<br />
den Bezirk Lienz) oder die „Ulm – Mailand“ (in Österreich durch die Bezirke Reutte,<br />
Imst und Landeck) tauchen trotz des in Kraft gesetzten Verkehrsprotokolls<br />
immer wieder von Neuem auf. Es scheint zumindest derzeit, dass solche Projekte<br />
in Zusammenhang mit den EUSALP-Strategien der „missing links“ und „interconnectivity“<br />
neuen Aufschwung erleben und Rückenwind auf der europäischen<br />
Ebene verspüren. Nicht<br />
anders kann etwa die<br />
Zustimmung des Ver-<br />
Blick in den Talboden von Nassereith. Dahinter der Simmering-Tschirgantkamm,<br />
durch diesen der Tunnel ins Inntal geplant ist.<br />
kehrsausschusses im<br />
Europäischen Parlament<br />
vom Oktober 2016 zum<br />
Weiterbau der Alemagna<br />
in Richtung Norden<br />
(bis in den Bezirk Lienz)<br />
auf hauptsächliches Treiben<br />
von Vertretern aus<br />
dem Veneto ausgelegt<br />
werden. Gott sei Dank<br />
ist das Europäische Parlament<br />
dieser Beschlusslage<br />
nicht gefolgt. In den Bezirken Reutte und Imst startete ziemlich zeitgleich<br />
die Diskussion zum wiederholten Male darüber, wie der Verkehr von der bei der<br />
deutsch-österreichischen Staatsgrenze bei Füssen endenden Autobahn über<br />
die Bezirke Reutte und Imst (Fernpass) mittels neuer Tunnels ins Inntal gelenkt<br />
werden kann. Dazu wurde nunmehr sogar eine Petition betreffend „Ausbau der<br />
Fernpassroute – Bau des Tschirganttunnels“ an den österreichischen Nationalrat<br />
eingebracht (90/PET vom 12.10.2016 XXV.GP). Dabei spielt der geplante Zusammenschluss<br />
der beiden Gletscherschigebiete von Pitz- und Ötztal mit 64 Hektar<br />
an neuen Schipisten als Zielgebiet des Verkehrs eine nicht unwichtige Rolle.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
123
Mit Ausnahme von Maßnahmen im öffentlichen Verkehr und bei tourismusbezogenen<br />
Transporten ist unter der Flagge des Verkehrsprotokolls der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
wenig Greifbares zu vermerken.<br />
Alpine Freiräume und ihre raumordnerische Sicherung<br />
Die Implementierung der Durchführungsprotokolle der <strong>Alpenkonvention</strong> zum<br />
Schutz und zur Sicherung bisher unerschlossener Gebirgsräume vor intensiver<br />
Erschließung ist kaum vorangekommen, obschon diese Absicht in der „Berchtesgadener<br />
Resolution“ von<br />
1989 und in einzelnen<br />
Protokollen (Stichwort<br />
„Ruhezonen“) prominent<br />
verankert ist. Ungeachtet<br />
dessen steuert<br />
der Alpenraum auf eine<br />
kaum da gewesene Erschließungswelle<br />
und<br />
Zerschneidung ganzer<br />
Gebirgsgruppen durch<br />
großräumige Schigebietszusammenschlüsse<br />
zu. Es gilt das aktuelle<br />
Prinzip der Gigantomanien:<br />
„größtes Schigebiet<br />
Österreichs“ am<br />
Arlberg, Projekt des<br />
„weltgrößten Gletscherschigebietes“<br />
durch den<br />
Foto oben: Den geplanten Zusammenschluss zwischen dem Pitztaler<br />
und Ötztaler Gletscherschigebiet kann man nur mehr als Gigantonomie<br />
bezeichnen, denn allein rund um den Linken Fernerkogel und die Braunschweiger<br />
Hütte (Bild), sollen im Ausmaß von 64 Hektar Seilbahnen, Pisten,<br />
Beschneiungsteich, Restauration, usw. entstehen.<br />
Foto unten: Obwohl der imposante Karststock des Warscheneck-Massivs<br />
unter Naturschutz steht und zudem ein wichtiges Wasserreservoir<br />
darstellt, sind Seilbahnen und Pisten durch diese Gebirgslandschaft geplant.<br />
Zusammenschluss der<br />
Gletscherschigebiete des<br />
Ötz- und des Pitztales,<br />
größtes „Winter Opening<br />
der Alpen – Snow Break<br />
