Finanzierung regionaler Entwicklung - sprint
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Berichte aus der Politik<br />
Sebastian Elbe / Florian Langguth (Hrsg.)<br />
<strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Oder: Geld ist schon wichtig<br />
Shaker Verlag<br />
Aachen 2011
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />
http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
Copyright Shaker Verlag 2011<br />
Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen<br />
oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen<br />
und der Übersetzung, vorbehalten.<br />
Printed in Germany.<br />
ISBN 978-3-8440-0148-8<br />
ISSN 0948-437X<br />
Shaker Verlag GmbH • Postfach 101818 • 52018 Aachen<br />
Telefon: 02407 / 95 96 - 0 • Telefax: 02407 / 95 96 - 9<br />
Internet: www.shaker.de • E-Mail: info@shaker.de
Vorwort.................................................................................................................. 5<br />
TEIL I: Regionalisierte Zuschüsse und Budgets<br />
Förderung von Regionen durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur“................................................................... 9<br />
von Dr. Friedemann Tetsch<br />
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 29<br />
von Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
AktivRegionen in Schleswig-Holstein – flächendeckende Umsetzung des<br />
LEADER-Konzeptes ........................................................................................... 45<br />
von Christina Pfeiffer und Hermann-Josef Thoben<br />
Regionalisierte Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in Sachsen –<br />
Erfahrungen und Ausblick................................................................................. 55<br />
von Daniel Gellner<br />
Regionalbudgets im Modellvorhaben Regionen Aktiv – und wie geht<br />
das in Zukunft?................................................................................................... 69<br />
von Dr. Sebastian Elbe<br />
Teil II: Fonds in der Regionalentwicklung<br />
EFRE-kofinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland.. 87<br />
von Ulrike Schreckenberger und Anja Borisch<br />
Rechtliche Aspekte bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-<br />
Stadtentwicklungsfonds.................................................................................... 95<br />
von Dr. Maximilian Schwab und Sebastian Gröss<br />
Stadtentwicklungsfonds.................................................................................. 105<br />
von Christian Plöhn und Andreas Jacob<br />
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen ..................................................................... 117<br />
von Thomas Hüttich<br />
Regionale Seed Fonds – Das Beispiel NRW.Bank.Seed Fonds ................... 131<br />
von Florian Langguth
Mikrokreditfonds .............................................................................................. 143<br />
von Falk Zientz<br />
TEIL III: Regionale Perspektive<br />
Im Spannungsfeld zentraler Verwaltung und dezentraler Entfaltung –<br />
Regionalisiertes Teilbudget und Regionalbudget am Beispiel des<br />
Landkreises Grafschaft Bentheim .................................................................. 155<br />
von Dr. Michael Kiehl<br />
Regional verbunden, überregional vernetzt – Integrierte ländliche<br />
<strong>Entwicklung</strong> in der Altmark ............................................................................. 171<br />
von Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel ........................... 181<br />
von Josef Bühler<br />
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen<br />
Menschen.......................................................................................................... 195<br />
von Franz Dullinger<br />
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente – und damit<br />
verbundene Herausforderungen ..................................................................... 205<br />
von Carsten Hansen<br />
Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner............................ 215<br />
von Dr. Bertram Reddig, Dr. Sonja Scheffler und Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken –<br />
Umfassendes Experiment in den Niederlanden zeigt Eignung eines<br />
neuen Instruments ........................................................................................... 223<br />
von Floris Marcus und Caroline Rindertsma<br />
Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell für neue und innovative<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente............................................................................... 239<br />
von Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth
Vorwort<br />
Seit mittlerweile zehn Jahren bietet SPRINT Dienstleistungen in den Bereichen<br />
Forschung, Evaluation und Implementation rund um das Thema Regionalförderung<br />
und Förderung des ländlichen Raums an. Mit unseren Dienstleistungen bilden<br />
wir den gesamten Lebenszyklus von Förderprogrammen ab: von der ersten<br />
Konzeption, über die Begleitung und Bewertung der Umsetzung bis hin zur konkreten<br />
Unterstützung der Fördermittelgeber als auch der Fördermittelempfänger.<br />
In unserer alltäglichen Arbeit wurde und wird uns immer wieder bewusst, wie<br />
komplex und facettenreich das Thema <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist.<br />
Wir sprechen bewusst von <strong>Finanzierung</strong> und nicht Förderung, denn öffentliche<br />
Mittel stellen nur einen Teil der <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> dar. Hinzu<br />
kommen private Mittel, die, wie auch die öffentlichen Mittel, sowohl aus der Region<br />
selbst kommen als auch von außen in diese fließen können.<br />
Eine übergreifende Betrachtungsweise der verschiedenen <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />
<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> fehlte bisher. Mit dem vorliegenden Buch „<strong>Finanzierung</strong><br />
<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Oder: Geld ist schon wichtig!“ wollen wir von SPRINT<br />
anlässlich unseres 10-jährigen Firmenjubiläums einen Beitrag zur Schließung dieser<br />
Lücke leisten.<br />
Für das Buch konnten wir zahlreiche Autorinnen und Autoren gewinnen, um entlang<br />
von konkreten Initiativen oder Produkten die Vielfalt von Förderprogrammen, Regionalbudgets<br />
und neuen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten wie z.B. revolvierenden Fonds<br />
aufzuzeigen. Ergänzt werden diese Beiträge durch regionale Praxisbeispiele. Aus<br />
unserer Sicht eine gute und notwendige Mischung, um sich dem Themenfeld weiter<br />
zu nähern.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und anregende Diskussionen!<br />
Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth
TEIL I: Regionalisierte Zuschüsse und Budgets
Förderung von Regionen durch die Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
von Dr. Friedemann Tetsch<br />
I. Das frühe Fördersystem der Gemeinschaftsaufgabe<br />
1. Die GRW als Element der Großen Finanzreform von<br />
1969<br />
Im Mai 1970 trat zum ersten Mal das politische Entscheidungsgremium der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW), der<br />
Bund-Länder-Planungsausschuss zusammen. Ab 1972 setzte der sog. Rahmenplan<br />
1 den konzeptionellen, instrumentellen, organisatorischen und finanziellen<br />
Rahmen für die gemeinsame Förderung strukturschwacher Regionen durch den<br />
Bund und die Länder.<br />
Seit nunmehr 40 Jahren ist die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ das wichtigste Instrument der Regionalförderung<br />
in Deutschland und ein Orientierungsrahmen für andere raumwirksame Politiken. 2<br />
In den 60er Jahren gab es einen breiten Konsens, dass eine Reihe öffentlicher Aufgaben<br />
und Funktionen nicht mehr sachgerecht von einer einzelnen Gebietskörperschaft<br />
bzw. staatlichen Ebene wahrgenommen werden konnte. Das waren öffentliche<br />
Aufgaben mit hoher Komplexität und gesamtstaatlich hoher Bedeutung sowie<br />
Aufgaben, deren Erfüllung oder Nichterfüllung mit externen Effekten verbunden war.<br />
Für die damalige Regionalförderung bedeutete diese Innovation: klare Regeln für<br />
die Mitwirkung des Bundes, ausschließliche Durchführungskompetenz für die Länder,<br />
verbindliche Spielregeln für die Gewährung von Beihilfen, Eindämmung des<br />
Subventionswettlaufs zwischen den Ländern, Festschreibung des Grundsatzes der<br />
Solidarität sowie die Möglichkeit für den Bund, gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche<br />
Erfordernisse zur Geltung zu bringen.<br />
1 Vgl. Erster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
für den Zeitraum 1972-1975, Bundestagsdrucksache VI/2451.<br />
2 Bis 2007 insgesamt 36 jährliche Rahmenpläne. Seit 2009 Koordinierungsrahmen.
10 Dr. Friedemann Tetsch<br />
Damals war unstreitig, dass diese Aufgaben Kooperation zwischen den Ländern<br />
sowie die Abstimmung mit dem Bund verlangen. Auf Basis dieses Konsenses wurde<br />
der deutsche Föderalismus im Zuge der Großen Finanzreform von 1969 zum<br />
Kooperativen Föderalismus weiterentwickelt. 3 Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ war dabei ein Baustein. 4<br />
Für die damalige Regionalförderung bedeutete diese Innovation: klare Regeln für<br />
die Mitwirkung des Bundes, ausschließliche Durchführungskompetenz für die Länder,<br />
verbindliche Spielregeln für die Gewährung von Beihilfen, Eindämmung des<br />
Subventionswettlaufs zwischen den Ländern, Festschreibung des Grundsatzes der<br />
Solidarität sowie die Möglichkeit für den Bund, gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche<br />
Erfordernisse zur Geltung zu bringen.<br />
2. Der regionalpolitische Grundkonsens<br />
Damals gab es in Wissenschaft und Praxis die breit akzeptierte Erkenntnis, dass<br />
marktwirtschaftliche Systeme zur Konzentration neigen – zur Konzentration wirtschaftlicher<br />
Macht, zur Konzentration von Einkommen und Vermögen sowie zur<br />
Konzentration von wirtschaftlichen Aktivitäten im Raum. Diese Konzentrationen und<br />
Polarisierungen wurden als politisch und gesamtwirtschaftlich schädlich angesehen.<br />
Deshalb setzte der Staat spezielle Gegenmaßnahmen wie Wettbewerbspolitik,<br />
Marktöffnung und betriebliche Mitbestimmung ein, um der Konzentration wirtschaftlicher<br />
Macht in den Händen weniger entgegen zu wirken. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand<br />
und umverteilungsorientierte Steuer- und Abgabenpolitik sowie<br />
Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und des Familienlastenausgleichs zur Reduzierung<br />
der Einkommens- und Vermögensunterschiede waren weitere Maßnahmen.<br />
Aber auch spezielle Maßnahmen, um Ballungstendenzen im Raum entgegen<br />
zu wirken, wurden entwickelt: Umverteilung öffentlicher Einnahmen im Finanzausgleichssystem,<br />
Hochschulgründungen im ländlichen Raum, Finanzhilfen für besonders<br />
bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden und, nicht zuletzt, Einführung<br />
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.<br />
Durch all diese Maßnahmen ist die Marktwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft<br />
transformiert worden. 5<br />
3<br />
Vgl. Klein, Fritz: Die Finanz- und Haushaltsreform, Schriften der Bundeszentrale für politische<br />
Bildung. Bonn: 1969.<br />
4<br />
Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, geändert durch Gesetz zur Änderung des<br />
Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12.5.1969 (BGBl. I, S. 359) und Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ vom 6.10.1969 (BGBl. I,<br />
S. 1861).<br />
5<br />
Vgl. Tetsch, Friedemann: Touristische Perspektiven des ländlichen Raums unter wirtschaftspolitischen<br />
Gesichtspunkten, Vortrag auf dem Deutschen Landschaftspflegetag 2008, Internetseite des<br />
Deutschen Verbands für Landschaftspflege e.V., Vorträge und Referate.
Förderung von Regionen durch die GRW 11<br />
Es bestand auch weitgehend Einigkeit, dass<br />
� ein demokratischer Staat große regionale Disparitäten bei Einkommen, Beschäftigung,<br />
Versorgung der Bevölkerung mit infrastrukturellen Leistungen<br />
(öffentlichen Gütern) sowie Umwelt- und Wohnverhältnissen auf Dauer nicht<br />
aushält;<br />
� zurückgebliebene Regionen auch deswegen zurückgeblieben sind, weil viele<br />
staatliche Aktivitäten der Vergangenheit und Gegenwart starke Regionen begünstigen<br />
und so ballungsfördernde Tendenzen auslösen;<br />
� der räumliche Differenzierungsprozess sich selbst verstärkende Kräfte besitzt;<br />
� strukturschwache Regionen einen gravierenden Standortnachteil gegenüber<br />
strukturstarken Regionen aufweisen;<br />
� gezielte regionalpolitische Interventionen zugunsten strukturschwacher Regionen<br />
nicht nur gerechtfertigt, sondern nötig sind, um die Standortnachteile auszugleichen<br />
und ein weiteres Abkoppeln dieser Regionen von der allgemeinen<br />
<strong>Entwicklung</strong> zu verhindern;<br />
� die regionalpolitischen Fördermaßnahmen an den Ursachen der regionalen<br />
Unterentwicklung ansetzen, die Ausstattung der strukturschwachen Regionen<br />
mit Produktivkapital im privaten und öffentlichen Bereich verbessern und so<br />
zusätzliche dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten und Einkommensquellen<br />
in der jeweiligen Region schaffen müssten;<br />
� durch Mobilisierung <strong>regionaler</strong> Wachstumspotentiale die regionalen Disparitäten<br />
abgeschwächt und zugleich dem gesamtwirtschaftlichen Wachstumsziel<br />
gedient werden kann, d.h. Regionalpolitik als Wachstumspolitik und nicht als<br />
Sozialpolitik.<br />
3. Die Grundelemente des GRW Fördersystems<br />
Auf Basis dieser Grundsätze haben der Bund und die Länder zu Anfang der 1970er<br />
Jahre die Grundelemente des GRW-Fördersystems festgelegt. 6<br />
6 Vgl. Tetsch/Benterbusch/Letixerant: Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der<br />
regionalen Wirtschaftsstruktur“, Köln 1996 und Tetsch, Friedemann: Investitionsförderprogramme<br />
- Teil C: Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
in: nwb-Infodienst Deutschland Ost, Steuer- und Wirtschaftsrecht der neuen Bundesländer vom<br />
20.6.1997.
12 Dr. Friedemann Tetsch<br />
3.1. Regelungen für das gesamte Fördersystem<br />
Für das gesamte Fördersystem gilt:<br />
Förderregelungen als Rahmen für die Regionalförderung der Länder<br />
Mit den Förderregelungen vereinbaren Bund und Länder den Rahmen, in dem sich<br />
die Länder bewegen dürfen, wenn sie GRW-Mittel in ihren strukturschwachen Regionen<br />
einsetzen wollen. Die Länder dürfen diesen Rahmen nicht überschreiten. Sie<br />
brauchen ihn aber nicht auszuschöpfen, d.h. sie können z.B. mit ihrer Förderung<br />
unterhalb der Förderhöchstsätze bleiben, die Liste der förderfähigen Wirtschaftszweige<br />
einschränken oder auf die Förderung an sich förderfähiger Tatbestände verzichten.<br />
Beschränkung der Förderung auf Regionen mit gravierenden Strukturschwächen<br />
Bund und Länder bewerten in mehrjährigen Abständen die wirtschaftsstrukturelle<br />
Lage in den – zur Zeit 270 – Arbeitsmarktregionen der Bundesrepublik mit Hilfe von<br />
Indikatoren zum regionalen Einkommen, zur regionalen Beschäftigung und zur regionalen<br />
Infrastrukturausstattung und bestimmen danach die wirtschaftsschwächsten<br />
Regionen kreisscharf als Fördergebiet.<br />
Beschränkung (früher) bzw. Konzentration (heute) der Förderung auf Investitionen<br />
in das Sachkapital<br />
Bis Ende 1994 wurden ausschließlich Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und<br />
Investitionen in die kommunale wirtschaftsnahe Infrastruktur gefördert. Auf diese<br />
Weise sollte die wichtigste Ursache der regionalen Unterentwicklung – der Mangel<br />
an Sachkapital – nachhaltig beseitigt bzw. gemildert werden. Seit 1995 können<br />
auch nichtinvestive Maßnahmen gefördert werden.<br />
3.2. Regelungen für gewerblichen Investitionen<br />
Für diese Förderung der gewerblichen Investitionen gilt:<br />
Beschränkung auf überregional ausgerichtete Betriebe<br />
Ziel der Regionalförderung ist es, durch Förderung von Investitionen zusätzliche<br />
Nachfrage, zusätzliche Arbeitsplätze und letztlich zusätzliches Einkommen in<br />
strukturschwache Regionen zu bringen. Diese Zielsetzung kann bei knappen Fördermitteln<br />
am ehesten erreicht werden, wenn die Förderung auf Betriebe beschränkt<br />
wird, die überregional ausgerichtet sind, d.h. mit Betrieben aus anderen
Förderung von Regionen durch die GRW 13<br />
Regionen konkurrieren und diesen gegenüber Standortnachteile haben. Dies sind<br />
nicht – wie fälschlicherweise oft behauptet wird – nur Betriebe, die Güter oder<br />
Dienstleistungen exportieren. Vielmehr sind es alle Betriebe, die ihrer Art nach überregional<br />
sind, auch wenn sie ihre Produkte tatsächlich ausschließlich in ihrer eigenen<br />
Region absetzen. Betriebe, die diesen Artbegriff (Positivliste) nicht erfüllen,<br />
müssen nachweisen, dass sie tatsächlich mehr als 50 % ihres Umsatzes außerhalb<br />
der eigenen Region tätigen, wenn sie gefördert werden wollen.<br />
Positive Arbeitsplatzeffekte als Fördervoraussetzung<br />
Gewerbliche Investitionen werden nur gefördert, wenn neue Arbeitsplätze dauerhaft<br />
geschaffen oder bestehende Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Die Errichtung<br />
einer neuen Betriebsstätte kann vom ersten Arbeitsplatz an gefördert werden.<br />
Die Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte kann nur gefördert werden, wenn<br />
die Zahl der zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze eine bestimmte Schwelle übersteigt.<br />
Die Förderung einer Umstellung oder grundlegenden Rationalisierung einer Betriebsstelle<br />
ist nur dann förderfähig, wenn das Investitionsvolumen eine bestimmte<br />
Schwelle überschreitet. Die geförderten Investitionsgüter müssen mindestens fünf<br />
Jahre im geförderten Betrieb (damit im Fördergebiet) verbleiben.<br />
Abstufung bzw. Differenzierung der Förderung nach dem Grad der Regionalprobleme<br />
und der Unternehmensgröße<br />
Das Fördergebiet ist entsprechend der Bewertung durch Regionalindikatoren im<br />
Zuge der Neuabgrenzung in mehrere Kategorien (zurzeit A, C und D) eingeteilt. Die<br />
Regionen mit den größten wirtschaftsstrukturellen Schwächen (Kategorie A) weisen<br />
die größten Standort- bzw. Wettbewerbsnachteile gegenüber den wirtschaftsstärkeren<br />
Regionen auf. Demzufolge erhalten sie die höchsten Förderhöchstsätze. Am<br />
niedrigsten sind die Förderhöchstsätze für gewerbliche Betriebe in der Kategorie D.<br />
Innerhalb der einzelnen Fördergebietskategorien können kleine Unternehmen höher<br />
als mittlere und diese höher als große Unternehmen gefördert werden (KMU-<br />
Definition gemäß EU-Beihilfenrecht). Auch hier geht man davon aus, dass die Wettbewerbsnachteile<br />
von kleinen Unternehmen in strukturschwachen Regionen größer<br />
als die von großen Unternehmen sind und deshalb höhere Hilfen angebracht sind<br />
(siehe folgende Tabelle).
14 Dr. Friedemann Tetsch<br />
Tabelle 1: Höchstsätze nach Fördergebieten<br />
Fördergebietskategorie<br />
Förderhöchstsätze<br />
große Unter- mittlere Un- kleine Unternehmenternehmennehmen<br />
A 30 % 40 % 50 %<br />
C 15 % 25 % 35 %<br />
D<br />
De-minimis-<br />
Regelung 10 % 20 %<br />
Förderhöchstsätze als Subventionsobergrenze<br />
Wenn zur Förderung einer betrieblichen Investition GRW-Mittel eingesetzt werden,<br />
stellen diese Förderhöchstsätze verbindliche Obergrenzen für die Summe aller öffentlichen<br />
Hilfen für dieses Vorhaben dar. Der jeweilige GRW-Förderhöchstsatz<br />
kann ausgeschöpft werden durch:<br />
� GRW-Zuschuss,<br />
� steuerliche Investitionszulage,<br />
� Bürgschaft (Subventionswert),<br />
� öffentlichen zinsbegünstigten Kredit (Subventionswert),<br />
� Beihilfe aus anderen Fachpolitiken, z.B. KMU-Förderung, Innovations- und<br />
Forschungsförderung, Umweltförderung.<br />
Wenn die Summe aller erhaltenen Beihilfen den GRW-Förderhöchstsatz<br />
(=Subventionsobergrenze) überschreitet, muss gegebenenfalls der GRW-Zuschuss<br />
entsprechend gekürzt werden.<br />
3.3. Regelungen für Infrastrukturinvestitionen<br />
Für die Förderung von Infrastrukturinvestitionen gilt:<br />
Beschränkung der Förderung auf Kommunen<br />
Träger der zur Förderung beantragten Maßnahme im subventionsrechtlichen Sinne<br />
müssen Kommunen oder Rechtspersonen sein, die nicht auf Gewinnerzielung<br />
ausgerichtet sind (z.B. Kammern oder Vereine). Maßnahmen des Bundes oder der<br />
Länder sind strikt von der Förderung ausgeschlossen.
Förderung von Regionen durch die GRW 15<br />
Beschränkung auf wirtschaftsnahe Maßnahmen<br />
Kommunale Infrastrukturinvestitionen sind nur dann förderfähig, wenn sie unmittelbar<br />
für die <strong>Entwicklung</strong> der regionalen Wirtschaft erforderlich sind. Außerdem<br />
sollen sie zielgerichtet und vorrangig förderfähigen Betrieben zur Verfügung gestellt<br />
werden. Der geforderte enge Bezug zur gewerblichen Wirtschaft wird konkretisiert<br />
durch eine abschließende Aufzählung der förderfähigen Maßnahmen im<br />
Rahmenplan/Koordinierungsrahmen.<br />
Angemessene Eigenbeteiligung der (kommunalen) Träger der geförderten<br />
Maßnahme<br />
Um ein ausreichendes Eigeninteresse des Maßnahmenträgers an der Notwendigkeit,<br />
sachgerechten Ausgestaltung und effizienten Durchführung der Fördermaßnahme<br />
zu gewährleisten, verlangen Bund und Länder eine finanzielle Mindestbeteiligung<br />
des Maßnahmenträgers. Zurzeit beträgt diese 40 % im Regelfall und 10<br />
% in begründeten Ausnahmefällen. 7<br />
4. Förderinstrumente<br />
4.1. Zuschüsse aus Haushaltsmitteln<br />
Zuschüsse aus Haushaltsmitteln sind das wichtigste Instrument der Gemeinschaftsaufgabe.<br />
Sie müssen vor Beginn der Investition vom Investor (Gewerbebetrieb<br />
oder Kommune) beim jeweiligen Land beantragt werden. Ob und gegebenenfalls<br />
in welcher Höhe das Land den Zuschuss bewilligt, hängt davon ab,<br />
� ob die zur Förderung beantragte Investition die Fördervoraussetzungen des<br />
jeweils gültigen Rahmenplans/Koordinierungsrahmens erfüllt (Förderfähigkeit),<br />
� wie das Land die strukturpolitische Bedeutung des Vorhabens einschätzt (Förderwürdigkeit),<br />
� ob ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.<br />
Das Land trifft eine Ermessensentscheidung unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots,<br />
die gerichtlich überprüft werden kann. Wenn ein Investor einen Bewilligungsbescheid<br />
erhalten hat, hat er – in der Regel vor Beginn seines Vorhabens –<br />
die Sicherheit, dass er den Zuschuss und damit die eingeplanten <strong>Finanzierung</strong>smittel<br />
für sein Vorhaben erhält. Die zur Förderung zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel<br />
unterliegen allerdings der jährlichen Haushaltsentscheidung des Bundestages<br />
und der Landtage. Mit der Höhe seiner Zuweisungen an die Länder bestimmt<br />
der Bund einen Großteil des finanziellen Spielraums der Länder für Zuwen-<br />
7 Vgl. Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
ab 2009, Bundestags-Drucksache 16/13950 vom 8.9.2009.
16 Dr. Friedemann Tetsch<br />
dungen (=Subventionen) im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe. Die Länder sind<br />
verpflichtet, den gleichen Mittelbetrag bereitzustellen (Grundsatz der hälftigen <strong>Finanzierung</strong>).<br />
Sie dürfen mehr eigene Landesmittel für die GRW-Zwecke einsetzen,<br />
als der Bund ihnen gibt, was auch gelegentlich geschieht. Sie verlieren aber den<br />
Anspruch auf die entsprechenden Bundesmittel, wenn sie weniger eigene Mittel<br />
einsetzen. Im Zuge der politischen Bemühungen um Konsolidierung der öffentlichen<br />
Haushalte standen sie – wie andere investive Ausgaben der öffentlichen Hände –<br />
unter starkem Kürzungsdruck. In den Jahren 1993-1995 stellte der Bund den Ländern<br />
pro Jahr umgerechnet etwa 2 Mrd. Euro zur Verfügung. Von da an verringerte<br />
er die GRW-Bundesmittel Jahr für Jahr. 2010 beliefen sie sich auf 624 Mio. Euro. 8<br />
Die Haushaltsplanung der Bundesregierung für die Jahre 2011-2014 sieht weitere<br />
Kürzungen (ab 2013 rd. 88 Mio. Euro) vor. Dies wird die Arbeitsplatz- und Wachstumseffekte<br />
der GRW weiter verringern.<br />
4.2. Investitionszulage<br />
Die Investitionszulage ist eine steuerrechtliche Beihilfe für Gewerbebetriebe. Sie<br />
verringert die Einkommens- bzw. Körperschaftsteuerschuld der gewerblichen Investoren<br />
in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Anschaffungs- und Herstellungskosten<br />
von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Wenn beim Investor keine<br />
Steuerschuld besteht, kann das zuständige Finanzamt die Zulage auch aus dem<br />
örtlichen Steueraufkommen direkt an den Investor auszahlen. Förderfähig sind Investoren<br />
des verarbeitenden Gewerbes, der produktionsnahen Dienstleistungen<br />
und des Beherbergungsgewerbes. Die Zulage ist beschränkt auf den ostdeutschen<br />
Teil des GRW-Fördergebiets (die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Bei Vorliegen der gesetzlichen<br />
und EU-beihilferechtlichen Fördervoraussetzungen besteht für den Investor<br />
ein Rechtsanspruch. Die Finanzbehörden prüfen das Vorliegen der (umfangreichen<br />
und komplexen) Fördervoraussetzungen endgültig erst im Rahmen von Betriebsprüfungen,<br />
die oft längere Zeit nach Abschluss der Investition stattfinden.<br />
Dabei kommt es häufiger zu negativen Abweichungen zwischen der vom Investor<br />
erwarteten Höhe und der vom Finanzamt gewährten Zulage. In diesen Fällen hat<br />
der vermeintliche Rechtsanspruch nicht zur gewünschten Rechtssicherheit geführt.<br />
Bei der Ermittlung des Förderbedarfs von gewerblichen Investitionen in Ost-<br />
Deutschland wird die Investitionszulage in der Regel als Erstes in Ansatz gebracht.<br />
Die Spanne bis zum vom Land vorgesehenen Fördersatz wird dann vom GRW-<br />
Zuschuss, gegebenenfalls mit noch weiteren Beihilfen, ausgefüllt. Die Investitions-<br />
8<br />
Vgl. Koordinierungsrahmen der GRW ab 2009, <strong>Entwicklung</strong> der GRW-Mittel im Zeitraum 1991 bis<br />
2012, S. 25, a.a.O.
Förderung von Regionen durch die GRW 17<br />
zulage wird aus dem Aufkommen an Einkommens- und Körperschaftsteuer am Sitz<br />
des Unternehmens, dem der geförderte Betrieb angehört, gezahlt. Sie mindert damit<br />
anteilig das Steueraufkommen des Bundes, des jeweiligen Landes und dessen<br />
Gemeinden.<br />
Die Investitionszulage ist in Praxis und Politik seit langem umstritten. Sie gilt ihren<br />
Kritikern als regionalpolitisch wenig zielgerichtet, verwaltungsaufwändig, fiskalisch<br />
teuer, als haushaltspolitisch nicht kontrollierbar und als ein das Steuerrecht weiter<br />
verkomplizierendes Element. Sie unterliegt allerdings, wenn sie einmal als Steuergesetz<br />
beschlossen ist, nicht der jährlichen Haushaltsentscheidung des Bundestages<br />
und damit auch nicht der Gefahr ständiger Kürzung. Nach intensiver Abwägung<br />
der Argumente für und gegen die Zulage hat der Bundestag im Dezember 2008 mit<br />
dem Investitionszulagengesetz 2010 beschlossen, die Zulage stufenweise bis einschließlich<br />
2013 auslaufen zu lassen. 9 Danach gelten folgende Zulagensätze:<br />
Tabelle 2: Auslaufende Zulagensätze<br />
Grundförderung KMU-Förderung<br />
2010 10% 20%<br />
2011 7,5% 15%<br />
2012 5% 10%<br />
2013 2,5% 5%<br />
Bei der politischen Entscheidung über das stufenweise Zurückfahren bzw. Auslaufenlassen<br />
der steuerlichen Förderung für GRW-förderfähige Betriebe in Ostdeutschland<br />
wurde auch darüber diskutiert, als partielle Kompensation für diesen<br />
Ausfall die Fördermittel der GRW moderat anzuheben. Die neue Haushaltsplanung<br />
der Bundesregierung geht in die andere Richtung.<br />
4.3. Bürgschaften<br />
Die GRW-Förderhöchstsätze stellen sicher, dass das Risiko einer gewerblichen Investition<br />
überwiegend beim gewerblichen (privaten) Investor verbleibt. Dieser muss<br />
also in jedem Fall die Hälfte, in der Regel sogar deutlich mehr als die Hälfte der Investitionskosten<br />
aus eigenen Mitteln oder aus Krediten finanzieren. Angesichts des<br />
häufig restriktiven Kreditvergabeverhaltens vieler Kreditinstitute gerade in strukturschwachen<br />
Regionen ist für viele Investoren der Zugang zu Krediten ein erhebliches<br />
Investitionshemmnis. In diesen Fällen können die Länder für den Eventualfall des<br />
Ausfalls eines Kredits gegenüber dem Kreditgeber eine Bürgschaft eingehen. Wenn<br />
9 Vgl. Investitionszulagengesetz 2010 vom 7.12.2008 (BGBl. I, S. 2350), geändert durch Art. 10 des<br />
Gesetzes vom 22.12.2009 (BGBl. I, S. 3950).
18 Dr. Friedemann Tetsch<br />
die Länder eine solche Ausfallbürgschaft für Investitionsvorhaben, die die Fördervoraussetzungen<br />
des GRW-Rahmenplans erfüllen, eingehen, übernimmt der Bund<br />
hierfür eine Garantie von 50 %. Die Bürgschaft kann der GRW-förderfähige Investor<br />
alternativ oder kumulativ zum GRW-Zuschuss in Anspruch nehmen. Sie kann sogar<br />
nach Beginn der Investitionen gewährt werden, wenn gleichzeitig ein GRW-<br />
Zuschuss gewährt wird. Der Subventionswert der Bürgschaft (Differenz zwischen<br />
risikoadäquatem Entgelt und tatsächlich geleistetem Entgelt) muss auf die Förderhöchstsätze<br />
der GRW angerechnet werden.<br />
4.4. Zinsbegünstigte Darlehen<br />
Das GRW-Gesetz gibt auch die Möglichkeit, zinsbegünstigte Kredite zur Förderung<br />
der regionalen Wirtschaft einzusetzen. In regelmäßigen Abständen – meistens unmittelbar<br />
nach einer Bundestagswahl – wurde von einzelnen Politikern und insbesondere<br />
Förderbanken gefordert, die GRW-Förderung von einer Zuschuss- auf eine<br />
Kreditförderung umzustellen. Die vorhandenen GRW-Haushaltsmittel sollten demnach<br />
zur <strong>Finanzierung</strong> der Zinsbonifikation eingesetzt werden. Auf diese Weise<br />
könnte man ein deutlich größeres Investitionsvolumen fördern, d.h. sehr viel mehr<br />
Investitionen „anstoßen“ als mit „verlorenen“ Zuschüssen. Politiker könnten damit<br />
ihre Tätigkeitsnachweise und Erfolgsbilanzen verbessern, Förderbanken ihr ertragssicheres<br />
Geschäftsvolumen vergrößern.<br />
Aus regionalpolitischer Sicht werden zinsbegünstigte Kredite als Instrument der Regionalpolitik<br />
weniger positiv beurteilt. Die Regionalpolitik verfolgt das Ziel, das Investitionsverhalten<br />
von Gewerbebetrieben zugunsten strukturschwacher Regionen zu<br />
beeinflussen. Die Gewerbebetriebe sollen an einem anderen Standort investieren,<br />
mehr investieren oder qualitativ höherwertiger investieren, als sie es ohne Förderung<br />
getan hätten. Eine solche Beeinflussung des Investitionsverhaltens kann nur<br />
erwartet werden, wenn der Staat den Investoren ausreichend hohe Anreize bietet,<br />
d.h. Beihilfen oberhalb eines Mindestsubventionswerts gewährt. Mit Zuschüssen ist<br />
dies möglich, mit zinsbegünstigten Krediten nicht. Die Letzteren weisen so niedrige<br />
Subventionswerte auf, dass sie von den Investoren kaum gespürt werden und deshalb<br />
in aller Regel zu keiner Änderung des Investitionsverhaltens führen, also von<br />
den Investoren lediglich mitgenommen werden.<br />
Im Übrigen brächte eine Umstellung von der Zuschussförderung auf eine Kreditförderung<br />
auch förderpolitisch keinen Mehrwert. Die deutsche Förderlandschaft bietet<br />
bereits heute eine Vielzahl von Kreditförderprogrammen, die von GRWförderfähigen<br />
Betrieben als Ergänzung der GRW-Zuschussförderung zur Erleichterung<br />
der <strong>Finanzierung</strong> ihres Investitionsvorhabens in Anspruch genommen werden.<br />
Manchmal kann man sogar den Eindruck haben, dass einzelne Förderbanken
Förderung von Regionen durch die GRW 19<br />
Schwierigkeiten haben, die vorhandenen Kreditmittel unterzubringen und dass sie<br />
deswegen laufend neue Förderprogramme auflegen.<br />
II. Die Gemeinschaftsaufgabe im Jahr 2010<br />
1. Die Weiterentwicklung des GRW-Fördersystems<br />
Das oben skizzierte GRW-Fördersystem bildet noch heute den Kern der GRW-<br />
Förderung. Bis 1994 war die Förderung strikt auf Investitionen beschränkt. Seitdem<br />
ist das Fördersystem schrittweise an neue regionale <strong>Entwicklung</strong>sbedingungen angepasst<br />
und um eine Reihe nicht-investiver Fördertatbestände ergänzt worden.<br />
Dabei kam es Bund und Ländern vor allem darauf an, verstärkte Förderanreize<br />
� für die Gründung und Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen,<br />
� für die Bildung von Humankapital sowie Forschung, <strong>Entwicklung</strong> und Innovationen,<br />
� für <strong>Entwicklung</strong>sansätze/-prozesse aus den Regionen heraus („<strong>Entwicklung</strong><br />
von unten“) und<br />
� für Kooperationen und Koordination auf lokaler/<strong>regionaler</strong> Ebene<br />
anzubieten.<br />
Förderpräferenzen für kleine und mittlere Unternehmen in der Investitionsförderung<br />
Für die Förderung gewerblicher Investitionen gelten in allen drei Fördergebietskategorien<br />
für KMU deutlich höhere Förderhöchstsätze als für große Unternehmen.<br />
Technologie-, Innovations- und Gründerzentren sind nur förderfähig, wenn sie von<br />
kleinen oder technologieorientierten mittleren Unternehmen belegt werden.<br />
Förderung innovativer nicht-investiver Aktivitäten von KMU<br />
Die Länder haben die Möglichkeit, zur Verstärkung von Landesfachprogrammen<br />
GRW-Mittel einzusetzen, wenn dadurch KMU in GRW-Fördergebieten zusätzlich<br />
gefördert werden. Bei diesen Fachprogrammen der Länder geht es um die Förderung<br />
von:<br />
� Beratung von KMU durch externe Sachverständige mit max. 50.000 Euro<br />
GRW-Beteiligung pro Förderfall,<br />
� Schulungen von Arbeitnehmern von KMU mit max. 50.000 Euro GRW-<br />
Beteiligung pro Förderfall,
20 Dr. Friedemann Tetsch<br />
� Ersteinstellung von Hochschulabsolventen/innen (Humankapitalbildung) in<br />
KMU mit max. GRW-Beteiligung von 20.000 Euro im 1. Jahr und 10.000 Euro<br />
im 2. Jahr,<br />
� betrieblichen Vorhaben der Forschung und <strong>Entwicklung</strong> in KMU mit max.<br />
GRW-Beteiligung von 500.000 Euro pro Förderfall,<br />
� Aufwendungen zur Markteinführung von selbst entwickelten innovativen Produkten<br />
von KMU mit max. GRW-Beteiligung von 100.000 Euro pro Förderfall.<br />
Verbesserung der Forschungsinfrastruktur<br />
Die Länder können Investitionen von gemeinnützigen Forschungseinrichtungen<br />
(u.a. sog. Forschungs-GmbHs), die steuerrechtlich weder Betriebsstätten noch<br />
kommunale Infrastruktureinrichtungen sind, so fördern, als ob sie Gewerbebetriebe<br />
wären. In der Praxis werden sie in der Regel mit den für KMU geltenden Fördersätzen<br />
gefördert.<br />
Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />
Die Länder können sich mit GRW-Mitteln an den Kosten der Erstellung von regionalen<br />
integrierten <strong>Entwicklung</strong>skonzepten mit max. 50.000 Euro beteiligen. Projekte,<br />
die sich in schlüssige <strong>Entwicklung</strong>skonzepte einfügen, sollen bei der Förderentscheidung<br />
der Länder Vorrang haben.<br />
Regionalmanagement<br />
Regionalmanagementvorhaben auf <strong>regionaler</strong> Ebene können mit max. 200.000 Euro<br />
pro Jahr für drei Jahre (Anschubfinanzierung) gefördert werden. Mit besonderer<br />
Begründung kann die Förderung zweimal um jeweils drei Jahre verlängert werden.<br />
Netzwerke und Cluster<br />
Ausgaben für regionale und überregionale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen<br />
und wirtschaftsnahen (Forschungs-)Einrichtungen in Form von Kooperationsnetzwerken<br />
oder Clustermanagements können in einer Anlaufphase von drei Jahren mit<br />
insgesamt bis zu 300.000 Euro, bei mindestens fünf Teilnehmern mit max. 500.000<br />
Euro gefördert werden. Mit besonderer Begründung kann die Förderung des entsprechenden<br />
Vorhabens um max. drei Jahre verlängert werden.<br />
Beratung von Kommunen<br />
Kommunen, die zur Vorbereitung bzw. Durchführung von förderfähigen Infrastrukturmaßnahmen<br />
Planungs- und Beratungsleistungen von externen Sachverständigen<br />
in Anspruch nehmen, können eine Kostenbeteiligung von max. 100.000 Euro pro<br />
Vorhaben erhalten.
Förderung von Regionen durch die GRW 21<br />
Regionalbudget<br />
Die Länder können den Regionen aus GRW-Mitteln ein Regionalbudget von<br />
300.000 Euro pro Jahr zur Verfügung stellen. Voraussetzung dafür ist, dass die Regionen<br />
über ein funktionierendes Regionalmanagement und/oder ein tragfähiges<br />
integriertes regionales <strong>Entwicklung</strong>skonzept verfügen. Die Regionen können über<br />
das Regionalbudget frei – d.h. ohne vorherige Projektbewilligung durch die Länder –<br />
verfügen, wenn sie damit Projekte zur Stärkung der <strong>Entwicklung</strong> der regionalen<br />
Wirtschaft finanzieren.<br />
Experimentierklausel für die Länder<br />
Die Bedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft und für<br />
eine sich selbst tragende regionale <strong>Entwicklung</strong> ändern sich häufig schnell und von<br />
Region zu Region unterschiedlich. Deshalb haben Bund und Länder eine Experimentierklausel<br />
eingeführt. Danach können die Länder jährlich bis zu 10 % ihrer jeweiligen<br />
Landesquote (max. 10 Mio. Euro) für Maßnahmen einsetzen, die nicht im<br />
GRW-Förderkatalog enthalten sind (aber keine direkte Förderung gewerblicher Investitionen).<br />
Diese Möglichkeit läuft – wie auch das Regionalbudget – als Modellvorhaben<br />
bis zum 31.12.2013.<br />
Anreiz für Kooperationen in der Infrastrukturförderung<br />
Für die Förderung von kommunalen Infrastruktureinrichtungen gilt ein Regelfördersatz<br />
von max. 60 %. Die Länder können einen Fördersatz von bis zu 90 % gewähren,<br />
wenn sich das Infrastrukturvorhaben in eine regionale <strong>Entwicklung</strong>sstrategie<br />
einfügt oder im Rahmen einer interkommunalen Kooperation durchgeführt wird.<br />
Alle diese Ansätze 10 geben den Ländern die Möglichkeit, in den GRW-Gebieten<br />
über die Förderung gewerblicher und kommunaler Investitionen hinaus die inneren<br />
Kräfte der Region zu mobilisieren, die regionale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen<br />
und regionale Wachstumsprozesse anzustoßen oder zu verstärken. Ob und gegebenenfalls<br />
wie die Länder diese Möglichkeiten nutzen, liegt allerdings ausschließlich<br />
in ihrer eigenen Entscheidung.<br />
10<br />
Vgl. Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />
ab 2009, a.a.O., S. 52 ff.
22 Dr. Friedemann Tetsch<br />
2. Verlagerung der Schwerpunkte in 40 Jahren<br />
Im Laufe des 40-jährigen Bestehens der GRW haben sich ihre inhaltlichen Schwerpunkte<br />
mehrfach verschoben:<br />
� In den 70er Jahren standen die Probleme ländlicher Regionen im Mittelpunkt.<br />
Die regionalpolitische Debatte war geprägt von der Dichotomie Ballungsraum –<br />
ländlicher Raum.<br />
� In den 80er Jahren traten die Probleme alter, monostrukturierter Industrieregionen<br />
stärker in den Fokus. Dies verlangte die Suche nach neuen Instrumenten<br />
und die Abstimmung mit anderen Politiken, insbesondere mit der Arbeitsmarktpolitik.<br />
Besonders hervorzuheben ist, dass dies die Bereitschaft verlangte,<br />
auf bisherige Besitzstände zu verzichten.<br />
� Die 90er Jahre waren dominiert vom Aufbau der neuen Bundesländer. 1990/91<br />
gab die Politik die Losung aus: Viel hilft viel! Das hieß: Möglichst viel Fördermittel<br />
in die neuen Länder pumpen, möglichst hohe Fördersätze gewähren,<br />
möglichst wenig oder gar keine kodifizierten Förderregeln anwenden, manchmal<br />
auch möglichst wenig hinterfragen und kontrollieren.<br />
In der GRW ist es damals gelungen, ein wirksames, aber auch ordnungspolitisch<br />
und regional verträgliches Fördersystem zu entwickeln. Unter hohem Zeit- und Problemdruck<br />
wurden hohe Fördermittel umgesetzt. Es wurden neue Förderansätze<br />
und Förderinstrumente ausprobiert und installiert. Es wurden die bestehenden Förderregeln<br />
bis an den Anschlag ausgeschöpft. Dies alles haben die westdeutschen<br />
Länder mitgetragen, d.h. fast immer einstimmig mit beschlossen. Obwohl sie im<br />
Gegenzug weniger Fördermittel, weniger Fördergebiet und geringere Fördersätze<br />
hinnehmen mussten; obwohl Berlin- und Zonenrandförderung ganz wegfielen.<br />
Trotz der großen Herausforderungen und Belastungen im Zusammenhang mit dem<br />
Wiederaufbau der neuen Länder ist es der Gemeinschaftsaufgabe gelungen, Solidarität,<br />
Kooperation und Zusammenhalt zwischen Bund und Ländern sowie den<br />
Ländern untereinander in diesem Politikbereich zu bewahren.<br />
Bis Mitte der 90er Jahre hat die GRW – im Zusammenwirken mit anderen raumwirksamen<br />
Politikbereichen (Verkehrspolitik, Arbeitsmarktpolitik) – sichtbare Aufbauerfolge<br />
bei relativ wenigen Fehlschlägen erzielt. Ab 1996 wurde der Zusammenhang<br />
zwischen gesamtwirtschaftlicher und <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> immer offenkundiger.<br />
Schwacher Konjunkturverlauf und permanentes Bemühen der Finanzpolitik<br />
um Abbau auch der konjunkturbedingten Haushaltsdefizite durch Ausgabenkürzungen,<br />
vor allem bei investiven Maßnahmen, haben dann der Wirkung der GRW-<br />
Förderung deutlich engere Grenzen gesetzt. An eine Ausschöpfung der an sich bestehenden<br />
Fördermöglichkeiten war von da an nicht mehr zu denken.
Förderung von Regionen durch die GRW 23<br />
In den letzten 10 Jahren befand sich die GRW permanent in der Defensive:<br />
� Im Kampf gegen Mittelkürzungen, die ihre Existenz gefährdeten.<br />
� Im Kampf gegen einen Paradigmenwechsel in der Politik zugunsten von sogenannten<br />
Metropolregionen.<br />
� Im Kampf gegen die Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände im Zuge<br />
der Föderalismusreform.<br />
� Im Kampf gegen das strategische Bestreben der EU-Kommission, die regionalpolitischen<br />
Handlungsspielräume der Mitgliedsstaaten einzuschränken und<br />
eine eigenständige EU-Regionalpolitik an die Stelle der nationalen Politiken zu<br />
setzen.<br />
In allen diesen Bereichen konnte bisher das Schlimmste verhindert werden. Aber<br />
gleichzeitig sind die Unterstützung der Gemeinschaftsaufgabe im politischen Raum,<br />
ihr finanzieller und beihilferechtlicher Spielraum und damit auch ihre Wachstumsund<br />
Beschäftigungswirkungen kontinuierlich geringer geworden.<br />
III. Regionalpolitik in den nächsten 10 Jahren<br />
1. Die regionalpolitische Problemlage<br />
Vieles von den Grundeinsichten der 60er und 70er Jahre ist mittlerweile verloren<br />
gegangen. Auch das Verständnis dafür, dass langfristige <strong>Entwicklung</strong>en wie Globalisierung,<br />
demographischer Wandel, technologisch-wissenschaftliche <strong>Entwicklung</strong>ssprünge,<br />
Anstieg der Energiepreise, Klimawandel und Entscheidungen vieler Fachpolitiken,<br />
aber auch Finanz- und Konjunkturkrisen die <strong>Entwicklung</strong> der einzelnen<br />
Regionen in ganz unterschiedlicher Weise beeinflussen, also in hohem Maß raumbedeutsam<br />
sind. Und erst recht scheint das Gespür für die Brisanz großer sozialer<br />
und <strong>regionaler</strong> Disparitäten und für ihre Bedeutung für die politische und gesellschaftliche<br />
Stabilität verloren gegangen zu sein.<br />
Heute befinden wir uns in einer Situation, die in mancher Hinsicht derjenigen Ende<br />
der 60er Jahre ähnelt. Damals wie heute sind es vor allem ländlich geprägte Regionen,<br />
die vom Strukturwandel besonders belastet werden und die mit den neuen<br />
Herausforderungen aus eigener Kraft nicht fertig werden. Bei Einkommen, Ausstattung<br />
mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie der kommunalen Finanzkraft weisen<br />
diese Regionen beträchtliche und tendenziell steigende Rückstände auf. Infrastruktureinrichtungen<br />
wie Schulen, Schwimmbäder, Krankenhäuser, Bibliotheken<br />
oder Theater werden dort laufend geschlossen. Private Dienstleister – Post, Bahn,<br />
Kreditinstitute, Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen, Kinos – ziehen sich aus<br />
der Fläche zurück. Moderne technisch-wissenschaftliche Einrichtungen – Hochschulen,<br />
Forschungsinstitute, Breitbandnetze – sind unzureichend oder gar nicht
24 Dr. Friedemann Tetsch<br />
vorhanden. Immer mehr Menschen, insbesondere junge, gut ausgebildete, verlassen<br />
diese Regionen.<br />
So entwickeln sich schnell Spiralen nach unten, sich selbst verstärkende Tendenzen:<br />
Minderung der Standortqualität, Verlust von <strong>Entwicklung</strong>spotential, Zunahme<br />
des wirtschaftlichen Abstands zu anderen Regionen, Anstieg der sozialen Not, dauerhafte<br />
Abkopplung von der allgemeinen <strong>Entwicklung</strong>, weitere selektive Abwanderung<br />
und Rückgang der öffentlichen Einnahmen bei gleichzeitigem Anstieg der öffentlichen<br />
Soziallasten. 11<br />
2. Regionalpolitische Notwendigkeit – regionalpolitische<br />
Möglichkeiten<br />
Im demokratischen Staat, der sich immer noch der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet<br />
fühlt, erwächst daraus hoher politischer Druck und strukturpolitischer<br />
Handlungsbedarf. Deshalb wird auch in Zukunft eine intakte, leistungsfähige Gemeinschaftsaufgabe<br />
erforderlich sein,<br />
� als Garant der Solidarität zwischen starken und schwachen Regionen,<br />
� mit einem System einer indikatorgestützten, transparenten Bewertung <strong>regionaler</strong><br />
Strukturprobleme,<br />
� als Ordnungs- und Koordinierungsrahmen, der die Gleichbehandlung von Regionen<br />
mit gleich gelagerten Problemen sicherstellt,<br />
� als regelgebundene systematische Förderung, die diskretionäre, einzelfallbezogene<br />
Ad-hoc-Entscheidungen vermeidet.<br />
Die politischen Rahmenbedingungen hierfür sind allerdings schwierig:<br />
� Die Bundesregierung plant weitere Kürzungen der Fördermittel der GRW. Die<br />
vorgesehene Kürzung von 88 Mio. Euro Bundesmittel in 2013 würde die Existenz<br />
der Gemeinschaftsaufgabe in Frage stellen. Die Mehrheit der Länder<br />
würde dann keine Mittel oder nur noch Mittel unterhalb einer Bagatellgrenze<br />
erhalten. Damit würden diese Länder das Interesse an der Gemeinschaftsaufgabe<br />
verlieren. Vielleicht ist dies sogar die politische Absicht. Hier gilt: Geld ist<br />
nicht alles. Aber ohne Geld ist alles nichts.<br />
� 2013 endet die gegenwärtige Förderperiode und damit die EU-Genehmigung<br />
des GRW-Fördergebiets. Wenn die EU-Kommission an ihren bisherigen Methoden<br />
zur Festlegung der Fördergebiete nach Art. 87, Abs. 3a EU-Vertrag und<br />
zur Festlegung eines Fördergebietsplafonds für nationale Fördergebiete nach<br />
11 Vgl. Tetsch, Friedemann: Touristische Perspektiven des ländlichen Raums unter wirtschaftspolitischen<br />
Gesichtspunkten, Vortrag auf dem Deutschen Landschaftspflegetag 2008, Internetseite des<br />
Deutschen Verbands für Landschaftspflege e.V., Vorträge und Referate.
Förderung von Regionen durch die GRW 25<br />
Art. 87, Abs. 3c EU-Vertrag festhält, 12 wird Deutschland ab dem 1.1.2014 über<br />
deutlich weniger Fördergebiete dieser beiden Kategorien verfügen. Denn mit<br />
den Erweiterungen der EU der letzten Jahre ist der EU-Durchschnitt beim<br />
Bruttoinlandsprodukt deutlich gesunken und bei der Arbeitslosenquote deutlich<br />
gestiegen. Die deutschen Regionen sind dadurch im EU-Vergleich, d.h. statistisch,<br />
reicher geworden. Auch wenn 2014 noch ausreichend Fördermittel<br />
verfügbar wären, müsste sich die deutsche Regionalförderung auf engere beihilferechtliche<br />
Spielräume einstellen.<br />
Engerer beihilferechtlicher Spielraum heißt konkret: weniger Fördergebiete und geringere<br />
Förderhöchstsätze in Deutschland als bisher.<br />
Aber auch unter diesen Bedingungen verfügt die Gemeinschaftsaufgabe in ihrer<br />
gegenwärtigen Ausgestaltung noch über Handlungsmöglichkeiten, um die strukturschwachen<br />
Regionen bei der Bewältigung des Strukturwandels wirksam zu unterstützen:<br />
� In dem verbleibenden, von der EU-Kommission genehmigten Fördergebiet<br />
könnte die gegenwärtige investive und nicht-investive Förderung mit relativ hoher<br />
Beihilfeintensität fortgesetzt werden.<br />
� Darüber hinaus könnten strukturschwache Regionen als sog. D-Fördergebiete<br />
ausgewiesen werden. In diesen Gebieten wäre es weiterhin möglich,<br />
- gewerbliche Investitionen von KMU mit herabgesetzten Fördersätzen<br />
(max.10%/20%) oder auch größere Unternehmen nach der De-minimis-<br />
Regelung,<br />
- kommunale Investitionen,<br />
- nichtinvestive Aktivitäten von KMU,<br />
- die Erstellung von integrierten regionalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepten,<br />
- Regionalmanagement-Vorhaben,<br />
- die Kosten von Kooperationsnetzwerken und Clustermanagementvorhaben,<br />
- Regionalbudgets<br />
zu fördern. Alle diese Förderansätze werden von restriktiveren beihilferechtlichen<br />
Vorgaben der EU-Kommission nicht getroffen. Aber selbstverständlich benötigt<br />
man auch hierfür ausreichend Fördermittel.<br />
12<br />
Vgl. Leitlinien der EU-Kommission für staatliche Beihilfen mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung (ABl. C 54/13)<br />
vom 4.3.2006
26 Dr. Friedemann Tetsch<br />
3. Zur Weiterentwicklung der Regionalpolitik<br />
Am Ende der tiefgreifendsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg<br />
und angesichts fortscheitender Globalisierung sowie drohender wirtschaftlicher und<br />
gesellschaftlicher Verwerfungen durch den demografischen Wandel, bei zunehmenden<br />
sozialen und regionalen Disparitäten sowie der Gefahr wachsender sozialer<br />
Spannungen und Verteilungskonflikte steht die Regionalpolitik vor einem Dilemma.<br />
Auf der einen Seite müsste sie Regionalprobleme bewältigen helfen, die immer<br />
gewichtiger und komplexer werden. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als ob<br />
ihre politischen, finanziellen und (beihilfe-)rechtlichen Möglichkeiten hierzu immer<br />
geringer werden. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müsste die Regionalpolitik<br />
zu einer umfassenden regionalen <strong>Entwicklung</strong>s- und Strukturanpassungspolitik<br />
weiterentwickelt werden.<br />
Erstens: Im politischen Raum müsste wieder das Bewusstsein geschaffen werden,<br />
dass es in Deutschland nach wie vor strukturschwache Regionen gibt, dass deren<br />
Probleme in Zukunft tendenziell größer werden und dass diese Regionen, insbesondere<br />
ländlich strukturierte, der staatlichen Hilfe bedürfen.<br />
Zweitens: Die wichtigsten raumwirksamen Politiken müssten besser mit der Regionalpolitik<br />
abgestimmt werden (Programmkoordination), d.h. sie müssten die Ziele<br />
der Regionalpolitik explizit als Nebenziele in ihr fachpolitisches Zielsystem aufnehmen.<br />
Die Fragen der Quantität und Qualität der Kinderbetreuungs- und Bildungsangebote<br />
in einer Region, der Versorgung mit Gesundheits- und Betreuungsleistungen,<br />
der Verfügbarkeit schneller Internetdienste oder der Ausstattung mit eigenen<br />
Finanzmitteln bzw. des Ausgleichs für Soziallasten oder der Kosten neu übertragener<br />
Aufgaben sind heute für die <strong>Entwicklung</strong> der einzelnen Regionen viel wichtiger<br />
als z.B. die Frage der finanziellen Förderung durch die GRW. Durch eine bessere<br />
Abstimmung könnten die Wirkungen der staatlichen Politik zugunsten der strukturschwachen<br />
Regionen (in einer umfassenderen Definition) deutlich erhöht werden.<br />
Zuallererst könnten konterkarierende Effekte vermieden werden. In einer Reihe von<br />
Fachpolitiken, z.B. in der Agrarpolitik, der KMU-Förderung, der Innovations- und<br />
Technologietransferförderung oder der Städtebauförderung, könnten durch eine<br />
stärkere Fokussierung des Mitteleinsatzes auf strukturschwache Regionen sogar<br />
Synergieeffekte erzielt werden. So könnten auch Mitnahmeeffekte in diesen Politikfeldern<br />
verringert werden und damit den fachpolitischen Zielen gedient werden.<br />
Die Gemeinschaftsaufgabe könnte und müsste für eine wirksamere Koordinierung<br />
den regionalpolitischen Orientierungsrahmen liefern, insbesondere durch eine Bestimmung<br />
der strukturschwachen Regionen nach bundeseinheitlichen, problemgerechten<br />
und abgestimmten Kriterien sowie durch die Bereitstellung von situationsangepassten<br />
regionalpolitischen Konzeptionen.
Förderung von Regionen durch die GRW 27<br />
Drittens: Aber auch die Gemeinschaftsaufgabe müsste sich weiterentwickeln. Die<br />
Länder müssten die in den letzten Jahren eingeführten „weichen“ Fördermöglichkeiten<br />
intensiver und zielgerichteter nutzen. Sie müssten auch von der Experimentierklausel<br />
offensiv Gebrauch machen. Die Gemeinschaftsaufgabe müsste sich außerdem<br />
über den engen Bereich der Wirtschaft hinaus für alle Projekte öffnen, die<br />
für die <strong>Entwicklung</strong> einer Region relevant sind. Bei großer und zunehmender Bedeutung<br />
sogenannter weicher Standortfaktoren, wie Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit,<br />
Kultur, Freizeit und Versorgung mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen,<br />
könnte es regionalpolitisch sinnvoll sein, dass sich die GRW punktuell daran<br />
beteiligt, öffentliche/private Leistungsangebote in strukturschwachen Regionen<br />
aufrecht zu erhalten oder zur Steigerung der Standortattraktivität zu verbessern.<br />
Viertens: Schließlich müsste die Regionalpolitik aktiver als bisher die Rolle eines<br />
Moderators oder Mediators in regionalen <strong>Entwicklung</strong>sprozessen, wie etwa in Regionalkonferenzen,<br />
regionalen themenbezogenen Arbeitsgruppen, bei Regionalkrisen<br />
und Regionalkonflikten, übernehmen. Sie müsste Anstöße für neue <strong>Entwicklung</strong>en<br />
geben, beispielhafte Projekte und Problemlösungen zur Verfügung stellen. Sie<br />
müsste Dienstleister im umfassenden Sinn für strukturschwache Regionen sein. Die<br />
anstehende Reform der Bundeswehr mit vermutlich weit reichenden Folgen für viele<br />
Standorte im ländlichen Raum könnte hierfür schon bald reichlich Gelegenheiten<br />
bieten.<br />
Kontakt:<br />
Dr. Friedemann Tetsch<br />
Leiter Unterabteilung „Strukturpolitik“ im Bundeswirtschaftsministerium<br />
(bis November 2008)<br />
Görlitzer Weg 7<br />
53340 Meckenheim<br />
Tel.: 02225 - 10 594<br />
E-Mail: f.tetsch@t-online.de
28 Dr. Friedemann Tetsch
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht –<br />
was geht nicht?<br />
von Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke 13<br />
Regionale Globalbudgets: Grundsätzliches, Legaldefinition, EU-<br />
Vorgaben<br />
Regionale Zusammenschlüsse und Gebietskörperschaften gieren seit Langem nach<br />
regionalen Globalbudgets im Rahmen der europäischen und der nationalen Regionalpolitik.<br />
Sie wollen selbst entscheiden, selbst kofinanzieren, umsetzen und mit<br />
verantworten, erheben aber auch den Anspruch, vom Staat nicht alleine gelassen<br />
zu werden. Regionale Globalbudgets, sei es nun als Globalzuschuss oder in anderen<br />
Formen von Regionalbudgets, sind der Versuch von regionalen Zusammenschlüssen<br />
auf die staatliche regionale Strukturpolitik Einfluss zu nehmen. Es geht<br />
um regionale Selbstbestimmung, um regional angepasste und situationsgerechte,<br />
vermeintlich effizientere dezentrale Förder- und <strong>Entwicklung</strong>smaßnahmen, die regionale<br />
Absorptionsfähigkeit von Fördermitteln sowie um Subsidiarität und regionales<br />
Selbstbewusstsein. Damit einher geht auch die eigene regionale Profilierung im<br />
Standortwettbewerb. Regionale Projektträger sind gegen eine reine Austerity-Politik,<br />
aber sie haben alleine auch nicht die Mittel, die Kompetenzen und Finanzen sich<br />
nur aus regionalen Eigenpotentialen zu helfen. Das kennen wir seit der Auftaktveranstaltung<br />
zur regionalen Strukturkonferenz Ostfriesland 1987.<br />
Es hat sich herausgestellt, dass frühere Vorstellungen einer rein eigenständigen<br />
(endogenen) Regionalentwicklung auch bei sehr starken ländlichen Regionen, wie<br />
in West-Niedersachsen und in Südbayern, nicht der Realität entsprechen. Die Lösung<br />
liegt in der Anwendung des arbeitsteiligen Gegenstromprinzips bottom-up und<br />
top-down (Multilevel Governance mit Stärkung aller Ebenen), dem geordneten Zusammenspiel<br />
von kommunaler und staatlicher Wirtschaftsförderung.<br />
13 Der Verfasser äußert sich in diesem Fachartikel in eigener wissenschaftlicher Verantwortung und<br />
nicht im Namen des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Regionale<br />
Teilbudgets hat der Leiter der nds. Verwaltungsbehörde MR Eberhardt Franz vorgeschlagen<br />
und eingeführt. Der Verfasser hat die operative kommunale Förderung von KMU umgesetzt und<br />
realisiert.
30 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
Beide Politikebenen haben ihr eigenes unterschiedliches Instrumentarium, das man<br />
nicht ungestraft vermischen kann. Die Kommunen agieren tendenziell ganzheitlich<br />
gemäß örtlicher Allzuständigkeit im Grundgesetz und der Staat vertikal linearisiert<br />
nach dem in der Verfassung verankerten Ressortprinzip. Man darf Strukturen der<br />
ländlichen Regionalentwicklung im Agrarbereich auch nicht mit den Lösungsmustern<br />
der regionalen Wirtschaftsförderung vermischen. LEADER+ Methoden und<br />
Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (ILEK) haben in der staatlichen Wirtschaftsförderung<br />
nichts verloren: Größere Investitionen kann man nicht diskursiv<br />
dezentral entscheiden. Die Unternehmensförderung ist nach Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
vertraulich, unbeachtlich der Veröffentlichung der Liste der Endempfänger.<br />
Staatliche Finanzengpässe darf man nicht mit einer Dezentralisierung der Zielfindung<br />
und Projektentscheidung beantworten, sonst führen die Verteilungskämpfe<br />
in einem Flächenland zur politischen Paralyse. Staatliche Förderrichtlinien kann<br />
man nicht mit mehreren Hundert Selbstverwaltungskörperschaften entwickeln. Dafür<br />
gibt es den Referentenentwurf und die Anhörung der Spitzenverbände in der<br />
Geschäftsordnung der Landesregierungen. Wer da noch Nicht-<br />
Regierungsorganisationen in die staatliche Förderung integrieren will, wie die EU-<br />
Kommission, trennt Zielfindung, Finanz- und Projektverantwortung, vermischt die<br />
Ebenen, lässt Unzuständige über Unzuständiges vorentscheiden, verstößt gegen<br />
die deutsche Kommunalverfassung und tritt methodische Grundprinzipien der integrierten<br />
Regionalentwicklung mit Füßen.<br />
Legaldefinition in der Grund-VO 1083/2006 Abschnitt 3 Art. 42 und 43<br />
Regionale Globalzuschüsse sind im Modell selbstständige finanziell getrennte<br />
Teilauskoppelungen aus großen Operationellen Programmen, die regional selbst<br />
verwaltet, selbst kofinanziert und verantwortet werden sollen. Bei einer größeren<br />
Zahl von derartigen Globalzuschüssen in großen Flächenländern (NUTS I) ergeben<br />
sich Fragen der zentralen Steuerung und Verantwortung (gegenüber der EU als<br />
Zuwendungsgeber), der kameralistischen Mittelzersplitterung, der Unflexibilität im<br />
Programmzeitraum und der Schwächung der Zentralebene. Wenn insgesamt sehr<br />
viel Geld zur Verfügung steht, kann man sowohl zentrale große impulssetzende<br />
Vorhaben als auch regionale Projekte über Globalzuschüsse und andere Formen<br />
von Regionalbudgets parallel realisieren. Dies ist nicht der empirische Normalfall. Je<br />
geringer das verteilbare Gesamtvolumen, desto fraglicher werden regionale Globalbudgets<br />
auch aufgrund der Gefahr von Ausgaberesten und N+2 Mittelverlusten in<br />
den Fonds. Auf der anderen Seite haben z.B. die Bundesländer (auch Niedersachsen)<br />
nicht genug Geld um sehr hohe Programmvolumina nur noch aus Landesmitteln<br />
national öffentlich kozufinanzieren. Demnach entlasten regionale <strong>Finanzierung</strong>sbeiträge<br />
auch die Zentralebene.
