lgbb_03_2017_druck
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Bronzener Pferdekopf aus Augsburg,<br />
Mitte 1. Jh. bis erste Hälfte 2. Jh. n. Chr.<br />
(Leihgeber: Kunstsammlungen und<br />
Museen Augsburg, Römisches Museum,<br />
Augsburg; Foto: LWL/S. Brentführer).<br />
Der letzte Teil bietet einen Blick in die Zukunft<br />
in Form der sogenannten kontrafaktischen Geschichtsschreibung<br />
– die Geschichtsdarstellung,<br />
die sich nicht mit dem befasst, was tatsächlich<br />
geschehen ist, sondern mit dem, was geschehen<br />
wäre, wenn sich die Ereignisse anders entwickelt<br />
hätten. Was wäre also gewesen, wenn Germanicus<br />
doch gesiegt hätte, fragt die Ausstellung.<br />
Und zeigt mithilfe von Computeranimation und<br />
weiteren Exponaten, was eine von Veteranen<br />
besiedelte Colonia nach dem Vorbild Roms enthielt:<br />
Forum, Tempel, Theater, Thermen. Wer es<br />
sich leisten konnte, schritt in seinem Haus über<br />
edle Mosaike statt Lehmböden und blickte auf<br />
prachtvolle Wandmalereien. Die römischen, vom<br />
Wasser ausgehenden Verkehrssysteme werden<br />
erklärt oder Handelswege und Manufaktur wie<br />
die in ihren Schlangenfadenornamenten kreative<br />
Glasbläserei in Köln. Auch wenn sich die bewusst<br />
sparsam gehaltenen, gut verständlichen Wandtexte<br />
mit Wertungen zurückhalten, drängt sich<br />
aus heutiger Sicht doch ein leises Bedauern darüber<br />
auf, was Aliso mit dem Abzug der Römer<br />
alles entgangen ist. Das in der antiken Literatur<br />
erwähnte Kastell Aliso (korrekter wohl Háliso,<br />
vgl. S. 93), wohl das heutige Haltern am See (die<br />
Identifi kation ist umstritten, vgl. Katalog S. 91),<br />
hätte sich zu einem Zentralort in der Region entwickelt.<br />
LWL-Museumsleiter Dr. Rudolf Aßkamp<br />
hält es für sehr wahrscheinlich, dass das antike<br />
Aliso ist mit dem heutigen Haltern am See identisch<br />
ist (vgl. S. 102–104). Aliso war nach der Varusschlacht<br />
der einzige römische Stützpunkt auf<br />
der östlichen Seite des Rheins. „Und der Fundort<br />
im Osnabrücker Land bei Kalkriese ist nicht der<br />
Ort der Varusschlacht, sondern geht auf die Ereignisse<br />
des Jahres 15 n. Chr. rund um Germanicus<br />
zurück” – so Museumschef Rudolf Aßkamp.<br />
Ein neueres Fundstück aus Kalkriese unterstreicht<br />
diese Sichtweise; es handelt sich um das Mundblech<br />
einer Schwertscheide, das die Inschrift LPA<br />
trägt, Abkürzung für Legio Prima Augusta. Diese<br />
Legion zog aber nicht mit Varus, sondern erst mit<br />
Germanicus durch Germanien. Da neue Funde in<br />
Triumphzuges. Auf den ehrwürdigen Straßenpfl<br />
aster der Via Sacra wandeln die Museumsbesucher.<br />
Menschenmengen links und rechts der<br />
zentralen Straße im Forum Romanum jubeln ihnen<br />
zu. Ganz Rom feiert mit pompösem Aufwand<br />
einen Triumph, den die prunkvollen Exponate am<br />
Wegesrand bezeugen: Skulpturen des Feldherrn<br />
in Siegerpose etwa, vier stolze Rösser ziehen seinen<br />
Schlachtenwagen. Beutestücke aus Germanien,<br />
Statuen von Musikern und bronzene Liktoren<br />
mit ihren Rutenbündeln, Halbreliefs mit<br />
Priestern und Stieren, die ein Opferritual vorbereiten.<br />
Der Triumph in Rom dient als spektakulärer<br />
Fixpunkt, um die damit verbundenen Ereignisse<br />
schlaglichtartig zu beleuchten.<br />
Der zweite Teil lenkt den Blick auf die militärischen<br />
und politischen Entwicklungen in Germanien<br />
und die Zeit vor dem vermeintlichen Sieg des<br />
Germanicus. Funde aus den römischen Lagern<br />
entlang der Lippe wie etwa Haltern am See, Holsterhausen<br />
(beide Kreis Recklinghausen), Oberaden,<br />
Beckinghausen (beide Kreis Unna), Olfen<br />
(Kreis Coesfeld) und Anreppen (Kreis Paderborn)<br />
sowie zahlreiche Exponate von weiteren Fundplätzen<br />
in Germanien veranschaulichen die römischen<br />
Okkupationsbemühungen in Germanien.<br />
Der dritte Teil der Ausstellung widmet sich ganz<br />
dem „Römischen Triumph” und den Fragen, wer,<br />
wann und aus welchem Anlass im antiken Rom<br />
einen Triumphzug abhalten durfte - mit strengem<br />
Protokoll: Zuerst kamen im Zug Beute und Gefangene,<br />
dann der Triumphator mit Opfertieren und<br />
Behördenvertretern (Liktoren und Staatsbeamten)<br />
und schließlich die Armee. Es geht aber auch<br />
um die spätere Darstellung von Triumphzügen,<br />
zum Beispiel um die Darstellung der gefangenen<br />
Thusnelda, der Ehefrau des Varus-Bezwingers Arminius.<br />
Diese prominente Geisel im Triumphzug<br />
des Germanicus war in der Historienmalerei des<br />
18. und 19. Jahrhunderts ein beliebtes Motiv.<br />
Glasgefäße mit dem für die Colonia<br />
Claudia Ara Agrippinensium (Köln)<br />
typischen Schlangenfadendekor<br />
(„Kölner Schnörkel”) (Leihgeber:<br />
Römisch-Germanisches Museum/<br />
Rheinisches Bildarchiv Köln;<br />
Foto: LWL/S. Brentführer).<br />
176 JAHRGANG LXI · LGBB <strong>03</strong> / <strong>2017</strong><br />
LGBB <strong>03</strong> / <strong>2017</strong> · JAHRGANG LXI<br />
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