Europe“ in Schladming,<br />
zweitgrößter Skikartenverbund<br />
der Welt in Salzburg<br />
und Tirol ... – um<br />
des kurzfristigen Wettbewerbsvorteils.<br />
Die nationalen Vertretungen<br />
der Internationa-<br />
124 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
len Alpenschutzkommission CIPRA in Deutschland, Österreich und von Südtirol<br />
fordern deshalb zu Recht mehr Engagement der Gremien der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
zur Stärkung der Alpinen Raumordnung (Haßlacher, 2016). Im „Grassauer Appell“<br />
vom 12. Oktober 2016 an die XIV. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />
drängen sie auf ein „Moratorium<br />
beim Ausbau von Skigebieten mit dem<br />
Ziel der Entwicklung von Raumplanungsregularien<br />
auf Basis der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
für eine staaten- und regionenübergreifende<br />
Alpine Raumordnung“ (siehe Seiten<br />
129 – 131 in diesem Band).<br />
Erschwerend kommt für den Alpenschutz<br />
hinzu, dass die Seilbahnindustrie<br />
in vermehrtem Maße in die Sanktuarien<br />
des Alpenschutzes und der Alpinen<br />
Raumordnung eingreifen will: Naturschutzgebiet<br />
„Warscheneck-Nord“ (OÖ),<br />
Ruhegebiet „Kalkkögel“ (T), „Bayerischer<br />
Alpenplan“ (Riedberger Horn) im deutschen<br />
Alpengebiet, usw.<br />
Hilfestellung kommt möglicherweise<br />
durch die konsequente Anwendung des<br />
Bodenschutzprotokolls „labile Gebiete“,<br />
des Tourismusprotokolls für die Gleichrangigkeit<br />
von extensiven und intensiven<br />
Tourismusformen in touristischen Intensivgebieten<br />
und des Protokolls Naturschutz<br />
und Landschaftspflege mit dem Artikel über Schutzgebiete. Die Artikel zu<br />
den Ruhezonen in den Protokollen werden als black boxes bisher umschifft.<br />
Touristische Entwicklung<br />
Der seit Beginn der 1970er-<strong>Jahre</strong> bestehende<br />
Bayerische Alpenplan, soll für eine geplante<br />
Schierschließung (Riedberger Horn) ausgehebelt<br />
werden.<br />
Zwar liegt seit dem <strong>Jahre</strong> 2013 der Alpenzustandsbericht „Nachhaltiger Tourismus<br />
in den Alpen“ vor (Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong>, 2013), doch<br />
an der generellen touristischen Ausrichtung hat sich wenig geändert. Dieser ExpertInnenbericht<br />
ist für Insider interessant, dringt aber nicht an die breite Öffentlichkeit<br />
und politikrelevante Kreise vor. Denn der infrastrukturintensive Tourismus<br />
des Winters scheint nun auch zum Vorbild für den Sommer zu werden. Die<br />
touristisch wenig bis gar nicht genutzten stillen Räume der Alpen werden kleiner<br />
und weniger, die Verdichtung der Tourismusaktivitäten nimmt laufend zu und<br />
wird neuerdings auch von den etablierten Bergsportorganisationen befeuert. Es<br />
wundert daher nicht, dass die Forst- und Jagdvereine dagegen Sturm laufen und<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
1<strong>25</strong>
sich Bündnisse der besonderen Art zum Beispiel zwischen Jägern und Seilbahngesellschaften<br />
bilden.<br />
Der Status quo ist meilenweit von der Anwendung alpenweit geltender Vereinbarungen<br />
für eine Begrenzung des touristischen Wachstums, für Endausbaugrenzen<br />
und für eine ausbalancierte Alpine Raumordnung entfernt. Nur über<br />
eine alpenweit eingerichtete Plattform – wie eben auf besondere Art und Weise<br />
die völkerrechtlich verbindliche <strong>Alpenkonvention</strong> – kann die Anstrengung unternommen<br />
werden, die gegenseitige und nahezu automatisierte Aufschaukelung<br />
