22 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>April</strong> <strong>2013</strong> Pflegewissenschaft „Totale Organisation” Krankenhaus Zum Umgang mit “Geschlecht” in Pflege und Medizin von Klaus-Dieter Neander Fotos: Gerd Altmann, pixelio.de Kranken- und Altenpflege hat unstreitbar unmittelbar körperlichen Kontakt zu ihren Klienten, wenn diese gewaschen werden müssen oder zur Toilette müssen. Nicht selten kommt es vor, dass – vor allem Frauen – sich weigern, sich von einem Mann waschen zu lassen. Doch es gibt auch Situationen, wo es der männlichen Pflegekraft schwer fallen könnte, eine Frau z.B. mit einer vom Mediziner angeordneten Creme komplett eincremen zu müssen, wenn beide, Patienten und Pflegender, erotische Komponenten wahrnehmen und nicht wissen, wie sie in diesem Kontext miteinander umgehen sollen. Noch schwieriger wird die Situation, wenn ein Patient in eine Klinik eingeliefert wird, der transsexuell 1,2 ist. Eine Begebenheit, die sich in einem Hamburger Krankenhaus abgespielt hat, wurde von dem Betroffenen (Maike Meier) tagebuchartig und aus dem Gedächtnis protokolliert, daraus Auszüge:
<strong>April</strong> <strong>2013</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 23 „Vor einigen Wochen bin ich notfallmäßig in ein Schwerpunktkrankenhaus eingeliefert worden. Ich hatte einen Autounfall und war, als Krankenwagen und Notarzt zur Unfallstelle kamen, bewusstlos. Auf der mit Blaulicht und Martinshorn untermalten Fahrt wurde ich langsam wach, nahm nur schemenhaft wahr, was sich um mich herum abspielte und bemerkte, wie ein Rettungssanitäter auf mich einredete: „Herr Meier, hören Sie mich …wir fahren Sie in die Unfallklinik, da wird man Sie genau untersuchen und Ihnen helfen. Sie hatten einen Verkehrsunfall, Herr Meier, hören Sie mich….?“ Ich hörte ihn, konnte aber irgendwie nicht reagieren, seine Stimme war angenehm und ich hatte den Eindruck, dass ich in guten Händen sei. Doch in mir stieg die Panik auf … wie wird man mit mir umgehen, wenn man mitbekommt, wen man da auf der Strasse aufgelesen hatte? Ich habe einen Personalausweis, in dem der Name Maik Meier eingetragen ist. Den Vornamen hatte ich eintragen lassen, als für mich klar war, dass ich zwar mit den anatomischen Merkmalen einer Frau geboren und aufgewachsen, mich aber als MANN fühlte und so zukünftig auch leben wollte. Dabei wollte ich nicht die ganzen Prozeduren über mich ergehen lassen, die man mit „geschlechtsangleichenden Operationen“ umschreibt und die zum Ziel haben, den sog. „normalen“ körperlichen Zustand operativ herzustellen, den man sich vorstellt, wenn man von Frau oder Herrn Meier spricht. Ich bin wie ich bin und so entschloss ich mich vor gut 3 Jahren, anatomisch so zu bleiben wie ich nun mal geboren bin, aber dennoch als Mann zu leben. Jetzt bin ich 27 Jahre alt und meine Familie hat sich langsam aber sicher daran gewöhnt, mich nicht mehr mit meinem Mädchennamen, sondern mit meinem „neuen“ Vornamen anzusprechen. (…) Irgendwann trafen wir in der Notaufnahme der Klinik ein ….ich hörte den Notarzt meinen Vor- und Nachnamen sagen … man hatte meinen Ausweis gefunden und dann kam der diensthabende Chirurg. Er erläuterte mir, dass man mich jetzt ausziehen müsse, weil er mich genauer untersuchen und natürlich auch röntgen wolle. Ich merkte wie mein Puls hochschoss, Schweiß trat auf die Stirn, ich atmete heftig. Man schob diese Reaktion auf meine Schmerzen und versuchte, mich zu beruhigen. „Machen Sie sich keine Sorgen … haben Sie Schmerzen, können Sie sprechen, schauen Sie mir in die Augen ….