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06 Fortschritte im Erregernachweis

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<strong>Erregernachweis</strong><br />

<strong>Fortschritte</strong> <strong>im</strong> <strong>Erregernachweis</strong>?<br />

Was kulturunabhängige Verfahren dem Kliniker bringen<br />

Mit mehr als 250.000 Erkrankungsfällen<br />

pro Jahr und einer Sterblichkeitsrate<br />

von ca. 25% zählt die Sepsis zu den<br />

häufigsten Todesursachen in Deutschland.<br />

Die hohe Letalität wird zum einen<br />

durch das größtenteils schwer kranke<br />

Patientenkollektiv bedingt, andererseits<br />

führen bereits geringe Verzögerungen<br />

bei der Therapieeinleitung oder die falsche<br />

Antibiotikawahl zu einer deutlichen<br />

Prognoseverschlechterung bei einer<br />

Sepsis.<br />

Leider liegt zum Zeitpunkt der Diagnosestellung<br />

für gewöhnlich kein mikrobiologischer<br />

Befund mit <strong>Erregernachweis</strong><br />

und Resistenztestung vor, weshalb<br />

die antibiotische Therapie zunächst empirisch<br />

geführt werden muss. Die Idealvorstellung<br />

einer schnellen mikrobiologischen<br />

Diagnostik, die womöglich direkt<br />

am Patientenbett stattfindet und<br />

innerhalb von wenigen Minuten einen<br />

endgültigen Befund erbringt, könnte <strong>im</strong><br />

Fall einer Sepsis wesentlich zum Therapieerfolg<br />

beitragen, lässt sich derzeit<br />

aber noch nicht verwirklichen.<br />

Im Gegensatz dazu erscheint die konventionelle,<br />

kulturabhängige Blutkulturdiagnostik,<br />

die für den <strong>Erregernachweis</strong><br />

und eine erste, orientierende Resistenztestung<br />

mindestens sechzehn<br />

bis vierundzwanzig Stunden benötigt,<br />

Transportzeiten in das Labor nicht eingerechnet,<br />

viel zu langsam. Neue kulturunabhängige<br />

Verfahren werden daher<br />

als vielversprechende, schnelle Alternative<br />

zur vermeintlich altmodischen, kulturabhängigen<br />

Diagnostik gehandelt.<br />

Wie läuft die konventionelle<br />

Blutkulturdiagnostik ab?<br />

Der Zeitaufwand für die kulturbasierte<br />

Erregerdiagnostik ergibt sich aus den<br />

Abb. 1: Bebrütung der Blutkulturflaschen<br />

langen Bebrütungszeiten. Zunächst<br />

werden die be<strong>im</strong>pften Blutkulturflaschen<br />

in speziellen Inkubationsautomaten<br />

bebrütet (Abbildung 1), die bakterielles<br />

Wachstum automatisch registrieren<br />

und anzeigen können. Die benötigte<br />

Bebrütungsdauer hängt hierbei vor allem<br />

von der einge<strong>im</strong>pften Ke<strong>im</strong>zahl,<br />

also der Erregerkonzentration <strong>im</strong> Patientenblut,<br />

ab und beträgt <strong>im</strong> Fall einer<br />

schweren Sepsis üblicherweise weniger<br />

als zehn, eher zwei bis sechs Stunden.<br />

Nach der initialen Bebrütung in Blutkulturflaschen<br />

müssen die positiven<br />

Blutkulturen auf feste Nährmedien ausgestrichen<br />

und für weitere zwölf Stunden<br />

inkubiert werden (Abbildung 2).<br />

So können letztlich Reinkulturen gewonnen<br />

werden, die für die abschließenden<br />

Tests zur Erregeridentifizierung<br />

und Resistenztestung verwendet<br />

werden können.<br />

Um die Diagnose von Blutstrominfektionen<br />

zu beschleunigen, werden seit der<br />

