nicht vergessen, Solidarität - AWO Sachsen-Anhalt
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Herausgeber:<br />
<strong>AWO</strong> Landesverband<br />
<strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> e. V.<br />
Klausenerstr. 17<br />
39112 Magdeburg<br />
www.<strong>AWO</strong>-LSA.de<br />
Tagungsdokumentation<br />
... und <strong>nicht</strong> <strong>vergessen</strong>: <strong>Solidarität</strong><br />
Fachtag Bewältigungsstrategien freier Träger<br />
für die Gestaltung sozialer Arbeit im<br />
„aktivierenden Sozialstaat“<br />
Gemeinsame Veranstaltung von<br />
<strong>AWO</strong>-Landesverband <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> e. V.<br />
und Hochschule Magdeburg-Stendal<br />
25. Februar 2010<br />
Hochschule Magdeburg – Stendal<br />
Breitscheidstr. 2<br />
39114 Magdeburg<br />
2
Arbeitsgruppen ............................................................................ 29<br />
5. AG 1 Migration - "mitten drin statt außen vor"........................ 29<br />
Dokumentation AG 1<br />
Was haben der nationale Integrationsplan und daraus resultierende<br />
Aktivitäten in <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> wirklich gebracht? Welche gesellschaftlichen<br />
und sozialpolitischen Rahmenbedingungen fördern Integration vor allem<br />
bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund nachhaltig?<br />
Vorstellung der <strong>AWO</strong>/ISS „Reselienzstudie aus 2009”<br />
Dr. Sandra Heisig,<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) e. V.<br />
Frankfurt a. M.<br />
Prof. Dr. Michael Krummacher<br />
Prof. für Politikwiss./Sozialpolitik<br />
Ev. Fachhochschule RWL in Bochum<br />
Dr. Karamba Diaby<br />
Stadtrat der Stadt Halle (Saale)<br />
und MA Jugendwerkstatt “Frohe Zukunft Halle"<br />
Moderation Martin Höckmann<br />
Abteilungsltr. Sozialarbeit<br />
<strong>AWO</strong> Landesverband <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> e. V.<br />
6. AG 2 Fachkräftemangel - "Einrichtungen ohne Personal"........... 36<br />
Dokumentation AG 2<br />
Angesichts der demographischen Entwicklung, gesellschaftlichen<br />
und ökonomischen Veränderungen wächst der Bedarf an sozialen<br />
Dienstleistungen, Betreuungsangeboten für Kinder und Alte. Was<br />
macht soziale Berufe in einer Zeit kontinuierlicher Kostenreduzierung<br />
und zunehmenden Arbeitsbelastungen noch attraktiv? Ein öffentlicher<br />
Diskurs über soziale Berufe, ihre Rahmenbedingungen und<br />
gesellschaftliche Anerkennung ist überfällig!<br />
Frank Wolters<br />
Gewerkschaftssekretär für Bildung u. Sozialarbeit<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong><br />
Wilfried Nodes<br />
Redaktion Die Fachzeitschrift ForumSOZIAL<br />
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit<br />
Michael Kriegel<br />
Leiter <strong>AWO</strong> Akademie Helene Simon<br />
Moderation Prof. Dr. Titus Simon<br />
Prof. für Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung<br />
Hochschule Magdeburg-Stendal<br />
4
7. AG 3 Kinderarmut - "Kinder als Armutsrisiko?" ...................... 42<br />
Dokumentation AG 3<br />
Kinder und Jugendliche sind die Altersgruppe, die am häufigsten<br />
und stärksten von Armut betroffen ist. Wo liegen gesellschaftliche<br />
Ursachen und wie lassen sich Armut verhindern bzw. überwinden<br />
sowie gesell schaftliche Teilhabe und Chancengleichheit sicherstellen?<br />
Einen Monat nach der voraussichtlichen Entscheidung des<br />
Bundesverfassungsgerichtes zum SGH II eine erste Bestandsaufnahme -<br />
mit welcher Zielstellung?<br />
Prof. Dr. Helga Spindler<br />
Prof. für öffentliches Recht<br />
Gesamthochschule Essen<br />
Barbara König<br />
Geschäftsführerin<br />
Zukunftsforum Familie e. V. - Berlin<br />
Moderation Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />
Professor für Grundlagen und Methoden der Soztialen Arbeit<br />
an der Hochschule Magdeburg-Stendal<br />
8. AG 4 Ehrenamt - "Lückenbüßer oder........................................ 45<br />
neue Solidarisierung"<br />
Dokumentation AG 4<br />
Ehrenamt und freie Wohlfahrtspflege - Eine Partnerschaft auf<br />
Augenhöhe? Worin liegt die Bedeutung des Ehrenamtes in der<br />
sozialen Arbeit, was wollen Ehrenamtliche selbst, welche<br />
Rahmenbedingungen muss Wohlfahrtspflege garantieren<br />
und ist eine Integration des Ehrenamtes in unternehmerische<br />
Strukturen anstrebenswert - und wenn für wen?<br />
(Ein kritischer Blick zurück und nach vorne)<br />
Gabriele Stillger<br />
GF Freiwilligenakademie<br />
<strong>AWO</strong> Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe e. V.<br />
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme<br />
Prof. für Verwaltungswissenschaften<br />
Hochschule Magdeburg–Stendal<br />
Gerd Häuser<br />
Vorstandsvors. Bundesverband<br />
Deutsche Tafel e. V.<br />
Moderation Barbara Höckmann<br />
Dozentin für Methoden der Sozialen Arbeit<br />
Hochschule Magdeburg-Stendal<br />
9. Resolution der Fachtagung......................................................... 50<br />
zum Bundesverfassungsgerichtsurteil SGB II (Hartz IV)<br />
5
10. Anhang.......................................................................................... 52<br />
Vorträge aus den AG´s<br />
10.1 Herausforderung interkultureller Jugendpolitik..................... 52<br />
in den Kommunen<br />
(Vortrag AG 1)<br />
Prof. Dr. Michael Krummacher<br />
Prof. für Politikwiss./Sozialpolitik<br />
Ev. Fachhochschule RWL in Bochum<br />
10.2 Kinder brauchen mehr!............................................................... 60<br />
Das Konzept der Kindergrundsicherung<br />
(Vortrag AG 3)<br />
Barbara König<br />
Geschäftsführerin<br />
Zukunftsforum Familie e. V. - Berlin<br />
10.3 Protokoll der AG 1 Migration - .................................................. 66<br />
"mitten drin statt außen vor"<br />
Nancy Müller<br />
10.4 Fachkräftemangel - "Einrichtung ohne Personal"<br />
(Vortrag AG 2)<br />
Michael Kriegel<br />
Leiter <strong>AWO</strong> Akademie Helene Simon in Bonn<br />
6
Die neue Steuerung in den Sozialverwaltungen und das Kostenmanagement über<br />
Leistungsvereinbarungen sowohl im Sozial- wie im Gesundheitssektor scheinen demnach<br />
nur bedingt erfolgreich zu sein, denn das stetige Wachsen der Sozialausgaben konnte<br />
dadurch <strong>nicht</strong> verhindert werden. Wenn es Erfolge gibt, schlagen sie sich nur wenig in den<br />
Sozialausgaben nieder, denn diese werden primär durch politische Entscheidungen<br />
(internationalen Standortwettbewerb, Leistungskürzungen, Steuersenkungen) und deren<br />
Auswirkungen (Arbeitslosigkeit und Armut, berufliche Mobilität und Flexibilität) bedingt, die<br />
sich mit den Instrumenten managerieller Steuerung <strong>nicht</strong> beeinflussen lassen.<br />
Sozialausgaben sind auch immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die<br />
Kommunen sind Getriebene, denen das Wasser schon lange bis zum Hals steht. Die<br />
Effizienzpolitik der letzten 15 Jahre, also die Sozialverwaltung und sozialen Dienste<br />
wirtschaftlich und effizient aufzustellen, ist gescheitert (was <strong>nicht</strong> heißt, dass diese Politik<br />
nun beerdigt würde). Das scheint die Politik selber zu sehen, denn die Engagementpolitik,<br />
das Propagieren von Eigenverantwortung, Bürgerschaftlichem Engagement und die<br />
Versuche, die zivilgesellschaftlichen Vereinigungen stärker auf die Wahrnehmung sozialer<br />
Aufgaben (Sorge statt Geselligkeit) auszurichten (die Tafelbewegung wird in diesem<br />
Zusammenhang immer gerne als Best-Practice-Beispiel bemüht), kann man auch als<br />
Eingeständnis lesen, dass sich das Soziale mit den Instrumenten der Betriebswirtschaftslehre<br />
und mittels Wettbewerb <strong>nicht</strong> oder kaum steuern lässt.<br />
Ich vertrete die These, dass die neue Engagementpolitik vor allem als eine Strategie zur<br />
Eindämmung der kommunalen Sozialausgaben verstanden werden muss. Die damit<br />
verbundenen hehren Ziel wie Partizipation, Schaffung einer neuen Local Governance,<br />
Runde Tische, Verantwortungsteilung oder Bürgerkommune u.ä., sind lediglich<br />
semantischer Überbau, Euphemismen (also Schönreden) für den neuen sozialpolitischen<br />
Ansatz, den Bürger in die Verantwortung für das Soziale zu zwingen, zum Ko-Produzent zu<br />
machen, um so Kosten einzudämmen. Die neuen wohlklingenden Begriffe, mit denen der<br />
Umbau der sozialpolitischen Settings in den Kommunen beschrieben wird (Local<br />
Governance, Bürgerkommune, lokale Wohlfahrtsgesellschaft u.ä.) sind Verschleierungen<br />
dafür, Freizeit und Ruhestand der Bürger produktiv nutzen zu wollen und gesellschaftlich zu<br />
verwerten, den diese Sphären kennzeichnenden Müßiggang in effizientes Verhalten zu<br />
transformieren. So betrachtet, ist Engagementpolitik auch Teil der neuen staatlichen<br />
Effizienzpolitik. Die ersten Zwangsinstrumente dazu hat das Sozialgesetz bereitgestellt,<br />
vorerst für den Bürger, der zum Fall wird.<br />
4. Megatrend Dezentralisierung<br />
Lassen sich die beiden von mit behandelten Herausforderungen in der Sozialen Arbeit der<br />
Gegenwart, also die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse und die neue Engagementpolitik,<br />
als zwei Seiten einer Medaille sehen? Ich denke schon. Die Lohnentwicklung<br />
in der Sozialen Arbeit - das wurde schon erwähnt - ist erklärbar vor dem Hintergrund der<br />
von der ökonomischen Angebotstheorie seit langem geforderten Dezentralisierung von<br />
Lohnverhandlungen insgesamt und der von ihr vertreten These, Gewerkschaften seien<br />
überflüssig, da sie letztlich die betriebliche Effizienzsteigerung stören würden.<br />
Dezentralisierung überhaupt, so scheint mir, ist der Schlüssel zum Verständnis dieser und<br />
andere Entwicklungen in der Sozialen Arbeit. Durch die betriebswirtschaftlichen<br />
Entwicklungen in den Sozialverwaltungen und Sozialen Diensten sind wir schon seit<br />
12
Anhang: Folien des Vortrags<br />
Folie 1:<br />
Folie 2:<br />
15
Folie 3:<br />
Folie 4:<br />
16
Folie 5:<br />
Folie 6:<br />
17
Folie 7:<br />
Folie 8:<br />
18
Folie 9:<br />
Folie 10:<br />
19
4. Input 2<br />
Freie Träger im Spannungsfeld zwischen Aktivierungsstrategien<br />
und der Wahrung sozialer Rechte für Bürger<br />
Prof. Dr. Helga Spindler<br />
Professorin für öffentliches Recht<br />
Gesamthochschule Essen<br />
1. Aktivierung und freie Träger<br />
Zu dem Thema gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht.<br />
a) Ich beginne mit der guten: Der aktivierende Sozialstaat benötigt freie Träger.<br />
Das Konzept ist verbunden mit Deregulierung und Auslagerung von Aufgaben, gerade<br />
auch von Dienstleistungen und Betreuungsaufgaben im sozialen Bereich.<br />
Die Vorstellung vom aktivierenden Staat speist sich aus verschiedenen theoretischen<br />
Quellen. Es geht im Vergleich zur früheren Zeit um eine veränderte Rolle des Staats, eine<br />
neue Verantwortungsteilung 3 und Verwaltungsmodernisierung. Die Vertreter des<br />
aktivierenden Staats wollten den „all zuständigen“ Leistungsstaat, der sich ihrer Ansicht<br />
nach ständig selbst überforderte, wieder auf seine wesentlichen Aufgaben konzentrieren<br />
und stärker die Selbstregulierungskräfte in Wirtschaft und Gesellschaft einbeziehen. 4 Der<br />
aktivierende Staat war - jedenfalls von seinen Theoretikern und seinen im weitesten Sinn<br />
sozialdemokratischen Anhängern - <strong>nicht</strong> als neoliberaler Minimalstaat gedacht, sondern<br />
als einer, der der Gesellschaft, ihren Individuen und auch seinen Bediensteten fordernd<br />
und fördernd gegenübertritt, als eine Entwicklungsagentur in einer konzeptionell<br />
weiterentwickelten „Bürgergesellschaft“. Da wo er die Verantwortung für Erbringung von<br />
Leistungen übernimmt, erwartet er auch Gegenleistung. Durch neue Formen der<br />
Koproduktion soll die Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Akteure erreicht<br />
werden und schließlich will er Effektivität und Effizienz der Wertschöpfungskette staatlich<br />
garantierter Leistung steuern und überwachen, 5 was durch das gleichzeitig eingeführte,<br />
betriebswirtschaftlich ausgerichtete „Neue Steuerungsmodell“ erfolgen sollte. Dieses<br />
Konzept, das für alle staatlichen Aufgaben von der inneren Sicherheit über die Schulen<br />
und die Wirtschaftsförderung reicht, soll auch die sozialen Leistungen des Staates erfassen,<br />
was dann zum aktivierenden Sozialstaat im engeren Sinne führte, der die Rente, das<br />
Gesundheitswesen, die Pflege und die Arbeitsmarktpolitik erfasste.<br />
b) Jetzt kommt die schlechte Nachricht: Freie Träger, die sich einem solidarischen<br />
Menschenbild verpflichtet fühlen, die emanzipatorische Ziele vertreten, die <strong>nicht</strong> bereitwillig<br />