der Investitionen in immer mehr Fläche, Events und Werbeetats zu überwinden.<br />
Keine Region wird von<br />
sich aus auf weitere<br />
Erschließungen<br />
verzichten wollen,<br />
wenn sie nicht wirklich<br />
sicher weiß, dass<br />
auch für andere benachbarte<br />
Regionen<br />
dieselben Spielregeln<br />
gelten. Unter dem<br />
Verweis auf Klimawandel,<br />
sich auch in<br />
touristischen Zentren<br />
ändernde demogra-<br />
Das Projekt der „Bergsteigerdörfer“ ist zu einem Herzeigeprojekt der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
geworden (Hüttschlag, Salzburg).<br />
phische Entwicklungen<br />
(= Abwanderung;<br />
Dax et al., 2016),<br />
Marktsättigung, usw.<br />
hat sich die CIPRA<br />
mehrfach an die <strong>Alpenkonvention</strong>sgremien gewandt und dringenden Handlungsbedarf<br />
signalisiert. Kein Erfolg!<br />
Mit Stolz verweise ich auf das vom Verfasser zu Beginn dieses Jahrtausends erfundene<br />
und mühevoll gestartete Projekt der „ÖAV-Bergsteigerdörfer“, welches<br />
heute als <strong>Alpenkonvention</strong>sherzeigeprojekt bezeichnet wird (Haßlacher, 2004).<br />
Ein kurzes Resümee<br />
Bei Betrachtung der dargestellten Herzensanliegen der Alpen-NGOs ist leicht<br />
feststellbar, dass die ursprünglich in die <strong>Alpenkonvention</strong> gesetzten Erwartungen<br />
nicht in Erfüllung gegangen sind. Trotzdem haben diese das Vorhaben und die<br />
Umsetzung des Vertragswerks stets unterstützt, Strategien entwickelt, Projekte<br />
entworfen und umgesetzt. CIPRA Österreich hat den in Österreich gemeinsam<br />
getragenen, abgestimmten und diskutierten Alpenprozess als den „österrei-<br />
126 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
chischen Weg“ bezeichnet (CIPRA Österreich, 1996). Dieser gemeinsame Weg<br />
mit den NGOs ist nach einem Vierteljahrhundert guter Kooperation in Gefahr<br />
geraten. Es ist mehr als legitim und angebracht, wenn von NGOs und aus der<br />
Zivilgesellschaft der dringende Appell zur Umsetzung der als Ausgangslage und<br />
Geschäftsgrundlage zu bezeichnenden Grundforderungen an die Politik gerichtet<br />
wird. Das wird aber in Österreich nicht gerne gesehen. Ja, die politische Lage<br />
und die Zusammensetzung der Gremien haben sich geändert. Wurde früher beispielsweise<br />
der Ländervertreter in die österreichische Delegation zum Überprüfungsausschuss<br />
mit einem anerkannten Umweltjuristen des Landes Tirol besetzt,<br />
so ist es jetzt der beamtete Seilbahnrechtler des Landes Tirol.<br />
Trotzdem wird die Diskussion über die Überbelastungen resultierend aus Verkehr<br />
und Tourismus nicht mehr vom Tisch zu wischen sein. Sie wird bei ständigem<br />
Ignorieren nur noch heftiger werden.<br />
Persönlich möchte ich die vielen <strong>Jahre</strong> „mit der <strong>Alpenkonvention</strong>“ nicht vermissen,<br />
habe viel gelernt, erfahren und weiß besser, wie manche Situationen und<br />
Sachlagen einzuschätzen sind. Man lernt im Laufe der <strong>Jahre</strong> auch, für was sich<br />
der Einsatz lohnt. Effizienz und Schlagzahl der <strong>Alpenkonvention</strong> mag in Diplomatenkreisen<br />
okay sein, nur in der derzeitigen „Lage der Alpen“ ist sie eindeutig zu<br />
niedrig.<br />
Literatur<br />
CIPRA International (1996): Aktionsplan zur Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> – ein Vorschlag<br />
der CIPRA. CIPRA Info Nr. 42, S. 1 – 3.<br />
CIPRA Österreich – Hrsg. (1996): Die <strong>Alpenkonvention</strong>. Der österreichische Weg. Wien,<br />
119 S. (ISBN 3-900-711-60/7)<br />
