RAL 1015 taxi news Heft 5-2017
RA Decker
RA Decker
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Foto: Fotolia, Grafik: lstsim.de<br />
Zum Wegfall der Ortskundeprüfung für Kranken- und Mietwagenfahrer.<br />
Wenn Sie sich mit Grausen an<br />
Ihr Pauken für die Berliner<br />
Taxi-Ortskundeprüfung<br />
erinnern, dürfte Sie dieser<br />
Artikel interessieren.<br />
Ich selber musste die mündliche Prüfung<br />
leider einmal wiederholen, weil ich eine<br />
der Zielfahrten in der mündlichen Prüfung<br />
nicht korrekt beantworten konnte. Gefragt<br />
wurde ich seinerzeit nach der Strecke von<br />
der Deutschen Oper zum Krematorium<br />
Wilmersdorf. Ja, ich gestehe es, diese<br />
Frage hat mich damals verdattert, denn<br />
vor meinem Geist entspann sofort die<br />
Frage, ob da wohl ein Sänger auf der<br />
Bühne zusammengebrochen und nun auf<br />
direktem Weg zur Asche verarbeitet werden<br />
soll. Ein toter wuchtiger Bassbariton<br />
auf meiner Rückbank? Eben noch umjubelt<br />
den Falstaff geschmettert und nun auf 700<br />
Grad zerschmurgelt? Ich schnappte vor<br />
diesen abgründigen inneren Bildern erst<br />
einmal nach Luft, und stammelte dann<br />
noch etwas von der äh, Bismarckstraße,<br />
wurde aber jäh von einem der Prüfer mit<br />
den markigen Worten: „Geben Sie es doch<br />
zu! Sie wissen gar nicht wo das Krematorium<br />
Wilmersdorf liegt!“ unterbrochen.<br />
Seine zwei Kollegen nickten zustimmend.<br />
Durchgefallen! Aus!<br />
Während sich der Taxifahrer in spe<br />
heutzutage immer noch intensiv mit der<br />
Ortskunde beschäftigen muss, bevor er<br />
seinen ersten Fahrgast befördern darf, soll<br />
es den Kranken- und Mietwagenfahrern, die<br />
bis dato ohnehin keine schriftliche Prüfung<br />
machen mussten, nun noch leichter<br />
gemacht werden?<br />
Wie man einem Schreiben des Bayerischen<br />
Staatsministeriums für Verkehr aus<br />
dem April <strong>2017</strong> entnehmen darf, wird die<br />
Verpflichtung zur Ablegung der mündlichen<br />
Ortskundeprüfung für Krankenwagen-<br />
und Mietwagenfahrer, entgegen den<br />
Vorschriften der Fahrerlaubnisverordnung,<br />
ab sofort gänzlich entfallen. Die zuständige<br />
Senatsverwaltung in Berlin hat schon<br />
verkündet, dass sie diesem Ansinnen<br />
zeitnah Folge leisten will.<br />
Wie kann das sein?<br />
Lassen Sie mich Ihnen hierzu die erforderlichen<br />
Rechtsgrundlagen in Form von Verordnungen<br />
und Gesetzen kurz erläutern.<br />
Das Personenbeförderungsgesetz PBefG<br />
ist, wie der Name schon sagt ein Gesetz,<br />
ein Bundesgesetz. Bundesgesetze werden<br />
vom Bundestag beschlossen. Unter<br />
Umständen hat der Bundesrat (Ländergremium)<br />
noch ein Wörtchen mitzureden.<br />
Im PBefG selber ist die Erforderlichkeit<br />
der Ortskunde nicht geregelt. Das Gesetz<br />
bestimmt aber in § 57 Absatz 3 PBefG,<br />
dass das Bundesministerium für Verkehr<br />
mit Zustimmung des Bundesrates Verordnungen<br />
erlassen darf, um Einzelheiten<br />
festzulegen, die die Erfüllung des PBefG<br />
erforderlich machen.<br />
Das Bundesverkehrsministerium hat von<br />
dieser Ermächtigungsgrundlage Gebrauch<br />
gemacht und in der Fahrerlaubnisverordnung<br />
FeV geregelt, wer, wieso und warum<br />
welche Prüfung machen muss.<br />
In § 48 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz<br />
4 Nummer 7 FeV ist die Ortskunde geregelt:<br />
(1) Einer zusätzlichen Erlaubnis (Fahrerlaubnis<br />
zur Fahrgastbeförderung)<br />
bedarf, wer einen Krankenkraftwagen<br />
führt, wenn in dem Fahrzeug entgeltlich<br />
oder geschäftsmäßig Fahrgäste<br />
befördert werden, oder wer ein Kraftfahrzeug<br />
führt, wenn in dem Fahrzeug<br />
Fahrgäste befördert werden und für<br />