Sparvorstellungen der Verwaltung, am besten auch noch hoheitliche Kontrolle<br />
übernehmen und das gesetzlich geforderte Angebot freiwillig auf ein Minimum reduzieren,<br />
sind bisher <strong>nicht</strong> erwünscht.<br />
3 Kingreen Thorsten: Rechtliche Gehalte sozialpolitischer Schlüsselbegriffe. Vom daseinsvorsorgenden zum aktivierenden<br />
Sozialstaat. Schriftenreihe des deutschen Sozialrechtsverbands. 52, 2004, S. 25.<br />
4 Dahme Heinz-Jürgen / Wohlfahrt Norbert: Aktivierungspolitik und der Umbau des Sozialstaats in: Dahme u.a. (Hrg):<br />
Soziale Arbeit für den aktivierenden Staat Opladen 2003 S. 75-100.<br />
5 von Bandemer Stephan/ Hilbert Josef: Vom expandierenden zum aktivierenden Staat, in:<br />
Blanke B. Handbuch zur Verwaltungsreform 2.Aufl Opladen 2000 S. 17-25; Blanke Bernhard/ von Bandemer Stephan<br />
Der „aktivierende Staat“ in Gewerkschaftliche Monatshefte 1999, Heft 6 S. 321 f, 327.<br />
20
Die Ideen des aktivierenden Staats trafen ja in Deutschland auf ein System, das durchaus<br />
auch Verantwortungsteilung im Rahmen von vielfältigen Mitwirkungspflichten und auch<br />
gegenüber sozialen Verbänden ein Nachrang- bzw. Subsidiaritätsprinzip kannte.<br />
Deshalb bezogen sich die Vertreter des aktivierenden Staats zu Beginn auch noch auf die<br />
christliche Soziallehre. 6 Allerdings sahen sie ihre Vorstellungen in der bisherigen<br />
Entwicklung <strong>nicht</strong> verwirklicht und grenzten sich zunehmend deutlicher davon ab. Denn<br />
das in Deutschland gewachsene Subsidiaritätsprinzip begrenze in Wirklichkeit die staatliche<br />
Initiative und das habe zu ungesteuerten Entwicklungen geführt, die sich der öffentlichen<br />
Lenkung entzögen. 7 Diese historisch gewachsene Formen der Kooperation habe zu<br />
Verkrustung und kartellähnlicher Verfestigung geführt. 8<br />
Im neuen deutschen Modell geht die Initiative zur gesellschaftlichen Aktivität weder vom<br />
Bürger noch von gesellschaftlichen Vereinigungen, sondern vom Staat aus und wird von<br />
ihm gezielt gesteuert, ohne dass er die Leistung wie bisher auch selbst erbringen will. Die<br />
beste und effizienteste Steuerung erhofft man sich durch wettbewerbsimitierende<br />
Vergabebeziehungen. Dies führte zu einem grundlegend veränderten Umgang mit den<br />
sozialen Dienstleistern, die zwar mehr Aufgaben erfüllen, aber diese <strong>nicht</strong> mehr gestalten<br />
sollen. 9 Dieser Ansatz erklärt auch, warum sich Aktivierung und paternalistische<br />
Betreuungsformen <strong>nicht</strong> widersprechen müssen.<br />
Ich halte solche Auswirkungen keinesfalls für zwingend, aber nur dann, wenn sich andere<br />
Ziele und Umgangsformen durchsetzen. Die Freien Träger, die sich auf diesem Feld selbst<br />
auskonkurrieren, werden es schwer haben und am Ende von gewerblichen Dienstleistern<br />
<strong>nicht</strong> mehr zu unterscheiden sein.<br />
------<br />
Zur Veranschaulichung der Folgeprobleme möchte ich eine kleine Beobachtung aus einem<br />
anderen, <strong>nicht</strong> sozialen Bereich, dazwischenschieben, denn mit der Verlagerung von<br />
Aufgaben und dem Rückzug auf eine dann meist auch noch rein fiskalisch verstandene<br />
Steuerungspolitik geht sowohl ein deutlicher staatlicher Kompetenzverlust als auch ein<br />
politischer Verantwortungsverlust einher:<br />
Wir haben da in Köln ein anschauliches Beispiel. Es gab einmal eine sehr angesehene städtische<br />
Tiefbaubehörde, die im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung aufgelöst wurde. Für den schwierigen U-<br />
Bahn- Bau parallel zum Rhein und durch den alten römischen Stadtuntergrund wurden nur noch Aufträge<br />
vergeben an die Verkehrsbetriebe, an undurchdringliche Arbeitsgemeinschaften von Baufirmen ( „ARGEn“,<br />
gibt es auch in diesem Bereich, wo es <strong>nicht</strong> um den Umgang mit Menschen geht. ), an zahlreiche<br />
Ingenieurbüros. Alles wurde ausgeschrieben, ausnahmsweise ohne Vergabeverstöße, ohne Verbindung zum<br />
kölschen Klüngel oder dem Oppenheim –Esch- Fonds. Die Zwischenergebnisse, die in diesem Projekt bis<br />
2010 erreicht wurden, sind beachtlich. Ein Kirchturm ist abgesackt, praktisch drei Häuser sind eingestürzt,<br />
Tonnen von Baumaterial sind verschwunden, mindestens drei Bauabschnitte sind mit zu wenig Beton gefüllt<br />
und Protokolle wurden in großem Umfang gefälscht. Im Moment wird die Flutung einzelner Bauabschnitte<br />
vorbereitet, um weitere Einstürze zu verhindern. In unserem Zusammenhang aber wirklich interessant an dem<br />
Vorgang ist, dass außer einigen einfachen Arbeitern und einem Polier einfach keine Verantwortlichen für<br />
das Desaster zu finden sind.<br />
6 Trube Achim: Aktivierender Sozialstaat - Programmatik, Praxis und Probleme, in: NDV 2003 S. S.334 f. 335.<br />
7 v.Bandemer/Hilbert 2000 a.a.O. S. 20.<br />
8 Kingreen, Rechtliche Gehalte...(Anm. 1), S. 33.<br />
9 Trube Achim: Vom Wohlfahrtsstaat zum Workfarestate. Sozialpolitik zwischen Neujustierung und Umstrukturierung, in:<br />
Dahme u.a. (Hrg): Soziale Arbeit für den aktivierenden Staat Opladen 2003 S.177f., 188.<br />
21
Wenn eine Sozialbehörde abgebaut wird und die Kommune oder die Bundesagentur<br />
soziale Aufgaben irgendwohin auslagert, werden solche Katastrophen durch inkompetente<br />
Steuerung <strong>nicht</strong> so deutlich sichtbar, sondern entwickeln sich eher schleichend. Das macht<br />
das Erkennen und Reagieren schwerer - aber der Prozess verläuft ähnlich.<br />
2. Auswirkungen<br />
Genau betrachtet kann man eine Umrüstung an zwei Fronten feststellen : Im finanziellen<br />
bzw. ökonomischen Steuerungsbereich und in der inhaltlichen und fachlichen Ausrichtung<br />
der Dienstleistung, die mehr oder weniger damit verbunden ist. Und es gibt im neuen<br />
System keine „freien“ Träger, sondern beauftragte Dienstleister.<br />
Mehr als Bauarbeiter erbringen soziale Dienstleister ihre Arbeit im letztlich <strong>nicht</strong><br />
kontrollierbaren Raum zwischenmenschlicher Beziehung. Deshalb sollen sie<br />
ergebnisorientiert funktionieren, denn nur das lässt sich kontrollieren. Messen kann man<br />
z.B. die Zahl der Vermittlungen oder Abmeldungen aus dem Leistungsbezug. Persönliche<br />
Stabilisierung, aktiver Umgang mit Zeiten der Arbeitslosigkeit, ehrenamtliches Engagement<br />
und umgekehrt Resignation, zunehmende Erkrankung und Verzweiflung – alles das ist<br />
schwer messbar. Dazu kommt ein Grundmisstrauen gegenüber den Dienstleistern. Nicht<br />
nur, dass sie die Betroffenen ermuntern könnten, sich den ihnen auferlegten Zumutungen<br />
zu widersetzen, nein die Dienstleister haben ja auch immer ein ökonomisches<br />
Eigeninteresse, ihre Angebote auszuweiten.<br />
Die finanzielle Steuerung erfolgt über einen inszenierten Wettbewerb, durch<br />
Ausschreibungen und Vergabepraktiken, die durch den monopolistisch agierenden Staat<br />
aber von Anfang an verzerrt sind. Mit einseitig behördenorientierten Leistungsbeschreibungen<br />
und nur den von außen messbaren Erfolgskriterien, detaillierten Berichtspflichten und<br />
einem gnadenlosen Preiswettbewerb für soziale Dienstleister wird deren Selbstbestimmung<br />
bereits unterhöhlt. Dabei sollen sie so weit wie möglich von regulären Arbeitsbedingungen,<br />
Einsatz von Fachpersonal etc. Abstand nehmen und sie durch Honorarkräfte, Mini -Jobber<br />
oder Ehrenamtler ersetzen. 10 Das führt zur Absenkung von Gehältern und Fachlichkeit.<br />
Diese Beziehungen werden sich erst ändern, wenn die gesetzlichen Grundlagen verändert<br />
werden und die plumpe Wettbewerbsorientierung durch Vergabeverfahren zurückgenommen<br />
wird. Interessanterweise hat ein aus Wien stammender Managementberater, Peter<br />
Drucker, den gewinnorientierten Unternehmen die gemeinnützig orientierten Unternehmen<br />
wegen ihrer viel komplexeren Aufgaben- und Zielbestimmung als Vorbild empfohlen. Aber<br />
das ist eine Qualität, die verloren geht, wenn sich die gemeinnützigen Unternehmen im<br />
reinen Preiswettbewerb wie privatwirtschaftliche Firmen aufstellen sollen.<br />
10 Vergl. zuletzt: Dathe, Hohendanner, Priller, Wenig Licht, viel Schatten- der Dritte Sektor als arbeitsmarktpolitisches<br />
Experimentierfeld, WZBrief Arbeit vom 3.10.2009. Früher schon: Kühnlein, Wohlfahrt: Soziale Träger auf<br />
Niedriglohnkurs? Zur aktuellen Entwicklung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Sozialsektor 2006, bei<br />
www.labournet.de/branchen/dientsleistungen/allg/wohlkuehn.html ; dies.: Soziale Arbeit zum Niedriglohn ? ,2006 auf<br />
einer Seite von ver.di, ebenfalls online.<br />
22
dem Bereich der Schuldnerberatung vorgetragen werden und <strong>nicht</strong> insgesamt aus den<br />
sozialen Verbänden, zeigt hier eine Schwäche auf.<br />
Zusammenfassend:<br />
Bei der fachlichen Ausrichtung steht die Zielorientierung und im SGB II die Erforderlichkeit<br />
zur Arbeitseinmündung bei allen sozialen Dienstleistungen bis hin zur Kinderbetreuung und<br />
Pflege im Vordergrund. Das könnte durchaus etwas Positives haben: Der Blick auf die<br />
berufliche und persönliche Entwicklung des Klienten und das Einfordern von Mitwirkung an<br />
einer Erarbeitung von Perspektiven statt unverbindlicher Dauerakzeptanz auswegloser<br />
Lebensentwürfe.<br />
Diese Entwicklung wird allerdings durch eine andere weit überschattet: Nicht mehr gefragt<br />
ist die emanzipatorische Seite, das klassische Berufsethos der Helferberufe, das<br />
Menschenbild, das bei aller Einsicht in die begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten<br />
öffentlicher Hilfen, das einzelne Individuum akzeptiert und ihm hilft sich zu entfalten. Dazu<br />
gehört sowohl den Einzelnen zu befähigen, sich mit den gesellschaftlichen Anforderungen<br />
auseinander zu setzen und sie aufgrund eigener Entscheidung in sein Lebenskonzept zu<br />
integrieren, als auch ihn vor Übervorteilungen, ungerechtfertigten Eingriffen zu schützen<br />
und bei der Durchsetzung berechtigter Ansprüche zu unterstützen. Aber bei<br />
anwaltschaftlichem Verhalten, Ermunterung und Unterstützung besteht ja gerade die<br />
Gefahr, dass kurzfristig denkende Individuum <strong>nicht</strong> zu aktivieren. Früher hätte man das<br />
abschätzig als Handlangertum bezeichnet, heute wird das im Interesse des Auftraggebers<br />
ganz offen angestrebt. Die Zahl der Anleitungen für Sozialarbeit mit <strong>nicht</strong>motivierten oder<br />
unter Sanktionsandrohung zugewiesenen Klienten nimmt zu. 15<br />
Das ist übrigens <strong>nicht</strong> nur eine Tendenz bei allen Diensten im Umkreis des SGB II. Auch in<br />
der Jugendhilfe findet man <strong>nicht</strong> nur ein Austrocknen der beschäftigungsorientierten Hilfen<br />
wegen des SGB II und eine Dominanz der Außer- Haus- Betreuung von Kindern – und<br />
zwar <strong>nicht</strong> allein wegen der Entwicklungsmöglichkeiten für die Kinder, sondern um die<br />
Erwerbsmöglichkeiten der Eltern zu steigern. Man findet auch eine Unterordnung der<br />
restlichen pädagogischen Hilfen unter eine allgemeine Gefährdungsprävention. Die Träger<br />
von Einrichtungen und Diensten für Jugendliche und ihre Mitarbeiter werden z.B.<br />
vertraglich verpflichtet, bzw. unverblümt gezwungen, Gefährdungsrisiken abzuschätzen und<br />
Fachkräfte dafür vorzuhalten. Der ursprünglich vorbildliche Vertrauensschutz wird an<br />
dieser Stelle aufgebrochen. Auch hier haben wir eine Einbindung oder auch<br />
Funktionalisierung der Dienstleister, statt Aufbau oder Ausbau von behördlichen<br />
Ermittlungsdiensten eine Verlagerung behördlicher Aufgaben.<br />
3. Wahrung sozialer Bürgerrechte als Gegenstrategie<br />
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird eines deutlich: Sozialanwaltschaftliche<br />
Positionen sind unter diesen Bedingungen <strong>nicht</strong> selbstverständlich aufrecht zu erhalten.<br />
Nicht weil sie <strong>nicht</strong> gewollt oder nachgefragt würden, sondern weil die Bürger keine<br />
15<br />
Vergl. etwa Kähler Harro, Soziale Arbeit in Zwangskontexten, Reinhardt Verlag oder Gehrmann, Müller: Aktivierende<br />
soziale Arbeit mit <strong>nicht</strong> motivierten Klienten, Walhalla Verlag. Dabei ist unbestritten, dass Soziale Arbeit auch mit<br />
Zwangskontexten umgehen können muss, z.B. in der Bewährungshilfe, bei Eingriffen in der Jugendhilfe oder etwa bei<br />
Zwangseinweisungen in die Psychiatrie. Aber da ist individuelles, vorwerfbares Fehlverhalten oder Abwehr von Selbstoder<br />
Fremdgefährdung der Auslöser, was bei Arbeitslosigkeit und Armut <strong>nicht</strong> regelhaft unterstellt werden kann.<br />
24
Marktmacht haben und den Behörden diese Aufgabe und eine Unterstützungshaltung<br />
suspekt ist und der aktivierende Gesetzgeber sie auch noch darin bestärkt.<br />
Wer sich ganz dieser Dienstleistungsidee verschreibt, hat zwar möglicherweise keine<br />