Danz, W. – Hrsg. (1989): Umweltpolitik im Alpenraum. Ergebnisse der Internationalen<br />
Konferenz 24.-<strong>25</strong>.06.1988 in Lindau (Bodensee). CIPRA Schriften Bd. 5, 528 S.<br />
Dax, T. et al. (2016): Regionen mit Bevölkerungsrückgang. Experten-Impulspapier zu regional-<br />
und raumordnungspolitischen Entwicklungs- und Anpassungsstrategien.<br />
Analyse und strategische Orientierungen. Endbericht i.A. des Bundeskanzleramtes<br />
Österreich. Wien, 95 S.<br />
Essl, J. u. S. Schmid – Hrsg. (2016): Das Protokoll „Energie“ der <strong>Alpenkonvention</strong>. Umsetzung<br />
und Anwendung in Österreich. CIPRA Österreich-Schriftenreihe zur <strong>Alpenkonvention</strong><br />
Bd. 1. Wien: Verlag Österreich.<br />
Haßlacher, P. (2004): Entwicklung und Förderung von Bergsteigerdörfern – Zukunftsaufgabe<br />
für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong>. In: Haßlacher, P. (Red.): Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– Markierungen für Ihre Umsetzung (= Fachbeiträge des Oesterreichischen<br />
Alpenvereins – Serie: Alpine Raumordnung Nr. 24). Innsbruck, S. 36 – 45.<br />
Haßlacher, P. (2014): Die <strong>Alpenkonvention</strong> auf dem mühevollen Weg zur Umsetzung. In:<br />
Chilla, T. (Hrsg.): Leben in den Alpen. Verstädterung, Entsiedlung und neue Aufwer-<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
127
tungen. Festschrift für Werner Bätzing zum 65. Geburtstag. Bern: Haupt Verlag, S.<br />
247 – <strong>25</strong>7.<br />
Haßlacher, P. (2016): Neue Alpine Raumordnungsarchitektur dringend gefordert. Vertragsstaaten<br />
der <strong>Alpenkonvention</strong> in der Verantwortung. In: Innsbruck alpin ( = Mitteilung<br />
der Innsbrucker Alpenvereinssektionen ), H. 3, S. 37 – 41.<br />
Haßlacher, P. (2016 ): <strong>Alpenkonvention</strong> muss Alpine Raumordnung endlich stärken. In:<br />
Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 02/2016, S.<br />
7 – 9.<br />
Haßlacher, P. (2016): <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong> – eine durchwachsene Bilanz. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 83, 03/2016, S. 1.<br />
Nasi, A. (2013): Die <strong>Alpenkonvention</strong> als hervorragendes Kompetenzzentrum für die<br />
künftige EU-Alpenraumstrategie. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong> – Nachhaltige Entwicklung<br />
für die Alpen Nr.73/2013, 04/2013, S. 6 – 7.<br />
Ständiges Sekretariat der <strong>Alpenkonvention</strong> – Hrsg. (2013): Nachhaltiger Tourismus in den<br />
Alpen. Alpenzustandsbericht. <strong>Alpenkonvention</strong> Alpensignale – Sonderserie 4. Innsbruck,<br />
152 S.<br />
Tschon, W. (2015): Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> hat sich bewährt. In: Die <strong>Alpenkonvention</strong><br />
– Nachhaltige Entwicklung für die Alpen Nr. 80/2015, 04/2015, S. 2.<br />
Wicker, H.-R. (2003): Ist Kultur messbar? In: Schweizerische Akademie der Geistes- und<br />
Sozialwissenschaften (Hrsg.): Kulturelle Diversität im Alpenraum (= Schriftenreihe<br />
des Schwerpunktes „Alpen-Forschung“). Bern, S. 39 – 51 (ISBN 3-907835).<br />
128 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Der „Grassauer Appell“ von CIPRA<br />
Deutschland, Österreich und Südtirol<br />
an die XIV. Alpenkonferenz der UmweltministerInnen<br />
Die Alpenstaaten haben vor <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n mit der <strong>Alpenkonvention</strong> ein einzigartiges<br />
Instrument zur nachhaltigen Entwicklung einer zusammenhängenden Bergregion<br />
– den Alpen – geschaffen. Die nationalen und regionalen Vertretungen der Internationalen<br />