Jahrtausendwende zunehmend neue,<br />

kulturunabhängige Methoden, wie die<br />

Massenspektrometrie oder verschiedene<br />

molekularbiologische Verfahren, in<br />

der Sepsisdiagnostik eingeführt und erprobt<br />

(Abbildung 4). Die Vorteile einer<br />

schnellen Diagnose liegen auf der<br />

Hand: Die Therapie kann zeitnah gezielt<br />

auf besondere Resistenzen ausgerichtet<br />

werden, während gleichzeitig<br />

der Verbrauch von Reserveantibiotika<br />

vermindert und die Entwicklung neuer<br />

Antibiotikaresistenzen verhindert werden<br />

können. Die Einsatzmöglichkeiten<br />

der einzelnen Methoden sowie ihre<br />

Vor- und Nachteile sollen <strong>im</strong> Folgenden<br />

vorgestellt werden.<br />

Molekularbiologische Verfahren<br />

Kommerzielle molekularbiologische Systeme<br />

sind mittlerweile zu einem festen<br />

Bestandteil des mikrobiologisch-diagnostischen<br />

Labors geworden. Die Syste-<br />

Nr. 4, 2017 25


<strong>Erregernachweis</strong><br />

Abb. 2: Ausstreichen der Blutkulturflaschen auf Agarplatten<br />

Abb. 3: Automatisierung der Kulturanlage<br />

me sind in den letzten zwei Jahrzehnten<br />

wesentlich kostengünstiger und benutzerfreundlicher<br />

geworden, sodass einige<br />

Hersteller bereits Geräte zur pointof-care-Diagnostik<br />

anbieten können.<br />

Nicht nur die auf klassischen PCR-Verfahren<br />

basierenden Systeme konnten<br />

opt<strong>im</strong>iert werden, auch neue Methoden<br />

wie die isothermale Amplifikation oder<br />

die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung<br />

ermöglichen inzwischen eine schnelle<br />

und einfache Diagnostik. Sogenannte<br />

Multiplex-Systeme erlauben die s<strong>im</strong>ultane<br />

Suche nach mehreren Erregern<br />

und Resistenzgenen in einem einzelnen<br />

Untersuchungsgang.<br />

Grundsätzlich können die Verfahren<br />

zur Untersuchung von Nativblut, bebrüteter<br />

Blutkulturen oder auch zur<br />

Analyse von bakteriellen Einzelkolonien<br />

nach Anzucht eingesetzt werden.<br />

Aufgrund der kurzen Untersuchungsdauer<br />

von Minuten bis wenigen Stunden<br />

wird die Diagnostik erheblich beschleunigt.<br />

Noch sind es vor allem die<br />

vergleichsweise hohen Kosten pro Untersuchungsgang,<br />

die einem häufigeren<br />

Einsatz <strong>im</strong> Weg stehen. Zukünftig ist<br />

jedoch ein weiterer Preisrückgang zu erwarten,<br />

sodass bereits diskutiert wird,<br />

ob molekularbiologische Methoden die<br />

konventionelle Blutkulturdiagnostik in<br />

Zukunft gänzlich ersetzen können.<br />

Um jedoch hier keinem Trugschluss zu<br />

unterliegen, müssen sich klinisch und<br />

diagnostisch tätige Ärzte der Grenzen<br />

dieser molekularbiologischer Verfahren<br />

bewusst sein. Im Gegensatz zur klassischen<br />

Blutkulturdiagnostik mit der<br />

prinzipiell alle kultivierbaren Erreger<br />

26<br />

nachgewiesen werden können, werden<br />

durch molekularbiologische Untersuchung<br />

nur zuvor definierte Erreger und<br />

Resistenzgene erfasst. Die Wahrscheinlichkeit<br />

falsch negativer Befunde bleibt<br />

daher groß und eine Ausschlussdiagnostik<br />

ist nicht möglich. Außerdem fehlen<br />

be<strong>im</strong> alleinigen Nukleinsäurenachweis<br />

wichtige Begleitparameter der konventionellen<br />

Blutkulturdiagnostik, wie die<br />