Finanzierungsprobleme und keine Schwierigkeiten neue Aufträge zu bekommen - aber<br />
immer mehr Schwierigkeiten, sein Profil gegenüber den Bürgern zu wahren. Suppenküchen<br />
betreiben, das können auch andere Initiativen. Ein verlässlich unter Sanktionsandrohung<br />
zugewiesenes Klientel beschäftigen oder schulen, auch das können andere erledigen (im<br />
angloamerikanischen Bereich auch Privatfirmen).<br />
Deshalb kann man nur eines betonen: Wo der Bürger keine Marktmacht hat, benötigt er<br />
Rechte. Wenn diese unterstützt werden können, wenn er diese einfordern kann, hat auch<br />
der Dienstleister die Möglichkeit sich dabei zu profilieren und kann <strong>nicht</strong> durch den<br />
Bürgerinteressen entgegengesetzte Aufträge daran gehindert werden. Wie sich die Träger<br />
hier sozialpolitisch positionieren ist <strong>nicht</strong> Gegenstand meines Vortrags. Aber es kann sich<br />
lohnen, sich <strong>nicht</strong> nur in eine Monitoring- Gruppe oder einen ARGE- Beirat verbannen zu<br />
lassen, - so notwendig diese Hintergrundarbeit im Einzelfall sein mag.<br />
a) Vor allem die Beschäftigungsprojekte sind in großer Gefahr funktionalisiert zu werden,<br />
obwohl ihre Angebote für viele notwendig sind. Eine Forschungsgruppe um Margit Meyer<br />
hat durch ihre deutsch- amerikanischen Vergleiche und noch mehr Britta Grell hat zuletzt<br />
durch ihre Untersuchung über Workfare in den USA deutlich gemacht, dass der Einsatz<br />
von ehemals sozialen Trägern für eine dauerhafte schlecht bezahlte Workfare - Politik<br />
geradezu ein Kernstück neoliberaler Aktivierungspolitik darstellt. 16 Reguläre Arbeitsplätze<br />
für die Unterprivilegierten werden dabei <strong>nicht</strong> geschaffen, - aber ganze Stadtviertel von der<br />
allgemeinen Entwicklung abgekoppelt. Die Armen verwalten sich da letztlich in ihren<br />
abgeschotteten Stadtteilen auf niedrigstem Niveau selbst.<br />
Wenn sich Beschäftigungspolitik <strong>nicht</strong> von derartigen Zwangszuweisungen lösen kann, wird<br />
sie Bestandteil des Systems. Das gilt übrigens auch für die in <strong>Sachsen</strong> <strong>Anhalt</strong> entwickelte<br />
Bürgerarbeit, die trotz rudimentärer Vertragsform vollständig nach Workfareprinzipien<br />
konstruiert ist. 17<br />
Systematisch wird <strong>nicht</strong> nur in USA und Großbritannien staatliche Machtfülle auf<br />
Dienstleister übertragen: Auf Beschäftigungsträger, Bildungsträger und Arbeitsvermittler.<br />
Sie sollen <strong>nicht</strong> nur <strong>nicht</strong> mehr frei gewählt werden können, sondern Entwicklungsberichte<br />
und interne Führungszeugnisse an die Behörde liefern und dürfen teilweise schon das<br />
Existenzminimum unter Umgehung eines Verwaltungsakts kürzen oder die Betroffenen an<br />
andere Arbeitgeber ausleihen. 18 Bei Renitenz wird oft ohne Übergang der ganze<br />
Lebensunterhalt einschließlich der Miete eingestellt. Sanktionen, die früher bei<br />
unbegründetem Fehlverhalten auf dem ersten Arbeitsmarkt eingesetzt wurden, werden jetzt<br />
mehr und mehr bei begründetem Abwehrverhalten gegenüber solchen Dienstleistern<br />
eingesetzt. In Modellprojekten übernehmen bereits private Leiharbeitsfirmen das Geschäft.<br />
16 Eick, Grell, Mayer, Sambale: Nonprofit -Organisationen und die Transformation lokaler Beschäftigungspolitik,<br />
Münster 2004. Grell Britta, Workfare in den USA. Das Elend der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik, Bielefeld 2008.<br />
17 Spindler Helga, Laborversuche der Bundesagentur für Arbeit, www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik 7.8. 2007.<br />
18 Eine bereits weit verbreitete Praxis, vergl.:Vertragssimulation bei Ein-Euro-Jobs - eine Fortsetzungsgeschichte mit<br />
Dokumentation, info also Heft 4 /2006, S. 162 – 165.<br />
25
keine leere Hülse. Man erreicht Empowerment im besten Sinne, gerade auch<br />
wenn unterschiedliche Ansichten oder Interessengegensätze ausgetragen<br />
werden, statt sie zu unterdrücken. Gleichzeitig wird die qualitative Evaluierung<br />
durch eine externe fachliche Einrichtung gewährleistet, mit der den Kennzahlen<br />
des reinen Ausgabencontrolling inhaltliche Ziele und Ergebnisse an die Seite<br />
gestellt werden können. So bleiben dann etwa ein fairer Arbeitsmarkt oder ein<br />
hochwertiges Qualifizierungsangebot gesichert, die sonst dem Wettlauf um das<br />
billigste Angebot und die schlechtesten Arbeitsbedingungen zum Opfer fallen.<br />
Es gibt also selbst unter der Herrschaft des SGB II Gründe, den sozialen<br />
Dienstleistern mehr Eigenständigkeit zu belassen und dafür geeignete<br />
Finanzierungsformen bereit zu stellen.<br />
28
Der Nationale Integrationsplan wurde von der Bundesregierung, den Bundesländern, den<br />
kommunalen Spitzenverbänden, zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft, Medien,<br />
Wissenschaftlern und Migrantenorganisationen gemeinsam erstellt. Sein Ziel ist es, die<br />
integrationspolitischen Maßnahmen aller beteiligten Akteure auf der Grundlage<br />
gemeinsamer Analysen und Zielbestimmungen zu bündeln und somit Synergieeffekte für<br />
eine bessere Integration der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu<br />
erreichen. Hierzu haben sich alle Beteiligten auf insgesamt mehr als 400 Maßnahmen und<br />
Selbstverpflichtungen festgelegt. Diese beinhalten <strong>nicht</strong> nur die Forderung nach einem<br />
Bildungssystem, das <strong>nicht</strong> nur unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft handelt,<br />
sondern das praxistauglich mit der frühkindlichen Bildung bei Menschen mit<br />
Migrationshintergrund (z. B. Sprachförderung bereits in der Kita) agiert und dabei der<br />
vorhandenen Benachteiligung und Segregation aktiv entgegentritt. Konzeptionell schließt<br />
der Nationale Integrationsplan von 2007 auch die Forderungen nach<br />
Sozialraumorientierung ein. Die interkulturelle Arbeit ordnet sich dabei den vor Ort<br />
herrschenden Normen unter und reagiert bedarfsgerecht auf die Erfordernisse der<br />
Zielgruppe.<br />
Die genannten Postulate sind von den kommunalen Spitzenverbänden (DSt/DStGB, DLk)<br />
sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände (BAGFW) als<br />
Selbstverständnis ihrer interkulturellen Arbeit angenommen worden.<br />
Handlungsebenen für eine nachhaltige kommunale Integrationspolitik<br />
In Anlehnung an die Herausforderungen der Kommunen und freier Träger im Bereich<br />
interkultureller Handlungen, leitet Prof. Dr. Krummacher eigene Handlungsvorschläge ab<br />
und formuliert vier Maxime für eine wirksame und nachhaltige kommunale<br />
Integrationspolitik. Als erste Handlungsebene setzt er dabei auf Konzeptentwicklung und -<br />
Umsetzung, welches die systematische Erarbeitung von Leitzielen und Konzeptbausteinen<br />
als Querschnittsaufgabe der Akteure in den Vordergrund setzt. Dabei soll eine gezielte<br />
Vernetzung von interkulturellen agierenden Aktivitäten und Akteuren angestrebt und die<br />
Umsetzung und Weiterentwicklung des Konzepts protokolliert, sein Verlauf verfolgt und bei<br />
Bedarf gezielt gesteuert wird (Monitoring).<br />
In seinem zweiten Grundsatz spricht sich Krummacher für den verstärkten Ausbau der<br />
Partizipation aus, was insbesondere ein Wahlrecht für alle Ausländer/-innen mit längerer<br />
Aufenthaltsdauer mit einschließt. Dies bedeute <strong>nicht</strong> nur die Stärkung der kommunalen<br />
Ausländer- und Integrationsbeiräte sondern verstärkt auch den Abbau von Hemmschwellen<br />
bei der Annahme von Angeboten für Migranten in den Stadtteilen.<br />
In der Sozialraumorientierung, d. h., der Verbesserung des Wohn- und Wohnumfelds von<br />
Menschen mit Migrationshintergrund sieht Krummbacher einen weiteren Aspekt für eine<br />
gelingende Partizipation und Integration. Dies erfordere <strong>nicht</strong> nur, die Konzentration auf<br />
lokale Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu richten, sondern schließe eine<br />
dauerhafte und systematische Ani-Diskriminierungsarbeit ein.<br />
Die interkulturelle Öffnung von Verwaltungen und sozialen Diensten ist nach Ansicht<br />
Krummachers eine der Leitaufgaben der interkulturellen sozialen Arbeit. Insbesondere in<br />
den Verwaltungen und sozialen Einrichtungen sei Veränderung in der Personalpolitik eine<br />
30
esondere Herausforderung, insbesondere vor dem Hintergrund des Ausbaus und der<br />
Weiterentwicklung interkultureller Ressourcen und Kompetenzen.<br />
In seiner Zwischenbilanz macht Krummacher deutlich, dass das Rad in der kommunalen<br />
Migrations- und Integrationspolitik <strong>nicht</strong> neu erfunden, sondern nur weiter gedreht werden<br />
muss. In <strong>Sachsen</strong> – <strong>Anhalt</strong> sei man im Hinblick auf die Leitbilder und Empfehlungen für<br />
aktive Integrationsarbeit bereits aufmerksam geworden, ob diese allerdings auch<br />
umgesetzt würden, sei noch unklar. Allerdings, erklärt Prof. Krummacher, sei Integration<br />
ohne die Verbesserung der Lebenslagen von Migranten <strong>nicht</strong> nur im Wohnumfeld, sondern<br />
auch auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt <strong>nicht</strong> möglich. Insofern sieht er die<br />
Herausforderungen gelingender Migration weniger als eine ethnische, sondern wesentlich<br />
als soziale Aufgabe.<br />
TOP 2<br />
Junge Migranten am Übergang zwischen Hauptschule und Ausbildung –<br />
Resilienz, Bewältigungsstrategien und institutionelle Unterstützung<br />
Referentin: Frau Dr. Sandra Heisig, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />
Frankfurt am Main (ISS)<br />
Wie sieht die Situation junger Migranten auf dem Weg in ihr Berufsleben aus? Welche<br />
Herausforderungen kommen auf sie zu und welche Unterstützungsangebote sind<br />
vorhanden? Dr. Sandra Heisig vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt<br />
am Main (ISS) hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt e. V.<br />
drei Jahre den Weg junger Menschen mit Migrationshintergrund begleitet, die trotz<br />
Belastungen und schwierigen Lebensumständen den Übergang von der Schule in den<br />
Beruf gemeistert haben.<br />
Das Forschungsprojekt: „Resilienz und Lebensbewältigungsstrategien von jungen<br />
Menschen mit Migrationshintergrund beim Übergang von der Schule in den Beruf“ gibt<br />
Antworten auf die eingangs gestellten Fragen und erklärt gleichzeitig Zusammenhänge<br />
zwischen personalen und sozialen Ressourcen im Hinblick auf die Bewältigung der<br />
gestellten Herausforderungen einerseits und die daraus resultierenden Erfolge auf<br />
Leistung- und sozialer Ebene andererseits. Zielgruppe der Untersuchung waren 18 bis<br />
21jährige türkischstämmige Jugendliche bzw. Spätaussiedlerjugendliche, die sich im<br />
Übergang von der Schule zur Berufsausbildung befinden und alle Krisen und Brüche in<br />
ihrem Lebensverlauf aufwiesen. Diese wurden zum einen Teil mittels einer<br />
Fragebogenstudie (n = 386) und anhand von leitfadengestützten Interviews (n=15) zu<br />
ihrer Situation befragt. Berücksichtigt wurden hierbei Einflussfaktoren wie der familiäre<br />
Hintergrund der Probanden, aber auch Bereiche wie der Migrations- und Schulverlauf,<br />
sprachliche Kompetenzen, persönliche Einstellungen zur Zielerreichung aber auch die<br />
Unterstützungsmöglichkeiten durch Institutionen und des sozialen Umfelds.<br />
Als Ergebnis stellte sich heraus, dass die familiäre Unterstützung vorwiegend von der<br />
Mutter geleistet, aber auch durch andere Bezugspersonen gegeben werden kann.<br />
Institutionelle Angebote, z. B. in Jugendclubs finden zwar einen großen Anklang und sind<br />
der Zielgruppe auch meist bekannt, dennoch werden die Maßnahmen als intransparent<br />
und wenig vernetzend bezeichnet. Hier werden noch stärker individualisierte Angebote von<br />
31
Generationenwechsel; insbesondere bei Führungskräften. Diese Entwicklung verdeutlichte<br />
Kriegel an den zwei <strong>AWO</strong>-Kernbereichen Altenpflege und Kinderbetreuung.<br />
Der Pflegebereich hat eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung. Im Jahr 2007 waren<br />
500.000 Beschäftigte im Pflegebereich tätig. Das waren 30 % mehr als Ende der 1990er<br />
Jahre. Die Tendenz ist steigend. Es mangelt der Branche allerdings an Fachkräften. Da wir<br />
mit dem Thema Alter mehr als nur den Bereich der Pflege verbinden, stellte Kriegel heraus,<br />
dass konkret von der Sozialwirtschaft gesprochen werden muss.<br />
In der privaten Wirtschaft richten sich die Bereiche Sport, Freizeit, Medien, Mode, Mobilität<br />
und Tourismus gezielt an die ältere Zielgruppe. Kriegel forderte, dass sich auch die<br />
Sozialwirtschaft stückweise diesen Gebieten widmen sollte. Bei seinem zweiten Beispiel –<br />
der Kinderbetreuung – stellte er zunächst heraus, dass es derzeitig 50.300 Einrichtungen<br />