Alpenschutzkommission CIPRA 1 von Deutschland, Österreich und<br />
Südtirol nehmen dies zum Anlass, an die vereinbarten Grundwerte zu erinnern<br />
und deren Umsetzung anzumahnen.<br />
In der <strong>Alpenkonvention</strong> ist festgehalten, dass die alpine Staatengemeinschaft<br />
und die Europäische Gemeinschaft eine ganzheitliche Politik zum Schutz der Alpen<br />
und zum Wohle der alpinen Bevölkerung entwickeln will, unter Beachtung<br />
des Vorsorge-, des Verursacher- und des Kooperationsprinzips insbesondere in<br />
den Bereichen<br />
Raumplanung – mit dem Ziel einer ausgewogenen und dem kulturellen Erbe<br />
entsprechenden Entwicklung des Gesamtraumes mit sparsamer und rationeller<br />
Flächennutzung unter besonderer Beachtung der Naturgefahren, der Vermeidung<br />
von Über- und Unternutzungen sowie der Erhaltung oder Wiederherstellung<br />
der natürlichen Lebensgrundlagen durch vorausschauende integrierte Planung<br />
mit umfassender Klärung und Abwägung der nachfolgend aufgeführten<br />
Nutzungsbereiche, sowie Abstimmung der daraus resultierenden Maßnahmen,<br />
Naturschutz und Landschaftspflege – mit dem Ziel, Natur und Landschaft<br />
so zu schützen, zu pflegen und, soweit erforderlich, wiederherzustellen,<br />
dass die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme, die Erhaltung der Tier- und Pflanzenwelt<br />
einschließlich ihrer Lebensräume, die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige<br />
Leistungsfähigkeit der Ökosysteme sowie Vielfalt, Eigenart und Schönheit<br />
der Natur und Landschaft in ihrer Gesamtheit dauerhaft gesichert werden,<br />
1<br />
Die nationalen und regionalen Vertretungen der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA<br />
von Deutschland, Österreich und Südtirol arbeiten bei brennenden alpenpolitischen Fragestellungen<br />
länderübergreifend auf dem Fundament der <strong>Alpenkonvention</strong> zusammen.<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
129
Tourismus und Freizeit – mit dem Ziel, die touristischen und Freizeitaktivitäten<br />
mit den ökologischen und sozialen Erfordernissen in Einklang zu bringen,<br />
insbesondere durch Festlegung von Ruhezonen<br />
Verkehr – mit dem Ziel, Belastungen und Risiken im Bereich des inneralpinen<br />
und alpenquerenden Verkehrs auf ein Maß zu senken, das für Menschen, Tiere<br />
und Pflanzen sowie deren Lebensräume erträglich ist, unter anderem durch eine<br />
verstärkte Verlagerung des Verkehrs, insbesondere des Güterverkehrs, auf die<br />
Schiene, vor allem durch die Schaffung geeigneter Infrastrukturen und marktkonformer<br />
Anreize, ohne Diskriminierung aus Gründen der Nationalität,<br />
Energie – mit dem Ziel, eine natur- und landschaftsschonende sowie umweltverträgliche<br />
Erzeugung, Verteilung und Nutzung der Energie zu erreichen und<br />
energieeinsparende Maßnahmen zu fördern.<br />
Vor diesem Hintergrund fordern CIPRA Deutschland, CIPRA Österreich und<br />
CIPRA Südtirol die für die Umsetzung der <strong>Alpenkonvention</strong> verantwortlichen<br />
Staaten und Regionen auf,<br />
1. die Ziele der <strong>Alpenkonvention</strong> und ihrer Protokolle in die makroregionale Strategie<br />
für den Alpenraum (EUSALP) zu integrieren und umzusetzen.<br />
Die Inhalte der <strong>Alpenkonvention</strong> und der Durchführungsprotokolle sowie Deklarationen<br />
müssen für die operative Umsetzung in den Arbeits- und Leitungsgruppen<br />
der EUSALP Maßstab und Verpflichtung sein.<br />
2. alpenweit die Raumplanungs- und Entwicklungspolitiken zu harmonisieren,<br />
