19.11.2017 Aufrufe

01 Update Intensivmedizin Akutes Nierenversagen

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Update</strong> <strong>Intensivmedizin</strong> · <strong>Akutes</strong> <strong>Nierenversagen</strong><br />

Früher oder später Beginn einer Nierenersatztherapie?<br />

Originalpublikation<br />

Zarbock A, Kellum JA et al. (2<strong>01</strong>6)<br />

Effect of Early vs Delayed Initiation<br />

of Renal Replacement Therapy on<br />

Mortality in Critically Ill Patients<br />

With Acute Kidney Injury: The<br />

ELAIN Randomized Clinical Trial.<br />

JAMA 315: 2190–2199<br />

Gaudry S, Hajage D et al. (2<strong>01</strong>6)<br />

AKIKI Study Group. Initiation<br />

Strategies for Renal-Replacement<br />

Therapy in the Intensive Care Unit.<br />

N Engl J Med 375:122–133<br />

Entscheidend für die Einleitung<br />

einer Nierenersatztherapie sind<br />

der klinische Untersuchungsbefund<br />

in Kombination mit Laborwerten,<br />

der Krankheitsverlauf<br />

und die Grunderkrankung. Die<br />

These einer frühen prophylaktischen<br />

Dialyse wurde aufgegriffen,<br />

nachdem es Hinweise für positive<br />

Effekte eines frühzeitigen Beginns<br />

Die Beitrage stammen aus dem<br />

Handbuch <strong>Intensivmedizin</strong> 2<strong>01</strong>6 und<br />

entsprechen den Seminarunterlagen<br />

des 8. Intensiv <strong>Update</strong> 2<strong>01</strong>6 der med<br />

update GmbH.<br />

Med Klin Intensivmed Notfmed<br />

2<strong>01</strong>7 · 112:664–665<br />

https://​doi.org/​10.1007/​s00063-​<strong>01</strong>7-​<br />

0355-0<br />

© Springer Medizin Verlag GmbH 2<strong>01</strong>7<br />

Redaktion: S. Kluge, Hamburg<br />

Korrespondenzadresse<br />

Prof. Dr. D. Fliser<br />

Universitätsklinikum des Saarlandes<br />

Klinik für Innere Medizin IV<br />

Gebäude 40.2<br />

Kirrberger Str. 6<br />

66421 Homburg<br />

prof.dr.danilo.fliser@<br />

uniklinikumsaarland.de<br />

© © Frank May/dpa<br />

Abb. 1 9 Profitieren<br />

kritisch<br />

nierenkranke<br />

Patienten von<br />

einem frühem<br />

Dialysebeginn?<br />

der extrakorporalen Therapie gab.<br />

Zu diesem Thema wurden die Ergebnisse<br />

von zwei prospektiven<br />

Studien publiziert: In einer monozentrischen<br />

Untersuchung aus<br />

Deutschland (Zarbock et al.) wurden<br />

231 kritisch kranke Patienten<br />

mit akutem <strong>Nierenversagen</strong><br />

(ANV) ab KDIGO Stadium 2 und<br />

einer Plasma-NGAL-Konzentration<br />

>150 ng/ml in zwei Behandlungsarme<br />

randomisiert: frühe<br />

Nierenersatztherapie (Beginn innerhalb<br />

8 Stunden nach der Diagnose<br />

des ANV im KDIGO Stadium<br />

2; n = 112) oder späte/keine<br />

Nierenersatztherapie (Beginn innerhalb<br />

12 Stunden nach der Diagnose<br />

eines ANV im KDIGO<br />

Stadium 3; n = 119). Der primäre<br />

Endpunkt war die Mortalität 90<br />

Tage nach der Randomisierung.<br />

Alle Patienten in der frühen Behandlungsgruppe<br />

und 108 von<br />

119 Patienten (90,8 %) in der späten<br />