mit 348.000 pädagogischen Beschäftigten gibt. Der am meisten wachsende Bereich ist die<br />
Betreuung der „U3- Unter drei Jährigen“. Grund dafür ist der Rechtsanspruch auf<br />
400.000 neue Kita-Plätze bis zum Jahr 2013.<br />
Die Forderungen nach gutem, neu ausgebildetem Personal werden dringlicher. Im Jahr<br />
2014 wird es eine Bedarfslücke von 24.000 Fachkräften geben. Das hat höhere<br />
Anforderungen an den Einzelnen und das vorhandene Personal zur Folge. Kriegel<br />
bilanzierte die erforderlichen Schlussfolgerungen an die Träger sozialer Arbeit.<br />
Zusammengefasst bedeutet das Qualitätssicherung im Bereich des Marketing und beim<br />
Personal. Qualifiziertes Personal lässt sich mithilfe attraktiver Stellenbeschreibungen<br />
gewinnen. Zudem können besondere Anreize, wie z.B. Dienstwohnungen, in Aussicht<br />
gestellt werden. Der Aufbau von BewerberInnen-Pools – wie bei der <strong>AWO</strong> – ist ebenfalls<br />
eine mögliche erfolgsversprechende Personalgewinnungsstrategie. Der Einbezug von<br />
Vermittlungsagenturen und die Kontaktpflege zu ehemaligen Mitarbeitern, wie z.B.<br />
PraktikantInnen und Zivildienstleistenden, sind weitere Komponenten der<br />
Personalgewinnung. Als wichtige Zielgruppe dieser Maßnahmen nannte Kriegel vor allem<br />
junge Menschen, wie SchulabgängerInnen, AbsolventInnen des „Freiwilligen Sozialen<br />
Jahres“ sowie Zivildienstleistende. Weiteres Personal können ungelernte Arbeitskräfte,<br />
Senioren, Quereinsteiger und Wiedereinsteiger sein. Bei der Gewinnung von gutem<br />
Fachpersonal, sollte der „Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)“ genutzt werden.<br />
Kriegel sprach sich in diesem Zusammenhang für die Abkehr vom stark<br />
abschlussorientiertem Einstellungssystem aus. Informelle Kompetenzen sollten stärker<br />
berücksichtigt werden. Zu den Personalbindungsstrategien gehören: eine angemessene<br />
Vergütung, flexible Arbeitszeitmodelle, Identifikation mit dem Unternehmen (Affektives<br />
Commitment), Aus-, Fort- und Weiterbildung, Work-Life-Balance, Personalentwicklung<br />
sowie trägerbezogene Qualifizierungen von Beginn an (Fachschulen). Die <strong>AWO</strong> verfügt<br />
über entsprechende trägerbezogene Qualifizierungen. Zudem gibt es bei der <strong>AWO</strong> eine<br />
Interessengemeinschaft. Diese dient einer weiteren Personalbindungsstrategie, nämlich der<br />
individuellen Förderung der Fähigkeiten eines Einzelnen. Auch wenn es zahlreiche Ansätze<br />
gibt, bleiben noch immer Fragestellungen offen. Mit ihrer Beantwortung setzen sich die<br />
<strong>AWO</strong> und die Leuphana Universität Lüneburg auch zukünftig wissenschaftlich auseinander.<br />
37
2. Referat: Wilfried Nodes<br />
Nodes begann seine Ausführungen mit Angaben zur stark belasteten Risikogruppe der<br />
Sozialarbeiter. So haben Sozialarbeiter das höchste Risiko Opfer von Gewalt zu werden.<br />
Sie leiden häufig an Belastung/ Überlastung und haben ein hohes Krankheitsrisiko<br />
(Durchschnittliche Fehltage 14,7; Durchschnitt Deutschland: 12,4 Tage/ davon Männer:<br />
11,5 AU-Tage; Frauen: 15,7 AU-Tage). Auch psychische Erkrankungen sind häufig (Burn<br />
Out). In <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> hatten psychische Erkrankungen – im Jahr 2006 – mit einem<br />
Anteil von 13 % einen deutlichen Einfluss auf den Krankenstand. An dieser Stelle kritisierte<br />
Nodes die Anwesenheitsprämien der <strong>AWO</strong> Halle. Es sei kritisch, krankheitsbedingte An-<br />
bzw. Abwesenheiten finanziell zu belohnen bzw. zu bestrafen. Hinzu kommt, dass das<br />
Tarifgeschehen Organisationen prägt und belastet. So sind viele Gehälter <strong>nicht</strong><br />
tarifgerecht und Lohndumping ist ein Problem (Stundenlohn teilweise bei 7,00 €).<br />
Andererseits bestehen gute Beschäftigungsperspektiven. So ist die Beschäftigungsrate von<br />
PädagogInnen zwischen 1993 und 2008 kontinuierlich angestiegen. Momentan sind 4 %<br />
aller Beschäftigten in Deutschland im Sozialbereich angestellt; was Nodes als extrem hoch<br />
hervorhob. Er sprach in diesem Zusammenhang auch von einer krisensicheren<br />
Beschäftigung. In den vergangenen zehn Jahren gab es ein Arbeitsmarktplus von über 35<br />
% für SozialarbeiterInnen (Statistik Arbeitsagentur).<br />
Warum aber ist diese Entwicklung dennoch so gespalten, wollte Nodes wissen und nannte<br />
u.a. folgende These: „Die Situation der Häuptlinge verbessert sich mit der zunehmenden<br />
Geringbezahlung der Indianer.“ Zudem verdichten sich die Folgen der Ökonomisierung<br />
und es mangelt an räumlicher Mobilität und einem fehlenden gewerkschaftlichem<br />
Bewusstsein. Folgende wichtige Veränderungen stellte Nodes an dieser Stelle heraus:<br />
Budgetierung, Sozialraum, Segmentierung, Outsourcing, Leistungsverdichtung,<br />
Technokratisierung und Dokumentationspflicht, Leistungssteuerung/-kürzung, Zunahme<br />
von Kontrollfunktionen/-aufgaben, Priorisierung und darauf aufbauend eine zunehmende<br />
Vervorschriftung. Folge ist eine veränderte Aufteilung von Arbeit nach dem Prinzip: Führen<br />
und Leiten und Abrechnen; wodurch es verschiedene Ausbildungsbereiche gibt. Hinzu<br />
kommen eine sehr hohe Teilzeitquote und zeitlich befristete Stellen (über 60 %).<br />
Normative Standards müssen durchgesetzt werden. Dazu bedarf es einer politischen<br />
Positionierung; forderte Nodes. So muss auch ein neues Verständnis von Evaluation<br />
entwickelt werden – also weg vom monetären Ansatz. Es muss sich auch auf die<br />
Grundsätze der sozialen Arbeit zurückbesonnen werden und die berufsverbandliche<br />
Orientierung und Selbstorganisation sollen gestärkt werden. Jeder Einzelne sollte zu mehr<br />
Mobilität bereit sein und unanständige Beschäftigungsverhältnisse ablehnen. Die Chancen<br />
sind zwar gut aber die Bedingungen durchaus prekär, folgerte der Moderator Titus Simon<br />
und übergab das Wort an den dritten Referenten.<br />
38
3. Referat: Frank Wolters<br />
Wolters stellte zu Beginn seines Vortrags heraus, dass er im Folgenden einen Fokus auf die<br />
östlichen Bundesländer legen wird und speziell auf <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> eingehe. Vor dem<br />
Geburteneinbruch in den 1980er und 1990er Jahren hat es ein relativ gutes<br />
Jugendhilfesystem gegeben (siehe Kindertagesbetreuung). Trotz rückgängiger<br />
Geburtenquote wurde das vorhandene Personal erhalten, weshalb viele Teilzeitstellen<br />
entstehen mussten. Im Moment gibt es bei uns noch etwa 1.900 Kindertageseinrichtungen,<br />
stellte Wolters heraus. Dort arbeiten etwa noch 13.500 Menschen und davon<br />
besitzen nur 11.000 Personen eine Vollzeitstelle. Wolters fuhr fort, indem er darlegte, wie<br />
das Finanzierungssystem im Bereich der Jugendhilfe überhaupt funktioniert. Die<br />
finanziellen Mittel kommen aus der öffentlichen Kasse. Das gilt sowohl für private als auch<br />
für öffentliche Träger von Einrichtungen.<br />
In der Kindertagesbetreuung bekommen kommunale Angestellte bis zu 30 % mehr Gehalt<br />
als Beschäftigte bei freien Trägern. Die Summen, die das Land beisteuert, werden vom<br />
Landesparlament beschlossen (pauschale Landesfinanzierung). Die Kommune finanziert<br />
Kindertagesbetreuung in der Regel auf 100 % zu. De facto kommt in einer kommunalen<br />
Kindertageseinrichtung genauso viel Geld an, wie in einer Kindertageseinrichtung unter<br />
freier Trägerschaft. Als Kritik hob Wolters an dieser Stelle hervor, dass das Geld bei den<br />
Beschäftigten allerdings <strong>nicht</strong> ankommt. Innerhalb der letzten Jahre sind alle kommunalen<br />
Träger in freie Träger übergegangen. Die Personalkosten wurden in Sachkosten<br />
umgewandelt. An dieser Stelle wird klar, dass es normativer Standards bedarf, wenn die<br />
öffentliche Hand finanziert; bilanzierte Wolters und bezog sich somit auf seinen Vorredner.<br />
Die Bildung muss bereits in den Kitas beginnen, weshalb eine höhere pädagogische<br />
Qualität erforderlich ist. Circa 70 % der Beschäftigten sind MitarbeiterInnen der<br />
ehemaligen DDR, während nur 30 % jüngere Fachkräfte sind. Die Ausbildung in <strong>Sachsen</strong>-<br />
<strong>Anhalt</strong> betitelte Wolters als „ominös“, denn ein(e) AbiturientIn, der/ die sich gegen ein<br />
Studium entscheidet, bekommt einen Ausbildungsplatz als ErzieherIn, während<br />
RealschülerInnen und QuereinsteigerInnen dieser Platz verwehrt wird. Die Ausbildung zum<br />
Erzieher ist eigentlich nur möglich über eine vorgeschaltete Ausbildung; also eine<br />
Ausbildung zum SozialassistentIn oder KinderpflegerIn und dann kann aufgesattelt werden<br />
mit der Ausbildung zum ErzieherIn. Nach der Ausbildung kommt es möglicherweise zum<br />
Verdrängungswettbewerb seitens der AkademikerInnen.<br />
Laut Wolters muss die Ausbildung reformiert werden: HochschulabsolventInnen sollen für<br />
die Erziehungsarbeit gewonnen werden (Akademisierung) und der Beruf muss attraktiv<br />
gemacht werden. Zudem soll geprüft werden, wie die unterschiedlichen Arbeitgeber<br />
angelegt sind. In diesem Zusammenhang kritisierte Wolters die <strong>AWO</strong> in ihren<br />
Unterstrukturen und ihrem Maß an Outsourcing. Diese Aspekte verursachen ein fehlendes<br />
„<strong>AWO</strong>-Feeling“. Er stimmte Herrn Kriegel jedoch in der Gewinnung junger Menschen zu.<br />
Dabei schloss er ein angemessenes Einkommen und gute Arbeitsbedingungen ein.<br />
Abschließend ging Wolters der Frage nach, wie sich Beschäftigte für ihre Rechte stark<br />
machen können. Weil der Berufszweig der SozialarbeiterInnen generell schwer zu<br />
organisieren ist (außer im Kita-Bereich), muss der Zusammenhalt organisiert werden. Das<br />
ist auch wichtig, um tarifliche Missstände („Das Monstrum TVöD muss gebändigt werden.“)<br />
zu beseitigen. Flächentarifverträge soll es – laut Wolters – dennoch geben. Die<br />
tatsächliche Umsetzung bezweifelte Wolters an dieser Stelle jedoch. „Wir brauchen<br />
39
vielmehr einen Branchentarifvertrag!“ Er schloss mit der Forderung, eine transparente, für<br />
alle nachvollziehbare Finanzierung zu schaffen.<br />
Diskussion<br />
Die Diskussion begann mit mehreren Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum. Es<br />
wurden beispielsweise die Qualifizierungsangebote sozialer Träger bemängelt, nach der<br />
Funktionsweise qualitätsbezogener Evaluation gefragt sowie nach weiteren Ideen zur<br />
Problemlösung des Fachkräftemangels gesucht.<br />
Zudem wurden andere Erwartungen an die Arbeitsgruppe geäußert und der politische<br />
Verfall kritisiert. So bestand der Wunsch zu erörtern, wie man Einrichtungen auch mit<br />
weniger Personal leiten könnte. Simon appellierte an die Referenten, diesen Aspekt künftig<br />
mit in ihre Ausführungen aufzunehmen.<br />
Nodes versprach auf die Kritik der Weiterqualifizierungsangebote, im folgenden Monat<br />
einen Download berufsbegleitender Qualifizierungen auf den Seiten des Deutschen<br />
Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. anzubieten. In diesem Zusammenhang kritisierte er<br />
die Hochschulen für ihre Inflation und Diversität ihrer (Master-) Studiengänge. Auf die<br />
Frage nach einer qualitätsbezogenen Evaluation entgegnete Nodes, dass die Dienste der<br />
sozialen Arbeit als Einheit bzw. Lebenswelt in längeren Zeiträumen (fünf bis zehn Jahre)<br />
begriffen werden müssen und das es Bündnisse für Qualität geben muss. Kriegel stimmte<br />
seinem Vorredner in vielen Punkten zu. Er lobte die Existenz des Deutschen<br />
Qualifikationsrahmens, aber kritisierte den zu stark abschlussorientierten<br />
Qualifikationsrahmen und forderte Durchlässigkeit der Weiterbildungsmöglichkeiten und<br />
wünschte sich mehr Kooperationen zwischen Bildungsträgern. Er stellte zudem heraus, dass<br />
die <strong>AWO</strong> ein eigenständiges Qualitätsmanagement-System implementiert hat, welches<br />
auch eine angemessene Grundlage für qualitätsbezogene Evaluation ist.<br />
Wolters stellte heraus, dass der Fachkräftemangel <strong>nicht</strong> durch eine reine Akademisierung<br />
lösbar ist und forderte die Abschaffung strenger Vorausbildungen und verlangte eine<br />
grundständige Ausbildung, direkt nach dem Schulabschluss. HauptschülerInnen eignen<br />
sich <strong>nicht</strong> für eine Fachausbildung, es bedarf mindestens eines erweiterten<br />
Realschulabschlusses. Zudem müssen – so Wolters – überparteiliche soziale Bündnisse<br />
geschmiedet werden – auch wenn es schwierig ist. Eine erneute Wortmeldung aus dem<br />
Publikum bilanzierte, dass die Bedeutung der sozialen Arbeit in der Politik maßgeblich<br />
verändert werden muss.<br />
Simon bat die Referenten um ihr Schlusswort, um die Arbeitsgruppendiskussion<br />
abzuschließen. Frank Wolters schloss mit der Forderung, Finanzierungsmöglichkeiten<br />