diese Beförderung eine Genehmigung<br />
nach dem Personenbeförderungsgesetz<br />
erforderlich ist.<br />
(4) Nr. 7<br />
– falls die Erlaubnis für Mietwagen<br />
oder Krankenkraftwagen gelten soll –<br />
die erforderlichen Ortskenntnisse am<br />
Ort des Betriebssitzes besitzt; dies gilt<br />
nicht, wenn der Ort des Betriebssitzes<br />
weniger als 50.000 Einwohner hat. Der<br />
Nachweis kann durch eine Bescheinigung<br />
einer geeigneten Stelle geführt<br />
werden, die die zuständige oberste<br />
Landesbehörde, die von ihr bestimmte<br />
Stelle oder die nach Landesrecht<br />
zuständige Stelle bestimmt. Die Fahrerlaubnisbehörde<br />
kann die Ortskundeprüfung<br />
auch selbst durchführen.<br />
Im Schreiben aus Bayern heißt es aber nun:<br />
„Der Bund-Länder-Fachausschuss<br />
Fahrerlaubnis/Fahrlehrerrecht hat in<br />
diesem Zusammenhang auf seinen<br />
Sitzungen im Herbst 2016 und Frühjahr<br />
<strong>2017</strong> mehrheitlich beschlossen,<br />
dass aus fahrerlaubnisrechtlicher<br />
Sicht ein Wegfall des Nachweises<br />
6 <strong>RAL</strong> <strong>1015</strong> <strong>taxi</strong><strong>news</strong> · 5/<strong>2017</strong>
der Ortskunde im Mietwagen- und<br />
Krankenkraftwagenverkehr künftig für<br />
vertretbar erachtet wird“.<br />
Dankenswerterweise wird dieser Beschluss<br />
auch noch begründet:<br />
„Im Gegensatz beispielsweise zum<br />
Taxifahrer ist das Fahrtziel in der Regel<br />
im Vorfeld bekannt. Eine geeignete<br />
Fahrtroute kann somit bereits vor<br />
Fahrtantritt ausgewählt werden. In der<br />
Praxis werden die Fahrpreise meist<br />
im Voraus verhandelt oder von den<br />
Krankenkassen vorgegeben. Umwege<br />
wirken sich nicht auf den Fahrpreis<br />
aus“.<br />
Im nächsten Absatz folgt jedoch der Passus:<br />
„Diesem Umstand trägt unter anderem<br />
auch § 40 … BOKraft Rechnung,<br />
wonach im Mietwagenverkehr die Beförderungsentgelte<br />
nach der Anzeige<br />
des Wegstreckenzählers (§ 30 Abs. 1)<br />
zu berechnen sind, wenn nichts anderes<br />
vereinbart ist“.<br />
Aha. Das soll einer verstehen. Also, dass<br />
der Mietwagenfahrer ohne nachgewiesene<br />
Ortskunde fortan, vor Auftragsausführung,<br />
die Fahrt auf dem Reisbrett austüftelt, geht<br />
doch deutlich an der Lebenswirklichkeit –<br />
Spontanverkehr mit Mietwagen a la Uber<br />
etc. – vorbei. Und, wenn der Mietwagenfahrer<br />
wegen fehlender Ortskunde stundenlang<br />
im Kreis fährt, dann darf er sich in<br />
Zukunft die Folgen seiner Unkenntnis auch<br />
noch über den Wegstreckenzähler vergolden<br />
lassen. Hmmh. So richtig überzeugend<br />
ist die Begründung nicht.<br />
Ich war bisher der Ansicht, dass der<br />
Verordnungsgeber durch die Ortskundeprüfung<br />
verhindern wollte, dass Mietwagenkunden<br />
und Kranke mit unkundigen<br />
Fahrern durch die Gegend irrlichtern. Egal,<br />
ob Festpreis oder nicht. Auch Kranke und<br />
Mietwagenkunden möchten zügig ihr Ziel<br />
erreichen und nicht auf der B1 oder der<br />
Stadtautobahn „verrecken“, weil das Navi<br />
den Fahrer dorthin gelotst hat.<br />
Aber bevor man sich über die Begründung<br />
aufregt, sollte noch hinterfragt werden,<br />
ob der Bund-Länder-Fachausschuss Fahrerlaubnis/Fahrlehrerrecht<br />
(BLFA) oder die<br />
Verkehrministerien der Länder überhaupt<br />
Rechtsetzungsbefugnis besitzen, die<br />
Ortskundeverpflichtung abzuschaffen.<br />
Der Verordnungsgeber ist und bleibt – wie<br />
oben dargelegt – der Bundesverkehrsminister.<br />
Anzunehmen ist, dass die Bayern ihre Befähigung<br />
zur Abschaffung der Ortskunde auf<br />
§ 73 FeV stützen, da sie hiernach zur Ausführung<br />
der Vorschriften des FeV berechtigt<br />
sind und nach § 74 FeV auch Ausnahmen<br />
zulassen können.<br />
