Pictorial 6-17
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PICTORIAL<br />
ART BUYER’S DIGEST<br />
ISSN 2366-2735<br />
6/20<strong>17</strong><br />
November/Dezember 20<strong>17</strong><br />
Deutschland EUR 6,00<br />
Österreich: EUR 7,00<br />
Schweiz: SFR 10,50<br />
feature:<br />
Kriegfotografinnen<br />
in<br />
Europa<br />
interview:<br />
Stefan Ploghaus<br />
bildbände:<br />
Girls on Girls<br />
portfolio:<br />
Amélie Losier<br />
Gitta Seiter
inhalt PICTORIAL 6/20<strong>17</strong><br />
interview<br />
Alles von unterwegs – mauritius images<br />
launcht Fotogragen-App<br />
Als erste der etablierten deutschen<br />
Bildagenturen bietet mauritius<br />
images Fotografen die Möglichkeit,<br />
Bilder via App anzuliefern.<br />
Die Agentur hat die Fotografen-<br />
App entwickelt, um die stetig<br />
zunehmende Nachfrage nach<br />
authentischem Bildmaterial noch<br />
besser bedienen zu können.<br />
Foto: Pitopia / Picture One<br />
Seite 20<br />
feature<br />
Wir können auch anders<br />
Seit über hundert Jahren sind Publikumszeitschriften wichtige<br />
Medien des Fotojournalismus. Fast genauso lange veröffentlichen<br />
Fotografen ihre Themen aber auch in Büchern. Diese werden den<br />
Geschichten oft viel besser gerecht als die wöchentlichen Magazine.<br />
Seite 22<br />
features<br />
Kriegsfotografinnen<br />
in Europa<br />
Seite 40<br />
feature<br />
Pirelli-Kalender 2018 - Making of<br />
Klassischerweise<br />
gehört er ja zur<br />
Standard-Ausstattung<br />
jeder Autowerkstatt. Ob<br />
Hochglanz-Palast oder<br />
Bastelbude, irgendwo<br />
hing der Kalender ja<br />
immer. Wenngleich nicht<br />
immer mit der gleichen<br />
Begeisterung.<br />
4 | PICTORIAL | 5/20<strong>17</strong><br />
Seite 38<br />
bildmarkt<br />
SZ Photo: Creative Collection<br />
und Farbsuche 6<br />
Tandem bei picturemaxx<br />
Neue Redaktionsleitung<br />
bei action press<br />
ullstein bild präsentiert<br />
Themenportal „1968 –<br />
Aufstand der Jugend“ 7<br />
Fotofinder: aeroverde<br />
Neu bei laif: Jonas Holthaus 8<br />
Christian Mai neuer<br />
bei Maground<br />
Themenportal „100 Jahre<br />
Bauhaus“ der bpk-Bildagentur<br />
Picture Press jetzt mit<br />
Luxy Images<br />
Stella Pictures bei Imago 9<br />
dpa Picture-Alliance vermarktet<br />
Reuters Pictures<br />
Ostkreuz-Blog:<br />
The New Next 10<br />
Culture-images und<br />
die Oktoberrevolution<br />
StockFoods Foodblogger-<br />
Collection<br />
ullstein bild und<br />
picture alliance<br />
Neu und exklusiv bei mauritius<br />
images: Timm Humpfer 11<br />
akg-images betrachtet<br />
Great Britain<br />
portfolio<br />
Gefordert. Gefördert. Arbeiten 12<br />
Wie sind fotografische Langzeitprojekte<br />
heute überhaupt noch<br />
finanzierbar?<br />
interview<br />
Alles von unterwegs 20<br />
mauritius images launcht<br />
Fotografen-App<br />
feature<br />
Wir können auch anders 22
ildband<br />
Charlotte<br />
Jansen –<br />
Girls on Girls<br />
Seite 26<br />
portfolio<br />
Gefordert. Gefördert. Arbeiten. Seite 12<br />
bildbände<br />
Charlotte Jansen<br />
Girls on Girls 26<br />
events<br />
Karsten Mosebach gewinnt<br />
Fritz Pölking Preis 20<strong>17</strong> 28<br />
Duane Michals erhält<br />
den diesjährigen<br />
DGPh-Kulturpreis 29<br />
Cletus Nelson Nwadike für<br />
das „Friedensbild des Jahres“<br />
ausgezeichnet<br />
Bewerben für den „Neuen<br />
BFF-Förderpreis“<br />
„Mach Dir ein Bild“ –<br />
Ausstellung im Münchner<br />
Museum Fünf Kontinente 30<br />
Ina Schoenenburg Siegerin<br />
des Otto-Steinert-Preises 20<strong>17</strong><br />
MFM-Branchentreffen<br />
zu „Bildhonorare“ 31<br />
Duesseldorf Photo<br />
CEPIC Congress 2018<br />
GAF: An Tagen wie diesen –<br />
Hans Jürgen Burkard<br />
feature<br />
Selbständig oder abhängig<br />
beschäftigt 32<br />
bildrecht<br />
Keine Urheberrechtsverletzung<br />
bei der Bildersuche durch<br />
Suchmaschinen 34<br />
Bundesgerichtshof<br />
Unverpixeltes Bild eines vermeindlichen<br />
Ebola-Patienten<br />
darf nicht gezeigt werden<br />
Oberlandesgericht Köln<br />
Funke-Mediengruppe muss<br />
Jogi Löw 220.000 Euro<br />
Geldentschädigung zahlen 35<br />
Landgericht Köln<br />
Rechtsanwalt darf keine Gesellschaft<br />
zur Verbreitung von<br />
„Schockwerbung“ gründen<br />
Bundesgerichtshof<br />
Bushido erstattet Strafanzeige<br />
wegen Phantombildzeichung 36<br />
7.000 Euro Schmerzensgeld<br />