um der naturzerstörenden Versiegelung der Landschaft entgegenzuwirken.<br />
Der Verbrauch von Natur und Landschaft muss alpenweit gestoppt werden,<br />
um Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ihrer Funktionen zu erhalten.<br />
3. die Vorgaben der Landesplanung strikt einzuhalten und die Schutzgebiete zu<br />
erhalten, möglichst zu erweitern sowie neue zu entwickeln oder auszuweisen,<br />
um mit Schon- und Ruhezonen einen alpenweit funktionsfähigen ökologischen<br />
Verbund zu knüpfen.<br />
Die natürliche Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten kann nur erhalten werden,<br />
wenn deren Lebensräume auch ausreichend vernetzt sind.<br />
4. für die weitere flächenmäßige Entwicklung des Tourismus ein einfach anwendbares<br />
Instrument der Raumplanung zu entwickeln, das ein geordnetes Nebeneinander<br />
von intensiven Freizeitaktivitäten sowie von „sanftem“ Tourismus<br />
und beruhigten Räumen ermöglicht. Der Alpenraum muss vor einer ungeordneten<br />
Zulassung von Erschließungsprojekten geschützt werden.<br />
● Dazu ist zunächst ein Moratorium beim Ausbau von Skigebieten mit dem<br />
Ziel der Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus notwendig.<br />
● Es müssen Raumplanungsregularien auf Basis der <strong>Alpenkonvention</strong> für eine<br />
130<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
staaten- und regionenübergreifende Alpine Raumordnung entwickeln werden.<br />
5. die Belastungen durch den Verkehr auf ein für Mensch und Umwelt verträgliches<br />
Maß zu reduzieren.<br />
● Durch eine alpenweite Harmonisierung der Benutzungsgebühren an Alpenübergängen.<br />
So sind Ausweichverkehre zu verhindern, die zu Überlastungen<br />
an einzelnen Übergängen führen.<br />
● Durch die Einführung eines alpenweit gültigen „Cap and trade“-Prinzips, um<br />
den Transport von Gütern auf ein alpen- und raumverträgliches Maß zu begrenzen.<br />
● Durch die bessere Lenkung der durch den Tourismus induzierten Verkehre,<br />
insbesondere durch verstärkte Angebote im öffentlichen Verkehr.<br />
6. die Erzeugung von erneuerbaren Energien im Einklang mit den Erfordernissen<br />
des Natur- und Umweltschutzes und der Raumplanung zu fördern sowie<br />
Maßnahmen zur Energieeinsparung insbesondere bei Produktionsprozessen,<br />
im Verkehr sowie im privaten Haushalt und im Tourismus zu ergreifen.<br />
Erwin Rothgang Peter Haßlacher Klauspeter Dissinger<br />
CIPRA Deutschland CIPRA Österreich CIPRA Südtirol<br />
Grassau, am 13. Oktober 2016<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
131
Die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong><br />
bei CIPRA Österreich<br />
Die über viele <strong>Jahre</strong> geplante und diskutierte Stollenbahn<br />
durch den Nationalpark Hohe Tauern zum Mölltaler Gletscher<br />
ist nach der <strong>Alpenkonvention</strong> nicht realisierbar.<br />
Mit dem österreichweiten In-Kraft-Treten der Rahmenkonvention bzw. aller<br />
Durchführungsprotokolle in den <strong>Jahre</strong>n 1995 bzw. 2002 hat sich Österreich zur<br />
konsequenten Umsetzung des Übereinkommens verpflichtet.<br />
Die vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft<br />
unterstützte Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich<br />
setzt sich mit Fragen der rechtliche Auslegung der <strong>Alpenkonvention</strong>, insbesondere<br />
ihrer Protokolle auseinander.<br />
Ziel der Rechtsservicestelle ist es, vorhandene Berührungsängste mit der <strong>Alpenkonvention</strong><br />