Bebrütungs dauer (t<strong>im</strong>e-to-positivity)<br />

oder die Anzahl positiver Blutkulturen,<br />

die helfen können, die klinische Relevanz<br />

des Befundes als tatsächliche Blutstrominfektion<br />

oder wahrscheinliche Hautkontamination<br />

einzuordnen.<br />

Darüber hinaus kann be<strong>im</strong> Nachweis<br />

mehrerer Erreger ein zusätzlich gefundenes<br />

Resistenzgen nicht sicher einem<br />

best<strong>im</strong>mten Ke<strong>im</strong> zugeordnet werden.<br />

So kann zum Beispiel bei gleichzeitigem<br />

Vorliegen von Staphylococcus aureus und<br />

Methicillin-resistenten Koagulase-negativen<br />

Staphylokokken nicht zwischen<br />

einer meldepflichtigen MRSA-Blutstrominfektion<br />

und einem MSSA-Befund<br />

mit zusätzlicher Hautkontamination<br />

unterschieden werden.<br />

Neue molekularbiologische Hochdurchsatzverfahren,<br />

die unter dem<br />

Schlagwort next-generation-sequencing<br />

(NGS) zusammengefasst werden, stellen<br />

ein vielversprechendes Werkzeug<br />

für die mikrobiologische Diagnostik<br />

der Zukunft dar. Diese Methoden erlauben<br />

es in wenigen Stunden die Basenpaarabfolge<br />

eines kompletten Bakteriengenoms<br />

zu beschreiben.<br />

Bioinformatische Analysen erlauben<br />

anschließend die Erregeridentifizierung<br />

oder die Best<strong>im</strong>mung von Resistenzgenen.<br />

So handelt es sich dabei um<br />

ein universelles Verfahren – das heißt,<br />

es können theoretisch sämtliche bakteriellen<br />

und viralen Erreger sowie Pilze<br />

mit einem Untersuchungsschritt ermittelt<br />

werden.<br />

Eine erste Durchführbarkeitsstudie bei<br />

wenigen Patienten konnte bereits zeigen,<br />

dass die Methode in der Diagnostik<br />

von Blutstrominfektionen funktionieren<br />

kann und dabei sowohl quantitative<br />

Aussagen zur vermeintlichen Erregerlast<br />

als auch Aussagen zu Antibiotikaresistenzen<br />

erlaubt (Grumaz; Genome<br />

Med 2016; 8:73). Bisher bleibt der Ansatz<br />

jedoch rein exper<strong>im</strong>entell und es<br />

fehlen aussagekräftige, klinische Studien,<br />

die den Einsatz der Systeme in der<br />

Routinediagnostik evaluieren.<br />

Massenspektrometrie – MALDI-TOF<br />

Neben molekularbiologischen Methoden<br />

hat in den letzten zwei Jahrzehnten<br />

vor allem die Massenspektrometrie,<br />

genauer die Matrix-assistierte Laser-<br />

Desorption-Ionisierung mit Flugzeitanalyse<br />

(engl. t<strong>im</strong>e of flight) oder kurz<br />

MALDI-TOF, die mikrobiologische<br />

Diagnostik revolutioniert. Aktuell werden<br />

mit diesem Verfahren Erreger sehr<br />

rasch identifiziert, jedoch keine Resistenztestungen<br />

durchgeführt.<br />

Das Verfahren beruht auf der Ionisierung<br />

bakterieller Proteine mittels Laserbestrahlung<br />

und Beschleunigung der ionisierten<br />

Partikel in einem elektrischen<br />

Feld. Abhängig von Ladung und molekularer<br />

Masse ergeben sich charakte-<br />

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<strong>Erregernachweis</strong><br />

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15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1990 1995 2000 2005 2010 2015<br />

Abb. 4: Anzahl der Publikationen zu den Stichworten „rapid detection“ und „blood culture“<br />