für Sexfoto im Internet<br />
Oberlandesgericht Hamm<br />
Land Hessen haftet für Bilderklau<br />
eines Grundschullehrers<br />
Oberlandesgericht Frankfurt<br />
Herbert Grönemeyer gewinnt gegen<br />
Bunte, Bauer Verlag, Springer<br />
Verlag und Fotografen 37<br />
Landgericht Köln<br />
Keine berechtigtes Interesse,<br />
aus dem Auto Beweisfoto<br />
von Ordnungswidrigkeiten<br />
zu schießen<br />
Verwaltungsgericht Göttingen<br />
EU-Kommission verhängt<br />
Bußgeld gegen Google<br />
feature<br />
Pirelli-Kalender 2018 –<br />
Making of 38<br />
Tim im Wunderland<br />
feature<br />
Kriegsfotografinnen in Europa<br />
1914 - 1945 40<br />
Berlin: Kriegsalltag und<br />
Abenteuerlust<br />
vorschau 42<br />
titelbild<br />
Foto: Maximilian von Lachner<br />
aus Revolution SKP<br />
5/20<strong>17</strong> | PICTORIAL | 55
feature<br />
Wir können auch anders<br />
Seit über hundert Jahren sind Publikumszeitschriften wichtige Medien des Fotojournalismus.<br />
Fast genauso lange veröffentlichen Fotografen ihre Themen aber auch in Büchern.<br />
Diese werden den Geschichten oft viel besser gerecht als die wöchentlichen Magazine.<br />
Auch schwere und umfangreiche Stoffe erreichen so ihr Publikum.<br />
von Lars Bauernschmitt<br />
Eigentlich passte alles: Das<br />
Thema prägte die Zeit, der<br />
Auftraggeber war eines der<br />
renommiertesten Magazine<br />
weltweit und die Frau hinter<br />
der Kamera berühmt für die Qualität ihrer<br />
Arbeit. Doch die im Magazin veröffentlichten<br />
Geschichten enttäuschten<br />
die Fotografin. Obwohl Margarete Bourke-White<br />
zu den prominentesten Fotografinnen<br />
ihrer Generation gehörte und<br />
die Zeitschrift LIFE für Fotografen eine<br />
ähnliche Bedeutung hatte, wie die heilige<br />
Schrift für die Anhänger des protestantischen<br />
Glaubens, war die Autorin<br />
nicht begeistert, wie das für seine großen<br />
Bildstrecken bekannte Magazin ihre Fotos<br />
von den Schlachtfeldern des 2. Weltkrieges<br />
publizierte.<br />
Dabei handelte es sich jedoch nicht um<br />
die Verkettung unglücklicher Umstände,<br />
sondern vielmehr um ein im System angelegtes<br />
Problem. War das Blatt in Bezug<br />
auf die materielle Ausstattung seiner<br />
Fotografen großzügig, gewährte LIFE<br />
den Fotografinnen und Fotografen an<br />
anderer Stelle kaum Gestaltungsspielraum,<br />
sondern war vor allem auf Planerfüllung<br />
bedacht. Mussten sich die Auftragnehmer<br />
während der Produktion an<br />
detaillierten Shooting-Skripten orientieren,<br />
in denen die Redaktion definierte,<br />
welche Motive sie wünschte, hatten die<br />
Autoren bei der späteren Präsentation<br />
wie auch bei der Kontextualisierung ihrer<br />
Arbeit im Heft wenig Mitspracherecht.<br />
Was zählte war die Idee der Redaktion<br />
– vor Ort gemachte Erfahrungen waren<br />
da eher zweitrangig. „When we photographers<br />
are out on assignment, we cover<br />
the subject as thoroughly as possible<br />
and the complete series is sifted down in<br />
New York. Which pictures see print depends<br />
not necessarily on wich are the<br />
best photographs, but which fit best into<br />
whatever editorial idea is beeing followed<br />
for the completed story“, stellte Margarete<br />
Bourke-White fest.<br />
Ritati imendiciur ad ut<br />
perionserio. Et fugiat<br />
volore simil exernatem<br />
sum et eum haribus,<br />
unt, vernatur<br />
00 | PICTORIAL | 6/20<strong>17</strong>
Glücklich nach der Trennung<br />
Wenig überraschend suchte die Frau,<br />
die nicht nur das erste Titelbild des 1936<br />
erstmals erschienenen, selbsternannten<br />
fotojournalistischen Leuchtturmprojektes,<br />
geliefert hatte, sondern sechs Jahre zuvor<br />
auch schon die erste Titelgeschichte<br />
der Zeitschrift Fortune fotografiert hatte,<br />
andere Möglichkeiten, ihre Arbeiten zu<br />
veröffentlichen - so wie es ihr angemessen<br />
erschien. In eigenen Büchern konnte<br />
sie ihre Vorstellungen von Narration und<br />
Layout umsetzen. Darüber hinaus konnte<br />
sie hier auch die ihr selbst wichtigen<br />
Aspekte ihrer Geschichten, wie die Rolle<br />
von Frauen und Afroamerikanern im<br />
Krieg, zeigen, die LIFE lieber unerwähnt<br />
ließ. Eigene Publikationen boten ihr außerdem<br />
auch die Möglichkeit deutliche<br />
Kritik am Vorgehen der US-Regierung zu<br />
üben. Dass Nazi-Größen in Justiz und Industrie<br />
