15.01.2018 Aufrufe

RAL 1015 taxi news Heft 5-2017

RA Decker

RA Decker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

echt & steuern<br />

Bitte wenden! Route wird neu berechnet!<br />

Foto: Fotolia, Grafik: lstsim.de<br />

Zum Wegfall der Ortskundeprüfung für Kranken- und Mietwagenfahrer.<br />

Wenn Sie sich mit Grausen an<br />

Ihr Pauken für die Berliner<br />

Taxi-Ortskundeprüfung<br />

erinnern, dürfte Sie dieser<br />

Artikel interessieren.<br />

Ich selber musste die mündliche Prüfung<br />

leider einmal wiederholen, weil ich eine<br />

der Zielfahrten in der mündlichen Prüfung<br />

nicht korrekt beantworten konnte. Gefragt<br />

wurde ich seinerzeit nach der Strecke von<br />

der Deutschen Oper zum Krematorium<br />

Wilmersdorf. Ja, ich gestehe es, diese<br />

Frage hat mich damals verdattert, denn<br />

vor meinem Geist entspann sofort die<br />

Frage, ob da wohl ein Sänger auf der<br />

Bühne zusammengebrochen und nun auf<br />

direktem Weg zur Asche verarbeitet werden<br />

soll. Ein toter wuchtiger Bassbariton<br />

auf meiner Rückbank? Eben noch umjubelt<br />

den Falstaff geschmettert und nun auf 700<br />

Grad zerschmurgelt? Ich schnappte vor<br />

diesen abgründigen inneren Bildern erst<br />

einmal nach Luft, und stammelte dann<br />

noch etwas von der äh, Bismarckstraße,<br />

wurde aber jäh von einem der Prüfer mit<br />

den markigen Worten: „Geben Sie es doch<br />

zu! Sie wissen gar nicht wo das Krematorium<br />

Wilmersdorf liegt!“ unterbrochen.<br />

Seine zwei Kollegen nickten zustimmend.<br />

Durchgefallen! Aus!<br />

Während sich der Taxifahrer in spe<br />

heutzutage immer noch intensiv mit der<br />

Ortskunde beschäftigen muss, bevor er<br />

seinen ersten Fahrgast befördern darf, soll<br />

es den Kranken- und Mietwagenfahrern, die<br />

bis dato ohnehin keine schriftliche Prüfung<br />

machen mussten, nun noch leichter<br />

gemacht werden?<br />

Wie man einem Schreiben des Bayerischen<br />

Staatsministeriums für Verkehr aus<br />

dem April <strong>2017</strong> entnehmen darf, wird die<br />

Verpflichtung zur Ablegung der mündlichen<br />

Ortskundeprüfung für Krankenwagen-<br />

und Mietwagenfahrer, entgegen den<br />

Vorschriften der Fahrerlaubnisverordnung,<br />

ab sofort gänzlich entfallen. Die zuständige<br />

Senatsverwaltung in Berlin hat schon<br />

verkündet, dass sie diesem Ansinnen<br />

zeitnah Folge leisten will.<br />

Wie kann das sein?<br />

Lassen Sie mich Ihnen hierzu die erforderlichen<br />

Rechtsgrundlagen in Form von Verordnungen<br />

und Gesetzen kurz erläutern.<br />

Das Personenbeförderungsgesetz PBefG<br />

ist, wie der Name schon sagt ein Gesetz,<br />

ein Bundesgesetz. Bundesgesetze werden<br />

vom Bundestag beschlossen. Unter<br />

Umständen hat der Bundesrat (Ländergremium)<br />

noch ein Wörtchen mitzureden.<br />

Im PBefG selber ist die Erforderlichkeit<br />

der Ortskunde nicht geregelt. Das Gesetz<br />

bestimmt aber in § 57 Absatz 3 PBefG,<br />

dass das Bundesministerium für Verkehr<br />

mit Zustimmung des Bundesrates Verordnungen<br />

erlassen darf, um Einzelheiten<br />

festzulegen, die die Erfüllung des PBefG<br />

erforderlich machen.<br />

Das Bundesverkehrsministerium hat von<br />

dieser Ermächtigungsgrundlage Gebrauch<br />

gemacht und in der Fahrerlaubnisverordnung<br />

FeV geregelt, wer, wieso und warum<br />

welche Prüfung machen muss.<br />

In § 48 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz<br />

4 Nummer 7 FeV ist die Ortskunde geregelt:<br />

(1) Einer zusätzlichen Erlaubnis (Fahrerlaubnis<br />

zur Fahrgastbeförderung)<br />

bedarf, wer einen Krankenkraftwagen<br />

führt, wenn in dem Fahrzeug entgeltlich<br />

oder geschäftsmäßig Fahrgäste<br />

befördert werden, oder wer ein Kraftfahrzeug<br />

führt, wenn in dem Fahrzeug<br />

Fahrgäste befördert werden und für<br />

diese Beförderung eine Genehmigung<br />

nach dem Personenbeförderungsgesetz<br />

erforderlich ist.<br />

(4) Nr. 7<br />

– falls die Erlaubnis für Mietwagen<br />

oder Krankenkraftwagen gelten soll –<br />

die erforderlichen Ortskenntnisse am<br />

Ort des Betriebssitzes besitzt; dies gilt<br />

nicht, wenn der Ort des Betriebssitzes<br />

weniger als 50.000 Einwohner hat. Der<br />

Nachweis kann durch eine Bescheinigung<br />

einer geeigneten Stelle geführt<br />

werden, die die zuständige oberste<br />

Landesbehörde, die von ihr bestimmte<br />

Stelle oder die nach Landesrecht<br />

zuständige Stelle bestimmt. Die Fahrerlaubnisbehörde<br />

kann die Ortskundeprüfung<br />

auch selbst durchführen.<br />

Im Schreiben aus Bayern heißt es aber nun:<br />

„Der Bund-Länder-Fachausschuss<br />

Fahrerlaubnis/Fahrlehrerrecht hat in<br />

diesem Zusammenhang auf seinen<br />

Sitzungen im Herbst 2016 und Frühjahr<br />

<strong>2017</strong> mehrheitlich beschlossen,<br />

dass aus fahrerlaubnisrechtlicher<br />

Sicht ein Wegfall des Nachweises<br />

6 <strong>RAL</strong> <strong>1015</strong> <strong>taxi</strong><strong>news</strong> · 5/<strong>2017</strong>


