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LANGSTRECKE 04 / 2017<br />
Phänomenal<br />
LESEDAUER: 10 MINUTEN<br />
MUSIKGESCHICHTE<br />
Rente mit 70? Aber nicht doch für Mick Jagger und Kollegen.<br />
Während andere Musiker ihrer Generation<br />
längst Geschichte sind, spielen die „Rolling Stones“<br />
einfach weiter. Weil sie es können<br />
von<br />
kurt kister<br />
Vor ein paar Monaten, genauer gesagt: am 13. Juni,<br />
starb Anita Pallenberg in einem Krankenhaus in<br />
Chichester, England. Sie war 75.<br />
Es ist vielleicht nicht besonders schlau, einen Text<br />
über die Rolling Stones mit einer zehn Wochen alten<br />
Todesnachricht zu beginnen. Sehr viele Leute nämlich,<br />
die zurzeit über die Stones sprechen und schreiben,<br />
weil die wieder mal eine Welt-, Europa- und Deutschlandtournee<br />
machen, sprechen und schreiben natürlich<br />
auch darüber, wie alt Keith, Mick, Charlie und<br />
Ronnie sind. Die durchschnittliche Stones-Konzertkritikgeschichte<br />
seit ungefähr 1990 erzählt zumeist<br />
ausführlich über die alten Männer auf der Bühne und<br />
im Publikum. („Alte Männer“ übrigens ist, nicht nur<br />
bei Frauen unter 50, eine beliebte Formulierung der<br />
scheinbar freundlichen Gruppendiskriminierung. Sie<br />
gilt außerdem als politisch korrekt. Alte Männer darf<br />
man und frau diskriminieren.) Wenn der Rezensent<br />
oder die Kritikerin selbst jünger als 47 ist oder sich so<br />
fühlt, gibt es gerne noch ein paar Beobachtungen zu<br />
alten Tournee-T-Shirts, die sich über Bäuche spannen,<br />
über die exorbitanten Eintrittspreise und irgendwas<br />
in Richtung too old to rock ’n’ roll too young to die<br />
oder auch only the good die young.<br />
Die Stones sind eigentlich gar nicht too young to<br />
die. Sie sterben nur nicht. Jeweils die Hälfte der Beatles,<br />
der Eagles und der Doors ist tot, zwei Drittel von<br />
Emerson, Lake and Palmer auch. (Wahrscheinlich fällt<br />
jetzt irgendjemandem gleich das Zitat von Bill Clinton<br />
ein, der bei einer Laudatio auf Richards 2011 gesagt<br />
hat, dass Keith Richards außer Kakerlaken die einzige<br />
Lebensform sei, die einen Atomkrieg überleben könne.<br />
Das wird auch gern von Konzertkritikern zitiert.)<br />
Ja, die Stones sind alt. Jagger ist am 26. Juli 1943<br />
geboren, Richards am 18. Dezember desselben Jahres,<br />
Watts am 2. Juni 1941 und Wood am 1. Juni 1947.<br />
Zusammen sind die vier 293 Jahre alt; Ronnie Wood<br />
ist mit gerade mal 70 der Jüngste, Charlie Watts mit<br />
76 der Älteste. Wäre Bill Wyman, der 1993 ausgestiegene<br />
Bassist, noch dabei, wäre er der Älteste. Wyman<br />
ist jetzt 80.<br />
Aber zurück zu Anita Pallenberg. 1965 traf sie zum<br />
ersten Mal auf die Stones, oder die Stones trafen auf<br />
sie. (1965, dies sei der Transparenz und des erkenntnisleitenden<br />
Interesses halber in diesem Klammersatz<br />
elegant aufgedeckt, war ich, also der Schreiber<br />
dieses Textes, acht Jahre alt. Ich neigte damals mehr<br />
Winnetou und den Beatles zu. Das hat sich geändert.)<br />
Die Stones traten am 14. September 1965 zum ersten<br />
Mal in München auf; ihre Deutschland-Premiere<br />
überhaupt war drei Tage vorher in Münster. Backstage<br />
im Münchner Circus Krone hielt sich damals<br />
Anita Pallenberg auf, Tochter eines Italieners und<br />
einer Deutschen, Teilzeitmodel und eine Art hippe<br />
Adabei. Sie baggerte Brian Jones an, den borderlinigen<br />
Gründungsgitarristen der Stones. Dies führte<br />
dazu, dass die beiden in einer sehr stürmischen Partnerschaft,<br />
befeuert von orientalischen und anderen<br />
Drogen, ein paar Jahre zusammen waren, bevor sich<br />
dann Pallenberg und Richards fanden. Die beiden<br />
lebten immerhin bis 1980 miteinander und bekamen<br />
drei Kinder.<br />
NEUGIERIG, WIE’S<br />
WEITER GEHT?<br />
Pallenberg wurde gerne als die „Muse“ der Band<br />
beschrieben, was angesichts der doch eher kontemplativen<br />
Rolle einer Muse nicht so recht passt. Sie nahm<br />
in ihrer Zeit mit Richards durchaus Einfluss auf die<br />
Musik der Band (bei „Sympathy for the Devil“ singt<br />
sie gemeinsam mit Jaggers damaliger Freundin Marianne<br />
Faithfull im Hintergrund). Sie war in den späten<br />
Sechzigern und den Siebzigern so präsent, dass sie<br />
den Lebensstil der Stones mitprägte, der sich wiederum<br />
in den Platten widerspiegelte.<br />
Wie ihr Partner Richards war Pallenberg zeitweise<br />
heroinabhängig. Einen ziemlich großen Skandal gab<br />
es, als 1979 ein 17-jähriger Gärtner tot im Haus und<br />
Bett der Pallenberg-Richards in Salem, New York, gefunden<br />
wurde. Er hatte sich erschossen. Pallenberg<br />
wurde von der Polizei des unerlaubten Waffenbesitzes<br />
beschuldigt; eine Untersuchung, ob sie und der Gärtner<br />
russisches Roulette „gespielt“ hatten, blieb ohne<br />
Ergebnis. Pallenberg, die als Schauspielerin auch mal<br />
mit Volker Schlöndorff drehte, gehört zu den Stones<br />
so wie „Exile on Main Street“, die Drogenrazzien und<br />
jenes Image der bad boys, das sich bis heute auch bei<br />
den Großvätern hält.<br />
SCHLECHTE<br />
BEATLES-<br />
PLATTEN GIBT<br />
ES NICHT,<br />
SCHLECHTE<br />
STONES-LPS<br />
SCHON<br />
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