nach dem Krieg unbehelligt weiterarbeiten<br />
konnten, wurde von ihr ebenso<br />
thematisiert (Purple Heart Valley und<br />
Dear Fatherland), wie die ihrer Ansicht<br />
nach zu wenig ambitionierten Versuche<br />
verantwortlicher Stellen, der deutschen<br />
und italienischen Bevölkerung demokratische<br />
Werte zu vermitteln. Für das Treiben<br />
der US-amerikanischen Militärregierung<br />
fand sie deutliche Worte: „AMG<br />
spent so much time thinking about<br />
whether or not they were getting a bad<br />
press that I wondered if they had time to<br />
think about their work at all.“<br />
Starke Fotos, noch bessere Texte<br />
So entstanden ihre Bücher Shooting the<br />
Russian War (1942), They called it „Purple<br />
Heart Valley“. A Combat Chronicle<br />
of the War in Italy (1944) sowie „Dear<br />
Fatherland Rest Quietly“. A Report on<br />
the Collapse of Hitler´s „Thousand Years“<br />
(1946). Die Kritik war angetan. Die<br />
Bücher verschafften Margarete Bourke-White<br />
den Respekt der Kollegen, die<br />
nicht nur ihre Fotos, sondern auch ihre<br />
Texte lobten. „Miss Bourke-White`s writing<br />
is at least as vived as her pictures“,<br />
schrieb Wallace R. Deuel in der New<br />
York Times Book Review, „All the pictures<br />
have definite character, but Miss<br />
Bourke-White`s prose tells us more than<br />
any of them“, stellt John Chamberlain in<br />
der New York Times fest.<br />
Miteinander unglücklich<br />
Inhaltliche Dissonanzen, unterschiedliche<br />
Auffassungen über die Bedeutung<br />
eines Themas oder nicht vereinbare Vorstellungen<br />
von der Gestaltung eines Beitrages,<br />
seit Autotypie und Glasgravurraster<br />
nach 1882 Fotojournalismus in<br />
Massenillustrierten möglich machten, finden<br />
Fotografen immer wieder gute Argumente,<br />
ihre Geschichten nicht dort, sondern<br />
in eigenen Büchern zu publizieren.<br />
Ihre Kritik muss dabei gar nicht immer inhaltlicher<br />
Natur sein. Oft ist es einfach<br />
nur die zum Auserzählen der Geschichte<br />
nötige Menge des Materials, das eine<br />
angemessene Zeitschriftenveröffentlichung<br />
verhindert. Denn sobald Fotografen<br />
eine Geschichte nicht nur als vermeintlich<br />
erklärende Reportage im Stile<br />
des Country Doctor von Eugene Smith<br />
fotografieren, sondern die Dimension<br />
eines komplexeren Themas auch über<br />
die Zahl der präsentierten Fotos, zum<br />
Beispiel als fotografische Serie, deutlich<br />
zu machen versuchen, kann ein Magazin<br />
mit Beiträgen, die sich – wenn alles mal<br />
sehr gut läuft – über maximal zehn Doppelseiten<br />
erstrecken, keine geeignete<br />
Plattform mehr sein.<br />
Flucht als Momentaufnahme<br />
Ein Thema, das in den letzten Jahren die<br />
Vorstellungskraft (über-)fordert, sind die<br />
weltweiten Fluchtbewegungen. Zentrale<br />
Aspekte der Aufarbeitung des Themas<br />
in Zeitschriften sind dabei immer wieder<br />
möglichst dramatisch gestaltete Bilder<br />
Flüchtender - wahlweise hinter einem<br />
Stacheldraht, der sie am Weiterkommen<br />
hindert oder erschöpft und ängstlich an<br />
Bord völlig überladener Boote - World<br />
Press Photo Contest taugliche Einzelbilder,<br />
die als kleine Vignetten auch gern<br />
in der Tageszeitung gedruckt werden.<br />
Für die übliche Magazingeschichte werden<br />
wenige bekannte und immer wieder<br />
gezeigte Standardsituationen festgehalten<br />
und die monatelangen Fluchten auf<br />
ein paar visuell dramatisierbare Momente<br />
reduziert. Dass die lange Zeit der Migration<br />
aber eben auch Warten bedeutet<br />
und Menschen zwingt, ein Leben zu organisieren,<br />
das in Lagern stattfindet, die<br />
eine eigene Welt bilden, mit eigener Infrastruktur<br />
und neuen sozialen Bedingungen,<br />
wird kaum Thema der bunten<br />
Wochenblätter. Das zu erklären, benötigt<br />
mehr als ein paar Doppelseiten, die dann<br />
auch noch zur Heftmischung und den<br />
verkauften Anzeigen passen müssen,<br />
um sich auch bitte bereits beim flüchtigen<br />
Durchblättern sofort zu erschließen.<br />
Warten, warten, warten …<br />
Das Flucht aber eben auch Warten und<br />
die ständige Wiederholung des immer<br />
Ritati imendiciur ad ut<br />
perionserio. Et fugiat<br />
volore simil exernatem<br />
sum et eum haribus,<br />
unt, vernatur<br />
Ritati imendiciur ad ut<br />
perionserio. Et fugiat<br />
volore simil exernatem<br />
sum et eum haribus,<br />