der Ortskunde im Mietwagen- und<br />

Krankenkraftwagenverkehr künftig für<br />

vertretbar erachtet wird“.<br />

Dankenswerterweise wird dieser Beschluss<br />

auch noch begründet:<br />

„Im Gegensatz beispielsweise zum<br />

Taxifahrer ist das Fahrtziel in der Regel<br />

im Vorfeld bekannt. Eine geeignete<br />

Fahrtroute kann somit bereits vor<br />

Fahrtantritt ausgewählt werden. In der<br />

Praxis werden die Fahrpreise meist<br />

im Voraus verhandelt oder von den<br />

Krankenkassen vorgegeben. Umwege<br />

wirken sich nicht auf den Fahrpreis<br />

aus“.<br />

Im nächsten Absatz folgt jedoch der Passus:<br />

„Diesem Umstand trägt unter anderem<br />

auch § 40 … BOKraft Rechnung,<br />

wonach im Mietwagenverkehr die Beförderungsentgelte<br />

nach der Anzeige<br />

des Wegstreckenzählers (§ 30 Abs. 1)<br />

zu berechnen sind, wenn nichts anderes<br />

vereinbart ist“.<br />

Aha. Das soll einer verstehen. Also, dass<br />

der Mietwagenfahrer ohne nachgewiesene<br />

Ortskunde fortan, vor Auftragsausführung,<br />

die Fahrt auf dem Reisbrett austüftelt, geht<br />

doch deutlich an der Lebenswirklichkeit –<br />

Spontanverkehr mit Mietwagen a la Uber<br />

etc. – vorbei. Und, wenn der Mietwagenfahrer<br />

wegen fehlender Ortskunde stundenlang<br />

im Kreis fährt, dann darf er sich in<br />

Zukunft die Folgen seiner Unkenntnis auch<br />

noch über den Wegstreckenzähler vergolden<br />

lassen. Hmmh. So richtig überzeugend<br />

ist die Begründung nicht.<br />

Ich war bisher der Ansicht, dass der<br />

Verordnungsgeber durch die Ortskundeprüfung<br />

verhindern wollte, dass Mietwagenkunden<br />

und Kranke mit unkundigen<br />

Fahrern durch die Gegend irrlichtern. Egal,<br />

ob Festpreis oder nicht. Auch Kranke und<br />

Mietwagenkunden möchten zügig ihr Ziel<br />

erreichen und nicht auf der B1 oder der<br />

Stadtautobahn „verrecken“, weil das Navi<br />

den Fahrer dorthin gelotst hat.<br />

Aber bevor man sich über die Begründung<br />

aufregt, sollte noch hinterfragt werden,<br />

ob der Bund-Länder-Fachausschuss Fahrerlaubnis/Fahrlehrerrecht<br />

(BLFA) oder die<br />

Verkehrministerien der Länder überhaupt<br />

Rechtsetzungsbefugnis besitzen, die<br />

Ortskundeverpflichtung abzuschaffen.<br />

Der Verordnungsgeber ist und bleibt – wie<br />

oben dargelegt – der Bundesverkehrsminister.<br />

Anzunehmen ist, dass die Bayern ihre Befähigung<br />

zur Abschaffung der Ortskunde auf<br />

§ 73 FeV stützen, da sie hiernach zur Ausführung<br />

der Vorschriften des FeV berechtigt<br />

sind und nach § 74 FeV auch Ausnahmen<br />

zulassen können.<br />

Der Wortlaut des § 74 FEV klingt so:<br />

(1) Die nach Landesrecht zuständigen<br />

Behörden können in bestimmten Einzelfällen<br />

oder allgemein für bestimmte<br />

einzelne Antragsteller Ausnahmen<br />

von den Vorschriften dieser Verordnung<br />

genehmigen.<br />

Wie Sie richtig lesen, steht dort also nicht,<br />

dass die Landesbehörde ganze Bestimmungen<br />

der Verordnung abschaffen kann,<br />

sondern, dass die Landesbehörde in<br />

bestimmten Einzelfällen oder allgemein<br />

für bestimmte Antragsteller Ausnahmen<br />

von den Vorschriften dieser Verordnung<br />