Behandlungsgruppe erhielten<br />

eine Nierenersatztherapie. Die<br />

Zeit bis zur Nierenersatztherapie<br />

war signifikant kürzer (p < 0,0<strong>01</strong>)<br />

in der Gruppe mit frühem Behandlungsbeginn<br />

(6,0 Stunden)<br />

im Vergleich zum späten Behandlungsbeginn<br />

(25,5 Stunden). Der<br />

frühe Beginn der Nierenersatztherapie<br />

führte zur signifikanten Absenkung<br />

der 90-Tage-Mortalität<br />

(44 von 112 Patienten [39,3 %] vs.<br />

65 von 119 Patienten [54,7 %]; HR<br />

0,66 [95 % CI 0,45–0,97]; p = 0,03).<br />

Signifikant mehr Patienten in der<br />

frühen Behandlungsgruppe erlangten<br />

ihre Nierenfunktion nach<br />

90 Tagen wieder: 60 von 112 Patienten<br />

(53,6 %) vs. 46 von 119<br />

Patienten (38,7 %) (OR 0,55 [95 %<br />

CI 0,32–0,93]; p = 0,02). Auch die<br />

Behandlungsdauer mittels Nierenersatztherapie<br />

und die Dauer<br />

des Krankenhausaufenthaltes waren<br />

in der frühen Behandlungsgruppe<br />

signifikant kürzer (Nierenersatztherapie:<br />

9 vs. 25 Tage;<br />

p = 0,04; Hospitalisierung: 51 vs.<br />

82 Tage; p < 0,0<strong>01</strong>).<br />

In der zweiten, weitaus größeren<br />

multizentrischen Studie wurden<br />

620 schwerstkranke und beatmungspflichtige<br />

Patienten mit<br />

ANV im KDIGO Stadium 3 untersucht<br />

(Gaudry et al.). Sie wurden<br />

randomisiert entweder einer<br />

frühen oder einer späten Nierenersatztherapie<br />

zugeführt. Die frühe<br />

Therapiegruppe wurde sofort<br />

nach Randomisierung behandelt.<br />

Die späte Gruppe wurde erst<br />

mittels Nierenersatztherapie behandelt,<br />

wenn Folgendes vorlag:<br />

schwere Hyperkaliämie, metabolische<br />

Azidose, Lungenödem, Serum-Harnstoff<br />

> 112 mg/dl oder<br />

Oligurie länger als 72 Stunden<br />

nach Randomisierung. Der primäre<br />

Endpunkt war die Gesamtmortalität<br />

nach 60 Tagen. Die<br />

Kaplan-Meier-Schätzung für die<br />

60-Tage-Mortalität war nicht signifikant<br />

unterschiedlich zwischen<br />

den beiden Behandlungsstrategien<br />

(. Abb. 1). In der frühen<br />

Behandlungsgruppe traten<br />

150 Todesfälle bei 311 Patienten<br />

(48,5 %) auf, während in der späten<br />

Behandlungsgruppe 153 von<br />

308 Patienten (49,7 %) verstarben<br />

(p = 0,79). Insgesamt 151 Patienten<br />

(49 %) in der Gruppe mit<br />

spätem Behandlungsbeginn wurden<br />

nicht mittels Nierenersatztherapie<br />

behandelt. Die Diurese<br />

setzte in der Gruppe mit spätem<br />

Behandlungsbeginn früher ein<br />

(p < 0,0<strong>01</strong>).<br />

Diese diametral entgegengesetzten<br />

Ergebnisse sind nicht einfach<br />

zu erklären. Anzumerken<br />

ist allerdings, dass Gaudry und<br />

Kollegen schwerstkranke Patienten<br />

mit weiter fortgeschrittenem<br />

ANV in die Studie eingeschlossen<br />

haben. Abzuwarten bleibt, was Ergebnisse<br />

noch laufender Studien<br />

zum Thema zeigen werden.<br />

664<br />

Medizinische Klinik - <strong>Intensivmedizin</strong> und Notfallmedizin 8 · 2<strong>01</strong>7