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 31<br />
Dabei erhebt sich eine Reihe grundsätzlicher zuwendungsrechtlicher Fragen. Die<br />
förderrechtliche Zuwendungsfähigkeit ist bei informellen regionalen Kooperationen<br />
oft nicht gegeben. Selbstverantwortete regionale Globalbudgets scheiden in diesen<br />
Fällen aus.<br />
Darüber hinaus sind Förderthemen und Projekte maßstabsgebunden. Nur wenige<br />
Maßnahmen sind für größere Regionen geeignet, alle Instrumente haben immer<br />
einen inhärenten geografischen und verwaltungspolitischen Maßstab, in dem sie gut<br />
funktionieren. Zu große Regionen (RIS Weser-Ems und andere sogenannte Makroregionen)<br />
sind in Zielfindung und Entscheidungsstrukturen politisch nicht auf Dauer<br />
einigungsfähig. Ihr Lösungspotential ist auf den engeren Konsensbereich inhaltlich<br />
begrenzt (Kompetenzzentren in RIS Weser-Ems), als typische NUTS-III Einheit<br />
funktionieren sie nicht, oder die Mitgliedseinheiten einigen sich nicht oder übertragen<br />
die Zuständigkeiten der Wirtschaftsförderung nicht auf die Region.<br />
NUTS-II Regionen, die Nicht-Verwaltungsregionen sind (in Niedersachsen nach<br />
Auflösung der alten Regierungsbezirke), sind als Zuwendungsebene für Strukturfondsmittel<br />
nicht mehr geeignet. Eine rechtliche Übertragung gebietskörperschaftlicher<br />
Aufgaben der Wirtschaftsförderung der NUTS-III Ebene auf größere Zusammenschlüsse<br />
ist notwendig. In Niedersachsen ist dies durch Landesgesetz nur in<br />
der Region Hannover gelungen; im Zweckverband Großraum Braunschweig durch<br />
Landesgesetz geregelt, aber nicht umgesetzt worden.<br />
In der Konsequenz all dieser Überlegungen konnten in Niedersachsen nur die sogenannten<br />
Regionalisierten Teilbudgets (RTB) für Landkreise im Rahmen des Operativen<br />
Landesprogramms zum EFRE eingeführt werden. Dies aber nicht für große,<br />
Kreisgrenzen überschreitende Kooperationsräume, sondern für Einzelkommunen.<br />
Das Ergebnis dieses Systems sind harte Investitionsmaßnahmen auf Kreisebene<br />
und unverbindliche nicht-investive weiche Kooperationsvorhaben auf über<strong>regionaler</strong><br />
Ebene. Dies ist systembedingt!<br />
Für zwischengeschaltete Stellen zur Verwaltung von Globalbudgets gibt es eine<br />
Legaldefinition der EU: Der Mitgliedstaat oder die Verwaltungsbehörde kann nach<br />
Art. 42 der Grundverordnung für die Strukturfondsperiode 2007 bis 2013 die Verwaltung<br />
und Durchführung eines Teils eines Operationellen Programms einer oder<br />
mehreren zwischengeschalteten Stellen übertragen. Das können auf der Basis von<br />
bindenden Vereinbarungen sein: Lokale Behörden, Regionale <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen<br />
(nach EU-Recht sogar Nicht-Regierungsorganisationen). Diese Übertragung<br />
berührt nicht die finanzielle Verantwortung der Verwaltungsbehörde und der Mitgliedstaaten.<br />
Hierfür gibt die beliehene Stelle eine Finanzgarantie. Die mit der Verwaltung<br />
von Globalzuschüssen beauftragte zwischengeschaltete Stelle weist nach,<br />
dass sie solvent ist, über Sachkenntnis und die erforderliche Verwaltungs- und<br />
Fachkompetenz verfügt. Die Übertragungsvereinbarung legt das Förderziel, die
32 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
Förderart, die Maßnahme(n) und Kriterien für die Auswahl von Begünstigten sowie<br />
die Fördersätze und den Interventionssatz, die EFRE Begleitung, Bewertung und<br />
Finanzkontrolle fest.<br />
In der deutschen Regionalpolitik reicht die Forderung, regionale Problemkenntnis<br />
und Zuständigkeiten stärker in der staatlichen Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik<br />
mitreden zu lassen, weit zurück, mindestens bis zu einem Bundestagshearing<br />
1984 zur Regionalen Strukturpolitik und bis zum 20. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe<br />
zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) in<br />
Deutschland (1990). Vorbild sind angelsächsische Muster der block-grants. Es wird<br />
behauptet, die Bottom-up-Mitwirkung regional Verantwortlicher an der Zielfindung,<br />
der Programmierung, der späteren Projektierung, Mitfinanzierung und Umsetzung<br />
erhöhe die Motivation zur Umsetzung <strong>regionaler</strong> Strategien und die Effizienz des<br />
Mitteleinsatzes, verbessere die Kofianzierungsmöglichkeiten und entlaste die staatliche<br />
Ebene. Insgesamt sei ein dezentrales und subsidiäres Fördersystem rationaler<br />
und effektiver. Das ist der Mainstream. Die strukturpolitische Realität der gemischten<br />
Multilevel-<strong>Finanzierung</strong>, der ressortübergreifenden Programmierung und der<br />
Entscheidung über Programmprioritäten bei hohen Milliardenbeträgen sieht deutlich<br />
anders aus. Das hat realpolitische Gründe, die in dem raumwissenschaftlichen Hypothesengefüge<br />
bislang nicht abgebildet sind und den akademischen Wissenschaften<br />
häufig von außen nicht zugänglich sind.<br />
Das Gesamtgefüge funktioniert nur, wenn das EU-Primärrecht im Beihilferecht, bei<br />
den Rechtsgrundlagen zur nationalen GRW-Förderung (Leitlinie für staatliche Beihilfen<br />
mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung) und bezüglich der Fortführung des Ziels Regionales<br />
Wachstum und Beschäftigung (RWB; ehemals Ziel 2) im EFRE einen Rahmen<br />
belässt, der regional angepasste Programmplanungen überhaupt weiter zulässt. So<br />
positioniert sich auch die deutsche Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom<br />
Oktober 2009 (S. 35 Ziff. 1772 und 1776 sowie S. 112).<br />
Man kann mit kommunaler Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen<br />
(KMU) aus dem EFRE keine aus der Krise herausführende industrielle Stabilisierungsstrategie<br />
betreiben. Man kann ohne den Ausbau spezieller großer Basisinfrastrukturen<br />
an der Küste in Norddeutschland keine Küstenentwicklung betreiben.<br />
Landesentwicklungspolitik kann immer nur im Gegenstrom zentraler Vorgaben,<br />
Großprojekte und <strong>regionaler</strong> Umsetzung funktionieren, nicht nur mit Hilfe kleiner<br />
örtlicher Projekte aus dem lokalen Kontext. Die Instrumente müssen sich ergänzen.<br />
Wenn dies nicht parallel dotiert werden kann, gibt es ein Absacken der realökonomischen<br />
Wirkungen der regionalen Strukturpolitik insgesamt.<br />
Auch völlig neue Zielvorgaben der EU, die mit regionalpolitischen Instrumenten<br />
nicht wirklich operativ umgesetzt werden können, sind nicht hilfreich. All dieses<br />
droht derzeit, so dass den regionalen und kommunalen Bedarfsträgern nur geraten
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 33<br />
werden kann, zunächst dazu beizutragen, dass die Zentralebene weiterhin überhaupt<br />
genug Mittel zur Verfügung hat, um anschließend regionalen Initiativen der<br />
zweiten Ebene Spielräume geben zu können. Ob es noch einmal die unten beschriebenen<br />
Regionalisierten Teilbudgets (RTB) in Niedersachsen geben kann und<br />
mit welchen Mitteln sie dotiert werden könnten, wird sich erst Ende 2012 abzeichnen.<br />
Bis dahin haben reine regionale Globalbudgets realpolitisch weiterhin nur eine<br />
inhaltlich und finanziell begrenzte Chance.<br />
In verschiedenen Dokumenten hat die EU-Kommission die Mitwirkung von regionalen<br />
Trägern schon bei der Programmierung, aber insbesondere bei der Projektumsetzung<br />
angelegt und grundsätzlich ermöglicht: Die Kommission weist z.B. in den<br />
Strategischen Kohäsionsleitlinien (BT Drs. 507/06 KOM (2006) Ratsdokument<br />
11706/06) auf die Leistungsfähigkeit, institutionellen Kapazitäten und Governance-<br />
Faktoren für die Umsetzung vor Ort hin. Hier sei Partnerschaft aller maßgeblich<br />
Beteiligten auf lokaler und <strong>regionaler</strong> Ebene unerlässlich. Gefordert werden: Konsultation<br />
und Beteiligung von Behörden, Wirtschafts- und Sozialpartnern sowie der<br />
„Zivilgesellschaft“, inklusive Nicht-Regierungsorganisationen. Ziel ist die Mobilisierung<br />
von innovativem Wissen, Lösungskompetenzen und Innovationsfähigkeit. Beispielhaft<br />
sind die bei der Schlussabrechnung später beanstandeten Regionalen Innovationsstrategien<br />
(RIS) der Periode 1994-99. Die deutschen kommunalen Spitzenverbünde<br />
bewegen sich nicht so weit: Sie verweisen auf Probleme mit dem<br />
Budgetrecht deutscher Gebietskörperschaften und der Kommunalverfassung für die<br />
Vertretungskörperschaften. Dort sind Beteiligungsformen, wie sie die EU vorsieht,<br />
nicht durchsetzbar. Hier liegt der Grund, warum es Beschränkungen in der Geschäftsordnung<br />
der Begleitausschüsse (z.B. Anhörung bei Richtlinienerstellung und<br />
keine Mitwirkung bei haushaltsrelevanten <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen) bei den<br />
Strukturfonds gibt.<br />
In den Überlegungen zur Territorialen Kohäsion wird auf die Bedeutung geografischer<br />
Aspekte in der EU-Kohäsionspolitik verwiesen (BT-Drs. 507/06, Ziff. 2, S. 69).<br />
Regionsspezifisch angepasste und situationsgerechte Förder-instrumentierungen<br />
sind der tragende Gedanke. Die auf regional-individuellen Fähigkeiten gründende<br />
Behandlung aller unterschiedlich strukturierten Gebiete wird als insgesamt wachstumsfördernder<br />
Faktor eingestuft. Dies öffnet die Möglichkeit unterschiedlich strukturierte<br />
ländliche und städtische Regionen mit ihrem jeweils – eventuell auch nur kleinen<br />
Beitrag – im Rahmen einer „potentialorientierten“ Politik einzubinden und entspricht<br />
sowohl einer Grundforderung der Kohäsionspolitik wie auch der kommunalen<br />
Spitzenverbände. Es wird gefordert regionale Verwaltungs- und Umsetzungskompetenz<br />
im Rahmen von Mehrebenen-Strategien und im Gegenstrom von <strong>regionaler</strong><br />
und staatlicher Strukturpolitik zu entwickeln. Ausschlaggebend ist die regionale<br />
Politikfähigkeit von Hauptverwaltungsbeamten und kommunaler Politik, Gremi-
34 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
en, Netzwerken, Kammern, Verbänden, Sparkassenwesen und <strong>regionaler</strong> Kreditwirtschaft.<br />
Hier gibt es sowohl zeitgeschichtlich gewachsene Schwäche- als auch<br />
Stärke-Regionen (Lüchow-Dannenberg oder Holzminden vs. Emsland und Hildesheim).<br />
Die Organisation der kommunalen Wirtschaftsförderung ist zusammen mit<br />
Leadership einer der Hauptfaktoren bei regionalen Schlüsselunternehmen. Bei der<br />
Programmierung der Operationellen Programme des EFRE sollen spezielle geografische<br />
und sozioökonomische Bedürfnisse und Eigenheiten berücksichtigt werden<br />
können. Alle Regionen sollen eine Chance erhalten eine potentialorientierte Strategie<br />
zu entwickeln. Good Governance und Partnerschaft seien tragende Faktoren.<br />
Diese Diskussion fußt auf drei Jahrzehnten, in denen eine Vielzahl <strong>regionaler</strong> Initiativen<br />
und Kooperationsprojekte begleitet, gefördert und vom Verfasser auch finanziert<br />
wurden. In aufeinanderfolgen Modewellen haben die Förderreferate in den<br />
Ländern praktisch alles „mal ausprobiert“ und teils negative <strong>Finanzierung</strong>serfahrungen<br />
gewonnen.<br />
Drei Jahrzehnte verwaltungs-regionalwissenschaftliche und raumordnerische<br />
Debatte über Initiativen und Maßnahmen von Regionen<br />
Bis auf die weiter unten beschriebenen RTBs und ihr Einsatz für die kommunale<br />
investive Zuschussförderung von KMU aus dem EFRE waren über viele Jahre hinweg<br />
die von den regionalen Trägern eingesetzten und umgesetzten Fördermaßnahmen<br />
mehrheitlich dem nicht-investiven Bereich zuzuordnen. Beispiele aus drei<br />
Jahrzehnten hat der Verfasser im Bericht der Gesellschaft für Regionalforschung<br />
über das Winterseminar 2010 in Matrei dargestellt. Dazu gehören Maßnahmen wie<br />
Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte, Regionalmanagement, neuerdings kleine Regionalbudgets<br />
in der GRW, Clustermanagement, Kooperation und Vernetzung, Regionalmarketing,<br />
regionales Gründungscoaching, Business Angels, Beratungsförderung,<br />
Technologieberatung und <strong>Finanzierung</strong>sberatung.<br />
Man war mehrheitlich der Auffassung, dass mindestens die einzelbetriebliche Unternehmensförderung<br />
nicht regionalisiert und nicht öffentlich in diskursiven Strukturen<br />
behandelt werden dürfe, da derartige Förderfälle nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
dem Datenschutz unterliegen. Öffentlich sind nur die nachträglichen Listen<br />
der endbegünstigten Zuwendungsempfänger im EFRE und seit 2008 auch in<br />
der GRW. Bei der wirtschaftsnahen Infrastrukturförderung gibt es in Hessen,<br />
Schleswig-Holstein und einigen neuen Ländern zwar eine staatliche Förderung,<br />
aber eine vorlaufende Behandlung von Projekten durch regionale Vorentscheidungsgremien.<br />
Nach hiesiger Kenntnis betrifft aber die regionale Mitwirkung im<br />
Vorfeld der Entscheidung über Investitionen nicht die Bewilligungsentscheidung
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 35<br />
selbst. Große Investitionsentscheidungen sind nirgendwo regionalisiert worden. Die<br />
hier erwähnten Regionalansätze sind sämtlich diskursive Beteiligungs- und Kooperationsansätze,<br />
teils mit zentraler Moderation in der Schweiz, Österreich und Nordrhein-Westfalen,<br />
teils mit Förderprogrammen untersetzt. Aus heutiger Sicht fällt die<br />
begrenzte Persistenz der Ansätze auf, auch dass diese nie geeignet waren, investive<br />
größere Projekte zu koordinieren. Sie waren sämtlich keine sogenannten Regelförderungsprogramme,<br />
sondern hatten Sonderprogramm-Charakter. Am weitesten<br />
institutionalisiert waren über mehrere Jahre hinweg die Regionen in NRW<br />
(1985 bis 90/92). Nach 1997 wurde dieses Aktionsfeld durch neue Clusterprojekte<br />
und später durch sogenannte „Regionale NRW“ (nach 2003) abgelöst. Allen gemeinsam<br />
sind die Zielfindung in größeren Entscheidergremien und der Versuch,<br />
gemeinsame Projekte aufzusetzen. Diese waren durchgängig nicht-investive Vorhaben.<br />
Bis heute ist es dagegen nicht wirklich gelungen, realökonomische Wirkungen<br />
all der schwach institutionalisierten kooperativen Regionalansätze nachzuweisen.<br />
Ein Grund, die operative Förderung auf NUTS-III Ebene (in Deutschland die Landkreise)<br />
anzudocken, ist die Tatsache, dass man zuwendungsrechtliche Empfänger<br />
mit Vertretungskörperschaftsstatus und eigener Finanzhoheit braucht. Das sind die<br />
kreisfreien Städte und Landkreise, die selbst kofinanzieren können und selbst entscheiden.<br />
Will man Förderprogramme, Budgets oder die Maßnahmenträgerschaft<br />
auf zwischengeschaltete regionale Stellen verlagern (vgl. Grundverordnung für die<br />
Strukturfonds), dann braucht man einen körperschaftsrechtlichen Beschluss, Teile<br />
der Wirtschaftsförderung aus dem freiwilligen übertragenen Wirkungskreis formal zu<br />
übertragen (z.B. Hannover-Region auf Hannover-Impuls). Solche Beschlüsse fassen<br />
Landkreise normalerweise nicht, schon gar nicht zu Gunsten von Großkommunen,<br />
wie den benachbarten Stadtstaaten in einer metropolitanen Makroregion. In<br />
der Praxis haben sich bei der Umsetzung der RTB die Einzelinteressen der Landkreise<br />
und kreisfreien Städte durchgesetzt. Unter diesen Umständen ist es insbesondere<br />
auch aus Aspekten der Fondsverwaltung in Niedersachsen weder zu regionalen<br />
Globalbudgets (vielfach aus Weser-Ems gefordert) noch zu zwischengeschalteten<br />
Stellen gem. Strukturfondsverordnung gekommen. Damit ist auch der<br />
Regionalisierungsansatz der regionalen Strukturpolitik für diese Fondsperiode gescheitert.<br />
Er hat in dem Fondsverwaltungssystem, dem Finanzcontrolling-System,<br />
den Ressortpolitiken, auch dem für die Raumordnung zuständigen Landwirtschaftsministeriums<br />
in Niedersachsen keine Durchsetzungschance.
36 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
Beispielhafte regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte der letzten Jahre<br />
in Niedersachsen als Fördergegenstände für regional zu finanzierende<br />
Maßnahmen<br />
In Niedersachsen wurden aus der GRW in den Jahren 1997 bis 2006 insgesamt 16<br />
Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK), sieben Regionalmanagements und ca. 20<br />
Wachstumsprojekte finanziert. Die ursprüngliche Absicht des BMWI im Jahre 1996,<br />
diese Konzepte zur verbindlichen Entscheidungsbasis für die regionale Mitbestimmung<br />
über Investitionsentscheidungen zu machen, wurde faktisch nie umgesetzt.<br />
GRW-Regionalbudgets auf der Basis funktionierender GRW-Regionalmanagements<br />
oder REKs wurden in Niedersachsen erstmals 2010 in der Jade-Weser-Region und<br />
der Ems-Achse bewilligt. Dies erfolgte nur kreisübergreifend. Landkreise wie Hameln,<br />
Holzminden und Lüchow-Dannenberg kamen nach dem Regime der einschlägigen<br />
Richtlinie des Landes nicht zum Zuge. Zudem hat das Land das Instrument<br />
in analoger Anwendung auf den EFRE auch Regionalbudget-Förderung in<br />
ganz Niedersachsen (nach GRW und/oder EFRE) ermöglicht und setzt über drei<br />
Jahre z.T. bis zu insgesamt 600.000 Euro ein. Notwendig ist ein inhaltliches Konzept,<br />
das der Verwendungsprüfung zugänglich ist und ein Arbeits- und Businessplan.<br />
Die neue Initiative Harz ist das bundesweit erste größere Experimentierklauselprojekt<br />
in der GRW mit einem untypischen Fördervolumen von 2 Mio. Euro und<br />
besonders straffem Projektmanagement sowie externer Beratung.<br />
Regionalisierte Teilbudgets (RTBs) aus dem EFRE<br />
An die Stelle der geforderten Globalbudgets traten die aus dem EFRE finanzierten<br />
RTBs. Im Rahmen der Aufstellung der EU-Programme 2007 - 2013 war es ein wesentliches<br />
Ziel des Landes Niedersachsen, die Handlungsspielräume der Kommunen<br />
vor Ort zu erweitern, um zu einer sinnvollen Arbeitsteilung von Land und Kommunen<br />
zu kommen. Dazu sind den Kommunen über verschiedene Kabinettsbeschlüsse<br />
erstmals eigene regionale EU-Budgets eingeräumt worden. Zwischengeschaltete<br />
Stellen und regionale Globalzuschüsse werden nicht umgesetzt. Stattdessen<br />
wurden in Niedersachsen sogenannte fachliche „Regionalisierte Teilbudgets“<br />
eingeführt. Es handelt sich um einen deutschlandweit und von der EU-Kommission<br />
vielbeachteten Ansatz zur Stärkung insbesondere der ländlichen Räume ohne originäre<br />
Landesmittel zu binden. Wie kam es dazu?<br />
Die RTBs innerhalb der EFRE-Programmstrukturen waren eine vom damaligen<br />
Chef der Staatskanzlei Hagebölling und mehreren Staatssekretären 2006 gesetzte<br />
politische Grundsatzentscheidung. Die RTBs wurden auf Kreisebene angesetzt. Für<br />
die großen starken und die kleinen schwachen Kommunen auf NUTS-III Ebene gab<br />
es gleich viel Geld, jeweils 5 Mio. Euro, inklusive der durch die Kommunen aufzu-
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 37<br />
bringenden nationalen öffentlichen Kofinanzierung. Dies bevorzugt durchaus gewollt<br />
die schwachen Landkreise. Mehr als 20 nicht-zuwendungsfähige informelle kreisübergreifende<br />
Regionen und Kooperationsräume werden nicht gefördert. Einige<br />
dieser Regionalinitiativen haben inzwischen ihre Bedeutung verloren oder sind inaktiv.<br />
Damit stellt sich aus heutiger Sicht die – bislang unbeantwortete – ganz grundsätzliche<br />
wissenschaftliche Frage nach der langfristigen Persistenz von Regionalstrukturen.<br />
Vorüberlegungen von Land und Kommunen in Niedersachsen<br />
Die politischen Vertreter der kreisfreien Städte und der Landkreise in Niedersachsen<br />
haben schon seit 1997 ihre Mitwirkung an der Strukturpolitik des Landes Niedersachsen<br />
eingefordert. Das Land Niedersachsen wollte die grundsätzliche Forderung<br />
nach Regionalbudgets berücksichtigen, widersprach aber der Forderung nach Globalzuschüssen,<br />
da aus Sicht des Landes Probleme der inhaltlichen und finanziellen<br />
Gesamtsteuerung befürchtet wurden. In einer eigens dazu eingerichteten Arbeitsgruppe<br />
mit breiter kommunaler Beteiligung und unter Leitung des Wirtschaftsministeriums<br />
(MW) wurde das Modell der RTBs entwickelt. Das MW erwartet in diesem<br />
Rahmen von einem Bottom-up-Verfahren wie das der RTBs hohe regionalökonomische<br />
Impulse. Die RTBs bieten den Landkreisen die Möglichkeit zur Umsetzung von<br />
Projekten bzw. Investitionsvorhaben zur Verbesserung <strong>regionaler</strong> Problemlagen, die<br />
den Akteuren vor Ort oftmals besser bekannt sind als der Landesverwaltung. Das<br />
Land Niedersachsen erhoffte sich eine höhere Qualität der umgesetzten Projekte,<br />
eine geringe Anzahl von Rückforderungen und höhere Arbeitsplatzeffekte in den<br />
Regionen. Durch die Kofinanzierung durch die Kommunen werden neben erweiterten<br />
Entscheidungsbefugnissen auch zusätzliche Verantwortung an die Regionen<br />
weitergegeben. Neben der höheren Verantwortung der Kommunen ist die Entlastung<br />
des Landeshaushaltes, der durch die Kofinanzierung der in dieser Förderperiode<br />
stark angestiegenen EFRE-Mittel zusätzlich belastet wurde, ein weiteres Ziel,<br />
das mit der Einführung der RTBs verbunden wurde. In der Initiierungsphase der<br />
RTBs wurde von Seiten des Landes zudem die Erwartung geäußert, dass zunehmend<br />
Kooperationsprojekte zwischen den Gebietskörperschaften im Rahmen der<br />
RTBs entstehen sollten.<br />
Dieses Modell sieht nach seinem Verfasser MR Franz, dem Leiter der Fondsverwaltung<br />
Niedersachsen, vor, dass die Kommunen „ihr Teilbudget“ nach eigener<br />
Entscheidung (aber vorheriger Information von MW und Genehmigung durch die<br />
NBank) auf die EFRE-Schwerpunkte 1 „Unternehmensförderung“, 2 „Innovation“<br />
und 3 „Infrastruktur“ verteilen können. Dabei ist auch bei der Förderung von Projekten<br />
aus den RTBs das nationale und das EU-Recht einzuhalten, d.h. die Projekte
38 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
müssen sich innerhalb des von der EU-Kommission akzeptierten Förderrahmens<br />
halten. Auf die RTBs entfällt insgesamt eine Summe von rund 130 Mio. Euro, wovon<br />
90 Mio. Euro dem RWB-Gebiet (Ziel 2) und 41 Mio. Euro dem Konvergenzgebiet<br />
(Ziel 1) zuzuordnen sind. Dabei stehen jedem Landkreis/jeder kreisfreien Stadt im<br />
RWB-Gebiet 2,5 Mio. Euro (Region Hannover: 5 Mio. Euro) und jedem Landkreis im<br />
Konvergenzgebiet 3,75 Mio. Euro EU-Mittel aus dem EFRE zur Verfügung. Daraus<br />
ergibt sich zusammen mit der notwendigen nationalen öffentlichen Kofinanzierung<br />
durch die Kommunen ein Programmvolumen von 5 Mio. Euro je Kreis/kreisfreier<br />
Stadt. Es liegt in der Hand der Kommunen, sich zu entscheiden, welche Projekte sie<br />
vor Ort gefördert sehen wollen und wie die RTB-Mittel auf die Schwerpunkte des<br />
EFRE-Programms im Einzelfall verteilt werden sollen. Aus einer Abfrage zum Abschluss<br />
der o.g. AG-Teilbudgets ergab sich die folgende Verteilung der RTB-Mittel<br />
auf die EFRE-Schwerpunkte:<br />
� zwei Drittel der Teilbudgets sollten im ersten EFRE-Schwerpunkt für kreiseigene<br />
Programme zur KMU-Förderung eingesetzt werden,<br />
� ein Sechstel der Mittel sollte für Innovationsprojekte vorgesehen werden<br />
(Schwerpunkt 2),<br />
� ein weiteres Sechstel sollte für Infrastrukturprojekte bereitgestellt werden<br />
(Schwerpunkt 3).<br />
Damit ist die kommunale Förderung von KMU der wichtigste Baustein der Förderung<br />
über Regionalisierte Teilbudgets.<br />
Die neue Förderung von KMU durch die kreisfreien Städte und Landkreise ist ein<br />
erstmaliger flächendeckender Einstieg in eine regionalpolitisch integrierte direkte<br />
Mittelstandsförderung. Die Mitwirkung der Kommunen mit ihrer lokalen Kenntnis von<br />
Schwierigkeiten und örtlichen Bedingungen ist hilfreich für die dezentrale Umsetzung.<br />
Die Rahmenvorgaben sind zentral, es bleibt das Zuwendungsrecht der staatlichen<br />
Wirtschaftsförderung. Es bleibt bei den zweckgebundenen Zuweisungen der<br />
EU-Mittel, die über den Landeshaushalt auf Antrag zugewiesen werden. Das System<br />
ist freiwillig, es ist aber weder eine kommunale Pflichtaufgabe noch eine Standardaufgabe<br />
der örtlichen Gemeinschaft. Das Wirtschafts- und das Innenministerium<br />
haben 2007 überlegt, das Fördersystem in den übertragenen Wirkungskreis der<br />
Landkreise zu geben. Davon wurde Abstand genommen, weil man es hier mit einer<br />
staatlichen Förderung aus Haushaltsmitteln des Landes zu tun hat, die auf Zeit für<br />
die Fondsperiode den Kommunen zur Umsetzung nach EU-Regelungen übergeben<br />
worden ist.
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 39<br />
Hauptunterschiede der kommunalen Förderung für KMU aus dem EFRE zur<br />
GRW:<br />
� die Förderung ist flächendeckend und horizontal;<br />
� Rechtsgrundlagen: Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, de-Minimis-<br />
Verordnung;<br />
� nahezu alle Branchen bis auf ganz wenige rechtliche Ausnahmen;<br />
� investiv auf Sachkapital und Arbeitsplätze ausgerichtet;<br />
� viel kleinteiliger und auf Projekte mit im Schnitt nicht mehr als 10.000 bis<br />
50.000 Euro an Zuschüssen ausgerichtet;<br />
� nach de-minimis ist der Höchstförderbetrag 200.000 Euro;<br />
� fördertechnisch geringere Anforderungen an die KMU-Antragsteller.<br />
Eine besondere Herausforderung war dabei die 10 Monate dauernde, teils streitige<br />
Abstimmung des Referentenentwurfes der zentralen Landesrahmenregelung mit<br />
den 47 beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften in einer Expertenrunde des<br />
Netzwerkes Wirtschaftsförderung Niedersachsen, NEWIN 2006/07 und bei der Novelle<br />
2008, die wegen der Anpassung an die neue Allgemeine EU-<br />
Gruppenfreistellungsverordnung (AGFVO 2008) notwendig war. Hier wurde verwaltungsmethodisches<br />
und -politisches Neuland in Deutschland beschritten.<br />
Das zweistufige Fördersystem wird über die sogenannte „Rahmenregelung des<br />
Landes Niedersachsen zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen aus dem<br />
Europäischen Fonds für Regionale <strong>Entwicklung</strong>“ umgesetzt. Sie besteht aus einem<br />
Erlass an die NBank (Abschnitt 1), der über die Nebenbestimmungen bei den Zuweisungen<br />
von Haushaltsmitteln an die kommunalen Träger der Maßnahme sicherstellt,<br />
dass die Rahmenregelungen (Abschnitt 2) in allen an dem Förderfeld teilnehmenden<br />
Gebietskörperschaften in eigenen kommunalen Förderrichtlinien umgesetzt<br />
werden. Die Abschnitte 1 und 2 sind für die NBank und alle beteiligten Institutionen<br />
verbindlich. Der Anhang des schlanken Dokuments enthält Empfehlungen des Landes<br />
zur Aufstellung der kommunalen Richtlinien. In der Rahmenrichtlinie des Landes<br />
Niedersachsen ist aus beihilferechtlichen Gründen gemäß AGFVO 2008 auf die<br />
Fokussierung auf bestimmte Wirtschaftszweige verzichtet worden. Das Land hat<br />
jedoch erwartet, dass die Landkreise im Rahmen der Erarbeitung ihrer Landkreisrichtlinie<br />
eine Fokussierung auf für sie bedeutende Wirtschaftsbereiche vornehmen<br />
und auf diese Weise regionale Kompetenzen stärken. Die an dem Förderfeld teilnehmenden<br />
Gebietskörperschaften stellen unter Beachtung dieser der EU angezeigten<br />
Rahmenregelung eigene kommunale Förderrichtlinien auf, die der EU-<br />
Kommission nicht anzuzeigen sind. Die Erarbeitung dieser Richtlinien erfolgt in Abstimmung<br />
zwischen den Landkreisen und, auf deren massiven politischen Druck<br />
hin, den kreisangehörigen Städten und Gemeinden. Das Ergebnis des Abstimmungsverfahrens<br />
ist der Bewilligungsbehörde im Rahmen der Antragstellung vor-
40 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
zulegen. Die Kommunen erhalten Zuwendungen der NBank nach diesen Rahmenregelungen,<br />
sie stellen eigene Förderkriterien auf, planen die Mittel ein, entscheiden<br />
über die Förderung der Unternehmen als Endempfänger, bewilligen die Förderung<br />
und sie sind für die Mittelverwendungsprüfung selbst zuständig. Sie berichten über<br />
die Einplanungen, die Bewilligungen, den Mittelabfluss und nehmen an dem landesweiten<br />
Datenaustausch teil. Dieser Bericht dient der Verwaltungsbehörde, den<br />
Prüfstellen und der Bescheinigungsbehörde dazu, die zentrale Mittelverwaltung sicherzustellen.<br />
Zuwendungszwecke sind:<br />
1. Arbeitsplatzschaffende und -sichernde Investitionen;<br />
2. Nicht-investive, im weiteren Sinne investitionsvorbereitende Maßnahmen<br />
Die Träger der Fördermaßnahme können bis zu 25 % des Finanzvolumens für das<br />
kommunale KMU-Programm (EFRE-Mittel einschließlich der kommunalen Kofinanzierung)<br />
für nicht-investive, im weiteren Sinne investitionsvorbereitende Vorhaben<br />
einsetzen. Die kommunalen Träger der Förderung setzen die Mindestbeträge und<br />
die Höchstförderbeträge innerhalb der genannten beihilferechtlichen Höchstgrenzen<br />
selbst fest.<br />
Die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Kommunalen Spitzenverbände haben<br />
große Erwartungen in das Instrument gesetzt, in der Hoffnung die jeweiligen<br />
regionalspezifischen Wirtschaftsförderungsziele effektiv selbst umsetzen zu können.<br />
Der eigene kommunale Handlungsspielraum der Kreise wird erweitert. Das Branchenspektrum<br />
bezieht den gesamten Dienstleistungsbereich, den Handel sowie das<br />
Bau- und Gastgewerbe explizit mit ein. Die Kommunen haben unterschiedliche<br />
Konzepte der Unternehmensförderung konzipiert und setzen spezifische Schwerpunkte<br />
bei den Zielgruppen (Existenzgründung, Kleinstunternehmen). Erklärtes Ziel<br />
der Landkreise und kreisfreien Städte ist es, die Förderung möglichst „nah am Unternehmen“<br />
auszurichten und sich durch die Auswahl der Projekte und umfangreiche<br />
Beratungsangebote Standortvorteile zu erarbeiten. Die intensive Vor-Ort-<br />
Betreuung der „Kunden“ bietet die Möglichkeit der besseren Verknüpfung mit anderen<br />
Aufgabenbereichen der Wirtschaftsförderung. Die RTB-Förderung kann damit<br />
eine „Türöffnerfunktion“ übernehmen. Dies alles wird von den deutschen kommunalen<br />
Spitzenverbänden als interessante Förderlösung eingestuft. Nach den ersten<br />
Verlautbarungen der EU-Kommission zur Strategie 2020 und zur Kohäsionspolitik<br />
ist derzeit aber im März 2011 auch immer noch nicht sicher erkennbar, dass das<br />
beihilfekonforme und für die Kommunen attraktive Fördersystem fortgesetzt und ab<br />
2014 weiter aus EFRE-Mitteln im Zielgebiet RWB in den alten Mitgliedstaaten und<br />
den alten Bundesländern fortgesetzt werden könnte.
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 41<br />
Wirkungskennziffern der kommunalen KMU-Förderung aus RTBs bis 2013:<br />
� 132 Mio. Euro Mitteleinsatz, ca. 5.500 Förderfälle,<br />
� 1,278 Mrd. durch Förderung begleitete Investitionen,<br />
� 14.730 neue Arbeitsplätze,<br />
� 38.000 gesicherte Arbeitsplätze.<br />
Ziel-Mittelrelationen der Förderung:<br />
� ø - Zuschuss pro Fall: ca. 24.000 Euro,<br />
� ø - Förderquote 10 % (6 % bis 20 %),<br />
� ø - Zuschuss pro neuem Arbeitsplatz: ca. 9.000 Euro<br />
Ausgestaltung und Bandbreiten der 47 kommunalen Förderrichtlinien gem.<br />
AGFVO 2008:<br />
� Mindest-Fördersummen zwischen 500 Euro und 70.000 Euro je Förderfall, nur<br />
selten de-Minimis,<br />
� max. Fördersumme 75.000 Euro bei 50 % der 47 Kreise/kreisfr.Städte (15.000<br />
Euro bis 250.000 Euro je Förderfall).<br />
Zur weiteren <strong>Entwicklung</strong> <strong>regionaler</strong> Budgets<br />
Die gemeinsame Erklärung der AG der Kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens<br />
und der Niedersächsischen Landesregierung vom 26. 11. 2009<br />
Landesregierung und kommunale Spitzenverbände haben im November 2009 den<br />
Ausbau eines Instrumentariums zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaften<br />
verabredet. Im Mittelpunkt steht das Prinzip der bürgernahen<br />
Durchführung öffentlicher Aufgaben. Das Niedersächsische Innenministerium prüft<br />
federführend die Möglichkeiten einer weitergehenden Kommunalisierung staatlicher<br />
Aufgaben<br />
1. Die kommunale Ebene hat Vorrang bei der Durchführung öffentlicher Aufgaben,<br />
zu prüfen ist auch eine Verlagerung von Aufgaben der Landkreise auf die<br />
Kommunen. Hierzu ist der Hinweis zu geben, dass sich die Landesregierung<br />
bei der Umsetzung des EFRE ganz auf Landkreise und kreisfreie Städte (47<br />
Kommunen, NUTS III) stützt.<br />
2. Aus Sicht des Wirtschaftsressorts sind die Wirtschaftsförderungseinrichtungen<br />
der NUTS-III Ebene geeignet für die Umsetzung von regionalisierten Teilbudgets.<br />
3. Unterstützung freiwilliger kommunaler Neugliederungen durch Gutachten und<br />
Moderation (z.B. Weser, Harz, Nordostniedersachsen, Ostfriesland, Großraum<br />
Braunschweig).
42 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />
4. Ressortübergreifende Strukturpolitik mit den Kommunen und eine auf den de-<br />
mografischen Wandel ausgerichtete Regionalpolitik des Landes.<br />
5. Intensivierung des Instrumenteneinsatzes für besonders strukturschwache<br />
Gemeinden und die Kommunalisierung von Teilen der staatlichen Wirtschaftsförderung.<br />
Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat schon am 25.2.2009 einen Konsultationsbeitrag<br />
zum „Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt KOM (2008) 616 endg. V. 6.<br />
10.“ abgegeben. Alle Regionen der EU sollen ihren spezifischen Bedürfnissen gemäß<br />
gefördert werden. Man solle nicht einseitig Stärken von Wachstumskernen<br />
stärken. Die Verbände nehmen dabei Bezug auf den alten Art. 158 EGV Kohäsionspolitik.<br />
Zudem sollen Phasing-In und -Out Teilräume gesondert behandelt werden;<br />
angemahnt wird die Beibehaltung eines Systems der schrittweisen Übergangshilfe.<br />
Der DLT argumentiert, dass die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen<br />
eine zentrale Voraussetzung für die Akzeptanz der EU sei.<br />
1. Territorialer Zusammenhalt ist im Kontext des wirtschaftlichen und sozialen<br />
Zusammenhalts zu sehen.<br />
2. Eine einseitige Orientierung auf Humankapital, Exzellenz, Bildung, Forschung<br />
und <strong>Entwicklung</strong> ginge zu Lasten der Fläche und der Infrastrukturpolitik (Problem<br />
Post Lissabon-Strategie).<br />
3. Finanzielle Zuwendungen sollten anhand sozioökonomischer Indikatoren, nicht<br />
nach geografischen Typen vergeben werden.<br />
4. Der DLT stellt auf die Vielfalt der Regionen und spezifischer <strong>Entwicklung</strong>sbedürfnisse<br />
ab. Vorgeschlagen wird eine Kombination aus abstrakten Zweckbindungen<br />
und variablen Kofinanzierungsmöglichkeiten.<br />
5. Die Konzentration auf kleinere Gebietseinheiten soll die regionale und örtliche<br />
Umsetzung sicherstellen.<br />
6. DLT fordert ausreichende Handlungsspielräume für Regionen und Regionalbudgets<br />
(Globalzuschüsse) sowie die Zulassung dezentralisierter Verwaltung<br />
der Fondsmittel.<br />
7. In Analogie zur Gruppenfreistellungsverordnung sollen breitere Maßnahmengruppen<br />
pauschal zugelassen werden.<br />
8. Die Vernetzung ähnlich gelagerter Regionen (AK Grenzregionen), der Europäische<br />
Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) arbeitet seit 2006 und gilt<br />
als weiterführend bei der Lösung von Problemen (gestattet die Lobbybildung,<br />
Anm. d. Verf.).<br />
9. Die regionale Ebene koordiniert sektorale Maßnahmen. Die Koordinierung der<br />
Fonds und die Einbeziehung der Kommunen bei der Programmierung sind sicherzustellen.<br />
Typischerweise treten die kommunalen Spitzenverbände im
Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 43<br />
Rahmen der deutschen Kommunalverfassung dafür ein, KEINE weiteren gesellschaftlichen<br />
Akteure einzubinden, wie dies die EU vorsieht.<br />
Damit ist diese Stellungnahme als Schlüsseldokument der Position der substaatlichen<br />
Regionen zu sehen.<br />
Fazit<br />
Der Ausbau und die Weiterentwicklung der RTBs sind landesseitig bei begrenzten<br />
Volumen von max. ca. 15 % des Fondsvolumens im Bereich der Wirtschaftsstrukturpolitik<br />
unstreitig und das NUR als ergänzendes Instrument. Niedersachsen lehnt<br />
demgegenüber trotz der Kofinanzierungsprobleme des Landes regionale Globalbudgets<br />
mit <strong>regionaler</strong> Kofinanzierung weiter ab! Die Begründung dieser Entscheidung<br />
des Chefs der niedersächsischen Staatskanzlei vom September 2009 liegt in<br />
den absehbar sinkenden Mittelvolumina für Niedersachsen aus allen Regelförderungssystemen<br />
des EFRE und inzwischen auch der nationalen GRW. Der Bedarf<br />
an kohäsionspolitischen Mitteln für die Wachstums- UND Ausgleichpolitik liegt in<br />
Niedersachsen bei rund 300 Mio. Euro jährlich (EU und national) und sinkt auch bis<br />
zum Jahr 2020 nicht. Diese Mittel werden nach den derzeit absehbaren Tendenzen<br />
ab 2014 nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus Gründen der Landesentwicklung<br />
sind aber beispielsweise säkulare Investitionen in die Küstenentwicklung und Basisinfrastrukturen<br />
überall im Lande unverzichtbar.<br />
Aus diesem Grunde werden RTBs als ergänzendes Angebot an die Kommunen im<br />
Zuge des „Zukunftsvertrages“ mit dem bisherigen Mittelanteil bei sinkendem Ge-<br />
samtvolumen für das Ziel RWB konzeptionell ausgebaut. Der Kern der RTBs, die<br />
investive kommunale Förderung von KMU, ist nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung<br />
2008 der EU-Beihilfe konform und könnte fortgesetzt werden.<br />
Diese Förderung hat in den nationalen und EU-Fachgremien hohe Aufmerksamkeit<br />
gefunden. Ob die Kommission ihre strategischen Überlegungen zur Strukturfondsperiode<br />
2014-2020 so ergänzt, dass die kommunale Förderung von KMU über<br />
RTB im EFRE weiter möglich bleibt und ausgebaut werden kann, wird sich erst im<br />
Herbst 2011 abzeichnen.<br />
Kontakt:<br />
Apl. Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke, Dipl. Vw.,<br />
Stellv. Leiter Referat 34 Finanzmanagement und Controlling, u.a. (Oberste Instanz<br />
für die Wirtschaftsförderung in Niedersachsen)<br />
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
44 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke
AktivRegionen in Schleswig-Holstein – flächendeckende<br />
Umsetzung des LEADER-Konzeptes<br />
von Christina Pfeiffer und Hermann-Josef Thoben<br />
1. Hintergründe<br />
Die Strategie zur ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in Schleswig-Holstein wurde in der EU-<br />
Förderperiode 2007-2013 durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die<br />
<strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums (ELER) neu ausgerichtet. Innerhalb des ELER<br />
ist es Zielsetzung der EU, den seit 1990 im Rahmen der LEADER Gemeinschaftsinitiative<br />
erfolgreich erprobten Bottom-up gesteuerten <strong>Entwicklung</strong>sansatz in die<br />
„Mainstream-Förderung“ einzubringen. Die Landesregierung hat im Rahmen der<br />
Vorbereitung des ELER-Programms für Schleswig-Holstein (Zukunftsprogramm<br />
ländlicher Raum (ZPLR)) entschieden, dass im Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />
vorrangig Mittel nach dem Leader-Konzept eingesetzt werden.<br />
Das Leader-Konzept umfasst gebietsbezogene integrierte <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />
und lokale öffentlich-private Partnerschaften – Lokale Aktionsgruppen (LAG) – mit<br />
Entscheidungsbefugnis für die Ausarbeitung und Umsetzung der integrierten <strong>Entwicklung</strong>sstrategien.<br />
Die LAGs werden in Schleswig-Holstein „AktivRegionen“ genannt.<br />
Das Leader-Konzept wird in Schleswig-Holstein insbesondere für den Förderbereich<br />
der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> flächendeckend umgesetzt. Seit Anfang 2010 werden<br />
in Schleswig-Holstein EU-, Bundes- und Landesmittel im Rahmen der ländlichen<br />
<strong>Entwicklung</strong> nach abgestimmten Spielregeln nur noch über die AktivRegionen eingesetzt.<br />
Die bisherigen Programme der Dorfentwicklung wurden bis auf wenige<br />
Ausnahmen zu Ende geführt. Mit dieser konsequenten Realisierung des Leader-<br />
Konzeptes geht Schleswig-Holstein weiter als die übrigen Bundesländer, die die<br />
Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> nur zum Teil in Leader integriert haben.<br />
Eine wesentliche Motivation für diese weit reichende Umsetzung des Leader- Konzeptes<br />
ist es, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen,<br />
wie Land und Gemeinden sowie Vereinen, Verbänden und privaten Akteuren<br />
anzuregen. Eine OECD-Studie aus den 90er Jahren kommt zu dem Ergebnis, dass<br />
durch die Verbesserung der Kooperationsfähigkeit auf <strong>regionaler</strong> Ebene eine wesentliche<br />
Grundlage für prosperierende Regionen geschaffen wird.
46 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />
Die ländlichen Räume sollen durch gezielte Förderung noch besser unterstützt werden:<br />
� zur Stärkung der Wirtschaftskraft, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen,<br />
� zur Sicherung der Lebensqualität,<br />
� zur Stärkung der Gemeinschaft durch Ermutigung der Menschen mit ihren unterschiedlichen<br />
Stärken zu noch mehr Eigeninitiative und<br />
� zur Schaffung von Anreizen für neue Partnerschaften (Kooperationen).<br />
Mit dem Leader-Konzept setzt das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche<br />
Räume (MLUR) somit auf starke selbst organisierte ländliche Regionen in<br />
Schleswig-Holstein. Die in einer AktivRegion vorhandenen Potenziale (Fähigkeiten<br />
und Erfahrungen der Menschen und Alleinstellungsmerkmale in den regionalen<br />
Strukturen) sollen optimal (nachhaltig) für die künftige <strong>Entwicklung</strong> genutzt werden.<br />
Mit Unterstützung der Medien sollen günstige Rahmenbedingungen (oder besser<br />
nach Maria Montessori: „Eine vorbereitete Umgebung“) geschaffen werden, die die<br />
Akteure in der AktivRegion ermutigen, sich für die <strong>Entwicklung</strong> ihrer Region einzusetzen.<br />
Jede Region hat ihre Besonderheiten und Stärken. Mit Hilfe einer integrierten <strong>Entwicklung</strong>sstrategie<br />
können Ziele und Maßnahmen gebündelt und vernetzt werden.<br />
Die AktivRegionen arbeiten sektorübergreifend zu allen Lebens- und Arbeitsbereichen<br />
im ländlichen Raum. Eine breite Bürgerbeteiligung mit demokratischen Spielregeln<br />
stellt die <strong>Entwicklung</strong> der Region auf eine starke Basis. Die Zusammenarbeit<br />
von Verwaltung, Bürgern, Wirtschaft und Initiativen ermöglicht eine Vernetzung bisher<br />
getrennter Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft. Mit diesen Partnerschaften<br />
kann eine wirksame Verbindung unterschiedlicher Förder- und <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />
leichter erreicht werden. Innovative Projekte können in neuen Partnerschaften<br />
besser umgesetzt werden.<br />
2. Aktuelle Zahlen, Fakten und Beispiele<br />
Insgesamt 21 AktivRegionen haben sich eigenständig im Land etabliert und wurden<br />
bis Anfang 2009 anerkannt. Von den 21 AktivRegionen waren sechs bereits bei<br />
LEADER+ aktiv. Da die Prozesse erst spät gestartet wurden, befindet sich die Projektumsetzung<br />
2010 noch in den Anfängen.<br />
� Eine AktivRegion ist ein zusammenhängendes Gebiet mit 50.000 bis 120.000<br />
Einwohnern.<br />
� Die 21 AktivRegionen umfassen ca. 14.250 km² mit einer Bevölkerung von rd.<br />
1,4 Mio. EinwohnerInnen und decken damit rd. 90% der Landesfläche Schleswig-Holsteins<br />
ab.
AktivRegionen in Schleswig-Holstein 47<br />
� Die AktivRegionen haben sich als rechtsfähige Organisationen gegründet (in<br />
Schleswig-Holstein alle als eingetragene Vereine) mit Mitgliedern aus unterschiedlichen<br />
Bereichen der Region, z.B. Kommunen, Wirtschaft, Soziales,<br />
Kultur und Umwelt. Im Sinne des Leader-Konzeptes der EU sind sie die LAG.<br />
� Eine integrierte <strong>Entwicklung</strong>sstrategie bildete die Grundlage für die Anerkennung<br />
als AktivRegion. Hierbei waren die regionsspezifischen Themen unter<br />
Berücksichtigung des demografischen Wandels und des Klimaschutzes auszuarbeiten.<br />
� Das Entscheidungsgremium der AktivRegion (i.d.R. der Vereinsvorstand) beschließt<br />
über ein jährliches Regionalbudget von 250.000 bis zu 300.000 Euro<br />
an EU-Mitteln, die in etwa gleicher Höhe mit nationalen öffentlichen Mitteln kofinanziert<br />
werden müssen, und wählt die Projekte aus, die gefördert werden<br />
sollen. Das Entscheidungsgremium der AktivRegion setzt sich aus einem Anteil<br />
von mindestens 50 % Wirtschafts- und Sozialpartnern sowie aus kommunalen<br />
Vertretern zusammen.<br />
Seit Anfang 2009 bis Mitte 2010 wurden 284 Projekte aus dem Regionalbudget bewilligt,<br />
die mit einem Zuschuss von rd. 10,7 Mio. Euro ein Investitionsvolumen von<br />
rd. 24 Mio. Euro auslösen.<br />
Über das Regionalbudget hinaus können auch so genannte Leuchtturmprojekte<br />
gefördert werden. Hierfür stehen jährlich weitere EU-, Bundes- und Landesmittel zur<br />
Verfügung. Sie müssen sich einem landesweiten Wettbewerb stellen. Zu den Projektauswahlkriterien<br />
gehören die Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft, die<br />
Schaffung/Sicherung von Arbeitsplätzen, Kooperationen/neue Partnerschaften und<br />
der Schutz der natürlichen Ressourcen/Klimaschutz sowie Innovation. Die Auswahl<br />
der Leuchtturmprojekte trifft der landesweite LAG AktivRegion Beirat, in dem alle 21<br />
AktivRegionen stimmberechtigt sind. Die maximale Fördersumme für ein Projekt<br />
wurde vom Beirat auf 750.000 Euro festgesetzt.<br />
Seit Anfang 2009 bis Ende 2010 wurden in sieben Beiratssitzungen insgesamt 36<br />
Leuchtturmprojekte ausgewählt, die sich zurzeit in der Umsetzung befinden. Sie<br />
erhalten einen Gesamtzuschuss in Höhe von rd. 14,4 Mio. Euro. Damit werden Investitionen<br />
von rd. 48 Mio. Euro ausgelöst.<br />
� Seit 2010 stehen den AktivRegionen zusätzlich für die Umsetzung des Health<br />
Checks zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2013 insgesamt rd. 19,6 Mio.<br />
Euro EU-Mittel zur Verfügung. Diese Mittel werden durch Aufstockung der jährlichen<br />
Regionalbudgets auf die 21 AktivRegionen verteilt. Die Umsetzung soll<br />
vorrangig als innovative Vorhaben in den Bereichen Klimawandel, erneuerbare<br />
Energien, Wasserwirtschaft und biologische Vielfalt erfolgen.
48 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />
� In AktivRegionen, die zur Gebietskulisse des Zukunftsprogramms Fischerei<br />
gehören, können auch Projekte zur nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> der Fischwirtschaftsgebiete<br />
aus dem Europäischen Fischereifonds (EFF) gefördert werden.<br />
� Die Regionaldezernate des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche<br />
Räume (LLUR) sind beratende Mitglieder der LAG und Zuwendungsstelle<br />
für die Mittel aus dem Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> des MLUR. Sie handeln<br />
als „Förderlotsen“ der AktivRegionen und koordinieren auch die Umsetzung<br />
von Projekten, für die Mittel aus anderen Förderprogrammen des Landes<br />
in Frage kommen.<br />
� Alle 21 AktivRegionen bilden ein landesweites Regionen-Netzwerk, das von<br />
der Akademie für die ländlichen Räume Schleswig-Holsteins koordiniert wird.<br />
Tabelle: 36 Leuchtturmprojekte der AktivRegionen 2009 und 2010<br />
Aktiv Region Titel des Leuchtturmprojektes Förderfähiges Förder-<br />
Invest.volumen zuschuss in<br />
in Euro (Netto) Euro<br />
Nordfriesland-Nord Wilhelminen-Hospiz 1.200.000 556.000<br />
Eider-Treene-Sorge Kanu-Tourismus (Koop. 3 LAGn) 1.000.000 463.000<br />
Südliches Nordfriesland<br />
Besucherzentrum Meierei Witzwort 250.000 87.500<br />
Dithmarschen Waldmuseum Burg 403.361 222.000<br />
Mitte des Nordens Wohnprojekt Hürup für Demenzkranke 1.010.000 555.000<br />
Mitte des Nordens Gemeinschaftshaus Servicekomplex<br />
„Pro Senior“<br />
223.281 122.805<br />
Mitte des Nordens Seenlandschaft Handewitt-Wanderup 1.041.059 572.582<br />
Mitte des Nordens Alter Bhf Langballig Gaststätte 989.643 445.335<br />
Schlei-Ostsee Danewerk (Vorbereitung zur Anerkennung<br />
als UNESCO Weltkulturerbe)<br />
Hügelland am Ostseestrand<br />
Hügelland am Ostseestrand<br />
Eider-und Kanalregion<br />
Rendsburg<br />
Eider-und Kanalregion<br />
Rendsburg<br />
319.000 175.851<br />
Das verrückte Haus 230.000 80.535<br />
Outdoor-Akademie Aschberg (Globetrotter)<br />
Tourismus Nord-Ostsee-Kanal (Koop.<br />
5 LAGn)<br />
Wissens- und Erlebniszentrum Abfallwirtschaft<br />
1.528.057 378.194<br />
1.960.000 600.000<br />
217.200 76.020<br />
Mittelholstein Pferdefreizeitpark Eidertal 281.958 126.881<br />
Steinburg Störtörn - Kanuprojekt 635.000 295.000<br />
Steinburg Eventstandort Wacken 1.760.000 500.000
AktivRegionen in Schleswig-Holstein 49<br />
Aktiv Region Titel des Leuchtturmprojektes Förderfähiges Förder-<br />
Invest.volumen zuschuss in<br />
in Euro (Netto) Euro<br />
Steinburg JugendCircus Ubuntu 582.397 203.838<br />
Steinburg Reitstall Basten 981.600 441.720<br />
Steinburg Haus d. Generationen Hohenfelde<br />
(modellhafte Wohnpflegeeinrichtung)<br />
1.156.807 636.244<br />
Holsteiner Auenland Jugendbildungsstätte Barmstedt 2.129.200 600.000<br />
Holsteiner Auenland Kochschule, Catering &<br />
Hofcafé Finnen<br />
Holsteins Herz „Ideen v. Küchentisch“ Zukunft der<br />
Gemeinde Wensin<br />
230.500 80.675<br />
649.902 357.446<br />
Ostseeküste Kirchenrouten (Koop. 4 LAGn) 1.505.000 600.000<br />
Ostseeküste Spielerlebniswelten 911.100 501.105<br />
Ostseeküste Obst-Erlebnis-Garten Hohwachter<br />
Bucht<br />
1.278.000 447.300<br />
Ostseeküste Inklusions- und Therapiehof Reiten 695.500 312.975<br />
Schwentine Holsteinische<br />
Schweiz<br />
Schwentine Holsteinische<br />
Schweiz<br />
Ländliches Kultur-, Bildungs- u Erlebniszentrum<br />
Hof Viehbrook<br />
1.714.000 500.000<br />
Attraktivierung Plöner Schwimmhalle 1.200.000 660.000<br />
Wagrien Fehmarn Adventure Golf Fehmarn 383.800 95.000<br />
Wagrien Fehmarn Zukunftspark Fehmarn 1.111.111 500.000<br />
Wagrien Fehmarn Tourist. Infrastruktur Fehmarn ÖP-<br />
Projekt Radwege<br />
Herzogtum Lauenburg<br />
Nord<br />
Herzogtum Lauenburg<br />
Nord<br />
Pinneberger<br />
Marsch & Geest<br />
Pinneberger<br />
Marsch & Geest<br />
1.6663.971 748.787<br />
Wildpark Mölln 1.500.000 500.000<br />
Jugendherberge Ratzeburg 5.672.269 630.252<br />
Reetdächer 2.109.500 600.000<br />
MarktTreff Heidgraben 1.433.268 750.000<br />
Alsterland Ökologischer Erlebnishof Gut Wulksfelde<br />
466.466 107.753<br />
Insgesamt 36 Leuchtturm-Projekte 40,4 Mio Euro 14,4 Mio Euro
50 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />
3. Auswertung der bisherigen Erfahrungen<br />
Aufgrund des späten Starts der AktivRegionen Anfang 2009 ist eine Analyse der<br />
Wirkungen dieses methodischen Ansatzes noch etwas verfrüht. Sowohl die eigenen<br />
Erfahrungen des begleitenden Fachreferates im MLUR als auch die im Entwurf vorliegenden<br />
Ergebnisse der Programm-Zwischenevaluierung (durchgeführt vom Johann<br />
Heinrich von Thünen-Institut (vTI)) geben schon einige wertvolle Hinweise auf<br />
die Chancen und Herausforderungen der Umsetzungen des Leader-Ansatzes in<br />
Schleswig-Holstein und auf Möglichkeiten der Weiterentwicklung – im Sinne eines<br />
„lernenden Konzeptes“.<br />
Chancen<br />
Wesentliche Ziele des Leader-Konzeptes wurden in Schleswig-Holstein bereits erreicht<br />
– zu diesem Ergebnis kommt auch die offizielle Zwischenevaluierung sowie<br />
eine erste Prüfung des Landesrechnungshofes:<br />
� Der gebietsbezogene, integrierte Ansatz hat sich gegenüber einer rein sektoralen<br />
und lokalen Förderung als positiv herausgestellt. Auf diese Weise wurde<br />
ein integratives Herangehen an die <strong>Entwicklung</strong>sthemen gefördert; die Verbundenheit<br />
der Akteure hat das Engagement für ihre Regionen gestärkt.<br />
� Der flächendeckende Ansatz in Schleswig-Holstein hat schon zu einer deutlich<br />
verbesserten Zusammenarbeit geführt und auch in weniger erfahrenen Regionen<br />
wurden wichtige Vernetzungsprozesse angestoßen.<br />
� Auch der Bottom-up-Ansatz mit den regionalen Steuerungsstrukturen LAG und<br />
Regionalmanagement hat seine Stärke bewiesen.<br />
Nach Einschätzung des Fachreferates im MLUR hat die Abgabe von Verantwortung<br />
an die regionalen Akteure deren Selbstbewusstsein erheblich gestärkt. Die Akteure<br />
wurden zu mehr Eigeninitiative ermutigt. Kreative Kräfte konnten durch neue Partnerschaften<br />
mobilisiert werden. Auf breiter Ebene konnten eine Aufbruchstimmung<br />
und eine breite Mobilisierung erzeugt werden, zunächst insbesondere bei den privaten<br />
Akteuren. Im nächsten Schritt wurden hier jedoch auch Engpässe deutlich<br />
(siehe hierzu Herausforderungen).<br />
In dem kurzen Zeitraum von 2009 bis Mitte 2010 wurden zudem bereits viele Maßnahmen<br />
aus den Regionalbudgets der AktivRegionen sowie 36 Leuchtturmprojekte<br />
auf landesweiter Ebene umgesetzt bzw. sind auf dem Weg der Realisierung. Kontinuierliche<br />
Erfolgserlebnisse sind wichtig, um die Motivation der Akteure aufrechtzuerhalten<br />
und der landesweite AktivRegion-Beirat, in dem alle AktivRegionen vertreten<br />
sind, hat sich zu einem selbstbewussten Gremium entwickelt, das die Umsetzung<br />
des Programms mit steuert.
AktivRegionen in Schleswig-Holstein 51<br />
Die Einrichtung einer landesweiten Vernetzungsstelle der AktivRegionen hat sich<br />
als wichtige und erfolgreiche Maßnahme erwiesen. Dieses Forum wird vor allem<br />
von den Regionalmanagern genutzt, um ihre Erfahrungen auszutauschen und spezielle<br />
Fragestellungen zu vertiefen. Das Fachreferat im Ministerium und das LLUR<br />
sind ebenfalls in den Austausch eingebunden.<br />
Besonders zu erwähnen ist die intensive Begleitung der AktivRegionen durch das<br />
Medienprojekt „AktivRegion21“ des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages<br />
(sh:z). Etwa jeden Monat wird eine AktivRegion mit ihren Projekten landesweit auf<br />
Sonderseiten des sh:z ausführlich präsentiert. Im Rahmen dieses Medienprojektes<br />
finden Bürgergespräche des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter-<br />
Harry Carstensen statt. Der Landeschef besucht jede AktivRegion und gibt den<br />
Bürgern die Möglichkeit, ihre Sorgen und Erfolge im Zusammenhang mit dieser<br />
Förderinitiative mit ihm zu teilen. Insgesamt ist ein breiter politischer Rückhalt in der<br />
Landesregierung für den Ansatz der AktivRegionen gegeben.<br />
Herausforderungen<br />
Eine Herausforderung liegt bereits darin, dass in der AktivRegion ein neu gebildetes<br />
regionales Entscheidungsgremium (mit privaten und öffentlichen Mitgliedern) eine<br />
Verantwortung für die Gestaltung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> und für die Entscheidung<br />
über ein Regionalbudget übernimmt. Hier werden Aufgaben nach dem Bottom-up-Prinzip<br />
nach unten verlagert. Die Einarbeitung in diese neuen Aufgaben erfordert<br />
unter anderem verlässliche und nachvollziehbare Rahmenbedingungen im<br />
administrativen Bereich. Und es braucht Zeit, damit sich private und öffentliche Akteure<br />
mit den neuen Konstellationen vertraut machen können. Die erforderlichen<br />
stabilen und transparenten Rahmenbedingungen konnten für die Akteure der AktivRegionen<br />
leider nicht gewährleistet werden (z.B. ständige Veränderungen bei den<br />
Förderbedingungen und im Vergaberecht).<br />
Einige Chancen, die der Förderansatz Leader bietet, können bei den aktuellen<br />
Durchführungsmodalitäten nicht genutzt werden. Als wichtiges Hemmnis hat sich<br />
herausgestellt, dass die Vorschriften des Verwaltungs- und Kontrollsystems der EU<br />
im Bereich des ELER zu anspruchsvoll und starr für die Umsetzung kreativer Projekte<br />
sind. Dieses System ist an die Förderung im Bereich der 1. Säule der Agrarförderung<br />
angepasst, wo es vor allem um die Auszahlung von Flächenprämien geht<br />
und ist im Prinzip nicht für die integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> geeignet. Das heißt,<br />
es passt nicht zu den meist nicht standardisierbaren<br />
Einzelprojekten der AktivRegionen (z.B. 3 %-Abweichungsregel bei der Sanktionierung).<br />
Die daraus resultierenden Anforderungen bedeuten einen unverhältnismäßig<br />
hohen Aufwand, insbesondere bei kleineren Projekten und für private Akteure.
52 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />
Darüber hinaus hat die Einbindung des Leader-Konzeptes in die Mainstream-<br />
Förderung zu einer Eingrenzung des Förderspektrums im Vergleich zur vergangenen<br />
Förderperiode LEADER+ geführt. Diese Verengung wird dem Anspruch eines<br />
integrierten multisektoralen Ansatzes nicht gerecht. Eine Erweiterung der Fördermöglichkeiten<br />
hat die EU über innovative Vorhaben geschaffen; diese Möglichkeit<br />
wird bisher aber wenig genutzt. Insbesondere für das Engagement von zivilgesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Akteuren liegen keine optimalen Rahmenbedingungen<br />
vor. Private Projektträger werden durch die Vorgabe einer öffentlichen Kofinanzierung<br />
der EU-Mittel in ihrem Engagement gebremst. Die beiden EU-<br />
Strukturfonds (EFRE und ESF) haben diese Vorschrift nicht.<br />
Zum Teil nicht vorhersehbare bzw. nicht beeinflussbare Veränderungen wie z.B. die<br />
weltweite Finanzkrise, aber auch die Sparzwänge des Landes Schleswig-Holstein<br />
führten in relativ kurzen Abständen zu Änderungen der Förderbedingungen. Dies<br />
hat eine zunehmende Verunsicherung insbesondere bei den Akteuren in AktivRegionen<br />
ausgelöst, die nicht auf Erfahrungen aus der LEADER+ Periode zurückgreifen<br />
können.<br />
Als Ergebnis des Health-Checks zur Gemeinsamen Agrarpolitik wurden während<br />
der Laufzeit des Programms zusätzliche Mittel für die so genannten „Neuen Herausforderungen“<br />
zur Verfügung gestellt. Ein großer Teil dieser Mittel soll in Schleswig-Holstein<br />
über die AktivRegionen umgesetzt werden. Die abweichenden Förderbedingungen<br />
führen zu einer wachsenden Komplexität bei der Projektentwicklung.<br />
Auch hier zeigen sich – aufgrund der dichten Abfolge von Veränderungen – Unsicherheiten<br />
und zum Teil eine Überforderung bei den Akteuren.<br />
Einerseits kann mit Stolz festgestellt werden, dass das früher stark ausgeprägte<br />
Kirchturmdenken der Dörfer in den AktivRegionen nicht mehr dominiert und dass<br />
die Vorteile der Kooperation Eingang in viele Köpfe gefunden haben. Andererseits<br />
zeigt sich jetzt aber auch eine Schattenseite. Denn inzwischen wurden die lokale<br />
und kleinregionale Ebene etwas in den Hintergrund gedrängt. Wichtige Themen wie<br />
die lokale Versorgung und die Innenentwicklung eines Dorfes werden zurzeit in vielen<br />
AktivRegionen noch zu wenig berücksichtigt.