sowie Wissens- und Anwendungsdefizite abzubauen, um in weiterer<br />
Folge Entscheidungsprozesse zu erleichtern und eventuell zu beschleunigen.<br />
Ein erlesener Kreis unabhängiger RechtsexpertInnen aus Wissenschaft, Verwaltung<br />
und Rechtsanwaltschaft<br />
bildet den Kern dieses für den<br />
Alpenraum einzigartigen und ehrenamtlich<br />
tätigen Gremiums.<br />
Konkret umfasst die Serviceleistung<br />
seitens der ExpertInnen eine<br />
erste, unverbindliche und allgemeine<br />
Auskunft zur rechtlichen<br />
Auslegung bzw. Umsetzung der<br />
<strong>Alpenkonvention</strong>. Mit dieser kostenlos<br />
arbeitenden Einrichtung<br />
wird sowohl Behörden, NGOs,<br />
Bürgerinitiativen als auch Privatpersonen<br />
eine rechtlich fundierte Hilfestellung gegeben. Die Auskunft ersetzt<br />
jedoch keinesfalls behördliche Ermittlungsverfahren oder etwa Gutachten von<br />
Sachverständigen. Auch nimmt das Expertengremium weder Projektbeurteilungen<br />
noch Überprüfungen von Bescheiden vor.<br />
Seit 2009 hat die Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> 40 Stellungnahmen zu<br />
konkreten Anfragen abgegeben und die Anfragen nehmen laufend zu. Darunter<br />
befinden sich brisante Fälle wie die schitouristischen Erschließungsprojekte<br />
durch das Ruhegebiet „Kalkkögel“ (Tirol), die geplante Stollenbahn durch den<br />
Nationalpark Hohe Tauern zum Mölltaler Gletscher (Salzburg), das Naturschutzgebiet<br />
„Warscheneck-Nord“ (Oberösterreich), die Naturschutzgebiete „Kleinfragant“<br />
und „Wurten-West“ (Kärnten) oder auch zum Heliskiing in Vorarlberg.<br />
Durch die laufende Befassung mit der rechtlichen Implementierung der Inhalte<br />
der Durchführungsprotokolle der <strong>Alpenkonvention</strong>, besitzt die Rechtsservicestelle<br />
mittlerweile ein über <strong>Jahre</strong> exzellent aufgebautes Know-how.<br />
132 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
133
Notizen<br />
134 <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong>
Zeitspiegel<br />
<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Alpenkonvention</strong><br />
1951 Idee einer Alpenschutzkonvention durch CIPRA International<br />
1988 Europäisches Parlament beschließt Ausarbeitung einer<br />
„Konvention zum Schutz des Alpenraumes“<br />
1989 I. Alpenkonferenz in Berchtesgaden (D)<br />
1991 II. Alpenkonferenz in Salzburg (A)<br />
1994 III. Alpenkonferenz in Chambéry (F)<br />
1995 Einrichtung des <strong>Alpenkonvention</strong>sbüros von CIPRA Österreich<br />
1996 IV. Alpenkonferenz in Brdo (SLO)<br />
1998 V. Alpenkonferenz in Bled (SLO)<br />
2000 VI. Alpenkonferenz in Luzern (CH)<br />
2002 VII. Alpenkonferenz in Meran (I)<br />
2002 Ständiges Sekretariat nach Innsbruck vergeben; Außenstelle in Bozen<br />
2002 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Liechtenstein, Österreich<br />
und Deutschland<br />
2004 VIII. Alpenkonferenz in Garmisch-Partenkirchen (D)<br />
2004 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Slowenien<br />
2005 Ratifizierung und In-Kraft-Treten der Protokolle in Frankreich<br />
2006 IX. Alpenkonferenz in Alpbach (A)<br />
2008 X. Alpenkonferenz in Evian (F)<br />
2009 Einrichtung der Rechtsservicestelle <strong>Alpenkonvention</strong> bei CIPRA Österreich<br />
2011 XI. Alpenkonferenz in Brdo pri Kranju (SLO)<br />
2012 XII. Alpenkonferenz in Poschiavo (CH)<br />
2013 Ratifizierung und In-Kraft-Treten des Verkehrsprotokolls durch die<br />
Europäische Union<br />
2014 XIII. Alpenkonferenz in Turin (I)<br />
2016 XIV. Alpenkonferenz in Grassau (D)<br />
www.cipra.org<br />
www.alpconv.org