unt, vernatur<br />
6/20<strong>17</strong> | PICTORIAL | 00
feature<br />
Ritati imendiciur ad ut<br />
perionserio. Et fugiat<br />
volore simil exernatem<br />
sum et eum haribus,<br />
unt, vernatur<br />
Ritati imendiciur ad ut<br />
perionserio. Et fugiat<br />
volore simil exernatem<br />
sum et eum haribus,<br />
unt, vernatur<br />
Gleichen bedeutet, veranschaulicht Henk<br />
Wildschut in seinem Buch Ville de Calais.<br />
Auf 320 Seiten zeigt er, wie zwischen<br />
Juni 2015 und Oktober des folgenden<br />
Jahres bei Calais, ganz in der Nähe des<br />
Ortes, der zwischen 2006 und 2010 bereits<br />
unter dem Namen „The Jungle“<br />
weltweit traurige Berühmtheit erlangte,<br />
ein Flüchtlingslager entstand und wieder<br />
zerstört wurde. Unter der Aufsicht französischer<br />
Offizieller entstand auf einer gut<br />
einsehbaren, ebenen Fläche eine Siedlung,<br />
um diejenigen im Blick zu behalten,<br />
die monatelang darauf warteten, das<br />
Land Richtung England zu verlassen.<br />
Unprätentiös dokumentiert er den Aufbau<br />
der Hütten und das Wachsen einer<br />
Siedlung derjeniger, die eigentlich<br />
nicht an die Kanalküste gekommen waren,<br />
um länger dort zu bleiben. In geraden,<br />
klar gebauten Bildern dokumentiert<br />
Henk Wildschut die Architektur der<br />
Gebäude und die Einrichtung ihrer Innenräume.<br />
So entwickelt er eine Vorstellung<br />
vom Zusammenleben und des<br />
wirtschaftlichen Gefüges, das sich in kürzester<br />
Zeit hier entwickelt hat. Der Fotograf<br />
zeigt Menschen, die auf ihrer Flucht<br />
zu Ladeninhabern und Restaurantbesitzern<br />
wurden und erklärt in den beigestellten<br />
Texten die wirtschaftlichen Kreisläufe<br />
des Camps – Rabattaktionen für<br />
Selbstgedrehte inbegriffen. Seine Fotos<br />
entwickeln ein komplett anderes Bild von<br />
Flucht, als jenes, das bis dahin nicht nur<br />
von der französischen Kanalküste gezeigt<br />
wurde: Geschäftsinhaber vor ihren<br />
Regalen, drei Sorten Cola stehen zur<br />
Auswahl, eine Moschee und die mit Unterstützung<br />
einer Gemeinde in Calais<br />
aufgebaute christliche Kirche. Eine gut<br />
organisierte Infrastruktur für die, die nach<br />
ihren vergeblichen Versuchen, das Festland<br />
zu verlassen, hungrig und müde zurückkehren<br />
und im Camp auf eine neue<br />
Möglichkeit zur Überquerung des Kanals<br />
warten – oft für Monate.<br />
Henk Wildschut zeigt ein neues Bild und<br />
verweigert das schnelle Fazit. So wird<br />
seine Präsentation dem Thema in einer<br />
Weise gerecht, wie es eine wöchentliche<br />
Illustrierte nie könnte.<br />
Die Wundertüte ist leer<br />
Die Idee der Massenillustrierten, die ihre<br />
Leser immer wieder aufs Neue mit einer<br />
Mischung ganz unterschiedlicher, meist<br />
in keinem inneren Zusammenhang stehender<br />
Themen überraschen will, erweist<br />
sich immer wieder als ein für eine vertiefte<br />
Auseinandersetzung ungeeignetes<br />
Medium. Während die Idee der gedruckten<br />
Wundertüte mit einem zum Teil grotesken<br />
Nebeneinander von Geschichten<br />
als Ergebnis medialer Entwicklungen immer<br />
weniger Freunde findet, wächst bei<br />
den Lesern von Printmedien gleichzeitig<br />
der Wunsch nach einer vertieften Darstellung<br />
von Themen. Während Massenillustrierte<br />
alter Prägung an Auflage<br />
verlieren, kommen deshalb immer mehr<br />
Special-Interest und Very-Special-Interest-Zeitschriften<br />
auf den Markt, die<br />
sich ausgewählten Aspekten größerer<br />
Themen widmen. Monothematische Magazine<br />
präsentieren in ein und derselben<br />
Ausgabe aus verschiedenen Perspektiven<br />
betrachtete Facetten eines Themas.<br />
Dabei verschwinden die Grenzen zwischen<br />
den Büchern und monothematischen<br />
Magazinen. Ein Trend, der mit<br />
der Verbreitung der privaten Fernsehsender<br />
aufkam, als diese die Wochenmagazine<br />
immer älter aussehen ließen, verändert<br />
den Printmedienmarkt zusehends.<br />
Warnung vor dem Buch<br />
In Büchern werden immer öfter auch Inhalte<br />
aufbereitet, die für die breite Öffentlichkeit<br />
nicht unbedingt den gängigen<br />
Vorstellungen typischer Themen<br />
zur Präsentation in großformatigen Folianten<br />
entsprechen. Bilder der Opfer chemischer<br />
Kampfstoffe oder von Chemieunfällen<br />
verseuchte Stadtgebiete sind<br />
nicht unbedingt der Stoff, an den man im<br />