weiter zu diskutieren und hob hervor, dass Ausbildungen <strong>nicht</strong> zum Nulltarif möglich sind<br />
und forderte, dass das Gemeinwesen auch von denen finanziert wird, die darin arbeiten.<br />
Michael Kriegel endete mit dem Appell, dass es eine Sozialwirtschaft geben muss; damit<br />
<strong>nicht</strong> „das eine gemacht und das andere verteufelt wird“. Betriebs- und Sozialwirtschaft<br />
müssen ineinander greifen. Er schloss mit der Aussage, dass Personalförderung<br />
und -motivation <strong>nicht</strong> nur Vergütung bedeutet und generell attraktiver gemacht werden<br />
muss.<br />
40
Wilfried Nodes hob hervor, dass er die Verzahnung zwischen Betriebswirtschaft und<br />
sozialer Arbeit <strong>nicht</strong> sinnvoll findet und forderte mehr Masterstudiengänge für soziale Arbeit<br />
und eine weniger starke Management-Ausrichtung der Angebote. „Wir dürfen <strong>nicht</strong> jeden<br />
Mist mitmachen und müssen uns für unsere eigenen Interessen einsetzen“, beendete er<br />
seine Ausführungen.<br />
Simon beendigte die Arbeitsgruppendiskussion, indem er herausstellte, dass die soziale<br />
Arbeit <strong>nicht</strong> mehr dort hin kommen wird, wo er einmal herkam (als Sozialarbeiter). Er<br />
interessiert sich <strong>nicht</strong> für die Akademisierung sozialer Berufe, weil der gesamte deutsche<br />
Bildungssektor - durch seine föderalistische Struktur - sowieso gelähmt ist. Er schloss mit<br />
der Aufforderung an die jungen Menschen, solidarischer mit anderen Trägern zu sein,<br />
einen Zusammenhalt zu entwickeln und diesen auch öffentlich zu zeigen. Simon dankte<br />
allen Teilnehmern und verabschiedete die Arbeitsgruppe.<br />
41
7. AG 3 Kinderarmut – „Kinder als Armutsrisiko?“<br />
Kinderarmut: Grundsicherung versus Renovierung<br />
des Sozialstaats<br />
Dokumentation AG 3: Neugebauer von Berg<br />
Laut UNICEF leben 2,4 Millionen Kinder in Deutschland in Armut. Die Altersgruppe der<br />
Kinder und Jugendlichen sind am häufigsten und stärksten von Armut betroffen. Einen<br />
Monat nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Hartz IV-<br />
Regelsätzen für Kinder fragte sich die Arbeitsgruppe „Kinder als Armutsrisiko“: Wie lässt<br />
sich Armut verhindern bzw. überwinden?<br />
Familienförderung: bürokratisch und sozial ungerecht<br />
„Kinder haben ein Recht auf gesundes Aufwachsen, auf Bildung, auf Teilhabe und auch<br />
auf ein Existenzminimum“, fordert Barbara König vom Zukunftsforum Familie (ZFF). Zurzeit<br />
bestehe in Deutschland aber ein untransparentes, bürokratisches und sozial ungerechtes<br />
System. Der steuerliche Kinderfreibetrag verschaffe gut verdienenden Familien bei voller<br />
Ausschöpfung monatlich ca. 100 Euro mehr als Normalverdienern. Denn Freibetrag und<br />
Kindergeld werden miteinander verrechnet. Kinder von SGB II-Leistungsbeziehern erhalten<br />
faktisch kein Kindergeld, da es auf ihr Sozialgeld angerechnet wird. Je nachdem, in<br />
welcher Familie ein Kind lebe, sei es dem Staat unterschiedlich viel wert, meint König.<br />
„Man weiß, dass ungefähr 10% aller Eltern den Freibetrag ausnutzen können. Aber 90%<br />
aller Eltern bekommen eben nur das Kindergeld.“<br />
Zudem hat das BVerfG entschieden, dass die aktuellen Regelsätze <strong>nicht</strong> den realen Bedarf<br />
von Kindern abbilden. Denn das Verfahren – Ableitung als Prozentanteil vom Eckregelsatz<br />
eines Erwachsenen – sei <strong>nicht</strong> nachvollziehbar. Die Einkommens- und<br />
Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt <strong>nicht</strong> den existenziellen Grundbedarf, deswegen kann<br />
der tatsächliche Bedarf eines Kindes auch <strong>nicht</strong> aus der Statistik abgelesen werden, erklärt<br />
Prof. Dr. Helga Spindler, Universität Gesamthochschule Essen.<br />
Auch den Kinderzuschlag erhielten zu wenige Familien, da er sich zu kompliziert gestalte<br />
und die Einkommensgrenzen zu starr seien, sagt Barbara König. Aus Studien gehe hervor,<br />
dass die Hälfte aller Familien, die beim Kinderzuschlag abgelehnt werden, nie Hartz IV<br />
beantragen. Damit hat der Kinderzuschlag sein Ziel verfehlt: Er sei <strong>nicht</strong> geeignet, Kinder<br />
dauerhaft aus der Armut zu befreien. Der Zuschlag könnte als ergänzender Anspruch<br />
bereits im Antrag zum Arbeitslosengeld II integriert werden, um Hürden zu senken, schlug<br />
Prof. Dr. Helga Spindler vor.<br />
Ein weiteres Problem für das Bündnis ZFF: das Ehegattensplitting. Es fördere nur<br />
traditionelle Ehen, unabhängig davon, ob dort Kinder großgezogen werden oder <strong>nicht</strong>.<br />
Lösung Kindergrundsicherung?<br />
Die Kindergrundsicherung im Sinne des ZFF orientiert sich in der Höhe der Leistung am<br />
gegenwärtigen Existenzminimum für Kinder, monatlich 502 Euro. Sie wird an alle Kinder<br />
ausgezahlt, unabhängig vom Einkommen der Eltern, der Kinderzahl und dem Alter der<br />
42
Kinder. Während allerdings Familien ohne oder mit geringem Einkommen die volle<br />
Summe erhalten, bezahlen Besserverdiener einen Großteil wieder an den Staat zurück.<br />
Denn die Kindergrundsicherung wird mit der Endprogressionsstufe besteuert, die die Eltern<br />
auch ohne Kinder gehabt hätten. Die Leistung hängt also vom Einkommen ab, die<br />
Besteuerung führt zu sozialem Ausgleich. Die Grundsicherung wird an Jugendliche bis 27<br />
Jahre ausgezahlt, um auch den Abschluss einer höheren Ausbildung zu gewährleisten.<br />
Was bedeute, dass sie zumindest den Förderanteil der Bafögzahlungen ersetzen würde.<br />
Wie bei jeder finanziellen Förderleistung bleibt natürlich offen, ob Eltern das Geld auch<br />
tatsächlich zum Wohle ihres Kindes einsetzen.<br />
Der Preis für eine Kindergrundsicherung<br />
Aktuell gibt die Bundesregierung für familien- und ehe-bezogene Maßnahmen 120,9<br />
Milliarden Euro pro Jahr aus. Die Kindergrundsicherung kostet nach ersten Schätzungen<br />
der Hans-Böckler-Stiftung rund 111 Milliarden Euro pro Jahr. Da jedoch die<br />
Grundsicherung die bisherigen Leistungen ersetze, blieben lediglich Ausgaben von 30<br />
Milliarden pro Jahr bestehen. „Es unterliegt der politischen Gestaltbarkeit, diese Summe<br />
auszugleichen“, meint König. Sie verwies auf unterschiedliche Steuerarten, wie eine<br />
Wiedereinführung der Vermögensteuer oder die Anhebung der Erbschaftsteuer. Die<br />
genauen Berechnungen von Dr. Irene Becker und Prof. Richard Hauser von der Hans-<br />
Böckler-Stiftung liegen voraussichtlich Ende Mai 2010 vor. Der Zwischenbericht zeige<br />
jedoch bereits, dass die Kindergrundsicherung einen deutlichen Anstieg des<br />
Familieneinkommens im unteren und mittleren Einkommensbereich, die Überwindung von<br />
Zugangshürden und eine Verminderung der Armutsquote mit sich bringen würde. Laut<br />
König könne sie daher Kinderarmut bekämpfen und Familienförderung sozial gerechter<br />
und transparenter machen. Auch die Politik könnte Ausgaben einfacher im Voraus<br />
kalkulieren. Teilhabe- und Bildungschancen könnten für alle Kinder verbessert werden.<br />
Dafür müsste parallel zur Kindergrundsicherung aber die Bildungsinfrastruktur ausgebaut<br />
werden. Die Berechnung ließe außen vor, dass laut Antidiskriminierungsrichtlinie der<br />
Europäischen Union ein hoher Prozentsatz der Kindergrundsicherung auch ins Ausland<br />
exportiert werden muss. Das koste eine Menge Geld, kritisierte Spindler. Hingegen gelte<br />
die Richtlinie <strong>nicht</strong> für bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen wie Sozialhilfe oder ALG II.<br />
Leistung lieber aus vielen Händen<br />
„Ich bin skeptisch gegenüber der Kindergrundsicherung. Denn Leistungen aus mehreren<br />
Händen könnten sich als stabiler herausstellen“, äußerte sich Prof. Dr. Helga Spindler. Das<br />
Modell der Grundsicherung möchte vieles auf einmal lösen und ziele <strong>nicht</strong> auf eine<br />
Verbesserung des bestehenden Systems ab. Insbesondere für die Vermischung von<br />
Basisgrundsicherung und Steuersystem gebe es keine Erfahrungen. Auch die 502 Euro<br />
deckten ihrer Meinung nach den Grundbedarf <strong>nicht</strong>. Schwerwiegender noch: Die<br />
Kindergrundsicherung ließe sich <strong>nicht</strong> vor dem Verfassungsgericht durchsetzen, da sie<br />
keinen Existenz sichernden Anspruch hat und sich stark steuerlich orientiert.<br />
43
Mängel im Sozialsystem ausbessern<br />
Doch auch das bestehende Sozialsystem müsse an einigen Stellen überarbeitet werden.<br />
Das BverfG habe mit seinem Urteil zu Hartz IV-Regelsätzen für Kinder lediglich bestätigt,<br />
was Fachleute seit 1990 schon kritisieren: Damals ersetzte die EVS das Warenkorb-Modell.<br />
Seit 1990 sind die Kinderregelsätze daher, laut Spindler, <strong>nicht</strong> mehr durch<br />
Bedarfsuntersuchungen geprüft worden. Ließe man neue Sätze von Statistikern berechnen,<br />
würden sie wahrscheinlich <strong>nicht</strong> wesentlich steigen. Denn es kämen zwar<br />
Bildungsausgaben hinzu, auf der anderen Seite würden aber Ausgaben für beispielsweise<br />
Energiekosten abgezogen, vermutet Spindler. Die Regelsätze seien sowieso nur in die<br />
Diskussion geraten, weil die Regierung mit der Kindergelderhöhung um 20 Euro <strong>nicht</strong><br />
gleichzeitig auch die Regelsätze angehoben hatte. Bei Jugendlichen ab 15 Jahren sieht<br />
Spindler eine ideologische Grenze, da geringere Regelsätze anreizen soll, auch schlecht<br />
bezahlte Erwerbstätigkeiten anzunehmen. Das Warenkorb-Modell hatte für die<br />
Altersgruppe noch einen deutlichen Mehrbedarf ermittelt. Jenseits von Warenkorb und EVS<br />
scheint es schwierig, den realen Bedarf zur Existenzsicherung festzustellen. Zu viele<br />
Institutionen orientierten sich am Bericht zur Existenzsicherung des Wirtschaftsministeriums.<br />
Für ihn werden „veraltete Regelsätze aus der Sozialhilfe genutzt, die <strong>nicht</strong> ausreichend<br />
geprüft und somit <strong>nicht</strong> bedarfsgerecht sind“, sagt Spindler. Ein weiterer Kritikpunkt:<br />
Bildungsausgaben zählen <strong>nicht</strong> zum Existenzminimum, daher sind sie auch <strong>nicht</strong> in die<br />
Regelsätze eingebunden. Bildungsausgaben sind Ländersache, die sehen sich aber <strong>nicht</strong> zu<br />
einer finanziellen Unterstützung rechtlich verpflichtet. Mit Urteil des BVerfG muss die Höhe<br />
der Bildungsausgaben nun erstmalig erhoben werden.<br />
Mehr kostenfreie Leistungen für Kinder<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband liefert eine alternative Untersuchung zum<br />
Mindestbedarf von Kindern unterschiedlichen Alters. Kinder bis 14 Jahre benötigten 80<br />
Euro mehr pro Monat zzgl. 80-100 Euro Unterkunftskosten. Allerdings könnten auch 250<br />
Euro monatlich ausreichen, wenn Kinder Nahverkehr, Schulessen, Sportkultur und<br />
Schulbedarf kostenlos nutzen könnten. Natürlich muss dies gleichermaßen für Kinder von<br />
SGB II-Empfängern wie auch von Geringverdienern gelten. „Dennoch ist es schwierig,<br />
ohne Geld Probleme zu lösen“, sagt Spindler. Demnach ist es von großer Bedeutung, wie<br />
hoch eine Leistung ausfällt.<br />
Fazit:<br />
Um Kinderarmut effektiv bekämpfen zu können, wird eine Gesamtstrategie benötigt, die<br />
finanzielle und strukturelle Förderung kombiniert, so das Fazit der Arbeitgruppe 3. Es geht<br />
darum, Chancen auf Bildung zu schaffen, die <strong>nicht</strong> vom sozioökonomischen Status oder<br />
dem Grad der Armutsbetroffenheit abhängen. Die Strategie muss berücksichtigen, dass<br />
Armut unmittelbar mit der Verteilung verfügbarer Arbeit zusammenhängt, resümiert<br />
Moderator Peter-Ulrich Wendt von der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH). Hierzu<br />
müsse ein öffentlich finanzierter Beschäftigungssektor für Personen geschaffen werden, die<br />
von den momentanen Beschäftigungsstrategien <strong>nicht</strong> erreicht werden. Es gilt auch, Arbeit<br />
geschlechtergerecht zu verteilen, überhöhte Arbeitszeiten zu reduzieren und<br />
sektorübergreifende Mindestlöhne zu fordern. Andererseits müssen Gemeinschaftlichkeit<br />
und eine gemeinwesenorientierte Perspektive gefördert werden, um mehr Teilhabe zu<br />
schaffen.<br />
44
2. Referat: Gerd Häuser<br />
Bürger und Bürgerinnen, die sich ehrenamtlich engagieren, sollten<br />
keine Aufwandsentschädigungen erhalten. Die Sozialverbände<br />
sollten mehr Druck ausüben, da zum Beispiel die Menschen in der<br />
Bundesrepublik Deutschland immer älter werden etc. pp. Doch es<br />
sollen auch keine Unkosten für diejenigen entstehen, die sich<br />
ehrenamtlich engagieren. Durch Fahrtkostenzuschüsse oder<br />
ähnlichen kann dies ausgeglichen werden.<br />
Das bürgerschaftliche Engagement geht in Deutschland zurück. Die<br />
fehlende Mobilisation sowie das Zeitmanagement eines jeden<br />
Einzelnen sind Gründe des Rückgangs. Da sich meistens ältere<br />