Statine schützen nicht vor akutem <strong>Nierenversagen</strong><br />

Originalpublikation<br />

Billings FT, Hendricks PA et al.<br />

(2<strong>01</strong>6) High-Dose Perioperative<br />

Atorvastatin and Acute Kidney<br />

Injury Following Cardiac Surgery:<br />

A Randomized Clinical Trial. JAMA<br />

315: 877–888<br />

Park JH, Shim JK et al. (2<strong>01</strong>6) Effect<br />

of atorvastatin on the incidence of<br />

acute kidney injury following valvular<br />

heart surgery: a randomized,<br />

placebo-controlled trial. Intensive<br />

Care Med 42(9):1398–407<br />

Zwei prospektive, doppelblinde,<br />

Placebo-kontrollierte Studien<br />

fanden keinen Nutzen einer hoch<br />

dosierten Statingabe zur Prophylaxe<br />

eines perioperativen akuten<br />

<strong>Nierenversagen</strong>s (ANV) bei Patienten<br />

mit herzchirurgischen<br />

Eingriff: Billings und Kollegen<br />

randomisierten insgesamt 199<br />

Statin-naive Patienten entweder<br />

zu: (i) 80 mg Atorvastatin einen<br />

Tag vor dem Eingriff, gefolgt von<br />

40 mg am Morgen vor der Operation<br />

und danach 40 mg Atorvastatin<br />

täglich nach der Operation<br />

(n = 102) oder (ii) Placebo<br />

(n = 97). Patienten, die bereits vor<br />

der Rekrutierung ein Statin einnahmen<br />

(n = 416), wurde das Statin<br />

bis zum Tag der Operation<br />

belassen. Am Morgen der Operation<br />

wurden sie randomisiert entweder<br />

zu 80 mg Atorvastatin und<br />

am Morgen danach 40 mg Atorvastatin<br />

(n = 206) oder zu Placebo<br />

an beiden Tagen (n = 210). Ab<br />

dem 2. postoperativen Tag nahmen<br />

sie dann ihr vorheriges Statin<br />

wieder ein. Die Studie wurde<br />

vom data and safety monitoring<br />

board vorzeitig gestoppt, da es bei<br />

Statin-naiven Patienten mit vorbestehender<br />

Niereninsuffizienz<br />

(eGFR < 60 ml/min/1,73 m²), die<br />

Atorvastatin erhalten haben, vermehrt<br />

zum ANV gekommen war.<br />

Zudem war nach dem Einschluss<br />

von 615 Patienten klar, dass es keinen<br />

positiven Effekt in der Studie<br />

geben wird. Ein ANV entwickelte<br />

sich bei 64 von 308 Patienten<br />

(20,8 %) in der mit Atorvastatin<br />

behandelten Gruppe und bei 60<br />

von 307 Patienten (19,5 %) in der<br />

Placebo-Gruppe (RR 1,06 [95 %<br />

CI 0,78–1,46]; p = 0,75). Bei nicht<br />

mit Statin vorbehandelten Patienten<br />

(n = 199) kam es zum ANV bei<br />

22 von 102 Patienten (21,6 %), die<br />

mit Atorvastatin behandelt wurden,<br />

und bei 13 von 97 Patienten<br />

(13,4 %), die Placebo erhielten<br />

(RR 1,61 [0,86–3,<strong>01</strong>]; p = 0,15).<br />

Bei Patienten, die bereits vor Studienbeginn<br />

ein Statin bekamen<br />

(n = 416), trat ein ANV bei 42 von<br />

206 (20,4 %) in der mit Atorvastatin<br />

behandelten Gruppe auf und<br />

bei 47 von 210 (22,4 %) im Placebo-Arm<br />

(RR 0,91 [0,63–1,32];<br />

p = 0,63).<br />

In einer kleineren Studie haben<br />

Park et al. nicht mit Statin<br />

vorbehandelte Patienten entweder<br />

zu Atorvastatin (einmalig<br />

80 mg am Vorabend der Operation,<br />

danach 40 mg vor dem Eingriff<br />

und weitere 40 mg abends<br />

am postoperativen Tag 0, 1 und<br />

2) oder zu Placebo randomisiert.<br />

Die ANV-Inzidenz war in beiden<br />

Behandlungsarmen vergleichbar<br />

(21 vs. 26 %, p = 0,404). Der postoperative<br />

Verlauf von Biomarkern<br />

einer Nierenschädigung, wie z. B.<br />

NGAL im Plasma, war in beiden<br />

Gruppen vergleichbar. Auch andere<br />

post-operative Endpunkte<br />

unterschieden sich in beiden Behandlungsgruppen<br />

nicht signifikant.<br />

Zielorientierte Therapie beim septischen Schock<br />

Originalpublikation<br />

Kellum JA, Chawla LS et al.<br />

(2<strong>01</strong>6) The Effects of Alternative<br />

Resuscitation Strategies on Acute<br />

Kidney Injury in Patients with<br />

Septic Shock. Am J Respir Crit Care<br />

Med 193: 281–287<br />

Bringt ein zielorientiertes Vorgehen<br />

bei Patienten im septischen<br />

Schock, die reanimiert werden<br />

mussten, einen Überlebensvorteil?<br />

Dies überprüften Kellum et<br />

al. in einer randomisierten Studie<br />

(n = 1,243) mit drei Therapieregimen:<br />

(i) EGDT (early goal-directed<br />

therapy), (ii) PSC (protocol<br />

based standard care), und (iii)<br />

Standardtherapie ohne Protokoll<br />

(usual care). In der ersten Gruppe<br />

wurde eine stringente hämodynamische<br />

Therapie während der<br />

Wiederbelebung mittels i. v.-Flüssigkeit,<br />

inotropen Substanzen und<br />

Transfusionen angestrebt. Bei Patienten<br />

ohne ANV bei Einschluss<br />

in die Studie entwickelten im weiteren<br />

Verlauf 37,6 % ein ANV unter<br />

Wiederbelebung nach Protokoll<br />

(Gruppen 1 + 2), verglichen<br />

mit 38,1 % in der „usual care“-<br />

Gruppe (p = 0,90). Weder die<br />

Dauer des ANV (p = 0,59), noch<br />

die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie<br />

unterschieden sich<br />

in den Gruppen (6,9 % vs. 4,3 %;<br />

p = 0,08). Eine Volumenüberladung<br />

wurde bei 8,3 % der mittels<br />

Protokoll behandelten Patienten<br />

und bei 6,3 % der „usual care“-<br />

Patienten diagnostiziert (p = 0,26).<br />

Die Ergebnisse waren unabhängig<br />

vom Schweregrad des ANV. Angesichts<br />

dieser ernüchternden Befunde<br />

muss man kritisch anmerken,<br />

dass bei intensivpflichtigen<br />

Patienten mit bereits etabliertem<br />

ANV – insbesondere bei oligurisch/anurischem<br />

ANV – eine<br />

„Überwässerung“ strikt vermieden<br />

werden sollte, da dies zur höheren<br />

Mortalität führen kann.<br />

Medizinische Klinik - <strong>Intensivmedizin</strong> und Notfallmedizin 8 · 2<strong>01</strong>7 665

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!