genehmigen kann. Der Wegfall der Ortskundeprüfung<br />

für Krankenwagenverkehr und<br />

Mietwagen ist jedoch weder ein Einzelfall,<br />

da es in Bayern für alle ab sofort gilt, noch<br />

gilt es allgemein für bestimmte einzelne<br />

Antragsteller. Und eine Genehmigung im<br />

Sinne der Verordnung stellt das Vorgehen<br />

der Bayern auch nicht da, vielmehr handelt<br />

es sich um eine Allgemeinverfügung für deren<br />

Erlass die einzelnen Landesbehörden<br />

gerade keine Kompetenz haben dürften.<br />

Nach meinem Dafürhalten ist daher der<br />

Alleingang der Bayern, dem Berlin noch<br />

vor Änderung der FeV nachhoppeln will,<br />

rechtswidrig.<br />

Was ist insgesamt von der<br />

Abschaffung der Ortskundeverpflichtung<br />

zu halten?<br />

Richtig ist, dass mittlerweile wohl alle<br />

Taxen und Mietwagen mit einem Navi<br />

ausgestattet sind. Fraglich bleibt, ob das<br />

wirklich die Ortskunde ersetzt. Im Medizinstudium<br />

bleibt die Anatomielehre hoffentlich<br />

auch noch länger Bestandteil, obwohl<br />

der Mediziner noch am OP-Tisch alles über<br />

den menschlichen Körper googeln könnte.<br />

Jeder Fahrer wird nach einiger Fahrpraxis<br />

bemerken, dass die Lernerei auch etwas<br />

Gutes hatte. Im Hirn entsteht nämlich ein<br />

Orientierungsplan der Stadt, der stetig abzurufen<br />

ist – auch offline und ohne Strom!<br />

In einer Stadt wie Berlin, in der Straßenführungen<br />

wegen Großveranstaltungen,<br />

Politikerbesuchen, Baustellen und anderen<br />

Katastrophen oft geändert werden, ist der<br />

Fahrer, gleich ob Taxi-, Miet- oder Krankenwagenfahrer,<br />

ohne eigene, fundierte<br />

Ortskenntnis verloren.<br />

Fraglich bleibt auch, warum zwischen<br />

Taxen und Mietwagen hinsichtlich der<br />

Berufswahl nunmehr ein so deutlicher Unterschied<br />

geschaffen werden soll, obwohl<br />

die Flotte der Mietwagenunternehmer und<br />

Vermittler (call it Uber, baby) immer stärker<br />

in den Taxenmarkt dringt – zumindest in<br />

Berlin und München.<br />

Oder anders: Welcher Trottel lernt noch<br />

drei Monate stramm für die Ortskunde<strong>taxi</strong>prüfung,<br />

wenn er sich als Mietwagenfahrer<br />

sofort hinter das Steuer schwingen kann?<br />

Wenn man sich dann noch neueste Gutachten<br />

aus dem Hause des Verkehrsministeriums<br />

ansieht und die Diskussion um die<br />

Erforderlichkeit der Rückkehrverpflichtung<br />

für Mietwagen verfolgt, muss man kein<br />

Prophet sein, um zu erkennen: Das Taxengewerbe<br />

sieht einer ungemütlichen Zukunft<br />

entgegen und diese kann schneller kommen<br />

als man denkt. Es ist anzuraten, die<br />

Ressentiments der Verbände und Einzelner<br />

untereinander nun hinten anzustellen und<br />

flugs gemeinsam Strategien zu entwickeln.<br />

Rechtsanwältin<br />

Alexandra Decker<br />

DECKER & KOLLEGEN<br />

Rechtsanwälte und Steuerberaterin<br />

<br />

<br />

Verkehrsrecht · Immobilienrecht<br />

Wettbewerbsrecht · Urheberrecht<br />

Familienrecht<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

5/<strong>2017</strong> · <strong>RAL</strong> <strong>1015</strong> <strong>taxi</strong><strong>news</strong> 7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!