Menschen engagieren, muss mehr auf die Zielgruppe der Jugendlichen und der jungen<br />
Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen und sensibilisiert werden.<br />
3. Referat: Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme<br />
Zwei bis drei Prozent der Bundesbürger gaben an, dass sie schon<br />
einmal in einer Selbsthilfegruppe dabei waren. Bis heute halten<br />
sich die Zahlen konstant.<br />
Die Aktivierung und Organisation von bürgerlichem Engagement<br />
ist gegenwärtig <strong>nicht</strong> mehr nur die Domäne der<br />
Wohlfahrtsverbände. Das von der Regierung initiierte und<br />
finanzierte Bundesnetzwerk Bürgerliches Engagement (BBE) tritt als<br />
Zentralakteur, Koordinator und Impulsgeber in Sachen<br />
Bürgerliches Engagement auf. Das BBE beansprucht gegenüber<br />
den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege eine<br />
Führungsrolle in der Engagementpolitik.<br />
Seit der Rot-Grünen Schröder Regierung wurde mit einem radikalen Umbau des deutschen<br />
Sozialstaates begonnen. Das Bürgerschaftliche Engagement begann, Leistungsbezieher mit<br />
großer Marktnähe sollten unverzüglich vermittelt werden und marktferne Arbeitslose<br />
wurden qualifiziert. Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland, die <strong>nicht</strong><br />
vermittelbar waren, bekamen 1-Euro-Jobs oder Bürgerarbeit vermittelt. Die<br />
Gemeinwohlorientierung breitete sich aus. Die Bürger und Bürgerinnen wussten und<br />
wissen, was für ihre Gemeinde gut ist und was benötigt wird. Der Bürger hat soziale<br />
Rechte, aber vor allem hat er Pflichten dem Gemeinwesen gegenüber.<br />
Anhand von politischen Richtlinien bzw. Zielsetzungen wird das Freiwillige Engagement<br />
gesteuert. Das Engagement der Menschen in Deutschland sinkt, wenn nur durch Worte<br />
(Mobilisierung) etwas geschaffen werden soll. Öffentliche Fördermittel sowie die<br />
Wertschätzung jedes Einzelnen spielen eine große Rolle.<br />
Das Verhältnis von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege hat sich verändert. Aus der<br />
partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe entstand eine Arbeitgeber- und<br />
Arbeitnehmerbeziehung. Die Wohlfahrtspflege hat sich durch staatliche Finanzierungen<br />
abhängig gemacht. So kann sich der Kostenträger anhand der neuen Wettbewerbsregeln<br />
47
in die Bereiche der Sozialen Arbeit einmischen und die Preise der sozialen Dienste<br />
beeinflussen. Das hat zur Folge, dass sich die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen<br />
verändern. Die Anzahl der Teilzeitstellen erhöhen sich und übersteigen heute die<br />
Vollzeitstellen. In fast allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit lässt sich dieser Trend<br />
nachweisen. Durch Schaffung von verbandseigenen oder hauseigenen Tarifen findet<br />
außerdem eine reale Lohnsenkung statt. Abschaffung von Flächentarifverträgen und<br />
Dezentralisierung der Lohnverhandlungen werden gefordert, damit Betriebe und Regionen<br />
sich auf die wandelnden Wettbewerbsbedingungen einstellen können.<br />
Die Flexibilisierung der Löhne und Teilzeitarbeit haben <strong>nicht</strong> nur Auswirkungen auf die<br />
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sondern auch auf die Klienten der Sozialen Arbeit.<br />
Qualitätsverlust sowie mangelnde Motivation der Beschäftigten sind ebenfalls Nebenfolgen<br />
der Flexibilisierungsstrategien. „Der gegenwärtige Weg in die Dienstleistungsgesellschaft ist<br />
ein Holzweg, für die Bürger und Bürgerinnen sowie für die Beschäftigten in den Sozialen<br />
Diensten“, so Heinz-Jürgen Dahme.<br />
Diskussion<br />
In der Diskussion wurde über die<br />
Sinnhaftigkeit von Ehrenamt gesprochen.<br />
Gabriele Stillger merkte an, dass das<br />
bürgerschaftliche Engagement<br />
zurückginge. Immer mehr Frauen in<br />
Deutschland nehmen wieder einen Beruf<br />
auf. Auch gibt es wenige junge<br />
Erwachsene, die sich ehrenamtlich<br />
engagieren. Diese müssten für solch eine<br />
Tätigkeit sensibilisiert werden, was in der<br />
heutigen Zeit <strong>nicht</strong> ganz einfach ist.<br />
Bürgerinnen und Bürger, welche ALG II<br />
und eine Maßnahme erhalten, engagieren sich ebenso oft <strong>nicht</strong> ehrenamtlich. Für diese<br />
Personen ist es eine Pflichtleistung, die abzuarbeiten ist und somit auf keinen Fall freiwillig<br />
erfolgt.<br />
Die Moderatorin räumte ein, dass ein Großteil der Ehrenamtlichen selbst Betroffene sind.<br />
Eine Person aus dem Publikum meinte, dass Bürgerschaftliches Engagement die<br />
Sinnhaftigkeit des Handelns und das Selbstwertgefühl des Einzelnen stärkt. „Die Arbeit im<br />
Kindergarten ist mein Yoga“. „Wir sind der Staat und zirka fünf Mio. Euro werden für<br />
Menschen mit Behinderung in <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> im Jahr ausgegeben“, so eine weitere<br />
Wortmeldung. Auch wurde darüber diskutiert, ob Ehrenamtliche auf Augenhöhe mit dem<br />
Fachpersonal stehen. Auch da gingen die Meinungen auseinander. Die Einen meinten,<br />
dass die Entwicklung der Wohlfahrtspflege alle Bürgerinnen und Bürger mit zu<br />
verantworten hätten. Andere meinten, dass eine Hierarchie von Nöten ist. Es muss klar<br />
gestellt werden, wer etwas zu sagen hat und Grenzen müssen aufgezeigt werden. Die<br />
Wertschätzung eines jeden Einzelnen ist dessen ungeachtet gegeben. Die Augenhöhe kann<br />
aufgezeigt werden, in dem die Ehrenamtlichen mit ihren Ideen und deren Umsetzung, zum<br />
Beispiel anhand von Projekten, wahrgenommen werden.<br />
48
In Kindergärten sowie in Alten- und Pflegeheimen sind ehrenamtliche Mitarbeiter stets<br />
willkommen. Sie nehmen sich für die Anderen Zeit und kümmern sich liebevoll um sie.<br />
Ihnen steht ein ganz anderes Zeitmanagement zur Verfügung und sie können sich auf die<br />
Kinder und alten Menschen in den Kindergärten und Heimen einstellen. Als Lückenbüßer<br />
werden diese <strong>nicht</strong> dargestellt. Oft wird auch nur davon gesprochen, dass etwas getan<br />
werden muss. Besser wäre sofort zu handeln. Zum Beispiel soll <strong>nicht</strong> erst auf Spenden<br />
gewartet werden, sondern jeder sollte gleich los laufen, um selbst Spenden zu sammeln.<br />
Natürlich ist die Dauer der ehrenamtlichen Tätigkeit unterschiedlich. So wirft es die Frage<br />
auf, inwieweit Ehrenamtliche zuverlässig sind. Ebenso sind auch Personen, die<br />
Maßnahmen über die Bundesagentur für Arbeit ausführen, unzuverlässiger als das<br />
Fachpersonal. Denn wie schon Gabriele Stillger eingangs erwähnte, sind bezahlte soziale<br />
Erwerbstätige gegenüber den Freiwilligen Engagierten vertrags- und weisungsgebunden,<br />
zeitlich planbar und verlässlich. Ferner wurde darüber gesprochen, dass, sobald eine<br />
Aufwandsentschädigung oder ein kleiner Beitrag gezahlt wird, von bürgerschaftlichem<br />
Engagement <strong>nicht</strong> mehr die Rede ist.<br />
Im Publikum debattierten, unter anderem:<br />
Adrian Maerevoet, Behindertenbeauftragte der Landesregierung,<br />
Trygve Heinrichson, Dozent an der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH),<br />
Evelin Nitsch-Boek, Grundsatzreferentin Behindertenhilfe,<br />
Elke Dohrmann, Diplom Sozialpädagogin und Koordinatorin Kinder- und Jugendtelefon<br />
Harz e.V. (HBS),<br />
Studentinnen und Studenten der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) und viele Andere<br />
mehr.<br />
Fazit AG 4<br />
Bei den Tafeln steigt die Tendenz zur Industrialisierung (Mogelpackung). Das Ehrenamt<br />
wird (auch weiterhin) benötigt und muss mehr in die Öffentlichkeit getragen werden. Die<br />
Verpflichtungen der Wohlfahrtspflege bestehen darin bessere Qualitätsstandards zu<br />
entwickeln, Kontakte zu pflegen, Informationen weiter zu leiten und eine gegenseitige<br />
Wertschätzung sowie Verständnis zwischen Personen, die ein Ehrenamt ausführen und<br />
Fachpersonal zu fördern.<br />
Auch werden Rahmenbedingungen benötigt. Es müssen Strukturen erschaffen werden und<br />
tarifliche Entlohnungen für Arbeitnehmer erfolgen. Aufwandsentschädigungen für<br />
Ehrenamtliche werden zwar teilweise schon gezahlt, es stellt sich dann jedoch die Frage,<br />
ob es sich dann immer noch um ein Ehrenamt handelt. Ebenso muss darauf geachtet<br />
werden, dass sich Ehrenamtliche <strong>nicht</strong> ausnutzen lassen.<br />
Ehrenamt ist ein wichtiges Amt, welches jetzt und auch in den Folgejahren mehr als nötig<br />
gebraucht und geschätzt wird. Anhand von Rahmenbedingungen ist eine Integration des<br />
Ehrenamtes in unternehmerischen Strukturen anstrebenswert.<br />
49
9. Resolution der Fachtagung<br />
zum Bundesverfassungsgerichtsurteil SGB II (Hartz IV)<br />
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Hartz IV war ein erster Schritt, viele weitere müssen<br />
folgen…<br />
Gemeinsam gegen Kinderarmut<br />
Die TeilnehmerInnen der Fachtagung „… und <strong>nicht</strong> <strong>vergessen</strong> <strong>Solidarität</strong>“ -<br />
Bewältigungsstrategien freier Träger für die Gestaltung sozialer Arbeit in einem<br />
aktivierenden Sozialstaat - des <strong>AWO</strong> Landesverbandes <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> und der<br />
Hochschule Magdeburg-Stendal Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen am<br />
25.02.2010 begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV.<br />
Nun steht es fest:<br />
Die Berechnung der Regelleistungen bei der Grundsicherung für Erwachsenen und Kinder<br />
ist <strong>nicht</strong> realitätsgerecht.<br />
Die – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „ins Blaue hinein“ und „freihändig“<br />
geschätzte Festlegung der Regelleistungen führt insbesondere bei Kindern zu absurden<br />
Ergebnissen und ist damit verfassungswidrig.<br />
Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert bis zum 31.12.2010 die Regelsätze sachgerecht und<br />
transparent neu zu berechnen.<br />
Wir fordern hierzu eine unabhängige Kommission, die unter Beteiligung<br />
von Sachverständigen Parteien- und VerbandsvertreterInnen,<br />
bedarfsgerechte Kinderregelsätze ermittelt.<br />
Weiterhin sollen nach Maßgabe des Gerichts künftig Härtefallregelungen für<br />
unabweisbare, laufende besondere Bedarfe in das SGB II aufgenommen werden.<br />
Der vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft vorgelegte Härtekatalog, der eine<br />
Beschränkung auf bestimmte Bedarfe vornimmt ist <strong>nicht</strong> sachgerecht. Eine abschließende<br />
Liste kann besondere Bedarfe <strong>nicht</strong> abdecken.<br />
Wir fordern einen offenen Härtefallkatalog (insbesondere…), der den<br />
Einzelfall tatsächlich berücksichtigt. Die Jobcenter haben hier zukünftig<br />
im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden.<br />
In der derzeitigen Diskussion dürfen AsylbewerberInnen <strong>nicht</strong> <strong>vergessen</strong> werden. Das Leben<br />
unter Bedingungen des Asylbewerbergesetzes sind menschenunwürdig, da hier die<br />
derzeitigen Regelsätze nochmals um 30% gekürzt werden.<br />
50
Wir fordern deshalb die ersatzlose Streichung des Asylbewerbergesetzes<br />
und die Gleichstellung der Betroffenen mit SGB II/SGB XII BezieherInnen.<br />
Bereits im Vorfeld aber insbesondere nach der Urteilsverkündung wurde von politischen<br />
Mandatsträgern und bestimmten Medien eine neue Sozialneidsdebatte eröffnet, die<br />
arbeitende und arbeitslose Menschen gegeneinander auszuspielen versucht und<br />
LeistungsbezieherInnen als Sozialschmarotzer diffamiert.<br />
Wir treten allen Medien und Einzelpersonen entgegen, die arbeitslose<br />
Menschen beschimpfen und Vorurteile schüren.<br />
Wir verwehren uns dagegen, Familien und ihre Kinder durch die<br />
Gewährung von Gutscheinen und Sachleistungen zu stigmatisieren und<br />
ihnen notwendige Geldleistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts<br />
zu verweigern. Solche Vorschläge zielen darauf ab, Menschen zu<br />
entmündigen und ihnen eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung<br />
abzusprechen. Alle gesellschaftlichen und politischen Akteure haben eine<br />
besondere Verantwortung, Vorurteilen und Stigmatisierungen<br />
entgegenzutreten.<br />
Sosehr wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes begrüßen, können höhere Regelsätze<br />
für Kinder im Sozialgeldbezug und eine eigenständigen Ermittlung des tatsächlichen<br />
Bedarfs von Kindern nur ein erster Schritt sein.<br />
Höhere Kinderregelsätze allein lösen allerdings <strong>nicht</strong> die gravierenden Systemmängel<br />
unserer derzeitigen Familienförderung. Das System konnte <strong>nicht</strong> verhindern, dass derzeit<br />
mehr als 2,4 Mio. Kinder in der Bundesrepublik als arm gelten.<br />
Geldleistungen und Infrastrukturleistungen dürfen <strong>nicht</strong> gegeneinander ausgespielt werden,<br />