AktivRegionen in Schleswig-Holstein 53<br />
4. Schlussfolgerungen<br />
Die Erfahrungen aus der aktuellen und aus den früheren Förderperioden zeigen,<br />
dass die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Landesregierung, den Einsatz<br />
der EU-, Bundes- und Landesmittel aus dem Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> auf<br />
die landesweit einheitliche Strategie der AktivRegionen auszurichten, richtig gewesen<br />
ist. Die Menschen in den ländlichen Räumen werden ermutigt, die Kräfte zu<br />
bündeln; sie können sich auf ihre unterschiedlichen regionalen Stärken konzentrieren.<br />
Dies soll auch in Zukunft dazu führen, dass in allen Sektoren – von der Wirtschaft<br />
über die Ökologie bis zu kulturellen und sozialen <strong>Entwicklung</strong>en – immer dann,<br />
wenn es möglich ist, dieser Ansatz „von unten“ vorrangig zum Tragen kommt. Dabei<br />
sollte der Blick aber nicht nur auf die Fördermöglichkeiten des Ministeriums für ländliche<br />
Räume gerichtet, sondern – wie bereits vielfach praktiziert – die Förderprogramme<br />
verschiedener Ressorts geprüft und somit auch die ressortübergreifende<br />
Zusammenarbeit angeregt werden.<br />
Das Maßnahmenspektrum für den Einsatz der Mittel aus den Regionalbudgets<br />
sollte unbedingt wieder erweitert werden – vergleichbar zu den Möglichkeiten der<br />
Gemeinschaftsinitiative LEADER+.<br />
Künftig ist stärker zu berücksichtigen, welche räumlichen und Akteursebenen am<br />
besten geeignet sind, um ein spezielles Thema zu bearbeiten. Die Ebene der AktivRegionen<br />
kann dabei eine Schnittstelle bilden. Hier kann entschieden werden, ob<br />
eine Aufgabe am besten auf der Ebene der AktivRegionen oder im Rahmen einer<br />
Kooperation von AktivRegionen (z.B. Tourismus), auf kleinräumiger Ebene (z.B.<br />
Daseinsvorsorge, demografischer Wandel) oder auf der Dorfebene (z.B. Dorfinnenentwicklung,<br />
lokale Versorgung) bearbeitet werden sollte.<br />
In der nächsten Förderperiode müssen die administrativen Rahmenbedingungen,<br />
insbesondere das Verwaltungs- und Kontrollsystem, besser an die Bedarfe der integrierten<br />
ländlichen <strong>Entwicklung</strong> angepasst werden. Insgesamt zeigen die schleswig-holsteinischen<br />
Erfahrungen, dass Menschen, die diesen von unten gesteuerten<br />
Ansatz kennen gelernt haben, Ideen mit mehr Selbstbewusstsein entwickeln und<br />
diese in enger Zusammenarbeit mit anderen interessierten Institutionen umsetzen<br />
wollen. Für die Verwaltung, insbesondere auf Landesebene, entsteht hieraus ein<br />
neues Selbstverständnis: Sie wird sich zunehmend darauf konzentrieren, frühzeitig<br />
auf Rahmenbedingungen hinzuweisen, bei Bedarf neue Impulse zu setzen, als Moderator<br />
zu wirken und die Akteure bei der Umsetzung von Projekten zu unterstützen.<br />
Dies ist gleichzeitig eine neue Chance für einen wirksamen Bürokratieabbau.<br />
Voraussetzung ist allerdings, dass hierfür einfachere und zuverlässige Rahmenbedingungen<br />
geschaffen werden.
54 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />
Nach 2013 sollten die AktivRegionen dann so erfahren und kompetent agieren,<br />
dass sie – mit den richtigen Anreizen – ihre <strong>Entwicklung</strong> weitgehend eigenständig<br />
gestalten können.<br />
Die zukünftigen Herausforderungen der ländlichen Räume (u.a. durch den demographischen<br />
Wandel) benötigen regionsspezifisches Handeln auf der Grundlage<br />
von regionalem Wissen und regionalen Kompetenzen, damit zukunftsfähige Lösungen<br />
entwickelt werden können. Der Leader-Ansatz der AktivRegionen ist grundsätzlich<br />
ein gutes und lernendes Instrument, um die kreativen und engagierten regionalen<br />
Akteure aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zu mobilisieren.<br />
Kontakt:<br />
Christina Pfeiffer<br />
Hermann-Josef Thoben<br />
Referat für ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />
Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des<br />
Landes Schleswig-Holstein<br />
Tel.: 0431-988-5078<br />
E-mail: Christina.Pfeiffer@mlur.landsh.de
Regionalisierte Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in<br />
Sachsen – Erfahrungen und Ausblick<br />
von Daniel Gellner<br />
Die Idee, regionale Selbstverantwortung mit finanzieller Entscheidungsgewalt zu<br />
untersetzen, ist so alt wie der Gedanke der Subsidiarität selbst. Je nach Ursprung<br />
der Mittel und den damit verbundenen Vorstellungen des Geldgebers reicht die Palette<br />
von Globalzuschüssen über Regionalbudgets bis zu Regionalfonds und ähnlichen<br />
<strong>Finanzierung</strong>en. Aus verschiedenen Gründen war jedoch die praktische Verbreitung<br />
dieser Instrumente im Rahmen informeller <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>splanungen<br />
eher gering bzw. experimentell ausgeprägt. In der neueren Geschichte des<br />
Freistaates Sachsen sind es vor allem Förderprogramme, die entsprechende Anreize<br />
setzten. Erste praktische Erfahrungen konnten in den Programmen LEADER+,<br />
Regionen aktiv, Europäischer Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) und in der<br />
Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)<br />
gesammelt werden.<br />
1. Regionen – genormte Freiheit?<br />
Grundsätzlich stellt sich vor der Wahl des passenden regionalen <strong>Finanzierung</strong>sinstruments<br />
immer die Frage, wie sich eine Region definiert, woran sie arbeitet und<br />
wie sie legitimiert ist. Durch die Rahmensetzung fachspezifischer Programme wurden<br />
bisher auch fachspezifische Ziele verfolgt. Diese führten zu fachspezifischen<br />
Regionsabgrenzungen. So ist z.B. das Einzugsgebiet für die regionale Grundversorgung<br />
mit Waren und Dienstleistungen im Einzelfall überhaupt nicht deckungsfähig<br />
mit dem Gebiet des Abwasserbeseitigungskonzeptes; die Schulnetzplanung legt<br />
andere Regionen zu Grunde als der Hochwasserschutz. Es ist aus verständlichen<br />
Gründen nicht zweckmäßig und nachhaltig, jede fachspezifisch abgegrenzte Region<br />
mit einem eigenen Entscheidungsgremium und finanziellen Ressourcen zu versehen.<br />
Denn jede Gemeinde würde sich in einer Vielzahl solcher Regionen wiederfinden.<br />
Es muss also eine Region definiert werden, die möglichst vielen Fachbelangen gerecht<br />
wird. Überschneidungen sollte es nicht geben. Gedanklich gelangt man dabei<br />
schnell zu Regionen, die sich an vorhandenen administrativen Grenzen orientieren,<br />
z.B. den Landkreisen.
56 Daniel Gellner<br />
Doch entsprechen administrative Grenzen wirklich den regionalen Identitäten vor<br />
Ort? Kann man zivilgesellschaftliches Engagement in staatlich vorgegebenen Räumen<br />
optimal aktivieren? Selbst die EU hat, im Gegensatz zur vergangenen Förderperiode<br />
in LEADER+, im Europäischer Landwirtschaftsfonds für die ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />
(ELER) nicht mehr vorgeschrieben, in welchen Handlungsfeldern sich Regionalentwicklung<br />
bewegen muss. Hierfür sind die kleinregionalen endogenen Potentiale<br />
zu verschieden.<br />
Der Freistaat Sachsen hat einen anderen Versuch gewagt: Im Vorfeld der neuen<br />
EU-Förderperiode sollten sich die ländlichen Regionen selbst finden. Eine Bindung<br />
an administrative Grenzen war nicht vorgeschrieben, aber auch nicht ausgeschlossen.<br />
Das allein ist keineswegs neu. Zudem wurden jedoch auch keine inhaltlichen<br />
Rahmenvorgaben gemacht. Dies erfolgte auch vor dem Hintergrund, den Regionen<br />
künftig mehr inhaltliche Entscheidungskompetenz, das heißt über die klassischen<br />
Instrumente der Ländlichen <strong>Entwicklung</strong> hinaus, zu übertragen. Dazu sollten regionale<br />
<strong>Entwicklung</strong>sstrategien mit der Förderung aus dem ELER und anderen Finanzquellen<br />
gekoppelt werden. Doch dazu später mehr.<br />
Die Gemeinden mussten sich allerdings für eine Region entscheiden – eine Mitgliedschaft<br />
in mehreren Regionen war ausgeschlossen. Im Ergebnis eines Aufrufes<br />
entstanden 35 ländliche Regionen, die in der Regel nicht mit Landkreisgrenzen korrespondieren<br />
(siehe Abbildung 1).<br />
LEADER-Gebiete sind dabei die Gebiete mit den aussichtsreichsten <strong>Entwicklung</strong>sstrategien.<br />
Diese erhalten im ELER in der Regel eine um 10 Prozentpunkte erhöhte<br />
Förderung. Die übrigen Gebiete sind sogenannte Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>s-<br />
Gebiete (ILE-Gebiete) und erhalten 5 Prozentpunkte mehr. LEADER- und ILE-<br />
Gebiete unterscheiden sich strukturell nicht, da beide auf der gleichen strategischen<br />
Grundlage arbeiten.<br />
Das Ergebnis zeigt u.a., dass die Sicherung <strong>regionaler</strong> Identität den Menschen<br />
wichtiger ist als etwaige administrative Schwierigkeiten durch „Grenzüberschreitungen“.<br />
Es wird aber auch deutlich, dass regionale Ziele im Einzelfall nicht in Übereinstimmung<br />
stehen mit den staatlichen Vorstellungen vom regionalen Zuschnitt einer<br />
optimalen Zusammenarbeit. Andererseits ist es im erheblichen öffentlichen Interesse,<br />
dass die Regionen ihre endogenen <strong>Entwicklung</strong>spotentiale bestmöglich nutzen.<br />
Eine logische Folge ist, dass die Landes- und Regionalplanung den Regionen bezüglich<br />
ihrer räumlichen Abgrenzung und <strong>Entwicklung</strong> mehr Entscheidungskompetenz<br />
zubilligen muss.
Regionalisierte Förderung in Sachsen 57<br />
Abbildung 1: ILE- und LEADER-Gebiete im Freistaat Sachsen<br />
2. Landesplanung und Subsidiarität<br />
Dies hat der Freistaat Sachsen im Ansatz bereits mit der Fortschreibung des Landesentwicklungsplans<br />
2003 (LEP) ermöglicht. Eine wesentliche Zielsetzung des<br />
LEP ist die Stärkung der regionalen Ebene als die sachgerechte Entscheidungsebene<br />
für räumliche <strong>Entwicklung</strong>en. Insofern erfolgen im LEP selbst keine landesweiten<br />
Festsetzungen über Raumnutzungen, sondern entsprechende Handlungsaufträge<br />
an die Träger der Regionalplanung. Damit können die Regionen nach einer<br />
landesweit einheitlichen Verfahrensweise über die jeweiligen Raumnutzungen<br />
selbst entscheiden. Neben den ordnungspolitischen Festlegungen fordert der LEP<br />
ausdrücklich eine prozess-, akteurs- und umsetzungsbezogene Planungskultur. Kooperation<br />
und Vernetzung wird als Partnerschaft von Stadt und Land verstanden.<br />
Dies wird in einem eigenen Grundsatz G 3.1.2 dokumentiert:<br />
„In Verantwortung der Regionen unter Einbeziehung der Wirtschaft und<br />
weiterer <strong>regionaler</strong> Akteure sollen interkommunale Kooperationsgemeinschaften<br />
gemeinsam eine problemorientierte Bestandsaufnahme und<br />
eine Stärken-Schwächen-Analyse erarbeiten, <strong>Entwicklung</strong>sleitziele ableiten<br />
und einen Handlungsrahmen mit konkreten und finanzierbaren<br />
Maßnahmen und Projekten erstellen und umsetzen.“
58 Daniel Gellner<br />
Bis 2006 wurde dieser Grundsatz durch vielfältige informelle Planungen <strong>regionaler</strong><br />
Akteure untersetzt. Nahezu jedes Ressort der Staatsregierung wurde durch EUund<br />
Bundesrichtlinien „ermuntert“, auf ihre Fachbelange zugeschnittene regionale<br />
Strategien zu fördern oder einer Fachförderung zu Grunde zu legen. Im Jahr 2006<br />
beschloss das sächsische Kabinett die sogenannte „Harmonisierung der Planungsinstrumente“.<br />
Für eine Region sollte es nur noch eine informelle Planung geben, die<br />
dann die Belange aller anderen Ressorts mit erfüllen muss. Zu dieser horizontalen<br />
wurde noch eine vertikale Abgrenzung definiert. Die verschiedenen Handlungsebenen<br />
und Instrumente wurden auf Ortsebene, auf Gemeindeebene und auf Regionsebene<br />
beschrieben. Dabei werden in städtisch geprägten Regionen Regionale<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK) gefördert, im ländlichen Raum Integrierte ländliche<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (ILEK); die beiden Leistungsbilder wurden harmonisiert und<br />
sind damit gegenseitig anerkennungsfähig für die jeweilige Projektförderung:<br />
Abbildung 2: Informelle ganzheitliche Planungsinstrumente in Sachsen<br />
Land<br />
Region<br />
Gemeinde<br />
Gemeindeteil<br />
Informelle ganzheitliche Planungsinstrumente in Sachsen – ab 2007<br />
Integriertes ländliches<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />
Regionale <strong>Entwicklung</strong>s- und Handlungskonzepte<br />
Regionale Anpassungs- und Handlungskonzepte<br />
Stadt-Umlandkonzepte<br />
Städtenetzkonzepte<br />
(§ 13 ROG, § 19 SächsLPlG)<br />
Städtebauliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (§ 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB)<br />
Dörfliche<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />
<strong>Entwicklung</strong>s- und Anpassungsstrategie<br />
Stadtteilkonzepte
Regionalisierte Förderung in Sachsen 59<br />
Zwischen den Instrumenten wurde ein vertikales Beachtungsgebot vereinbart. Dies<br />
bedeutet z.B., dass sich Städtebauliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte an den Zielen der<br />
ILEK orientieren müssen. Dabei dürfen die auf der räumlich unteren Ebene erarbeiteten<br />
Strategien den Zielen der räumlich übergeordneten Strategien (z. B. LEP<br />
2003) nicht widersprechen, sondern sollen diese untersetzen. Ggf. sind die übergeordneten<br />
Strategien entsprechend anzupassen (Gegenstromprinzip).<br />
Als Folge dieses Ansatzes ist in allen relevanten Richtlinien aller Ministerien ein<br />
Vorrang für Maßnahmen vorgesehen (das heißt: bevorzugte Beratung sowie<br />
schnelle, bevorzugte Bewilligung und bis zu 10 Prozentpunkte höhere Fördersätze),<br />
welche über das „strategische Instrument“, z.B. das ILEK, eingebunden sind. „Relevant“<br />
heißt in diesem Zusammenhang, dass zusätzlich zu den fachlichen Anforderungen<br />
ein <strong>regionaler</strong> Mehrwert absehbar sein sollte. Denn wo der nicht möglich<br />
scheint, würde die Regionalisierung auch keinen Sinn machen.<br />
Durch die Harmonisierung der Leistungsbilder auf Regionsebene sind städtisch geprägte<br />
Regionen auch im ELER als strategische Grundlage anerkannt und (im<br />
Rahmen der bestehenden Fördergebietskulissen) auch im ELER förderfähig.<br />
3. Ein Handlungskonzept für alle – und nun?<br />
Der integrierte Ansatz des ILEK kann nur über ein integriertes System der Fördermittelbereitstellung<br />
umgesetzt werden. So wünschenswert eine <strong>Finanzierung</strong> aus<br />
einer Hand auch ist, die derzeitigen Rahmenvorgaben der EU-<br />
<strong>Finanzierung</strong>squellen, insbesondere die Forderung nach der inneren Kohärenz von<br />
EU-Mitteln, lassen eine solche Lösung vor allem außerhalb der anerkannten LEA-<br />
DER-Gebiete im ELER leider nicht zu. Daher wurde ein doppelter Ansatz gewählt:<br />
� regionale Budgetorientierung für <strong>Finanzierung</strong> aus dem ELER,<br />
� sogenannter „ILE-Vorrang“ für <strong>Finanzierung</strong> aus anderen Quellen.<br />
Die Abgrenzung zwischen diesen Ansätzen erfolgt durch die jeweils erfassten förderfähigen<br />
Gebiete:
60 Daniel Gellner<br />
Abbildung 3: Planungsinstrumente und Gebietskulissen<br />
Informelle<br />
Planungsinstrumente<br />
auf Ebene der<br />
Region als<br />
Grundlage der<br />
investiven<br />
Förderung<br />
Sektorale<br />
Gebietskulissen<br />
für<br />
investive<br />
Förderung<br />
Integriertes ländliches<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />
4. <strong>Finanzierung</strong> aus dem ELER<br />
Regionale Anpassungs- und <strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />
Stadt-Umlandkonzepte<br />
Städtenetzkonzepte<br />
Förderung der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />
Förderung der Stadtentwicklung<br />
Wirtschaftsförderung<br />
Förderung anderer Ressorts, falls betroffen<br />
Eine Regionalisierung der Fördermittelvergabe im ELER ist in LEADER-Gebieten –<br />
pauschalisiert – auf drei Arten möglich:<br />
1. Vollständige Übertragung der ELER-Mittel einschließlich der Zahlstellenfunktionen<br />
auf die LEADER-Gruppen,<br />
2. Einrichtung von Regionalfonds für Unternehmen,<br />
3. Regionale Budgetorientierung: Region entscheidet gemäß ihrer Strategie über<br />
eine Förderung (Prüfung auf Förderwürdigkeit), Verwaltungsarbeit verbleibt bei<br />
Bewilligungsbehörde (Prüfung auf Förderfähigkeit).<br />
Der Freistaat Sachsen hat die LEADER-Methode mittels Variante 3 in die Regelförderung<br />
überführt; die Bedingungen zur Förderung unter LEADER sind in Kapitel J<br />
der ILE-Richtlinie festgelegt. Das ILEK hat dieselbe Form und Funktion wie die in<br />
Achse 4 des ELER geforderte lokale Gebietsstrategie (auch eine Folge der Harmonisierung<br />
der Planungsinstrumente in Sachsen). Eine Förderung ist laut ILE-<br />
Richtlinie nur noch möglich, wenn ein regionales Votum auf ILEK-Ebene, das heißt<br />
eine Willensbekundung durch die regionale Partnerschaft, vorliegt. Projekte werden<br />
nur dann gefördert, wenn sie regional vernetzt und relevant im Sinne der Gebietsstrategie<br />
sind. „Isolierte Projektförderung“ gehört hier der Vergangenheit an.
Regionalisierte Förderung in Sachsen 61<br />
Die Dezentralisierung ist also mit einer Regionalisierung der Mittelzuteilung verbunden.<br />
Im Rahmen der ILE-Richtlinie wurden somit quasi regionale Budgets eingerichtet.<br />
In ILE- und LEADER-Gebieten entscheidet der sog. Koordinierungskreis als<br />
zentrales Lenkungs- und Arbeitsgremium der LEADER-Aktionsgruppe bzw. des<br />
ILE-Trägers über die Mittelvergabe. Die formale Prüfung und Bewilligung von Anträgen<br />
wird seit der Verwaltungs- und Funktionalreform im Jahr 2008 durch die Landratsämter<br />
vorgenommen. Die Förderwürdigkeit hingegen wird durch das regionale<br />
Votum festgestellt.<br />
Der Freistaat Sachsen stellt den 35 LEADER- und ILE-Regionen im Schwerpunkt 3<br />
und 4 des ELER etwa eine halbe Milliarde Euro im Zeitraum von 2007 bis 2013 als<br />
regionale Budgetorientierung zur Verfügung.<br />
5. <strong>Finanzierung</strong> aus Nicht-ELER-Mitteln<br />
Der ILE-Vorrang als zweites wichtiges Instrument zur Umsetzung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />
wurde je nach Betroffenheit differenziert in 23 Fachrichtlinien<br />
des Freistaates Sachsen verankert. Die jeweiligen Fachanforderungen werden dabei<br />
jedoch nicht außer Kraft gesetzt. Unabhängig von der Unterstützung der integrierten<br />
<strong>Entwicklung</strong>sstrategien bietet dieses System auch Vorteile für die Träger<br />
der Fachbelange:<br />
Abbildung 4: <strong>Finanzierung</strong> aus Nicht-ELER-Mitteln<br />
REK/ILEK bietet zusätzlich zu Fachprioritäten regionale<br />
Voten für Fachentscheidungen<br />
z.B. Demografie-<br />
Check<br />
z.B. Regionale<br />
Prioritätensetzung<br />
Ableitbar sind:<br />
Ja/Nein-Entscheidungen<br />
Prioritäten/Rangfolgen<br />
Synergien<br />
Alternativen<br />
z.B. Leitbild/<br />
Gesamtstrategie<br />
Regionalmanagement<br />
kann der Unterstützung<br />
der Fachförderung dienen<br />
� zur Suche nach guten<br />
Projekten/Partnern in der<br />
Region<br />
� zur Vernetzung mit anderen<br />
Themen in der Region<br />
� als Kommunikationsmittel<br />
auf <strong>regionaler</strong> Ebene<br />
� zum Erreichen der regionalen<br />
Multiplikatoren
62 Daniel Gellner<br />
Die Umsetzung des ILE-Vorrangs in der Praxis bleibt jedoch eine große Herausforderung.<br />
Denn die Vorteile der Unterstützung integrierter <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />
müssen jedem Bearbeiter einer Fördermittelrichtlinie bewusst sein.<br />
6. Drei Jahre Erfahrung<br />
In Sachsen liegen nunmehr Erfahrungen aus etwa drei Jahren der Umsetzung der<br />
regionalen Budgetorientierungen vor. Diverse Studien und die ELER-<br />
Halbzeitevaluierung bescheinigen, dass sich die Harmonisierung der Planungsinstrumente,<br />
im ländlichen Raum unter dem Dach des ELER, bewährt hat. Die Einführung<br />
der LEADER-Maßnahmen auch für die Mainstream-Maßnahmen ist wichtig<br />
und notwendig. Dadurch wurden viele <strong>Entwicklung</strong>spotentiale genutzt und insbesondere<br />
bei privaten Akteuren und Unternehmen für eigene Projekte aktiviert. Die in<br />
Sachsen vorgeschriebene Legitimation der ILEK einschließlich der regionalen Entscheidungsstrukturen<br />
durch die zuständigen kommunalpolitischen Gremien ist zwar<br />
keine EU-Forderung. Sie stellt aber sicher, dass die Ziele der (nicht-kommunalen)<br />
Koordinierungskreise mit den kommunalen Handlungsstrategien vor allem in den<br />
verschiedenen Bereichen der Infrastruktur konform gehen.<br />
In der Praxis konnte sogar ein besonderes Engagement der kommunalpolitisch<br />
Verantwortlichen in der Zusammenarbeit mit den Koordinierungskreisen festgestellt<br />
werden. Denn für viele Kommunen ist dieses Instrument auch ein erfolgreiches Modell<br />
für eine neue interkommunale Zusammenarbeit. Diese Verfahrensweise zur<br />
Verbindung zivilgesellschaftlichen Engagements mit interkommunaler Kooperation<br />
hat sich bewährt. Es ist jedoch darauf zu achten, dass die regionalen Strategien<br />
nicht zu einer Art „kommunalem Infrastrukturprogramm“ reduziert werden. Dies wird<br />
durch die Umsetzung der EU-Vorgabe sichergestellt, dass über 50 % der Mitglieder<br />
in den Entscheidungsgremien aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialpartner<br />
stammen. Dass dies auch in den Augen der Regionen sinnvoll ist, zeigt die Tatsache,<br />
dass in den Koordinierungskreisen der ILE-Gebiete auch fast 50 % der Entscheider<br />
aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialpartner stammen, obwohl dies<br />
gar nicht vorgeschrieben ist.<br />
Erfreulich ist auch das besondere Engagement der Städte im ländlichen Raum. Gerade<br />
unter demographischen Gesichtspunkten sind dezentrale Konzentrationen von<br />
Funktionen im ländlichen Raum unumgänglich. Es spricht für ein gutes Stadt-Land-<br />
Verhältnis, wenn dies im Rahmen der ILEK erfolgt. Ein praktischer Grund ist sicher<br />
auch die zunehmende Schwierigkeit der Städte, im Rahmen der <strong>Finanzierung</strong> der<br />
Städtebauförderung die erforderlichen Eigenmittel aufzubringen. Gerade private<br />
Antragsteller und Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, Fördermittel zu<br />
akquirieren.
Regionalisierte Förderung in Sachsen 63<br />
Das vorgestellte System in Sachsen eignet sich vor allem in Zeiten knapper Mittel.<br />
Durch die regionale Prioritätensetzung werden strategiewirksame Förderentscheidungen<br />
getroffen. Dies setzt jedoch voraus, dass durch die regionale Budgetorientierung<br />
möglichst viele Bereiche der Schwerpunkte 3 und 4 des ELER erfasst sind.<br />
Denn eine wirkliche Prioritätensetzung z.B. zwischen Straße, Gewerbe und Schule<br />
ist nur dann möglich, wenn diese Fördergegenstände auch in den zulässigen Maßnahmen<br />
der regionalen Budgetorientierung enthalten sind. Dies wiederum stellt sehr<br />
hohe Anforderungen an das Personal in den Bewilligungsbehörden, die weitreichende<br />
Spezialkenntnisse vorhalten müssen. Genau genommen wäre es sogar<br />
noch besser, wenn im Regionalbudget z.B. auch Teile des EFRE und des ESF (Europäischer<br />
Sozialfonds) sowie der Bundesmittel Städtebauförderung enthalten wären.<br />
Dies würde auch ein einheitliches Monitoring und damit eine wirksamere Kontrolle<br />
des Erreichens der gewählten <strong>Entwicklung</strong>sziele ermöglichen.<br />
Unterstützung erhalten die LEADER- und ILE-Regionen neben den Bewilligungsstellen<br />
in den Landkreisen auch durch die regionalen Planungsstellen als Träger der<br />
formellen Regionalplanung in Sachsen. Sie sind im Einzelfall eine wichtige Hilfestellung<br />
bei der Prioritätensetzung z.B. im Bereich der kommunalen Infrastruktur.<br />
Die weiteren Vorteile des Systems in Sachsen sind in den genannten Quellen ausführlich<br />
nachlesbar. Das gewählte System wird fortgeführt und weiterentwickelt. Beschäftigen<br />
wir uns im Folgenden daher mit den Optionen zur Weiterentwicklung.<br />
7. Herausforderungen<br />
Kritik wird vor allem deutlich, wenn die Umsetzung integrierter Strategien mit dem<br />
nicht integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem des ELER kollidiert. Die Trennung<br />
von Förderwürdigkeit (Region) und Förderfähigkeit (Bewilligungsbehörde)<br />
selbst birgt auch Herausforderungen: Da die LEADER-Gruppen in der Regel ehrenamtlich<br />
organisiert sind bzw. zusätzlich zu einer eigentlichen Tätigkeit betrieben<br />
werden, ist eine Übertragung der Zahlstellenfunktion eher problematisch. Das Verwaltungs-<br />
und Kontrollsystem des ELER und auch das komplizierte Beihilferecht<br />
gehören eher in die Hand von Spezialisten. Um im Ablauf der Bewilligung von Fördervorhaben<br />
auf der Grundlage einer regionalen Prioritätensetzung keinen Zeitverzug<br />
zu erleiden, ist eine eingespielte Zusammenarbeit zwischen Regionen und Bewilligungsbehörde<br />
unabdingbar. Schwierig gestalten sich dabei auch die Anforderungen<br />
an das Regionalmanagement. Deren Aufgabe ist in erster Linie die Umsetzung<br />
der Strategie durch Sensibilisierung, Vernetzung der erforderlichen Partner<br />
etc. Doch viel zu oft werden die Managements von ihrem Auftraggeber, der Region,<br />
daran gemessen, wie das jeweilige Budget ausgelastet wird. In diesem Zusammenhang<br />
stellt sich auch die Personalfrage: Je höher die Eigenmittel der Region für das
64 Daniel Gellner<br />
beauftragte oder eingestellte Management sind, umso kritischer sind die Stimmen<br />
der an der Umlage beteiligten Kommunen nach der eigentlichen Aufgabe des Managements.<br />
Ideen<br />
Vergessen wir für einen Moment einen Teil der Regelungen des ELER. Welche Alternativen<br />
zur regionalen Budgetorientierung sind in der ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />
denkbar?<br />
� Regionale Budgetorientierung auf der Grundlage mehrerer Finanzquellen,<br />
� Regionalfonds nicht nur für Unternehmen (siehe Nr. 2 Kapitel 4),<br />
� Echtes Regionalbudget für einen Teil der regionalen Budgetorientierung (siehe<br />
Nr. 1 Kapitel 4).<br />
Eine Vereinfachung des Verwaltungs- und Kontrollsystems (VKS) wäre vor allem für<br />
echte Regionalbudgets sehr hilfreich. Doch angesichts der immer noch vergleichsweise<br />
hohen Fehlerquoten im Bereich des ELER ist damit wohl eher nicht zu rechnen.<br />
Aus den ersten drei Jahren der Umsetzung des ELER wird eingeschätzt, dass<br />
eine vollständige Übertragung der Zahlstellenfunktion auf die Lokale Arbeitsgruppe<br />
(LAG) in Sachsen diese zumindest derzeit vor zu hohe verwaltungstechnische Anforderungen<br />
stellt. Regionalbudgets sind jedoch notwendig zur Umsetzung von regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>sstrategien durch Projekte, die bisher nicht in bestehenden<br />
Förderprogrammen erfasst sind. Daher wird im Folgenden der Versuch unternommen,<br />
ein alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument in LEADER-Gebieten im Rahmen<br />
des geltenden VKS zu skizzieren, welches Merkmale eines Regionalbudgets aufweist.<br />
Dabei soll die Zahlstellenfunktion bei der originären Bewilligungsbehörde verbleiben,<br />
um Anlastungsrisiken zu minimieren.<br />
Abbildung 5: Alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument innerhalb des VKS des ELER<br />
Projektträger<br />
Projektträger LAG<br />
Projektträger<br />
Bewilligungsbehörde
Regionalisierte Förderung in Sachsen 65<br />
Die Lokale Aktionsgruppe (LAG) fungiert direkt als Antragsteller für Maßnahmebündel<br />
einzelner Projektträger. Diese müssen im Einzelnen und insgesamt den Zielen<br />
des ELER und der regionalen <strong>Entwicklung</strong>sstrategien dienen. Die LAG stellt dabei<br />
die erforderlichen Eigenanteile bereit. Die Beschreibung des Maßnahmebündels<br />
muss ausreichend detailliert sein, um eine spätere Rechnungsprüfung im Sinne des<br />
VKS zu ermöglichen. Die LAG reicht die Mittel auf privatrechtlichem Weg an die<br />
Endempfänger weiter. Die bei der Umsetzung der Projekte entstehenden Rechnungen<br />
werden auf Namen der LAG gestellt und von der LAG bei der Bewilligungsbehörde<br />
im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung eingereicht.<br />
Mit dieser Verfahrensweise sind folgende Vorteile verbunden:<br />
� Einfache Realisierung von Vorhaben, die nur über wenig oder keine Eigenmittel<br />
verfügen (z.B. im sozialen Bereich),<br />
� Umsetzung von Projekten mit „VKS-problematischen“ Zuwendungsempfängern,<br />
da die LAG im Verwaltungsverfahren an deren Stelle tritt,<br />
� Vorfinanzierung von Projekten mit Hilfe der Finanzmittel des Eigenanteils insbesondere<br />
für Endempfänger, die keine Vorfinanzierung von EU-Mitteln durch<br />
Banken erhalten (insbesondere soziale Projekte),<br />
� das VKS endet bei der LAG und nicht beim Projektträger (unbeschadet der<br />
Prüfrechte durch die zuständigen Behörden),<br />
� keine „doppelte Beratung“ der Projektträger durch LAG und Bewilligungsbehörde.<br />
Dennoch stellt dieses Modell auch die LAG vor Herausforderungen:<br />
� LAG stellt sicher, dass auch beim Endempfänger die Zuwendungsvoraussetzungen<br />
eingehalten werden, insbesondere die Zweckbindungsfristen etc.,<br />
� LAG trägt alle Risiken des Zuwendungsverfahrens bezüglich Sanktionierung<br />
etc.<br />
Eine weitere Alternative stellen die Regionalfonds dar. Hier werden derzeit wichtige<br />
Erfahrungen z.B. in den Stadtentwicklungsprogrammen gesammelt. Im Rahmen<br />
des ELER sind diese nur für Unternehmen und nur unter recht anspruchsvollen<br />
Verfahrensregelungen möglich. Regionalfonds auch für nicht rentierliche Projekte<br />
sind jedoch ein gutes Instrument auch zur Einbindung privaten regionalen Kapitals.<br />
Denn nicht nur angesichts schmaler werdender öffentlicher Haushalte ist die Einbindung<br />
privaten Kapitals sinnvoll: Es sorgt auch für eine noch bessere Verankerung<br />
privater Akteure im regionalen <strong>Entwicklung</strong>sprozess. Es bleibt also abzuwarten,<br />
welche Rahmenbedingungen hier ab 2014 gelten.
66 Daniel Gellner<br />
8. Fazit<br />
Integrierten regionalen Strategien ohne fachliche Einengung gehört die Zukunft. Die<br />
Einbindung der Zivilgesellschaft in regionale Entscheidungsprozesse aktiviert weitere<br />
<strong>Entwicklung</strong>spotentiale. Integrierte Strategien erfordern integrierte <strong>Finanzierung</strong>en.<br />
Eine Harmonisierung der Regelungen vor allem zwischen EFRE und ELER im<br />
Bereich der Regionalbudgets und Regionalfonds wäre dabei hilfreich.<br />
Quellen<br />
Elbe et. al. (2008): Land-Stadt Kooperationen und Politikintegration für ländliche<br />
Räume – Zentrale Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Begleitforschung<br />
Regionen Aktiv 2007 bis 2008. Abschlussbericht<br />
Landesentwicklungsplan 2003 (LEP 2003); bekannt gemacht durch Verordnung<br />
der Sächsischen Staatsregierung über den Landesentwicklungsplan Sachsen<br />
(LEP 2003) vom 16. Dezember 2003 [SächsGVBl 19/2003 vom 31. Dezember<br />
2003]<br />
Verordnung (EG) Nr. 1783/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />
vom 21. Juli 1999 über den Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />
[Amtsblatt L 213 vom 13.8.1999]<br />
Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die<br />
Förderung der <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums durch den Europäischen<br />
Landwirtschaftsfonds für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums (ELER)<br />
[Amtsblatt L 277/1 vom 21.10.2005]<br />
Verordnung (EG) Nr. 1081/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />
vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der<br />
Verordnung (EG) Nr. 1784/1999 [Amtsblatt L 210/12 vom 31.7.2006]<br />
Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zur<br />
Integrierten Ländlichen <strong>Entwicklung</strong> im Freistaat Sachsen (Förderrichtlinie<br />
Integrierte Ländliche <strong>Entwicklung</strong> – RL ILE/2007) [SächsABl., Jg. 2007, Bl.-<br />
Nr. 47, S. 1601]<br />
Halbzeitbewertung des EPLR Sachsen: Veröffentlichung Ende 2010 unter<br />
www.smul.sachsen.de
Regionalisierte Förderung in Sachsen 67<br />
Kontakt:<br />
Daniel Gellner<br />
Abteilungsleiter Grundsatzfragen und ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />
Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft<br />
Ansprechpartner:<br />
Andreas Grieß<br />
E-Mail: Andreas.Griess@smul.sachsen.de
68 Daniel Gellner
Regionalbudgets im Modellvorhaben Regionen Aktiv –<br />
und wie geht das in Zukunft?<br />
von Dr. Sebastian Elbe<br />
Auch wenn das Modellvorhaben „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ mittlerweile<br />
schon ein paar Jahre abgeschlossen ist, so wird dennoch im Zusammenhang<br />
mit der Diskussion um Regionalbudgets nach wie vor darauf Bezug genommen<br />
– und zwar sehr positiv. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Zum einen, was<br />
das Besondere und Positive an den Regionalbudgets war, und zum anderen – und<br />
das ist wahrscheinlich viel wichtiger – die Frage, wie eine solche Lösung in Zukunft<br />
umgesetzt werden könnte. Im Folgenden werden zentrale Aspekte zur Beantwortung<br />
der beiden Fragen aufgeführt. Vor allem die Möglichkeiten und Argumente<br />
für die zweite Frage, d.h. die zukünftige Umsetzung von Regionalbudgets<br />
insbesondere in der EU-Förderperiode ab 2014 sollen zur Diskussion beitragen.<br />
Angestrebte Ausrichtung der Regionalförderung<br />
Regionalentwicklung ist ein fester Zielbereich öffentlicher Förderprogramme. Die<br />
Notwendigkeit wird kaum ernsthaft in Frage gestellt, d.h. das „ob“ steht außer Frage.<br />
Die Art und Weise, „wie“ gefördert werden sollte, ist jedoch umstritten.<br />
Schließlich geht es um die Verteilung von Macht(-ressourcen) in einem komplexen<br />
Mehrebenensystem von der EU über die nationale und Länderebene bis in die<br />
Regionen. Regionalentwicklung muss dabei die zunehmende Komplexität sowohl<br />
der Herausforderungen als auch der Ausgangsbedingungen <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
berücksichtigen: Die heterogenen Probleme, Ausgangsbedingungen und Lösungsstrategien<br />
vor allem in Feldern demografischen Wandels oder wirtschaftlicher<br />
<strong>Entwicklung</strong> benötigen oftmals regionalisierte Ansätze. Denn mindestens auf<br />
Landesebene aber auch teilweise auf der regionalen Ebene, als eine Ebene zwischen<br />
einem Landkreis und einem Bundesland, ist eine Binnendifferenzierung im<br />
Sinne von unterschiedlichen oder sogar gegensätzlichen <strong>Entwicklung</strong>slinien und -<br />
prozessen zu beobachten. Folgt man dieser Argumentation, wird deutlich, dass<br />
die Entscheidungen über Lösungsstrategien und Kompetenzen zu deren Umsetzung,<br />
dem Subsidiaritätsprinzip folgend, möglichst dezentral und entlang eines<br />
integrierten Ansatzes getroffen werden sollten. Im Bereich der regionalen Wirtschaftspolitik<br />
ist die Umsetzungsebene offensichtlich die Region.
70 Dr. Sebastian Elbe<br />
Entsprechend den in den Verwaltungswissenschaften verwendeten drei Kompetenzarten<br />
der Politik müsste eine Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale<br />
Ebene die Entscheidungskompetenz aber vor allem auch die <strong>Finanzierung</strong>s- und<br />
Verwaltungskompetenz umfassen. 14 Die übergeordneten Ebenen sollten in einem<br />
solchen System nur die Rahmenbedingungen definieren, verlagern in der Regel<br />
jedoch zur Sicherung der eigenen Machtressourcen die <strong>Finanzierung</strong>skompetenz<br />
(Stichwort „Goldener Zügel“) und die Verwaltungskompetenz nicht. Den zentralen<br />
Engpass stellen hierbei die Bundesländer dar.<br />
Dass die Förderung von Regionalentwicklung zukünftig stärker regionalisiert werden<br />
sollte, fordern vor allem internationale Untersuchungen, insbesondere der<br />
OECD. Im Jahr 2006 veröffentliche die OECD „Das neue Paradigma für den ländlichen<br />
Raum“ 15 , das im Kern die Forderung enthält, die Förderung weg von der<br />
sektoralen Förderung und Unterstützung der Landwirtschaft, hin zur Valorisierung<br />
lokaler Aktiva und der Ausschöpfung ungenutzter Ressourcen auszurichten. Hierbei<br />
sollen die Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen mit eingebunden werden.<br />
Übersicht 1: Das neue Paradigma für den ländlichen Raum<br />
Altes Konzept Neues Konzept<br />
Zielsetzung Ausgleich, Agrareinkommen,Agrarwettbewerbs-<br />
Wettbewerbsfähigkeit ländlicher Räume, Valorisierung<br />
lokaler Aktiva, Ausschöpfung ungefähigkeitnutzter<br />
Ressourcen<br />
Wichtiger<br />
Zielsektor<br />
Landwirtschaft Verschiedene Sektoren ländlicher Volkswirtschaften<br />
(z.B. ländlicher Tourismus, verarbeitendes<br />
Gewerbe, IKT-Industrie usw.)<br />
Wichtigste<br />
Instrumente<br />
Subventionen Investitionen<br />
Wichtigste<br />
Akteure<br />
Nationale Regierungen,<br />
Landwirte<br />
Alle Regierungsebenen (supranational, national,<br />
regional und lokal), verschiedene lokale<br />
Stakeholder (öffentlich, privat, NRO)<br />
Quelle. OECD (2006): Das neue Paradigma für den ländlichen Raum, S. 15.<br />
14 Eser, Thiemo (1996): Ökonomische Theorie der Subsidiarität und Evaluation der Regionalpolitik.<br />
Ableitung eines Beurteilungskonzeptes und dessen Anwendung auf die institutionellen Strukturen<br />
Englands und Deutschlands von der EU bis zur kommunalen Ebene. Baden-Baden. S. 58ff.<br />
Bergmann, Eckard; Ulrike Hardt (1999): Aufgabenverteilung und Einnahmekompetenzen in Regionen.<br />
S. 635. In: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (1999): Perspektiven für<br />
die Region als Planungs- und Handlungsebene. Informationen zur Raumentwicklung. Heft<br />
9/10.1999. Bonn. S. 629-644.<br />
15 OECD (2006): Das neue Paradigma für den ländlichen Raum, S. 15.
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 71<br />
Bis zum Jahr 2010 konnte noch mit dem Argument, dass es sich hierbei um ländliche<br />
<strong>Entwicklung</strong> im Sinne der Landwirtschaft handelt, vom notwendigen Wandel<br />
abgelenkt werden. Ländliche <strong>Entwicklung</strong> wurde dabei nicht als Regionalentwicklung<br />
in ländlichen Räumen, sondern als eine Politiknische des Sektors Landwirtschaft<br />
begriffen.<br />
Im Jahr 2010 hat die OECD 16 nun auch für die Regionalförderung ähnliche notwendige<br />
Veränderungen im Rahmen eines „Paradigmenwechsel der regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>spolitik“ eingefordert. Die beiden, bisher immer noch zu sehr getrennten<br />
Politik- und Förderbereiche sollten demnach eine Veränderung in die gleiche<br />
Richtung erfahren.<br />
Übersicht 2: Paradigmenwechsel der regionalen <strong>Entwicklung</strong>spolitik<br />
Old paradigm New paradigm<br />
Problem recogni- Regional disparities in income, Lack of regional competitivetion<br />
infrastructure stock, and emness, underused regional poploymenttential<br />
Objectives Equity through balanced regional<br />
development<br />
Competitiveness and equity<br />
General policy Compensating temporally for Tapping underutilised regional<br />
framework<br />
location disadvantages of lagging potential through regional<br />
regions, responding to shocks programming (Proactive for<br />
(e.g. industrial decline) (Reactive<br />
to problems)<br />
potential)<br />
Theme coverage Sectoral approach with a limited Integrated and comprehensive<br />
set of sectors<br />
development projects with<br />
wider policy area coverage<br />
Spatial orientation<br />
Targeted at lagging regions All-region focus<br />
Unit for policy<br />
intervention<br />
Administrative areas Functional areas<br />
Time dimension Short term Long term<br />
Approach One-size-fits-all approach Context-specific approach<br />
(place-based approach)<br />
Focus Exogenous investments and Endogenous local assets and<br />
transfers<br />
knowledge<br />
Instruments Subsidies and state aid (often to Mixed investment for soft and<br />
individual firms)<br />
hard capital (business environment,<br />
labour market, infrastructure)<br />
Actors Central government Different levels of government,<br />
various stakeholders<br />
(public, private, NGOs)<br />
Quelle: OECD (2010): Regional Development Policies in OECD Countries, S. 13.<br />
16 OECD (2010): Regional Development Policies in OECD Countries, S. 13.
72 Dr. Sebastian Elbe<br />
Im Bereich der Umsetzungs- und <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente würden Regionalbudgets<br />
einen wesentlichen Beitrag zur Regionalisierung leisten. Hierdurch wäre es<br />
auch möglich, einen sehr viel stärker integrierten Ansatz bei der Regionalentwicklung<br />
zu verfolgen. Aber, und dies sei an dieser Stelle ebenfalls deutlich gesagt,<br />
Regionalbudgets haben auch ihre Grenzen und sind eine sinnvolle Ergänzung im<br />
Instrumentenkasten der Regelförderung. Sie sind nicht der Ersatz der Regelförderung.<br />
Diese ist vor allem bei überregionalen (Groß-)Projekten im Bereich Infrastruktur<br />
sowie Forschung und <strong>Entwicklung</strong> weiterhin notwendig und sinnvoll.<br />
Wie war das noch mal bei Regionen Aktiv? 17<br />
Regionen Aktiv ist und war nicht das einzige Vorhaben, dass Regionalbudgets zur<br />
Umsetzung eingesetzt hat. Weitere Initiativen wie XperRegio 18 , die Regionalisierten<br />
Teilbudgets in Niedersachsen (RTB 19 ) oder die Umsetzung des ELER bzw.<br />
ILE in Schleswig-Holstein bzw. Sachsen sind im vorliegenden Buch beschrieben<br />
und zeigen, dass eine Verlagerung der inhaltlichen sowie der finanziellen und administrativen<br />
Steuerung und Verantwortung in der Praxis funktioniert und dabei<br />
sowohl weiche Wirkungen (Steigerung des Selbstwertgefühls etc.) als auch harte<br />
Effekte (Arbeitsplätze und Folgeinvestitionen) über einen integrierten Ansatz erzielt.<br />
Abwicklung des Regionalbudgets<br />
Im Rahmen des Modellvorhabens Regionen Aktiv (RA) wurde die Förderung zur<br />
Umsetzung der über ein 2-stufiges Wettbewerbsverfahren ausgewählten regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK) in den Modellregionen über ein eigenes Regionalbudget<br />
organisiert. Die Höhe des Regionalbudgets betrug durchschnittlich ca.<br />
2,7 Mio. Euro pro Region für die gesamte Umsetzungsphase 2002 bis 2007. Die<br />
RA-Mittel waren reine Bundesmittel und mussten deshalb nicht wie EU-Mittel national<br />
öffentlich kofinanziert werden. Dadurch wurden zwei Probleme, die im Rahmen<br />
der EU-Förderung LEADER zu beobachten waren, umgangen:<br />
� Zum einen ist das Aufbringen einer nationalen öffentlichen Kofinanzierung<br />
nicht unproblematisch. In den Bundesländern, in denen sich das Land aus dieser<br />
Kofinanzierung zurückgezogen hat und die kommunale Ebene in die Pflicht<br />
17<br />
Siehe ausführlich in: Elbe, Sebastian (2007): Die Voraussetzungen der erfolgreichen Steuerung<br />
integrierter Ansätze durch Förderprogramme. Untersucht am Beispiel des Modellvorhabens Regionen<br />
Aktiv. Dissertation an der Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund. Auf dieser Veröffentlichung<br />
basiert das vorliegende Unterkapitel.<br />
18<br />
www.xperregio.de<br />
19<br />
Siehe http://www.mw.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=5685&article_id=15684&<br />
_psmand=18
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 73<br />
nimmt, werden systematisch diejenigen Regionen bevorzugt, die sich EU-Mittel<br />
„noch leisten“ können. Benachteiligt werden strukturschwache Regionen. Die<br />
Länder lassen hierdurch die Ausgleichsfunktion der Förderung in den Hintergrund<br />
treten: Finanzschwache Kommunen haben das Nachsehen und es profitieren<br />
die finanzstarken Kommunen.<br />
� Zum anderen war die Anrechnung von privaten Mitteln im Rahmen von RA<br />
sehr viel einfacher als bei LEADER, wo aufgrund der Notwendigkeit der EUbestimmten<br />
Finanzkontrollen und der bereits angesprochenen nationalen öffentlichen<br />
Kofinanzierung 20 ein sehr enger Rahmen gesetzt wurde.<br />
Die RA-Mittel waren zudem nicht sektor- oder zweckgebunden, sondern unterlagen<br />
nur den Festlegungen im Notifizierungstext und der Maßgabe der Nachrangigkeit,<br />
d.h. RA-Mittel durften nur dann eingesetzt werden, wenn keine anderen<br />
Förderungen möglich waren. Die RA-Mittel unterlagen zudem der Jährlichkeit des<br />
Bundeshaushaltes. Die Bundesmittel wurden den sogenannten Abwicklungspartnern<br />
(AP) in den Modellregionen per Zuweisungsbescheid vom Ministerium zur<br />
selbständigen Bewirtschaftung zugewiesen. Die AP wurden damit ermächtigt, der<br />
für die Region zuständigen Bundeskasse Kassenanordnungen zu erteilen. Die<br />
Auszahlung der Mittel erfolgte auf Anforderung des Zuwendungsempfängers über<br />
den AP. Lag der Bundeskasse eine entsprechende Auszahlungsanordnung des<br />
AP vor, überwies sie die Mittel direkt an den Zuwendungsempfänger. Die Bereitstellung<br />
der Mittel konnte dabei auf zwei Wegen erfolgen: Entweder nach dem<br />
Erstattungsprinzip auf Ausgabenbasis, d.h. die Zuwendungsempfänger mussten<br />
ihre tatsächlichen Ausgaben nachweisen, die dann erstattet wurden, oder nach<br />
dem Vorauszahlungsprinzip, d.h. die Zuwendungsempfänger konnten Mittel in<br />
dem Umfang anfordern, wie sie sie innerhalb der nächsten zwei Monate benötigen<br />
würden.<br />
20 Der Standpunkt der EU-Kommission ist dabei leicht verständlich: Da es sich um eine öffentliche,<br />
nationale Kofinanzierung handeln muss, sind hierfür private Mittel grundsätzlich nicht möglich.<br />
Dies hat zur Folge, dass das eigentlich erwünschte Einbringen von privatem Kapitel stark erschwert<br />
wird. Als Ausweg wurden teilweise private Mittel an die Kommunen zweck-ungebunden<br />
gespendet, um so eine offizielle öffentliche nationale Kofinanzierung zu generieren. Dieses Vorgehen<br />
wurde von EU-Kommission bisher weder öffentlich akzeptiert noch sanktioniert (Stand<br />
10/2005).<br />
In der Förderperiode 2007-2013 hat sich die Problematik des Einbringens von privaten Mitteln im<br />
Rahmen des ELER nicht geändert. Im Rahmen der EU-Strukturfonds ist dies jedoch grundsätzlich<br />
möglich.
74 Dr. Sebastian Elbe<br />
Übersicht 3: Idealtypische Entscheidungswege und vorgeschriebene Finanzflüsse<br />
Externe Partner<br />
Beiräte etc.<br />
Beirat<br />
Entscheidungsebene<br />
3.<br />
Arbeitsebene<br />
3.<br />
Umsetzungsebene<br />
E.<br />
Jury<br />
B.<br />
Regionale Partnerschaft<br />
(e.V., GmbH etc.)<br />
Entscheidungen zu Projektanträgen<br />
und zum Regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />
2.<br />
Regionalmangement<br />
Koordination, Projektleitung,<br />
Erfolgskontrolle<br />
1.<br />
Projektträger<br />
<strong>Entwicklung</strong> von Projekten und<br />
Umsetzung durch Projektträger<br />
BMVEL<br />
Rahmensteuerung: A, B, C, D, E<br />
A. Das BMVEL setzt die Jury und den Beirat für den Wettbewerb „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ ein.<br />
B. Die Jury wählt die Modellregionen in einem zweistufigen Auswahlverfahren aus.<br />
C. Das REK ist die vertragliche Vereinbarung zur Durchführung des Modellvorhabens zwischen BMVEL und<br />
Modellregion.<br />
D. Die Zuweisungsbescheide werden an den Abwicklungspartner auf Grundlage des REK (siehe C.) erstellt. Der<br />
Abwicklungspartner erstellt den Schlussverwendungsnachweis zum 31.12.2006.<br />
E. Der Beitrat erarbeitet Empfehlungen zur Umsetzung des Wettbewerbes (z.B. Vergabe der leistungsgebundenen<br />
Reserve und Genehmigung bei Änderungen des REK).<br />
Detailsteuerung: 1, 2, 3, 4, 5, 6<br />
1. Erarbeitung von Projektanträgen, die über die Arbeitsebene an die Entscheidungsebene weitergeleitet werden.<br />
2. Vorprüfung der Projektanträge und Einreichung bei der Entscheidungsebene. Begleitung und Beratung bei der<br />
Antragstellung, Projektumsetzung und Evaluation.<br />
3. Fachliche Beratung durch externe Institutionen und Personen.<br />
4. Nach Beratung und Abstimmung über die Anträge auf der Entscheidungsebene werden diese an den Abwicklungspartner<br />
(AP) weitergeleitet.<br />
5. Nach Prüfung der rechtlichen Bedingungen wird der Zuwendungsbescheid durch den AP an den Projektträger<br />
erteilt. Der Projektträger fordert die Mittel beim AP an und muss gegenüber dem AP die Verwendungsnachweise<br />
erbringen.<br />
6. Über eine Kassenanordnung des AP wird dem Projektträger das Geld von der Bundeskasse überwiesen. Zu<br />
viel gezahlte Mittel und Rückforderungen (Erstellung des Rückforderungsbescheides durch den AP) werden<br />
vom Projektträger direkt an die jeweilige Bundeskasse überwiesen.<br />
A.<br />
C.<br />
4.<br />
Abwicklungspartner<br />
5.<br />
D.<br />
Abwicklungspartner<br />
haushaltstechnische<br />
Prüfung und<br />
Abwicklung durch<br />
öffentlich rechtliche<br />
Körperschaft<br />
6.<br />
6.<br />
Bundeskasse<br />
Rahmensteuerung Detailsteuerung
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 75<br />
Das Vorauszahlungsprinzip hat für die Projektträger den Vorteil, dass sie nicht in<br />
Vorleistung treten müssen, denn gerade bei kleineren Institutionen oder (gemeinnützigen)<br />
Vereinen sowie bei einer schwachen Eigenkapitalausstattung im Wirtschaftsbereich<br />
ist dies ein Problem. Nachteil ist, dass eventuell zu viel ausgezahlte<br />
und nicht verausgabte Mittel verzinst werden müssen. Hierdurch erhöht sich<br />
der Verwaltungsaufwand.<br />
Das Regionalbudget stand der Region somit nicht „physisch“ zur Verfügung (z.B.<br />
auf einem Konto in den Modellregionen), sondern es wurde ein „virtuelles“ Regionalbudget<br />
eingerichtet. Die Regionen haben entsprechend Bundesmittel bewirtschaftet<br />
– es waren zu keinem Zeitpunkt echte regionale Mittel. Mit dieser Konstruktion<br />
des Mittelflusses unterlagen die Regionalbudgets zum einen automatisch<br />
der Jährlichkeit des Bundes- bzw. den Haushaltsplanungen des Ministeriums und<br />
zum anderen wurde ein Mittelrückfluss aus erfolgreichen Projekten in das Regionalbudgets<br />
verbaut.<br />
Durch die o.a. Konstruktion des Finanzflusses gab es für die Modellregionen weder<br />
einen Anreiz noch die Möglichkeit alternative <strong>Finanzierung</strong>sformen anzuwenden,<br />
die z.B. einen Mittelrückfluss aus erfolgreichen Projekten in das Regionalbudget<br />
ermöglicht hätten: Ein sehr positiv zu bewertender Mittelrückfluss wurde<br />
ausgeschlossen, da zurückfließende Mittel an die Bundeskasse überwiesen werden<br />
mussten. Die Mittel wurden dort unter dem Titel „vermischte Einnahmen“ verbucht<br />
und flossen dem allgemeinen Bundeshaushalt zu. Sie waren damit sowohl<br />
für die Modellregionen als auch für das Ministerium „verloren“. Sämtliche Mittel<br />
wurden entsprechend als sogenannte verlorene Zuschüsse gewährt.<br />
Mit dieser <strong>Finanzierung</strong>sform orientierte sich RA an der immer noch vorherrschenden<br />
Subventionspraxis der EU-Förderung, die ebenfalls von verlorenen Zuschüssen<br />
dominiert wird. Dies trägt zwar zur Verwaltungsvereinfachung bei, da<br />
Zuschüsse einfacher zu administrieren sind als Darlehen oder Bürgschaften bei<br />
denen nicht nur der Mittelabfluss, sondern auch der Mittelrückfluss überwacht<br />
werden muss. Aus ökonomischer Sicht ist dies jedoch nicht unbedingt sinnvoll, da<br />
in Verbindung mit den o.a. hohen öffentlichen Förderanteilen die Gefahr der Mitnahmeeffekte<br />
steigt. Nach Fährmann/Grajewski 2003 erhöht sich die Anfälligkeit<br />
für Mitnahmeeffekte, je offener Auswahlkriterien formuliert sind, je weniger mit<br />
Gebietskulissen gearbeitet wird und je niedriger Auflagen sind, bzw. je weniger bei<br />
der Förderung nach Inhalten differenziert wird. 21<br />
21 Vgl. Fährmann, Barbara und Regina Grajewski (2003): Halbzeitbewertung von PROLAND Niedersachsen.<br />
Programm zur <strong>Entwicklung</strong> der Landwirtschaft und des ländlichen Raums. Materialband<br />
10 zu Kapitel 10. Kapitelübergreifende Fragestellung. Braunschweig. S. 21.
76 Dr. Sebastian Elbe<br />
Wesentliche Neuerungen durch Regionen Aktiv<br />
Das Regionalbudget war eine zentrale Neuerung für die ländliche <strong>Entwicklung</strong>.<br />
Neben der möglichen inhaltlichen Breite der Förderung wurden die inhaltliche Entscheidungsverantwortung<br />
(durch die regionale Projektauswahl) und auch die Budgetverantwortung<br />
an die Regionen delegiert (Konnexitätsprinzip). Neu – vor allem<br />
im Vergleich zur damaligen EU-Gemeinschaftsinitiative LEADER+ – war, dass das<br />
Regionalbudget als zweckungebundene Bundesmittel vergeben wurde und keine<br />
weitere öffentliche Kofinanzierung wie bei EU-Mitteln notwendig war. Des Weiteren<br />
waren die Mittel nicht an administrative Grenzen gebunden und ermöglichten<br />
die Kombination mit oder die Kofinanzierung durch private Mittel und einen administrative<br />
Grenzen überschreitenden Ansatz wesentlich besser.<br />
Darüber hinaus stellte der Abwicklungspartner vor Ort eine weitere zentrale Neuerung<br />
und Besonderheit bei der Förderung dar: Während in der bisherigen Förderung<br />
die für die administrative Abwicklung zuständigen Stellen vom Fördermittelgeber<br />
bestimmt werden und in der Regel dessen nachgelagerte Behörden sind<br />
(z.B. bei LEADER), mussten die Regionen bei RA eigenständig eine öffentlichrechtliche<br />
Stelle hierfür benennen, die für die technisch-finanziellen Belange 22 verantwortlich<br />
war. Als potentielle AP kamen z.B. Landkreise, Kommunen, Landwirtschaftskammern<br />
oder Ämter für Agrarordnung in Betracht. Die im Rahmen der<br />
EU-Strukturfonds mögliche Übertragung dieser Aufgaben auf eine Nichtregierungsorganisation<br />
war nicht zulässig.<br />
Haushaltsrechtlich war der Abwicklungspartner vor Ort eine sog. zwischengeschaltete<br />
Stelle. Nach der Bundeshaushaltsordnung 23 (BHO) bzw. den Haushaltsordnungen<br />
der Länder (LHO) können zwischengeschaltete Stellen als so genannte<br />
beliehene Stellen zur Abwicklung eines Regionalen Budgets vorgesehen<br />
werden. Grundlage sind die §§ 23 und 44 der BHO. Diese regeln die Voraussetzungen<br />
von Zuwendungen und die Verwaltung von Mitteln oder Vermögensgegenständen<br />
außerhalb der Bundesverwaltung. Grundvoraussetzungen zur Veranschlagung<br />
von Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen an Stellen außerhalb<br />
der Bundesverwaltung sind einerseits ein erhebliches Interesse des Bundes an<br />
der Erfüllung bestimmter Zwecke durch solche Stellen und andererseits die Bedingung,<br />
dass ohne diese besondere Form der Mittelzuwendungen der Zweck<br />
nicht oder nicht im notwendigen Umfang erfüllt werden könnte (§ 23 BHO).<br />
22 Dies betrifft insbesondere das Haushalts- und Vergaberecht sowie Wettbewerbs- und Beihilferecht.<br />
Der AP musste sich hierfür schriftlich gegenüber dem Ministerium bereiterklären, die Zuwendungsbescheide<br />
an den Zuwendungsempfänger zu erteilen, die Mittel zu verwalten, die<br />
Haushaltsüberwachung durchzuführen, die Beachtung der Fördervorschriften zu garantieren und<br />
die Verwendungsnachweise zu prüfen (vgl. BMVEL 2001a: 17).<br />
23 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 1969. BGBl. I S. 1284. Zuletzt geändert durch<br />
Artikel 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 1997. BGBl. I S. 3251.
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 77<br />
Übersicht 4: Rechtliche Anforderungen an zwischengeschaltete Stellen<br />
Bundesfinanzministeriums<br />
Zustimmung durch das Ministerium<br />
(§ 44 Abs. 4 BHO)<br />
Übertragung der<br />
Befugnisse und<br />
Aufsicht durch das<br />
zuständige<br />
Bundesministerium<br />
(§ 44 Abs. 3 BHO)<br />
Interesse des Bundes<br />
(§ 23 BHO)<br />
Intermediäre Organisation<br />
Institutionalisierung der intermediären Organisation<br />
als Person des privaten Rechts (§ 44 Abs. 3 BHO)<br />
Zustimmung der intermediären Organisation zur<br />
Übertragung der Aufgaben (§ 44 Abs. 3 BHO)<br />
Quelle: Elbe/Kroës/Schubert 2002: 57<br />
Zuständiges Bundesministerium<br />
Einräumung des<br />
Prüfrechts der<br />
zuständigen Dienststellen<br />
(§ 44 Abs. 1 BHO)<br />
Sicherstellung des Nachweises<br />
der zweckentsprechenden<br />
Mittelverwendung<br />
(§ 44 Abs. 1 BHO)<br />
Aufsicht durch das zuständige Bundesministerium<br />
(§44 Abs. 3 BHO)<br />
oder Übertragung auf nachgeordnete<br />
Dienststellen (§44 Abs. 3 BHO)<br />
nachgeordnete Dienststellen<br />
Aufsicht bei Übertragung durch das<br />
zuständige Bundesministerium<br />
Im Bereich der EU-Strukturfonds kann die administrative Verwaltung von Regionalen<br />
Budgets (Globalzuschuss nach EU-Nomenklatur; siehe Artikel Dr. Hartke im<br />
vorliegenden Buch) ebenfalls durch zwischengeschaltete Stellen durchgeführt<br />
werden. Kriterien zu deren Auswahl sind:<br />
� In der Regel in der bzw. den betreffenden Regionen niedergelassen oder vertreten<br />
(in begrenzten und begründeten Fällen auch außerhalb). Sie müssen die<br />
sozio-ökonomischen Kreise, die unmittelbar von der Durchführung der vorgesehenen<br />
Maßnahmen betroffen sind, in angemessener Weise beteiligen;<br />
� Anerkannte Kompetenz und mehrjährige Erfahrung in Verwaltungsmanagement<br />
und Finanzkontrolle sowie Wahrnehmung von Aufgaben von öffentlichem<br />
Interesse;<br />
� Solvenz (wirtschaftliche Zahlungsfähigkeit).<br />
Zwischengeschaltete Stellen können lokale Behörden, Regionalentwicklungsorgane<br />
oder Nichtregierungsorganisationen sein.
78 Dr. Sebastian Elbe<br />
Mit der RA-Konstruktion wurde ein Kompromiss zwischen dem derzeit bereits Möglichen<br />
und dem im Ministerium Durchsetzbaren gefunden. Die Folge war, dass der<br />
AP über ein Einspruchsrecht („technisches Veto“) in den Fällen verfügte, in denen<br />
die von der Regionalen Partnerschaft ausgewählten Projekte nicht dem geltenden<br />
Recht entsprachen oder andere <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten (Nachrangigkeit der<br />
RA-Mittel) vorhanden waren. Inhaltlich war der AP jedoch an die Entscheidungen<br />
der Regionalen Partnerschaft gebunden. 24<br />
Die größten Vorteile am AP vor Ort werden von den Modellregionen 25 in der räumlichen<br />
Nähe, den regionalen Kenntnissen und den direkten (persönlichen) Kontakten<br />
gesehen. Die räumliche Nähe erlaubte kurze Bearbeitungszeiten und zeitnahe<br />
Entscheidungen bzw. Prüfungen, die ihrerseits die Grundlage für schnelle<br />
Erfolge darstellten und zu einer höheren Motivation der Akteure für die weitere<br />
Zusammenarbeit führte. Die fehlenden Zwischeninstanzen bei der Prüfung verkürzten<br />
die Genehmigungszeiten und verhinderten das Verschieben des „schwarzen<br />
Peters“: Die Region war selbst verantwortlich. Mit seinen regionalen Kenntnissen<br />
war der AP ein verlässlicher, qualifizierter Partner, der mit seiner Arbeit das<br />
Regionalmanagement entlastete. Die direkten persönlichen Kontakte und enge<br />
Abstimmung zwischen den Akteuren schafften Vertrauen, minimierten den „Nachsteuerungsaufwand“<br />
und erlaubten Flexibilität. Insgesamt wurde die Abwicklung<br />
vor Ort als sehr positiv eingestuft und eine Übertragung des Ansatzes in zukünftige<br />
Förderprogramme gefordert.<br />
Die Einführung des Regionalen Budgets in Verbindung mit dem AP vor Ort war in<br />
der Kombination und Konsequenz eine, wenn nicht sogar die zentrale Neuerung<br />
für die Förderung des ländlichen Raums in Deutschland. Die regionale Verantwortung<br />
war dabei ein Gewinn für die <strong>Entwicklung</strong> in der Region: Sie löste Lerneffekte<br />
aus und führte zu Kompetenzsteigerung. Der AP vor Ort hatte sich bei RA<br />
als Ressource für die <strong>Entwicklung</strong> der Modellregionen etabliert.<br />
24 „Der Abwicklungspartner ist an die Projektauswahl durch die regionale Partnerschaft gebunden,<br />
soweit die <strong>Finanzierung</strong> und die Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften gesichert ist“<br />
(BMVEL (2001): Regionen Aktiv. Land gestaltet Zukunft. Informationen zum Wettbewerb. Bonn.<br />
S. 17).<br />
25 Die hier wiedergegebene Zusammenfassung der Aussagen der Modellregionen basiert auf der<br />
Auswertung der Abschlussberichte Teil 1 und ist ausführlich dokumentiert in Elbe 2005a. Die Frage<br />
im Leitfaden zum Abschlussbericht Teil 1 lautete: Frage 3f: Welche Vor- und Nachteile hatte<br />
die finanzielle und haushaltstechnische Abwicklung des regionalen Budgets vor Ort durch den<br />
Abwicklungspartner? [max. halbe Seite].