“ Ich versuchte es, und der Chirurg bemerkte, dass ich Angst hatte. „Sie müssen keine Angst haben, Sie sind in der Unfallklinik, und wir werden alles tun, damit Sie bald wieder fi t werden. Wir müssen Ihre Kleider aufschneiden, wir verletzen Sie sonst möglicherweise zusätzlich, weil wir im Moment noch nicht sagen können, was für Verletzungen Sie haben!“ Er sagte das nett, und dann hörte ich, wie er um die Verbandsschere bat und bemerkte, wie er anfang mein T-shirt aufzuschneiden. Er begann zu schneiden, und dann riss er es auf. Darunter fand er mein schwarzes Abbindshirt, das meine Brüste möglichst fl ach an den Brustkorb quetscht, damit keiner so schnell sehen kann, dass ich eben anatomisch gesehen, kein Mann bin. „Oh, Sie sind aber verpackt!“ höre ich ihn sagen und erneut griff er zur Schere und schnitt drauf los. (…) Plötzlich wurde es totenstill! Mein Abbindshirt war offen und meine Brüste kamen zum Vorschein. Der Chirurg war völlig überrascht und rief: „Was ist das denn! Titten? Was ist denn das hier für ein Spinner!“ und nachdem er diesen Ausruf getätigt hatte, schien mir eine Ewigkeit lang Stille in dem hektischen Notaufnahmeraum der Klinik zu sein. Die Stille verging nicht … ich zitterte innerlich vor Angst …. Dann hörte ich eine Krankenschwester rufen:“ Igitt, sowas habe ich ja noch nie erlebt … der kommt mit einem Personalausweis mit einem Männernamen und ist eine, ja was ist der denn jetzt?“ Der Chirurg lästerte los und sagte: „Naja, das werden wir ja gleich sehen … scheint ne kleine Transe zu sein, die sich ein bisschen verkleidet hat.“ Und ohne Vorwarnung wurden meine Hosenbeine mit der Schere der Länge nach aufgeschnitten und meine Scham freigelegt, indem meine Unterhose zerrissen wurde. (…) Der Arzt war offenbar überfordert mit dieser Situation … „also mir ist egal, was da im Ausweis steht, notieren Sie in der Kurve „Frau Meier“ und lassen Sie ein Bett auf der Chirurgie- Frauen vorbereiten.“ Nein, nur das nicht, schoss es mir durch den Kopf, ich will doch nicht zwischen den Frauen liegen, ich bin ein MANN und gehöre auf eine Männerstation. Aber ich war zu schwach … (…) Schon im Aufwachraum, als der Schleier der Narkose sich lichtete, hörte ich – wie von weit entfernt - kichernde Stimmen von Frauen. „Schau mal, das ist unser „Herr Meier“ … ein Spinner, ist doch völlig eindeutig ne Frau …! Also sooooowas habe ich ja noch nie erlebt. Bin ja mal gespannt, was die Tussi für ne Stimme hat!“ War ICH mit Tussi gemeint? Nur wenig später kamen zwei Pfl eger, die offenbar die Aufgabe hatten, mich zu betten, denn irgendwie waren wohl Laken und Bettdecke verdreckt. „Hi, ich hab dir ja gesagt, ne tolle Frau hier, Supertitten hat die – nennt sich aber wohl Maik! Naja, mir wäre es ja egal, wenn sie gut im Bett ist!“ Wie ein schlechter Film liefen diese Gesprächsfetzen an meiner Wahrnehmung vorbei … ich bemerkte sie halb im Traum, konnte aber nicht reagieren. Der Oberarzt kam und sagte zur mir: „Frau Meier, wir verlegen Sie jetzt auf Station!“ Ich war mittlerweile deutlich wacher geworden und ich krächzte, ich bin MAIK Meier, MAIK – mir schien, ich schrie es dem Oberarzt entgegen … aber er nahm kaum Notiz davon. Ich hörte nur, wie er zu