wie dies in der öffentlichen Debatte zur Kinderarmut allzu häufig passiert. Familien<br />
benötigen beides und für beides ist gleichermaßen Geld nötig.<br />
Alle Kinder benötigen eine chancengleiche Grundlage für ihr Aufwachsen, sowohl<br />
finanziell als auch durch kostenlosen Zugang zu Bildung, Betreuung und Erziehung.<br />
Ziel muss die Vermeidung von Armutsrisiken und die Beseitigung offensichtlicher<br />
Ungerechtigkeiten im jetzigen System sein. Es braucht politischen Mut für eine<br />
problemadäquate Gesamtlösung.<br />
51
10. Anhang<br />
Vorträge aus AG1, AG 3 und AG 2<br />
Protokoll AG 1<br />
10.1 Herausforderung interkultureller Jugendpolitik<br />
in den Kommunen 1<br />
Vortrag AG 1<br />
Prof. Dr. Michael Krummacher<br />
Prof. für Politikwiss./Sozialpolitik<br />
Ev. Fachhochschule RWL in Bochum<br />
Aufbau<br />
Vorbemerkung<br />
1. Rahmenbedingungen von Integrationspolitik und interkultureller Arbeit in den<br />
Kommunen<br />
2. Herausforderungen und Selbstverpflichtungen der Kommunen und freien Träger<br />
i.R. des Nationalen Integrationsplans von 2007<br />
3. Handlungsebenen für eine nachhaltige kommunale Integrationspolitik aus<br />
Referentensicht<br />
4. Interkulturelle Öffnung der Jugendhilfe als Schlüsselaufgabe der Verwaltung<br />
und freien Träger<br />
5. Schlussfolgerungen und offene Fragen<br />
Vorbemerkung<br />
In Forschung, Lehre und Weiterbildung sowie Praxisberatung befasse ich mich seit ca.<br />
20 Jahren mit Migrations- und Integrationspolitik, dar. besonders mit kommunaler bzw.<br />
lokaler Integrationspolitik. Meine Thesen leiten sich allerdings v.a. aus der Situation<br />
westdeutscher Städte ab und sind daher <strong>nicht</strong> ohne Weiteres auf ostdeutsche Städte<br />
übertragbar.<br />
Nach meinen Recherchen unterscheiden sich die Ausgangssituation und<br />
Integrationsbedingungen in <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> von der Situation im Westen v.a. durch (vgl.<br />
Integrationsbeauftragte S-A 2009):<br />
1 Vortrags-Thesen im Rahmen der Fachtagung: „Bewältigungsstrategien freier Träger für die Gestaltung sozialer Arbeit im<br />
‚aktivierenden Sozialstaat’“ - Arbeitsgruppe 1: Migration – „mittendrin, statt außen vor“ - Gemeinsame Veranstaltung<br />
von <strong>AWO</strong>-Landesverband <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> und Hochschule Magdeburg-Stendal am 25. Feb. 2010 in Magdeburg.<br />
52
Migranten/innen in <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> und anderswo im Bildungssystem, auf dem<br />
Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie bei den Bürgerrechten dürfte es um<br />
die Erfolgschancen kommunaler Integrationspolitik <strong>nicht</strong> sonderlich gut bestellt sein.<br />
Insofern ist die Integration von Migranten/innen auch weniger eine ethnische, sondern<br />
wesentlich eine soziale Frage.<br />
Offene Diskussionsfragen<br />
1. Macht interkulturelle Arbeit, interkulturelle Stadtpolitik und Jugendarbeit in einem<br />
Bundesland u. in Städten mit geringem Migranten/innen-Anteil überhaupt Sinn u.<br />
Warum?<br />
2. Welche unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Integrationsarbeit in ost- und<br />
westdeutschen Städten müssen beachtet werden?<br />
3. Welche Eckpunkte sind für die interkulturelle Öffnung der Jugendpolitik und<br />
Jugendhilfe in den Kommunen von <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> und in Magdeburg besonders<br />
wichtig?<br />
Ausgewählte Literaturhinweise<br />
Bertelsmann-Stiftung/ Bundesministerium des Innern (Hrsg.) (2005): Dokumentation<br />
Wettbewerb "Erfolgreiche Integration ist kein Zufall. Strategien kommunaler<br />
Integrationspolitik". Gütersloh<br />
Bukow, Wolf-Dietrich 2007: Die Rede von Parallelgesellschaften. Zum Umgang mit<br />
Differenzen. In: Bukow, W.D./ Nikodem, C./ Schulze, E./ Yildiz, E. (Hrsg.): Was heißt<br />
hier Parallelgesellschaft? Zum Umgang mit Differenzen. Wiesbaden: 29-51<br />
Bundesregierung. Presse- und Informationsamt (Hrsg.) (2007): Der Nationale<br />
Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen. Berlin<br />
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (2008): Zwischenbilanz der<br />
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zur Umsetzung des Nationalen<br />
Integrationsplans. In:<br />
http://www.staedtetag.de/imperia/md/content/pressedien/2008/17.pdf. Zugriff<br />
19.05.09<br />
DSt - Deutscher Städtetag (Hrsg.) (2007): Integration von Zuwanderern. Erfahrungen und<br />
Anregungen aus der Praxis in den Städten. Köln und Berlin<br />
DST - Deutscher Städtetag (Hrsg.) (2008): Nationaler Integrationsplan ist mit Leben erfüllt<br />
- Kommunen engagieren sich für erfolgreiche Integration. Kommunale<br />
Spitzenverbände legen Zwischenbilanz vor. In:<br />
http://www.kommunalweb.de/news/anzeigen.phtml?category=113&thema=Ausl%E<br />
4nder%2C+Migration%2C+Integration. Zugriff 19.05.09<br />
Gesemann, Frank/ Roth, Roland (2009): Kommunale Integrationspolitik in Deutschland.<br />
Einleitende Bemerkungen. In: Gesemann, F./ Roth, R. (Hrsg.): Lokale<br />
Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: 11-29<br />
Krummacher, Michael (2007): Migrations- und Integrationspolitik. Befunde und<br />
Herausforderungen. In: Zacharaki, Ioanna/ Eppenstein, Thomas/ Krummacher,<br />
58
Michael (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz vermitteln, vertiefen, umsetzen.<br />
Schwalbach/Ts.: 57-77<br />
Krummacher, Michael/ Kulbach Roderich (2009): Interkulturelles Konzept Stadt Essen:<br />
Umsetzung, Erfahrungen und Anregungen zur Übertragung. In: Gesemann, Frank/<br />
Roth, Roland (Hrsg.): Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft.<br />
Wiesbaden: 383-397<br />
Krummacher, Michael (2010): Kommunalisierung der Integrationspolitik. Zwischenbilanz<br />
zu den Herausforderungen, Entwicklungstrends und Widersprüchen. In: Dahme,<br />
H.J./ Wohlfahrt, N. (Hrsg.): Regiert das Lokale das Soziale? Die Kommunalisierung<br />
und Dezentralisierung Sozialer Dienste als sozialpolitische Reformstrategie.<br />
Baltmannsweiler: 143-160<br />
LzZ-NRW - Landeszentrum für Zuwanderung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2001):<br />
Praxisforum Interkulturelle Öffnung der Jugendhilfe. Solingen<br />
Landesregierung <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> (Hrsg.) (2005): Leitbild zur Entwicklung der<br />
Zuwanderung und Integration in <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> (v. Nov. 2005). In:<br />
http://www.sachsenanhalt.de/LPSA/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Integrationsportal/Dokumen<br />
te<br />
/Downloads/gesetezesdokumente/Leitbild_Zuwanderung_und_Integration_<strong>Sachsen</strong>-<br />
<strong>Anhalt</strong>.pdf. Zugriff: 18.02.2010<br />
Landesregierung <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> (Hrsg.) (2009a): Aktionsprogramm Integration (v. Juni<br />
2009). In: http://www.sachsenanhalt.de/LPSA/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek<br />
_Integrationsportal/Dokumente/startseite/Service/Aktionsprogramm_Integration.pdf.<br />
Zugriff: 18.02.2010<br />
Landesregierung <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> (Hrsg.) (2009b): Abschlussbericht „Integration im<br />
Dialog“. Handlungsempfehlungen der Dialogforen. In: http://www.sachsenanhalt.de/<br />
LPSA/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Integrationsportal/Dokumente/Integrat<br />
_im_Dialog/endbericht_DF.pdf. Zugriff: 18.02.2010<br />
MGFFI-NRW – Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2004): Integrationsarbeit effektiv organisiert. Ein<br />
Handbuch für Kommunen. Düsseldorf<br />
MGFFI-NRW – Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2008): Nordrhein-Westfalen: Land der neuen<br />
Integrationschancen. 1. Integrationsbericht der Landesregierung. Düsseldorf<br />
Verbundpartner „Zuwanderer in der Stadt“ (Hrsg.) (2007): Handlungsfeld: Stadträumliche<br />
Integrationspolitik. Ergebnisse des Projektes „Zuwanderer in der Stadt“. Darmstadt<br />
Referentenangabe<br />
Krummacher, Michael (1944), Dr., Professor für Politikwissenschaft/ Sozialpolitik der<br />
Ev. Fachhochschule RWL (i. R.); Arbeitsschwerpunkte: Migrations- und Integrationspolitik,<br />
Stadtentwicklung und Kommunalpolitik, allgemeine Sozialpolitik.<br />
Kontakt: krummacher@arcor.de<br />
59
Ein erster Zwischenbericht der Studie ergab, dass das Reformkonzept einer<br />
Kindergrundsicherung von 502 EURO „am stärksten im unteren und mittleren<br />
Einkommensbereich wirkt und – im Gegensatz zu anderen Konzepten – insbesondere<br />
verdeckte Armut systembedingt, also quasi automatisch, weitgehend abbaut.“ (siehe<br />
Arbeitsbericht Becker/Hauser, 2009, S.41 - erhältlich auf www.kinderarmut-hat-folgen.de)<br />
Tabelle 1:<br />
Monatliches Einkommen in EURO, Ehepaar, 2 Kinder unter 6 Jahren<br />
Brutto aktuell Netto aktuell Netto mit<br />
Kindergrundsicherung<br />
1.500 2.048<br />
(inkl.<br />
Sozialtransfers)<br />
2.387 (+ 16,5 %)<br />
1.500<br />
1.519 2.195 (+ 44,5 %)<br />
(verdeckte Armut)<br />
3.000 2.454 2.868 (+ 16,9 %)<br />
6.000 4.260 4.589 (+ 7,7 %)<br />
9.000 6.186 6.341 (+ 2,5 %)<br />
Tabelle 2:<br />
Monatliches Einkommen in EURO, Alleinerziehende/r, 2 Kinder<br />
unter 6 Jahren<br />
Brutto aktuell Netto aktuell Netto mit<br />
Kindergrundsicherung<br />
1.000 1.668<br />
(inkl. Sozialtransfers)<br />
2.013 (+ 20,6 %)<br />
1.000<br />
(verdeckte Armut)<br />
1.151 1.819 (+ 58,0 %)<br />
1.500 1.611 2.134 (+ 32,5 %)<br />
2.000 1.785 2.255 (+ 26,3 %)<br />
3.000 2.366 2.714 (+ 14,7 %)<br />
(Tabellen: vereinfachte Darstellung nach Becker/Hauser, 2009, S. 38)<br />
Becker und Hauser weisen eine stetige Steigerungsrate des Nettoeinkommens nach. Die<br />
größten Effekte treten bei der verdeckten Armut auf. Die monatlichen Einkünfte einer<br />
Familie, die heute weder ALG-II-Leistungen noch Kinderzuschlag oder Wohngeld erhält,<br />
würden von 1.519 EURO auf 2.195 EURO, also um 44,5 %, ansteigen. Noch besser wirkt<br />
die Kindergrundsicherung bei Alleinerziehenden: Am untersten Einkommensrand können<br />
sie ihre Einkünfte um mehr als die Hälfte erhöhen.<br />
63
3.2 Kosten<br />
Eine Kindergrundsicherung von 502 EURO monatlich würde knapp das Dreifache der<br />
heutigen Kindergeldzahlungen kosten, also pro Jahr rund 111 Milliarden EURO. Die<br />
realen Zusatzkosten werden durch den Systemwechsel auf rund 30 Milliarden EURO<br />
begrenzt. Durch das Aufgehen der bisherigen Leistungen (Kindergeld, Kinderzuschlag,<br />
Sozialgeld, Unterhaltsvorschuss, BAFöG, etc.) in Höhe von 43,9 Milliarden EURO in der<br />
Kindergrundsicherung fallen diese Kosten zukünftig weg. Daneben würden 30,5 Milliarden<br />
EURO an Kosten durch den Rückfluss aus der Einkommensbesteuerung gedeckt.<br />
Schließlich würde das Bündnis-Modell den Wegfall des Ehegattensplittings beinhalten, das<br />
in der Vergangenheit keine Kinder, sondern Ehen gefördert hat. Diese Reform würde dem<br />
Staat rund 7 Milliarden EURO Mehreinnahmen bringen. Die Umwandlung des<br />
Ehegattensplittings in eine Individualsteuer garantiert zudem eine solidarische<br />
Mitfinanzierung der Kindergrundsicherung.<br />
Zur Schließung der verbleibenden Finanzierungslücke von etwa 30 Milliarden EURO hat<br />
die Politik genügend Möglichkeiten. Beispielsweise könnten die Vermögens- und<br />
Erbschaftssteuern moderat angehoben werden. Vor einiger Zeit haben ver.di und IG Metall<br />
berechnet, dass so Steuermehreinnahmen von 20 Milliarden EURO jährlich erzielt werden<br />
können.<br />
3.3 Chancen und Risiken einer Kindergrundsicherung 3<br />
Die Chancen bestehen vor allem in einer Reduzierung der offenen und verdeckten<br />
Kinderarmut. Die Kindergrundsicherung sichert automatisch das soziokulturelle<br />
Existenzminimum aller Kinder und knüpft dabei an einen wesentlichen Befund<br />
jahrzehntelanger Armutsforschung an: Die geringen Quoten der Inanspruchnahme von<br />
Sozialleistungen haben ihre Gründe in Scham, Unwissen und Angst vor Stigmatisierung. So<br />
haben Irene Becker und Richard Hauser festgestellt, dass 2003 mindestens 1,8 Millionen<br />
Menschen in verdeckter Armut leben. Da über die Hälfte von ihnen soziale Transfers für<br />
Darlehen halten, die sie später an den Staat zurückzahlen müssen, scheuen sie den<br />
Antrag. Aus allen Armutsstatistiken fallen auch jene Familien, die nach einer Ablehnung<br />
beim Kinderzuschlag ihren Rechtsanspruch auf SGB-II-Leistungen verfallen lassen. Diese zu<br />
verdeckter Armut führenden bürokratischen Hürden würden bei einer pauschal und<br />
automatisch ausgezahlten Leistung wegfallen.<br />
Risiken könnten negative Verteilungswirkungen im unteren und mittleren<br />
Einkommensbereich sowie die vermeintliche Armutsverfestigung von Eltern sein. Gegner<br />