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 79<br />
Festzuhalten bleibt, dass der Stellenwert und die Möglichkeiten, die mit einem Regionalen<br />
Budget verbunden sind, sehr eng mit der administrativen Abwicklung zusammenhängen:<br />
Je besser der AP in die <strong>Entwicklung</strong>sprozesse eingebunden ist,<br />
desto besser ist dies für den Prozess insgesamt. Die Erfahrungen aus LEADER<br />
zeigen, dass regionsferne oder der Programmbehörde nachgelagerte Abwicklungsstellen<br />
dazu tendieren, inhaltlich einzugreifen.<br />
Regionalbudgets in der nächsten EU-Förderperiode<br />
Welche Schlüsse können nun aus Regionen Aktiv und den weiteren Ansätzen im<br />
Bereich der Regionalbudgets gezogen werden? Regionalbudgets erfüllten die<br />
zentrale Voraussetzung dafür, dass es nicht nur bei der Planung von Veränderungen<br />
in Regionen bleibt, sondern die notwendige Umsetzung von Konzepten und<br />
Ideen durch eine niederschwellige Förderung stattfindet. Ohne Geld fehlt den Akteuren<br />
auf Dauer die Motivation für eine Zusammenarbeit, d.h. die intrinsische<br />
Motivation der regionalen Akteure ist ein notwendiges aber kein allein hinreichendes<br />
Kriterium für regionale <strong>Entwicklung</strong>sprozesse.<br />
Für eine breitere Umsetzung von Regionalbudgets bedarf es einer stärkeren Flankierung<br />
und Rahmensetzung durch die EU-Ebene. Die Erfahrung zeigt, dass<br />
Kann-Bestimmungen für Regionalbudgets in den Verordnungen allein nicht ausreichend<br />
sind. Die bisherigen Diskussionen auf EU-Ebene im Bereich integrierter<br />
Ansätze lassen jedoch erkennen, dass zumindest begründete Hoffnung auf einen<br />
verbesserten Rahmen besteht.<br />
Die strategische Ebene – Brief der vier Kommissare<br />
Ende August 2010 haben die Kommissare der vier großen Fonds EFRE 26 , ESF 27 ,<br />
ELER 28 und EFF 29 in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Barroso einen<br />
gemeinsamen strategischen Rahmen auf EU-Ebene zur besseren Koordinierung<br />
der vier Fonds vorgeschlagen. Dieser aus <strong>regionaler</strong> Sicht zunächst sehr positive<br />
Vorschlag muss jedoch relativiert werden, da gleichzeitig Folgendes geschrieben<br />
wurde: „The distinct characteristics and mechanisms of cohesion policy, rural development<br />
policy and maritime and fisheries policies would continue to be set out<br />
in their respective legislative framework.“ Daraus ergibt sich die Frage, welchen<br />
Stellenwert eine solche gemeinsame Strategie hat, wenn die Verordnungen und<br />
Umsetzungsinstrumente fondspezifisch erhalten bleiben.<br />
26<br />
Europäischer Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>.<br />
27<br />
Europäischer Sozialfonds.<br />
28<br />
Europäischer Landwirtschaftsfonds für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums.<br />
29<br />
Europäischer Fischereifonds.
80 Dr. Sebastian Elbe<br />
Der strategische Ansatz auf EU-Ebene soll sich – so der aktuelle Stand der Diskussionen<br />
– auch auf nationaler Ebene fortsetzen. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten<br />
sollen fondsübergreifende Strategien verfasst werden, um eine verbesserte<br />
Koordination der Förderung zu erreichen. Die Durchschlagskraft eines solchen<br />
Papiers ist zumindest in förderalen Staaten und insbesondere in Deutschland<br />
eher zweifelhaft: Eine solche Strategie war im Grunde schon in der Förderperiode<br />
2000-2006 für die Neuen Bundesländer durch das sogenannte Gemeinschaftliche<br />
Förderkonzept (GFK) vorhanden. In der aktuellen Förderperiode gibt<br />
es formal zumindest einen Nationalen Strategieplan (NSP) für den ELER und einen<br />
Nationalen Strategischen Rahmenplan für die Strukturfonds. Die drei Konzepte<br />
haben gemeinsam, dass die Verantwortung der Umsetzung der Regionalförderung<br />
und der Agrarförderung qua Grundgesetz bei den Bundesländern liegt.<br />
Konzepte und Strategien auf der bundesstaatlichen Ebene müssen entsprechend<br />
die Vielfalt der Interessen der Länder abbilden und können deswegen strukturell<br />
nur wenig Steuerungswirkung entfalten. Im Fall des NSP für den ELER fordert das<br />
BMELV bereits dessen Abschaffung in der neuen Förderperiode.<br />
Die Ebene der Umsetzungsinstrumente<br />
Folgt man der Argumentation, dass die strategische Ebene allein nicht ausreichend<br />
ist und vor allem in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle spielt, so<br />
ist es notwendig, auf der Ebene der Umsetzungsinstrumente Akzente zu setzen.<br />
Denkbar sind mindestens drei Möglichkeiten:<br />
� Die verpflichtende Einführung von Regionalbudgets,<br />
� das Aufsetzen einer EU-Gemeinschaftsinitiative und<br />
� die Verabschiedung einer Allgemeinen EU-Verordnung für integrierte Ansätze,<br />
die den Rahmen für die Abwicklung von Regionalbudgets im Themenfeld integrierte<br />
Regionalentwicklung setzen könnte.<br />
Die zentralen Aspekte dieser drei Möglichkeiten werden in der folgenden Tabelle<br />
stichpunktartig beschrieben.
Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 81<br />
Oberziel Sicherstellung und Verbesserung einer integrierten regionalen <strong>Entwicklung</strong> z.B. im Bereich der KMU-Förderung, Daseinsvorsorge und<br />
(wirtschaftsnahen) Infrastruktur<br />
Region = NUTS 3 (Landkreis) oder freiwilliger aber institutionalisierter Zusammenschluss mehrerer NUTS 3 Einheiten<br />
Ziel Implementierung Regionaler Budgets<br />
Strukturfonds und Fonds zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume werden wie bisher durch die einzelnen Generaldirektionen programmiert<br />
und in einzelne EU-Fonds unterteilt. Die EU-Fonds werden jeweils individuell abgewickelt. Das Ressorts-/Sektor-Prinzip wird<br />
nicht verändert.<br />
Grundannahmen<br />
Allgemeine EU-Verordnung<br />
für integrierte Ansätze<br />
Vorwegabzug auf EU-Ebene.<br />
EU-Gemeinschaftsinitiative /<br />
innovative Maßnahme<br />
Regionalbudgets inkl. gegenseitiger<br />
Deckungsfähigkeit der EU-Fonds<br />
Optionen für<br />
Regionalbud-<br />
gets<br />
� Die Allgemeine EU-Verordnung definiert ein<br />
gemeinsames und vereinfachtes Finanz-,<br />
Verwaltungs- und Monitoringsystem, dass an<br />
die Anforderungen integrierter Ansätze angepasst<br />
ist.<br />
� Förderprogramme zur Umsetzung integrierter<br />
Ansätze z.B. integrierte Regionalentwicklung,<br />
integriertes Küstenzonenmanagement,<br />
WRRL oder integrierte Stadtentwicklung unterliegen<br />
dieser Verordnung<br />
� Erhöhung der Fehlertoleranz bei Maßnahmen,<br />
die im Rahmen der Verordnung durchgeführt<br />
werden. Keine Anrechnung der Fehlerquote<br />
auf die Hauptförderlinien<br />
� 10 % der Mittel mit max. Förderquote 10 %<br />
=1 % Fehlerquote bezogen auf alle Mittel<br />
� Earmarking der Mittel für integrierte Ansätze<br />
zu dem Fonds, aus dem die Mittel stammen.<br />
� Vorwegabzug für Regionalbudgets auf<br />
EU-Ebene im Rahmen der Budgetsverhandlungen<br />
� Eine Generaldirektion muss die Gemeinschaftsinitiative<br />
programmieren und für<br />
die Umsetzung verantwortlich sein.<br />
� Möglichkeit der EU-Ebene Regionalbudgets<br />
direkt an die regionale Ebene (NUTS<br />
3 / Zusammenschluss NUTS 3) zu geben<br />
� Die Mittel für Regionalbudgets sind im<br />
Rahmen aller aktuellen Fondsverordnungen<br />
und Leitlinien gegenseitig deckungsfähig<br />
(s.o.).<br />
� Earmarking der Regionalen Budgets zu<br />
den Zielen auf EU-Ebene nicht zu einzelnen<br />
EU-Fonds<br />
EU-Verordnungen definieren:<br />
� zweckgebundene Mittel für Regionalbudgets<br />
auf der Ebene der Operationellen<br />
Programme (OP)<br />
� max. 10-15 % des EU-Fonds. Werden<br />
die Regionalen Budgets nicht eingerichtet,<br />
fließen die EU-Mittel an die<br />
EU zurück (= Anreiz für OP-Ebene)<br />
� dass die Mittel für Regionalbudgets im<br />
Rahmen aller aktuellen Fondsverordnungen<br />
und Leitlinien gegenseitig dekkungsfähig<br />
sind inkl. Allgemeiner Gruppenfreistellungsverordnung<br />
und Deminimis-Verordnung<br />
� dass die Mittel der Regionalen Budgets<br />
über Earmarking den jeweiligen Fonds,<br />
aus denen sie stammen, zugeordnet<br />
werden oder den Zielen EU 2020.<br />
Charakteristi<br />
ka<br />
� ????<br />
� Allgemeine Strukturfondsverordnung<br />
� FP 7, ehemalige Gemeinschaftsinitiativen<br />
� XperRegio<br />
� Regionen Aktiv<br />
� EU-Initiative Leader+ (2000-2006)<br />
Erfahrungen � Gegenseitige Deckungsfähigkeit von<br />
EFRE und ESF<br />
� EU-Gemeinschaftsinitiative Leader+<br />
(2000-2006)<br />
Die regionale Ebene (NUTS 3) muss für die Umsetzung <strong>regionaler</strong> Budgets qualifiziert sein bzw. qualifiziert werden.<br />
Lösungsansatz: Ein Teil der Regionalen Budgets wird zweckgebunden für Qualifizierung eingesetzt.<br />
Voraus-<br />
Umsetzung
82 Dr. Sebastian Elbe<br />
Drei Varianten zur Umsetzung in den EU-Verordnungen<br />
Neben der Umsetzungsebene ist es auch auf der Ebene des Rechtsrahmens notwendig,<br />
unterstützende Akzente zu setzen. Die o.a. Allgemeine Verordnung für<br />
integrierte Ansätze wäre hierfür eine Möglichkeit. Darüber hinaus gibt es drei Varianten,<br />
wie eine verbesserte und vereinfachte Umsetzung von Regionalbudgets im<br />
vorhandenen bzw. neuen Rechtsrahmen nach 2013 möglich wäre. Zu unterscheiden<br />
ist dabei, ob Regionalbudgets innerhalb eines einzelnen Fonds verankert<br />
werden sollen, oder sich aus zwei oder mehr Fonds speisen. Fondsübergreifende<br />
Regionalbudgets könnten durch folgenden Rechtsrahmen ermöglicht werden.<br />
Variante „Beihilferecht”<br />
Die Regeln für Regionalbudgets in den verschiedenen Fonds basieren auf dem<br />
EU-Haushalts- und Beihilferecht, der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung,<br />
De-minimis etc. Mit dem Rückgriff auf die mehr oder weniger allgemeinen<br />
Rechtsgrundlagen ergeben sich entsprechende Freiheiten bei der inhaltlichen<br />
Ausgestaltung der Regionalbudgets. Gemeinsame Regeln bedeuten dabei auch<br />
vereinfachte Zusammenarbeit und Koordination bis hin zur Teilfusion und dem<br />
Poolen von Mitteln aus verschiedenen Fonds innerhalb eines Regionalbudgets.<br />
Mit dieser Variante geht jedoch ein Verlust an Politiksteuerung für die Seite der<br />
Fördermittelgeber einher.<br />
Variante „Akzeptanz”<br />
Die Regionalbudgets werden durch gleichlautende Artikel zur Umsetzung der Förderung<br />
von Regionen in allen Verordnungen der vier Fonds verankert. Aufwändiger,<br />
aber mit ähnlicher Wirkung wäre die gegenseitige Anerkennung der Verordnungen<br />
für alle Fonds durch alle Fonds. Dem Hauptnachteil der Variante „Beihilferecht“,<br />
dem Verlust an Politiksteuerung, würde entgegengewirkt. Nachteil in dieser<br />
Variante wäre der wahrscheinlich hohe Zeitaufwand zur Abstimmung der gemeinsamen<br />
Regeln bzw. bei der Anerkennung der Regeln der jeweils anderen Fonds.<br />
Variante „Politikwettbewerb“<br />
Die dritte Variante baut auf der Variante „Akzeptanz“ auf, bzw. stellt eine Lösung<br />
für den Fall dar, dass keine Einigung auf gemeinsame Regeln erfolgt und auch die<br />
gegenseitige Anerkennung nicht erzielt wird. Ein Lösungsansatz wäre, dass die<br />
Regionen jeweils selbst zu Beginn der Förderperiode einmalig entscheiden müssen,<br />
nach welchem Regelwerk sie die Regionalbudgets abwickeln, d.h. AGRI oder<br />
REGIO oder EMPL oder MARE. Damit wäre natürlich auch eine „Abstimmung mit<br />
den Füßen“ in Bezug auf die Praxisnähe der Fonds verbunden – vielleicht nicht<br />
die schlechteste Form des Feedbacks für Politikgestalter.
Regionalbudget bei Regionen Aktiv 83<br />
Fazit<br />
Regionalbudgets sind eine Grundvoraussetzung für eine dezentrale, regionalisierte<br />
Förderpolitik und müssen beibehalten bzw. ausgebaut werden. Zur Förderung<br />
einer integrierten <strong>Entwicklung</strong> sollten die Budgets soweit wie möglich zweckund<br />
sektoral ungebunden sein. Wesentliche Aspekte, die für die Zukunft angegangen<br />
werden müssen, sind dabei:<br />
� Wie können Mittelrückflüsse in die Regionalbudgets organisiert werden? Regionalfonds<br />
sind hierfür eine Möglichkeit, teilrückzahlbare Zuschüsse sollten in<br />
den Diskussionen um revolvierende <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente mit berücksichtigt<br />
werden.<br />
� Die Entkopplung der Regionalbudgets von der Jährlichkeit der öffentlichen<br />
Haushalte und Programmplanung sollte im Sinne einer verbesserten Planungssicherheit<br />
erreicht werden. Im Bereich der revolvierenden Fonds in den<br />
EU-Strukturfonds ist dies bereits erreicht.<br />
� Die Abwicklungspartner vor Ort müssen bei der Abwicklung unterstützt werden.<br />
Dies kann z.B. über zentrale Arbeitshilfen oder die Definition von gemeinsamen<br />
und vereinfachten Prüfpfaden erfolgen. Diese sollten eventuell sogar länderübergreifend<br />
definiert werden, um diese über den Bund und damit als Mitgliedstaat<br />
bei der EU-Kommission anerkennen zu lassen.<br />
� Die administrativen Kompetenzen sind nach und nach und je nach Qualifizierungsstand<br />
des AP in die Regionen zu verlagern. Hierfür ist ein Lern- und Qualifizierungsprozess<br />
notwendig, der Zeit kostet.<br />
� Der Prüfaufwand sollte z.B. durch gemeinsam von Programmebene und Regionen<br />
erarbeitete Prüfpfade verringert werden.<br />
Mit den oben beschriebenen Möglichkeiten der verpflichtenden Einführung von<br />
Regionalbudgets, dem Aufsetzen einer EU-Gemeinschaftsinitiative oder der Verabschiedung<br />
einer Allgemeinen EU-Verordnung für integrierte Ansätze liegen in<br />
Verbindung mit den drei Varianten „Beihilferecht“, „Akzeptanz“ und „Politikwettbewerb“<br />
konkrete Vorschläge auf dem Tisch, die durch den Autor sowohl in die Generaldirektionen<br />
AGRI, REGIO und MARE als auch in die offiziellen Arbeitsgremien<br />
der AGRI „Working Group Delivery Mechanism“ getragen wurden.<br />
Ob und inwieweit dies dazu beiträgt, bessere Rahmenbedingungen für Regionalbudgets<br />
zu schaffen, ist dabei nebensächlich. Zentral ist, dass die Diskussionen<br />
über verbesserte Rahmenbedingungen nicht auf der strategischen Ebene enden<br />
dürfen. Nach bisherigen Erfahrungen ist zu erwarten, dass sich in der Praxis dann<br />
leider nicht viel ändert. Aus meiner Sicht ist diese Diskussion jedoch weiterzuführen<br />
und auf alle verantwortlichen Ebenen zu tragen – für eine aktive Regionalentwicklung.
84 Dr. Sebastian Elbe<br />
Kontakt:<br />
Dr. Sebastian Elbe<br />
Geschäftsführender Gesellschafter SPRINT (GbR)<br />
Luisenstraße 16<br />
64283 Darmstadt<br />
E-Mail: elbe@<strong>sprint</strong>consult.de
Teil II: Fonds in der Regionalentwicklung
EFRE-kofinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
in Deutschland<br />
von Ulrike Schreckenberger und Anja Borisch<br />
1. Einführung<br />
Mit diesem Beitrag soll ein Überblick über den Einsatz von neuen innovativen Finanzinstrumenten<br />
in der Europäischen Strukturpolitik in Deutschland gegeben werden.<br />
Beleuchtet werden der aktuelle Umsetzungsstand, der rechtliche Hintergrund,<br />
Verbesserungs- und <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten sowie die Förderperiode nach 2013<br />
im Hinblick auf das Instrumentarium der Europäischen Strukturfonds.<br />
In der Regionalentwicklung gibt es seit einigen Jahren einen Wandel dahingehend,<br />
alternative innovative Förderinstrumente als Ergänzung zu den klassischen Instrumenten<br />
der Förderung, wie Zuschüssen, Darlehen und Bürgschaften, einzuführen.<br />
Damit orientiert sich die Regionalpolitik an zunehmenden Forderungen auf nationaler<br />
und europäischer Ebene, Fördermittel effizienter und langfristiger anzulegen und<br />
neben öffentlichen Mitteln verstärkt privates Kapital einzubeziehen.<br />
Die Europäische Kommission hat seit Anfang 2007 in der Europäischen Strukturpolitik<br />
die Grundlagen dafür geschaffen, die klassischen Instrumente der Wirtschaftsförderung<br />
durch neue <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente (z.B. Risikokapitalfonds, Garantieund<br />
Darlehensfonds) zu ergänzen. In erster Linie soll für kleine und mittlere Unternehmen<br />
(KMU) der Zugang zu Finanzmitteln verbessert werden. Außerdem werden<br />
auch Investitionen in öffentlich-private Partnerschaften und andere Projekte im<br />
Rahmen eines integrierten Plans für nachhaltige Stadtentwicklung ermöglicht. Ein<br />
weiterer Anwendungsbereich sind Fonds- oder Darlehensinstrumente für Energieeffizienzmaßnahmen<br />
und die Nutzung erneuerbarer Energien in Gebäuden, einschließlich<br />
des Wohnungsbestands.<br />
Der Grundgedanke dieser innovativen Finanzinstrumente besteht darin, Strukturfondsmittel<br />
revolvierend für einen Förderzweck einzusetzen. Ausgezahlte Mittel fließen<br />
in den Fonds zurück und es können mehr Antragsteller gefördert werden als<br />
bei der Förderung mit traditionellen Instrumenten. Durch den revolvierenden Charakter<br />
erhöht sich – im Vergleich zur Zuschussförderung – die Hebelwirkung auf die<br />
Investitionsausgaben. Die vorhandenen Fondsmittel werden durch die Vergabe von<br />
Darlehen, Garantien und Beteiligungen eingesetzt. Dadurch erwirtschaftete Zinsen<br />
und Gewinne sollen entweder für den Förderzweck eingesetzt werden, wodurch<br />
sich die ursprünglich vorhandenen Mittel erhöhen, oder für die Begleichung von<br />
Verwaltungs- und Refinanzierungskosten genutzt werden.
88 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />
Abgesehen von möglichen Ausfällen bei der Rückzahlung durch den Begünstigten<br />
verringert sich somit das ursprüngliche Mittelvolumen nicht.<br />
Damit steht auch in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ein alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument<br />
zur Zuschussförderung zur Verfügung. So können potenziell mehr<br />
Antragsteller gefördert werden, ohne die nationalen Haushalte zu belasten. Dies<br />
war ein wichtiges Argument für die Einführung solcher <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in<br />
Deutschland.<br />
Flankiert wird diese <strong>Entwicklung</strong> von der Innovationsstrategie der Bundesregierung<br />
aus dem Jahr 2006, in der sie ihre innovationspolitischen Initiativen in einer „High-<br />
Tech-Strategie“ für Deutschland gebündelt hat. Im Juli 2010 hat das Bundeskabinett<br />
beschlossen diesen Ansatz mit der High-Tech-Strategie 2020 weiterzuentwickeln.<br />
Ziel ist es, die Innovationskompetenz und -exzellenz in Wissenschaft und Wirtschaft,<br />
insbesondere in KMU weiter auszubauen und so eine Innovationspolitik aus<br />
einem Guss zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen für Innovationen in<br />
Deutschland werden damit weiter verbessert. Dies betrifft vor allem die Gründungsbedingungen,<br />
die besondere Situation des Mittelstandes, eine ausreichende <strong>Finanzierung</strong><br />
von Innovationen sowie die Bereitstellung von Wagniskapital. Auf Bundesebene<br />
investierte der Bund bis 2009 zusätzlich 6 Mrd. Euro in Forschung und <strong>Entwicklung</strong>,<br />
um die Vorgaben der Lissabon-Strategie und des Nationalen Reformprogramms<br />
umzusetzen. Die Maßnahmen auf Bundesebene betreffen vorrangig Projekte<br />
mit überproportionaler Hebelwirkung, um zusätzliche Investitionen der Wirtschaft<br />
anzuziehen, Spitzentechnologien zu stärken und die Attraktivität des deutschen<br />
Wissenschaftssystems international zu erhöhen.<br />
2. Rahmenbedingungen<br />
In der Verordnung (EG) 1083/2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen<br />
Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), den europäischen Sozialfonds<br />
(ESF) und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 1260/1999<br />
sind die neuen Finanzinstrumente in Artikel 44 sowie in Erwägungsgrund 41 verankert<br />
(ausführliche Aspekte zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der innovativen<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente befinden sich im Beitrag von Schwab/Gröss).<br />
Um die EU-Kohäsionspolitik umsetzen zu können, hat die Europäische Kommission<br />
gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und dem Europäischen<br />
Investitionsfonds (EIF) innovative Finanzinstrumente wie JEREMIE (Joint European<br />
Resources for Small and Medium-sized Enterprises) und JESSICA (Joint European<br />
Support for Sustainable Investment in City Areas) konzipiert. Diese Initiativen werden<br />
von den Verwaltungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten verwaltet und bieten die<br />
Möglichkeit, einen Teil ihrer EU-Strukturfondsmittel für die <strong>Finanzierung</strong> von KMU
EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 89<br />
bzw. die Förderung nachhaltiger Stadtentwicklung einzusetzen. Die <strong>Finanzierung</strong>en<br />
werden in Form von Eigenkapital, Darlehen oder Garantien über einen revolvierenden<br />
Holding-Fonds und nicht nur durch „verlorene Zuschüsse“ durchgeführt. Damit<br />
fließen die aus den Projekten kommenden Rückzahlungen dann wieder an den<br />
Fonds zurück, der dadurch neue Förderungen vergeben kann.<br />
JEREMIE zielt unter Beteiligung des EIF darauf ab, in den am wenigsten entwikkelten<br />
Regionen den Zugang von KMU zu Finanzmitteln zu erleichtern. Auf diese<br />
Weise soll besonders in innovativen Branchen ein Beitrag zur Gründung neuer Unternehmen<br />
geleistet werden. Dies soll zur Schaffung von Arbeitsplätzen und<br />
Wachstum führen. JEREMIE beinhaltet Kreditgarantien sowie Eigen- und Risikokapitalfinanzierungen.<br />
JEREMIE wird indes zurzeit nur von wenigen Mitgliedstaaten<br />
genutzt. Auch in Deutschland werden stattdessen entsprechende Instrumente vom<br />
Bankensektor (Förderbanken, Landesförderinstitute, KfW) aufgelegt.<br />
Für den Bereich der Stadtentwicklung hat die Europäische Kommission ebenfalls<br />
seit Beginn der laufenden Förderperiode ein neues Finanzinstrument geschaffen.<br />
Die Initiative JESSICA soll in Kooperation mit der Europäischen Investitionsbank<br />
(EIB) und der Europäischen <strong>Entwicklung</strong>sbank nachhaltige Investitionen, Wachstum<br />
und Arbeitsplätze in den europäischen städtischen Regionen fördern (ausführliche<br />
Informationen zur JESSICA-Initiative sowie zu Stadtentwicklungsfonds befinden<br />
sich im Beitrag von Plöhn/Jacob).<br />
3. Umsetzung in der EU und in Deutschland<br />
Mit Hilfe von JEREMIE wurden bis Oktober 2010 30 Holdingfonds in 15 Mitgliedstaaten<br />
mit einem Volumen von 3,5 Mrd. Euro eingerichtet. Diese JEREMIE-<br />
Initiativen zeigen erste Erfolge – inzwischen wurden KMU mit 0,3 Mrd. Euro unterstützt.<br />
Für 19 JESSICA-Instrumente wurden bis Oktober 2010 bereits 1,65 Mrd. Euro in 11<br />
Mitgliedstaaten ausgegeben, darunter waren drei Stadtentwicklungsfonds.<br />
In Deutschland werden in 14 von 16 Bundesländern folgende innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
eingesetzt: Beteiligungsfonds, Risikokapitalfonds, Darlehensfonds<br />
sowie Mikrodarlehensfonds.<br />
In Deutschland haben zwei Bundesländer Stadtentwicklungsfonds ins Leben gerufen,<br />
um Industriebrachflächen zu revitalisieren und Gebäudesanierungen in vernachlässigten<br />
Stadtteilen durchzuführen. Um die Rückzahlungen in den Fonds zu<br />
garantieren, werden sie mit Mieten refinanziert und in einigen Städten werden gestützte<br />
Kredite an Unterprojekte vergeben.
90 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />
Ziel Konvergenz<br />
Ziel der innovativen Finanzinstrumente ist die Förderung von KMU und die Steigerung<br />
ihrer betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Diese Zielregionen<br />
fördern ihre KMU überwiegend durch Darlehensfonds, Risikokapitalbeihilfen<br />
und stille Beteiligungen. Manche Bundesländer unterstützen innovative, wirtschaftlich<br />
tragfähige Unternehmen durch stille Beteiligungen, beispielsweise in der Vorgründungs-<br />
und Gründungsphase. KMU können z. B. auch zinsgünstige Weiterleitungsdarlehen<br />
aus einem Darlehensfonds über ihre Hausbank erhalten.<br />
Die Laufzeiten der Finanzinstrumente betragen im Durchschnitt sieben bis zehn<br />
Jahre. Zum Großteil wurde die Laufzeit der Fonds an der laufenden Förderperiode<br />
ausgerichtet.<br />
Das Gesamtvolumen der <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente liegt zwischen 20 Mio. Euro und<br />
237,9 Mio. Euro und setzt sich jeweils zu 75 % aus EFRE-Mitteln und zu 25 % aus<br />
Landesmitteln zusammen. Die Abwicklung erfolgt vorrangig durch Landesförderinstitute.<br />
Beispielsweise stattet der BFB Wachstumsfonds Brandenburg (BFB II) technologieorientierte<br />
KMU in Brandenburg in der Früh- und Wachstumsphase mittels offener<br />
und stiller Beteiligungen mit einem Kapital von bis zu 1,5 Mio. Euro aus. Die<br />
Fondsmittel werden zu 75 % aus dem EFRE und zu 25 % aus Haushaltsmitteln des<br />
Landes Brandenburg bereitgestellt. Finanziert werden Unternehmen in wachstumsstarken<br />
Branchen. Ebenso gewährt das Land Brandenburg Nachrangdarlehen an<br />
KMU unter Einbindung von Mitteln des EFRE durch die InvestitionsBank des Landes<br />
Brandenburg im Auftrag des Landes Brandenburg.<br />
Ziel Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung<br />
Die Finanzinstrumente sind in den Regionen des Ziels Regionale Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Beschäftigung breiter gefächert. Neben Risikokapitalfonds, Wagnisfonds,<br />
Nachrangdarlehensfonds, stillen und offenen Beteiligungen kommen auch<br />
Seed Capital Fonds mit geplanter Beteiligung sowie Ratendarlehen zum Einsatz.<br />
Schwerpunkte der Förderung sind die Stärkung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit,<br />
die Förderung von Innovationen, wissensbasierter Wirtschaft, Existenzgründungen<br />
und -festigungen, die Stabilisierung der unternehmerischen Basis sowie<br />
nachhaltige Stadt- und Kommunalentwicklung. Beispielhaft kann hier die Förderung<br />
von jungen innovativen High-Tech-Unternehmen mit Wachstumspotential oder jungen<br />
Technologieunternehmen genannt werden.<br />
Zum Beispiel hat das Land Nordrhein-Westfalen mit Hilfe der NRW.BANK Ende<br />
2005 einen Fonds mit insgesamt 30 Mio. Euro initiiert, um die traditionell schwache<br />
Kapitalausstattung des Frühphasensektors zu lindern. Dieser Fonds teilt sich in bis-
EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 91<br />
her sieben regionale Seedfonds auf und wird zusammen mit Partnern vor Ort erstellt.<br />
Aus diesem Fonds erhalten technologieorientierte Gründungen mit Bezug zu<br />
NRW bis zu 500.000 Euro Eigenkapital. Die zielgerichtete Verteilung der Mittel<br />
übernehmen Partner aus den Regionen, die über langjährige Branchenerfahrung<br />
verfügen (ausführliche Informationen zu dem Fonds befinden sich im Beitrag von<br />
Langguth).<br />
Im Bezug auf andere Finanzinstrumente wurden beispielsweise in Bayern im Oktober<br />
2007 zwei EFRE-Risikokapitalfonds mit einem Gesamtvolumen von 30 Mio. Euro<br />
eingerichtet. Durch diese sollen junge, innovative KMU gezielt gefördert werden.<br />
Die Mittel aus den beiden Fonds können in ganz Bayern (mit Ausnahme der Planungsregion<br />
14 - München) eingesetzt werden.<br />
Im Durchschnitt beträgt die Laufzeit der Fonds zwischen fünf und sieben Jahren; im<br />
Ausnahmefall bis zu zwölf Jahren. In zwei Bundesländern gibt es bei den jeweiligen<br />
Fonds keine Beschränkung der Laufzeit.<br />
Die Spanne der Gesamtvolumina der Fonds liegt zwischen 1,6 Mio. Euro und 72<br />
Mio. Euro. Die Beteiligung an EFRE-Mitteln variiert zwischen 27,08 % und 50 %; die<br />
restliche Beteiligung wird meist durch Landesmittel abgedeckt. In manchen Bundesländern<br />
fließen neben den Landesmitteln private Mittel (Investoren) in den<br />
Fonds. Die finanzielle Abwicklung erfolgt durch Landes- oder sonstige (private) Institute.<br />
Zum großen Teil sind die Fonds bei den Landesförderbanken angesiedelt.<br />
Besonderheiten<br />
In zwei Bundesländern erfolgt derzeit kein Einsatz von innovativen Finanzinstrumenten.<br />
Hier ist die Anwendung von innovativen Finanzinstrumenten zwar schon im<br />
Gespräch, jedoch stehen Entscheidungen über die Details zur Umsetzung noch<br />
aus.<br />
4. Blick in die Zukunft<br />
Seit 2010 hat sich die Diskussion um die Reform der Europäischen Strukturpolitik<br />
nach 2013 intensiviert. Es werden auch zukünftig die Ziele der Lissabon-Agenda –<br />
Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung – maßgeblich für die Ausgestaltung<br />
der Europäischen Strukturfonds sein. Auch wird der Fokus der Strukturförderung<br />
weiterhin auf Bereichen wie Innovation, Forschung und <strong>Entwicklung</strong> (F&E),<br />
Ausbau der Wissensgesellschaft und Stärkung von KMU liegen.<br />
Im Frühjahr 2010 hat die Europäische Kommission mit der Strategie Europa-2020<br />
die neuen Herausforderungen beschrieben, die die Europäische Union zukünftig<br />
bewältigen muss: Globalisierung, Klimawandel, demografischer Wandel und Energieversorgung.<br />
Dabei werden die Europäischen Strukturfonds als ein Instrument zur
92 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />
Umsetzung dieser Ziele aufgeführt. Im November 2010 hat die Europäische Kommission<br />
den 5. Kohäsionsbericht vorgelegt, der aufzeigt, wie die drei strategischen<br />
Prioritäten der Europa-2020 Strategie – intelligentes, nachhaltiges und integratives<br />
Wachstum – mit Hilfe der Strukturfonds erreicht werden können. In diesem Zusammenhang<br />
spielen auch die innovativen Finanzinstrumente eine wichtige Rolle. Sie<br />
stellen sinnvolle und effektive <strong>Finanzierung</strong>smaßnahmen dar, die dazu beitragen,<br />
die wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Unterschiede innerhalb der Europäischen<br />
Union zu verringern sowie Konvergenz, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung<br />
zu stärken. Sie sind nicht nur politisch gewollt, sondern werden in den Mitgliedstaaten<br />
tatsächlich angewendet und weisen positive Ergebnisse auf. Allerdings<br />
sollten die neuen Finanzinstrumente die traditionellen Instrumente nicht verdrängen,<br />
sondern ergänzen. In ihrer Stellungnahme zum 5. Kohäsionsbericht der Europäischen<br />
Kommission hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass bei der künftigen<br />
Förderung von produktiven Unternehmensinvestitionen Zuschussförderung<br />
und neue Finanzinstrumente gleichrangig nebeneinander beibehalten werden sollten.<br />
5. Fazit und Ausblick<br />
Auch wenn die Einführung neuer und innovativer Finanzinstrumente aus den oben<br />
aufgeführten Erwägungen grundsätzlich zu begrüßen ist, sind noch zahlreiche Fragen<br />
zur Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Instrumente offen. Wünschenswert<br />
wäre, wenn zwischen den Vorschriften für zuschussbasierte Förderung und für<br />
rückzahlbare Formen der Unterstützung stärker differenziert und mehr Klarheit geschaffen<br />
würde. Für den verstärkten Einsatz und den Erfolg von Finanzinstrumenten<br />
ist es unerlässlich, ihre rechtssichere und einheitliche Anwendung durch einfache<br />
und klare Rechtsgrundlagen zu gewährleisten. Das heißt vor allem, dass<br />
Rechtsgrundlagen und deren Auslegung während laufender Förderperioden nicht<br />
geändert werden dürfen. Auch der Umfang der Förderung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />
darf bei der Bestimmung des Verwaltungs- und Prüfaufwandes nicht<br />
außer Acht gelassen werden, um hier einen Anstieg zu vermeiden. Gleichwohl<br />
sollte geprüft werden, ob die Anwendung von innovativen Finanzinstrumenten auf<br />
weitere Politikbereiche ausgedehnt werden kann. Im 5. Kohäsionsbericht der Europäischen<br />
Kommission sind als mögliche Einsatzbereiche genannt: nachhaltiger<br />
Stadtverkehr, Forschung & <strong>Entwicklung</strong>, Energie, lokale <strong>Entwicklung</strong>, lebenslanges<br />
Lernen und Mobilitätsmaßnahmen, Klimawandel und Umwelt, Informations- und<br />
Kommunikationstechnologien (IKT) sowie Breitband. Hier wäre indes zu prüfen, ob<br />
es in dem jeweiligen Sektor Projekte mit Renditeerwartungen gibt, so dass innovative<br />
Finanzinstrumente sinnvoll eingesetzt werden könnten. Neben den neuen Finan-
EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 93<br />
zinstrumenten muss die klassische Zuschussförderung gleichrangig beibehalten<br />
werden, damit die Verwaltungsbehörden entsprechend der Zielrichtung der Operationellen<br />
Programme und der örtlichen Besonderheiten flexibel das jeweils passende<br />
Instrument auswählen können. Die Kombination von Zuschussförderung und<br />
Förderung durch ein Finanzinstrument sollte ebenfalls ermöglicht werden.<br />
Bei der Debatte über die Ausgestaltung der Strukturpolitik nach 2013 wird der Bund<br />
in Abstimmung mit den Bundesländern seine Vorstellungen zur Fortführung der innovativen<br />
Finanzinstrumente in den zuständigen Gremien auf EU-Ebene einbringen.<br />
Bei Berücksichtigung dieser Vorschläge könnte man dem Fortbestand und<br />
weiteren Ausbau der innovativen Finanzinstrumente in Deutschland zuversichtlich<br />
entgegensehen.<br />
Kontakt:<br />
Ulrike Schreckenberger<br />
Referat E A 3 - Koordinierung der EU-Strukturpolitik<br />
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />
Scharnhorststr. 34-37<br />
10115 Berlin<br />
Tel.: 03018-615-6921<br />
E-Mail: Ulrike.Schreckenberger@bmwi.bund.de<br />
Anja Borisch<br />
Referat E A 3 - Koordinierung der EU-Strukturpolitik<br />
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />
Scharnhorststr. 34-37<br />
10115 Berlin<br />
Tel.: 03018-615-6225<br />
E-Mail: Anja.Borisch@bmwi.bund.de
94 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch
Rechtliche Aspekte bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-<br />
Stadtentwicklungsfonds<br />
von Dr. Maximilian Schwab und Sebastian Gröss<br />
1. Einleitung<br />
Mit der Einführung der JESSICA-Initiative (Joint European Support for Sustainable<br />
Investment in City Areas) zur Förderperiode 2007-2013 hat die Europäische<br />
Kommission zusammen mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und in Zusammenarbeit<br />
mit der <strong>Entwicklung</strong>sbank des Europarates (Council of Europe<br />
Development Bank – CEB) neue Konzepte geschaffen, die es den Mitgliedstaaten<br />
ermöglichen, einen Teil der EU-Zuschüsse aus den Europäischen Strukturfonds für<br />
rückzahlbare <strong>Finanzierung</strong>en zur Realisierung von Projekten für eine nachhaltige<br />
Stadtentwicklung einzusetzen. Während die Umsetzung von JESSICA in einigen<br />
Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits recht weit fortgeschritten ist, vollzieht<br />
sich die Implementierung in Deutschland nur zögerlich. Trotz breiter Aufgeschlossenheit<br />
seitens der deutschen Verwaltungsbehörden, Förderbanken und Privatinvestoren<br />
gegenüber JESSICA-Stadtentwicklungsfonds, gestalten sich die Konzipierung<br />
und Umsetzung revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in der Praxis<br />
teilweise noch schwierig. Dieser Umstand ist einerseits der knappen Verfügbarkeit<br />
finanzieller Ressourcen geschuldet, andererseits begegnen die verantwortlichen<br />
Akteure auch zahlreichen rechtlichen Fragestellungen, deren Beantwortung den<br />
Umsetzungsprozess oftmals erheblich beeinträchtigt (ausführliche Informationen zu<br />
Stadtentwicklungsfonds finden sie im Beitrag von Plöhn/Jacob).<br />
Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick darüber verschaffen, welche rechtlichen<br />
Aspekte es bei der Konzipierung und Umsetzung von JESSICA-<br />
Stadtentwicklungsfonds zu bedenken gilt und – gestützt auf praktischen Erfahrungen<br />
der Autoren in der Beratung bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-Konzepten –<br />
einige konkrete Konstellationen darstellen. Weil es sich bei JESSICA in erster Linie<br />
um eine neuartige Form der Verwendung von Mitteln aus den Europäischen Strukturfonds<br />
handelt, lässt sich ein Großteil der angesprochenen Aspekte auch auf andere<br />
strukturfondsfinanzierte Fondskonstruktionen übertragen (siehe z.B. die Beiträge<br />
von Schreckenberger/Borisch sowie Hüttich).
96 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />
2. Die JESSICA-Initiative im Rahmen des EFRE<br />
Die JESSICA-Initiative stellt keine neue Mittelquelle der EU für die <strong>Finanzierung</strong> von<br />
Stadtentwicklungsmaßnahmen dar. Vielmehr eröffnet sie die Möglichkeit, Mittel aus<br />
dem Europäischen Fonds für Regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) nicht mehr als klassische<br />
"verlorene Zuschüsse" auszureichen, sondern diese in revolvierende Stadtentwicklungsfonds<br />
im Sinne von Art. 46 VO (EG) Nr. 1828/2006 einzulegen. Die<br />
Stadtentwicklungsfonds selbst investieren dann in Form von Kapitalbeteiligungen,<br />
Darlehen oder Garantien in (teil-)rentierliche Projekte zur nachhaltigen Stadtentwicklung<br />
mit dem Ziel, Mittelrückflusse zu generieren. Diese Rückflüsse aus den<br />
Projekten sollen dann für erneute Investitionen verwendet werden können. Durch<br />
diesen Rückflussgedanken, der auch dem parallel bestehenden JEREMIE-<br />
Programm 30 zugrunde liegt, sollen die europäischen Fördermittel langfristiger und<br />
nachhaltiger eingesetzt werden können. Die Eröffnung dieser neuen Form der Mittelverwendung<br />
lässt die bis dato für EFRE-Mittel geltenden rechtlichen Förderfähigkeitskriterien<br />
für die Projekte zunächst weitgehend unberührt. Es gelten vornehmlich<br />
die EU-Strukturfondsverordnungen sowie die Vorgaben aus den jeweiligen Operationellen<br />
Programmen. Neu ist lediglich das Erfordernis eines integrierten und<br />
nachhaltigen Stadtentwicklungsplans. 31 Die Anforderungen an einen solchen Stadtentwicklungsplan<br />
werden in den Verordnungen nicht näher präzisiert und lassen<br />
insoweit einen gewissen Umsetzungsspielraum. Er soll jedoch dazu dienen, die<br />
Nachhaltigkeit der Projekte dadurch zu belegen, dass die wirtschaftlichen, sozialen<br />
und ökologischen Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen den Projekten<br />
und ihrem Umfeld abgebildet werden. 32 Die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen<br />
der Europäischen Kommission und den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden<br />
bei der Verwaltung und der Kontrolle des Einsatzes der EFRE-Mittel 33 wird<br />
von der JESSICA-Initiative ebenfalls nicht berührt.<br />
Um den zahlreichen nationalen, regionalen und lokalen Besonderheiten gerecht<br />
werden zu können, sind JESSICA-Modelle flexibel gestaltbar. Dies betrifft sowohl<br />
die Wahl der <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente selbst, als auch die Fragen der konkreten<br />
Umsetzung wie etwa der Trägerschaft des Fondsmanagements, der Wahl der<br />
Rechtsform oder der Beteiligungsverhältnisse. Insbesondere besteht die Möglichkeit,<br />
auch private Investoren auf Fonds- oder Projektebene zu beteiligen. Ziel ist es,<br />
30<br />
Joint European Resources for Micro to Medium Enterprises.<br />
31<br />
Art. 46 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1828/2006.<br />
32<br />
Vgl. Erläuterungen auf http://www.eib.org/products/technical_assistance/jessica/faq/index.htm<br />
?lang=de (zuletzt abgerufen am 1.12.2010).<br />
33<br />
Vgl. hierzu Puttler in Callies/Ruffert: Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage<br />
München 2007, Art. 160 EG, Rn. 1; Holzwart, Der rechtliche Rahmen für die Verwaltung und <strong>Finanzierung</strong><br />
der gemeinschaftlichen Strukturfonds am Beispiel des EFRE, Berlin 2003, S. 121 f.
Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 97<br />
auf diesem Wege private Investoren in Projekte einzubinden, die gerade in der<br />
Frühphase nur schwer rentabel finanzierbar sind. Hierdurch kommt dem Fonds eine<br />
Art "Steigbügelfunktion" für private Investitionen gerade für Projekte mit längerfristigen<br />
Anlaufzeiten zu. Allerdings wirft zunehmendes privates Engagement auch weitere<br />
rechtliche Fragen, nicht zuletzt im Bereich des Beihilfenrechts auf, die es frühzeitig<br />
zu adressieren gilt. Wird beispielsweise auf Ebene des Stadtentwicklungsfonds<br />
eine asymmetrische Risikoverteilung zu Gunsten eines privaten Investors<br />
vereinbart, so kann dies die Gewährung einer Begünstigung im Sinne von Art. 107<br />
AEUV darstellen, so dass auf eine beihilfenrechtskonforme Ausgestaltung dieser<br />
Vereinbarung zu achten ist.<br />
Die Strukturfondsverordnungen erlauben darüber hinaus auch die Zwischenschaltung<br />
von so genannten JESSICA-Holdingfonds. Hier werden die EFRE-Mittel sowie<br />
die nationale Kofinanzierung zunächst auf übergeordneter Ebene "gepoolt", bevor<br />
dann ein Investment in einzelne Stadtentwicklungsfonds erfolgt, die dann in die<br />
Projekte investieren. Während zahlreiche Verwaltungsbehörden im europäischen<br />
Ausland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben und derzeit 15 JESSICA-<br />
Holdingfonds allein unter dem Management der EIB stehen, sind in Deutschland<br />
bislang ausschließlich JESSICA-Stadtentwicklungsfonds auf Länderebene ohne<br />
Zwischenschaltung von Holdingfonds geplant bzw. umgesetzt. Vor diesem Hintergrund<br />
werden rechtliche Besonderheiten von Holdingsfondsmodellen (z.B. bezüglich<br />
der Ausschreibung von Stadtentwicklungsfonds) hier nicht detailliert beleuchtet.<br />
3. Europarechtliche Implikationen<br />
Der europarechtliche Rahmen für die Verwendung von EFRE-Mitteln in JESSICA-<br />
Stadtentwicklungsfonds wird zunächst von strukturfondsspezifischen Vorgaben,<br />
insb. den Strukturfondsverordnungen und den darauf basierenden Operationellen<br />
Programmen vorgegeben. Diese für den Programmplanungszeitraum 2007-2013<br />
geltenden Vorschriften enthalten Vorgaben zur Förderfähigkeit von Projekten und<br />
der Art und Weise des Mittelabrufs und der -verwendung. Daneben sind in fast allen<br />
denkbaren Ausgestaltungen die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Regelungen<br />
der EU, namentlich das europäische Beihilfen- und Vergaberecht, zu beachten.
98 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />
3.1. Vorgaben der Strukturfondsverordnungen<br />
Die Strukturfondsverordnungen bilden den allgemeinen Rechtsrahmen für die Zusammensetzung<br />
und die Verwendung der Gelder aus dem Europäischen Fonds für<br />
regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Kohäsionsfonds.<br />
Sie werden ergänzt durch Auslegungshilfen des Coordination Committee<br />
of the Funds (COCOF), die sogenannten COCOF-Notes.<br />
Die Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 (Allgemeine Verordnung für die Strukturfonds<br />
und den Kohäsionsfonds) 34 schafft den Rahmen, innerhalb dessen die Kohäsionspolitik<br />
durchgeführt wird, und benennt die einzelnen Ziele, zu deren Erreichung<br />
die verschiedenen Fonds eingesetzt werden. Ferner bestimmt die Verordnung Kriterien<br />
zur geografischen Abgrenzung der Förderfähigkeit, legt die verfügbaren Finanzmittel<br />
fest und bezeichnet Kriterien für deren Aufteilung. Schließlich enthält sie<br />
die zwischen Mitgliedstaaten und Kommission geltenden Grundsätze und Regeln<br />
für die Partnerschaft, die Programmplanung, die Bewertung, die Verwaltung, die<br />
Begleitung und die Kontrolle. 35<br />
In der Verordnung (EG) Nr. 1080/2006 (EFRE-Verordnung) 36 werden die einzelnen<br />
Interventionsbereiche des EFRE festgelegt. Je nach Region gibt die Verordnung<br />
vor, welche Ziele in den Operationellen Programmen festgelegt werden können.<br />
Von entscheidender Bedeutung für die Aktivitäten von JESSICA-Fonds sind letztlich<br />
die Vorgaben der Operationellen Programme nach Art. 4 (Konvergenz) und Art. 5<br />
(Regionale Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit). Die Einbeziehung der nachhaltigen<br />
Stadtentwicklung nach Art. 8 der Verordnung entbindet nicht von dem Erfordernis,<br />
dass JESSICA-Projekte mit den bereits bestehenden Operationellen Programmen<br />
vereinbar sein müssen. Der Vorrang der Operationellen Programme wird<br />
von der Kommission immer wieder betont. Die Gestaltung der Operationellen Programme<br />
für die Förderperiode nach 2013 ist daher mitentscheidend für die weitere<br />
<strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-Fonds in den einzelnen Fördergebieten.<br />
Bei entsprechender finanzieller Ausstattung können JESSICA-Stadtentwicklungsfonds<br />
auch in Stadtentwicklungsprojekte investieren, die nach den Strukturfondsverordnungen<br />
ganz oder teilweise nicht förderfähig sind. Maßgeblich ist allein, dass<br />
34 VO (EG) Nr. 1083/2006 vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen<br />
Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur<br />
Aufhebung der VO (EG) Nr. 1260/1999 zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 539/2010 vom 16. Juni<br />
2010.<br />
35 EIB/DLA Piper, Verwendung von EFRE-Mitteln im Rahmen von JESSICA-Fonds - Themenpapier<br />
zum rechtlichen Umfeld, 2009, S. 12 (abrufbar unter http://www.eib.org/attachments/documents/<br />
jessica-legal-study-germany-de.pdf , zuletzt abgerufen am 29.11.2010).<br />
36 VO (EG) Nr. 1080/2006 vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />
und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1783/1999, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 846/2009<br />
vom 1. September 2009.
Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 99<br />
eine rechnerische Trennung von förderfähigen und nicht förderfähigen Teilinvestitionen<br />
gewährleistet ist.<br />
Die meisten Rechtsfragen ergeben sich derzeit im Zusammenhang mit der Anwendung<br />
der Verordnung (EG) Nr. 1828/2006 (Durchführungsverordnung). 37 Insbesondere<br />
die Vorschriften des Abschnitts 8 – Finanztechnische Maßnahmen (Art. 43,<br />
44, 45 und 46) sind für JESSICA-<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente von Bedeutung, da dort<br />
detaillierte Vorgaben zum Aufbau und zum Einsatz der <strong>Finanzierung</strong>selemente aufgestellt<br />
werden. Hier werden die Fragen zum "Financial Engineering" des Fonds,<br />
wie die Bemessung der Verwaltungskosten oder Anforderungen an einen Unternehmensplan<br />
und die Ertragsverwendung näher geregelt. Als Begünstigter im Sinne<br />
der Strukturfondsverordnungen ist der Stadtentwicklungsfonds für die Einhaltung<br />
dieser Pflichten aus der Durchführungsverordnung und insbesondere der Berichtspflichten<br />
selbst verantwortlich.<br />
Die Kommission wird nach Art. 103 VO (EG) Nr. 1083/2006 im Rahmen der Anwendung<br />
der Verordnungsvorschriften durch einen Koordinierungsausschuss, dem<br />
COCOF unterstützt. Der COCOF erarbeitet Hinweise zur Auslegung der Strukturfondsverordnungen.<br />
Die für die Anwendung von JESSICA besonders relevanten<br />
Interpretationen finden sich in den beiden Guidance Notes on Financial Engineering<br />
aus 2007 38 und 2008 39 sowie der Guidance Note zur Förderungswürdigkeit<br />
von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien durch EFRE und den Kohäsionsfonds<br />
im Bausektor (inklusive Wohnungsbau). 40 Darüber hinaus ist in absehbarer<br />
Zeit mit einer weiteren COCOF-Note zu rechnen, die insbesondere die Verwendung<br />
und Bewertung von Sacheinlagen – insbesondere Grundstücken – in JESSICA-<br />
Konstruktionen zum Gegenstand haben soll.<br />
37<br />
VO (EG) Nr. 1828/2006 vom 8. Dezember zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur VO<br />
(EG) Nr. 1083/2006 des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für<br />
regionale <strong>Entwicklung</strong>, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und der VO (EG)<br />
Nr. 1080/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für<br />
regionale <strong>Entwicklung</strong>, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 846/2009 vom 1. September 2009.<br />
38<br />
Note of the Commission services on Financial Engineering in the 2007-13 programming period<br />
(COCOF/07/0018/01-EN).<br />
39<br />
Guidance Note on Financial Engineering (COCOF 08/0002/03-EN).<br />
40<br />
Guidance Note on Eligibility of Energy Efficiency and Renewable Energies Interventions under the<br />
ERDF and the Cohesion Fund (2007-2013) in the Building Sector Including Housing (COCOF<br />
08/0034/02/EN).
100 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />
3.2. Mittelbereitstellung und nationale Kofinanzierung<br />
Als wesentliches Element der Strukturfondsförderung findet auch für JESSICA-<br />
Modelle das Prinzip der nationalen Kofinanzierung Anwendung. 41 Dieses charakterisiert<br />
sich dadurch, dass ein Einsatz von EFRE-Mitteln nur zulässig ist, wenn<br />
zu einer bestimmten Quote gleichzeitig nationale Mittel in das geförderte Projekt<br />
eingebracht werden. Dieser nationale Komplementäranteil zu den Mitteln aus dem<br />
EFRE kann aus Sicht der Strukturfondsverordnungen sowohl aus öffentlichen als<br />
auch aus privaten Quellen geleistet werden. In einigen Konzeptionen der Bundesländer<br />
soll der nationale Kofinanzierungsanteil beispielsweise durch die jeweiligen<br />
Landesförderbanken bereitgestellt werden. 42 Bei der Entscheidung, auf welcher<br />
Ebene die nationale Komplementärfinanzierung geleistet werden soll, zeigen sich<br />
die Strukturfondsverordnungen für flexible Lösungen offen. So kann die nationale<br />
Kofinanzierung sowohl auf (Holding-) Fondsebene, als auch auf Ebene der Projekte<br />
erbracht werden. Für die Umsetzung von JESSICA von entscheidender Bedeutung<br />
könnte sich die Möglichkeit erweisen, den nationalen Kofinanzierungsanteil auch<br />
durch Sacheinlagen zu erbringen. Gerade für Investitionen von Stadtentwicklungsfonds<br />
im Bereich der Brachflächensanierung könnten sich hier interessante Lösungen<br />
entwickeln lassen. Die Einbindung kommunalen Grundeigentums wird indes<br />
einer näheren haushaltsrechtlichen Prüfung im Einzelfall unterzogen werden müssen.<br />
Als weitere allgemeine Vorgabe der Strukturfondsverordnungen gilt es auch die<br />
zeitliche Dimension des Mittelabrufs, also die sog. n+2-Regel zu beachten. 43 Diese<br />
besagt, dass diejenigen Mittel, die nicht bis zum 31. Dezember des zweiten Jahres<br />
nach dem Jahr der Mittelbindung gegenüber der Kommission als verausgabt nachgewiesen<br />
werden, automatisch verfallen.<br />
41 Art. 9 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1083/2006.<br />
42 Vgl. z.B. die Darstellung des Stadtentwicklungsfonds Nordrhein-Westfalen in Wucherpfennig,<br />
ExWoSt-Informationen 35/2 - 04/2010, S. 8 f.<br />
43 Art. 93 VO (EG) Nr. 1083/2006.
Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 101<br />
3.3. Fondsmanagement und Fondsgestaltung<br />
Die Ausgestaltung des Fonds und insb. die Wahl des Fondsmanagements wird<br />
maßgeblich durch Art. 43 Abs. 3 der Durchführungsverordnung bestimmt. Danach<br />
müssen Stadtentwicklungsfonds entweder als eigenständige rechtliche Einheit<br />
oder als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock innerhalb einer Finanzinstitution errichtet<br />
werden. Die Ansiedlung des Fondsmanagements innerhalb der EFRE-<br />
Verwaltungsbehörde scheidet damit aus. 44 Soll der Stadtentwicklungsfonds Fremdkapital<br />
ausreichen, ist in Deutschland nach den Vorgaben des Kreditwesengesetzes<br />
(KWG) eine Banklizenz erforderlich, was für die Einrichtung des Fonds als <strong>Finanzierung</strong>sblock<br />
innerhalb einer Finanzinstitution sprechen kann. Ob es sich dabei<br />
um eine öffentliche oder eine private Bank handelt, spielt aus Sicht der Strukturfondsverordnungen<br />
keine Rolle, hat aber Auswirkungen auf beihilfen- und vergaberechtliche<br />
Fragestellungen. Obliegt das Fondsmanagement einem privaten Akteur,<br />
muss beispielsweise dessen Vergütung für die Verwaltung (auch) öffentlicher Mittel<br />
den Anforderungen des Beihilfen- und Vergaberechts genügen, um ungerechtfertigten<br />
Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen. Dies gilt unabhängig von der Regelung<br />
in Art. 43 Abs. 4 der Durchführungsverordnung, wonach das Fondsmanagement<br />
auf den am Ende der Förderperiode ausgereichten und abgerechneten Betrag<br />
im Schnitt maximal 3 % pro Jahr als Managementgebühr erheben darf. 45<br />
3.4. Beihilfenrecht<br />
Das europäische Beihilfenrecht nach Art. 107 ff. AEUV ist als Bestandteil des europäischen<br />
Wettbewerbsrechts gegen mitgliedstaatliche Eingriffe in den Wettbewerb<br />
gerichtet. 46 In JESSICA-Konstruktionen können derartige Eingriffe auf verschiedenen<br />
Ebenen und in unterschiedlicher Art und Weise auftauchen. So können insb.<br />
die Einbeziehung privater Investoren auf Fonds- oder Projektebene, die Vergütung<br />
des Fondsmanagers oder die Errichtung einer Projektgesellschaft grundsätzlich den<br />
Beihilfentatbestand erfüllen, wenn die staatliche Maßnahme dem sogenannten Private<br />
Investor Test nicht standhält. Von einer Beihilfe im rechtlichen Sinne kann<br />
demnach nicht gesprochen werden, wenn das Verhalten des Staates dem Verhal-<br />
44<br />
Vgl. EIB, Machbarkeitsstudie Saarland, 2010, S. 48 (abrufbar unter<br />
http://www.eib.org/attachments/jessica_evaluation_study_saarland_de.pdf, zuletzt abgerufen am<br />
1.12.2010).<br />
45<br />
Dazu ausführlich EIB/DLA Piper, Verwendung von EFRE-Mitteln im Rahmen von JESSICA-Fonds<br />
- Themenpapier zum rechtlichen Umfeld, 2009, S. 31 ff. (abrufbar unter<br />
http://www.eib.org/attachments/documents/jessica-legal-study-germany-de.pdf, zuletzt abgerufen<br />
am 29.11.2010).<br />
46<br />
Vgl. Heidenhain, Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, München 2003, 1. Kapitel, § 1, Rn.<br />
1.
102 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />
ten eines marktwirtschaftlichen Kapitalgebers entspricht. 47 Soweit eine staatliche<br />
Maßnahme als Beihilfe zu qualifizieren ist, kann diese dennoch mit dem gemeinsamen<br />
Markt vereinbar sein. So ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass einige<br />
Maßnahmen im JESSICA-Kontext unter die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnungen<br />
48 fallen und somit auch ohne Notifizierung als mit dem gemeinsamen<br />
Markt vereinbar gelten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere<br />
auf Regionalbeihilfen oder Beihilfen zu Gunsten von KMU. Alle übrigen Beihilfen<br />
unterliegen einer Notifizierungspflicht. Diese Notifizierungen können entweder auf<br />
bestimmte Kommissionsleitlinien 49 oder direkt auf den AEUV gestützt werden. Die<br />
beihilfenrechtliche Lösung zahlreicher Detailfragen, wie etwa die Ansetzung des<br />
internen Zinsfußes, wird gegenwärtig bei der Kommission durch die zuständige Generaldirektion<br />
Wettbewerb noch geprüft und diskutiert. Im Rahmen dieses Prozesses<br />
ist im Laufe des Jahres 2011 mit offiziellen Stellungnahmen der Kommission<br />
und ersten Beihilfeentscheidungen im Zusammenhang mit JESSICA-Konzepten zu<br />
rechnen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass – soweit eine Notifizierung beabsichtigt<br />
ist – schon so früh wie möglich der Austausch mit der Kommission gesucht werden<br />
sollte, um einen reibungslosen Notifizierungsablauf zu gewährleisten. Eine intensive<br />
beihilfenrechtliche Prüfung der beabsichtigten Maßnahmen ist in jedem Fall<br />
schon bei der Konzeption des Fonds von entscheidender Bedeutung.<br />
3.5. Vergaberecht<br />
Auch das im Wesentlichen auf europarechtlichen Vorgaben basierende Vergaberecht<br />
kann auf verschiedenen Ebenen zum Tragen kommen. Dabei ist von grundsätzlicher<br />
Bedeutung, ob der Auftraggeber als staatlich oder als privat zu qualifizieren<br />
ist und ob die jeweiligen Auftragsvolumina die vergaberechtlich relevanten<br />
Schwellenwerte erreichen. Auf einer ersten Ebene kann zunächst die Auswahl des<br />
Fondsmanagements durch die EFRE-Verwaltungsbehörde einem Ausschreibungserfordernis<br />
unterliegen. Dies dürfte unzweifelhaft der Fall sein, wenn ein privates<br />
Finanzinstitut mit dem Fondsmanagement betraut werden soll. Auf einer nächsten<br />
Ebene – und insbesondere dann, wenn das Fondsmanagement in öffentlicher Hand<br />
verbleibt – kann die Auswahl der zu finanzierenden Projektentwickler einem Ausschreibungserfordernis<br />
unterliegen. Die Komplexität sowohl der vergaberechtlichen<br />
47 Giesberts/Streit, EuZW 2009, S. 484 (S. 485).<br />
48 Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit<br />
bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87<br />
und 88 EG-Vertrag.<br />
49 Z.B. Leitlinien für staatliche Beihilfen mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung 2007-2013, Abl. C 54 vom<br />
4.3.2006, S. 13; Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen, Abl. C 82 vom 1.4.2008.
Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 103<br />
Regelungen als auch der Ausgestaltungs-möglichkeiten von JESSICA-Fonds machen<br />
auch hier eine detaillierte Prüfung im Einzelfall notwendig.<br />
4. Nationales Recht<br />
Soweit das Europarecht keine entgegenstehenden Regelungen trifft, bleibt der nationale<br />
Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten weiter anwendbar. 50 Damit unterliegt die<br />
Ausgestaltung eines JESSICA-Stadtentwicklungsfonds im Einzelfall sowohl öffentlich-rechtlichen<br />
als auch allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben.<br />
Aus öffentlich-rechtlicher Sicht muss die konkrete Ausgestaltung eines Stadtentwicklungsfonds<br />
insbesondere haushaltsrechtlichen und kommunal-rechtlichen Vorgaben<br />
genügen. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die in einigen Landeshaushaltsordnungen<br />
vorgesehenen Restriktionen im Hinblick auf Beteiligungen an privaten<br />
Unternehmen 51 hingewiesen. Aus kommunalrechtlicher Sicht können sich<br />
Beschränkungen aus den Vorgaben über die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden<br />
52 oder aus eventuell vorliegenden Genehmigungs-erfordernissen, z.B. bei<br />
der Aufnahme von Krediten, ergeben.<br />
Neben den bereits angesprochenen Vorgaben des Kapitalmarktrechts stellen sich<br />
aus zivilrechtlicher Perspektive nicht zuletzt Fragen des Gesellschaftsrechts, z.B.<br />
bei der Wahl der Rechtsform des Fonds. Diese wird maßgeblich von der gewünschten<br />
Ausgestaltung der Haftungsverhältnisse bestimmt. Dabei können wiederum<br />
beihilfenrechtlichen Fragen relevant werden, wenn z.B. das sogenannte<br />
First Loss-Risiko privater Investoren abgemildert werden soll.<br />
50<br />
Zum Anwendungsvorrang des Europarechts Ruffert, in Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der<br />
Europäischen Union, 3. Auflage München 2007, Art. 249 EGV, Rn. 22 ff.<br />
51<br />
Vgl. z.B. § 65 Landeshaushaltsordnung NRW.<br />
52<br />
Vgl. z.B. §§ 107 ff. Gemeindeordnung NRW.