Zusammenhang mit Bildbänden denkt.<br />
Das ganze irritiert um so mehr, wenn der<br />
Autor auf dem Titel seines Buches auch<br />
noch einen Warnhinweis anbringt. „Warning:<br />
the following book contain pictures<br />
that may be disturbing to some viewers:<br />
viewer discretion is advised:“ Doch die<br />
Idee funktioniert.<br />
Wer sich nicht abschrecken lässt, dem<br />
erzählt Mathieu Asselin in „Monsanto:<br />
A Photographic Investigation“ zunächst<br />
das Märchen von Hänsel und Gretel in<br />
der Fassung einer historischen Firmenanzeige.<br />
Nachdem in weiteren Anzeigen<br />
des Unternehmens, Monsantos Kampf<br />
im gerechten Krieg für leckeren Kuchen<br />
oder einfach ein besseres Leben gezeigt<br />
wurde, schildert der Autor in vier Kapiteln<br />
das Unternehmen, seine Produkte,<br />
deren verheerende Wirkungen auf Menschen<br />
und Umwelt sowie den Kampf der<br />
Firma gegen seine Vertragspartner.<br />
Kombiniert mit Print-Anzeigen, Zeitungsartikeln<br />
und Lizenzvereinbarungen zeigen<br />
Prof. Lars Bauernschmitt<br />
lehrt Fotojournalismus<br />
an der<br />
Hochschule Hannover<br />
und der Justus<br />
Liebig Universität Gießen.<br />
www.larsbauern<br />
schmitt.de<br />
00 | PICTORIAL | 6/20<strong>17</strong>
die Fotos Opfer des Einsatzes von Agent<br />
Orange, PCB-verseuchte Geisterstädte<br />
und die netten Monsanto-Werbeartikel.<br />
Er beschreibt eine Firma deren Agieren<br />
im Kontrast steht zur heilen Welt, als<br />
deren Gestalter sich die Firma beispielsweise<br />
im Monsanto House of the Future,<br />
eingeweiht 1957 im Disneyland in Kalifornien,<br />
präsentiert. Monsantos Vision vom<br />
zukünftigen kleinfamiliären Zusammenleben<br />
ist eine Umgebung aus ebenso pflegeleichten<br />
wie formschönen Plastikgerätschaften,<br />
in der der Hausherr entspannt<br />
mit der Tageszeitung im Wohnzimmer<br />
sitzt, während die Dame des Hauses<br />
glücklich in der Küche wirkt.<br />
QR-Codes im Buch bieten Zugang zu<br />
dem Werbefilm, der als groteskes Dokument<br />
einer anderen Zeit entlarvt, wie bigott<br />
der Chemieriese agierte, wenn er<br />
in den USA eine schöne neue Wohnwelt<br />
entwarf, während mit seinen Produkten<br />
knapp zehn Jahre später, dreizehntausend<br />
Kilometer weiter östlich,<br />
Wälder entlaubt und ein ganzes Land<br />
auf Jahrzehnte verseucht wurden. Architekturaufnahmen,<br />
Landschaftsbilder und<br />
inszenierte Portraits entwickeln in verschiedenen<br />
Bildstrecken das beklemmende<br />
Bild eines Unternehmens, das<br />
nach dem Willen der Verantwortlichen<br />
beider Firmen, zukünftig Teil des Bayer-Konzerns<br />
werden soll. Aus verschiedenen<br />
Facetten entsteht ein Gesamtbild,<br />
das keine Magazinstrecke je so genau<br />
zeichnen könnte.<br />
Konsequent unabhängig<br />
Fotografen publizieren heute nicht mehr<br />
einfach nur Bücher, sondern entwickeln<br />
zunehmend transmediale Publikationsformen,<br />
in denen Bücher Ausstellungen<br />
vertiefen – und umgekehrt, während<br />
auf begleitenden Websites ergänzende<br />
Bewegtbilder und O-Töne abgerufen<br />
werden können. Von den Autoren<br />
in Eigenregie entwickelt, transportieren<br />
medienübergreifende Produkte die Geschichte<br />
so, wie die Autoren sie tatsächlich<br />
erzählen wollen.<br />
Literatur:<br />
Dogramaci, Burcu;<br />
Düdder, Désirée;<br />
Dufhues, Stefanie;<br />
Schindelegger,<br />
Maria; Volz, Anna<br />
(Hrsg); Gedruckt<br />
und erblättert –<br />
Das Fotobuch<br />
als Medium ästhetischer<br />
Artikulation<br />
seit den<br />
1940er Jahren;<br />
Verlag der Buchhandlung<br />
Walther<br />
König; Köln; 2016<br />
Asselin, Mathieu;<br />
Monsanto®: A<br />
Photographic<br />
Investigation;<br />
Verlag Kettler;<br />
Dortmund; 20<strong>17</strong><br />
Wildschut, Henk;<br />
Ville de Calais;<br />
Idea Books;<br />
Amsterdam; 20<strong>17</strong><br />
The Photobookmuseum<br />
Catalogue<br />
Box, Verlag<br />
Kettler; Dortmund;<br />
2014
interview<br />
mauritius images launcht Fotografen-App<br />
Alles von unterwegs<br />
Als erste der etablierten deutschen Bildagenturen bietet mauritius images Fotografen die<br />
Möglichkeit, Bilder via App anzuliefern. Die Agentur hat „die Fotografen-App entwickelt,<br />
um die stetig zunehmende Nachfrage nach authentischem Bildmaterial noch besser<br />
bedienen zu können“, so mauritius-Chef Stefan Ploghaus. Die App kann ab sofort in<br />