der Kindergrundsicherung befürchten, dass Eltern mit einem Einkommen knapp über der<br />
Hartz-IV-Grenze ein Großteil der Kindergrundsicherung „wegbesteuert“ würde.Ein solcher<br />
Fall könnte bei der vollen Einbeziehung der Kindergrundsicherung in die Steuerprogression<br />
eintreten. Der Vorschlag, die Besteuerung mit dem elterlichen Grenzsteuersatz Status Ante<br />
3<br />
Arbeiterwohlfahrt, Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunale Frauenbüros, Deutscher Kinderschutzbund, Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft, pro familia, Deutsche Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie , Verband<br />
berufstätiger Mütter, Zukunftsforum Familie, Prof. Dr. Hans Bertram, Prof. Dr. Stefan Sell, Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster,<br />
Prof. Dr. Margherita Zander, Prof. Dr. Heiner Keupp, Prof. Dr. Ronald Lutz.<br />
64
(ohne Kindergrundsicherung) durchzuführen, beseitigt allerdings diese Sorge, da<br />
Becker/Hauser eine stetige Verlaufskurve auch nach der Besteuerung berechnen.<br />
Ein weiteres Risiko besteht darin, durch die Kindergrundsicherung einen „sozialpolitischen<br />
Separatismus“ zu schaffen und zwar die Kinder, aber <strong>nicht</strong> deren Eltern, aus Armut und<br />
Hartz-IV-Abhängigkeit herauszuholen. Gegner der Kindergrundsicherung plädieren daher<br />
eher für eine „Konvoi-Strategie“, die zuerst die Eltern und danach deren Kinder aus der<br />
Armut holen solle. Diese Argumentation folgt einer familienzentrierten Sichtweise von<br />
Familienförderung, die mit dem neue System der Kindergrundsicherung verändert werden<br />
soll. Der strategische Ansatz besteht genau darin, Kinder – auch separat vom Einkommen<br />
ihrer Eltern – von Armut zu befreien. Dies widerspricht im Übrigen <strong>nicht</strong> dem Ziel einer<br />
umfassenden Armutspolitik. Auch das Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG fordert<br />
existenzsichernde Erwerbsarbeit über Mindestlöhne sowie die Überwindung von prekärer<br />
Beschäftigung und Lohndumpings durch Leiharbeit. Der Schwerpunkt wird dennoch<br />
zunächst auf die kindzentrierte Armutsbekämpfung gelegt.<br />
4. Fazit<br />
Mit Einführung der Kindergrundsicherung ist die Armut von Kindern <strong>nicht</strong> abgeschafft. Die<br />
Teilhabe an Einkommen ermöglicht <strong>nicht</strong> automatisch die Teilhabe an Bildungschancen<br />
und den Chancen auf ein gutes Leben. Die Kindergrundsicherung muss daher zwingend<br />
durch den Ausbau von frühkindlicher Bildung, ein durchlässigeres Schulsystem und bessere<br />
Ausbildungs- und Studienbedingungen begleitet werden.<br />
Schließlich wird die Kindergrundsicherung auch den Erschöpfungszustand armer Eltern<br />
<strong>nicht</strong> beseitigen. Aber durch sie wird ein wichtiger Grund für die Erschöpfung wegfallen:<br />
die Sorge um die materielle Sicherung ihrer Kinder. Ohne diese Sorge wird die<br />
notwendige Aktivierung der Eltern, die Verbesserung ihrer Erziehungskompetenzen und<br />
vielleicht auch ihr Bemühen um Erwerbsarbeit und die Sicherung des eigenen Lebens<br />
leichter gelingen.<br />
65
Am Ende seiner Ausführungen stellt Herr Krummacher fest, dass es schon viele gute<br />
Bemühungen in Bezug auf die Migrations- und Integrationspolitik gibt. In S.-A. jedoch sei<br />
noch unklar, inwieweit die Leitbilder und Empfehlungen für aktive Integrationsarbeit bisher<br />
umgesetzt worden sind. Er gibt zu bedenken, dass Integration ohne die Verbesserung der<br />
Lebenslagen von Migranten <strong>nicht</strong> nur im Wohnumfeld, sondern auch auf dem<br />
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, <strong>nicht</strong> möglich sei. Insofern sieht er die Herausforderungen<br />
gelingender Migration weniger als eine ethnische, sondern wesentlich als soziale Aufgabe.<br />
TOP 3: Junge Migrant/innen am Übergang zwischen Hauptschule<br />
und Ausbildung – Resilienz, Bewältigungsstrategien und institutionelle<br />
Unterstützung<br />
Referentin: Dr. Sandra Heisig<br />
<strong>AWO</strong>-ISS-Studie: Untersuchungsdesign, relevante Einflussfaktoren, Forschungsfragen<br />
Das ISS-Frankfurt a. M. hat in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt (<strong>AWO</strong>) von 2006 bis<br />
2009 das Forschungsprojekt „Resilienz und Bewältigungsstrategien von jungen Menschen<br />
mit Migrationshintergrund im Übergang von Schule in Ausbildung“ durchgeführt. Mit einer<br />
schriftlichen Fragebogenerhebung und persönlichen Leitfadeninterviews wurden dazu<br />
junge Menschen mit türkischem Migrationshintergrund und SpätaussiedlerInnen zwischen<br />
18 und 21 Jahren befragt. Dabei wurden folgende Einflussbereiche in die Untersuchung<br />
einbezogen: Spracherwerb u. -kompetenz; demographische Merkmale; Unterstützung<br />
durch Institution; Unterstützung durch soziales Umfeld; Einstellung zur beruflichen<br />
Zielerreichung; Migrations- u. Schulverlauf; Familiensituation u. personale Merkmale der<br />
Jugendlichen.<br />
Zentrale Fragestellungen der Studie:<br />
(1) Mit welchen Strategien gelingt jungen Menschen der Übergang in die Ausbildung?<br />
(2) Welche Unterstützungsangebote sind vorhanden und welche davon hilfreich?<br />
(3) Welche Handlungsleitlinien in Bezug auf förderbare Strategien gibt es?<br />
<strong>AWO</strong>-ISS-Studie: Ansatzpunkte zur Resilienzförderung am Übergang Schule – Beruf<br />
1) familiärer Hintergrund und Schulbildung<br />
Schulerfolg und die Sprachkompetenz in Deutsch sind wichtige Merkmale für eine<br />
erfolgreiche Bildungs- und Übergangsbiografie. Jugendliche und junge Erwachsene mit<br />
Migrationshintergrund sind sich dieser Bedeutung bewusst. Die individuelle und<br />
herkunftsspezifische Migrationsgeschichte bestimmt dabei den Spracherwerb. So bewerten<br />
auch junge Menschen mit eigener Migrationserfahrung den individuell gezielten<br />
Spracherwerb als wichtiger. Der Erwerbsstatus der Väter in Hinblick auf<br />
Arbeitsmarktintegration sowie die Rollenvorstellungen in der Familie stellen die Weichen<br />
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Fachtag<br />
<strong>AWO</strong> Landesverband <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong><br />
Fachhochschule Magdeburg – Stendal am 25.02.2010<br />
AG 2 Fachkräftemangel – "Einrichtung ohne Personal"<br />
Michael Kriegel
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Erscheinungsformen gesellschaftlicher<br />
Entwicklungen<br />
© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.<br />
Demographischer Wandel<br />
Individualisierung und Pluralisierung<br />
der Gesellschaft<br />
Neue Kommunikationswege und Technologien<br />
im Alltag und Beruf<br />
Organisieren von gesellschaftlicher Teilhabe<br />
und bürgerschaftlichem Engagement
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© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.<br />
Diametraler Verlauf in der SW<br />
Wachstumsbranche SW<br />
sinkendes Arbeitskräfteangebot<br />
+ hohe Fluktuation in einigen Bereichen der SW<br />
+ Generationenwechsel, insbesondere von Führungskräften
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Der Pflegebereich hat in unserer Gesellschaft eine hohe volkswirtschaftliche<br />
Bedeutung:<br />
In 2007 waren rund 500.000 Beschäftigte im Pflegebereich insgesamt tätig.<br />
30% mehr als im Vergleichzeitraum Ende der 90er Jahre. Tendenz steigend.<br />
(Quelle: Institut der Wirtschaft Köln, 2009)<br />
Der Bedarf an entsprechendem Fachpersonal kann <strong>nicht</strong> gedeckt werden.<br />
Im Dezember 2008 wurden 17.000 Altenpfleger/-innen, Sozialarbeiter/-innen,<br />
Erzieher/-innen gesucht. Das waren 71% mehr als ein Jahr zuvor.<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit Nürnberg, 2009<br />
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© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.<br />
Das Zwiebelmodell der Seniorenwirtschaft
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Wachsender Arbeitsmarkt (Ausbau U 3)<br />
2002 rd. 191.000 Betreuungsplätze<br />
2006 rd. 251.000 Betreuungsplätze<br />
2009 rd. 381.000 Betreuungsplätze<br />
Rechtsanspruch auf U 3 Betreuungsplätze ab 2013:<br />
Weitere ca. 400.000 neue Plätze<br />
Quelle: Deutsches Jugendinstitut München, Robert Bosch Stiftung Berlin
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Verknappung qualifizierter<br />
Fach- und Führungskräfte<br />
Steigende Marktpreise<br />
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Verstärktes Umwerben der<br />
vorhandenen Fachkräfte<br />
Abnehmende Bindungsbereitschaft<br />
Gefahr eines "qualitativen<br />
Aderlasses"<br />
PE als personalpolitischer Schwerpunkt<br />
Weitere Entwicklungen<br />
durch<br />
Globalisierung<br />
Höher Anforderungen an<br />
vorhandenes Personal
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Attraktive<br />
Außendarstellung<br />
Ö.A.<br />
Positives<br />
Image<br />
Personalmarketing<br />
Positive<br />
Darstellung<br />
Berufsbildern<br />
Qualitätsbewusstsein
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Personalgewinnung<br />
Attraktive Stellenausschreibungen<br />
Besondere Anreize betonen<br />
Interne/externe Personalgewinnung<br />
Aufbau von Bewerber/-innen-Pools<br />
Kontaktpflege<br />
Einschaltung von Vermittlungsagenturen<br />
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Informativ, umfassend, zielführend<br />
Dienstwohnung, Monatskarte öV, sonstige<br />
Vergünstigungen etc.<br />
Interne Leistungspotenziale fördern oder<br />
externe Kompetenzen dazuholen<br />
Verbünde, Kooperationen auf unterschiedlichen<br />
Gliederungsebene schließen<br />
Ehemalige Praktikanten, Zivis, Schulen,<br />
Ehrenamtlichen etc.<br />
Personalberater, Headhunter, Arbeits-<br />
agenturen etc.
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Personalgewinnung<br />
anzusprechende Zielgruppen<br />
© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.<br />
Junge Menschen, Schulabgänger, Zivis, FSJler<br />
Quereinsteiger *)<br />
Senioren ("Silverworker")<br />
Ungelernte Arbeitskräfte *)<br />
Wiedereinsteiger "Stille Reserven"
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© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.
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Personalgewinnung<br />
anzusprechende Zielgruppen<br />
© Michael Kriegel <strong>AWO</strong> Bundesverband e.V.<br />
Junge Menschen, Schulabgänger, Zivis, FSJler<br />
Quereinsteiger *)<br />
Senioren ("Silverworker")<br />
Ungelernte Arbeitskräfte *)<br />
Wiedereinsteiger "Stille Reserven"
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*) Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)<br />
Niveauindikator<br />
Anforderungsstruktur<br />
Fachkompetenz Personale Kompetenz<br />
Wissen Fertigkeiten Sozialkompetenz Fertigkeiten<br />
Tiefe und<br />
Breite<br />
Instrumentelle und<br />
systemische Fertigkeiten,Beurteilungsfähigkeit<br />
Team-/Führungsfähigkeit,Mitgestaltung<br />
und<br />
Kommunikation<br />
Selbständigkeit/Verantwortung,<br />
Reflexivität und<br />
Lernkompetenz<br />
Quelle: AK Deutscher Qualifikationsrahmen
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Deutsche Qualifikations-Typen<br />
8 Doktorat<br />
7 MA, Meister, strategischer Professional<br />
6 BA, Meister, operativer Professional<br />
5 Spezialist, Betriebsassistent<br />
4 Fachkräfte<br />
3 Fachkräfte, theoriegemindert<br />
2 Berufsausbildungsvorbereitung, Qualifizierungsbausteine<br />
1 Allgem. und berufliche Basiskompetenz (Pflichtschulabschluss)<br />
Quelle: BiBB,Bonn 2009
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Personalbindung<br />
Angemessene Vergütung - Gehaltszahlungen<br />
Flexible Arbeitszeitmodelle<br />
Job Rotation, Job Enlargement, Job Enrichment<br />
Affektives Commitment vs. kalkulative Commitment<br />
Aus-, Fort- und Weiterbildung<br />
Trägerbezogene Qualifizierungen von Anfang an<br />
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Personalbindung<br />
Work-Life-Balance / Vereinbarkeit Familie und Beruf<br />
Einhaltung betrieblicher Qualitätskriterien<br />
Gesundheitsprävention und -förderung<br />
Weiterqualifizierungsangebote für ältere Beschäftigte<br />
Attraktives und aktives Betriebsklima<br />
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Personalentwicklung<br />
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Kontinuierliche Führungsaufgabe<br />
Erstellung und Implementierung eines<br />
systematischen Entwicklungskonzeptes<br />
Maßnahmen, die MA befähigen, alle gegenwärtigen und<br />
zukünftigen Anforderungen zu bewältigen<br />
Individuelle Förderung der Anlagen und Fähigkeiten jedes<br />
Einzelnen sowie Maßnahmen zur Entwicklung und Verbesserung<br />
der Leistungsfähigkeit und –bereitschaft
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!