Der Wortlaut des § 74 FEV klingt so:<br />
(1) Die nach Landesrecht zuständigen<br />
Behörden können in bestimmten Einzelfällen<br />
oder allgemein für bestimmte<br />
einzelne Antragsteller Ausnahmen<br />
von den Vorschriften dieser Verordnung<br />
genehmigen.<br />
Wie Sie richtig lesen, steht dort also nicht,<br />
dass die Landesbehörde ganze Bestimmungen<br />
der Verordnung abschaffen kann,<br />
sondern, dass die Landesbehörde in<br />
bestimmten Einzelfällen oder allgemein<br />
für bestimmte Antragsteller Ausnahmen<br />
von den Vorschriften dieser Verordnung<br />
genehmigen kann. Der Wegfall der Ortskundeprüfung<br />
für Krankenwagenverkehr und<br />
Mietwagen ist jedoch weder ein Einzelfall,<br />
da es in Bayern für alle ab sofort gilt, noch<br />
gilt es allgemein für bestimmte einzelne<br />
Antragsteller. Und eine Genehmigung im<br />
Sinne der Verordnung stellt das Vorgehen<br />
der Bayern auch nicht da, vielmehr handelt<br />
es sich um eine Allgemeinverfügung für deren<br />
Erlass die einzelnen Landesbehörden<br />
gerade keine Kompetenz haben dürften.<br />
Nach meinem Dafürhalten ist daher der<br />
Alleingang der Bayern, dem Berlin noch<br />
vor Änderung der FeV nachhoppeln will,<br />
rechtswidrig.<br />
Was ist insgesamt von der<br />
Abschaffung der Ortskundeverpflichtung<br />
zu halten?<br />
Richtig ist, dass mittlerweile wohl alle<br />
Taxen und Mietwagen mit einem Navi<br />
ausgestattet sind. Fraglich bleibt, ob das<br />
wirklich die Ortskunde ersetzt. Im Medizinstudium<br />
bleibt die Anatomielehre hoffentlich<br />
auch noch länger Bestandteil, obwohl<br />
der Mediziner noch am OP-Tisch alles über<br />
den menschlichen Körper googeln könnte.<br />
Jeder Fahrer wird nach einiger Fahrpraxis<br />
bemerken, dass die Lernerei auch etwas<br />
Gutes hatte. Im Hirn entsteht nämlich ein<br />
Orientierungsplan der Stadt, der stetig abzurufen<br />
ist – auch offline und ohne Strom!<br />
In einer Stadt wie Berlin, in der Straßenführungen<br />
wegen Großveranstaltungen,<br />
Politikerbesuchen, Baustellen und anderen<br />
Katastrophen oft geändert werden, ist der<br />
Fahrer, gleich ob Taxi-, Miet- oder Krankenwagenfahrer,<br />
ohne eigene, fundierte<br />
Ortskenntnis verloren.<br />
Fraglich bleibt auch, warum zwischen<br />
Taxen und Mietwagen hinsichtlich der<br />
Berufswahl nunmehr ein so deutlicher Unterschied<br />
geschaffen werden soll, obwohl<br />
die Flotte der Mietwagenunternehmer und<br />
Vermittler (call it Uber, baby) immer stärker<br />
in den Taxenmarkt dringt – zumindest in<br />
Berlin und München.<br />
Oder anders: Welcher Trottel lernt noch<br />
drei Monate stramm für die Ortskunde<strong>taxi</strong>prüfung,<br />
wenn er sich als Mietwagenfahrer<br />
sofort hinter das Steuer schwingen kann?<br />
Wenn man sich dann noch neueste Gutachten<br />
aus dem Hause des Verkehrsministeriums<br />
ansieht und die Diskussion um die<br />
Erforderlichkeit der Rückkehrverpflichtung<br />
für Mietwagen verfolgt, muss man kein<br />
Prophet sein, um zu erkennen: Das Taxengewerbe<br />
sieht einer ungemütlichen Zukunft<br />
entgegen und diese kann schneller kommen<br />
als man denkt. Es ist anzuraten, die<br />
Ressentiments der Verbände und Einzelner<br />
untereinander nun hinten anzustellen und<br />
flugs gemeinsam Strategien zu entwickeln.<br />
Rechtsanwältin<br />
Alexandra Decker<br />
DECKER & KOLLEGEN<br />
Rechtsanwälte und Steuerberaterin<br />
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Verkehrsrecht · Immobilienrecht<br />
Wettbewerbsrecht · Urheberrecht<br />
Familienrecht<br />
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5/<strong>2017</strong> · <strong>RAL</strong> <strong>1015</strong> <strong>taxi</strong><strong>news</strong> 7