den App-Stores für Apple- oder Android-Smartphones heruntergeladen werden.<br />
weitere Bilder zur Sichtung und Übernahme<br />
angefordert.<br />
Über die App lassen sich außerdem<br />
Bildanfragen von Kunden oder andere<br />
Nachrichten gezielt an die Fotografen<br />
senden. Dadurch lässt sich die Zeit zwischen<br />
Kundenanfrage und fotografischer<br />
Umsetzung auf ein Minimum reduzieren.<br />
Interessierte Bildkäufer finden Smartphone-Bildmaterial<br />
über den „Smartphone-Filter“<br />
auf der mauritius images-<br />
Webseite.<br />
Mit Stefan Ploghaus sprach Stefan<br />
Hartmann<br />
PICTORIAL: Was erhofft sich eine alteingesessene<br />
Bildagentur von diesem<br />
Schritt? Was kann man damit erreichen?<br />
Was sind die Gründe?<br />
Die App wendet sich zunächst<br />
an erfahrene und<br />
professionelle Fotografen,<br />
die bereits bei mauritius<br />
images unter Vertrag stehen.<br />
Sie erhalten ab sofort einen direkten<br />
Zugang zur App.<br />
Neue Interessenten für die Nutzung der<br />
App können sich über das Programm mit<br />
bis zu 30 Fotos beim Art Department bewerben.<br />
Im Selektionsprozess gelten unverändert<br />
die Kriterien bezüglich technischer<br />
und fotografischer Qualität. Erfüllt<br />
die Ersteinsendung die Kriterien, werden<br />
Vater dreht seinen<br />
Sohn herum<br />
Stefan Ploghaus: Wir sind zwar die älteste<br />
inhabergeführte Bildagentur in<br />
Deutschland, aber hoffentlich alles andere<br />
als alteingesessen. Wir möchten uns nicht<br />
auf unserem Geschäftsmodell ausruhen,<br />
sondern dieses sinnvoll und mutig erweitern.<br />
Uns ist bewusst, dass wir kontinuierlich<br />
am Produkt arbeiten müssen, um uns<br />
weiterhin unverzichtbar zu machen. Unsere<br />
Alleinstellungsmerkmale sind neben<br />
dem tollen Serviceangebot die Exklusivität<br />
und Qualität unseres Bildmaterials.<br />
Unsere Bestandsfotografen liefern die erforderliche<br />
Qualität, aber auch sie haben<br />
nicht immer ihre Ausrüstung dabei. Mit<br />
der App sind sie nun in der Lage, spontan<br />
Fotos zu machen und diese schnell<br />
und unkompliziert an uns zu übermitteln.<br />
Zudem ist in der heutigen Zeit der Faktor<br />
Authentizität in eine qualitative Bewertung<br />
mit einzubeziehen - und hier ist die App ja<br />
fast unschlagbar.<br />
Zudem möchten wir auch neue, talentierte<br />
Fotografen über die App ermuntern,<br />
sich bei uns zu bewerben. Wer uns überzeugt,<br />
wird uns dann hoffentlich auch seine<br />
mit der Kamera aufgenommenen Bilder<br />
übermitteln.<br />
12 | PICTORIAL | 4/20<strong>17</strong>
PICTORIAL: Was erwarten Sie für Bilder?<br />
Für welchen Einsatzzweck wird<br />
der Schwerpunkt des Bildmaterials<br />
zusammen kommen? Redaktionelle,<br />
werbliche, social media-taugliche<br />
Motive?<br />
Stefan Ploghaus: Wir erwarten überwiegend<br />
Bildmaterial in den Rubriken<br />
„People und Lifestyle“ und „Travel und<br />
Nature“. Das Bildmaterial dürfte aus unserer<br />
Sicht universell einsetzbar sein,<br />
denn sowohl Werbeagenturen als auch<br />
Verlagshäuser setzen immer mehr auf authentisches<br />
Bildmaterial. Zur Nachrichtenagentur<br />
werden wir durch die App jedenfalls<br />
nicht.<br />
PICTORIAL: Darf ich zum Schluss<br />
eine eher ästhetisch-atmosphärische<br />
Frage stellen? Ist bei diesen Handy-<br />
Bildern eine besondere Bildästhetik<br />
erwünscht? Eine gegenüber „Kamera-Bildern“<br />
variierende oder gar eigenständige<br />
Bildsprache? Oder gibt<br />
es die vielleicht gar nicht?<br />
PICTORIAL: Ich ahne da Stress. Wieviel<br />
Stress erträgt Ihr Art Department?<br />
Motiv-Prüfung, Datenprüfung,<br />
Verschlagwortungsprüfung, rechtliche<br />
Prüfung, das alles bleibt ja im<br />
Haus. Mauritius ist ja kein Micro-Stocker.<br />
Oder soll es darauf hinaus laufen?<br />
Stefan Ploghaus: (lacht) Stress gibt es<br />
bei uns in Mittenwald nicht – allenfalls hohes<br />
Arbeitsaufkommen – und das wäre ja<br />
ganz in unserem Sinne.<br />
In der „Foto-Informationen“-Maske der<br />
App werden alle wesentlichen Metadaten<br />
abgefragt, eine „Vollständigkeitsprüfung“<br />
erfolgt mit dem Upload der Bilder. Im weiteren<br />
Verlauf werden die Bilder selbstverständlich<br />
auf Erfüllung unserer hohen<br />
Qualitätsstandards überprüft.<br />
Es ist nicht unser Ziel, eine App-Community<br />
aufzubauen, sondern unserem Portfolio<br />