in der Datenbank PubMed 1990-2016<br />

ristische Flugzeitspektren, die mit einer<br />

Datenbank abgeglichen werden,<br />

die eine Vielzahl von Erregern enthält.<br />

Diese Methode eignet sich zuverlässig<br />

zur Erregeridentifizierung und hat seit<br />

ihrer Einführung zeitaufwendige biochemische<br />

Verfahren, wie die „bunte<br />

Reihe“, weitestgehend aus der Routinediagnostik<br />

verdrängt. Die Stärke des<br />

MALDI-TOF-Verfahrens liegt in den<br />

kurzen Bedienungs- und Analysezeiten<br />

von nur wenigen Minuten und dem geringen<br />

Kostenaufwand pro Probe.<br />

Standardmäßig kommt das Verfahren<br />

bisher zur Identifizierung von auf Festmedien<br />

angezüchteten Bakterienkolonien<br />

zum Einsatz. Mit entsprechenden<br />

Aufarbeitungsprotokollen kann aber<br />

auch eine Untersuchung direkt aus zuvor<br />

bebrüteten Blutkulturen erfolgen.<br />

Dieser Untersuchungsansatz funktioniert<br />

bereits stabil und ermöglicht in<br />

den meisten Fällen die Ke<strong>im</strong>detektion,<br />

noch bevor Reinkulturen des Erregers<br />

vorliegen.<br />

Zur Detektion von Antibiotikaresistenzen<br />

wird die Massenspektrometrie<br />

bisher nur exper<strong>im</strong>entell angewandt.<br />

Zwar wurde bereits beschrieben, wie best<strong>im</strong>mte<br />

Einzelresistenzen direkt oder<br />

indirekt mittels MALDI-TOF nachgewiesen<br />

werden können, bisher ist aber<br />

nicht absehbar, dass sich hieraus eine<br />

universell einsetzbare Methode für die<br />

Routinediagnostik ergibt, die der kulturbasierten<br />

Resistenztestung ebenbürtig<br />

ist. Nachteile der Massenspektrometrie<br />

sind die aufwendige technische<br />

Installation sowie die hohen Anschaffungskosten,<br />

die den wirtschaftlichen<br />

Einsatz eines MALDI-TOF-Systems<br />

nur in einem Großlabor mit entsprechend<br />

hohem Probenaufkommen ermöglichen<br />

und keine point-of-care-Diagnostik<br />

zulassen.<br />

Die Möglichkeit, die Massenspektrometrie<br />

mit Nukleinsäureamplifikationsverfahren<br />

zu kombinieren, soll an dieser<br />

Stelle nicht unerwähnt bleiben. Bei diesem<br />

Vorgehen werden universelle bakterielle<br />

Pr<strong>im</strong>er eingesetzt, um möglichst<br />

viele kurze Amplifikationsprodukte zu<br />

erhalten. Anschließend werden in einem<br />

zweiten Untersuchungsschritt die<br />

erzeugten Nukleinsäurestränge mittels<br />

Massenspektrometrie analysiert.<br />

Das Verfahren vereint die Vorteile beider<br />

Methoden, da es einerseits kulturunabhängig<br />

arbeitet, dabei aber ein<br />

wesentlich größeres Ke<strong>im</strong>spektrum<br />

erfassen kann als handelsübliche Multiplex-PCRs.<br />

Ein erstes kommerzielles<br />

System, das auf diesem Untersuchungsprinzip<br />

beruhte, war jedoch nicht zuletzt<br />

aufgrund der sehr hohen Anschaffungskosten<br />

sowie hoher Kosten pro Untersuchung<br />

wenig attraktiv und wurde bereits<br />

kurze Zeit nach seiner Einführung wieder<br />

in Europa vom Markt genommen.<br />

Der Stellenwert neuer Methoden<br />

in der Sepsisdiagnostik<br />

Nach wie vor stellt die kulturbasierte<br />

Erreger- und Resistenzdiagnostik in<br />

der Medizinischen Mikrobiologie den<br />

Goldstandard dar, an dem sich andere<br />

Methoden messen lassen müssen.<br />

Darüber hinaus konnte in der letzten<br />

Zeit die kulturabhängige Diagnostik<br />

durch neue Verfahren zur automatisierten<br />

Probenverarbeitung entscheidend<br />

verbessert und auch beschleunigt<br />

werden (Abbildung. 3). Die konventionelle<br />

Blutkultur ist daher aktuell das<br />

Mittel der Wahl zur kostengünstigen<br />

und universellen Diagnostik von Blutstrominfektionen.<br />

Die konventionelle Blutkulturdiagnostik<br />

konnte in der jüngsten Zeit durch<br />

Massenspektrometrie und molekularbiologische<br />

Verfahren sinnvoll ergänzt<br />

werden. Während die Massenspektrometrie<br />

bereits ein Routineverfahren<br />

darstellt, werden molekularbiologische<br />

Methoden aufgrund der vergleichsweise<br />

hohen Kosten bisher nur optional eingesetzt.<br />

Gerade molekularbiologische<br />

Verfahren können jedoch Abkürzungen<br />

innerhalb des diagnostischen Pfades<br />

ermöglichen und zeitnah eine erste<br />

Aussage zu wichtigen Erregern und<br />

Resistenzen erlauben.<br />

Der Einsatz kulturunabhängiger Methoden<br />

sollte stets eingebettet in die<br />

klassische Blutkulturdiagnostik <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer Stufendiagnostik erfolgen.<br />

Ausschlaggebende Parameter, die dem<br />

Diagnostiker Anlass zum Einsatz neuer<br />

Methoden geben können, sind beispielsweise<br />

die t<strong>im</strong>e-to-positivity, die<br />

Anzahl positiver Blutkulturen oder auch<br />

der mikroskopische Befund. Wichtig<br />

für die Indikationsstellung sind vor allem<br />

aber klinische Informationen, weshalb<br />

die Kommunikation zwischen behandelnden<br />

Ärzten und dem diagnostischen<br />

Labor entscheidend ist. Nur so<br />

kann eine fokussierte, schnelle Diagnostik<br />

und die korrekte Befundinterpretation<br />

bei kritisch kranken Patienten gewährleistet<br />

werden.<br />

Interessenkonflikte: Keine<br />

Prof. Dr. Bettina Löffler<br />

Dr. Steffen Höring<br />

Institut für Med. Mikrobiologie<br />

Universitätsklinikum Jena<br />

bettina.loeffler@med.uni-jena.de<br />

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