104 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />
5. Fazit<br />
Die Verflechtung unterschiedlicher Rechtsgebiete und Regelungsebenen sowie die<br />
zahlreichen Ausgestaltungsmöglichkeiten von JESSICA-Instrumenten zeigen, dass<br />
der Einsatz von JESSICA neue Möglichkeiten im Bereich der Städtebauförderung<br />
eröffnet, gleichzeitig jedoch auch neue und komplexe rechtliche Fragestellungen<br />
aufwirft. Durch die Möglichkeit, verschiedene Mittelquellen auf verschiedenen Ebenen<br />
zu bündeln und verschiedene revolvierende <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente (gegebenenfalls<br />
auch mit Zuschüssen) zu kombinieren, wird den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden<br />
und Investoren mit JESSICA ein äußerst flexibles Konzept an die<br />
Hand gegeben. Gerade diese Flexibilität und Einbindungsmöglichkeiten privaten<br />
Kapitals sind zwingend notwendig, um eine zukunftsorientierte Städtebauförderung<br />
zu ermöglichen. Unbestritten führt diese neu gewonnene Flexibilität auch zu einem<br />
gewissen Maß an zusätzlicher Komplexität. Im Wege einer zielgerichteten rechtlichen<br />
wie tatsächlichen Analyse in der Konzeptionsphase eines Stadtentwicklungsfonds<br />
lassen sich jedoch strukturierte Lösungen finden, um den durch JESSICA<br />
beabsichtigten Mehrwert für alle Beteiligten herbeizuführen.<br />
Kontakt:<br />
Dr. Maximilian Schwab<br />
Willkie, Farr & Gallagher<br />
Senckenberganlage 16<br />
60325 Frankfurt<br />
Tel.: 069-79302139<br />
E-Mail: mschwab@willkie.com<br />
Sebastian Gröss<br />
DLA Piper UK LLP<br />
Hohenzollernring 72<br />
50672 Köln<br />
Tel.: 0221-277277351<br />
E-Mail: Sebastian.Groess@dlapiper.com
Stadtentwicklungsfonds<br />
von Christian Plöhn und Andreas Jacob<br />
1. Einführung und Definition<br />
Die Herausforderungen an Städte in Deutschland und Europa sind vielseitig: Das<br />
Zusammenspiel demografischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer <strong>Entwicklung</strong>en<br />
führt zu immer neuen stadtentwicklungspolitischen Fragestellungen, für<br />
deren Lösung ein entsprechender Investitionsbedarf entsteht. In gleichem Maße<br />
gestaltet sich dessen <strong>Finanzierung</strong> für die Städte allein zunehmend schwieriger,<br />
sodass schon seit geraumer Zeit nach Möglichkeiten gesucht wird, privates Kapital<br />
für Investitionen in stadtentwicklungspolitisch bedeutsame Projekte und Maßnahmen<br />
zu mobilisieren. Die Europäische Union ist sich dieser Problematik bewusst<br />
und reagierte u.a. 2005 mit der Initiierung der JESSICA-Initiative („Joint European<br />
Support for Sustainable Investments in City Areas“) 53 .<br />
Im Gegensatz zur im Bereich der Stadtentwicklung bestehenden Zuschussförderung<br />
ermöglicht die JESSICA-Initiative den Einsatz von revolvierenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten.<br />
Das bedeutet, dass EU-Strukturmittel zusammen mit der entsprechenden<br />
nationalen Kofinanzierung in einen Stadtentwicklungsfonds eingelegt<br />
werden, der dann im Nachgang Projekte durch den Einsatz von Darlehen, Garantien<br />
und Eigenkapitalbeteiligungen fördert. Diese <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente haben<br />
einen Rückfluss an Kapital an den Stadtentwicklungsfonds zur Folge, das dann<br />
wiederum förderwirksam eingesetzt werden kann. Dadurch wird auch deutlich, dass<br />
diese Art der nicht-zuschussbasierten Förderung andere Stadtentwicklungsprojekte<br />
anspricht als bisher.<br />
Während „der Markt“ rentable Stadtentwicklungsprojekte aus sich selbst heraus<br />
umsetzt, konzentriert sich die „klassische“ Zuschussförderung auf unrentable Projekte.<br />
Die Stadtentwicklungsprojekte, die im Fokus der Förderung durch einen<br />
Stadtentwicklungsfonds liegen, weisen auch eine gewisse Rentabilität bzw. rentable<br />
Anteile auf – allerdings in einem derart geringen Maße oder verbunden mit einem<br />
derart hohen Risiko, dass sie auf dem Markt nicht selbstständig umgesetzt werden.<br />
Folgt man der CABERNET 54 -Klassifikation, so handelt es sich dabei um typische B-<br />
Projekte (A: Markfähigkeit, C: Zuschussbedarf).<br />
53 „Financing Growth and Cohesion in the enlarged EU“ – Konferenz am 24. November in Brüssel.<br />
54 Concerted Action on Brownfield and Economic Regeneration Network (CABERNET): Europäisches<br />
Expertennetzwerk zur Bearbeitung von akteursbezogenen Fragestellungen rund um die<br />
<strong>Entwicklung</strong> von Brachflächen (www.cabernet.org.uk).
106 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
Diese Projekte sind dabei meist von besonderer stadtentwicklungspolitischer Bedeutung,<br />
da durch ihre Umsetzung oft weitere stadtentwicklungsrelevante private<br />
Investitionen im Projektumfeld getätigt werden.<br />
Der Förderbedarf sowie die Höhe und Regelmäßigkeit möglicher Rückflüsse aus<br />
den Projekten an den Stadtentwicklungsfonds hängt vor allem davon ab, in welcher<br />
Phase des Immobilien-Lebenszyklus sich das Projekt befindet. Handelt es sich um<br />
eine Immobilienentwicklung, also um eine Landentwicklung, Projektentwicklung<br />
oder eine größer angelegte Revitalisierungsmaßnahme, so ist der Kapitalbedarf<br />
bereits zu Beginn des Projektes sehr groß und erste Rückflüsse sind erst ab der<br />
Fertigstellung der baulichen Maßnahmen zu erwarten. Bei Projekten innerhalb der<br />
Phasen der Immobiliennutzung (Modernisierungen) ist der Kapitalbedarf im Vergleich<br />
geringer, da in einer genutzten Immobilie keine größeren Veränderungen erfolgen,<br />
und Rückflüsse resultieren bereits aus der bestehenden Nutzung. Allen B-<br />
Projekten ist jedoch gemein, dass die Rückzahlung der vom Stadtentwicklungsfonds<br />
erhaltenen Förderung eher mittel- bis langfristig anzusetzen ist, da aufgrund<br />
der geringen Renditeerwartung und der hohen Risiken deren finanzieller Spielraum<br />
stark begrenzt ist.<br />
Abbildung 1: <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente von Stadtentwicklungsfonds<br />
Die Auswahl der einzusetzenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente ist ebenfalls im Zusammenhang<br />
mit den jeweiligen Projekten zu sehen. Die Vergabe von Darlehen<br />
und Garantien eignet sich im Besonderen für Projekte in der Nutzungsphase, da der<br />
Kapitaldienst direkt über die regelmäßigen Einnahmen geleistet werden kann. Bei<br />
Immobilienentwicklungen ist meist Eigenkapital der klassische Engpassfaktor, da<br />
von dessen Einsatz auch die Verfügbarkeit und Kosten der für die <strong>Entwicklung</strong> nötigen<br />
Fremdfinanzierung abhängen. Gleichzeitig erlaubt eine Eigenkapitalbeteiligung<br />
die Abschöpfung von möglichen <strong>Entwicklung</strong>sgewinnen – im Falle von Verlusten<br />
erfolgt jedoch gleichermaßen ein Kapitalverzehr.
Stadtentwicklungsfonds 107<br />
Eine wichtige Voraussetzung für eine Förderung durch einen EFRE-gespeisten<br />
Stadtentwicklungsfonds ist die Einbindung des in Frage kommenden Projektes in<br />
einen integrierten Stadtentwicklungsplan. Dabei ist es den EU-Mitgliedstaaten<br />
selbst überlassen, wie diese Einbindung konkret aussieht – wo kein explizites Konzept<br />
vorhanden ist oder es sich im Aufstellungsprozess befindet, muss nachgewiesen<br />
werden, inwiefern sich das Prinzip der integrierten Stadtentwicklung in den bestehenden<br />
Plänen und Abstimmungsprozessen der räumlichen und fachlichen Planung<br />
wiederfindet.<br />
2. Holdingfonds 55 vs. Stadtentwicklungsfonds 56<br />
Die Einrichtung eines Holdingfonds, der mehreren Stadtentwicklungsfonds vorgeschaltet<br />
ist, kann sich als sinnvoll erweisen und liegt – sofern EFRE-Mittel in den<br />
Holdingfonds und damit auch in die Stadtentwicklungsfonds eingelegt werden sollen<br />
– im direkten Entscheidungsspielraum der zuständigen Verwaltungsbehörde des<br />
Mitgliedstaats oder der Länder. Mit Hilfe des Holdingsfonds können in einem Fonds<br />
zentral Finanzmittel gesammelt und dann auf mehrere Stadtentwicklungsfonds mit<br />
unterschiedlichen Finanzvolumina verteilt werden. Somit wird zum einen die Kapitalakquisition<br />
kanalisiert und zum anderen gleichzeitig die Vergabe der Fördermittel<br />
spezialisiert.<br />
Der Holdingfonds übernimmt dabei von der Verwaltungsbehörde alle relevanten<br />
Aufgaben, die für die Umsetzung von Stadtentwicklungsfonds notwendig sind, wie<br />
z.B. die Auswahl von Stadtentwicklungsfonds (inklusive Prüfung von Businessplänen),<br />
die Vertragsabschlüsse mit den verschiedenen Stadtentwicklungs-fonds, das<br />
Monitoring und die Umsetzungskontrolle der vertraglichen Vereinbarungen zwischen<br />
Verwaltungsbehörde und Holdingfonds in der Projektion durch die Verträge<br />
mit den einzelnen Stadtentwicklungsfonds. Ein mit entsprechendem Know-how<br />
ausgestatteter Holdingfondsmanager kann der an der Umsetzung der JESSICA-<br />
Initiative interessierten Verwaltungsbehörde auch die dafür nötige Infrastrukturausstattung<br />
bieten und somit die Verwendung der in der Stadtentwicklung neuen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
Darlehen, Garantie und Eigenkapitalbeteiligung effizienter<br />
verwalten. Er besitzt dabei den Überblick über das gesamte dem Holdingfonds zur<br />
Verfügung stehende Kapital einerseits und den aus den Einsätzen bestimmter <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
resultierenden Kapitalbedarfen der einzelnen Stadtent-<br />
55 Für weitergehende Informationen s. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission<br />
(Hrsg.) (2010): JESSICA – Holding Fund Handbook, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.<br />
56 Für weitergehende Informationen s. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission<br />
(Hrsg.) (2010): JESSICA – UDF Typologies and Governance Structures in the context of<br />
JESSICA implementation, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.
108 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
wicklungsfonds andererseits. Darüber hinaus ermöglicht der Holdingfonds eine einfachere<br />
Koordinierung der Kapitalverwendung aus mehreren Operationellen Programmen<br />
gleichzeitig. 57<br />
Abbildung 2: Holdingfonds<br />
Stadtentwicklungsfonds fördern die konkreten Stadtentwicklungsprojekte mit dem<br />
Einsatz revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente. Wenn ihnen keine Holdingfonds<br />
vorgeschaltet sind, übernimmt das Management des Stadtentwicklungsfonds die<br />
Aufgaben, die weiter oben dem Management des Holdingfonds zugeordnet wurden,<br />
zusätzlich zu denen, die aus der konkreten Förderung von Projekten resultieren.<br />
Sofern der Stadtentwicklungsfonds sein verfügbares Kapital nicht von einem Holdingfonds<br />
zugeteilt bekommt, ist dessen Management für die Organisation der verschiedenen<br />
möglichen Finanzquellen (und eventuellen Rückzahlmodalitäten) verantwortlich.<br />
Bei einem EFRE-geförderten Stadtentwicklungsfonds stellt sich an diesem<br />
Punkt zunächst die Frage nach der nötigen Kofinanzierung der in den Fonds<br />
eingelegten EFRE-Mitteln. Die ursprüngliche Intention des Kofinanzierungsprinzips<br />
war die gleichzeitige Bereitstellung von europäischen Strukturfondsmitteln zum einen<br />
und von landeseigenen Haushaltsmitteln zum anderen. Aufgrund des revolvierenden<br />
Prinzips in der Projektförderung mit finanziellen Rückflüssen an den Fonds<br />
können nun auch Darlehen (z.B. durch Förderbanken zu günstigen Konditionen an-<br />
57 Vgl. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (EC) (Hrsg.) (2010): JES-<br />
SICA – Holding Fund Handbook, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.
Stadtentwicklungsfonds 109<br />
geboten) zur Kofinanzierung herangezogen werden, da der Fonds selbst entsprechende<br />
Kapitaldienste leisten kann. Darüber hinaus ist es ebenfalls durchaus denkbar,<br />
dass er Kapitalgaben von institutionellen Anlegern mit geringeren Renditeerwartungen<br />
(z.B. Stiftungskapital) einwirbt.<br />
Die zentrale Aufgabe des Managements des Stadtentwicklungsfonds ist jedoch die<br />
Vorbereitung und Abwicklung der Förderung der Projekte 58 . Es hat im Fall der Verwendung<br />
von EFRE-Mitteln gegenüber der zuständigen Verwaltungsbehörde nachzuweisen,<br />
dass die Mittel in den geförderten Projekten entsprechend der Vorgaben<br />
des jeweiligen Operationellen Programms verwandt werden und hat dies auch während<br />
des Förderungsvollzugs zu überprüfen. Das Management wählt die zu fördernden<br />
Projekte anhand von stadtentwicklungspolitischen und wirtschaftlichen<br />
Kriterien aus.<br />
Nach Maßgabe der Verordnung (EG) 1080/2006 über den EFRE müssen sich die<br />
Projekte in einen Integrierten Stadtentwicklungsplan einfügen; die weitere stadtentwicklungspolitische<br />
Förderfähigkeit hängt von den Vorgaben des Operationellen<br />
Programms ab (Nutzungen und räumliche Begrenzung der Förderkulisse). Förderung<br />
von Wohnungsbau ist bis auf energetische Sanierungsmaßnahmen durch die<br />
Verordnung grundsätzlich für Deutschland ausgeschlossen. Bei Förderungen des<br />
Stadtentwicklungsfonds, für die keine EFRE-Mittel inklusive dazugehöriger Kofinanzierung<br />
ausgereicht werden bzw. für Stadtentwicklungsfonds ohne Kapitaleinlage<br />
der Europäischen Strukturfonds besteht dementsprechend keine Einschränkung<br />
hinsichtlich der Förderfähigkeit von Projekten.<br />
Im Bezug zu wirtschaftlichen Kriterien entscheidet das Fondsmanagement, welche<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente am sinnvollsten eingesetzt werden können, bewertet<br />
Zeitpunkte und Höhe des Förderbedarfs, Rückzahlungsmöglichkeiten und Ausfallrisiken<br />
und prüft Passgenauigkeit des Projekt-Businessplans auf den des Stadtentwicklungsfonds.<br />
Wie schon beim Management des Holdingfonds angesprochen, ist<br />
an dieser Stelle spezifisches finanzpolitisches Know-how vonnöten, das gleichzeitig<br />
um Kenntnisse der Immobilienprojektentwicklung, der Integrierten Stadtentwicklung<br />
und der formalen Modalitäten der EU-Förderung ergänzt werden muss.<br />
58 Grundsätzlich sind alle Stadtentwicklungsprojekte mit der vorab beschriebenen <strong>Finanzierung</strong>sstruktur<br />
für einen Stadtentwicklungsfonds förderfähig. EFRE-Mittel dürfen jedoch nur nach Maßgabe<br />
der Artikel 4, 5 und 6 in Verbindung mit Artikel 8 (Nachhaltige Stadtentwicklung) der Verordnung<br />
(EG) 1080/2006 gefördert werden. Dieser Artikel ermöglicht die Unterstützung von Büro-,<br />
Einzelhandel-, Gewerbe- und Technologieentwicklungen, <strong>Entwicklung</strong>en von Freizeit- und Kultureinrichtungen,<br />
Hotels, Krankenhäusern und Schulen, energetischen Sanierungsmaßnahmen im<br />
öffentlichen und privaten Bereich, die Integration von ergänzenden (auch privaten) Nutzungen in<br />
öffentlich genutzten Gebäuden sowie Maßnahmen zur Aufwertung und Verbesserung der Infrastrukturnetze<br />
(Energie, Wasser/Abwasser, Verkehr, Kommunikation, Entsorgung).
110 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
Abbildung 3: Förderstruktur des Stadtentwicklungsfonds 59<br />
Aufgrund dieser inhaltlichen Vorgaben und den weiteren organisatorischen Bestimmungen<br />
der europäischen Verordnungen besteht nur ein gewisser Gestaltungsspielraum<br />
bei den Umsetzungsstrukturen von Stadtentwicklungsfonds. So ist zunächst<br />
vorgeschrieben, dass mit EFRE-Mitteln gespeiste Stadtentwicklungsfonds<br />
nur als eigenständige rechtliche Einheit oder als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock<br />
innerhalb einer Finanzinstitution (getrennte Buchführung) eingerichtet werden dürfen<br />
60 (siehe hierzu auch den Beitrag von Schwab/Gröss). Darüber hinaus sind aufgrund<br />
der Anforderungen an das Management eines Stadtentwicklungsfonds sehr<br />
häufig mehrere Akteure beteiligt, deren Interessen unter einen Hut gebracht werden<br />
müssen:<br />
� EFRE-Verwaltungsbehörde: verbleibt Direktverantwortliche gegenüber der EU<br />
bezüglich der Verwendung der Europäischen Fördermittel, auch wenn das<br />
Fondsmanagement einige Aufgaben übernimmt.<br />
� Für Stadtentwicklung zuständiges Landesministerium: bislang Fokussierung<br />
auf die Vergabe von Zuschüssen und alleinentscheidende Institution, muss<br />
(Teil-)Kompetenzen an das Fondsmanagement abgeben.<br />
59 Europäische Investitionsbank (EIB)/Europäische Kommission (Hrsg.) (2010): UDF Typologies and<br />
Governance Structures in the context of JESSICA implementation, Europäische Investitionsbank,<br />
Luxemburg, S. 12.<br />
60 Art. 43 Verordnung (EG) 1828/2006.
Stadtentwicklungsfonds 111<br />
� Förderbank: möglicher Fondsmanager und/oder Kapitalgeber (im Besonderen<br />
bei der Kofinanzierung von EFRE-Mitteln).<br />
� Experte im Bereich Stadtentwicklung (z.B. Landesentwicklungsgesellschaft):<br />
Erfahrung und Wissen um stadtentwicklungspolitische Zielsetzung und immobilienwirtschaftliche<br />
Leistungsfähigkeit von Projekten.<br />
Die zuvor genannten Akteure bilden meist den Kern der für die Umsetzung von<br />
Stadtentwicklungsfonds erarbeiteten Governance-Modelle 61 , der um weitere Akteure<br />
aus anderen Ministerien, Vertreter von Städten und Gemeinden, regionale private<br />
Investoren und Entwickler sowie andere Gutachter und Experten situationsbedingt<br />
erweitert wird.<br />
3. <strong>Entwicklung</strong>sgeschichte und derzeitiger Sachstand<br />
Im Jahr 2005 wurde von der damals für Regionalentwicklung zuständigen EU-<br />
Kommissarin Danuta Hübner die JESSICA-Initiative ins Leben gerufen, um den sich<br />
ändernden Rahmenbedingungen in der europäischen Stadtentwicklungspolitik<br />
(steigender Investitionsbedarf in unterschiedlichen Politikfeldern bei gleichzeitiger<br />
Verknappung der dafür zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel) Rechnung tragen<br />
zu können. Sie wurde in die bestehende, auf dem Zuschussprinzip basierende<br />
Förderung der Nachhaltigen Stadtentwicklung integriert, die sich in den für den für<br />
die Förderperiode 2007–2013 formulierten Zielen „Konvergenz“, „Regionale Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Beschäftigung“ und „Territoriale Zusammenarbeit“ wiederfindet.<br />
Um die offenen Fragen in Bezug zur Umsetzung der Initiative vorab zu klären,<br />
wurde im Mai 2007 eine Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus interessierten Mitgliedstaaten<br />
und Institutionen unter Federführung des deutschen Bundesministeriums für<br />
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingerichtet. Die erarbeiteten<br />
Schlussfolgerungen und Empfehlungen wurden im Rahmen der Konferenz der EU-<br />
Stadtentwicklungsminister im November 2008 zur Kenntnis genommen und den<br />
Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung empfohlen; der entsprechende Forschungsbericht<br />
wurde Anfang 2009 veröffentlicht 62 .<br />
Basierend auf dem Memorandum of Understanding zwischen der Europäischen<br />
Kommission, der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der <strong>Entwicklung</strong>sbank<br />
des Europarates (CEB) wurden seit 2007 eine Vielzahl von durch die EIB finanzierten<br />
Machbarkeitsstudien in den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt, die 2008 in die<br />
<strong>Entwicklung</strong> und Einrichtung der ersten Holdingfonds mündeten. In Deutschland<br />
61 Aufbau und Ablauforganisation, inkl. Aussagen zur Verteilung von Kompetenzen und Verantwortungsbereichen,<br />
Förderantragstellung und -bearbeitung sowie Kapitalflüsse.<br />
62 BMVBS/BBSR (Hrsg.) (2009): Stadtentwicklungsfonds in Europa. Ideen zur Umsetzung der JES-<br />
SICA-Initiative, BBSR-Online-Publikation 02/2009.
112 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
starteten Ende 2008 das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung<br />
(BBSR) und das BMVBS das ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtentwicklungsfonds in<br />
Deutschland“ mit fünf Modellvorhaben (Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-<br />
Westfalen, Rheinland-Pfalz und Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)/ohne EFRE-<br />
Mittel), die die Einrichtung von Stadtentwicklungsfonds erproben sollten. Daneben<br />
evaluierten auch noch andere Länder die mögliche Einrichtung eines Stadtentwicklungsfonds<br />
(Berlin, Saarland). Während sich die <strong>Entwicklung</strong>en in Europa weiter<br />
zunächst hauptsächlich auf Holdingfonds konzentrierten, wurde im Sommer 2009<br />
der EU-weit erste Stadtentwicklungsfonds in Brandenburg umgesetzt.<br />
Ende 2010 stellt sich die Situation in Deutschland und Europa ähnlich dar. Im Zuge<br />
der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden freies Kapital und personelle Ressourcen<br />
hauptsächlich in zuschussbasierten Konjunkturmaßnahmen gebunden, darüber<br />
hinaus nahm der politische Wille, neue <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zu erproben, aufgrund<br />
der Erfahrungen der Jahre davor stark ab. Dadurch wurde der <strong>Entwicklung</strong>sfluss<br />
der Stadtentwicklungsfonds deutlich gebremst. Während Rheinland-Pfalz und<br />
die KfW verstärkt theoretische Grundüberlegungen angestrengt haben, wurden in<br />
Berlin und dem Saarland umsetzungsfähige Fondsmodelle von der politischen Entscheidungsebene<br />
zurückgestellt. In Nordrhein-Westfalen steht ein Stadtentwicklungsfonds<br />
vor der direkten Umsetzung, allerdings mit stark reduziertem Volumen.<br />
Ähnliches gilt auch für Hamburg, wo zusätzlich zunächst auf die Einlage von EFRE-<br />
Mitteln verzichtet wird, um noch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten bezüglich<br />
der Nutzung von Europäischen Strukturfondsmitteln aus dem Weg zu gehen. Der<br />
seit 2009 bestehende Stadtentwicklungsfonds Brandenburg, der sich auf die Vergabe<br />
von vergünstigten Darlehen an Kommunen beschränkt, hat bis zu diesem Zeitpunkt<br />
nur zwei kommunalen Projekten eine Förderung gewähren können.<br />
Die Holdingfonds im europäischen Ausland entstanden hauptsächlich in den neuen<br />
EU-Mitgliedstaaten und weiteren Regionen mit hohen EFRE-Mittelzuweisungen und<br />
geringen Kofinanzierungsquoten. Sie wählten und wählen bis dato die nachgeschalteten<br />
Stadtentwicklungsfonds aus, die dann wiederum vor dem Problem stehen,<br />
nicht in ausreichendem Maße Projekte für eine Förderung zu finden, da die<br />
Auswirkungen der Finanzkrise im Besonderen die Projekte trafen, deren vom Start<br />
weg geringen Renditen komplett wegfielen. Gleiches gilt auch für die ohne Holdingfonds<br />
eingerichteten nicht-deutschen Stadtentwicklungsfonds.
Stadtentwicklungsfonds 113<br />
4. Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken von Stadtentwicklungsfonds<br />
63<br />
Die Betrachtung der Vor- und Nachteile von Stadtentwicklungsfonds sowie von deren<br />
Chancen und Risiken war integraler Bestandteil von Machbarkeitsstudien zur<br />
Umsetzung von Stadtentwicklungsfonds in den deutschen Ländern. Da in allen<br />
Ländern die mögliche Einlage von EFRE-Mitteln in den Stadtentwicklungsfonds den<br />
Ausgangspunkt aller Überlegungen bildete, beziehen sich die Ergebnisse der Studien<br />
auf Stadtentwicklungsfonds, die den Vorgaben zur Verwendung von EFRE-<br />
Mitteln unterliegen. Dennoch lassen sich darüber hinaus auch einige Punkte identifizieren,<br />
die für „EFRE-freie“ Fonds ebenfalls von Bedeutung sind.<br />
Allgemeine Vorteile sind u.a. der Einsatz neuer flexibler Förderinstrumente (auch in<br />
Kombination mit Zuschüssen), die mögliche mehrmalige Verausgabung derselben<br />
Mittel, die größere Hebelwirkung auf den Einsatz privaten Kapitals zur Umsetzung<br />
von stadtentwicklungspolitischen Zielen (kleine Förderungen verhelfen großen Projekten<br />
zum Erfolg). In Bezug zur Nutzung von EFRE-Mitteln ist hervorzuheben, dass<br />
aufgrund der Projektrückflüsse nun auch Darlehen zur Kofinanzierung genutzt werden<br />
können und dass die Verwendung der EFRE-Mittel nur bis zwei Jahre nach<br />
Ende der Förderperiode den Europäischen Bestimmungen unterliegt (bis dahin<br />
muss das gesamte Kapital in Projekte investiert sein, eine ehemalige Vorabprogrammierung<br />
der Mittel auf früher fällige Tranchen ist obsolet). Danach hat der<br />
Einsatz der zurückgeflossenen Mittel lediglich im Bereich der Integrierten Stadtentwicklung<br />
zu erfolgen 64 . Diese weiteren Verwendungsmöglichkeiten werden aber<br />
bereits in der Verwaltungsvereinbarung zwischen Fondsmanagement und EFRE-<br />
Verwaltungsbehörde festgelegt. Die Restriktionen der JESSICA-Initiative resultieren<br />
hauptsächlich aus den Einschränkungen zur Verwendung von EFRE-Mitteln (Zeitdruck<br />
bis 2015, Ausschluss der Förderung von relevanten Nutzungen wie Wohnen);<br />
lediglich der hohe Verwaltungsaufwand und die hohen laufenden Kosten sind allen<br />
Stadtentwicklungsfonds gemein.<br />
Eine ähnlich starke Abhängigkeit zur Verwendung von EFRE-Mitteln in Stadtentwicklungsfonds<br />
findet sich auch bei der Betrachtung zukünftiger Chancen und Risiken<br />
dieses <strong>Finanzierung</strong>sinstruments. Vor dem Hintergrund des sich verlagernden<br />
geografischen Schwerpunkts der Europäischen Strukturförderung hin zu den zehn<br />
neuen Mitgliedstaaten können Länder und Regionen trotz dadurch sinkender Mittelzuweisungen<br />
mit Hilfe eines revolvierenden Stadtentwicklungsfonds ein konstantes<br />
63 Vgl. Evaluierungsstudien der Europäischen Investitionsbank (EIB) (Hrsg.) zu den Ländern Hamburg,<br />
(2009), Berlin (2010) und Saarland (2010), abrufbar unter www.eib.org/jessica.<br />
64 Vgl. Art. 78 (7) Verordnung (EG) 1083/2006 i.V.m. Europäische Kommission, GD Regio (2008):<br />
Guidance Note on Financial Engineering, COCOF 08/0002/03-EN, Europäische Kommission<br />
Brüssel, A3.
114 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
Volumen an zur Verfügung stehenden Fördermitteln aufrechterhalten. Darüber hinaus<br />
können die revolvierten Stadtentwicklungsmittel zur Kofinanzierung weiterer<br />
europäischer und nationaler Fördermittel genutzt werden. Gleichermaßen erfahren<br />
Ziele und Inhalte der Integrierten Stadtentwicklungsplanungen durch die entsprechende<br />
Fokussierung der EFRE-Förderung eine bessere Umsetzung. Generell gesehen<br />
kann eine Projektförderung durch einen Stadtentwicklungsfonds positive<br />
Imagewirkung auf Projekte (Verbesserung der Kreditwürdigkeit) und Standort (Erwirkung<br />
weiterer privat finanzierter Ansiedlungen/<strong>Entwicklung</strong>en) haben. Neben den<br />
Bestimmungen zur Verwendung der EFRE-Mittel (komplexe Verwaltungsabläufe,<br />
hoher Umsetzungszeitdruck) bilden die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
größere Risiken für den Erfolg von Stadtentwicklungsfonds: Es stehen weniger<br />
Mittel für Zuschussförderungen zur Verfügung, die in Krisenzeiten stärker nachgefragt<br />
werden, und Projektentwicklern wird die Aufnahme von Fremdkapital landesseitig<br />
stärker erschwert, sodass eine Förderung des Stadtentwicklungsfonds oft wirkungslos<br />
bleibt.<br />
In der Vorteilsbetrachtung aus Sicht der einzelnen involvierten Akteursgruppen verbleiben<br />
darüber hinaus – unabhängig von der Nutzung von EFRE-Mitteln im Stadtentwicklungsfonds<br />
– die folgenden Punkte:<br />
Abbildung 4: Vorteilsbetrachtung aus Sicht der unterschiedlichen Akteure 65<br />
65<br />
Europäische Investitionsbank (EIB) (2010): JESSICA-Evaluierungsstudie Berlin, abrufbar unter<br />
www.eib.org/jessica.
Stadtentwicklungsfonds 115<br />
5. Aktuelle Rahmenbedingungen und Ausblick<br />
Auch wenn der Umsetzungsstand der Stadtentwicklungsfonds in Deutschland zum<br />
Dezember 2010 wie auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten noch keine großen<br />
Erfolge bieten kann und die Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise die Rahmenbedingungen<br />
der Umsetzung weiterhin stark beeinträchtigen, so sind gerade<br />
letztere auch der Grund weswegen es verfrüht wäre, die JESSICA-Initiative zu beschränken<br />
oder als wirkungslos einzustufen. Durch steigende Investitionsbedarfe in<br />
der Stadtentwicklung auf der einen Seite und akute Finanzknappheit der öffentlichen<br />
Hand auf der anderen, ist es eine logische Konsequenz, dass revolvierende<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente gegenüber der Zuschussförderung im Sinne einer nachhaltigeren<br />
Verwendung von Fördermitteln an Bedeutung gewinnen. Dies bedeutet<br />
aber auch gleichermaßen, dass die öffentliche Hand verstärkt Kooperationen mit<br />
Privaten eingeht und in diesem Zug auch Kompetenzen wird abgeben müssen. Das<br />
Hauptproblem der meisten deutschen Stadtentwicklungsfondskonzeptionen waren<br />
bislang die fehlenden nationalen Möglichkeiten der Kapitalaufbringung, wodurch<br />
auch kein privates Kapital für stadtentwicklungspolitische Zwecke gewonnen werden<br />
konnte.<br />
Als grundsätzliches Charakteristikum kann indes konstatiert werden, dass in Verwaltungen<br />
und auch in den Projekten selbst bei den Akteuren nach wie vor eine (zu)<br />
starke Fokussierung auf Zuschussförderungen zu finden ist, die bislang nur schwerlich<br />
eine Öffnung gegenüber den revolvierenden Förderinstrumenten zulässt. In diesem<br />
Bereich ist eine entsprechende weitergehende Imagebildung und Kommunikation<br />
angeraten. Im Rahmen der JESSICA Networking Platform im November 2010<br />
wurde deshalb von Seiten der Europäischen Kommission deutlich gemacht, dass<br />
für die Förderperiode ab 2014 gegebenenfalls mit Mindestvolumina bezüglich des<br />
Einsatzes von revolvierenden Förderinstrumenten zu rechnen sei. Dementsprechend<br />
liegt es im Interesse der Verwaltungen selbst, sich mit dem Thema Stadtentwicklungsfonds<br />
frühzeitig und umsetzungsorientiert zu beschäftigen.<br />
Unabhängig von den bisher beobachteten Hemmnissen bei der Umsetzung von<br />
Stadtentwicklungsfonds bergen diese öffentlichen Fondskonzeptionen ein deutliches<br />
Potenzial, sich erfolgreich zu entwickeln und als Leuchtturmprojekte positive<br />
<strong>Entwicklung</strong>en der <strong>Finanzierung</strong> im Städtebau zu ermöglichen. Neben einigen englischen<br />
Fonds sollte das Augenmerk der Fachöffentlichkeit in der nächsten Zukunft<br />
auf die <strong>Entwicklung</strong>en in Nordrhein-Westfalen und bei der KfW gerichtet werden, da<br />
hier die Chancen für eine Umsetzung eines erfolgreichen Stadtentwicklungsfonds<br />
am größten einzuordnen sind.
116 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />
Weiterführende Literatur und Internetquellen<br />
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut<br />
für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.) (2009): Stadtentwicklungsfonds<br />
in Europa. Ideen zur Umsetzung der JESSICA-Initiative,<br />
BBSR-Online-Publikation, Nr. 02/2009.<br />
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Website des ExWoSt-<br />
Forschungsfeldes „Stadtentwicklungsfonds in Deutschland“, abrufbar unter<br />
http://www.bbsr.bund.de/cln_016/nn_21888/BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschun<br />
gsfelder/Stadtentwicklungsfonds/01__Start.html<br />
Europäische Investitionsbank (EIB) (Hrsg.): JESSICA-Evaluationsstudien auf nationaler<br />
und <strong>regionaler</strong> Ebene, abrufbar unter www.eib.org/jessica.<br />
Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (Hrsg.) (2010):<br />
JESSICA – UDF Typologies and Governance Structures in the context of<br />
JESSICA implementation, EIB, Luxemburg.<br />
Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (Hrsg.) (2010):<br />
JESSICA – Holding Fund Handbook, EIB, Luxemburg.<br />
Kontakt:<br />
Christian Plöhn<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung<br />
Fachgebiet Immobilienentwicklung<br />
44221 Dortmund<br />
Dipl.-Ing. Andreas Jacob<br />
geschäftsführender Gesellschafter<br />
Forschungs- und Informations-Gesellschaft für Fach- und Rechtsfragen der Raumund<br />
Umweltplanung (FIRU) mbH<br />
Bahnhofstraße 22<br />
67655 Kaiserslautern
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen<br />
von Thomas Hüttich<br />
Der von der Investitionsbank Berlin verwaltete KMU-Fonds vergibt Mikrokredite sowie<br />
Gründungs- und Wachstumsdarlehen an kleine und mittlere Berliner Unternehmen<br />
mit und ohne Beteiligung einer Geschäftsbank. Es war eines der ersten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
in Deutschland, welches den revolvierenden Einsatz von<br />
Strukturfondsmitteln der EU erprobt hatte. Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise<br />
und die unterstützende Rolle der Förderbanken in Deutschland bei der Gegensteuerung<br />
haben gezeigt, dass öffentlich finanzierte Kapitalmarktprodukte partielles<br />
Marktversagen ausgleichen können. Innovative Fördermöglichkeiten aus den europäischen<br />
Strukturfonds nehmen dabei eine wichtige regionalpolitische Pilotfunktion<br />
ein.<br />
1. Von Zuschüssen zu revolvierenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />
Der Einsatz kapitalmarktbasierter Instrumente in der Regional- und Wirtschaftsförderung<br />
bietet bedeutende Vorteile für die Effizienz und Handlungsspielräume der<br />
öffentlichen Hand, ist aber auch eine folgerichtige Antwort auf zunehmende <strong>Finanzierung</strong>slücken<br />
am Kapitalmarkt.<br />
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellen nicht nur den weitaus größten Teil<br />
der Unternehmen in Deutschland dar, sie sind auch der Motor für Innovationen und<br />
die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Insbesondere KMU sind aber seit einigen Jahren<br />
mit gestiegenen Schwierigkeiten beim Zugang zu <strong>Finanzierung</strong> konfrontiert. Im europäischen<br />
Vergleich sind KMU in der <strong>Finanzierung</strong>sstruktur unterdurchschnittlich<br />
mit Eigenkapital ausgestattet. Die <strong>Finanzierung</strong> erfolgt überwiegend durch Fremdkapital<br />
von Kreditinstituten. Strukturelle Veränderungen auf den Finanzmärkten (Basel<br />
II, globale Strategien) führten zu Beginn der „Nuller“-Jahre zu geänderten Geschäftspolitiken<br />
der Banken. So wurden aus Rentabilitätsgründen Kreditportfolios<br />
zurückgefahren und stattdessen das Provisionsgeschäft ausgebaut. In der Folge<br />
senkten die Banken ihre Risiko- bzw. Risikoanalysebereitschaft und verlangten<br />
mehr Sicherheiten und höhere Eigenkapitalquoten, vor allem bei kleineren Unternehmen.<br />
Risikoreichere Gründungsfinanzierungen und unrentable Kleinstkredite<br />
wurden oft überhaupt nicht angeboten 66 .<br />
66 Siehe hierzu u.a. die jährlichen Unternehmensbefragungen der KfW zu den <strong>Finanzierung</strong>sbedingungen<br />
kleiner und mittlerer Unternehmen.
118 Thomas Hüttich<br />
Der Zugang zu <strong>Finanzierung</strong> für KMU und Existenzgründer wuchs somit immer<br />
mehr in den Fokus <strong>regionaler</strong> Wirtschaftsförderung aber auch der Regionalpolitik<br />
der Europäischen Union 67 . Unternehmensfinanzierung ist ein wichtiger Pfeiler in den<br />
öffentlichen Programmen zur Stärkung von Innovation und <strong>regionaler</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />
sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dennoch überwiegen bis<br />
heute klassische Zuschussprogramme bei der Förderung von gewerblichen Investitionen,<br />
Existenzgründungen und in der Technologieförderung. Im Rahmen der Neuausrichtung<br />
der Wirtschaftsförderung vieler Bundesländer wird jedoch nicht zuletzt<br />
vor dem Hintergrund schrumpfender öffentlicher Ressourcen der Einsatz darlehensund<br />
beteiligungsbasierter <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente forciert.<br />
Neben den offensichtlichen langfristigen Vorteilen eines revolvierenden Einsatzes<br />
von öffentlichen Mitteln, ermöglichen kapitalmarktähnliche Produkte und <strong>Finanzierung</strong>sfonds<br />
die Hebelung zusätzlicher privater Mittel und externen Know-hows und<br />
erhöhen damit die Effizienz und Effektivität der Förderung 68 . Darüber hinaus können<br />
rückzahlungspflichtige und verzinste Instrumente Mitnahmeeffekte minimieren und<br />
zu betriebswirtschaftlicher Disziplin motivieren. Schließlich werden im Vergleich zu<br />
Zuschüssen Elemente staatlicher Beihilfe und somit mögliche Marktverzerrungen<br />
reduziert.<br />
2. Financial Engineering – innovative Einsatzmöglichkeiten<br />
des EFRE<br />
Die Strukturfonds der Europäischen Union, insbesondere der Europäische Fonds<br />
für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), haben in vielen Bundesländern eine wichtige Pilotfunktion<br />
bei der Einführung revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für regionale<br />
<strong>Entwicklung</strong> eingenommen. Unter dem Begriff „Financial Engineering“ wurde erstmals<br />
in der Förderperiode 1994-1999 vor allem in Großbritannien der innovative<br />
Einsatz von EFRE-Mitteln z.B. im Rahmen von Risikokapitalfonds oder Zinssubventionen<br />
getestet. Nachdem die auf Zuschussförderung ausgelegten Strukturfondsverordnungen<br />
in der Förderperiode 2000-2006 eine rechtliche Grundlage für<br />
den revolvierenden Einsatz erhielten, wurden auch in Deutschland die ersten Fonds<br />
implementiert, darunter der VC-Fonds Berlin und als erster Darlehensfonds der<br />
KMU-Fonds bei der Investitionsbank Berlin. Aktuell expandieren in fast allen Mitgliedsstaaten<br />
EFRE-finanzierte Fonds, neben der Unternehmensfinanzierung auch<br />
67<br />
Vgl. Mitteilung der EU-Kommission: „Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln“,<br />
Dez. 2003.<br />
68<br />
Neben obligatorischen privaten Ko-Investoren bei Beteiligungsprodukten ist in Deutschland bei<br />
Darlehensprodukten das sogenannte Hausbankenverfahren vorherrschend. Dabei werden Darlehen<br />
der Förderbanken über die jeweiligen Hausbanken an die begünstigten Unternehmen durchgeleitet,<br />
welche auch die Betreuung der Darlehensnehmer übernehmen.
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 119<br />
in den Bereichen Stadtentwicklung und Energieeffizienz. Im Rahmen der EU-<br />
Initiativen JEREMIE und JESSICA unterstützt auch die EIB-Gruppe die Implementierung<br />
von EFRE-geförderten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten. Damit will die EU-<br />
Kommission erreichen, dass insbesondere Regionen mit sinkenden Strukturfondsallokationen<br />
auch in der Zukunft noch von EFRE-Mitteln profitieren können.<br />
Anders als Zuschussprogramme genießen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für KMU in<br />
Form von Beteiligungen für Seed-, Venture- und Mezzanine-Fonds, Darlehen für<br />
Gründungen und Erweiterungsinvestitionen, Bürgschaften und Rückbürgschaften<br />
sowie Stadtentwicklungsprojekten Sonderregeln und Vereinfachungen in den<br />
Strukturfondsverordnungen 69 :<br />
� Rückzahlungen und Erträge müssen nicht wie in anderen Fällen an Brüssel<br />
zurückgezahlt werden; sie können für gleiche Ziele auch nach Ende der Förderperiode<br />
eingesetzt werden.<br />
� Durch die mögliche Gewinnbeteiligung und eine optionale vorrangige Haftung<br />
der öffentlichen Mittel können zusätzliche private Mittel auf Fondsebene gewonnen<br />
werden.<br />
� Die marktübliche Ausgestaltung der Instrumente führt insbesondere auf Projektebene<br />
zu Hebelwirkungen auf private Ko-Investoren.<br />
� Die nationale Kofinanzierung der EFRE-Mittel kann durch Kapitalmarktdarlehen<br />
der Förderbanken oder privater Investoren gestellt werden.<br />
� Der Fonds und nicht das begünstigte Unternehmen ist Endbegünstigter, d.h.<br />
die EFRE-Mittel können sofort nach Einzahlungen von Mitteln in den Fonds<br />
und in voller Höhe in der Ausgabenerklärung gegenüber der EU-Kommission<br />
deklariert werden und unterliegen keiner automatischen De-commitment (N+2)<br />
Regelung.<br />
� Auch die Dokumentations- und Berichtspflichten sind in der Regel auf die Ebene<br />
des Fonds begrenzt. Einzelne Verwendungsnachweise in Form von Belegen<br />
und Quittungen der Unternehmen sind nicht erforderlich.<br />
� Die in den Fonds eingezahlten, aber noch nicht investierten EFRE-Mittel können<br />
gewinnbringend zwischenangelegt werden.<br />
� Anstatt der üblichen Förderausschüsse ist explizit ein unabhängiges, professionelles<br />
und gewinnorientiertes Fondsmanagement vorgesehen.<br />
(Ausführliche Informationen zu den rechtlichen Aspekten der innovativen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
finden sie im Beitrag von Schwab/Gröss).<br />
69 Siehe VO (EG) 1083/2006, Artikel 44 und 78 sowie VO (EG) 1828/2006, Artikel 43-46.
120 Thomas Hüttich<br />
3. Der KMU-Fonds Berlin<br />
3.1. Ausgangslage<br />
Die regionale <strong>Entwicklung</strong> Berlins ist noch immer von dem seit der Wiedervereinigung<br />
einsetzenden tiefgreifenden Strukturwandel mit einem einhergehenden Abbau<br />
der industriellen Beschäftigung geprägt. Die Wirtschaftsstruktur ist vergleichsweise<br />
kleinteilig mit einem hohen Anteil des Dienstleistungssektors. Mehr als 80 % aller<br />
Berliner Betriebe sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten. Die<br />
Zukunftschancen liegen vor allem in einer überdurchschnittlichen Gründungsdynamik<br />
70 und der ausgeprägten Forschungs- und Wissenschaftslandschaft.<br />
Zentraler Ansatzpunkt der Berliner Politik für die Stärkung der regionalen Wirtschaft<br />
und die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
und Investitionstätigkeit der Unternehmen. 1994 wurde dazu aus der ehemaligen<br />
Wohnungsbau-Kreditanstalt die Investitionsbank Berlin (IBB) gegründet, die als<br />
zentrale Förderbank des Landes mit monetären Instrumenten die Wirtschaftsförderung<br />
unterstützt. Im Fokus steht die <strong>Finanzierung</strong> innovativer kleiner und mittlerer<br />
Unternehmen sowie Gründungen und Ansiedlungen.<br />
2004 stellte sich das Land zum Ziel, die regionale Wirtschaft gezielter mit mehr<br />
darlehens- und beteiligungsbasierten Instrumenten sowie schwerpunktmäßig in den<br />
sogenannten technologieorientierten Berliner Kompetenzfeldern 71 zu fördern. Entsprechend<br />
kam es auch bei der IBB zu einer strategischen Neuausrichtung. Im gleichen<br />
Jahr vereinbarten IBB und Land die Auflegung des KMU-Fonds Berlin, den<br />
ersten EFRE-finanzierten Darlehensfonds in Deutschland. Vorausgegangen waren<br />
Gespräche und Verhandlungen mit der EU-Kommission, welche sich über mehr als<br />
ein Jahr hinzogen. Das Fondskapital betrug zunächst 32 Mio. EUR, davon 19 Mio.<br />
EUR aus dem Operationellen Programmen des EFRE 2000-2006 für Berlin 72 und<br />
13 Mio. EUR aus Mitteln der IBB. In der Förderperiode 2007-2013 stehen jeweils<br />
rund 50 Mio. EUR EFRE- und IBB-Mittel zur Verfügung. Daneben wurden mit dem<br />
VC-Fonds Technologie, VC-Fonds Kreativwirtschaft und Berlin Kapital auch drei<br />
EFRE-finanzierte Beteiligungsfonds eingerichtet.<br />
70<br />
Mit 14,1 % lag 2008 die Selbstständigenquote in Berlin deutlich über dem Bundesdurchschnitt von<br />
11,1 %.<br />
71<br />
Zu den Kompetenzfeldern Berlins gehören die IuK/Medien und Kreativwirtschaft, Biotechnologie,<br />
Medizintechnik, Verkehr und Mobilität, Optik sowie Energietechnik.<br />
72<br />
Bis 2006 gab es in Berlin sowohl Ziel-1 als auch Ziel-2 Fördergebiete mit entsprechend unterschiedlich<br />
hohen EFRE-Förderhöchstsätzen (75 % und 50 % respektive).
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 121<br />
Übergeordnetes Ziel des KMU-Fonds ist die Erleichterung des Zugangs zu <strong>Finanzierung</strong><br />
als Ausgleich größenbedingter Nachteile, geringer Besicherungsmöglichkeiten<br />
und niedriger Eigenkapitalausstattung von KMU und Unternehmensgründungen.<br />
Regionalpolitische Ziele sind insbesondere die<br />
� Erhöhung der Investitionstätigkeit und Hebelung von Wachstumsprozessen in<br />
den Berliner KMU,<br />
� Stärkung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Produktivität,<br />
� Steigerung und Erleichterung nachhaltiger Unternehmensgründungen,<br />
� Erschließung neuer Märkte durch Berliner KMU und damit<br />
� Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen und zusätzlichem Einkommen.<br />
Der KMU-Fonds soll die Ziele bei Einhaltung der Wettbewerbsneutralität durch den<br />
Ausbau der Kooperation mit ansässigen Geschäftsbanken, die Abdeckung von<br />
Marktlücken und Weiterleitung der Refinanzierungsvorteile an die Unternehmen<br />
gewährleisten. Im Fokus der Aktivitäten steht eine konsequente Ausrichtung auf die<br />
Bedürfnisse vor allem kleiner Unternehmen mit geringem <strong>Finanzierung</strong>sbedarf<br />
durch eine unbürokratische Vergabe von Mikrokrediten.<br />
3.2. Fondskonstruktion<br />
Der KMU-Fonds wurde als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock 73 innerhalb der IBB errichtet,<br />
was eine klare Unterscheidung zwischen den neu in den Fonds investierten<br />
Mitteln (einschließlich des Beitrags des EFRE-Strukturfonds) und den ursprünglich<br />
bei der IBB verfügbaren Mitteln zulässt. Grundlagen sind die zwischen dem Land<br />
Berlin und der IBB abgeschlossenen Durchführungsvereinbarungen. Die bei Beteiligungsfonds<br />
bevorzugte Variante einer eigenständigen rechtlichen Einheit mit externem<br />
Fondsmanagement ist aufgrund einer für die Vergabe von Darlehen benötigten<br />
Banklizenz keine Alternative.<br />
Das Land Berlin stellt der IBB zur finanziellen Ausstattung des KMU-Fonds die<br />
EFRE-Mittel als bedingt rückzahlbare Zuwendung zur Verfügung. Die nationale Kofinanzierung<br />
der EFRE-Mittel wird durch die IBB bedarfsgerecht über den Kapitalmarkt<br />
refinanziert. Volumen und Laufzeit entsprechen den jeweiligen Kreditauszahlungen<br />
an die Kreditnehmer. Die Anlage der zwischenzeitlich nicht für das Darlehensgeschäft<br />
des KMU-Fonds benötigten EFRE-Mittel erfolgt zu aktuellen Marktsätzen<br />
durch die IBB. Zusätzliche private Investoren auf Fondsebene sind mangels<br />
Interesse nicht vorgesehen, allerdings finanziert der Fonds auf Einzelprojektebene,<br />
mit Ausnahme der Mikrokredite, in der Regel gemeinsam mit einer Geschäftsbank.<br />
73 Gemäß Verordnung (EG) 1828/2006, Art. 43.
122 Thomas Hüttich<br />
Abbildung 1: Konstrukt KMU-Fonds 74<br />
Die Geschäfte und die Finanzplanung des KMU-Fonds werden von einem unabhängigen<br />
Fondsmanagement wahrgenommen, das professionell und gewinnorientiert<br />
handelt und einzelne <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen nur nach bankwirtschaftlichen<br />
Kriterien fällt. Um den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (Ma-<br />
Risk) 75 sowie den geltenden internen Regelungen der IBB zur Risikostrategie zu<br />
entsprechen, wird der IBB, vertreten durch den Vorstand, ein Vetorecht zu den Kreditanträgen<br />
eingeräumt, soweit sich die Beurteilung auf Bonität und Wirtschaftlich-<br />
74 Elbe, Sebastan und Florian Langguth (2010): Alternative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente - Konzeptionelle<br />
Ansätze und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementation. Endbericht.<br />
75 Rundschreiben 18/2005 der BaFin vom 20.12. 2005.
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 123<br />
keit beschränkt. Weder die IBB aus geschäftspolitischen, noch das Land Berlin aus<br />
wirtschaftspolitischen Gründen dürfen auf eine positive Kreditentscheidung des<br />
Fondsmanagements hinwirken. Das Fondsmanagement des KMU-Fonds ist eine<br />
selbständige organisatorische Einheit innerhalb der IBB und stützt sich entsprechend<br />
den Erfordernissen auf Dienstleistungen diverser Abteilungen der IBB. 76<br />
Der Fonds wird jährlich zwischen dem Land Berlin und der IBB durch eine Gegenüberstellung<br />
aller Kosten und Erträge abgerechnet. Erträge oder Verluste werden<br />
entsprechend der Mittelherkunft zwischen IBB und EFRE (Land Berlin) aufgeteilt.<br />
Erträge des EFRE-Anteils verbleiben dauerhaft im Fonds. Um einen nachhaltigen,<br />
revolvierenden Einsatz zu gewährleisten, müssen die Darlehens- und Zwischenanlagezinsen<br />
die Verwaltungs-, Refinanzierungs- und Risikokosten des Fonds decken.<br />
Da dies aufgrund der hohen Stückkosten bei Mikrokrediten in der Regel nicht realisiert<br />
werden kann, ist ein ausgewogenes Kreditportfolio mit teilweise auch höhervolumigen<br />
Investitionen erforderlich.<br />
Die Vertragslaufzeit des Fonds ist zunächst bis 2025 festgeschrieben, jedoch müssen<br />
die eingezahlten Mittel vor Abschluss des jeweiligen operationellen Programms<br />
77 mindestens einmal investiert worden sein, andernfalls sind die EFRE-<br />
Mittel an die EU-Kommission zurückzuzahlen. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit<br />
oder Auflösung des Fonds ist die IBB verpflichtet sicherzustellen, dass die verbleibenden<br />
Rückflüsse und Erträge aus den Strukturfondsbeiträgen für vergleichbare<br />
Förderzwecke im gleichen Zielgebiet zugunsten von KMU wiederverwendet werden.<br />
Im Rahmen der EFRE-Berichterstattung werden einmal jährlich ein Sachbericht sowie<br />
materielle und finanzielle Indikatoren an die Verwaltungsbehörde des Landes<br />
übermittelt. Die Datenerhebung und Dokumentation erfolgt auf der Ebene des<br />
Fonds, der auch Endbegünstigter der Förderung ist. Anders als bei EFRE-<br />
Zuschussprogrammen werden von den Unternehmen keine Ausgabenbelege in<br />
Form von Eingangsrechnungen und Quittungen verlangt. Der KMU-Fonds vergibt<br />
die Darlehen an die Unternehmen für die <strong>Entwicklung</strong> oder den Ausbau ihrer allgemeinen<br />
Wirtschaftstätigkeit. Verlangt werden nur eine kurze Durchführungsbestätigung<br />
nach Vorhabensende sowie die Einräumung eines allgemeinen Prüfrechts bei<br />
begründeten Ausnahmefällen.<br />
76<br />
z. B. bei Kundenberatung, Bonitätsanalyse, Rating, Treasury, Controlling, EDV, Öffentlichkeitsarbeit<br />
etc.<br />
77<br />
31.12.2015 für die Förderperiode 2007-2013.
124 Thomas Hüttich<br />
3.3. <strong>Finanzierung</strong>sangebote<br />
Der KMU-Fonds investiert in die Gründung, Frühphase und Erweiterung von kleinen<br />
und mittleren Unternehmen durch:<br />
� Mikrokredite bis zu 25.000 EUR ohne Beteiligung einer Geschäftsbank im vereinfachten<br />
Verfahren,<br />
� Gründungs- und Wachstumsdarlehen bis zu 250.000 EUR vorrangig gemeinsam<br />
mit einer Geschäftsbank oder einem sonstigen privaten Kofinanzierer und<br />
� Wachstumsdarlehen bis zu 10 Mio. EUR gemeinsam mit einer Geschäftsbank<br />
oder einem sonstigen privaten Kofinanzierer.<br />
Antragsberechtigt sind Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, Freiberufler sowie<br />
natürliche Personen während der Existenzgründungsphase, mit Sitz oder Betriebsstätte<br />
in Berlin. Das zu finanzierende Vorhaben muss in Berlin durchgeführt<br />
werden. Der KMU-Fonds vergibt Darlehen an Unternehmen für die <strong>Entwicklung</strong><br />
oder den Ausbau ihrer allgemeinen Wirtschaftstätigkeit. Das Darlehen kann insbesondere<br />
für folgende Maßnahmen verwendet werden:<br />
� Mitfinanzierung von Investitionen des Anlagevermögens (die einer langfristigen<br />
Mittelbereitstellung bedürfen, im Rahmen von Betriebsübernahmen, Neuansiedlungen,<br />
Erweiterungen, Rationalisierungsmaßnahmen und Reinvestitionen)<br />
und im Zusammenhang mit dieser Investition stehenden Betriebsmitteln,<br />
� Auftragsvorfinanzierung, Produktentwicklung und -einführung zur Erweiterung<br />
des Unternehmens,<br />
� Gründungsfinanzierungen bis 250.000 EUR (bis 3 Jahre nach Markteintritt),<br />
� Mikrofinanzierungen bis zu 25.000 EUR.<br />
Voraussetzung für die Gewährung von Darlehen ist ein tragfähiges Unternehmenskonzept,<br />
dessen Durchführung eine nachhaltige Festigung oder Verbesserung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sowie die planmäßige Verzinsung und<br />
Tilgung der gewährten Mittel erwarten lässt. Wesentliches Kriterium für die Darlehensvergabe<br />
ist weiterhin die Gewährleistung von ausreichendem betriebswirtschaftlichen<br />
Know-how. Dieses kann auch durch externes Coaching sichergestellt<br />
werden. Für Darlehen ab 25.000 EUR ist zusätzlich ein Besicherungsvorschlag erforderlich.<br />
Grundsätzlich ausgeschlossen sind die Umschuldung bzw. Nachfinanzierung<br />
bereits begonnener und abgeschlossener Investitionsvorhaben sowie Sanierungsfinanzierungen.<br />
Der KMU-Fonds soll in erster Linie die <strong>Finanzierung</strong>sbereitschaft der Hausbanken<br />
erhöhen und dabei mögliche Wettbewerbsverzerrungen am Kreditmarkt vermeiden.<br />
Deshalb sind vorrangig <strong>Finanzierung</strong>en mit Hausbankenbeteiligungen vorgesehen.<br />
Dabei profitiert der Fonds von der Vielzahl der Filialen der Geschäftsbanken für den<br />
Vertrieb, den Größenvorteilen bei den Kosten und die Kundennähe durch das Füh-
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 125<br />
ren von Geschäftskonten. Bei gemeinsamen <strong>Finanzierung</strong>en erfolgt die Antragstellung<br />
und Darlehensvergabe direkt über die Hausbank.<br />
Für höhervolumige Darlehen von bestehenden Unternehmen wird das sogenannte<br />
Konsortialverfahren angewandt. Hierbei teilen sich der KMU-Fonds und die Hausbank<br />
die Refinanzierung und das Risiko der Darlehen. Letztere muss mindestens<br />
50 % der <strong>Finanzierung</strong> stellen. Die Darlehen mit bis zu zehnjähriger Laufzeit werden<br />
grundsätzlich zu den Konditionen der Hausbank vergeben, die Geschäftsbeziehung<br />
zwischen den <strong>Finanzierung</strong>spartnern regelt ein Rahmenvertrag.<br />
Existenzgründer und junge Unternehmen bis zu drei Jahren und einem <strong>Finanzierung</strong>sbedarf<br />
bis 100.000 EUR werden im sogenannten Hausbanken- oder<br />
Durchleitungsverfahren bedient. Unter dem Vertriebsnamen "Berlin Start" refinanziert<br />
der KMU-Fonds 100 % der an die Hausbank durchgeleiteten Darlehen, zusätzlich<br />
wird im Rahmen eines integrierten Antragsverfahrens eine bis zu 80-prozentige<br />
Bürgschaft der BBB Bürgschaftsbank zu Berlin-Brandenburg einbezogen. Die Zinsen<br />
und Laufzeiten werden vom Fondsmanagement vorgegeben und orientieren<br />
sich am StartGeld der KfW.<br />
Erst bei nachgewiesenem Marktversagen können Darlehen auch direkt bei der IBB<br />
beantragt und durch diese ausgezahlt werden. Dies trifft in der Regel auf die Mikrokredite<br />
für Existenzgründungen und bestehende Unternehmen bis 25.000 EUR zu.<br />
Hier verzichtet der KMU-Fonds auch auf die Stellung von Sicherheiten. Darüber<br />
hinaus sind Direktfinanzierungen bis 250.000 EUR möglich, wenn das Fondsmanagement<br />
von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Geschäftsidee überzeugt ist und<br />
eine Hausbankfinanzierung abgelehnt wurde.<br />
Nach den ersten Erfahrungen mit dem <strong>Finanzierung</strong>sinstrument wurde schnell deutlich,<br />
dass für Unternehmensgründer und kleine Unternehmen in der Wachstumsphase<br />
aufgrund kurzer Vorbereitungszeiten schnelle <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen<br />
enorm wichtig sind. Demgegenüber wurde der Antragstellungsprozess bei<br />
geringen Summen als äußerst aufwändig und schwierig wahrgenommen. Als Pilotprojekt<br />
ermöglicht der KMU-Fonds deshalb seit Oktober 2007 einen unbürokratischen<br />
und schnellen Zugang zu Mikrokrediten. Darlehen zunächst bis zu 10.000<br />
EUR, seit Ende 2009 auch bis 25.000 EUR, werden in einem vereinfachten Antragstellungs-<br />
und verschlankten Kreditentscheidungsverfahren vergeben 78 .<br />
Auf eine obligatorische Erstellung eines umfassenden Businessplans sowie eine<br />
zweijährige Liquiditätsplanung und Rentabilitätsvorschau wird verzichtet. Im Rahmen<br />
eines standardisierten Antragsverfahrens werden vorstrukturierte Fragen über<br />
Produkt und Markt sowie Unternehmerpersönlichkeit und Qualifikation abgefragt.<br />
Neben einem von der IBB entwickelten Quick-Check-Tool für eine standardisierte<br />
78 Auch die Zinsen der Mikrokredite orientieren sich an der KfW. Die Laufzeiten sind i.d.R. auf sechs<br />
Jahre (inkl. ein halbes Jahr tilgungsfrei) begrenzt.
126 Thomas Hüttich<br />
Kreditentscheidung wird dem persönlichen Gespräch mit dem Kunden eine besondere<br />
Bedeutung beigemessen. Zusätzlich zur fachlichen Kompetenz sollen hier persönliche<br />
Fähigkeiten, die einen Unternehmertyp ausmachen, und eine sorgfältige<br />
Vorbereitung auf die Gründung nachgewiesen werden. Eine intensive Vorbereitung<br />
auf eine Gründung, z. B. durch Teilnahme am Businessplan Wettbewerb oder Inanspruchnahme<br />
von Coachingangeboten der Berliner Gründungsberatungsinstitutionen<br />
fließt positiv in die Kreditentscheidung ein. Alle <strong>Finanzierung</strong>en sind so<br />
bepreist, dass sie beihilfefrei 79 oder im Rahmen der De-Minimis-Verordnung 80 vergeben<br />
werden.<br />
3.4. Ergebnisse<br />
Der KMU-Fonds hatte in den ersten Jahren durchaus mit Anlaufschwierigkeiten zu<br />
kämpfen. Bei der Errichtung des Fonds 2005 waren mangels bestehender Modelle<br />
viele Detailfragen zur EFRE-Förderfähigkeit sowie zur Tiefe der Berichts- und Verwendungsnachweispflichten<br />
noch ungeklärt. Der Vertrauensaufbau bei Kunden und<br />
Partnerbanken war vor dem Hintergrund bestehender Vorbehalte und Skepsis gegenüber<br />
den als bürokratisch gewerteten EFRE-Auflagen sehr zeitintensiv. Als problematisch<br />
hatte sich insbesondere die geringe Flexibilität bei der Anpassung der<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente an die Dynamik der sich ändernden Markt- und Nachfragesituation<br />
erwiesen. Selbst für geringfügige Änderungen wie die Öffnung für Freiberufler<br />
oder Auftragsvorfinanzierungen waren langwierige Verhandlungen mit der<br />
EU-Kommission nötig. Das geplante Volumen konnte in der alten Förderperiode bis<br />
2006 vor allem auch deshalb nicht erreicht werden, weil für die Partnerbanken aufgrund<br />
einer geänderten Geschäftspolitik die Konsortialfinanzierungen nur noch im<br />
höhervolumigen Bereich außerhalb der KMU-<strong>Finanzierung</strong>en interessant wurden.<br />
Richtig Fahrt aufgenommen hat der Vertrieb des KMU-Fonds erst mit der Einführung<br />
des vereinfachten Verfahrens für Mikrokredite Ende 2007 sowie der Genehmigung<br />
zur Anwendung des Durchleitungsverfahrens im Rahmen von Berlin Start in<br />
2008.<br />
79 Eine Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes durch öffentliche Förderung kann ausgeschlossen<br />
werden bei a) einem „Private Investor Test“ (gleiche Konditionen wie eine private Ko-<br />
<strong>Finanzierung</strong> zu gleichen Bedingungen, z.B. bei Konsortialdarlehen), b) einem Zinssatz unter dem<br />
EU-Referenzzinssatz oder c) einem geringfähigen Subventionswert unter 200 TEUR innerhalb<br />
von drei Jahren (De-Minimis Verordnung).<br />
80 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006.
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 127<br />
Werden die zwischen dem Land und der IBB vereinbarten Zielindikatoren 81 als<br />
Grundlage für eine Zwischenbilanz genommen, so ist der KMU-Fonds mittlerweile<br />
als voller Erfolg zu bewerten. Wichtigsten Anteil daran haben zweifelsohne die Mikrokredite.<br />
Damit liefert der KMU-Fonds einen wichtigen Beitrag zu Abdeckung eines<br />
bestehenden Marktversagens. Die wachsende Anzahl von Gründungsfinanzierungen<br />
aus den Segmenten Mikrokredit und Berlin Start in den letzten drei Jahren<br />
trotz drohender Kreditklemme zeigt darüber hinaus, dass der KMU-Fonds eine<br />
wichtige Funktion in der gerade überstandenen Finanz- und Wirtschaftskrise eingenommen<br />
hatte.<br />
Insgesamt wurden seit Errichtung des Fonds in 2005 1.040 Darlehen in Höhe von<br />
33,4 Mio. EUR bewilligt (Stand per 30.11.2010). Den höchsten Anteil an der Anzahl<br />
der Fälle haben die Mikrokredite, den höchsten Anteil am Volumen die im Hausbankenverfahren<br />
vergebenen Berlin Start Darlehen (siehe Abb. 1 und 2). Rund zwei<br />
Drittel der Bewilligungen sind Gründungsfinanzierungen 82 . Das durch die Bewilligungen<br />
zusätzlich induzierte private Investitionsvolumen betrug 37,4 Mio. EUR. Den<br />
größten Anteil daran tragen die Konsortialfinanzierungen. Nicht berücksichtigt sind<br />
dabei die Risikoübernahmen der Hausbanken und der Bürgschaftsbank im Rahmen<br />
von Berlin Start.<br />
Abbildung 2: <strong>Entwicklung</strong> Bewilligungsvolumen in Mio. EUR<br />
81 Anzahl geförderter Unternehmen, bewilligtes Volumen und induziertes Gesamtinvestitionsvolumen,<br />
Anzahl geschaffener und gesicherter Arbeitsplätze nach Männern und Frauen.<br />
82 Als Gründungen gelten auch Unternehmen bis zu drei Jahre nach Gründungsdatum.
128 Thomas Hüttich<br />
Abbildung 3: <strong>Entwicklung</strong> Bewilligungszahlen kumuliert<br />
Insgesamt wurden 3.055 Anträge auf <strong>Finanzierung</strong>en aus dem KMU-Fonds gestellt.<br />
Die hohe Diskrepanz zwischen Anträgen und Bewilligungen ist fast ausschließlich<br />
auf die Mikrokredite zurückzuführen. Hier gibt es eine zunehmende Anzahl von Antragstellern,<br />
bei denen die unternehmerische Qualität mangelhaft ist (Gründungen<br />
aus "Not"). Die häufigsten Gründe für eine Ablehnung waren negative Schufa-<br />
Einträge, eine unzureichende wirtschaftliche Tragfähigkeit oder Vorbereitung des<br />
Vorhabens und/oder mangelnde Kapitaldienstfähigkeit sowie fehlende formale Voraussetzungen.<br />
Durch die <strong>Finanzierung</strong>en aus dem KMU-Fonds konnten insgesamt 1.210 Arbeitsplätze<br />
neu geschaffen und 1.316 Arbeitsplätze gesichert werden. Der Anteil der<br />
Frauenarbeitsplätze daran betrug 50 % und 39 % respektive. Am höchsten ist der<br />
Anteil der Frauen mit 63 % bei den finanzierten Existenzgründungen.<br />
Bei der Branchenverteilung ergibt sich ein differenziertes Bild. Während die<br />
Wachstumsfinanzierungen mehrheitlich in das verarbeitende Gewerbe flossen, sind<br />
bei den Gründungs- und Mikrofinanzierungen der Dienstleistungssektor und die<br />
Kreativwirtschaft am stärksten vertreten. Die Verteilung der Kreditbewilligungen<br />
nach Branchen zeigt auch, dass es bei der Mikrofinanzierung schon lange nicht<br />
mehr alleine um Existenzgründer aus der Arbeitslosigkeit und benachteiligte Zielgruppen<br />
geht. Immer mehr Menschen wechseln immer häufiger zwischen abhängiger<br />
und selbständiger Beschäftigung, vor allem im boomenden Kreativsektor der<br />
Stadt, mit positiven Standorteffekten für Berlin.
EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 129<br />
Die Wirtschaftlichkeit des Fonds konnte bisher trotz der defizitären Mikrokredite aufgrund<br />
eines gemischten Portfolios und der entsprechenden Bepreisung der antizipierten<br />
Ausfallwahrscheinlichkeiten sichergestellt werden. In Zukunft steht das<br />
Fondsmanagement aber wegen des gesunkenen Zinsniveaus bei der Zwischenanlage<br />
und dem steigenden Anteil der Mikrokredite bei gleichzeitig sinkendem Interesse<br />
der Banken an höhervolumigen Konsortialfinanzierungen vor größeren Herausforderungen.<br />
4. Fazit und Ausblick<br />
Es besteht mittlerweile ein breiter Konsens, dass die öffentliche Förderung des Privatsektors,<br />
insbesondere der KMU-<strong>Entwicklung</strong>, größtenteils mittels revolvierender<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente wie Darlehen, Beteiligungen und Bürgschaften erfolgen<br />
sollte. Instrumente wie der KMU-Fonds in Berlin sind effizient und schonen die öffentlichen<br />
Haushalte, minimieren mögliche Wettbewerbsverzerrungen oder Mitnahmeeffekte<br />
und sind aufgrund der Hebelwirkung für zusätzliches privates Kapital<br />
auch nach Ende der Förderung besonders nachhaltig. Insbesondere in Krisenzeiten<br />
leisten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung von Kapital<br />
für neue Investitionen.<br />
Die Öffnung der Strukturfonds für innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente hat in vielen<br />
Regionen Europas den Wandel von der zuschussbasierten zur revolvierenden Förderung<br />
beschleunigt. In Berlin haben sich neben dem KMU-Fonds insbesondere die<br />
EFRE-finanzierten VC-Fonds für technologieorientierte Unternehmen bewährt. Aktuell<br />
bestehen Planungen zwischen dem Land Berlin und der Investitionsbank Berlin,<br />
auch einen Mezzanine-Fonds und einen Bürgschaftsfonds mit EFRE-<br />
Kofinanzierung zu errichten.<br />
Die Erfahrungen haben aber auch gezeigt, dass Nachhaltigkeit, Effizienz und Effektivität<br />
der Fonds sowie ein stärkeres Engagement der Privatwirtschaft und Finanzinstitute<br />
von drei wesentlichen Einflussfaktoren abhängig sind:<br />
1. Flexibilität: Kapitalmarktprodukte reagieren äußerst sensibel auf Änderungen<br />
am Markt und Konjunkturzyklen. Schnelle, bedarfsgerechte Anpassungen der<br />
Einsatzmöglichkeiten der Instrumente und Ressourcentransfers zwischen den<br />
diversen <strong>Finanzierung</strong>sformen müssen möglich sein. Darüber hinaus ist auch<br />
ein zielgebietsübergreifender Einsatz der Fonds – insbesondere der Rückflüsse<br />
bei Änderungen der Zielgebiete während der Fondslaufzeit – wünschenswert.<br />
2. Schlanke Verfahren: Die künftigen Strukturfonds-Verordnungen sollten bezüglich<br />
der Interventionsformen und möglicher Anwendungsbereiche von Finanzinstrumenten<br />
keine Restriktionen und einfachere, klarere Regelungen enthal-
130 Thomas Hüttich<br />
ten. Insbesondere die Förderbestimmungen, Finanzkontrollvorschriften und<br />
Prüfpflichten für Finanzinstrumente können noch vereinfacht werden.<br />
3. Verlässlichkeit: Voraussetzung für eine fehlerfreie Anwendung von Finanzinstrumenten<br />
und die Einwerbung zusätzlicher privater Mittel ist, größere<br />
Rechtssicherheit über die gesamte Förderperiode zu erhalten (keine rückwirkende<br />
Änderung der Bestimmungen), sowie auftretende Fragen schnell und<br />
partnerschaftlich zu klären.<br />
Kontakt:<br />
Thomas Hüttich<br />
Stab Produktstrategie und -entwicklung<br />
Investitionsbank Berlin<br />
Bundesallee 210<br />
10719 Berlin<br />
www.ibb.de
Regionale Seed Fonds – Das Beispiel NRW.Bank.Seed<br />
Fonds<br />
von Florian Langguth<br />
1. Unternehmensgründungen und Regionalentwicklung<br />
Die Zahl von Unternehmensgründungen wird als Maß für Innovationstätigkeit und<br />
Wettbewerbsfähigkeit von Regionen angesehen. Durch die Gründung und das<br />
Wachstum schaffen sie Arbeitsplätze in der Region, tragen zum Wissenstransfer bei<br />
und fördern durch die Erneuerung des Unternehmensbestandes den Strukturwandel<br />
der Region. Erfolgreiche Unternehmensgründungen haben eine Vorreiter- und Vorbildfunktion<br />
und führen zu Nachahmern. Dadurch werden regionale, sich selbst verstärkende<br />
Spezialisierungs- und Wachstumsprozesse in Gang gebracht, die zur<br />
(wirtschaftlichen) <strong>Entwicklung</strong> der Region beitragen. 83<br />
Damit diese Effekte entstehen können, müssen Regionen über ein entsprechendes<br />
„Gründungsklima“ verfügen. Dazu gehört auch und vor allem eine hinreichende<br />
Verfügbarkeit von Kapital zur Gründungsfinanzierung. Ist dieses nicht vorhanden,<br />
besteht die Gefahr, dass das Gründungs- und somit das Innovationspotenzial einer<br />
Region nicht genügend ausgenutzt werden kann.<br />
2. Gründungsfinanzierung<br />
In Anlehnung an den (idealtypischen) Lebenszyklus eines Unternehmens kann hinsichtlich<br />
des <strong>Finanzierung</strong>sanlasses zwischen der Gründungs-, der Wachstums-,<br />
der Konsolidierungs- und der Sanierungsfinanzierung unterschieden werden. Die<br />
Gründungsfinanzierung umfasst (Vor-)Gründungsaufwendungen sowie Frühentwicklungsaufwendungen.<br />
84 Diese auch als Seed- und Start-up- bezeichneten Phasen<br />
sind dadurch gekennzeichnet, dass zunächst nur eine Idee über ein neues Produkt<br />
oder ein neues Verfahren existiert, welche weiter konkretisiert und entwickelt<br />
werden muss. Die <strong>Finanzierung</strong> wird vor allem für Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>saktivitäten<br />
(FuE), die <strong>Entwicklung</strong> eines Prototyps oder eines Unternehmenskonzeptes<br />
und die daran anschließende kommerzielle Umsetzung und den Aufbau der<br />
Infrastruktur benötigt.<br />
83 Vgl. u.a. Bathelt/Glückler (2003): Wirtschaftsgeographie. 2. korrigierte Auflage. UTB, Stuttgart. S.<br />
205f oder Pfeffer, Michael (2006): Existenzgründungen als Erfolgsfaktor zur Regionalentwicklung.<br />
Das A-B-C der Regionalentwicklung durch Existenzgründung. Tectum Verlag, Marburg. S. 15.<br />
84 Vgl. Nathusius, Klaus (2001): Grundlagen der Gründungsfinanzierung. Wiesbaden. S. 2ff.
132 Florian Langguth<br />
Abbildung 1: <strong>Finanzierung</strong>sphasen 85<br />
<strong>Finanzierung</strong>sphasen<br />
Unternehmensphasen<br />
+<br />
Seed-<br />
Phase<br />
Grundlagenentwicklung<br />
(Produkt, Verfahren)<br />
Frühphase<br />
Risiko<br />
Start-up<br />
Phase<br />
Unternehmensgründung,<br />
Produktionsreife<br />
- Gewinn/Verlust<br />
Wachstums- u.<br />
Expansionsphase<br />
erste<br />
Phase<br />
Produktionsaufnahme,<br />
Markteinführung<br />
zweite<br />
Phase<br />
Marktdurchdringung,<br />
Vertriebsausweitung<br />
Konsolidierungs- oder<br />
Restrukturierungsmaßnahmen,<br />
Zwischenfinanzierung,<br />
Börsengang<br />
Reifephase<br />
Buy-Out<br />
<strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />
Nur wenige Gründer verfügen über ausreichend Kapital, um ihre Ideen marktreif zu<br />
entwickeln. Dies trifft vor allem auf technologie-orientierte Gründungen zu, da die<br />
notwendigen <strong>Entwicklung</strong>skosten sehr hoch sind. Aus diesem Grund muss ein<br />
Großteil deshalb auf eine Außenfinanzierung zurückgreifen. Hierzu stehen grundsätzlich<br />
folgende <strong>Finanzierung</strong>sformen zur Verfügung: die <strong>Finanzierung</strong> durch fremdes<br />
Eigenkapital (Beteiligungskapital) oder durch Fremdkapital (Kreditfinanzierung).<br />
Dazwischen gibt es weitere Mischformen, die Eigenschaften beider Formen aufweisen<br />
(Mezzanine-<strong>Finanzierung</strong>en).<br />
Die <strong>Finanzierung</strong>sformen unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener Kriterien,<br />
die in der folgenden Übersicht zusammengestellt sind.<br />
85 Zemke, Ingo (1995): Die Unternehmensverfassung von Beteiligungsgesellschaften - Analyse des<br />
institutionellen Designs deutscher Venture-Capital-Gesellschaften. Deutscher Universitäts-Verlag,<br />
Wiesbaden. S. 29.<br />
Management-Buy-Outs,<br />
Management-Buy-Ins
Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 133<br />
Tabelle 1: Kriterien der Kapitalformen 86<br />
Kriterium Eigenkapital Fremdkapital Mezzanine-Kapital<br />
Rechtstellung (Haftung)<br />
(Mit-)Eigentümer<br />
Haftung zumindest in<br />
Höhe der Einlage<br />
Vergütung Erfolgsabhängig<br />
Beteiligung an Gewinn<br />
und Verlust<br />
Vermögensanspruch<br />
(Rückzahlungsverpflichtung)<br />
Einfluss auf das Unternehmen<br />
Residualanspruch<br />
(Rückzahlungsverpflichtung<br />
besteht<br />
nicht)<br />
Kontroll- und Stimmrechte<br />
Gläubiger<br />
keine Haftung<br />
Erfolgsunabhängig<br />
Zinsanspruch<br />
Nominalanspruch<br />
(Rückzahlungsverpflichtung<br />
besteht)<br />
Keine Kontroll- und<br />
Stimmrechte<br />
Unterschiedlich<br />
Haftung je nach<br />
Vertragsgestaltung<br />
möglich<br />
Je nach Vertragsgestaltung<br />
Zinsanspruch<br />
Beteiligung am Gewinn<br />
und Verlust<br />
Je nach Vertragsgestaltung<br />
Kontroll- und Stimmrechte<br />
möglich<br />
Verfügbarkeit der finanziellen<br />
Mittel<br />
Unbefristet i.d.R. befristet i.d.R. langfristig<br />
Rangstellung im In- Nachrangig<br />
Vorrangig Nachrangig nach<br />
solvenzfall<br />
(Haftungskapital)<br />
Fremdkapital<br />
Besicherung Keine (vorrangige) Kreditsi- Keine oder Rancherheitengrücktritt<br />
Die Kriterien zeigen, dass mit den verschiedenen Kapitalformen gewisse Anforderungen<br />
an den oder die Kapitalnehmer gestellt werden. Technologie-orientierte<br />
Gründungen können den mit der Vergabe von Fremdkapital verbundenen Ansprüchen<br />
in den seltensten Fällen gerecht werden. Die Gründer verfügen in der Regel<br />
nicht über genügend Sicherheiten, um einen entsprechenden Kredit ausreichend zu<br />
besichern. Hinzu kommt, dass aufgrund der noch fehlenden Marktreife der Produkte<br />
oder Verfahren erste Umsätze noch in weiter Ferne sind. Weder eine Zahlung der<br />
Zinsen noch die Tilgung des Kredites ist in den ersten Jahren möglich. Ein weiteres<br />
und gewichtiges Problem stellen zudem die hohen Risiken dar, die mit technologieorientierten<br />
Unternehmensgründungen in der Seed-Phase verbunden sind. Im Gegensatz<br />
zu "normalen Existenzgründungen" gilt es nicht nur allgemeine Gründungsoder<br />
Unternehmensrisiken zu berücksichtigen, sondern auch weitere wie z.B. das<br />
Produktentwicklungs-, das Time-to-Market-, das Fertigungs- oder das Marktakzep-<br />
86 Volkmann, Christiane K. und Kim Oliver Tokarski (2006): Entrepreneurship - Gründung und<br />
Wachstum von jungen Unternehmen. Lucius & Lucius, Stuttgart. S. 308.
134 Florian Langguth<br />
tanzrisiko. 87 Eine entsprechende Einschätzung dieser Risiken verlangt hinreichende<br />
Kompetenzen in den entsprechenden Märkten, die zwischen den Gründern und den<br />
Kredit vergebenden Instituten unterschiedlich verteilt sein können (Informationsasymmetrien).<br />
Beteiligungsfinanzierung<br />
Vor dem skizzierten Problemhintergrund kommt für viele technologie-orientierte<br />
Gründungen nur eine Beteiligungsfinanzierung in Frage. Da es sich, wie zuvor dargestellt,<br />
bei der Gründungsphase von technologie-orientierten Unternehmen um<br />
schwer einzuschätzende Vorhaben handelt, wird deshalb in diesem Segment das<br />
Beteiligungskapital auch als Risikokapital bzw. Wagniskapital bezeichnet, was sich<br />
aus dem angelsächsischen „Venture Capital“ 88 ableitet. Dem Unternehmen werden<br />
durch die Beteiligungsgesellschaft jedoch nicht nur Kapitel, sondern auch (fachliche)<br />
Kompetenzen seitens der Beteiligungsgesellschaft zur Verfügung gestellt. Aufgrund<br />
des gleichzeitigen Transfers von Kapital und Kompetenzen wird Beteiligungskapital<br />
auch als "intelligentes Kapital" bezeichnet. 89<br />
Die Beteiligung an einem Unternehmen ist geprägt von einer mal mehr, mal weniger<br />
intensiven Begleitung und Betreuung des Unternehmens durch die Beteiligungsgesellschaft.<br />
Die Begleitung und Betreuung kann für beide Seiten von Vorteil sein. Der<br />
Beteiligungsgeber kann dadurch auf die <strong>Entwicklung</strong> des Unternehmens Einfluss<br />
nehmen und wenn nötig rechtzeitig auf Fehlentwicklungen reagieren. Der Beteiligungsnehmer<br />
profitiert im Gegenzug von dem kaufmännischen und zum Teil auch<br />
fachlichen Know-how und den Kompetenzen der Beteiligungsgeber. Zudem erhält<br />
er Zugang zu weiteren wichtigen Kontakten und den Netzwerken des Kapitalgebers.<br />
Diese temporäre "Beziehung" gehört während der Beteiligungsphase angemessen<br />
austradiert, um negative Einflüsse auf die Unternehmensentwicklung abzuwenden.<br />
87 Vgl. Nathusius, Klaus (2001): Grundlagen der Gründungsfinanzierung. Wiesbaden. S. 10ff.<br />
88 Vgl. u.a. Zemke, Ingo (1995): Die Unternehmensverfassung von Beteiligungsgesellschaften -<br />
Analyse des institutionellen Designs deutscher Venture-Capital-Gesellschaften. Deutscher Universitäts-Verlag,<br />
Wiesbaden oder Schröder, Christoph (1992): Strategien und Management von<br />
Beteiligungsgesellschaften - ein Einblick in die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse<br />
von institutionellen Eigenkapitalinvestoren. Nomos-Verlagsgesellschaften, Baden-Baden.<br />
89 Vgl. u.a. Schröder, Christoph (1992): Strategien und Management von Beteiligungsgesellschaften<br />
- ein Einblick in die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse von institutionellen Eigenkapitalinvestoren.<br />
Nomos-Verlagsgesellschaften, Baden-Baden. S. 18 oder Wöhe, Günter und<br />
Ulrich Döring (2008): Einführung in die Betriebswirtschaftslehre. 23., vollständig, neu bearbeitete<br />
Auflage. Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, o.O. S. 624.
Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 135<br />
Beteiligungsgesellschaften<br />
Auf dem Markt für Beteiligungsfinanzierung gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
Anbieter. Zu nennen wären u.a. die Beteiligungsgesellschaften der Länder, allen<br />
voran die mittelständischen Beteiligungsgesellschaften, oder die der Landesförderinstitute,<br />
die Beteiligungsgesellschaften der Sparkassen mit regionalem Fokus,<br />
die Gesellschaften mittelständischer Unternehmen und von Großunternehmen oder<br />
ungebundene Beteiligungsgesellschaften in privater Trägerschaft. Sie verfolgen<br />
unterschiedlich hohe Renditeerzielungen, in einigen Fällen gepaart mit weiteren<br />
Zielen. So zielen z.B. die Beteiligungsgesellschaften der Länder auf eine Förderung<br />
der Gründungsaktivitäten, damit die zuvor skizzierten volkswirtschaftlichen Effekte<br />
eintreten, wohingegen die Gesellschaften hochtechnologie-orientierter Unternehmen<br />
ihren Markt fördern und ebenfalls den Zugang zu neuen Technologien sichern<br />
wollen. Neben diesem auch als formell bezeichneten Markt für Beteiligungskapital<br />
gibt es auch einen informellen Markt. Die Anbieter auf diesem Markt sind private<br />
Investoren, die auch als Business Angels bezeichnet werden. Diese tätigen in der<br />
Regel einzelne Investments in geringerer Größenordnung als die Beteiligungsgesellschaften<br />
(unter 250.000 Euro) und stehen den Unternehmen persönlich beratend<br />
zur Seite. 90<br />
3. Gründungsfinanzierung und räumliche Nähe<br />
Der Faktor räumliche Nähe, im vorliegenden Kontext vielmehr verstanden als qualitative<br />
Beziehung denn als Distanz, spielt im Bereich der Gründungsfinanzierung in<br />
zweierlei Weise eine zentrale Rolle:<br />
Erstens ist die räumliche Nähe bei der Anbahnung und Abwicklung von Transaktionen<br />
ein nicht zu unterschätzender Faktor sowohl für Kapitalgeber als auch Kapitalnehmer.<br />
Dies trifft für das Kredit- wie auch das Beteiligungsgeschäft in gleichem<br />
Maße zu. „Persönliche Bekanntschaften, per Erfahrung erwiesene Verlässlichkeit,<br />
der gute Ruf eines Unternehmens [oder Gründers; Anm. d. Red.], die Partizipation<br />
der Akteure am gesellschaftlichen Leben einer Gemeinde sind Vertrauen schaffende<br />
Faktoren, die auf einem Markt, auf dem Informationsasymmetrien zwischen den<br />
Marktpartnern eine beträchtliche Rolle spielen, sensible - da für opportunistische<br />
Verhalten anfällige - kommerzielle Beziehungen wesentlich erleichtern können.“ 91<br />
90 Volkmann, Christiane K. und Kim Oliver Tokarski (2006): Entrepreneurship - Gründung und<br />
Wachstum von jungen Unternehmen. Lucius & Lucius, Stuttgart. S. 321.<br />
91 Vgl. Lageman, Bernhard und Friederike Welter (2003): Ansätze der Gründungsförderung in Nordrhein-Westfalen.<br />
In: Rolf Steinberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung durch Existenzgründungen?<br />
Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der ARL, Hannover. S. 54-71. S.<br />
56.
136 Florian Langguth<br />
Hinzu kommt, die im Zusammenhang mit einer Wagniskapitalfinanzierung stehende<br />
intensive Begleitung und Betreuung des Beteiligungsunternehmens während der<br />
Beteiligungsphase durch den Kapitalgeber. Der dafür notwendige persönliche Faceto-Face-Kontakt<br />
kann auch durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nur<br />
schwerlich ersetzt werden. Dies trifft im besonderen Maße bei Business Angels zu,<br />
da diese nur bedingt dazu bereit sind, ein Engagement einzugehen, dass nur durch<br />
hohe logistische Aufwendungen zu betreuen ist. 92<br />
Zweitens bezieht sich die räumliche Nähe nicht nur auf die bilaterale Beziehung<br />
zwischen Kapitalnehmer und Kapitalgeber, sondern greift viel weiter. Für die nachhaltige<br />
<strong>Entwicklung</strong> eines Unternehmens ist nicht nur der Zugang zu Kapital von<br />
Bedeutung, sondern auch die Einbindung in das regionale Umfeld, genauer in die<br />
regionalen Netzwerke. Die Vernetzung des oder der Gründer mit anderen Unternehmen<br />
gleicher oder vor- bzw. nachgelagerter Wertschöpfungsstufen, Kunden,<br />
wichtigen Transfer- oder Unterstützungsstellen sowie, insbesondere für technologieorientierte<br />
Neugründungen, die Nähe zu Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen<br />
sind von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Unternehmensgründung und<br />
nachhaltige <strong>Entwicklung</strong> des Unternehmens. Sie ermöglichen den Zugang zu gebundenen<br />
Fachinformationen, helfen bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter<br />
oder der Initiierung von Kooperationsprozessen. 93<br />
4. Der NRW.Bank.Seed Fonds<br />
Der NRW.Bank.Seed Fonds wurde 2005 von der NRW.Bank mit den Zielen aufgelegt,<br />
das Angebot von Risikokapital in ausgewählten Regionen in Nordrhein-<br />
Westfalen zu stärken sowie privates Kapital, Know-how und Netzwerke aus den<br />
Regionen für die Gründungsfinanzierung von Unternehmen aus dem Hochtechnologiesektor<br />
zu aktivieren und einzubinden. 94<br />
Der NRW.Bank.Seed Fonds ist als Dachfonds konzipiert, der in Seed Fonds ausgewählter<br />
Regionen investiert (Fund-of-Funds Konzept). Hierzu wurden Regionen<br />
92<br />
Vgl. Lageman, Bernhard und Friederike Welter (2003): Ansätze der Gründungsförderung in Nordrhein-Westfalen.<br />
In: Rolf Steinberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung durch Existenzgründungen?<br />
Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der ARL, Hannover. S. 54-71. S.<br />
60.<br />
93<br />
Vgl. u.a. Sternberg, Rolf (2003): Das Konzept endogener Regionalentwicklung - Implikationen für<br />
Existenzgründungen und deren Förderung. In: Rolf Sternberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung<br />
durch Existenzgründungen? Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der<br />
ARL, Hannover. S. 4-19. S. 10.<br />
94<br />
Güllmann, Peter (2007): Interview zum NRW.Bank.Seed Fonds. In: Venture Capital Magazin.<br />
Sonderausgabe „start up 2008“. S. 102.
Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 137<br />
ausgewählt, die eine „technologische Attraktivität“ 95 besitzen, d.h. über eine hohe<br />
Präsenz an Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie technologieorientierten<br />
Unternehmen verfügen, und sich in den letzten Jahren durch eine hohe<br />
Gründungsdynamik auszeichneten.<br />
Der Dachfonds stellt den regionalen Seed Fonds eine Minderheitsbeteiligung von<br />
bis zu 49 % zur Verfügung. Die restlichen 51 % müssen von Kapitalgebern aus der<br />
Region selbst aufgebracht werden.<br />
Die regionalen Seed Fonds werden von erfahrenen und mit der Frühphasenfinanzierung<br />
vertrauten Managements verwaltet, die gut in die regionalen Netzwerke eingebunden<br />
sind. Dies war ein gewichtiges Kriterium für die NRW.Bank bei der Wahl<br />
der regionalen Seed Fonds. In einem erfahrenen Fondsmanagement mit hoher und<br />
breiter fachlicher Expertise und guter <strong>regionaler</strong> Vernetzung wird ein wichtiger Erfolgsfaktor<br />
für die Umsetzung der regionalen Fonds gesehen. 96<br />
Zwischen den Fondsmanagements und der NRW.Bank wurden Investorenvereinbarungen<br />
geschlossen, in denen der Rahmen und die Regeln für das Fondsmanagement<br />
und die Beteiligungen sowie Investitionsperiode und Fondslaufzeit vereinbart<br />
wurden. Auf dieser Grundlage agieren die Fondsmanagements selbständig und<br />
unabhängig. Zusätzlich wurden für die regionalen Fonds Investorenkomitees eingerichtet,<br />
die auf Vorschlag des Fondsmanagements über die Beteiligungen der<br />
Fonds entscheiden. In den Investorenkomitees sitzen je ein Vertreter der<br />
NRW.Bank sowie je zwei weitere Vertreter der regionalen Kapitalgeber. Diese sind<br />
in der Regel ein Vertreter der regionalen Sparkassen, die meist einen ähnlich großen<br />
Teil des Kapitals stellen wie die NRW.Bank, sowie ein Vertreter der privaten<br />
Kapitalgeber.<br />
95<br />
Güllmann, Peter (2008): Frühphasenfinanzierung - Wenn Jugend forscht … braucht Sie Geld.<br />
Frühphasenfinanzierung bleibt Mangelware. In: FINANCE - Der Markt für Unternehmen und Finanzen.<br />
Heft 2 vom 25.01.2008. S. 44-46.<br />
96<br />
Güllmann, Peter (2007): Interview zum NRW.Bank.Seed Fonds. In: Venture Capital Magazin.<br />
Sonderausgabe „start up 2008“. S. 102.
138 Florian Langguth<br />
Abbildung 2: Konstrukt des NRW.Bank.Seed Fonds<br />
Die regionalen Seed Fonds bieten direkte Minderheitsbeteiligungen von bis zu<br />
500.000 Euro pro Unternehmen für die Erstrundenfinanzierung an. 97 Die Beteiligungsdauer<br />
beträgt in der Regel fünf bis sieben Jahre. Für eine Beteiligung kommen<br />
Gründer und Unternehmen in Frage, die über eine wirtschaftlich tragfähige und<br />
hohes Wachstum versprechende Geschäftsidee aus den Zielbranchen der regionalen<br />
Fonds verfügen. Die Zielbranchen wurden anhand der regionalen Stärken<br />
ausgerichtet. Die regionalen Seed Fonds besitzen zwar einen regionalen Fokus,<br />
dieser ist jedoch nicht restriktiv: Die räumliche Zuordnung ist der Gewinn versprechenden<br />
Idee nachrangig.<br />
97 Seit 2007 besteht die Möglichkeit, dass Erfolg versprechende Gründungen von einem regionalen<br />
Seed Fonds und dem High-Tech Gründerfonds gemeinsam finanziert werden können. Beide<br />
Fonds bieten den Unternehmen zusammen bis zu 600.000 Euro an.<br />
Der High-Tech Gründerfonds ist ein Public-Private Partnership-Fonds des Bundesministeriums für<br />
Wirtschaft und Technologie, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und mehreren deutschen Industrieunternehmen.<br />
Der rund 270 Mio. Euro schwere Fonds bietet jungen, chancenreichen Technologieunternehmen<br />
eine Seedfinanzierung von bis zu 500.000 Euro an (vgl. Website High-Tech<br />
Gründerfonds).
Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 139<br />
Tabelle 2: Regionale Seed Fonds<br />
Regionaler Seed<br />
Fonds<br />
SeedCapital<br />
Dortmund<br />
Rheinland<br />
Venture Capital<br />
Seed-Fonds<br />
Region Aachen<br />
Sirius Seed<br />
Fonds Düsseldorf<br />
Gründerfonds<br />
Bielefeld / Ostwestfalen<br />
Region FV* Schwerpunktbranchen Regionale Investoren<br />
Dortmund ca. 10,75<br />
Mio.<br />
Rheinland mit<br />
Schwerpunkt<br />
Köln/Bonn<br />
ca. 12<br />
Mio.<br />
Region Aachen ca. 8,5<br />
Mio.<br />
Stadt Düsseldorf,<br />
Kreis<br />
Neuss, Kreis<br />
Mettmann<br />
IHK** Bezirk<br />
Ostwestfalen<br />
zu Bielefeld<br />
ELS-Fonds Großraum<br />
Emscher-<br />
Lippe, Ruhrgebiet<br />
und Niederrhein<br />
Gründerfonds<br />
Münsterland<br />
ca. 10<br />
Mio.<br />
ca. 10<br />
Mio.<br />
ca. 12,5<br />
Mio.<br />
u.a. Mikrosystem und<br />
Nanotechnologie, Life<br />
Sciences, IT und Querschnittstechnologien<br />
Life Sciences, Medizintechnik,<br />
Informations- und<br />
Kommunikationstechnologie,<br />
neue Werkstoffe,<br />
Mikro- und Nanotechno-<br />
logie<br />
Sparkasse Dortmund,<br />
Schüttermann-<br />
Schillersche Familienstiftung<br />
Intelligent Venture Capital<br />
Management GmbH,<br />
Kreissparkasse Köln,<br />
Sparkasse Köln/Bonn,<br />
Georgieff Capital und<br />
weitere Privatinvestoren<br />
alle Technologiebranchen Sparkasse Aachen und<br />
weitere Privatinvestoren<br />
Life Sciences, Bio- und<br />
Medizintechnologie, Informations-<br />
und Kommunikationstechnologie,<br />
neue Werkstoffe und<br />
Ingenieurwissenschaften<br />
Maschinenbau, Verfahrens-<br />
und Automatisierungstechnik,<br />
IT, Kommunikations-<br />
und Nanotechnologie,Materialwissenschaften<br />
Life Siences<br />
Energie, Medizintechnik,<br />
Telekommunikation, Informations-<br />
und Kommunikationstechnologie,<br />
neue Werkstoffe, Mikround<br />
Nanotechnologie<br />
Münsterland ca. 7 Mio. Nano- und Biotechnologie,<br />
Kommunikations- und<br />
Informationstechnologie,<br />
Life Sciences, Medizintechnik,<br />
Maschinenbau,<br />
Verfahrens- und Industrietechnik<br />
* FV = Fondsvolumen (Zielvolumen); ** IHK = Industrie- und Handelskammer<br />
Sirius Venture Partner<br />
GmbH, Sparkasse Düsseldorf<br />
Sparkasse Bielefeld,<br />
Skapital Unternehmensbeteiligungsgesellschaft<br />
(Tochtergesellschaft der<br />
Sparkassen Herford,<br />
Bielefeld und Detmold),<br />
eCapital entrepreneurial<br />
Partners AG und 22 Unternehmen<br />
und Unternehmer<br />
aus Ostwestfalen-Lippe.<br />
Sparkassen Gelsenkirchen<br />
und Vest Recklinghausen<br />
sowie weitere<br />
Privatinvestoren<br />
Sparkassen Münsterland-<br />
Ost und Westmünsterland,<br />
Kreisparkasse<br />
Steinfurt, eCapital entrepreneurial<br />
Partners AG<br />
und mehr als 10 Privatinvestoren
140 Florian Langguth<br />
Umsetzungsstand<br />
Der NRW.Bank.Seed Fonds hat bisher in sieben regionale Seed Fonds investiert.<br />
Er hat ein Fondsvolumen von 30 Mio. Euro, wovon 28 Mio. Euro zugesagt sind. Die<br />
regionalen Seed Fonds konnten insgesamt Zusagen für weitere 40 Mio. Euro durch<br />
regionale Investoren aufbringen. Bisher haben insgesamt 40 Unternehmen eine<br />
<strong>Finanzierung</strong> erhalten (Stand November 2009) (siehe Tabelle 3).<br />
Tabelle 3: Umsetzungsstand Regionale Seedfonds (2009)<br />
Anzahl Unternehmen Kapitalbindung<br />
SeedCapital Dortmund 10 Unternehmen 4,1 Mio. Euro<br />
Seed Fonds Region Aachen 8 Unternehmen 3,4 Mio. Euro<br />
Sirius Seed Fonds Düsseldorf 8 Unternehmen 3,0 Mio. Euro<br />
ELS-Fonds 6 Unternehmen 3,0 Mio. Euro<br />
Rheinland Venture Capital 6 Unternehmen 2,9 Mio. Euro<br />
Gründerfonds Bielefeld-Ostwest-falen 2 Unternehmen 1,2 Mio. Euro<br />
Gründerfonds Münsterland 0 Unternehmen 0,0 Mio. Euro<br />
Quelle: NRW.Bank Stand November 2009<br />
5. Fazit<br />
Technologie-orientierten Unternehmensgründungen wird eine Schlüsselposition bei<br />
der Erreichung volkswirtschaftlicher Ziele wie der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
oder der Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt.<br />
Damit sie dieses Potenzial entfalten können, benötigen sie Kapital. Aufgrund von<br />
Informationsasymmetrien zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer ist ein entsprechendes<br />
Angebot jedoch wenig bis gar nicht vorhanden.<br />
Der NRW.Bank.Seed Fonds wurde 2005 von der NRW.Bank mit dem Ziel aufgelegt,<br />
jungen Unternehmen aus Hochtechnologiebranchen Eigenkapital zur Verfügung zu<br />
stellen. Mittlerweile zählt der Fonds neben dem High-Tech-Gründerfonds gemessen<br />
an den Portfoliounternehmen zu den größten in Deutschland und ist Vorbild zukünftiger<br />
Fonds in diesem Segment. 98 Hervorzuheben ist 99 :<br />
98<br />
So planen z.B. andere Länder wie Bayern oder Bundesstaaten in den USA, Fonds nach gleichen<br />
Prinzipien aufzulegen.<br />
99<br />
Interview Dr. Claas Heise NRW.Bank vom 20.11.2009.
Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 141<br />
Bereitstellung von Wagniskapital<br />
Zur <strong>Finanzierung</strong> technologie-orientierter Unternehmensgründungen steht in der<br />
Regel nur eine externe Eigenkapitalfinanzierung zur Verfügung. Dieses Segment,<br />
ist im Vergleich zu anderen Segmenten wie z.B. dem Bereich Management Buy-<br />
Outs in Deutschland besonders unterentwickelt. 100 Durch den NRW.Bank.Seed<br />
Fonds mit seinen regionalen Seed Fonds wird das Angebot an Wagniskapital in<br />
den Regionen gefördert. Dies ist für das Wachstum und die Steigerung der Innovationsfähigkeit<br />
eines Landes sowie einzelner Regionen wichtig.<br />
Kombination von <strong>Finanzierung</strong> und Beratung<br />
Mit der Beteiligung eines regionalen Seed Fonds ist nicht nur eine Kapitalbereitstellung<br />
verbunden, sondern auch eine Begleitung und Betreuung des Beteiligungsunternehmens<br />
durch den Kapitalgeber. Der Kapitalgeber hat die Möglichkeit,<br />
Einfluss auf seine Investition zu nehmen und das Risiko eines Verlustes zu<br />
mindern. Der Kapitalnehmer erhält eine Anlaufstelle, die ihm mit fachlichem sowie<br />
kaufmännischem Rat zur Seite steht. Die regionale Vernetzung der Fondsmanagements<br />
hilft zudem, die Unternehmen in regionale Netzwerke einzuführen und<br />
schafft so weitere Vorteile.<br />
Fondskonstrukt oder neue <strong>Finanzierung</strong>spartnerschaften<br />
Durch das gewählte Fund-of-Funds Konstrukt des NRW.Bank.Seed Fonds wird es<br />
möglich, den mit einem Seedfonds in der Regel verbundenen hohen Verwaltungsaufwand<br />
zu dezentralisieren. Regional gut vernetzte und erfahrene Fondsmanagements<br />
sowie regionale Privatinvestoren beteiligen sich gemeinsam mit der<br />
NRW.Bank im Sinne einer „Financial Governance“ an der <strong>Finanzierung</strong> und Unterstützung<br />
technologie-orientierter Unternehmensgründungen und schaffen ein<br />
angenehmes Gründungsklima in den Regionen. Ein Vorteil, den ein zentral organisierter,<br />
über<strong>regionaler</strong> Fonds nur schwer realisieren kann.<br />
100 vgl. Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (o.J.): BVK SPECIAL - Venture<br />
Capital in den USA 2009. Berlin (gefunden unter: http://www.bvkap.de/ privateequity.php/cat/13/title/Publikationen;<br />
zugegriffen am 05.11.2010) oder Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften<br />
(o.J.b): BVK SPECIAL - Private Equity in Europa 2009. Berlin<br />
(gefunden unter: http://www.bvkap.de/privateequity.php/cat/13/title/Publikationen; zugegriffen am<br />
05.11.2010).
142 Florian Langguth<br />
Kontakt:<br />
Florian Langguth<br />
SPRINT (GbR)<br />
E-Mail: langguth@<strong>sprint</strong>consult.de
Mikrokreditfonds<br />
von Falk Zientz<br />
1. Einführung<br />
Die GLS Bank finanziert soziale, ökologische und kulturell zukunftsweisende Unternehmen<br />
und Projekte. Bei der Geldanlage können ihre Kundinnen und Kunden<br />
wählen, in welchem Bereich Ihr Geld vorzugsweise investiert wird. Die GLS Bank<br />
macht regelmäßig transparent, was und wo finanziert wird.<br />
Seit 2000 baut die GLS Bank in Deutschland Mikrokreditangebote für kleine Unternehmen<br />
und Gründungen auf. In einer experimentellen Phase bis 2004 wurden in<br />
sehr kleinen Stückzahlen Erfahrungen mit unterschiedlichen Konzepten, die von der<br />
Vergabe von Unternehmensbeteiligungen und Krediten über Kooperationen mit<br />
gemeinnützigen Trägern, öffentlichen Stellen und Stiftungen sowie der Einbindung<br />
von privaten und öffentlichen Mitteln bis hin zur Kombination von rückzahlbaren<br />
Mitteln und Zuschüssen reichten, gesammelt.<br />
Auf Basis dieser Erfahrungen wurden 2004 das Deutsche Mikrofinanz Institut und<br />
der GLS Mikrofinanzfonds als bundesweite Plattform für die Weiterentwicklung gegründet.<br />
80 Privatpersonen sowie die GLS Bank legten über 500.000 Euro ein.<br />
2006 investierten die KfW Bankengruppe, das Bundesministerium für Arbeit und<br />
Soziales sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie weitere 1,5<br />
Mio. Euro in den Fonds. Die Konstruktion wurde maßgeblich geändert, so dass die<br />
Chancen und Risiken nun weitgehend bei den Mikrofinanzinstituten (MFIs) lagen.<br />
Bis 2009 wurden über 500 Kredite mit einem Volumen von über 3 Mio. Euro vergeben.<br />
Die Ausfallquote (Kreditausfälle in Relation zu Kredittilgungen) liegt unter 3 %,<br />
was im Hinblick auf die Zielgruppen ein großer Erfolg ist.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte wurde 2010 mit zunächst 10 Mikrofinanzinstituten<br />
der neue „Mikrokreditfonds Deutschland“ gestartet. Aus Mitteln des<br />
Bundes sowie des Europäischen Sozialfonds stehen jetzt 100 Mio. Euro zur Verfügung,<br />
die von der NBank als Zweckvermögen angelegt sind. Die Anzahl der Kreditvergaben<br />
sowie der Mikrofinanzinstitute stieg innerhalb weniger Monate deutlich an.<br />
Bis 2015 sollen nun mindestens 15.000 Kredite vergeben werden.<br />
Der Mikrokreditfonds Deutschland ist also das Ergebnis einer 10-jährigen <strong>Entwicklung</strong>sarbeit,<br />
in der mit unterschiedlichen Modellen Erfahrungen gesammelt<br />
wurden. Der große Zuspruch, den dieses Modell derzeit erfährt, bestätigt diese<br />
<strong>Entwicklung</strong>. Im Folgenden wird dieses Erfolgsmodell beschrieben.
144 Falk Zientz<br />
2. Grundsätzliches zum Mikrokredit<br />
Mikrokredite ermöglichen Unternehmensgründungen von Menschen, die über kein<br />
ausreichendes Kapital, aber über unternehmerisches Engagement verfügen. In anderen<br />
Fällen geht es um die Vorfinanzierung von ersten größeren Aufträgen oder<br />
von wichtigen Wachstumsschritten. Im Durchschnitt werden durch jeden Mikrokredit<br />
ca. 1,5 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten<br />
ist Mikrofinanz insofern sehr effektiv und fördert in besonderem Maße<br />
individuelles Engagement und Selbstverantwortung.<br />
Über die Hälfte der Kredite werden zurzeit an Unternehmerinnen und Unternehmer<br />
mit einem Migrationshintergrund vergeben. 40 % der Mikrokredite erhalten Frauen,<br />
was ihren Anteil an Kleinunternehmen (ca. 30 %) erkennbar übersteigt. Schwerpunkte<br />
der finanzierten Branchen sind Dienstleistungen, gefolgt von Gastronomie<br />
und Einzelhandel. Gerade diese Branchen haben oftmals einen besonders schwierigen<br />
Zugang zu Kapital.<br />
Als typische <strong>Finanzierung</strong>sbeispiele können unter anderem die Vorfinanzierung eines<br />
ersten großen Auftrages einer Grafikdesignerin mit einem Kredit über 7.000<br />
Euro, endfällig nach neun Monaten, das Anschaffungsdarlehen zur Gründung eines<br />
Hausmeisterservices über 4.000 Euro, rückzahlbar in 36 Monatsraten; die mehreren<br />
gewährten Stufenkredite (von 2.000 bis zu 10.000 Euro) zum schrittweisen Aufbau<br />
einer zunächst nebenerwerblichen Vertriebstätigkeit oder auch der regelmäßige<br />
Saisonalkredit für das Weihnachtsgeschäft eines kleinen Fachhandels von jeweils<br />
bis zu 15.000 Euro für 6 Monate gelten.<br />
2.1. Zu den Kreditausfällen<br />
Zunächst hatte der Mikrokreditfonds mit Kreditausfällen von bis zu 10 % gerechnet<br />
und sich dabei an öffentlichen Förderkrediten, deren Quoten in der Regel ein Vielfaches<br />
davon betragen, orientiert.<br />
Die Ausfallquote von Mikrokrediten beträgt bis jetzt tatsächlich etwa 4 %, wenn die<br />
Ausfälle der ab 2006 vergebenen Kredite in Relation zu den zurückgeflossenen<br />
Kredittilgungen gesetzt werden. 2009 wurde mit 2,8 % abgeschlossen. Dies ist für<br />
die noch jungen Mikrofinanzinstitute ein beachtlicher Erfolg.<br />
Allerdings haben andere Organisationen im europäischen Ausland hinsichtlich Methodik<br />
und Marktentwicklung noch einen deutlichen Erfahrungs- und Wissensvorsprung,<br />
der in den nächsten Jahren eingeholt werden soll.
Mikrokreditfonds 145<br />
2.2. Zur Anzahl der Kredite<br />
Von 2006 bis 2009 wurden über 500 Mikrokredite vergeben. Damit haben einige<br />
Mikrofinanzinstitute als Pioniere mit großem Engagement für ihre speziellen Zielgruppen<br />
die Kreditvergabe punktuell erprobt.<br />
Mit dem Start des Mikrokreditfonds Deutschland Anfang 2010 soll nun das Angebot<br />
maßgeblich ausgebaut werden. Derzeit beträgt die monatliche Stückzahl etwa 150<br />
Kredite. Für 2010 ist die Vergabe von über 1.200 Mikrokrediten und, in den Folgejahren,<br />
ein entsprechendes Wachstum geplant.<br />
Zum Vergleich: In Frankreich wurden 2009 bei starken Wachstumsraten und insgesamt<br />
vergleichbaren Rahmenbedingungen etwa 20.000 Mikrokredite vergeben.<br />
Diese Größenordnung zu erreichen ist langfristiges Ziel des Mikrokreditfonds<br />
Deutschland und seiner Partnerorganisationen.<br />
2.3. Zu den Mikrofinanz-Methoden<br />
Das Faszinierende an erfolgreichen Mikrofinanzinstituten ist, dass auch Personen,<br />
die keinen Zugang zu Banken haben, trotzdem Kredit erhalten, die Vergabe der Mikrokredite<br />
schnell und einfach erfolgt und die Ausfallquoten sehr gering sind.<br />
Entwickelt haben solche Angebote seit über 150 Jahren Kreditgenossenschaften<br />
sowie seit den 80er Jahren Mikrofinanzinstitute in wirtschaftlich schwächeren<br />
Weltregionen, die einer breiteren Öffentlichkeit durch die Verleihung des Friedensnobelpreises<br />
an Muhammad Yunus bekannt wurden.<br />
Kreditvergaben, die nur auf der Basis von Geschäftsplänen erfolgen, sind in der<br />
Regel deutlich aufwändiger und auch riskanter als die erfolgreichen Mikrokredit-<br />
Methoden, die im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden:<br />
� Stufenkredite: Ein Kleinstbetrag von z.B. 2.000 Euro kann in jedem Fall zurückgezahlt<br />
werden – und sei es in kleinsten Raten. Für die Kreditentscheidung<br />
ist darum eine verlässliche Einschätzung der Rückzahlungsmotivation ausreichend,<br />
ohne dass eine umfangreiche Dokumentenprüfung erforderlich wird. Im<br />
Erfolgsfall kann danach eine Kreditbiografie mit Beträgen bis zu 20.000 Euro<br />
aufgebaut werden.<br />
� Monitoring: Per E-Mail müssen die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer mancher<br />
Mikrofinanzinstitute monatlich drei Fragen zu ihrer Situation beantworten,<br />
die automatisch ausgewertet werden. Noch bevor eine Rate platzt, kann das<br />
Mikrofinanzinstitut auf dieser Basis persönlich und rechtzeitig intervenieren.<br />
� Social Lending: Ähnlich einer klassischen Dorfbank kann das Mikrofinanzinstitut<br />
einen persönlichen Bezug zu den Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern
146 Falk Zientz<br />
sowie deren Umfeld aufbauen, z.B. durch die Konzentration auf einen Straßenzug,<br />
eine MigrantInnengruppe oder Mitglieder einer Genossenschaft.<br />
� Ansparen: Durch monatliche Ansparraten können sich Unternehmen einen<br />
Kreditanspruch erarbeiten. Von dem angesparten Guthaben kann zunächst<br />
das Dreifache, später das bis zu Zehnfache als Kredit aufgenommen werden.<br />
3. Das Kooperationsmodell<br />
Um einen schnellen und einfachen Zugang zu Kapital für kleine Unternehmen und<br />
Gründungen zu schaffen, kooperiert die GLS Bank mit Mikrofinanzinstituten, die für<br />
die Akquisition und Betreuung der Kreditnehmer zuständig sind. Dieses Kooperationsmodells<br />
bietet insbesondere zwei Vorteile: erstens kann das Mikrofinanzinstitut<br />
seine jeweiligen Zielgruppen und Standorte ohne Bankzulassung mit selbst entwikkelten<br />
Angeboten bedienen. Zweitens können unterschiedlichste Organisationen<br />
und Förderer, beispielsweise Ministerien, Vereine, Wirtschaftsförderer und Genossenschaften,<br />
flexibel eingebunden werden.<br />
Die Mikrofinanzinstitute werden in der Regel von Unternehmensberatungen, Wirtschaftsförderern,<br />
Genossenschaften, Vereinen und öffentlichen Stellen gegründet.<br />
Die GLS Bank bietet den kooperierenden Mikrofinanzinstituten eine erfolgsabhängige<br />
Gratifikation in Höhe von 10 % des erfolgreich zurückgezahlten Kreditvolumens<br />
abzüglich der jährlichen Kreditausfälle, ein Stückhonorar von derzeit 800 EUR pro<br />
Kredit zum Aufbau des Geschäftsfeldes (wird in den Folgejahren reduziert) und eine<br />
Internetplattform zur Vergabe und Betreuung von Mikrokrediten sowie eine besondere<br />
Förderung der besten Mikrofinanz-Angebote (so genannter Leuchtturmprojekte)<br />
an. Außerdem wird der Know-how-Transfer zwischen neu gegründeten und bereits<br />
erfolgreichen MFIs aktiv von der GLS Bank unterstützt und vorangetrieben.<br />
Aufgaben eines Mikrofinanzinstituts (MFI)<br />
Von der ersten Kundenansprache bis zur vollständigen Rückzahlung liegt die Kreditbetreuung<br />
in der Hand des Mikrofinanzinstitutes. Die Bank sorgt ohne direkten<br />
Kundenkontakt entsprechend den Angaben des Mikrofinanzinstituts für die Verwaltung<br />
im Hintergrund.<br />
Die Kreditvergabe ist schnell und einfach organisiert: Das Mikrofinanzinstitut analysiert<br />
einen Kreditantrag und gibt bei einer positiven Entscheidung die Vertragsdaten<br />
auf einer Internetplattform ein. Daraufhin versendet die Bank den Kreditvertrag zur<br />
Unterschrift und zahlt danach das Geld an das Unternehmen aus.
Mikrokreditfonds 147<br />
Abbildung 1: Aufgaben der Mikrofinanzinstitute<br />
Die in Abb. 1 dargestellten Aufgaben der Mikrofinanzinstitute werden im Folgenden<br />
kurz beschrieben:<br />
� Akquisition: Das MFI holt <strong>Finanzierung</strong>sanfragen von Gründungen und<br />
Kleinstunternehmen ein. Dazu entwickelt es Angebote für spezifische Zielgruppen<br />
wie etwa Unternehmerinnen oder Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund,<br />
für besondere <strong>Finanzierung</strong>sbedarfe oder auch für ausgewählte Regionen.<br />
� Kreditanalyse: Seinen <strong>Finanzierung</strong>sangeboten entsprechend, kann das MFI<br />
die Analyse etwa durch ein Vor-Ort-Gespräch mit der Durchsicht von Kontoauszügen,<br />
durch einen Businessplan oder durch die Prüfung eines vorzufinanzierenden<br />
Auftrages vornehmen.<br />
� Datenerfassung: Die Vertragsdaten sowie Angaben zur Person der Kreditnehmer/innen<br />
erfasst das MFI auf einer geschützten Internetplattform, die auch<br />
zur laufenden Kreditbetreuung dient.<br />
� Unterzeichnung: Die von der Bank erstellten Vertragsunterlagen lässt das<br />
MFI von den Kreditnehmer/innen unterzeichnen und sendet diese an die Bank<br />
zurück.<br />
� Sicherheitenverwaltung: Das MFI legt nach eigenen Maßgaben die Kreditsicherheiten<br />
fest und verwaltet diese.<br />
� Rückzahlungskontrolle: Über ausbleibende Zahlungen wird das MFI elektronisch<br />
informiert. Dieses interveniert dann zeitnah und persönlich.
148 Falk Zientz<br />
� Tilgungsänderungen: Sollen Kredittilgungen reduziert oder ausgesetzt werden,<br />
teilen sie dies der Bank über die Internetplattform mit.<br />
� Ausbuchung: Kann ein Kredit nicht mehr zurückgezahlt werden, teilt das MFI<br />
dies der Bank über die Internetplattform mit. Ausgebuchte Kredite werden jährlich<br />
mit den Gratifikationen verrechnet.<br />
4. Voraussetzungen für eine Kooperation<br />
Die für eine Kooperation mit der GLS Bank wesentlichen Bedingungen für Mikrofinanzinstitute<br />
bestehen in der Teilnahme an einem Bewerbungsprozess, der Begleitung<br />
des technischen und organisatorischen Aufbaus durch das Deutsche Mikrofinanz<br />
Institut DMI (Kosten etwa 5.000 Euro) und der Stellung von Sicherheiten<br />
von zunächst 20 % der aktuellen Kreditsalden – wobei diese nach einem erfolgreichen<br />
Start reduziert werden können. Außerdem sollten MFIs in der Lage sein, die<br />
personellen Ressourcen für eine Anlaufphase auch ohne nennenswerte Erträge<br />
über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten bereitstellen zu können.<br />
Sinnvoll ist der Aufbau eines Mikrofinanzinstitutes, wenn deutlich über 100 Kredite<br />
pro Jahr vergeben werden und die Kreditausfälle langfristig deutlich unter 10 % liegen.<br />
Eine Beispielrechnung: Wenn die Ausfallquote unter 3 % liegt – wie während<br />
unserer Testphase in 2009 – erhält das MFI eine jährliche Gratifikation von mehr als<br />
7 % der Kredittilgungen. Um dies zu erreichen, sollte Mikrofinanzierung als eigenes<br />
Geschäftsfeld aufgebaut und entsprechend den international erfolgreichen Methoden<br />
entwickelt werden. Hierbei leistet der Mikrokreditfonds Deutschland Unterstützung.<br />
Kriterienkatalog für interessierte Organisationen<br />
Formelle Kriterien zur Auswahl von neuen Mikrofinanzinstituten haben für den Mikrokreditfonds<br />
eine nachgeordnete Bedeutung. Erfolgreiche MFIs gibt es in allen<br />
Rechtsformen und mit unterschiedlichsten Geschäftskonzepten – von Selbsthilfeorganisationen<br />
über Dienstleister bis hin zu Franchise-Modellen. Eine Besonderheit<br />
des Mikrokreditfonds ist, dass unterschiedliche Organisationen daran andocken<br />
können und damit ihren jeweiligen Zielgruppen neuen Zugang zu Kapital verschaffen.<br />
Hierfür wird mit den daran interessierten Organisationen zunächst geklärt, ob<br />
der Aufbau eines MFI grundsätzlich sinnvoll ist. Dabei sind dies die wesentlichen<br />
Fragen:
Mikrokreditfonds 149<br />
Wollen Sie Mikrofinanz als tragfähiges Geschäftsfeld aufbauen?<br />
Die Betreuung von Mikrokrediten sollte nicht nur als Nebentätigkeit verstanden werden,<br />
sondern als Geschäftsfeld, in das zunächst investiert werden muss, um dauerhaft<br />
Mikrokredite anbieten zu können. Unserer Erfahrung nach sollten zumindest<br />
drei Personen in unterschiedlichen Rollen das MFI aufbauen. Pro Kreditbetreuer<br />
sollte mittelfristig ein Neugeschäft von mindestens 100 Krediten pro Jahr sowie deren<br />
Betreuung plausibel dargestellt werden können.<br />
Verfügen Sie über das erforderliche Eigenkapital?<br />
Sie haften grundsätzlich für alle Kreditausfälle, wobei die Ausfälle jährlich mit einer<br />
Marge von 10 % auf die Tilgungen verrechnet werden. Ein MFI, das einen jährlichen<br />
Kreditausfall von 2 % hat, erhält somit 8 % der Tilgungen als Gratifikation ausgezahlt.<br />
Insbesondere neue MFIs können aber durchaus Ausfallquoten von über 10 %<br />
erreichen. Vor einigen Jahren hatte ein neues MFI einen Ausfall von 15 % zu verbuchen.<br />
Entsprechend erhielt dieses MFI für das Kalenderjahr keine Gratifikation,<br />
sondern musste 5 % der Tilgungen an den Fonds bezahlen. Dieses Haftungsrisiko<br />
ist ganz bewusst gesetzt, denn Ziel ist der Aufbau wirtschaftlich tragfähiger MFIs.<br />
Zur Absicherung müssen neue MFIs 20 % der aktuellen Kreditsalden mit Guthabenverpfändung<br />
oder Bankbürgschaften unterlegen. Diese Sicherheitenstellung<br />
kann zur Ausweitung des Kreditportfolios monatlich aufgestockt werden. Etablierte<br />
MFIs können die Sicherheitenstellung entsprechend eines Ratings reduzieren.<br />
In der Startphase besteht ein weiterer erheblicher Liquiditätsbedarf dadurch, dass<br />
die Stückentgelte von derzeit 800 Euro erstmals nach 12 Monaten ausgezahlt werden,<br />
anschließend quartalsweise.<br />
Kennen Sie ihre Zielgruppen?<br />
Mikrofinanzinstitute haben keinen Gebietsschutz. Sie definieren ihr Angebot in erster<br />
Linie in Bezug auf Zielgruppen. So kann es in einer Region oder auch in einem<br />
Stadtteil mehrere Mikrokreditangebote geben, ohne dass eine Konkurrenzsituation<br />
auftritt – worauf wir allerdings auch beim Aufbau neuer MFIs achten. Sehr erfolgreiche<br />
Mikrofinanz-Zielgruppen sind Migranten-Gruppierungen, Unternehmerinnen<br />
sowie wirtschaftlich benachteiligte Personen. Sinnvoll ist auch eine Konzentration<br />
auf die Branchen, die von Banken wenig bedient werden. Dafür sollten Sie allerdings<br />
jeweils die spezifischen <strong>Finanzierung</strong>sbedarfe kennen, beispielsweise die<br />
Vorfinanzierung von Aufträgen oder Saisonalkredite für ein bestimmtes Klientel.
150 Falk Zientz<br />
Nutzen Sie die internationalen Erfahrungen?<br />
Die Aufbauphase von MFIs dauert in der Regel deutlich länger als zunächst geplant<br />
und auch die Kreditvergabe läuft oft langsamer an. Mit den Kreditausfällen sind<br />
Lernkurven durchzumachen. Der Arbeitsaufwand übersteigt insbesondere am Anfang<br />
die möglichen Einnahmen. Auch bereits langjährig erfolgreiche Beratungsoder<br />
Dienstleitungsorganisationen, die das Geschäftsfeld Mikrofinanz neu aufbauen,<br />
stehen regelmäßig vor diesen Problemen. Darum lohnt es sich, möglichst intensiv<br />
von den international erfolgreichen Mikrofinanz-Methoden und -Produkten zu<br />
lernen. Unsere Frage an Sie wird darum sein, inwieweit Sie sich beispielsweise mit<br />
Ansparmodellen, Gruppenkrediten oder Stufenkrediten auseinandergesetzt haben<br />
und welche Ansätze Sie für sich nutzen wollen – Gerne unterstützen wir Sie bei der<br />
Wahl der geeigneten Ansätze.<br />
Wäre eine Kooperation mit bestehenden MFIs die bessere Alternative?<br />
Wenn Sie sich für Mikrofinanz engagieren wollen, ohne aber die zum Aufbau eines<br />
MFIs erforderlichen Investitionen zu tätigen, können Sie auch bestehende MFIs auf<br />
eine Kooperation ansprechen. Viele MFIs arbeiten mit Beratern, Banken und öffentlichen<br />
Stellen zusammen. Bis Ende 2010 werden einige Modelle entwickelt, wie<br />
diese Kooperation standardisiert werden kann. Diese Modelle werden sich darin<br />
unterscheiden, ob die Kooperationspartner gegenüber dem MFI mit in die Haftung<br />
gehen, an den finanziellen Chancen partizipieren oder nur unverbindliche Empfehlungen<br />
aussprechen. Bei Interesse können Sie auch jetzt schon auf MFIs mit Ihrem<br />
Kooperationsangebot zugehen.<br />
Haben wir gemeinsame Zielsetzungen?<br />
Für den gemeinsamen Erfolg unserer Kooperation wollen wir mit den neuen MFIs<br />
eine Vertrauensbasis aufbauen, wie uns dies während den letzten Jahren mit den<br />
Pionier-MFIs gelungen ist. In Workshops, Gesprächen und Veranstaltungen geht es<br />
deshalb auch darum, ob unsere geschäftspolitischen Zielsetzungen und unsere Außenauftritte<br />
zueinander passen.<br />
Dies ist wichtig, weil unser Kooperationsmodell auf Gegenseitigkeit beruht. So<br />
könnten beispielsweise die 800 Euro Stückentgelt für jeden Kredit – es gibt keine<br />
Mindestbeträge für Mikrokredite – zur Planung von nur kurzfristig ertragreichen MFI-<br />
Geschäftsmodellen führen. Außerdem gibt es international immer wieder Versuche,<br />
die <strong>Finanzierung</strong>snot eines Unternehmens zu nutzen, um Beratungs- oder Finanzdienstleistungen<br />
zu verkaufen, die das Unternehmen nicht will. Entsprechend haben<br />
wir geregelt, dass die Stückentgelte liquiditätsmäßig erstmals nach 12 Monaten<br />
ausgezahlt werden und die Höhe des Kreditbetrages am unternehmerischen Bedarf<br />
gemessen sein muss. Kopplungsgeschäfte mit anderen Leistungen sind grundsätz-
Mikrokreditfonds 151<br />
lich nicht möglich. Die GLS Bank kann jederzeit die Kreditvergabe einstellen – Wir<br />
gehen aber davon aus, dass diese formellen Regelungen aufgrund der gemeinsamen<br />
Zielsetzungen weiterhin im Hintergrund stehen werden.<br />
5. Einbindung <strong>regionaler</strong> Partner<br />
Viele Mikrofinanzinstitute kooperieren mit regionalen Partnern, wie Banken und<br />
Sparkassen, Wirtschaftsförderern oder ARGEn. Diese Kooperationen sind sehr<br />
sinnvoll, da die MFIs öffentliche und gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen und<br />
es gemeinsame Zielsetzungen gibt. Beispiele für die Unterstützung von MFIs können<br />
das Empfehlungsmarketing bei potenziellen Kreditnehmern, die <strong>Finanzierung</strong><br />
des Aufbaus des MFI oder der laufenden Kreditbetreuung, die Bereitstellung von<br />
Sicherheiten (zunächst 20 % der Kreditsalden) sowie die Produktentwicklung für<br />
spezielle Zielgruppen sein.<br />
Sinnvollerweise greifen dabei verschiedene Maßnahmen ineinander. Dies kann beispielsweise<br />
so aussehen: Das Landesförderinstitut stellt Sicherheiten in Höhe von<br />
20 % des Kreditportfolios zur Verfügung. Alternativ dazu könnten auch Kommune,<br />
Sparkasse, Volksbank und ein Sponsor gemeinsam einen Betrag als Sicherheit für<br />
die lokale Kreditvergabe zur Verfügung stellen. Parallel dazu finanziert das Wirtschaftsministerium<br />
die Ausbildung von Kreditbetreuern sowie Kundenanalysen und<br />
Marktstudien an mehreren Standorten während verschiedene JobCenter die Kosten<br />
der Kreditbetreuung für deren Kunden übernehmen. Volksbanken und Sparkassen<br />
verweisen außerdem regelmäßig Kreditanfragen mit zu geringen Beträgen an das<br />
MFI.<br />
Da Mikrofinanz ein sehr effektives Instrument mit Hebeleffekten ist, sind die Vorteile<br />
für die Kooperationspartner greifbar: Die Kreditausfälle und somit die Kosten sind<br />
deutlich geringer als bei den bekannten Förderprogrammen. Eigenständige regionale<br />
Fonds müssten 100 % der Kreditmittel aufbringen, in dieser Kooperationsform<br />
sind allerdings nur 20 % als Sicherheiten erforderlich – mit der Perspektive auf Reduzierung.<br />
Außerdem muss kein <strong>regionaler</strong> Verwaltungsapparat aufgebaut werden,<br />
da die Verwaltung, inklusive Qualitätssicherung und Reportings, zentral von der<br />
GLS Bank geleistet wird. Vorhandene Förder- und Beratungsangebote können genutzt<br />
werden, was geringe Kosten und eine große Nähe zu den Zielgruppen bedeutet.<br />
Banken und Sparkassen können ihren Kunden neue Lösungen anbieten<br />
und damit in der Region werben.