ausgewähltes, exklusives Bildmaterial<br />
hinzuzufügen. Bei uns soll man auch<br />
zukünftig nicht alle Bilder, sondern gute<br />
Bilder finden.<br />
PICTORIAL: Kurz, was die Fotografen<br />
interessiert: Wie ist das Sharing?<br />
Stefan Ploghaus: Die App gibt uns die<br />
Möglichkeit, uns gegenüber den Bestandsfotografen<br />
für die jahrelange Treue<br />
erkenntlich zu zeigen. Daher bleibt der<br />
Fotografenanteil, der in den aktuellen Verträgen<br />
verankert ist, für App-Bilder unverändert.<br />
Bei neuen Verträgen bieten wir<br />
für App-Fotos grundsätzlich einen Fotografenanteil<br />
von 25% an. Angesichts der<br />
Konditionen insbesondere bei den Global<br />
Playern halten wir dies für ein gutes, wettbewerbsfähiges<br />
Angebot.<br />
PICTORIAL: Und in welchem Korridor<br />
liegen die Bildpreise?<br />
Stefan Ploghaus: Der Verwendungszweck<br />
bestimmt die Höhe des Honorars,<br />
nicht der Kameratyp. Insofern sehen keinen<br />
Grund, Smartphone-Bilder günstiger<br />
zu verkaufen. Die Nachfrage nach authentischen<br />
Bildern ist groß und wir wissen,<br />
dass unsere Kunden gerade die natürliche<br />
Ästhetik der Smartphone-Bilder<br />
schätzen. Wir bieten auf unserer Webseite<br />
zudem einen „Smartphone-Filter“ an,<br />
der häufig genutzt wird.<br />
PICTORIAL: Die vorgestellte App ist<br />
ja nicht nur ein Tool, über das Fotografen<br />
„freie Bilder“ einsenden können,<br />
sondern vice versa ein Instrument,<br />
über das Bildkunden Anfragen<br />
nach bestimmten Motiven an Fotografen<br />
stellen können. Wie geht das?<br />
Wie läuft da dann die Kommunikation<br />
ab?<br />
Stefan Ploghaus: Wir senden unseren<br />
Fotografen schon jetzt als exklusiven Service<br />
Briefings im monatlichen Rhythmus.<br />
Hier geben wir die Bildwünsche unserer<br />
Kunden weiter. Nun wird es über die<br />
App möglich, solche Bildanfragen noch<br />
schneller zu verbreiten. Wir haben einen<br />
sehr effizienten Arbeitsablauf entwickelt,<br />
der sicherstellt, dass sämtliche Bildwünsche<br />
erfasst und weitergegeben werden.<br />
Wie genau wir das machen, ist unser<br />
kleines Betriebsgeheimnis.<br />
Das Art-Department<br />
von mauritius images<br />
vor dem westlichen<br />
Karwendelstein.<br />
V.l.n.r:<br />
Mark Ostermayr,<br />
Irene Baumann, Karin<br />
Meyer, Stefan Ploghaus,<br />
Angelika Bauer<br />
Stefan Ploghaus: In den sozialen Netzwerken<br />
sehen wir uns permanent mit vermeintlich<br />
spontan entstandenen, natürlichen<br />
Fotos konfrontiert, die häufig mit<br />
Smartphones aufgenommen wurden. Gewöhnt<br />
an diese unverkrampfte Ästhetik<br />
erwarten die Konsumenten mittlerweile<br />
auch in der Werbung authentischere<br />
Bilderwelten. Weniger Inszenierung und<br />
Hochglanz, dafür mehr Ecken und Kanten.<br />
Also ist das schon ein Trend, den die<br />
Smartphones mit verursacht haben. Allerdings<br />
können solche Bilder auch mit<br />
der Spiegelreflexkamera entstehen. Also,<br />
Trendsetter - ja, eigene Bildsprache - nein.<br />
Unsere Erfahrung ist jedenfalls, dass<br />
Smartphone-Bilder im „Instagram-Style“<br />
immer wieder nachgefragt werden.<br />
4/20<strong>17</strong> | PICTORIAL | 13
ildbände<br />
Charlotte Jansen<br />
Girl on Girl - Art and Photography in the Age<br />
of the Female Gaze<br />
Charlotte Jansen,<br />
Girl on Girl, Thames<br />
& Hudson 20<strong>17</strong>, 30,-<br />
Euro, ISBN: 978-<br />
<strong>17</strong>80679556<br />
Frauen durch die fotografische Linse weiblicher Fotografen gesehen – der Titel „Girl on<br />
Girl“ scheint zwar nur ganz schlicht das Thema des Bildbandes in Worte zu fassen. Wer<br />
aber ganz naiv auf die Idee kommt einfach einmal kurz den Titel zu googeln, dem präsentiert<br />
die Suchmaschine prompt eine lange Liste pornographischer Filmchen. „Girl on Girl“<br />
ist die englische Suchphrase, die zu erotischen Bildern lesbischer Darstellungen führt.<br />
Wen der schreiende Titel lockt, der wird enttäuscht – tatsächlich<br />
schlägt das Spektrum der Frauenbilder der vierzig<br />
Fotografinnen aus siebzehn Ländern einen breiten Bogen<br />
und reicht von überraschend experimentellen und surrealistischen<br />
Darstellungen ganz ohne sexuellen Kontext bis zu<br />
erotischen Bildern. Zusammengestellt hat die Fotografien die<br />
britische Kulturjournalistin Charlotte Jansen.<br />
Kommt man hier dem weiblichen Auge, der weiblichen Fotografie<br />
