LZ 19 <strong>SonntagsBlick</strong> | 3. Dezember 2017
SPORT | WENGEN 20 <strong>SonntagsBlick</strong> | 3. Dezember 2017 Bruneck im Sommer 1998. Über die Stadt in Südtirol bricht langsam die Dämmerung herein. Christof Innerhofer aus dem benachbarten Gais befindet sich in einem schwer begehbaren Waldstück auf der Jagd nach Steinpilzen <strong>und</strong> Pfifferlingen. Plötzlich wird dem 14-Jährigen von einem kräftigen Mann der Weg abgeschnitten. Die finstere Gestalt baut sich vor ihm auf <strong>und</strong> brummt: «Gib mir die Pilze <strong>und</strong> verschwinde sofort – das hier ist mein Wald!» Christof gehorcht nur halbherzig. Er macht sich zwar sofort auf den Heimweg, den mit drei Kilo Pilzen beladenen Korb nimmt er aber mit. Zu Hause angekommen, berichtet er seinem Vater Gottfried von der Begegnung mit dem Unbekannten. Der Senior, der selber ein leidenschaftlicher Pilzsammler ist, schüttelt den Kopf. «Bub, du darfst dich hier von gar niemandem vertreiben lassen!» Der Junior nimmt sich diese Worte zu Herzen <strong>und</strong> kehrt zurück in den Wald, wo er prompt wieder in die Arme des furchterregenden Mannes läuft. Dieser wirkt jetzt noch aggressiver: «Hast du nicht verstanden, was ich dir gesagt habe? Verschwinde endlich!» Doch diesmal setzt Christof zu einem coolen Konter an. Er zückt sein Handy aus der Hosentasche <strong>und</strong> kündigt an, «dass ich jetzt meinen Vater anrufe. Der ist hier Forstaufseher <strong>und</strong> weiss deshalb ganz genau, wer hier Pilze sammeln darf.» Doch Innerhofer muss die Telefonnummer seines Erzeugers, der in Wahrheit als Karosserie-Spengler arbeitet, gar nicht eingeben – sein Widersacher hat sich aus dem Staub gemacht. REKORD-ERNTE VON 43 KG 19 Jahre nach diesem realen Pilze-Krimi steht Christof Innerhofer wieder an dem mit vielen «Schwammerln» bestückten Tatort. In der Zwischenzeit ist er mit dem Gewinn von drei WM- <strong>und</strong> zwei Olympia-Medaillen zu einem der erfolgreichsten Rennfahrer in Italiens Alpin-Geschichte avanciert. Seine Leidenschaft für Pilze ist aber unverändert. «Mit dem Pilzesammeln ist es wie mit den Erfolgen im Sport – ich werde nie genug davon bekommen. Was im <strong>Ski</strong> die <strong>Weltcups</strong>iege <strong>und</strong> Medaillen sind, sind für mich im Wald die Steinpilze <strong>und</strong> Pfifferlinge. Wenn der Korb halbvoll ist, kann ich fast nicht aufhören, bis er voll ist. Und wenn der Korb voll ist, ärgere ich mich, dass ich nicht noch einen zweiten Korb mitgenommen habe.» 43 Kilo Steinpilze hat Innerhofer vor ein paar Jahren in seinem persönlichen Rekordsommer gef<strong>und</strong>en. In diesem Jahr waren es nur ein paar Kilo weniger. «Als Bub hat mir meine Pilzernte ein schönes Taschengeld eingebracht, im Durchschnitt habe ich damit pro Sommer sicher drei Millionen Lira (r<strong>und</strong> 3000 Franken, Anm. der Red.) verdient. Auf dieses Geld bin ich jetzt zwar nicht mehr angewiesen, aber das Pilzen stellt für mich ein ausgezeichnetes Training für den Winter dar. Angetrieben von meiner Sucht <strong>und</strong> dem Traum von einem besonders grossen F<strong>und</strong>, laufe ich fast intervallmässig extrem viel rauf <strong>und</strong> runter.» SIEG DANK IRREM GERÜCHT Pilzesammeln mit Innerhofer erinnert tatsächlich an Hochleistungssport, weil seine Suche an den Stellen anfängt, an denen der durchschnittliche Südtiroler «Schwammerl- Jäger» aufhört. «Mein Lieblingsplatz befindet sich an einer sehr steilen Stelle mit vielen Ästen.» Kaum dort angekommen, spürt Innerhofer tatsächlich einen kapitalen Steinpilz auf. Der 32-Jährige zieht freudestrahlend einen sportlichen Vergleich: «Der F<strong>und</strong> dieses prächtigen Pilzes ist für mich gleichbedeutend mit einer Top-7-Platzierung bei der Lauberhorn-Abfahrt.» Apropos Lauberhorn: Im Januar 2013 hat Innerhofer den Abfahrts-Klassiker im Berner Oberland auch wegen einer besonderen Vorgeschichte gewonnen. «Ein paar St<strong>und</strong>en vor dem Start hat mein Teamkollege Peter Fill behauptet, dass sich meine Fre<strong>und</strong>in mit einem anderen Mann treffen würde. Danach bin ich total aggressiv ins Rennen gegangen. Peters Behauptung hatte mich wütend gemacht <strong>und</strong> angetrieben. Nach der Fahrt durchs Brüggli-S <strong>und</strong> durch den Tunnel habe ich zu mir gesagt: So, jetzt zeige ich meiner Fre<strong>und</strong>in, wer hier der Chef ist.» Kurz vor der Siegerehrung hat sich Peter Fills Behauptung dann als Missverständnis erwiesen. In der Zwischenzeit ist Innerhofer aber wieder Single. • Foto: Keystone Ab in den Wald: In der Nähe von Bruneck befindet sich Innerhofers Pilze-Paradies. 2013: Innerhofer fliegt <strong>und</strong> fährt in <strong>Wengen</strong> zum Sieg.