152 Falk Zientz<br />
Entsprechend sind solche regionalen Kooperationen sehr wünschenswert. Es gibt<br />
jedoch auch MFIs, die ausschließlich mit großem ehrenamtlichen Engagement und<br />
mit Eigenkapital sozialer Unternehmer erfolgreich gestartet sind. Außerdem kann<br />
unserer Erfahrung nach die Einbindung von regionalen Partnern in der Regel erst<br />
der zweite Schritt sein. Zunächst kommt es darauf an, dass eine Initiative unternehmerisch<br />
Mikrofinanz als Geschäftsfeld aufbauen will.<br />
Kontakt:<br />
Falk Zientz<br />
Leiter der Abteilung Mikrofinanz<br />
GLS Bank<br />
Christstr. 9<br />
44789 Bochum<br />
www.mikrokreditfonds.de
TEIL III: Regionale Perspektive
Im Spannungsfeld zentraler Verwaltung und dezentraler<br />
Entfaltung – Regionalisiertes Teilbudget und Regionalbudget<br />
am Beispiel des Landkreises Grafschaft Bentheim<br />
von Dr. Michael Kiehl<br />
1. Einleitung<br />
Der folgende Beitrag widmet sich dem Themenfeld der Regionalfinanzierung aus<br />
der praktischen Perspektive des Landkreises Grafschaft Bentheim. Am Beispiel von<br />
zwei <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten aus dem Bereich der Wirtschaftsförderung soll<br />
herausgearbeitet werden, was konkret mit den regional zur Verfügung stehenden<br />
Mitteln getan werden kann. Dabei wird gleichsam das Spannungsfeld zwischen dezentralem<br />
Gestaltungswillen und zentraler Steuerung durch die Verwaltungsbehörden<br />
auf Landesebene deutlich.<br />
Als erstes Beispiel wurden die Regionalisierten Teilbudgets ausgewählt, die im Jahr<br />
2007 Eingang in die niedersächsische EFRE-Förderung (Förderung des Europäischen<br />
Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>) gefunden haben und deren Umsetzung im<br />
Landkreis Grafschaft Bentheim weit fortgeschritten ist. Die Regionalisierten Teilbudgets<br />
sind – nicht zuletzt im bundesweiten Vergleich – als sehr weitreichende Form<br />
der Einbindung der Kommunen in die Entscheidungsprozesse der EFRE-Förderung<br />
zu bezeichnen und verdienen schon allein vor diesem Hintergrund eine eingehende<br />
Betrachtung. Im zweiten Teil des Beitrags wird das Regionalbudget aus der Gemeinschaftsaufgabe<br />
zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)<br />
vorgestellt. In der „Wachstumsregion Ems-Achse“, einem regionalen Verbund, dem<br />
auch der Landkreis Grafschaft Bentheim angehört, wurde basierend auf dem Regionalbudget<br />
eine regionale Fachkräfteinitiative mit dem Titel ”Ems-Achse, beste<br />
Köpfe – beste Chancen” erarbeitet.<br />
Dieses zweite Beispiel macht deutlich, dass durch Instrumente der Regionalfinanzierung<br />
und die damit gestärkten dezentralen Entscheidungsprozesse tatsächlich<br />
passgenaue Lösungen für die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> vor Ort entstehen können.
156 Dr. Michael Kiehl<br />
2. Das Regionalisierte Teilbudget am Beispiel des Landkreises<br />
Grafschaft Bentheim<br />
Im Rahmen des Operationellen Programms des Landes Niedersachsen für den Europäischen<br />
Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) wurde die Einführung Regionalisierter<br />
Teilbudgets festgelegt. Für die Förderperiode 2007 bis 2013 ist ein Teil der<br />
EFRE Fördermittel (insgesamt 131,25 Mio. Euro) zur dezentralen Verwaltung durch<br />
die Landkreise und die kreisfreien Städte in Niedersachsen vorgesehen. Im Konvergenz-Gebiet<br />
sind das 3,75 Mio. Euro, in den übrigen Landesteilen (RWB-Gebiet)<br />
2,5 Mio. Euro je Landkreis bzw. kreisfreier Stadt. Die EFRE-Mittel sind im RWB-<br />
Gebiet in gleicher Höhe und im Konvergenz-Gebiet zu 25% kozufinanzieren, sodass<br />
letztlich in der Summe 5 Mio. Euro je Kreis bzw. kreisfreier Stadt über den Förderzeitraum<br />
zur Verfügung stehen. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Verkehr gibt als Verwaltungsbehörde über Richtlinien vor, für welche Bereiche<br />
des Operationellen Programms die Mittel des Regionalisierten Teilbudgets<br />
verwendet werden dürfen (vgl. Abbildung). Ein besonderer Fokus der Mittelverwendung<br />
soll dabei auf eine Förderung investiver Maßnahmen für kleine und mittlere<br />
Unternehmen (KMU) im Schwerpunkt 1 des Operationellen Programms gelegt werden.<br />
Darüber hinaus wurden bestehende Landesrichtlinien aus den Schwerpunkten<br />
2 und 3 für eine <strong>Finanzierung</strong> aus Mitteln der Regionalisierten Teilbudgets geöffnet.<br />
Abbildung 1: Fördermöglichkeiten im Rahmen der Regionalisierten Teilbudgets<br />
Schwerpunkt 1:<br />
Steigerung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von KMU, z.B.:<br />
� Investive Unternehmensförderung bei KMU<br />
Schwerpunkt 2:<br />
<strong>Entwicklung</strong> der Innovationskapazitäten und gesellschaftliche Wissenspotenziale, z.B.:<br />
� Förderung von Beratung für Wissens- und Technologietransfer in Gebietskörper-<br />
schaften<br />
� Förderung von Innovationsclustern<br />
� Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />
Schwerpunkt 3:<br />
Unterstützung spezifischer Infrastrukturen für nachhaltiges Wachstum, z.B.:<br />
� Breitbandnetze<br />
� Touristische Infrastruktur<br />
2.1. Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
Der Landkreis Grafschaft Bentheim liegt in Niedersachsen unmittelbar an der Grenze<br />
zu den Niederlanden bzw. zu Nordrhein-Westfalen. Mit rd. 135.500 Einwohnern<br />
und einer Fläche von 980,75 km² (Stand 2009) beträgt die Einwohnerdichte 138
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 157<br />
Einwohner/km², so dass die Grafschaft Bentheim als ländlicher Raum zu bezeichnen<br />
ist. 101 Zum Landkreis gehören sieben Kommunen, von denen Nordhorn als<br />
Mittelzentrum mit gut 53.000 Einwohnern die größte ist. Infrastrukturell ist der Landkreis<br />
über die Bundesautobahnen 30 und 31 sowie einen Anschluss an die Intercity-<br />
Strecke Amsterdam-Berlin-Warschau gut erschlossen. In wirtschaftlicher Hinsicht<br />
hat die Grafschaft Bentheim innerhalb weniger Jahrzehnte einen tiefgreifenden<br />
Strukturwandel von einem landwirtschaftlich geprägten Peripherraum zu einer äußerst<br />
dynamischen Region mit starkem Beschäftigungswachstum vollzogen. Prägende<br />
Branchen sind das Baugewerbe, die Ernährungswirtschaft, die Kunststoffverarbeitung<br />
sowie der Maschinenbau. 102 Trotz des Niedergangs der Textilindustrie<br />
und den damit verbundenen erheblichen Strukturbrüchen zählte der Landkreis in<br />
den vergangen Jahren zu den wachstumsstärksten Regionen des Bundesgebietes<br />
und kann aktuell mit 4,6 % auf eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten im Land<br />
Niedersachsen verweisen (Stand November 2010).<br />
2.2. Das Regionalisierte Teilbudget im Landkreis Grafschaft<br />
Bentheim<br />
Zu Beginn der Förderperiode waren die 2,5 Mio. Euro EFRE-Mittel des Regionalisierten<br />
Teilbudgets durch den Landkreis bzw. den Kreistag auf die drei Schwerpunkte<br />
zu verteilen. Entsprechend einer Empfehlung der Investitions- und Förderbank<br />
Niedersachsen (NBank) hat die Grafschaft Bentheim – wie die Mehrzahl der<br />
niedersächsischen Landkreise und kreisfreien Städte – rund zwei Drittel der Mittel<br />
auf den Schwerpunkt 1 und damit die Umsetzung des kommunalen KMU-<br />
Förderprogramms konzentriert (255.000 Euro/Jahr). Die restlichen Mittel wurden zu<br />
gleichen Teilen auf die Schwerpunkte 2 und 3 verteilt (jeweils 51.000 Euro/Jahr).<br />
Das macht deutlich, dass die kommunale KMU-Förderung hinsichtlich der Mittelausstattung<br />
den zentralen Aspekt der Regionalisierten Teilbudgets darstellt und<br />
insofern in der folgenden Darstellung etwas ausführlicher betrachtet werden sollte.<br />
2.3. Die KMU-Förderung im Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
Der Landkreis Grafschaft Bentheim konnte bereits im Jahr 2002 im Zuge der vorausgegangenen<br />
EFRE-Ziel 2 Förderung eine KMU-Förderrichtlinie einführen. Über<br />
diese Richtlinie konnten Unternehmen, die in der Grafschaft Bentheim investieren<br />
und neue Arbeitsplätze schaffen, einen Zuschuss zu ihren Investitionskosten erhal-<br />
101 Vgl. BBSR (2010): http://www.bbsr.bund.de/nn_103086/BBSR/DE/Raumbeobachtung/Werkzege/<br />
Raumabgrenzungen/SiedlungsstrukturelleGebietstypen/Regionstypen/regionstypen.html (zugegriffen<br />
am 29.12.2010).<br />
102 vgl. KIEHL, MICHAEL (2010): Aus der Randlage auf die Überholspur. Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft;<br />
In: Burkert: Die Grafschaft Bentheim, 477-487, Bad Bentheim.
158 Dr. Michael Kiehl<br />
ten. Mit der Einführung der Regionalisierten Teilbudgets auf Grundlage der Rahmenregelung<br />
des Landes Niedersachsen für die kommunale Förderung kleiner und<br />
mittlerer Unternehmen aus dem EFRE vom 03.08.2007 bestand für die Grafschaft<br />
Bentheim die Chance, die erfolgreiche kommunale KMU-Förderung fortzusetzen.<br />
Bereits im September des gleichen Jahres wurde durch einen Kreistagsbeschluss<br />
die neue KMU-Richtlinie des Landkreises Grafschaft Bentheim in Kraft gesetzt. Im<br />
Zuge der kommunalen KMU-Richtlinie wird die Landesrahmenregelung insbesondere<br />
hinsichtlich der Förderkriterien und -voraussetzungen (z.B. Zahl der zu schaffenden<br />
Arbeitsplätze, förderfähige Branchen, förderfähige Investition je Arbeitsplatz,<br />
Maximalförderung) konkretisiert und an die regionalen Besonderheiten angepasst.<br />
Die Kernelemente der KMU-Richtlinie des Landkreises Grafschaft Bentheim lassen<br />
sich wie folgt zusammenfassen:<br />
1. Zuwendungszweck, Rechtsgrundlage<br />
Zur Schaffung neuer und Sicherung vorhandener Arbeitsplätze gewährt der<br />
Landkreis Grafschaft Bentheim finanzielle Zuwendungen zu investiven Maßnahmen<br />
von KMU. Die Förderung erfolgt auf der Grundlage der Allgemeinen<br />
Gruppenfreistellungsverordnung (AGFVO). Ein Anspruch auf die Gewährung<br />
einer Zuwendung nach der Richtlinie besteht nicht.<br />
2. Antragsberechtigung<br />
Antragsberechtigt sind KMU des produzierenden Gewerbes, des verarbeitenden<br />
Handwerks, des Großhandels und der Logistik – außer Transport- und Lagergewerbe<br />
– soweit sich der Sitz der Betriebsstätte im Landkreis Grafschaft<br />
Bentheim befindet und sie die aktuellen Kriterien der Europäischen Union für<br />
staatliche Beihilfen an KMU erfüllen.<br />
3. Gegenstand der Förderung<br />
Gefördert werden Anlageinvestitionen bei der Errichtung oder Erweiterung einer<br />
neuen Betriebsstätte oder der Erwerb einer stillgelegten Betriebsstätte.<br />
Voraussetzung für eine Förderung ist, dass die Zahl der Dauerarbeitsplätze um<br />
15 % gegenüber dem Stand vor Investitionsbeginn erhöht wird. Es müssen<br />
mindestens zwei Dauerarbeitsplätze geschaffen werden, davon mindestens ein<br />
Vollzeitarbeitsplatz. Da dem Landkreis Grafschaft Bentheim die Förderung von<br />
Ausbildungsplätzen besonders wichtig ist, zählen Ausbildungsplätze doppelt.<br />
Die durch die Investition geschaffenen Dauerarbeitsplätze müssen mindestens<br />
drei Jahre besetzt bleiben bzw. nachweislich auf dem Arbeitsmarkt angeboten<br />
werden.<br />
Die Investitionsmaßnahme muss ein förderfähiges Volumen in Höhe von mindestens<br />
50.000 Euro haben. Die maximale Förderung je Investitionsvorhaben<br />
beträgt 40.000 Euro. Investitionszuschüsse kommen nur für den Teil der Inve-
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 159<br />
stition in Betracht, der je geschaffenem Dauerarbeitsplatz 75.000 Euro nicht<br />
übersteigt.<br />
4. Art, Umfang und Höhe der Zuwendung:<br />
Die Beihilfe wird in Form eines nicht rückzahlbaren, sachkapitalbezogenen Investitionszuschusses<br />
als Anteilsfinanzierung gewährt. Der Zuschuss kann bei<br />
kleinen Unternehmen im Sinne der Definition der EU bis zu 20 % und mittleren<br />
Unternehmen im Sinne der Definition der EU bis zu 10 % der förderfähigen<br />
Kosten betragen.<br />
Anders als bei der einzelbetrieblichen Förderung der Gemeinschaftsaufgabe zur<br />
Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) ist ein über<strong>regionaler</strong> Absatzmarkt<br />
für die KMU-Förderung nicht Voraussetzung. Da die Grafschaft Bentheim<br />
zum Fördergebiet der GRW zählt, ergänzen sich beide Programme im Landkreis.<br />
Unternehmen mit einem überregionalen Absatzmarkt stellen Förderanträge über die<br />
GRW, während Unternehmen, die überwiegend regional agieren, eine Förderung<br />
der KMU-Richtlinie in Anspruch nehmen können. Dies erklärt auch die im Vergleich<br />
zu anderen Landkreisen hohe Maximalförderung von 40.000 Euro. Bis zum Jahr<br />
2010 hat die RTB-Maximalförderung im Landkreis Grafschaft Bentheim sogar<br />
60.000 Euro betragen. Mit einer deutlichen Verknappung der GRW-Mittel in 2010<br />
und einer Verschiebung der Förderfälle aus der GRW-Förderung in die KMU-<br />
Förderung musste jedoch eine Reduzierung der Maximalförderung vorgenommen<br />
werden.<br />
Die Bilanz der KMU-Förderung fällt äußerst positiv aus. So konnten allein im Zeitraum<br />
2007 bis 2010 über 70 unternehmerische Investitionsvorhaben mit einem Zuschuss<br />
begleitet werden. Mit einem Zuschussvolumen in Höhe von knapp 2,5 Mio.<br />
Euro wurden Gesamtinvestitionen in der Höhe von gut 28 Mio. Euro angestoßen<br />
und insgesamt 215 Arbeitsplätze, darunter 50 Ausbildungsplätze geschaffen. Dies<br />
entspricht einem Fördermitteleinsatz von rd. 11.600 Euro je geschaffenem Arbeitsplatz,<br />
was deutlich unter dem durchschnittlichen Fördermitteleinsatz je geschaffenen<br />
Arbeitsplatz in der GRW von rd. 22.000 Euro liegt. 103<br />
103 Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />
zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 84.
160 Dr. Michael Kiehl<br />
2.4. Umsetzung des Regionalisierten Teilbudgets in den Schwerpunkten<br />
2 und 3<br />
Im Gegensatz zur KMU-Förderung erfolgt in den Schwerpunkten 2 und 3 ein zentrales<br />
durch die NBank gesteuertes Verfahren. Sowohl die Beratung und die Antragsaufnahme<br />
als auch die Prüfung der Förderfähigkeit und -würdigkeit obliegt der<br />
NBank. Die Landkreise und kreisfreien Städte haben lediglich ein qualifiziertes Vorschlagsrecht,<br />
die benannten Anträge werden anschließend jedoch auf der Grundlage<br />
richtlinienspezifischer Qualitätskriterien hinsichtlich ihrer Förderfähigkeit (z.B.<br />
eine Mindestpunktzahl im Scoringverfahren) bewertet. Gleichfalls werden – ebenfalls<br />
anders als bei der KMU-Förderung – auch die Bescheiderstellung, das Berichtswesen,<br />
die Vorort-Kontrollen und die Verwendungsnachweisprüfung nicht<br />
durch die Kommunen sondern durch die NBank vorgenommen.<br />
Im Landkreis Grafschaft Bentheim wurden die Fördermöglichkeiten des Schwerpunkts<br />
2 zum einen für die Erweiterung des kommunalen Technologietransfers und<br />
zum anderen für die Umsetzung eines Clustermanagements im Kunststoffnetzwerk<br />
genutzt:<br />
Technologietransfer über das Steinbeis Transferzentrum Grafschaft Bentheim<br />
Wissen und Innovationen werden für die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> von Unternehmen<br />
immer wichtiger. Tendenziell gelten ländliche Regionen, bedingt durch ihre räumliche<br />
Distanz zu Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen, als benachteiligt bei<br />
der Diffusion von Wissen. 104 Diese Erkenntnis hat den Landkreis im Jahr 2002<br />
veranlasst einen Kooperationsvertrag mit der Steinbeis-Stiftung zum Technologietransfer<br />
abzuschließen. Durch die Verknüpfung und das Zusammenführen von<br />
mittlerweile mehr als 700 Steinbeis-Zentren und den leistungsfähigen regionalen<br />
Unternehmen in Beratungsgesprächen werden Impulse für die <strong>Entwicklung</strong> und<br />
Umsetzung von Zukunftstechnologien gegeben. Durch die Einführung der Richtlinie<br />
”Technologietransfer in Gebietskörperschaften” in die Regionalisierten Teilbudgets<br />
war es dem Landkreis Grafschaft Bentheim möglich, dieses Angebot<br />
weiter aufrecht zu erhalten und auszuweiten. Seit der Förderung aus dem Regionalbudget<br />
wurden 111 Beratungen bei Grafschafter Unternehmen durchgeführt.<br />
Über 90 % der beratenen Unternehmen zeigten sich mit dem Angebot sehr zufrieden.<br />
104 Glaeser, Edward; et al. (1992): Growth in cities. In: Journal of Political Economy, No. 100, S.<br />
1126-1152, Frenkel, Ammon und David Scheffer (1996): Modelling Regional Innovativeness and<br />
Innovation. In: The Annals of Regional Science, S. 31-54.
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 161<br />
Kunststoffnetzwerk der Ems-Achse<br />
Über die Richtlinie ”Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur” können u.a. Kooperationsnetzwerke<br />
und Clustermanagement gefördert werden. Der Landkreis<br />
Grafschaft Bentheim ist seit 2006 mit der Betreuung eines Kunststoffnetzwerkes<br />
der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. (siehe auch zweiter Teil des Beitrags) betraut.<br />
Um die Personal- und Geschäftskosten des Clustermanagements aber auch<br />
die Projektaktivitäten des Kunststoffnetzwerkes finanzieren zu können, stellte der<br />
Landkreis im Jahr 2007 einen Antrag auf Förderung bei der NBank. Der Antrag<br />
wurde unter der Maßgabe bewilligt, dass ein Teil der 50-prozentigen Förderung<br />
aus Mitteln des Regionalisierten Teilbudgets entnommen wird.<br />
Mit diesen beiden bewilligten Maßnahmen sind die Mittel des Schwerpunkts 2 aus<br />
dem Regionalisierten Teilbudget nahezu vollständig gebunden. Für die Mittel des<br />
Schwerpunkts 3 konnte hingegen bis zum Jahreswechsel 2009/2010 keine Verwendung<br />
gefunden werden. Ursprünglich war beabsichtigt worden, die Mittel über<br />
die Richtlinie ”Breitbandnetze” für die Förderung der Breitbandversorgung in den<br />
ländlichen Außenbereichen der Grafschaft Bentheim einzusetzen. Die äußerst geringe<br />
Maximalförderung von 100.000 Euro sowie die neu entstandenen Fördermöglichkeiten<br />
über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und<br />
des Küstenschutzes bzw. das Konjunkturpaket machten diese Überlegungen jedoch<br />
obsolet. Vor diesem Hintergrund wurde zum Haushaltsjahr 2010 die Übertragung<br />
der Mittel aus dem Schwerpunkt 3 auf den Schwerpunkt 1 (KMU-Förderung) bei der<br />
NBank beantragt und bewilligt. Damit fließen von 2010 bis 2013 jährlich nunmehr<br />
344.000 Euro EFRE-Mittel in die KMU-Förderung des Landkreises.<br />
3. Das GRW-Regionalbudget am Beispiel der Initiative<br />
”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”<br />
Bei dem Projekt ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen” handelt es sich um<br />
eine Initiative der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. zur Gewinnung von Fach- und<br />
Führungskräften. Das Projekt wurde ermöglicht durch die Einführung von so genannten<br />
Regionalbudgets in die GRW im Jahr 2008. Über dieses Förderinstrument<br />
können Regionen einen Zuschuss von maximal 300.000 Euro pro Jahr für bis zu<br />
drei Jahre erhalten, um Projekte zu realisieren, die die Wirtschaftskraft der Region<br />
stärken. Voraussetzung sind eine Kreisgrenzen übergreifende Kooperation, ein<br />
funktionierendes Regionalmanagement, eine vorgeschaltete Potentialanalyse sowie<br />
eine enge Zusammenarbeit in der Umsetzungsphase mit Unternehmen. Mit der<br />
Einführung von Regionalbudgets schließt die GRW an die Förderung von Regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzepten seit Mitte der 1990er Jahre an. Schon mit den Regio-
162 Dr. Michael Kiehl<br />
nalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepten wurde die Hoffnung verbunden, über die Einbindung<br />
<strong>regionaler</strong> Akteure und Expertise innovative und neuartige Lösungsansätze für die<br />
wirtschaftliche Regionalentwicklung vor Ort zu generieren. Dieser Gedanke wird mit<br />
der Einführung von Regionalbudgets aufgegriffen und insofern erweitert, als nunmehr<br />
nicht nur die Erstellung von Konzepten gefördert wird, sondern Regionen – für<br />
die Realisierung ihrer neuartigen Ideen – Budgets zur eigenverantwortlichen Umsetzung<br />
erhalten können. 105<br />
Am Beispiel des Projekts ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”, das zu den<br />
ersten beiden geförderten Projekten in Niedersachsen aus dem Regionalbudget der<br />
GRW gehört, soll im Folgenden exemplarisch die Umsetzung dieses Förderinstruments<br />
aufgezeigt werden.<br />
3.1. Die Wachstumsregion Ems-Achse<br />
Die Wachstumsregion Ems-Achse liegt im Nordwesten Niedersachsens an der<br />
Grenze zu den Niederlanden und umfasst die Landkreise Aurich, Emsland, Grafschaft<br />
Bentheim, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden. Der Verein<br />
”Wachstumsregion Ems-Achse e.V.” wurde von den beteiligten Landkreisen, der<br />
kreisfreien Stadt Emden sowie von den Industrie- und Handelskammern und einigen<br />
Unternehmen im Jahr 2006 gegründet. 106<br />
Mitglieder des Wachstumsregion Ems-Achse e.V. können neben den Gebietskörperschaften<br />
alle Wirtschaftsunternehmen der Region, Kammern, Wirtschaftsverbände,<br />
Bildungseinrichtungen sowie weitere juristische Personen mit enger Beziehung<br />
zur Region werden. In kurzer Zeit konnte die Mitgliederzahl des Vereins auf<br />
mehr als 350 gesteigert werden. Besonders erfreulich ist die große Akzeptanz des<br />
Vereins in der Unternehmerschaft. Derzeit sind rund drei Viertel der Mitglieder regionale<br />
Unternehmer. Dies bringt auch die Struktur des Vereinsvorstandes zum<br />
Ausdruck, der paritätisch mit Unternehmensvertretern und den Hauptverwaltungsbeamten<br />
der beteiligten Landkreise besetzt ist. Der starken unternehmerischen<br />
Prägung des Ems-Achse e.V. kommt aus Sicht des Verfassers eine große Bedeutung<br />
bei der erfolgreichen <strong>Entwicklung</strong> und Umsetzung des Regionalbudgets zu. So<br />
ist die maßgebliche Beteiligung der Unternehmen ein Garant dafür, dass nur solche<br />
Projekte für die Umsetzung vorgeschlagen werden, von denen sich auch die Unternehmen<br />
der Region einen echten Mehrwert versprechen.<br />
105 Vgl. BUNDESDRUCKSACHSE 16/13950 (2009): Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
”Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur”, Berlin.<br />
106 Vgl. BRÖRING, Hermann (2009): Die Emsachse als Ansatz für eine moderne Governance-Struktur<br />
im ländlichen Raum; In: Neues Archiv für Niedersachsen, S. 86-97.
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 163<br />
Entsprechend Ihrer wirtschaftlichen Stärken und Potentiale konzentriert sich die Arbeit<br />
der Wachstumsregion Ems-Achse auf sechs Schwerpunktbranchen bzw. Kompetenzfelder.<br />
Dies sind die Kompetenzfeder Energie, Kunststoff, Logistik, Maritime<br />
Verbundwirtschaft, Metall- und Maschinenbau sowie Tourismus. Jedes dieser Kompetenzfelder<br />
wird federführend durch einen der beteiligten Landkreise bzw. die<br />
Stadt Emden dezentral für den gesamten Wirtschaftsraum betreut.<br />
3.2. Das Regionalbudget – ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste<br />
Chancen”<br />
Im Jahr 2008 stellte das Themenfeld Fachkräftemangel bzw. die Gewinnung von<br />
Fachkräften einen Arbeitsschwerpunkt in allen beteiligten Kompetenzfeldern dar.<br />
Die Unternehmensvertreter beklagten vermehrt Schwierigkeiten bei der Besetzung<br />
von Stellen bzw. bei der (überregionalen) Akquisition von Fachkräften. Gleichzeitig<br />
quantifizierte eine Beschäftigungsprojektion für die Wachstumsregion Ems-Achse<br />
den zu erwartenden Fachkräftemangel eindrücklich. 107 Vor diesem Hintergrund<br />
wurde in den Gremien der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. im Sommer 2009<br />
entschieden, sich an der ersten Ausschreibung des Landes Niedersachsen zur Vergabe<br />
von Regionalbudgets mit einer Fachkräftestrategie zu beteiligen. In zahlreichen<br />
Workshops mit Experten aus den Landkreisen sowie Vertretern von Unternehmen,<br />
Bildungsträgern und Kammern wurden Zielgruppen definiert, Projektideen<br />
entwickelt und nach einer abschließenden Priorisierung mit konkreten Finanzplänen<br />
unterlegt. Der gesamte <strong>Entwicklung</strong>sprozess erfolgte in enger Abstimmung mit der<br />
für die Bewilligung zuständigen NBank, was insbesondere aus zwei Gründen erforderlich<br />
war: Zum einen erfolgt die Vergabe der GRW-Regionalbudgets in Niedersachsen<br />
auf der Grundlage der recht allgemeinen ”Richtlinie über die Gewährung<br />
von Zuwendungen zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und zur Förderung<br />
wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen”. Ist dies im Grunde äußerst erfreulich,<br />
da es den Regionen tatsächlich Raum für innovative Lösungen lässt, erlaubt es<br />
jedoch ohne enge Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber auch keinerlei Gewissheit<br />
darüber, ob einzelne Maßnahmen förderfähig sind. Zum anderen war die enge<br />
Abstimmung mit der NBank auch deshalb unerlässlich, da das Regionalbudget zu<br />
erheblichen Teilen aus dem EFRE gespeist wird. Die Fachkräftestrategie mit ihren<br />
am Arbeitsmarkt orientierten Ansätzen weist jedoch in einigen Bereichen eine inhaltliche<br />
Nähe zu den Förderzielen des Europäischen Sozialfonds (ESF) auf, so<br />
dass zwingend auf eine Abgrenzung zu ESF Maßnahmen geachtet werden musste.<br />
107 Vgl. GWS Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (2009): Beschäftigungsprojektion<br />
Wachstumsregion Ems-Achse bis zum Jahr 2025, Abschlussbericht im Auftrag der Regionaldirektion<br />
Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit, Osnabrück.
164 Dr. Michael Kiehl<br />
Letztlich konnte die Wachstumsregion Ems-Achse e.V. im Dezember 2009 einen<br />
Bewilligungsbescheid über 900.000 Euro für drei Jahre in Empfang nehmen und<br />
erhielt im Sommer 2010 die Freigabe für die im Businessplan detailliert aufgeschlüsselten<br />
Projekt- und <strong>Finanzierung</strong>spläne. Damit konnte die Umsetzung der<br />
Maßnahmen aus dem Regionalbudget im September 2010 beginnen.<br />
Mit der Förderung von 900.000 Euro und der regionalen Kofinanzierung in Höhe<br />
von je 450.000 Euro durch die Landkreise und die Stadt Emden sowie die Mitgliedsunternehmen<br />
stehen nun 1,8 Millionen Euro für die Umsetzung insbesondere<br />
folgender sechs Projekte zur Verfügung 108 :<br />
1. Servicestelle für zuziehende Fachkräfte<br />
Ziel dieser Maßnahme ist eine bedarfsorientierte Betreuung zuziehender Fachund<br />
Führungskräfte, die über den eigentlichen Arbeitsplatz hinausgeht. Sowohl<br />
in der Geschäftsstelle als auch bei den beteiligten Landkreisen und der Stadt<br />
Emden werden Servicestellen eingerichtet, die den Fachkräften Unterstützungsleistungen<br />
z.B. bei der Immobiliensuche, der Suche nach einem Kindergartenplatz<br />
oder der Jobsuche für den Ehepartner behilflich sind. Unternehmen<br />
erhalten die Möglichkeit bereits im Bewerbungsgespräch einen Service-<br />
Gutschein an die potentielle Fachkraft zu vergeben, was dazu beitragen soll,<br />
dass sich der Bewerber für das Unternehmen und für die Region entscheidet.<br />
2. Deutschlandweite Akquisition von Fachkräften<br />
Die Wachstumsregion Ems-Achse wird in den kommenden Jahren bundesweit<br />
an Job- und Hochschulabsolventenmessen teilnehmen und für die Berufschancen<br />
in der Region werben. Konkret sollen Informationen über die Kompetenzfelder<br />
der Region, über die vielfältige Unternehmenslandschaft sowie<br />
über die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort vermittelt werden. Darüber<br />
hinaus haben die Unternehmen die Chance, konkrete Stellenangebote aber<br />
auch Unternehmensprofile in einer neuen, auf Fachkräfte ausgerichteten Stellenbörse<br />
(www.jobachse.de) zu präsentieren. Mit beiden Maßnahmen soll die<br />
Ems-Achse neben ihrem Image als Urlaubsregion auch als Standort vielfältiger<br />
innovativer und zukunftssicherer Unternehmen im Bewusstsein potentieller<br />
Fachkräfte verankert werden.<br />
108 Vgl. Kipp, Daniel und Marco Stüber (2010): Ems-Achse, beste Köpfe - beste Chancen! Busi-<br />
nessplan zum Regionalbudget.
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 165<br />
3. Kontakthaltemaßnahmen zu Absolventen der Region<br />
Auf Grund der geringen Hochschuldichte verlassen viele junge Menschen die<br />
Region für ihre akademische Ausbildung. Wer die Region für ein Studium oder<br />
aus anderen privaten oder beruflichen Gründen verlässt, muss jedoch nicht auf<br />
Dauer für den regionalen Arbeitsmarkt verloren sein. Vielmehr zeigt die Erfahrung,<br />
dass ”Ehemalige” eine zentrale Zielgruppe für die Fachkräfteaktivitäten<br />
der Ems-Achse sind, da sie auf Grund ihrer oftmals hohen emotionalen Bindung<br />
an die Region leichter und dauerhafter für den regionalen Arbeitsmarkt zu<br />
gewinnen sind als Zuzügler. Um das Potential der ”Ehemaligen” für die Ems-<br />
Achse besser und konsequenter zu nutzen als bisher, wird in Zukunft eine Absolventendatenbank<br />
aufgebaut, in die sich Schulabsolventen eintragen können.<br />
Über regelmäßige Newsletter mit Informationen aus der Region, Stellenangeboten<br />
und Praktikumsmöglichkeiten bleibt die Region mit ihren Absolventen<br />
im Kontakt.<br />
4. Entrepreneurship-Offensive an den regionalen Hochschulen<br />
Zum einen werden auch die Absolventen der regionalen Hochschulstandorte<br />
(Emden/Leer sowie Osnabrück Standort Lingen) verstärkt über die beruflichen<br />
Perspektiven in der Region informiert werden. Darüber hinaus soll jedoch auch<br />
der Unternehmergeist der Studierenden systematisch gestärkt werden, um das<br />
kreative und innovative Potential der regionalen Fachhochschulstudierenden<br />
für Unternehmensneugründungen und das mindestens ebenso wichtige Feld<br />
der Unternehmensnachfolge zu nutzen. Nach einer Sensibilisierung aller Studierenden<br />
für das Themenfeld Entrepreneurship durch Informationsveranstaltungen<br />
und verpflichtende Vorlesungen sollen gründungswillige Studierende<br />
einen nahtlosen Übergang von den Angeboten der Hochschule in die regionale<br />
Unterstützungsstruktur – z.B. in die regionalen Gründerzentren in Emden, Lingen<br />
und Nordhorn – vorfinden.<br />
5. Notfallbetreuung für Kinder<br />
Da die Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Ems-Achse deutlich unter dem<br />
Bundesdurchschnitt liegt, sind Frauen eine weitere zentrale Zielgruppe der Initiative<br />
”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”. Der Maßnahme Notfallbetreuung<br />
für Kinder liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass Familien die Kinderbetreuung<br />
im Alltag mittlerweile gut organisieren können und auf ein regional gut<br />
ausgebautes Netz an Unterstützungsdienstleistungen und Betreuungseinrichtungen<br />
zurückgreifen können. Probleme treten allerdings regelmäßig bei<br />
Krankheitsfällen der Kinder oder etwa bei ausfallender Kinderbetreuung<br />
(Krankheit der Tagespflegeperson/Schulausfall etc.) auf. Über das Projekt wird
166 Dr. Michael Kiehl<br />
eine kurzfristige Betreuung von Kindern im Zuge solcher ”Notfälle” sichergestellt.<br />
Fest angestellte Tagesmütter halten sich auf Abruf bereit und werden bei<br />
Bedarf binnen zwei Stunden an eine Familie vermittelt. Das Angebot ist für die<br />
Familien kostenlos und darf jeweils für einen Tag in Anspruch genommen werden.<br />
6. Gezieltes Regionalmarketing<br />
Die Wachstumsregion Ems-Achse als dynamische Wirtschaftsregion ist als Arbeits-<br />
und Lebensraum noch nicht ausreichend bekannt. Um die Standortvorteile<br />
und <strong>Entwicklung</strong>sperspektiven deutlich zu machen, ist ein gezieltes Regionalmarketing<br />
für die Ems-Achse erforderlich. Das beinhaltet z.B. die <strong>Entwicklung</strong><br />
und Umsetzung einer einheitlichen Marketingstrategie ”Ems-Achse –<br />
Jobmotor Nordwest”, eine aktive überregionale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
eine professionelle Social-Media-Strategie oder auch die Teilnahme an<br />
überregionalen Standortmessen (z.B. Expo Real).<br />
4. Fazit<br />
Im vorliegenden Beitrag wurden mit den Regionalisierten Teilbudgets aus der<br />
EFRE-Förderung des Landes Niedersachsen und dem Regionalbudget aus der<br />
GRW zwei bedeutende Instrumente der Regionalfinanzierung praktisch vorgestellt.<br />
Bevor abschließend einige allgemeine Anmerkungen zur Regionalfinanzierung aus<br />
Sicht einer Kommune vorgenommen werden, soll zunächst eine Bewertung der beiden<br />
Förderinstrumente erfolgen.<br />
Das Regionalisierte Teilbudget des Landes Niedersachsen ist sicher als eine sehr<br />
weitreichende Form der Regionalisierung von EFRE-Mitteln zu betrachten. Dies<br />
wird nicht zuletzt in der bundesdeutschen Perspektive deutlich, nach der Niedersachsen<br />
neben dem Land Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland in<br />
Deutschland ist, das die Umsetzungs- und Entscheidungsprozesse eines Programms<br />
in der EFRE-Förderung den Kommunen in ihrer Gebietskörperschaft überträgt.<br />
109 Durch die Rahmenrichtlinie in Förderschwerpunkt 1 (KMU-Förderung) und<br />
die Richtlinien in den Förderschwerpunkten 2 und 3 auf der einen Seite sowie durch<br />
die Empfehlung zur Mittelaufteilung auf die drei Schwerpunkte auf der anderen<br />
Seite hat das Land einen Rahmen zur Ausgestaltung der Regionalisierten Teilbudgets<br />
vorgegeben. Auch wenn dieser Rahmen sowohl bei der Mittelverteilung als<br />
auch bei der Formulierung der kommunalen KMU-Richtlinien durchaus lokale Flexibilität<br />
und lokale Schwerpunktsetzungen erlaubt, wäre aus Sicht der Landkreise und<br />
109 Vgl. Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />
zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 7.
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 167<br />
kreisfreien Städte in der Praxis weitergehender Gestaltungsspielraum sehr wünschenswert.<br />
So sind bspw. inhaltliche Schwerpunktsetzungen neben den vom Land<br />
benannten Richtlinien nicht möglich, obwohl die gesamte Kofinanzierung der EFRE-<br />
Mittel über kommunale Mittel erfolgt. Dies gilt selbst für solche Projekte, die durch<br />
andere Landesrichtlinien zur EFRE-Förderung abgedeckt wären, wenn diese Richtlinien<br />
nicht für die Regionalisierten Teilbudgets freigegeben sind. Dies hängt damit<br />
zusammen, dass sich die Landesregierung in der Umsetzung der Regionalisierten<br />
Teilbudgets nicht zu einem ressortübergreifenden Ansatz entschließen konnte und<br />
die Budgets nur aus EFRE-Mitteln des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Verkehr gespeist wurden. Selbst bei einer Berücksichtigung des<br />
Anlastungsrisikos und des damit berechtigten Steuerungsanliegens durch das Land<br />
Niedersachsen, wäre daher eine flexiblere und inhaltlich weiter gefasste Gestaltung<br />
der regionalisierten Teilbudgets durchaus möglich gewesen.<br />
Im Zuge der Darstellung des GRW-Regionalbudgets am Beispiel des Fachkräfteprojektes<br />
in der Wachstumsregion Ems-Achse ist deutlich geworden, dass Regionalfinanzierung<br />
Raum für innovative Ideen vor Ort lässt. Nachdem das Land Niedersachsen<br />
einer Umsetzung der Regionalbudgets zunächst skeptisch gegenüber<br />
stand, 110 entschied man sich letztlich für eine sehr flexible Lösung. So wurden die<br />
Regionalbudgets nicht über eine eigene Richtlinie inhaltlich konkretisiert, sondern in<br />
die recht allgemeine Richtlinie zur ”Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und<br />
zur Förderung wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen” als Fördertatbestand integriert.<br />
Dieses Vorgehen erlaubte in der Antragstellung und in der inhaltlichen Projektkonkretisierung<br />
eine sehr weitgehende Flexibilität, die die Wachstumsregion<br />
Ems-Achse für die Beantragung des Projekts ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste<br />
Chancen” nutzen konnte. Gerade dieses Fachkräfteprojekt an der Nahtstelle zwischen<br />
ESF- und EFRE-Förderung macht deutlich, dass eine inhaltlich weit gefasste<br />
Richtlinie, die pauschalierte Zuweisung eines Budgets und die enge Abstimmung<br />
zwischen Fördergeber und Förderempfänger zu wertvollen regionalen Lösungen<br />
führen können. Insbesondere ist auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />
Antragsteller und der NBank als Bewilligungsstelle hinzuweisen. Vor dem Hintergrund<br />
dieser engen Zusammenarbeit konnte der Förderrahmen so weit ausgenutzt<br />
werden, dass die kommunalen Akteure bestmögliche Lösungen für Ihre Anliegen<br />
vor Ort erhalten und zugleich das Land eine ordnungsgemäße Verwendung der<br />
Mittel gewährleisten kann.<br />
110 Vgl. Hartke, Stefan (2010): Grenzen <strong>regionaler</strong> Globalbudgets – Regionale Umsetzungsansprüche<br />
vs. Staatliche Wirtschaftsförderung und Landesentwicklungspolitik; In: Seminarbericht der<br />
Gesellschaft für Regionalforschung, forthcoming.
168 Dr. Michael Kiehl<br />
Grundsätzlich ist anzumerken, dass Regionalfinanzierung aus Sicht der Kommunen<br />
auf Dauer nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Subsidiaritätsgedanke auch im<br />
Falle finanzieller Förderung ernst gemeint ist. Dazu drei Gedanken:<br />
1. Innovative dezentrale Lösungen vor Ort brauchen Experimentierklauseln:<br />
Sollen über die verschiedenen Instrumente zur Regionalfinanzierung tatsächlich<br />
die endogenen Potentiale zur Ableitung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />
genutzt werden, kann eine Regionalfinanzierung inhaltlich nicht vollständig<br />
über Richtlinien ”vorgedacht” werden. Dies ist durchaus als Appell zu verstehen,<br />
die Regionalfinanzierung in Form von Globalzuschüssen zu gestalten, bei<br />
denen die Mittelverwendung vollkommen auf die nachgelagerte, kommunale<br />
Ebene verlagert wird. Das Beispiel der Umsetzung des Regionalbudgets aus<br />
der GRW oder die positiven Erfahrungen mit sogenannten Experimentierklauseln<br />
in LEADER+ machen jedoch deutlich, dass es auch unterhalb der<br />
Schwelle der Globalzuschüsse möglich ist, innovative Lösungen vor Ort durch<br />
Regionalfinanzierung zu ermöglichen und gleichzeitig das Anlastungsrisiko der<br />
Landesebene gegenüber der EU zu minimieren.<br />
2. Regionalfinanzierung muss spürbar mehr sein als die Organisation dezentraler<br />
Kofinanzierung:<br />
Ein offen kommuniziertes Ziel des Landes Niedersachsen bei der Einführung<br />
der Regionalisierten Teilbudgets war es, ”einen wesentlichen Kofinanzierungsanteil<br />
auf die Gebietskörperschaften zu übertragen” 111 Für die EU-<br />
Förderperiode ab 2014, mit zu erwartenden deutlichen Rückgängen der EFRE-<br />
Mittel, lehnt das Land Niedersachsen eine Fortführung der Regionalisierten<br />
Teilbudgets bzw. eine Einführung von regionalen Globalbudgets ab. Prioritär<br />
wird die Durchführung einer eigenen Wachstums- und Ausgleichspolitik verfolgt.<br />
112 Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit von Landeswirtschaftspolitik<br />
kann diese Betrachtungsweise die Akteure vor Ort nicht davon überzeugen,<br />
dass die Einbindung <strong>regionaler</strong> Akteure und Expertise für innovative und neuartige<br />
Lösungsansätze ernsthaft gewünscht ist.<br />
111 Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />
zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 10.<br />
112 Hartke, Stefan (2010): Grenzen <strong>regionaler</strong> Globalbudgets – Regionale Umsetzungsansprüche vs.<br />
Staatliche Wirtschaftsförderung und Landesentwicklungspolitik; In: Seminarbericht der Gesellschaft<br />
für Regionalforschung, forthcoming. S. 35.
RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 169<br />
3. Regionalfinanzierung als Ergänzung, nicht als Alternative zur Regelförderung:<br />
Auch aus Sicht eines kommunalen Vertreters kann es nicht das Ziel sein, die<br />
bestehende Regelförderung durch Regionalfinanzierung zu ersetzen. So sind<br />
zum einen die Schwierigkeiten und Grenzen regionalisierter Strukturpolitik<br />
auch aus theoretischer Perspektive hinlänglich diskutiert und offenkundig. 113<br />
Zum anderen ist die Bedeutung von Wachstums- und Ausgleichspolitik auf<br />
übergeordneten Politikebenen unstreitig. Durch die Ergänzung beider Politikansätze<br />
– ressortübergreifende Regionalbudgets auf der einen Seite und<br />
fachspezifische Maßnahmenpakete und Richtlinien auf Landesebene auf der<br />
anderen Seite – ließen sich die Vorzüge beider Instrumente in bester Weise für<br />
die wirtschaftliche Regionalentwicklung nutzbar machen.<br />
Kontakt:<br />
Dr. Michael Kiehl<br />
Leiter Fachbereich Wirtschaftsförderung und Bauwesen<br />
Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
Tel.: 05921-961513<br />
E-Mail: michael.kiehl@grafschaft.de<br />
113 PESCHEL, KARIN (1984): Über die Unmöglichkeit endogener <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> in hochindustrialisierten<br />
Volkswirtschaften. In: Gesellschaft für Regionalforschung e. V. (Hrsg.): Jahrbuch für<br />
Regionalwissenschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 29-47, BADE, Franz-Josef (1998):<br />
Möglichkeiten und Grenzen der Regionalisierung der regionalen Strukturpolitik. In: Raumforschung<br />
und Raumordnung 1/1998, S. 3-8.
170 Dr. Michael Kiehl
Regional verbunden, überregional vernetzt – Integrierte<br />
ländliche <strong>Entwicklung</strong> in der Altmark<br />
von Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />
1. Die Altmark – Sachsen-Anhalts schöner Norden setzt<br />
auf nachhaltige Regionalentwicklungsprozesse<br />
Die Altmark ist eine historisch gewachsene, naturräumlich weitestgehend einheitliche<br />
und sozio-ökonomisch homogene Region im Norden des Bundeslandes Sachsen-Anhalt.<br />
Aus ihrer früheren Randlage, bedingt durch die deutsche Teilung, ist die<br />
Altmark nun wieder in die Mitte der Ballungsräume Hamburg, Berlin, Hannover und<br />
Magdeburg gerückt. Die Region wird aus dem Landkreis Stendal und dem Altmarkkreis<br />
Salzwedel gebildet. Zusammen umfassen beide Landkreise rund 23 Prozent<br />
der Fläche Sachsen-Anhalts, wobei jeder der beiden Landkreise größer als das<br />
Saarland ist. Auf einer Fläche von 4.715,5 Quadratkilometern leben nur rund<br />
217.000 Menschen (Stand: 31.12.2008). Mit einer Bevölkerungsdichte von 46 Einwohnern<br />
je Quadratkilometer gehört die Altmark zu den besonders dünn besiedelten<br />
Regionen in Deutschland.<br />
Die Region weist eine kleinräumliche und disperse Siedlungsstruktur mit einer charakteristischen<br />
Vielzahl kleiner Dörfer auf. Von besonderem Stellenwert für die Daseinsvorsorge<br />
in der Altmark sind die Land-, Klein- und Mittelstädte sowie die größeren<br />
Ortschaften, die als Versorgungskerne über den örtlichen Bedarf hinaus wirtschaftliche,<br />
soziale, wissenschaftliche und kulturelle Aufgaben für die Bevölkerung<br />
des Umlandes übernehmen. Die beiden Kreisstädte Stendal und Salzwedel sind<br />
Mittelzentren, wobei Stendal als die größte Stadt der Altmark zugleich oberzentrale<br />
Teilfunktionen erfüllt.<br />
Neben der Land- und Forstwirtschaft, die die Wirtschaftsstruktur in der Region traditionell<br />
prägen, sind die klein- und mittelständischen Unternehmen des Handwerks<br />
und des produzierenden Gewerbes von Bedeutung. In den letzten Jahren ist zudem<br />
eine dynamische <strong>Entwicklung</strong> in der holzverarbeitenden Industrie, der Ernährungswirtschaft,<br />
dem Maschinen- und Fahrzeugbau sowie dem Tourismus zu verzeichnen.<br />
Unter dem Blickwinkel sich verstärkender Tendenzen zur Etablierung von<br />
Metropolregionen und eines sich intensivierenden Standortwettbewerbs der ländlichen<br />
Räume kommt es für die strukturschwache, aber über beachtliche Wachstumspotenziale<br />
verfügende Altmark darauf an, sich ihrer Stärken bewusst zu sein<br />
und diese zum Ausdruck zu bringen sowie entsprechend innovative Maßnahmen<br />
umzusetzen.
172 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />
Wichtige Stärken sind der hohe Wert der Kulturlandschaft und das bedeutende Leistungspotenzial<br />
der natürlichen Ressourcen. Diese Faktoren sind große Standortvorteile<br />
für die Region und bilden traditionell die Grundlage für eine starke Landund<br />
Forstwirtschaft.<br />
Um die Wirtschaftskraft der Altmark zu stärken und um Arbeitsplätze zu sichern und<br />
neu zu schaffen, wurden auf <strong>regionaler</strong> Ebene zukunftsträchtige Ideen entwickelt,<br />
wie die endogenen Potenziale genutzt und in Wert gesetzt werden können. Schon<br />
frühzeitig wurde in der Altmark erkannt, dass in der Zusammenarbeit unterschiedlicher<br />
Sektoren und <strong>regionaler</strong> Akteure Chancen für die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> der<br />
Region liegen. Die integrierte und aktive Regionalentwicklung auf der Grundlage<br />
von Strategien unterschiedlicher Konzepte nimmt deshalb seit Mitte der 90er Jahre<br />
einen besonderen Stellenwert ein. Zu den wichtigsten Dokumenten gehören die<br />
Regionalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepte der Altmark (REK I und REK II, iREK) sowie die<br />
regionalen Aktionsprogramme (RAP I und RAP II), die insgesamt die Basis für das<br />
heutige Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>skonzept (ILEK) Altmark bilden.<br />
Regionale Kooperationsstrukturen haben sich, eingebettet in formelle sowie informelle<br />
Handlungsrahmen, in der Altmark etablieren können. Diese umfassen vielgestaltige<br />
Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung und regionalen<br />
Akteuren, Netzwerken unterschiedlicher Intensität und Stabilität sowie qualifizierten<br />
Clustern in einzelnen Wirtschaftsbranchen. Hervorzuheben sind die Aktivitäten<br />
der Regionalen Planungsgemeinschaft Altmark, die neben der formellen Regionalplanung<br />
auch freiwillige, informelle Formen der interkommunalen Zusammenarbeit<br />
umfassen. Beispiele für Netzwerke im informellen Bereich sind das Städtenetz<br />
Altmark, der Tourismusverband Altmark e.V. und das Unternehmensnetzwerk<br />
Altmark e.V. Regionalmanagementstrukturen wurden aufgebaut und haben<br />
den Prozess der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> sowie die landkreisübergreifende<br />
Zusammenarbeit begleitet und unterstützt.<br />
Ein wesentlicher Erfahrungsschritt wurde mit der Durchführung des Bundesmodellvorhabens<br />
„Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ von 2002 bis 2007 gemacht.<br />
Aus einem Wettbewerb mit einer Beteiligung von über 200 Regionen wurden 18<br />
Modellregionen ausgewählt, die durch das Bundesministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) eine Förderung erhielten, um ihre<br />
eigenen <strong>Entwicklung</strong>skonzepte umzusetzen – zu den Gewinnerregionen gehörte die<br />
Altmark. Es hat sich gezeigt, dass die Organisation von Bottom-up-Prozessen, d.h.<br />
die Beteiligung <strong>regionaler</strong> Akteure an Gestaltung, Entscheidung und Umsetzung<br />
von regionalen Strategien und Projekten, eine sehr geeignete Methode der Regionalentwicklung<br />
ist, die zu positiven Ergebnissen und vielfältigen Erfolgen für die Region<br />
führt und deutlich zu einer Steigerung der regionalen Identität beiträgt.
Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 173<br />
2. Das Bundesmodellvorhaben „Regionen Aktiv – Land<br />
gestaltet Zukunft“ – Motivation <strong>regionaler</strong> Akteure<br />
durch Mitbestimmung und Eigenverantwortung<br />
Der Regionalverein Altmark e.V., gegründet 2002 als Regionale Interessengemeinschaft<br />
„Die Altmark mittendrin“ e.V., hat das Bundesmodellvorhaben „Regionen Aktiv<br />
– Land gestaltet Zukunft“ erfolgreich in der Altmark umgesetzt. Durch die intensive<br />
Arbeit des Vereins hat sich ein regionales Netzwerk mit über 60 Mitgliedern etabliert.<br />
Im Verein engagieren sich klein- und mittelständische Unternehmen, berufsständische<br />
Verbände unterschiedlicher Branchen, Vertreter aus Verwaltung, Politik,<br />
Umweltverbänden und Bildungsträgern sowie zahlreiche Vereine und Privatpersonen.<br />
Mit dieser Regionalen Partnerschaft wurde eine wichtige Basis für die Integrierte<br />
ländliche <strong>Entwicklung</strong> in der Altmark geschaffen.<br />
Im Rahmen des Bundesmodellvorhabens Regionen Aktiv war es die Aufgabe der<br />
Partnerschaft diejenigen Projekte auszuwählen, die aus dem Budget, das der Region<br />
durch das BMELV zur Verfügung gestellt wurde, gefördert werden konnten. Insgesamt<br />
hat der Verein eine Fördersumme von über drei Millionen Euro im Zeitraum<br />
von 2002-2007 in der Region umgesetzt. Mit diesen Mitteln wurden insgesamt 57<br />
Projekte realisiert, die sich mit Themen wie ländlicher Tourismus, Direktvermarktung,<br />
Verbraucheraufklärung oder nachwachsende Rohstoffe befasst haben. Ein<br />
Großteil der Projekte wird auch nach Beendigung der Förderung erfolgreich weitergeführt<br />
oder hat die Basis für weitere Aktivitäten geschaffen. Beispiele sind das Altmärker<br />
Kulinarium oder die Unterstützung der Bauernmärkte in den Kreisstädten<br />
Stendal und Salzwedel. Hier ist es gelungen, die Direktvermarkter zu stärken und<br />
gleichzeitig in bestehende Vermarktungsstrategien einzubinden. Das Altmärker Kulinarium<br />
ist mittlerweile ein touristisches Produkt, das periodisch durch den Tourismusverband<br />
Altmark e.V. im Rahmen der Markensäule GENUSSmark aktualisiert<br />
wird. In einer ansprechenden Broschüre werden Informationen zu denjenigen Direktvermarktern<br />
und Gastronomen bereitgestellt, die ihren Kunden bzw. Gästen<br />
überwiegend regionale Produkte anbieten. Weitere Beispiele für Regionen Aktiv-<br />
Projekte sind die Schaffung eines Altmark-Gartens im Kinder- und Jugenderholungszentrum<br />
(KiEZ) Arendsee oder das länderübergreifende Projekt einer Straße<br />
der alten Obstsorten. Auch Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen<br />
(Stichwort „lebenslanges Lernen“) zu den Themen Landwirtschaft und<br />
regionale Produkte erfolgte in unterschiedlichen Projekten. Hierzu wurden Kochshows<br />
und Kochschulungen auf den Bauernmärkten durchgeführt sowie Schulstunden,<br />
verbunden mit Besuchen auf landwirtschaftlichen Betrieben und Bauernhöfen,<br />
gestaltet. Daraus entwickelten sich feste Kooperationen zwischen Kindertagesstätten,<br />
Schulen und den Landwirtschaftsbetrieben. Der Besuch von Rinderställen oder
174 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />
Projekttage zum Thema Apfel gehören heute zum festen Bestandteil der Aktivitäten<br />
von zahlreichen Kindertagesstätten und Grundschulen.<br />
Aber nicht nur die Ernährungswirtschaft spielte eine Rolle bei der Wissensvermittlung,<br />
sondern auch das Thema erneuerbare Energien war von besonderer Bedeutung,<br />
denn es war ebenfalls ein wichtiger Baustein in der Festlegung der regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong>sstrategie. Jedoch hat die Region sich nicht ausschließlich auf die Erzeugung<br />
erneuerbarer Energien fokussiert, sondern auch auf die stoffliche Nutzung<br />
nachwachsender Rohstoffe. Dazu gehört z.B. auch der Baustoff Stroh. So konnte<br />
die Erlangung der „Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung“ für die Strohballenbautechnik<br />
im Ökodorf Sieben Linden gefördert werden. Mittlerweile gibt es in der<br />
Altmark, aber auch in anderen Orten, zahlreiche Gebäude, die mit diesem Baustoff<br />
errichtet worden sind.<br />
Viele andere Projekte haben sich mit der energetischen Nutzung nachwachsender<br />
Rohstoffe befasst, z.B. in Form von Standortanalysen für Biogasanlagen oder für<br />
die Nutzung von Landschaftspflegematerial aus dem Naturpark Drömling. Hiermit<br />
konnten die Grundlagen zur stärkeren Nutzung der Bioenergie in der Altmark gelegt<br />
werden. Ein Großteil der Projekte wurde und wird auch nach Beendigung der Förderung<br />
erfolgreich weitergeführt oder hat die Basis für weitere Aktivitäten geschaffen.<br />
Ursprünglich sollte das Bundesmodellvorhaben Regionen Aktiv im Dezember 2005<br />
beendet werden. Aufgrund der erzielten Erfolge hatte sich das Bundesministerium<br />
jedoch dazu entschlossen, das Programm um zwei weitere Jahre zu verlängern. Die<br />
zweite Phase des Bundesmodellvorhabens war auf die Konzentration auf ein bestimmtes<br />
Kernthema ausgerichtet. Voraussetzung für den Erhalt weiterer Fördermittel<br />
für Projekte war die Erarbeitung eines sogenannten Regionskonzeptes mit der<br />
ausführlichen Darstellung, wie dieses Thema strategisch entwickelt werden soll.<br />
Basis für die Aktivitäten war die Auswahl einer Wertschöpfungskette mit dem Ziel,<br />
diese mit Unterstützung der zur Verfügung stehenden Fördermittel aufzubauen und<br />
zu stärken. Die Altmark hat sich auf die Wertschöpfungskette Biogas konzentriert.<br />
Im Zeitraum 2006-2007 sind zwölf Projekte ausgesucht und umgesetzt worden, die<br />
auf die Bildung von Grundlagen zur erhöhten Nutzung von Biogas zur Erzeugung<br />
<strong>regionaler</strong> Wertschöpfung gesetzt haben. Zugleich ist der Wissensaustausch und<br />
die Qualifizierung der Akteure durch eine intensive Zusammenarbeit mit anderen<br />
Regionen, die sich ebenfalls schwerpunktmäßig mit dieser Thematik befasst haben,<br />
ausgebaut worden. Hierdurch konnten die Grundlagen für aktuelle Aktivitäten zur<br />
stärkeren Nutzung der Bioenergie in der Altmark gelegt werden. Heute ist der Regionalverein<br />
Altmark e.V. auch Träger des Projektes Bioenergie-Region Altmark –<br />
ebenfalls das Ergebnis der erfolgreichen Teilnahme an einem Bundeswettbewerb.
Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 175<br />
Das Modellvorhaben Regionen Aktiv war insofern Neuland, als dass die ausgewählten<br />
18 Regionen aus ganz Deutschland sich selbst organisieren und regionale<br />
Entscheidungsstrukturen aufbauen mussten. Durch diese Form der Mitbestimmung<br />
und Mitgestaltung von Projekten und Strategien hat die Regionalentwicklung mit<br />
den intensiv ausgeprägten Beteiligungsprozessen eine neue Qualität gewonnen, die<br />
nun in der Altmark verstetigt wird.<br />
3. Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> – Die Fortsetzung<br />
nachhaltiger Bottom-up-Ansätze in der aktuellen Förderperiode<br />
Auch in der aktuellen EU-Strukturfondsphase 2007-2013 spielt die <strong>Entwicklung</strong> der<br />
ländlichen Räume eine wichtige Rolle. Für Sachsen-Anhalt relevant sind die Integrierte<br />
ländliche <strong>Entwicklung</strong> (ILE) als ein deutscher Ansatz und die Umsetzung der<br />
EU-weiten Leader-Methode. Beide Prozesse beziehen sich jeweils auf abgegrenzte<br />
Räume, die sich in vielen Gebieten in Sachsen-Anhalt überlagern, wobei Leader auf<br />
lokaler Ebene umgesetzt wird, und damit kleinräumiger zu betrachten ist als die Integrierte<br />
ländliche <strong>Entwicklung</strong>.<br />
Die Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> (ILE) beruht auf der Partnerschaft zwischen<br />
Politik und Verwaltung, Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft und<br />
nutzt maßgeblich die vorhandenen Potenziale der Region sowie das Know-how ihrer<br />
Bevölkerung. Sie versteht sich dabei als Bottom-up-Prozess, d.h. dass die Aktivitäten<br />
zur <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raumes nicht von einer übergeordneten<br />
Ebene initiiert und geleitet, sondern seitens <strong>regionaler</strong> Akteure „von unten nach<br />
oben“ auf den Weg gebracht werden. Der Vorteil eines solchen Prozesses besteht<br />
in der vergleichsweise breiten Einbeziehung von Akteuren aus unterschiedlichen<br />
Strukturen und Ebenen, um Ziele und Handlungsschwerpunkte für eine integrierte<br />
Regionalentwicklung zu vereinbaren. In der Altmark übernimmt der Regionalverein<br />
Altmark e.V., unterstützt durch ein leistungsfähiges Management, die koordinierte<br />
Umsetzung dieses Prozesses. Die Zielformulierung, das Motto lautet dabei: Die<br />
Altmark mittendrin – wettbewerbsfähig und lebenswert. Die gesamte Altmark versteht<br />
sich dabei als ILE-Region. Ein wesentliches Ziel des Modellvorhabens Regionen<br />
Aktiv war es, die Verstetigung der begonnenen Prozesse zur eigenständigen<br />
<strong>Entwicklung</strong> auf Regionsebene zu verwirklichen. Dieses Ziel ist in der Altmark erreicht<br />
worden.<br />
Am 15. Dezember 2006 haben die beiden Landkreise der Altmark den Regionalverein<br />
Altmark e.V. über jeweils gleichlautende Beschlüsse der beiden Kreistage formal<br />
mit der koordinierten Umsetzung des Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong>skonzeptes<br />
(ILEK) beauftragt. Hiermit hat die Region dem Verein einen zentralen Stellenwert
176 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />
innerhalb der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> zugeordnet und zugleich auch den<br />
durch die GAK (Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz) geforderten<br />
partnerschaftlichen Ansatz im Rahmen der ILE realisiert. Als Regionale Partnerschaft<br />
hat der Verein die Verantwortung für die Entscheidung und Prioritätensetzung<br />
zu Leitprojekten, Modell- und Pilotvorhaben zur <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen<br />
Raumes. Das ILEK versteht sich als Zukunftsentwurf der Region, in dem die regionalen<br />
Akteure die <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten in einer anspruchsvollen, aber realistischen<br />
Vision dargestellt haben. Das ILEK ist in drei Teile gegliedert:<br />
� Teil I: Regionaler Strategieplan – Regionales <strong>Entwicklung</strong>skonzept (REK),<br />
� Teil II: Leitprojekte – Regionales Aktionsprogramm (RAP),<br />
� Teil III: Umsetzung der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> (Organisation, Projektauswahl,<br />
Evaluierung).<br />
Mit dieser Unterteilung wird an die Erfahrungen und die Vorgehensweise der bisherigen<br />
Regionalentwicklung in der Altmark angeknüpft.<br />
Die regionale <strong>Entwicklung</strong>sstrategie gliedert sich in Leitbild, Leitziele und Handlungsfelder.<br />
Jedes Handlungsfeld ist ausführlich beschrieben und mit eigenen<br />
Handlungslinien und Zielen untersetzt. Zur Umsetzung wird das ILEK durch Leitprojekte<br />
thematisch weiter strukturiert.<br />
Die ILEK-Leitprojekte sind detaillierte Strategien für zukunftsweisende Themen der<br />
Regionalentwicklung. Mit Stand 2010 sind vier Leitprojekte in der Altmark in der<br />
Umsetzungsphase:<br />
� Innovative Biomassenutzung im Rahmen eines regionalen Energie- und<br />
Stoffstrommanagements,<br />
� Hansestädte und Hansewege in der Altmark,<br />
� Den Altmarkrundkurs entlang – Eine Kulturlandschaft mit dem Rad entdecken,<br />
� Wege zur deutschen Einheit – Natur, Kultur und Geschichte am Grünen Band.<br />
Da die Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> ein dynamischer Prozess ist, werden weitere<br />
Leitprojekte erarbeitet, wie z.B. derzeit zu den Themenfeldern demografische<br />
<strong>Entwicklung</strong> und zukunftsfähiges Wassermanagement.<br />
Diese Leitprojekte entstehen auf Initiative der regionalen Akteure. In Workshops und<br />
Beratungen werden die Themen aufgearbeitet, Schwerpunkte der <strong>Entwicklung</strong> gesetzt<br />
und gemeinsame Ziele formuliert sowie strategische Maßnahmen zur <strong>Entwicklung</strong><br />
des Themas erarbeitet und mit geplanten Einzelmaßnahmen untersetzt.<br />
Durch diese gemeinsame Erarbeitung von Leitprojekten werden von Beginn an Kooperationen<br />
in der Region aufgebaut. Zugleich gelingt es, bestehende Projekte und<br />
Initiativen sinnvoll mit einzubinden und an die geplanten Aktivitäten anzuknüpfen.<br />
Hierfür ist beispielhaft das Leitprojekt „Wege zur deutschen Einheit – Natur, Kultur<br />
und Geschichte am Grünen Band“, das aufbauend auf einem räumlich und zeitlich<br />
begrenzten Projekt im Rahmen des <strong>Entwicklung</strong>s- und Erprobungsvorhaben in der
Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 177<br />
länderübergreifenden Modellregion Elbe-Altmark-Wendland nun das komplette<br />
Grüne Band in der Altmark im Fokus hat. Von Bedeutung ist hierbei die intensive<br />
Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen in Niedersachsen. Nur durch die Landes-<br />
und Kreisgrenzen überschreitende Arbeit kann es gelingen, nachhaltige Projekte<br />
sowohl im Tourismus als auch im Naturschutz zu realisieren.<br />
Die Arbeit des Regionalvereins Altmark e.V. konzentrierte sich in den Jahren 2008<br />
bis 2010 insbesondere auf die Umsetzung des ILEK-Leitprojektes „Innovative Biomassenutzung<br />
im Rahmen eines regionalen Energie- und Stoffstrommanagements“.<br />
So hat der Verein das Anfang 2009 angelaufene Projekt RUBIRES 114 (Rural<br />
Biological Resources) innerhalb des INTERREG IV B-Programms intensiv unterstützt.<br />
Durch das transnationale Projekt konnten für die Altmark EU-Mittel in Höhe<br />
von rund 390.000 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />
(EFRE) gebunden werden. Mit diesem Projekt wird nicht nur die internationale Vernetzung<br />
der Region auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe sichergestellt<br />
(Wissenstransfer durch internationale Fachveranstaltungen, Exkursion zum österreichischen<br />
Projektpartner), sondern auch die weitere intensive <strong>Entwicklung</strong> des<br />
Themas in der Altmark forciert.<br />
Weiterhin hat sich der Regionalverein Altmark e.V. erfolgreich an dem Bundeswettbewerb<br />
Bioenergie-Regionen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz (BMELV) beteiligt. Im Frühjahr 2009 ist die Altmark<br />
als Gewinnerregion ausgezeichnet worden. Zur Umsetzung des Projektes stehen<br />
dem Verein damit 400.000 Euro an Fördermitteln des Bundes für den Zeitraum von<br />
drei Jahren zur Verfügung.<br />
Die thematischen Schwerpunkte der Regionalentwicklung bilden in Form der beschriebenen<br />
Leitprojekte den konzeptionellen Rahmen für die Förderung von Einzelvorhaben.<br />
Diese wiederum können eher strategisch angelegten Verbund- bzw.<br />
Modellcharakter aufweisen, wie z.B. das INTERREG IV B-Vorhaben RUBIRES und<br />
das Bundesprojekt Bioenergie-Region Altmark, oder konkrete standortbezogene<br />
Investitionen im Kontext der Förderung für den ländlichen Raum sein (Dorferneuerung,<br />
Dorfentwicklung, ländlicher Wegebau), hier sind beispielsweise Infrastrukturund<br />
Wegebaumaßnahmen am Altmarkrundkurs sowie die Förderung zum Bau von<br />
Nahwärmenetzen einzuordnen.<br />
Durch die bisherigen Aktivitäten konnte insgesamt die Arbeit mit Akteuren der in den<br />
zertifizierten Leitprojekten dargestellten Wertschöpfungsketten intensiviert werden.<br />
Hier bilden vor allem Vernetzungsaktivitäten und die Organisation des Wissens- und<br />
Know-how-Transfers Schwerpunkte der Arbeit. Ebenso wurden Mittel aus weiteren<br />
114 RUBIRES: Das transnationale Projekt RUBIRES (Rural Biological Resources = Nachwachsende<br />
Rohstoffe in ländlichen Räumen) wird durchgeführt im Rahmen des EU-Programms INTERREG<br />
IV B im Central Europe Raum. Weitere Informationen unter www.rubires.eu.