auf die Spur? Jansen meint dazu: „Female photography<br />
(there is no such thing)“. Weder neue naturwissenschaftliche<br />
oder soziologische Geschlechteranalysen kann man in<br />
diesem Buch wiederfinden. Hat der weibliche Zeigefinger am<br />
Auslöser etwas mit Feminismus zu tun? Es wäre naiv zu denken,<br />
das Fotografien von Frauen die Welt ändern können –<br />
so meint Jansen – aber wir könnten eine Menge lernen, wenn<br />
wir sie ansehen.<br />
Kein großer revolutionärer Wurf für die Frauenbewegung<br />
oder neue Erkenntnisse gibt es hier, aber ein großes Bündel<br />
spannender Fotografien.<br />
Neben allen schwergewichtig ernsthaften Themen und<br />
Ausdrucksformen zeigt sich die finnische Fotografin Iiu Susivaja<br />
skurril humoresk mit Würsten im Haar oder einem Besen,<br />
den sie sich unter die Brüste geklemmt hat. Überraschend,<br />
witzig und ganz sicher fern von aller Erotik.<br />
Ganz fremd wirken die Bilder der Fotografin Pixy Liao aus<br />
der Volksrepublik China, die sich nach eigenem Bekunden<br />
nicht sehr für den weiblichen Körper interessiert und die deshalb<br />
ihren Partner in Paarbildern inszeniert.<br />
30 | PICTORIAL | 5/20<strong>17</strong>
Anstelle von Frauenkörpern zeigt die britische Maisie Cousins lieber<br />
Bilder-Analogien. Blumen und Pflanzenteile als Symbole und Stellvertreter<br />
oder als das Wesen erklärende Accesoires am Gesicht. Sie fühlte<br />
sich beim Fotografieren bloßer nackter Frauen schuldig.<br />
Die deutsche Fotografin Isabelle Wenzel, die 2007 den Leica Preis gewann,<br />
zeigt in ihren überraschenden Bildern Frauen in phantastischen Posen<br />
und Verrenkungen, köpfüber in ein Blumenbeet gestürzt oder wie in<br />
einer besonders schwierigen Yoga-Übung hinter dem Körper auf die Hände<br />
gestützt, den Kopf zuunterst. Wenzels Einladung zu folgen, sich dazu<br />
eine Geschichte auszudenken, wird eine anspruchsvolle Herausforderung.<br />
Neben preisgekrönten professionellen klassischen Fotografinnen werden<br />
auch zeitgemäße Internet-Persönlichkeiten, die mit ihren Selfies berühmt<br />
geworden sind vorgestellt, wie Molly Soda und Mayden Toledano,<br />
bei deren Figuren in der mit „Feminist“ beschrifteten Unterhose sich nicht<br />
nur Jansen die Frage stellt – ist das jetzt Feminismus?<br />
Welchen Einfluss auf das Frauenbild in den Köpfen der aktuelle Trend<br />
hat, haarige Achselhöhlen, blutige Menstruationshöschen und in den Fokus<br />
gesetzte Schönheitsmakel wie Cellulite als Gegenbild zur gephotoshopten<br />
perfekten Welt in den gedruckten Magazinen zu zeigen , sollen<br />
die Soziologen diskutieren.<br />
Antworten dazu findet man im Bildband „Girl on Girl“ zwar nicht – aber<br />
beim Bilderschauen kann man die Frage mit Genuss vergessen. BH<br />
5/20<strong>17</strong> | PICTORIAL | 31
vorschau<br />
PICtoRIal 1/2018 erscheint im Januar 2018<br />
portfolio<br />
Charles ofikhenual<br />
Storyteller aus Afrika<br />
er sieht sich als „afrikanischer erzähler“, der seinen Fotoapparat<br />
nutzt, um geschichten zu abzulichten. es sollen spezifische<br />
afrikanische geschichten sein, die Charles ofikhenual – nach eigenem<br />
bekunden – „leidenschaftlich engagiert“ erzählen möchte,<br />
„möglichst in der ganzen Welt“.<br />
Wir sprechen mit dem nigerianischen autodidakten über die Fotografie<br />
afrikas und über die arbeitssituation von Fotografen auf<br />
dem schwarzen Kontinent.<br />
IMPRESSUM<br />
PICtorial – art buyer‘s digest<br />
Redaktionsleitung dr. stefan Hartmann, dgPh (verantwortlich)<br />
Anschrift Redaktion<br />
PiCtorial – art buyer‘s digest, im abtsgründel 5, d-76744 Wörth/<br />
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e-Mail: s.hartmann@pictorial-online.com<br />
internet: http://www.pictorial-online.com<br />
Redaktion/Autoren Prof. lars bauernschmitt, dr. barbara Hartmann<br />
(stellv. Chefred.), ute Jansing, Hendrick Neubauer<br />
Erscheinungsweise sechsmal jährlich<br />
Anschrift Verlag<br />
PiCtorial – art buyer‘s digest<br />
im abtsgründel 5<br />
76744 Wörth/rhein<br />
telefon: (07271) 9520-77<br />
internet: http://www.pictorial-online.com<br />
Herausgeber dr. barbara Hartmann<br />
im abtsgründel 5, 76744 Wörth/rhein<br />
Anschrift Anzeigen<br />
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42 | PICtorial | 5/20<strong>17</strong><br />
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