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Rauschtenberger-Ruhrstrasse 33. Heimatroman

Heimatroman und Entwicklungsgeschichte. Ein heißes Buch vom Leben am Rande des Ruhrgebietes kurz nach dem 2. Weltkrieg: Wie Julius »Jülle« Ewaldt seine Unschuld und Jugend verliert, als er hinter die Geheimnisse der Erwachsenen kommt und begreift, dass sie gar nicht anders können, as einander ständig zu verraten. Jülle ist einer, den man nicht so schenll vergisst ...

Heimatroman und Entwicklungsgeschichte.

Ein heißes Buch vom Leben am Rande des Ruhrgebietes kurz nach dem 2. Weltkrieg: Wie Julius »Jülle« Ewaldt seine Unschuld und Jugend verliert, als er hinter die Geheimnisse der Erwachsenen kommt und begreift, dass sie gar nicht anders können, as einander ständig zu verraten. Jülle ist einer, den man nicht so schenll vergisst ...

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die anderen ihn sahen, der Scheitel auf der falschen Seite, die eigentlich die richtige<br />

war. Und in den geschliffenen Glasrändern schillerten alle Farben des Regenbogens.<br />

Ihm wurde schwindelig.<br />

Alle Phantasiegefechte halfen nichts, er musste den Kampf mit der Wirklichkeit aufnehmen.<br />

Um Platz für den Zeichenblock zu schaffen, musste er den Büstenhalter<br />

seiner Mutter anfassen. Wie das wohl war, wenn man Brüste hatte? Und keinen Pimmel,<br />

sondern einen Schlitz und nur so ein klitzekleines kitzliges Ding? Ob der BH<br />

ihm passte? Wenn er ihn anzog, konnte er sich vielleicht besser vorstellen, wie es war,<br />

ein Mädchen zu sein. Er stopfte die Körbchen mit Socken aus. Warum nicht noch<br />

mehr Sachen anprobieren? Der Strumpfhaltergürtel war zu weit, die Nylonstrümpfe<br />

warfen Korkenzieherfalten um seine mageren Beine, die hochhackigen Schuhe waren<br />

zu eng. Er malte den Mund mit dem Lippenstift rot an, schmeckte süß und fruchtig,<br />

verrieb etwas Rot auf den Wangen und schminkte einen schwarzen Schatten um die<br />

Augen. Dann betrachtete er sich im Spiegel. Der Pimmel passte nicht ins Bild, er<br />

klemmte ihn zwischen die Schenkel. Nun schaute ein hübsches Mädchen aus dem<br />

Spiegel, das nur für ihn ganz allein da war. Der Pimmel wurde neugierig und sprang<br />

aus seinem Versteck hervor.<br />

Jülle saß auf einem der drei Stühle, die am Küchentisch standen (der vierte war ins<br />

Schlafzimmer verbannt worden, weil er der Tür zum Flur im Weg war) und schrieb<br />

in seiner schönsten Schrift: Unsere Wohnung. Herr Schmidtke hatte gesagt, sie sollten<br />

sich das Haus durchsichtig vorstellen und überlegen, wo im Haus ihre Wohnung<br />

läge. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er zur Haustür hereinkam, die<br />

Treppe hinaufging, vor der Wohnungstür stand, dann zeichnete er ein Rechteck und<br />

daneben noch eins. Das war die ganze Wohnung. Zwei mickrige Rechtecke. Wohnküche<br />

und Schlafzimmer. Fertig. Seine Mutter meinte, eine Küche ohne Spülstein<br />

und Wasserhahn wäre keine richtige Küche, und wenn man sich auf dem Flur waschen<br />

müsste, wäre es keine richtige Wohnung. Sie war von ihren Eltern früher Besseres<br />

gewöhnt. Über dem Tisch hing eine Gaslampe, deren Glühstrumpf so teuer<br />

und empfindlich war, dass man ihn noch nicht mal angucken durfte. Sie waren die<br />

einzigen im Haus, die noch eine Gaslampe hatten. Es wäre kein Problem gewesen,<br />

auch an die Zimmerdecke eine Stromleitung zu legen, seine Mutter hatte deswegen<br />

schon mit Bierkempers Bernd gesprochen, aber Hauswirt Kachel weigerte sich, das<br />

zu bezahlen. Aus dem Küchenherd stieg die Ofenpfeife auf, die den Qualm durch<br />

einen gefältelten Knick in das Schornsteinloch führte. Darüber erstreckte sich ein<br />

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