178 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />
Bundes- und EU-Programmen zur Umsetzung von Einzel- oder Verbundprojekten<br />
akquiriert, wie z.B. für das Projekt der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf zur<br />
Gestaltung des Systemwechsels in der <strong>Finanzierung</strong> von Kindertagesstätten im<br />
Rahmen des Modellvorhabens „Daseinsvorsorge 2030 – innovativ und modern –<br />
eine Antwort auf den demografischen Wandel“ 115 .<br />
4. Das Regionalbudget Altmark – Regionalisierte Entscheidungskompetenz<br />
in Sachen Wirtschaftsförderung<br />
als Modell<br />
Seit 2009 ist der Regionalverein Altmark e.V. für die Auswahl von Vorhaben verantwortlich,<br />
die im Rahmen des Regionalbudgets gefördert werden können. Das Regionalbudget<br />
ist ein neues modellhaftes Förderinstrument des Landes Sachsen-<br />
Anhalt, das darauf ausgerichtet ist, Projekte zu realisieren, die der Stärkung regionseigener<br />
Kräfte, der Verbesserung der regionalen Kooperation und der Mobilisierung<br />
von Wachstumspotenzialen dienen. Finanziert wird das Regionalbudget im<br />
Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen<br />
Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Bis zum Jahr 2013 werden der Region jährlich 300.000<br />
Euro zur Verfügung gestellt. Ähnlich wie in anderen Bundesländern können in<br />
Sachsen-Anhalt Gebietskörperschaften oder kommunale Zweckverbände Mittel aus<br />
diesem Budget beantragen und für Projekte nutzen. Voraussetzung für die Bewilligung<br />
von Projekten durch das Land ist das positive Votum der Region. Die regionale<br />
Entscheidungsfindung erfolgt in der Altmark in den Gremien des Regionalvereins.<br />
Hier haben die beteiligten Akteure in den entsprechenden Ausschüssen und<br />
im Vorstand des Vereins die Verantwortung, auf der Grundlage des ILEK über beantragte<br />
Vorhaben sachorientiert zu diskutieren, diese zu bewerten sowie nach positiver<br />
Bewertung Empfehlungen für eine Förderung auszusprechen. Gegen Ende<br />
des Jahres 2009 sind aus der Altmark beim federführenden Ministerium für Wirtschaft<br />
und Arbeit erstmals Vorhaben, für die auch ein entsprechendes regionales<br />
Votum vorlag, eingereicht worden. Insgesamt neun Projekte, deren inhaltliches<br />
Spektrum von Studien zur <strong>Entwicklung</strong> von Industrie- und Gewerbeflächen, über<br />
Breitbandversorgung bis hin zu Marketingkonzeptionen reicht, wurden genehmigt<br />
und erhielten einen Förderbescheid von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt. Somit<br />
konnten bereits im ersten Jahr des Modellvorhabens innovative Projekte realisiert<br />
115 Das Modellvorhaben „Daseinsvorsorge 2030 – innovativ und modern – eine Antwort auf den demografischen<br />
Wandel“ wird durch den Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer<br />
gemeinsam mit den Landesregierungen der Neuen Bundesländer durchgeführt. Ziel des<br />
Modellvorhabens ist es, neue Lösungswege zur Sicherung der technischen und sozialen Daseinsvorsorge<br />
in besonders vom demografischen Wandel betroffenen ländlichen Regionen in den<br />
östlichen Bundesländern praktisch auf <strong>regionaler</strong> Ebene zu erproben.
Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 179<br />
werden, die die Wirtschaft in der Altmark durch den Aufbau von interkommunalen<br />
Kooperationen, eine gezielte Standortentwicklung und Marketinginitiativen im touristischen<br />
Bereich unterstützen.<br />
5. Fazit: Politik und Akteure gemeinsam für eine integrierte<br />
und nachhaltige Regionalentwicklung<br />
Es ist eine erfreuliche wie wichtige Feststellung, dass es sehr viele aktive Menschen<br />
in der Altmark gibt, die ein großes Interesse an ihrer Region haben und bereit sind,<br />
sich zu engagieren. Mit dem Regionalverein Altmark e.V. wurde die Basis geschaffen,<br />
um eine bottom-up-gestützte Regionalentwicklung durchführen zu können.<br />
Zahlreiche Einzelprojekte wurden durch die Akteure vor Ort ausgewählt, die nun<br />
nachhaltig in und für die Region wirken. Der Verein hat sich als kreative Ideenschmiede<br />
und strukturell als Institution zur Projektauswahl etabliert und zugleich<br />
gezeigt, dass er flexibel auf neue Herausforderungen reagieren kann.<br />
Mit dem Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong>skonzept sind konkrete Ziele gesetzt<br />
worden, die nun durch unterschiedliche Aktivitäten verfolgt werden. Wichtig ist es<br />
hierbei, die Menschen dauerhaft für diesen Prozess zu gewinnen und sie hieran zu<br />
beteiligen. Um sie zu aktivieren und zu motivieren ist es unabdingbar, Gestaltungs-,<br />
Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schaffen sowie die finanzielle<br />
Unterstützung von Projekten zu ermöglichen. In der gemeinsamen Erarbeitung und<br />
Umsetzung von Strategien liegt die unbedingt zu nutzende Chance, endogene Potenziale<br />
einer Region zu ermitteln und zu erschließen. Wenn Politik die Möglichkeiten<br />
nutzen möchte, die sich hierdurch für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raumes<br />
ergeben, dann gehört es auch zu den Aufgaben der Politik, die Rahmenbedingungen<br />
entsprechend zu setzen. So kann es gelingen, zukünftig weitere Akteure wie<br />
Unternehmen in den Prozess zu integrieren, die bisher nur in geringer Zahl beteiligt<br />
gewesen sind: Akteure, die sich nicht nur mit eigenen Ideen beteiligen, sondern die<br />
letztendlich auch bereit sind, Geld in diesen Prozess zu investieren.<br />
Im Rahmen der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> wäre es für die regionalen Akteure<br />
wünschenswert – da Erfolg versprechend – den eingeschlagenen Weg auch<br />
konsequent weitergehen zu können. Dies erfordert nicht nur die langfristige Bereitstellung<br />
der erforderlichen finanziellen Mittel; dies bedeutet ebenso, seitens der politisch<br />
Verantwortlichen zu gewährleisten, dass die Entscheidungen respektiert und<br />
akzeptiert werden, die in der Region durch die Akteure getroffen werden. Nur eine in<br />
dieser Weise von Politik und Akteuren gemeinsam flankierte integrierte Regionalentwicklung<br />
kann erfolgreich sein. Nur so kann integrierte Regionalentwicklung mit<br />
den Menschen vor Ort funktionieren und zukunftsfähig gestaltet werden.
180 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />
Kontakt:<br />
Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />
ILE-Regionalmanagement Altmark<br />
Arneburger Str. 24<br />
39576 Stendal<br />
Tel.: 03931 410453<br />
E-Mail: info@landleute.eu
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel<br />
von Josef Bühler<br />
1. Einleitung<br />
Was tun, wenn der Klassiker der <strong>Finanzierung</strong> „Eigenmittel plus Förderung“ in der<br />
Investitions- und der Betreibungsphase eines Projektes nicht mehr funktioniert?<br />
Was tun, wenn wichtige regionale <strong>Entwicklung</strong>sziele nicht mehr mit Mitteln aus der<br />
öffentlichen Hand vorangetrieben werden können? Spätestens dann ist in der Regionalentwicklung<br />
an „alternative“ <strong>Finanzierung</strong>skonzepte zu denken. In der Regel<br />
geht es dabei nicht nur um ein neues – möglichst hochrentables – Finanzprodukt,<br />
sondern um eine andere Art des bürgerschaftlichen und solidarischen Engagements<br />
von Individuen und Organisationen. Über Zeitspenden hinaus ist der Einsatz von<br />
privaten Mitteln im Bezug auf soziale, kulturelle, ökologische und gemeinwohlwirtschaftliche<br />
Belange das Thema. Gerade beim Erhalt oder der Steigerung der eigenen<br />
Lebensqualität im Wohnumfeld lassen sich auch Ideen einer solidarischen<br />
Ökonomie, die sich auf Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitige Hilfe<br />
stützt, entwickeln. Dazu zählen beispielsweise Genossenschaften und Bürgeraktiengesellschaften<br />
im ländlichen Raum.<br />
Die Quellen, aus denen privates Kapital sprudelt, und die unter bestimmten Voraussetzungen<br />
erschlossen werden können, tragen die Namen „Wirtschaft“, „Haushalte“<br />
und „Stiftungen“. Die „Schöpfkellen“ heißen Konsum (z.B. Benefizfeste), Spenden<br />
(z.B. Schenkgemeinschaften), Kredite oder diverse Beteiligungsformen für weniger<br />
rentable (Nahversorgungs-)Projekte. Die dafür geeigneten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien sortieren:<br />
� Grad der Teilhabe und des Engagements: Nicht alle betroffenen Bürger haben<br />
das Bedürfnis Mitunternehmer/in zu werden, sondern beteiligen sich lieber ohne<br />
Anspruch auf Mitsteuerung nur mit Kapital.<br />
� Zielsetzung und steuerrechtlicher Status der Maßnahme: Je nachdem, ob es<br />
sich um ein gemeinnütziges oder um ein wirtschaftliches Projekt handelt,<br />
schließen sich einzelne Instrumente aus bzw. müssen anders gestaltet und<br />
kommuniziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Schenk- und Leihgemeinschaft.
182 Josef Bühler<br />
� Private und öffentliche Partner: Tritt die öffentliche Hand als Partner mit auf, so<br />
sind ebenfalls spezifische Rahmenbedingungen zu beachten. Hier sind neben<br />
den bereits praktizierten Public Private Partnership-Großprojekten (z.B. Altenhilfewohnanlagen,<br />
Schulbau) auch Modelle für kleinere und mittlere Maßnahmen<br />
so zu entwickeln, dass sich private Kapitalgeber einbinden lassen (z.B.<br />
Kulturhaus, Bibliothek).<br />
� Projektbezogener oder projektübergreifender <strong>Finanzierung</strong>sbedarf: Es ist ein<br />
Unterschied, inwieweit es um die Absicherung einer regionalen <strong>Entwicklung</strong>slinie<br />
bzw. eines regionalen Wertschöpfungskettenansatzes (z.B. Biolandwirtschaft)<br />
oder um die Betriebserweiterung eines Biobetriebes geht. Für die regionalrelevanten<br />
Anliegen sind „Kapitalsammelstellen“ notwendig, die Zuschüsse<br />
ausschütten (Stiftungen) oder sich an Betrieben beteiligen können<br />
(Bürger-AGs).<br />
Nachfolgend werden beispielhaft <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für wirtschaftliche sowie<br />
gemeinnützige Projekte beschrieben. In einem weiteren Abschnitt finden sich Erläuterungen<br />
zu regionalen <strong>Finanzierung</strong>ssystemen. Sie haben die Funktion von regionalen<br />
„Kapitalsammelstellen“. In einem Schlusswort finden sich zentrale Anforderungsprofile<br />
für das Gelingen dieser bürgergestützten <strong>Finanzierung</strong>en.<br />
2. Wenn Bürger projektbezogen zusammenlegen und unternehmerisch<br />
agieren<br />
Mit zwei Strategien wird hier die Kapitalerschließung angegangen: die Gründung<br />
neuer Gesellschaftsformen (z.B. Genossenschaft) bzw. die Einlage von Kapital in<br />
bereits bestehende Organisationen (z.B. stille Beteiligung). All diesen Beteiligungsformen<br />
ist gemein, dass sie das Risiko eines Totalverlustes des eingesetzten Kapitals<br />
beinhalten.<br />
Die nachfolgenden projektbezogenen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente werden mit ihren<br />
Funktionsweisen und Rahmenbedingen kurz dargestellt sowie mit einem Beispiel<br />
illustriert.
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 183<br />
Abbildung 1<br />
Projektbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente: Beteiligungen bei Projekten mit wirt-<br />
schaftlichen Zielen<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrument Beispiel<br />
Genossenschaft<br />
Beteiligungsform: Anteile<br />
Dorfladen Gottwollshausen eG<br />
www.dorfladen-gottwollshausen.de<br />
Aktiengesellschaft<br />
AG Apfeltraum, Landwirtschaft<br />
Beteiligungsform: Aktien<br />
www.apfeltraum-ag.de<br />
Geschlossene Fonds<br />
Energiewerk Schönau GmbH<br />
Beteiligungsform: Anteile<br />
www.ews-schoenau.de<br />
Genussscheine Bio-Molkerei-Bodelshausen oder<br />
Solarcomplex AG<br />
www.solarcomplex.de<br />
Stille Beteiligung Existenzgründung oder Betriebserweiterung<br />
Genossenschaften (eG)<br />
Genossenschaften stehen für Wirtschaften in Gemeinschaft, demokratische Kultur,<br />
Sicherheit und Stabilität – und damit für eine Form der materiellen und ideellen Beteiligung<br />
von Bürgern. Jedes Mitglied zeichnet ein oder mehrere Anteile. Damit sind<br />
Genossenschaften Alternativen zu externen Investorenmodellen. Vorteile der eG<br />
sind die Einfachheit der Gründung (geringer Kapitalbedarf, Einfachheit der Verträge,<br />
standardisiertes Verfahren) und die Möglichkeit, sehr viele Mitunternehmer/innen<br />
einbinden zu können bzw. diesen einen unkomplizierten Ein- und Ausstieg zu ermöglichen.<br />
Besonders interessant ist die eG aufgrund der Tatsache, dass eine Begrenzung<br />
der Haftung für getätigte Geschäfte der Genossenschaft auf das Vermögen<br />
der eG möglich ist. Als Nachteil der Genossenschaft können die Prüfungsvorgaben<br />
des Genossenschaftsgesetzes (jährliche Prüfung, bzw. unter 2 Mio. Euro<br />
Umsatz und 1 Mio. Euro Bilanzsumme im Zwei-Jahres-Turnus) gesehen werden.<br />
Beispiel „Unser Dorfladen Gottwollshausen eG“: Nach der Schließung des<br />
letzten Ladens in der Gemeinde Gottwollshausen (knapp 1.100 Einwohner) in der<br />
Nähe von Schwäbisch Hall (Baden-Württemberg) entwickelte sich die Grundidee für<br />
den „Dorfladen“. Es wurde eine Genossenschaft, die „Unser Dorfladen Gottwollshausen<br />
eG“, gegründet, um die Versorgung der regionalen Bevölkerung mit Lebensmitteln<br />
sicher zu stellen. Mit einem einmaligen Beitrag von 100 Euro ist es jedem<br />
Bürger der Gemeinde möglich, Mitglied der Genossenschaft zu werden und<br />
den Erhalt des Dorfladens zu sichern. Es können maximal 50 Anteile erworben
184 Josef Bühler<br />
werden. Der 2005 gegründete Dorfladen blickt inzwischen auf erfolgreiche Geschäftsjahre<br />
zurück. Im August 2007 ist ein zweites Ladengeschäft nach dem gleichen<br />
Konzept im Nachbarort eröffnet worden. Die Genossenschaft zählt heute über<br />
150 Mitglieder.<br />
Aktiengesellschaften (AG)<br />
Sie besitzen ein in Aktien zerlegtes Grundkapital, wobei die Aktien die anteiligen<br />
Beträge der Gesellschafter (Aktionäre) zum Grundkapital darstellen. Das Grundkapital<br />
der AGs beträgt mindestens 50.000 Euro. Es kann in Form von Bar- oder<br />
Sacheinlagen erbracht werden. Bei Sacheinlagen ist der Nennbetrag der für die<br />
Einlage zu gewährenden Aktien in der Satzung festzulegen. Der Nennbetrag einer<br />
Aktie beträgt mindestens einen Euro. Bei der Gründung einer AG wird festgelegt, in<br />
wie viele Aktien das Grundkapital aufgeteilt wird. Das Unternehmen kann die<br />
Aktionäre über Dividenden am Gewinn des Unternehmens beteiligen. Vorteile einer<br />
AG liegen bei der Beteiligung vieler Menschen mit überschaubaren Beträgen, dem<br />
überregionalen Einzugsbereich, der Erschließung größerer Geldsummen und der<br />
hohen Steuerungskompetenz der AG-Geschäftsführung. Eine AG ist allerdings aufwändiger<br />
zu etablieren als eine eG. Dies gilt für die Gründung und für die laufende<br />
Aktionärsakquise.<br />
Beispiel Landwirtschaftsbetrieb „Apfeltraum AG“, Müncheberg: Die Hofgemeinschaft<br />
bestand zunächst aus sechs selbständigen Unternehmen: Gärtnerei<br />
Apfeltraum, Apfeltraum Feldbau, Apfeltraum Tierhaltung, Imkerei Apfeltraum, Lieferdienst<br />
Abokiste Apfeltraum. Je nach Saison leben und arbeiten 15-20 Menschen<br />
auf dem Hof. Um einen erneuten Ausbau finanzieren zu können haben 8 Personen<br />
und eine GbR (Eigentümer wie Kunden des Demeter-Betriebes Apfeltraum) im Dezember<br />
2005 eine kleine Aktiengesellschaft gegründet. Sie bieten Aktien im Wert<br />
von 150.000 Euro an, die als Namensaktien zu einem Nennwert von 100 Euro gekauft<br />
werden können. Die Aktien werden mit folgender Botschaft verkauft: "Wir wollen<br />
Ihnen einen modernen Weg anbieten, sich für eine […] fortschrittliche Landwirtschaft<br />
zu engagieren. Anders als bei einer Spende, geben Sie das Aktienkapital<br />
nicht weg. Im Gegenteil, die Aktionäre werden zu Mitbesitzern des Unternehmens."<br />
Es werden keine Dividenden ausbezahlt, sondern es wird in anderer Form ein Nutzen<br />
organisiert: Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen; Vorrang beim<br />
Zugang zu Ferienwohnungen oder Veranstaltungsräumen sowie an ideellen Werten:<br />
die Schaffung von neuen Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Nach einem Jahr<br />
konnten 67 Aktionäre gewonnen werden. Von diesen kamen 10 aus dem familiären<br />
Umfeld der Gründer, 20 aus Berlin, 15 aus dem Umland und die anderen aus Hamburg,<br />
Essen, Bonn, Darmstadt und Dachau. Mit dem zusätzlichen Eigenkapital
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 185<br />
konnten öffentliche Zuschüsse eingeworben und die anstrebten Investitionen umgesetzt<br />
werden.<br />
Beteiligungen mit geschlossenen Fonds<br />
Bei größeren regionalen Projekten ist die Kapitalbeschaffung über ein Beteiligungsmodell<br />
durch einen geschlossenen Fonds überlegenswert. Bei dieser Form<br />
können Interessierte nur während einer festgelegten Zeit in der Startphase – auch<br />
Platzierungszeitraum genannt – investieren. Danach wird der Fonds geschlossen.<br />
Der Erwerber eines Anteils an einem geschlossenen Fonds ist Unternehmer (in der<br />
Regel Kommanditist) mit allen Chancen und Risiken. Gängige Investitionsgüter für<br />
geschlossene Fonds sind neben Immobilien z.B. Anlagen zur Produktion regenerativer<br />
Energien (Windkraft- und Biogasanlagen) und Filme (Medienfonds). Es bestehen<br />
aber auch geschlossene Fonds für landwirtschaftliche Betriebe, für Kosmetik-<br />
Werke oder für Non-Profit-Unternehmen im Rahmen der Schaffung von Wohnungen<br />
für ehemalige Obdachlose. Um die Haftungsfrage für alle Beteiligten einzugrenzen<br />
wird häufig bei geschlossenen Fonds die Form der GmbH & Co KG benutzt.<br />
Beispiel Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS): Die Elektrizitätswerke<br />
Schönau haben 1997 das Stromnetz vom früheren Versorger übernommen und<br />
versorgen die Stadt Schönau vollständig mit dezentralem, ökologischem Strom.<br />
Darüber hinaus hat die EWS bundesweit schon zu 1.100 neuen "Ökostrom-<br />
Anlagen" verholfen. Aktuell werden über 70.000 Kunden mit atom- und kohlestromfreiem<br />
Strom versorgt. Die EWS zählen heute zu den erfolgreichsten Ökostromhändlern<br />
in Deutschland.<br />
Die <strong>Finanzierung</strong> des Netzkaufs und der Aufbau der EWS erfolgten mit Hilfe von<br />
zwei Institutionen, der stimmberechtigten Netzkauf GbR und dem nicht stimmberechtigten<br />
GKG-Energiefonds Schönau. Die Netzkauf GbR verfügt über 650 Gesellschafter,<br />
die über 1 Mio. Euro eingelegt haben (Mindesteinlage 500 Euro) und am<br />
Gewinn beteiligt sind. Der GKG-Energiefonds Schönau ist ein Beteiligungsangebot<br />
der GLS-Bank, Bochum. Es ist ein geschlossener Fonds in der Form einer GbR.<br />
Aus diesem Fonds kann jede natürliche und juristische Person Anteile von mindestens<br />
2.500 Euro erwerben. Die Haftung ist auf die Einlage begrenzt. Der Fonds<br />
stellt der EWS Kapital in Form eines partiarischen Darlehens (Mindestverzinsung<br />
plus ggf. Gewinnbeteiligung) zur Verfügung.
186 Josef Bühler<br />
Genussscheine<br />
Sie verbriefen in Form eines Wertpapiers ein Genussrecht. Dieses beinhaltet nur<br />
Vermögens- und keine Mitbestimmungsrechte. Genussscheine werden in der Regel<br />
nachrangig ausgestaltet, d.h. die Verbindlichkeiten werden im Falle einer Insolvenz<br />
erst nach den Forderungen der anderen Fremdkapitalgläubiger bedient. Wie eine<br />
Anleihe auch, gewähren die „Genüsse” in der Regel die Rückzahlung des Anlagebetrages<br />
zum Nominalwert am Laufzeitende sowie einen jährlichen Zinsanspruch.<br />
Da Begriff, Inhalt und Umfang von Genussrechten gesetzlich nicht geregelt sind, hat<br />
der Emittent bei der Ausgestaltung von Genussscheinen große Freiheit. Die<br />
Bedeutung der Genussscheine hat in den letzten Jahren stark zugenommen und<br />
zwar als Instrument zur Gewinnbeteiligung von Mitarbeitern sowie generell zur<br />
Kapitalbeschaffung. Da die Ausgabe von Genussscheinen nicht an eine bestimmte<br />
Rechtsform der ausgebenden Gesellschaft gebunden ist, stellen sie für Nicht-<br />
Aktiengesellschaften eine interessante Möglichkeit dar, sich Geldmittel zu<br />
beschaffen.<br />
Beispiel solarcomplex AG: Das Bürgerunternehmen zum Umbau der Energieversorgung<br />
in der Region Hegau/Bodensee bietet Genussrechte für den Bau von regenerativen<br />
Versorgungslösungen in einem Dorf am Bodensee an. Ein Grund war,<br />
dass die Bürger sich nicht in einer risikoreicheren Variante am Umbau beteiligen<br />
wollten. Mit dem gewählten Instrument und den damit verbundenen Konditionen<br />
(feste Verzinsung von 4 %, Mindestlaufzeit von 6 Jahren, eine Mindestbeteiligung<br />
von 1.000 Euro, freie Übertragbarkeit) konnte trotzdem Bürgerkapital in erheblichem<br />
Umfang erschlossen werden. Es wurde auch mit einer ökologisch sinnvollen Geldanlage<br />
und einer Geldanlage, die regionalwirtschaftliche Akzente setzt, geworben.<br />
Stille Beteiligung<br />
Ein Außenstehender legt beim Projektträger Beteiligungskapital ein, ohne nach außen<br />
in Erscheinung zu treten. Dieser Gläubiger mit Gewinnanspruch hat in der Regel<br />
ein Kontrollrecht und darf den Jahresabschluss prüfen. Stille Beteiligungen sind<br />
ein Mittelding zwischen Eigen- und Fremdkapitalgeber.<br />
Beispiel: Die Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes in Sachsen-Anhalt baut<br />
eine alte Schule zum Altenhilfezentrum (Kurzzeitpflege, Wohnen, Physiotherapie<br />
u.ä.) um. Die Eigenkapitaldecke reicht nicht aus, um für einen Förderantrag die Gesamtfinanzierung<br />
darstellen zu können bzw. in ausreichendem Maße Kredite zu<br />
erhalten. Sie gewinnt den örtlichen Arzt, die künftige Betreiberin der Physiotherapie<br />
sowie potenzielle Nutzer/innen sich „still“, d.h. ohne die Gründung eines gemeinsamen<br />
Unternehmens zu beteiligen.
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 187<br />
3. Wenn Bürger sich projektbezogen für gemeinnützige<br />
Anliegen stark machen<br />
Je nach Rechtsform können bei gemeinnützigen Unternehmen auch die bereits genannten<br />
Beteiligungsmodelle geprüft werden (z.B. Anteile, Genussrechte, stille Beteiligungen).<br />
Darüber hinaus haben sich – neben Einzelspenden – Schenkungsmodelle<br />
etabliert. Mit diesen wurden auch größere Projekte wie Schulen, Bildungsstätten,<br />
Armenküchen oder Oldtimer-Bahnen gestemmt.<br />
Abbildung 2<br />
Projektbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente: Schenkung bei gemeinnützige Anliegen<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrument Beispiel<br />
Schenkung oder Leihen Leih- und Schenkgemeinschaft ÖkoLea<br />
www.bildungswerk.oekolea.de<br />
Sammleraktie Öchsle Bahn AG<br />
www.oechsle-bahn.de<br />
Leih- und Schenkgemeinschaft<br />
Gemeinnützige Einrichtungen wie Vereine und Initiativen werden vorwiegend durch<br />
Zuwendungen, Schenkungen und Beiträge ihrer Mitglieder und Förderer finanziert.<br />
Diese Beträge und Spenden fließen üblicherweise in Form von regelmäßigen, kleineren<br />
Beiträgen. Durch eine Leihgemeinschaft ist es möglich, solche zweckgebundenen<br />
Spenden vorzufinanzieren, wenn sofort ein größerer Betrag bereitgestellt<br />
werden muss. Interessierte Bürger erklären sich z.B. bereit, für die Sanierung eines<br />
Sozial- oder Bildungsprojektes monatlich 50 Euro über einen Zeitraum von max. 5<br />
Jahren – also insgesamt 3.000 Euro – abzugeben und damit den Vorauskredit der<br />
Bank für den Projektträger abzuzahlen. Einer Leihgemeinschaft sollten aus Gründen<br />
der Übersicht und Steuerbarkeit höchstens 30 Leihgemeinschaftsmitglieder<br />
angehören und der Gesamtdarlehensbetrag 50.000 Euro möglichst nicht übersteigen.<br />
Bei größeren Projekten, wie z.B. dem Bau einer freien Schule, gründen sich<br />
mehrere Leihgemeinschaften. Diese Kreditbeträge werden gebündelt und dem begünstigten<br />
Projekt die zugesagten Summen in einem Betrag zum Projektbeginn<br />
ausbezahlt. Dieses „Eigenkapital“ des Projektes kann dann auch als Nachweis für<br />
die Einwerbung von weiteren Zuschüssen genutzt werden. Die abwickelnde GLS<br />
Bank, Bochum, verlangt keinen Zins, sondern eine Kostendeckungsumlage von 2,5<br />
bis 4,5 %. Der Geldgeber kann die jährlichen Beiträge als Spenden beim Finanzamt<br />
gelten machen.
188 Josef Bühler<br />
Beispiel ÖkoLeA – Gemeinschaftliche <strong>Finanzierung</strong> eines Wohn- und Bildungshauses:<br />
Die ������������ �������� ���� �������������������� ��������� �����������<br />
���� ist eine Kommune mit 25-30 Personen in ������������������ ���� ����������. Sie<br />
kaufte 1993 einen großen Bauernhof mit Gartenland, Wohnhaus, Kälberstall, Kuhstall<br />
und Scheune. 2000/2001 wurde der ehemalige Kuhstall zu einem ����������<br />
����� mit Küche und Sanitäreinrichtungen und einer Holzofenbäckerei für Biobrot<br />
ausgebaut. 2005 kamen eine ����������, ein ������� und ein ��������� dazu. Das Ladencafé<br />
ist zur Zeit Klosterdorfs einzige Einkaufsstätte und entwickelte sich zum<br />
beliebten Treffpunkt. Die ÖkoLeA hat sich zu einem Anziehungspunkt in der Region<br />
Märkische Schweiz entwickelt; das Bildungswerk ist zu einem kulturellen Mittelpunkt<br />
in der Region geworden. Beide <strong>Entwicklung</strong>sschritte sind über Leihgemeinschaften,<br />
in die die Mitarbeiter, Mitglieder und einzelnen Kunden einbezahlt haben, mitfinanziert<br />
worden.<br />
Sammleraktien<br />
Sammleraktien nennt man neu herausgegebene Aktien mit Liebhaberwert, die aber<br />
entwertet sind. Sie kommen über Ausgabestellen in den Verkauf und werden nicht<br />
mehr zurückgenommen. Eine Weiterveräußerung auf dem Sammlermarkt ist möglich.<br />
Mit Sammleraktien werden sowohl infrastrukturelle Maßnahmen (z.B. Erhalt<br />
einer Bahnstrecke) als auch soziale Projekte (z.B. Kinderzentren, Suchtpräventionsmaßnahmen)<br />
finanziell abgesichert. Träger der Aktie können gemeinnützige<br />
Vereine, GmbHs aber auch richtige Aktiengesellschaften - wie bei der Öchsle-Bahn<br />
AG - sein. In diesem Fall erwirbt jeder Aktionär mit seiner Aktie die Berechtigung,<br />
sein Stimmrecht in der jährlichen Hauptversammlung auszuüben. Der Aktionär erhält<br />
bei den gemeinnützigen Gesellschaften keine Dividende. Er fördert allerdings<br />
mit dem Aktienerwerb einen guten Zweck.<br />
Beispiel „Öchsle Bahn AG“: Damit einer der schönsten Bahnstrecken Süddeutschlands<br />
nicht die Spitzhacke droht, gründeten 1995 engagierte Eisenbahnfreude<br />
zusammen mit dem Landkreis einer Anliegergemeinde sowie der Kreissparkasse<br />
eine Aktiengesellschaft: die „Öchsle-Bahn AG“. Sie gibt zum wiederholten<br />
Male Aktien heraus und hat darüber über 2 Mio. Euro Kapital für den Erhalt der<br />
Strecke erschlossen. Um ein optimiertes Betreibermodell „fahren“ zu können, wurden<br />
drei Rechtsträger mit folgender Funktionsteilung geschaffen:<br />
� Die Öchsele-Bahn AG hat das Erbbaurecht der Strecke. Sie ist Eigentümer der<br />
Dampflok „Berta“ und des Schotterwagens. Sie gibt die Sammleraktien heraus<br />
und ist zuständig für die Unterhaltung und Sanierung der Strecke.<br />
� Die Betriebsgesellschaft zeichnet sich für den Fahrbetrieb zuständig. Sie zahlt<br />
an die Aktiengesellschaft Streckennutzungsgebühren und trägt das Betriebsdefizit.
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 189<br />
� Der Verein ist für die Unterhaltung der Fahrzeuge und der Strecke verantwortlich.<br />
Er stellt das (ehrenamtlich arbeitende) Fahrpersonal und ist Eigentümer<br />
des Museumszuges. Pro Jahr werden etwa 9000 Stunden ehrenamtlich von<br />
Vereinsmitgliedern erbracht.<br />
4. Wenn Bürger einen regionalen Kapitalstock schaffen<br />
Die direkte Mitfinanzierung eines wichtigen Projektes in seinem eigenen Lebensumfeld<br />
ist eine Möglichkeit, regionale Anliegen voranzubringen. Eine andere,<br />
anfänglich meist schwierigere, ist die Schaffung von regionalen „Kapitalsammelstellen“,<br />
die sich für ausgewählte projektübergreifende <strong>Entwicklung</strong>slinien engagieren<br />
(Stiftungen, Bürger-Aktiengesellschaften). Ein weiterer Weg ist die Implementierung<br />
von Komplementärwährungen, um in anderen Formen eine Marktbeteiligungen<br />
zu ermöglichen (Abbildung 3).<br />
Abbildung 3<br />
Regionalbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
Wirtschaftlich agierende Systeme<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente Beispiel<br />
Regionalfonds als Bürgeraktiengesell- Regionalwert AG<br />
schaft<br />
www.regionalwert-ag.de<br />
Gemeinnützig ausgerichtete Systeme<br />
Regionalfonds<br />
Verein Dübener Heide e.V.<br />
(spendengespeister Sinking funds) www.naturpark-duebener-heide.com<br />
Bürger-Stiftung (und Treuhänderlösung) Viele Beispiele und<br />
www.buergerstiftungen.de<br />
Regionalfonds<br />
An anderer Stelle dieses Buches sind revolvierende Regionalfonds beschrieben, die<br />
sich aus öffentlichen und eventuell in einer zweiten Phase aus privaten Mittel speisen.<br />
Diese Form steht hier nicht im Fokus, sondern rein aus Haushalten und Wirtschaft<br />
unterstützte Modelle. Im Unterschied zu den geschlossenen Fonds beteiligen<br />
sie sich nicht an einem Objekt, sondern machen sich projektübergreifend für verschiedene<br />
Maßnahmen einer oder mehrerer <strong>Entwicklung</strong>saufgaben stark.<br />
Grob vereinfacht finden sich hierfür zwei Modelle: Die einen können als Kapitalanlagefonds<br />
mit regionalwirtschaftlichen Effekten (z.B. Regionalwert AG) bezeichnet<br />
werden, die anderen als Fundraising gestützte Fonds (z.B. Dübener Heide).<br />
Kapitaleinlagen in einen Fonds führen schnell zum Tatbestand einer sich bildenden<br />
Kapitalanlagegesellschaft. Damit verbunden sind gesetzlichen Vorgaben. Die Her-
190 Josef Bühler<br />
einnahme verzinslicher Einlagen unterliegt dem Kreditwesengesetz, die Herausgabe<br />
von Fondsanteilen sowie deren Zurücknahme in der Regel dem Investmentgesetz.<br />
Beide Gesetze stellen nicht unerhebliche formale und inhaltliche Anforderungen.<br />
Beispiel „Regionalwert AG“: Sie ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die Landwirtschaft<br />
und Regionalwirtschaft rund um Freiburg sozial, ökologisch und wirtschaftlich<br />
nachhaltig gestalten will. Die Aktionäre stellen über Aktien oder stille Beteiligungen<br />
Kapital zur Verfügung und können sich damit an regionalen Prozessen nicht nur<br />
finanziell, sondern auch gestalterisch beteiligen. Das Ziel der Regionalwert AG ist<br />
eine wirtschaftlich erfolgreiche und sozial-ökologisch vertretbare Wertschöpfungskette<br />
vom Acker bis auf den Teller. Dazu erwirbt sie landwirtschaftliche Betriebe<br />
sowie Unternehmen aus vor- und nachgelagerten Bereichen und verpachtet sie<br />
dann an qualifizierte Unternehmer. Über zusätzliche finanzielle Beteiligungen werden<br />
zusammen mit Partnern Lücken in der Wertschöpfungskette durch den Aufbau<br />
neuer Unternehmen geschlossen. Die wirtschaftlichen Erträge der Regionalwert AG<br />
stammen aus Pachtzahlungen und Beteiligungen. In der Unternehmensstrategie<br />
steht die wirtschaftliche Gewinnorientierung gleichwertig neben der sozialökologischen<br />
Wertbildung. Die sozial-ökologische Wertschöpfung wird jährlich als<br />
Rendite auf die Aktie ausweisen, „denn diese Werte sind es, die in Verknüpfung mit<br />
wirtschaftlichem Handeln den zukünftigen Wohlstand ausmachen“. Dazu werden<br />
Bewirtschaftungskriterien mit den Partnerunternehmen vereinbart.<br />
Die Fundraising gestützten Modelle werden über Spenden und Schenkungen gespeist<br />
und erreichen nicht die Zuflüsse von Kapitaleinlagefonds. Die Einlagen müssen<br />
nicht dauerhaft gesichert werden. Das eingesetzte Kapital wird über einen festgelegten<br />
Zeitraum hinweg für definierte Ziele aufgezehrt (sogenannte „sinking<br />
funds“). Dieser Mechanismus bietet sich in Fällen an, in denen der Kapitalbedarf<br />
zeitlich befristet ist, zukünftig anderweitig gedeckt oder wo immer wieder Neueinlagen<br />
organisiert werden können. Als Träger bieten sich gemeinnützige Vereine oder<br />
Stiftungen an. Diese Art von Fonds rechtfertigen den Aufwand der Kapitalakquise<br />
nicht allein über die Mittelzuflüsse, sondern sie sind auch ein sehr gutes innerregionales<br />
Vernetzungs- und vor allem auch Marketinginstrument für ausgewählte regionale<br />
Themen.
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 191<br />
Beispiel Zukunftsfonds Dübener Heide: Der Naturpark Dübener Heide hat einen<br />
„Zukunftsfonds“ gegründet, der Privatpersonen und Wirtschaftunternehmen dazu<br />
einlädt, sich an der <strong>Entwicklung</strong> der Heide zu beteiligen. Dafür wurde ein Fundraising-Konzept<br />
entwickelt, das größtenteils zweckgebundene Mittel einwirbt. Für die<br />
Kommunikation wurden fünf Projekte identifiziert, für die Geld gesammelt wird: Naturpark-Informationszentrum,<br />
Flächenkauf für Biberschutzzonen, Wildtiererlebnis,<br />
Junior Ranger. Acht Zielgruppen, die diese Projekte wertschätzen, sind identifiziert<br />
und jeweils spezifische Botschaften dafür definiert. Erste Maßnahme war das persönliche<br />
Verteilen von Spendenbriefen bei größeren Naturparkveranstaltungen.<br />
Sehr erfolgreich ist auch der Verkauf einer Sammleraktie. Eine jährliche „Aktionärsversammlung“<br />
mit Infos, Kultur und Kulinarischem führt diese Personen zusammen<br />
und bildet inzwischen ein wichtiges Unterstützernetzwerk.<br />
Bürgerstiftungen<br />
Ziel ist es, einer größeren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen<br />
(Corporate Citizens) lokal oder regional zu ermöglichen, ihre spezifischen Beiträge<br />
zum Gemeinwohl unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen. Sie dienen dabei<br />
als Sammelbecken für Spenden und Zustiftungen. Der langfristige Aufbau des Stiftungsvermögens<br />
durch Zustiftungen sichert die finanzielle Unabhängigkeit einer<br />
Bürgerstiftung und gewährleistet die Kontinuität der Stiftungsarbeit. Eine Bürgerstiftung<br />
ist eine selbständige und unabhängige Institution. Sie sichert eine langfristige<br />
und zukunftsorientierte Unterstützung von sinnvollen Projekten und Ideen. Hierfür<br />
baut sie ein eigenes Stiftungskapital aus Zustiftungen und Spenden auf. Während<br />
das Stiftungskapital dauerhaft angelegt ist, werden die Stiftungserträge für die Arbeit<br />
der Stiftung – Projekte und Aktionen – eingesetzt. Spenden indes werden bereits<br />
kurzfristig für unterschiedliche Aktivitäten im Sinne der Stiftungsziele eingesetzt.<br />
Eine Bürgerstiftung kann Trägerin verschiedenster Kleinstiftungen für unterschiedliche<br />
Anliegen sein, so dass sehr vielfältige Motive dort einen Platz finden können.<br />
Beispiel Bürgerstiftung Südbrandenburg: „Die Geschicke selbst in die Hand<br />
nehmen“ dachte sich eine Gruppe engagierter Menschen und bildete im März 2008<br />
eine Initiativgruppe. Hier kommen Unternehmer, Medienschaffende und interessierte<br />
Bürger zusammen. Innerhalb von 6 Monaten hat die Initiativgruppe gemeinsam<br />
Visionen und Zielsetzungen für die „Bürgerstiftung Südbrandenburg“ entwikkelt.<br />
Die Bürgerstiftung engagiert sich für ein zukunftsfähiges Leben auf dem Lande<br />
mit den Schwerpunkten Jugend, Kultur, und soziales Miteinander. Mit den Pilotvorhaben,<br />
wie Kinder Uni Mobil und BerufsCamps, will die Bürgerstiftung die regionalen<br />
Chancen für die Bindung und Ausbildung der jungen Generation unterstützen.<br />
Unterstützt durch zwei Beraterinnen wurden die für die Stiftungsarbeit erforderlichen<br />
Vermögens- und Kommunikationsstrategien entwickelt sowie Satzungsunterlagen
192 Josef Bühler<br />
entworfen. Gleichzeitig hat die Initiativgruppe das förmliche Anerkennungsverfahren<br />
zur Stiftungsgründung beim zuständigen Innenministerium des Landes Brandenburg<br />
eingeleitet.<br />
5. Doppelte Rendite ist der Schlüssel<br />
Die aufgeführten Instrumente sind in der Regel nicht neu. Wenn von „neu“ oder „alternativ“<br />
überhaupt gesprochen werden kann, dann ist es der andere Kontext, in<br />
denen sie eingesetzt werden. Bürger engagieren sich für eine Idee und stellen dafür<br />
Beteiligungskapital oder Spenden in verschiedensten Formen zur Verfügung.<br />
Alle Erfahrungen zeigen, dass dies nur gelingt, wenn die Projekte oder <strong>Entwicklung</strong>slinien:<br />
� eine „doppelte Rendite“ vermitteln können. Diese besteht – mit Ausnahme von<br />
Spendenmodellen – aus einem materiellen Teil (Zinsen, Sammlerwert, Nutzungsansprüchen)<br />
sowie einem ideellen Mehrwert durch die Erfüllung ökologischer,<br />
sozialer und kultureller Motive. Geld geben muss „Sinn“ stiften.<br />
� mit einer Kommunikationsstrategie vermittelt werden, die zielgruppengerecht<br />
aufgebaut wird und somit Mitmacher/innen gewinnt und erhält. Dies setzt ein<br />
Marketingkonzept voraus.<br />
Häufig werden diese Instrumente als in der Region nicht umsetzbar definiert und<br />
argumentiert: „Unsere Region hat kein Geld“. Dieser Satz ist zu relativieren. Denn<br />
selbst bei der Sparkasse des ärmsten Landkreises in Deutschland liegen über 600<br />
Mio. Euro Spareinlagen ein, bundesweit gar über alle Bankengruppen hinweg mehr<br />
als 600 Mrd. Euro. Ein Teil dieses Geldes wird von den Bürgern mit niedrigen Renditen<br />
– ohne Zusatznutzen und Mitsteuerung – im Sparbuchniveau eingelagert. Wer<br />
Kapital benötigt, muss den Bürgern Alternativen anbieten.<br />
Ergänzende Literatur<br />
Beermann, Petra/Leuninger, Stefan (2005): Kooperative Regionalentwicklung im<br />
ländlichen Raum – PPP als Erfolgsmodell?, in: LEADERforum 2/2005, S.<br />
23ff,<br />
Bühler, Josef (2009): Aktives privates Kapital für die Region erschließen: Instrumente<br />
und Beispiele, euregia-Verlag, Aulendorf, 2. Auflage<br />
Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband (2006): Genossenschaften<br />
gründen – von der Idee zur EG, CD-ROM, Bezug: www.dgrv.de; info@dgrv.de<br />
(kostenlos)<br />
Friess, Isabell (2005): Was ist Public Private Partnership? In: LEADERforum<br />
2/2005, S. 20ff,
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 193<br />
Hardraht, Klaus/Dr. Godschalk, Hugo (2004): Komplementärwährungsgutachten –<br />
Sparkasse – Delitzsch – Eilenburg, Leipzig<br />
Kontakt:<br />
Josef Bühler<br />
Geschäftsführer neuland+ GmbH & Co KG, Aulendorf<br />
www.neulandplus.de<br />
E-Mail: Buehler@neulandplus.de
194 Josef Bühler
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen<br />
Menschen<br />
von Franz Dullinger<br />
Regionalförderung: Bringt hoher Aufwand automatisch große<br />
Wirkung in den Regionen?<br />
Für Regionalentwicklung wird in den europäischen Mitgliedstaaten ein großer Aufwand<br />
betrieben. So wird mit über 400 Mrd. EUR in einer Förderperiode mehr als ein<br />
Drittel des EU-Haushalts dafür eingesetzt. In Deutschland betreiben zusätzlich zur<br />
EU der Bund und jeweils die Länder weiteren Aufwand, um die „Nachteile strukturschwacher<br />
Regionen“ auszugleichen. Die Fördergelder werden dabei üblicherweise<br />
für neue Straßen, Ortskernsanierungen oder neue Fabrikhallen ausgegeben.<br />
Der Staat will sich irgendwie um die „Bedürftigen“ kümmern und gibt vor, dass Regionalförderung<br />
automatisch zu den im Grundgesetz verankerten „gleichwertigen<br />
Lebensverhältnissen“ beitragen würde.<br />
Dass das viele Fördergeld jedoch häufig nicht zu den erhofften Wirkungen führt,<br />
kann jeder sehen und spüren, der mit offenen Augen durch die oft ländlich geprägten<br />
Gebiete fährt, die seit Jahrzehnten „Höchstfördergebiete“ sind.<br />
Der folgende Beitrag rückt die ländliche geprägten Gebiete in den Fokus und zeigt<br />
Ansätze auf, wie Regionalentwicklung funktionieren kann.<br />
Ist die konventionelle Regionalförderung noch ihr Geld wert?<br />
Die Bevölkerung in vielen ländlichen Regionen Europas nimmt aus verschiedenen<br />
Gründen stetig ab. Das liegt daran, dass es schlicht weniger junge Menschen gibt.<br />
Wenn zusätzlich die Schule und das Lebensmittelgeschäft schließen oder die Musikgruppe<br />
nicht mehr zustande kommt, zieht es junge Menschen nach der Ausbildung<br />
mehr und mehr in die großen Städte. Dort winken scheinbar mehr Wahlmöglichkeiten<br />
und auch der „angesehene Arbeitsplatz“, vorzugsweise im großen Unternehmen,<br />
ist dort eher zu finden.<br />
Bei den Kommunen im ländlichen Raum ist hektische Betriebsamkeit die Folge:<br />
Viele Kommunalpolitiker und Funktionäre rufen häufig nach dem Staat. Er soll die<br />
Infrastruktur verbessern, die Arbeitsplätze zu den Bürgern bringen, die Ortskerne<br />
vitalisieren, den Tourismus ankurbeln etc.
196 Franz Dullinger<br />
Hier kommt die Regionalförderung bzw. die ländliche <strong>Entwicklung</strong> ins Spiel. Heerscharen<br />
von öffentlich Bediensteten im Mehrebenen-System von Brüssel bis runter<br />
zu den Kommunen beschäftigen sich damit. Die Ausrichtung der Programme orientiert<br />
sich maßgeblich daran, ob das Geld planmäßig und fehlerfrei über die bestehenden<br />
Verwaltungsstrukturen ausgegeben werden kann. Dabei belegen aktuelle<br />
Erkenntnisse, z.B. des Berlin-Instituts für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong>, einmal<br />
mehr, dass diese Art der Förderung von oben nach unten wenig bewirkt. 116 Im Gegenteil:<br />
In den sogenannten „Höchstfördergebieten“ wurde schon viel Unternehmungslust<br />
eingeschläfert.<br />
Neben der fraglichen Wirkung der konventionellen Regionalförderung wird deren<br />
Verteilungsapparat von immer mehr Menschen als kalt und unmenschlich empfunden.<br />
117 Im Förderwesen hat sich über die Jahre eine weit verbreitete Kultur entwikkelt:<br />
Die „Förderexperten“ beschäftigen sich zu großen Teilen mit sich selbst. Als<br />
aktuelles Beispiel kann hier das sogenannte Schulobstprogramm angeführt werden.<br />
Die EU stellt den Regionen, in Deutschland also den Ländern, Geld für Schulobst<br />
zur Verfügung. Aufgrund des immensen bürokratischen Aufwandes verzichten einige<br />
Länder komplett auf die Mittel. Andere wiederum verbrauchen einen beträchtlichen<br />
Teil der Mittel zur Beschäftigung ihres „Apparat“. In Baden-Württemberg sind<br />
das in diesem Fall laut Angaben des Landwirtschaftsministeriums rund 400.000<br />
EUR von den 4 Mio. EUR Projektmittel. Eigentlich sollte das Geld bewirken, dass<br />
Kinder mehr gesundes Obst essen.<br />
Es bestehen kaum Verbindungen zwischen der „Förderwelt“ und den unternehmerischen<br />
Menschen in den Regionen (siehe Abbildung 1). Wenn überhaupt, dann mit<br />
denjenigen, die beispielsweise für den Bau größerer Hallen Investitionsförderung<br />
„mitnehmen“. Selbst die Profis „im System“ empfinden die Förderabwicklung als<br />
derart kompliziert, dass niemand mehr durchblickt. Kein Mensch „außerhalb des<br />
Systems“ versteht diese Handhabung der Förderprogramme auch nur ansatzweise.<br />
116 Brandeins 10/09: „Die Leute fallen ja nicht vom Himmel“; Interview mit Reiner Klingholz.<br />
117 Brandeins 01/10: „Aufstand von unten“; Interview mit Kurt Biedenkopf.
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 197<br />
Abbildung 1: Die Förderwelt ist von den unternehmerischen Menschen abgetrennt.<br />
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Alternativer Ansatz für ländliche Räume: Selbstverantwortliche<br />
lokale Initiativen<br />
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong> hat im Auftrag der Bundesregierung<br />
im Jahr 2009 eine Idee entwickelt, wonach die Menschen auf lokaler Ebene<br />
die <strong>Entwicklung</strong> selbstverantwortlich gestalten. Gefördert werden könne nur dort, wo<br />
Menschen sind, die Ideen haben und diese umsetzen wollen und können. Um <strong>Entwicklung</strong><br />
anzuregen, müsse man die Menschen einfach „machen lassen“. Nur wo<br />
Bürger ernst genommen würden, übernähmen sie auch Verantwortung. 118<br />
Zur praktischen Umsetzung einer solchen Idee hat der Verfasser dieses Artikels<br />
bereits im Jahr 2003 das europäische Modellprojekt „XperRegio“ initiiert und zusammen<br />
mit Partnern über Jahre „an den Graswurzeln“ umgesetzt.<br />
Beispiel EU-Modellprojekt XperRegio<br />
Als ersten Schritt haben sieben niederbayerische Gemeinden ein eigenes Handlungsprogramm<br />
aufgesetzt: Diejenigen, die lieben, was sie tun, sollten gefunden,<br />
individuell unterstützt und untereinander vernetzt werden. Gesucht wurden Menschen<br />
mit speziellem Können, die mutigen Unternehmer, die Begeisterten und die<br />
Freaks. Von der Kindergärtnerin oder dem Theaterintendanten über den Musikfreak<br />
oder den Bauern bis zum Software-Designer. XperRegio nahm sich vor, bestmög-<br />
118 Berlin-Institut für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong> (2009): Demografischer Wandel. Ein Politikvorschlag<br />
unter besonderer Berücksichtigung der Neuen Länder. Berlin.<br />
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198 Franz Dullinger<br />
lich ihre „regionalen Experten“ zu unterstützen. In diesen unternehmerischen Menschen<br />
sah man den längsten Hebel für eine dynamische Regionalentwicklung. Die<br />
Erfahrenen wissen: Hinter jedem erfolgreichen Projekt, hinter jedem erfolgreichen<br />
Unternehmen steht ein Mensch mit einem inneren Antrieb für „seine Sache“. Diese<br />
begeisterten Typen stecken andere an, sorgen für einen positiven Wettbewerb um<br />
die besten Ideen, sorgen für Aufbruchstimmung und schaffen Wettbewerbsfähigkeit<br />
und neue Arbeitsplätze. Ein pulsierendes Feld entsteht. Dort engagieren sich die<br />
Menschen für die Gemeinschaft, gründen Familien, kaufen ein und gestalten ihre<br />
Umgebung mit Freude.<br />
Mit diesem Programm wurde die Region von der Europäischen Kommission als<br />
Modellprojekt ausgewählt. Ein Budget von 3 Mio. EUR und die volle Verantwortung<br />
an die Basis waren die Folge.<br />
Abbildung 2: Budget und volle Verantwortung an die Basis<br />
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The „XperRegio-way“ of ERDF<br />
Die Gemeinden haben zur Umsetzung des Modellprogramms ein regionales Team<br />
mit dem Management beauftragt. Nach der Gestaltung des Handlungsprogramms<br />
war die nächste Aufgabe des Regionalmanagements, wirkungsvolle Projekte mit<br />
den Menschen vor Ort umzusetzen und die korrekte Mittelverwendung zu prüfen.<br />
Regionalfonds XperCapital<br />
Zusätzlich zu dem EU-Modellprogramms wurde im Jahr 2008 der Regionalfonds<br />
„XperCapital“ aufgesetzt. Rund 400.000 EUR EU-Mittel wurden eingebracht. Bis<br />
dato investierten Private aus der Region weitere 600.000 EUR in den Fonds. Die<br />
vorhandenen 1 Mio. EUR sind im Moment als nachrangige Darlehen an neun Unternehmen<br />
ausgereicht. Der Fonds ist eine langfristig in der Region vorhandene,<br />
zusätzliche <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeit innerhalb des „Modell XperRegio“.<br />
Brussels<br />
Berlin<br />
Munich<br />
NUTS 2<br />
XperRegio
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 199<br />
Ein anderes faszinierendes Modell für effektive Regionalentwicklung – unabhängig<br />
von öffentlicher Förderung – sei an dieser Stelle erwähnt: Die Regionalwert AG<br />
Freiburg. Gründer und Vorstand Christian Hiss hat erstmals eine Bürgeraktiengesellschaft<br />
aufgebaut, die in Unternehmen rund um regionale Lebensmittelproduktion<br />
und -verarbeitung investiert. Ziel ist ebenfalls eine nachhaltige regionale <strong>Entwicklung</strong><br />
mit konsequenter Bürgerbeteiligung.<br />
Entstehung und Umsetzung eines Projekts im Rahmen des Modellprogramms<br />
Das Regionalmanagement ist in den Dörfern präsent, findet den unternehmerischen<br />
Mensch und baut ein Vertrauensverhältnis auf, die Person spricht darüber, was ihr<br />
wirklich wichtig ist und wie der nächste Schritt auf ihrem Weg aussehen könnte.<br />
Die Person wird ermutigt, jetzt anzufangen. Sie wird bei der bei der Umsetzung<br />
konsequent unterstützt z.B. durch die Vermittlung individuell passender Kontakte.<br />
Gemeinsam wird dann an einem guten Konzept oder einem „runden Businessmodell“<br />
gearbeitet. Sofern dieses erfolgversprechend ist, wird ein Projektantrag gestellt.<br />
Der Antrag wird vorab vom Regionalmanagement bewertet und bei positiver<br />
Bewertung dem regionalen Lenkungsausschuss vorgestellt. Folgende Fragen stehen<br />
dabei im Mittelpunkt des Interesses:<br />
� Welches strategische Ziel verfolge ich?<br />
� Welcher nachhaltige Nutzen wird gestiftet?<br />
� Welche nachhaltigen Wettbewerbsvorteile entstehen?<br />
� Wie sieht der Beitrag für die regionale Gemeinschaft aus?<br />
Direkt im Anschluss wird über eine Projektförderung entschieden. 24 Stunden später<br />
hat die Person einen Förderbescheid.<br />
Das Regionalmanagement steht weiter als Sparringspartner zur Umsetzung und<br />
Weiterentwicklung des Vorhabens zur Verfügung. Den unternehmerischen Menschen<br />
mit ihren Ideen und Projekten wird Öffentlichkeit verschafft, Netzwerke werden<br />
ausgebaut.<br />
Die projektbezogenen Rechnungen werden beim Regionalmanagement vorgelegt<br />
und dann geprüft. Nach Feststellung der korrekten Verwendung wird die Förderung<br />
ausbezahlt.<br />
Das Ergebnis nach drei Jahren Umsetzung des Programms in einer ländlichen Region<br />
mit rund 120.000 Einwohner ist:<br />
� 150 Menschen haben ein Projekt umgesetzt.<br />
� Dadurch wurden 400 neue Arbeitsplätze geschaffen (entspricht 10.000 EUR<br />
pro Job).<br />
� Mit den 3 Mio. EUR Förderung wurden 14,3 Mio. EUR Ausgaben ausgelöst.<br />
� Hohe öffentliche Aufmerksamkeit – regional und überregional.
200 Franz Dullinger<br />
� Aufbruchstimmung und Bewusstsein über die Potenziale in der Region ist entstanden.<br />
� XperRegio wurde mit einem European Enterprise Award und dem Bundespreis<br />
für interkommunale Kooperation ausgezeichnet.<br />
Projektbeispiel: Werner Rüdel, Drehfix Systems GmbH<br />
Werner Rüdel kommt aus einer landwirtschaftlich geprägten Familie und ist von Beruf<br />
Schreinermeister. Im Jahr 2002 hatte er die Idee für ein neuartiges Dübelsystem:<br />
Eine speziell entwickelte Ankerstange wird in einen Dübel mit Führungsfunktion gesteckt<br />
und mit einem Vierteldreh stufenlos justiert. Im Schnitt werden maximal drei<br />
Sekunden für das Einsetzen und die Drehung der Ankerstange benötigt und das mit<br />
minimalem Kraftaufwand.<br />
Die Vorteile dieser Erfindung sind überzeugend: 80 % Zeitersparnis beim Montageprozess,<br />
einfache und schnelle Abstandjustierung, Klemmung über die gesamte<br />
Lochlaibung. Da das Marktvolumen für Dübel in Europa bei 1,2 Mrd. Stück pro Jahr<br />
liegt, ist das Potential einer Neuentwicklung in diesem Bereich sehr groß.<br />
2005 erhielt Herr Rüdel die europaweiten Patentrechte für seine Erfindung. Gemeinsam<br />
mit XperRegio begann er, an der Etablierung des neuen Produkts auf dem<br />
Markt zu arbeiten. Herr Rüdel setzte sich dabei ein ehrgeiziges Ziel: mittelfristig 5 %<br />
Marktanteil in Europa. In einem ersten Schritt wurden mit Hilfe des Regionalmanagements<br />
der Geschäftsplan und ein Marketingkonzept aufgestellt sowie Partner für
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 201<br />
Produktion und Vertrieb gefunden. Zusätzlich wurden zahlreiche Gespräche mit<br />
Banken und Fördergebern der öffentlichen Hand geführt, um das notwendige Startkapital<br />
sicherzustellen. Die Banken verhielten sich jedoch zunächst passiv, kein einziges<br />
öffentliches Förderprogramm kam zum Tragen. Es bestand somit die Gefahr,<br />
dass die Industrie das Patent billig erwirbt und das damit verbundene Potenzial<br />
einmal mehr aus dem ländlichen Raum abwandert, womöglich nach Fernost.<br />
XperRegio war in dieser Situation für Herrn Rüdel die letzte Chance. Der Lenkungsausschuss<br />
entschied positiv über eine Förderung der Kosten für Marketing und<br />
Vertrieb. Dieser Vertrauensvorschuss von XperRegio bewirkte ein Umdenken bei<br />
den Banken. Die <strong>Finanzierung</strong> konnte somit doch noch gesichert und im Oktober<br />
2006 die Drehfix Systems GmbH gegründet werden.<br />
Es folgten zahlreiche Messeauftritte, Qualitätssicherung und -zertifizierung, Weiterentwicklung<br />
und Fertigung der Maschinen, die Rekrutierung der ersten Mitarbeiter<br />
usw. Im August 2007 war es schließlich soweit: Herr Rüdel verkaufte die ersten Dübel.<br />
In der Folge stellte er von Kleinserien- auf Großserienproduktion um und baute<br />
den Mitarbeiterstamm weiter aus.<br />
Die erfolgreiche und von XperRegio begleitete Unternehmensgründung von Herrn<br />
Rüdel hat direkte Auswirkungen auf die Region: Die Zulieferbetriebe befinden sich<br />
alle in der näheren Umgebung, der weiteste ist nur 60 Kilometer entfernt. Mittelbar<br />
wurden bisher mehr als 30 Arbeitsplätze geschaffen. Es entstehen Ausbildungsplätze,<br />
zwei Behindertenwerkstätten erhalten Aufträge und Herr Rüdel steht dreimal im<br />
Jahr mit seinem Patentanwalt für Schulveranstaltungen „Patent einmal praktisch“<br />
zur Verfügung.<br />
Wirkungsvolle Regionalentwicklung<br />
Wirkungsvolle Regionalentwicklung mit passenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />
muss am Ende aus der Region kommen und von den Menschen vor Ort konsequent<br />
gelebt werden. Subsidiarität darf nicht auf Ebene der Länder aufhören. Eigenständigkeit<br />
auf lokaler Ebene mit allen Konsequenzen ist zu fördern und zu fordern.<br />
Das Kopieren anderswo erfolgreicher Strukturen bringt keine nachhaltige <strong>Entwicklung</strong>.<br />
Dazu berichtete der frühere Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, in<br />
einem Gespräch mit Professor Viktor Mayer-Schönberger, Harvard University, enttäuscht<br />
davon, dass sein Staat die Risikokapitalstruktur des Silicon Valley in Singapur<br />
nachgebaut hätte, und trotzdem würden die innovativen Unternehmer Singapurs<br />
nach San Francisco auswandern, anstatt im dynamischen asiatischen Stadtstaat zu<br />
bleiben. Lee Kuan Yew machte die enorm frustrierende Erfahrung, dass auch die<br />
schönste Region leer bleibt, wenn sie nicht mit Leben erfüllt wird.
202 Franz Dullinger<br />
Dieses Beleben einer Region beginnt mit einem regionalen Management oder einer<br />
ähnlichen Struktur, dessen Arbeit von einer speziellen Haltung geprägt ist: „Wir<br />
nehmen Sie als Mensch mit ihrem Spleen ernst. Setzen Sie sich für ihre Sache ein<br />
– wir unterstützen Sie!“ Dieses Unterstützen ist nur dann erfolgreich, wenn das Management<br />
über spezielle Kompetenzen verfügt und möglichst eigenständig und<br />
schnell entscheiden kann.<br />
Wesentliche Kompetenzen des Managements einer regionalen Initiative<br />
Wesentliche Kompetenzen eines Managements sind, die unternehmerischen Menschen<br />
einer Region zu finden und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen. Diese<br />
Menschen müssen ermutigt werden. Sie brauchen beim Ausarbeiten und Weiterentwickeln<br />
von unternehmerischen Konzepten einen Sparringspartner. Ein gutes<br />
unternehmerisches Konzept muss dabei folgendes leisten (nach Prof. Faltin):<br />
1. klare Marktvorteile herausarbeiten,<br />
2. einen Vorsprung vor Imitatoren sichern,<br />
3. vor technologischer und wirtschaftlicher Obsoleszenz schützen,<br />
4. den <strong>Finanzierung</strong>saufwand minimieren und<br />
5. Marketing muss integraler Bestandteil des Konzeptes sein.<br />
Hinzu kommen folgende unterstützende Elemente:<br />
� Wirkungsvolle Kommunikation und Vernetzung – innerhalb und außerhalb der<br />
Region<br />
Der Kontakt zu den unternehmerischen Menschen – mit ihren Geschichten und<br />
Plänen ist so interessant, dass z.B. Fernsehbeiträge dazu sehr hohe Quoten<br />
erreichen. Eine intensive Kommunikation mit und über die „positiv Verrückten“<br />
verbreitert die Basis für Regionalentwicklung und regt immer mehr Menschen<br />
an, über die Frage nachzudenken: Was ist eigentlich meine Sache? Für was<br />
will ich mich einsetzen? Das wiederum schafft zusätzliche Andockstellen zum<br />
regionalen Management.<br />
� Flexible Förderung gerade von gewinnorientierten Projekten und schnelle Entscheidungen<br />
Förderfähig ist alles, was nicht verboten ist und einen sinnvollen Beitrag zur<br />
Zielerreichung darstellt. Entschieden wird vor Ort.<br />
Schließlich sind solche innovativen Regionalinitiativen – ob öffentlich gefördert oder<br />
ausschließlich von Bürgern getragen – korrekt umzusetzen und die Mittelverwendung<br />
transparent nachzuweisen.
Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 203<br />
Hier werden vor allem von behördlicher Seite große Probleme gesehen. Wenn Spezialisten<br />
mit den komplexen Kontrollsystemen schon Schwierigkeiten hätten, könne<br />
diese Verantwortung unmöglich auf die lokale Ebene gegeben werden, so die Befürchtung<br />
von Behördenvertretern. Die Gefahr von Sanktionen mit weitgehenden<br />
Konsequenzen wäre aus ihrer Sicht viel zu groß.<br />
Das Modellprojekt XperRegio hat jedoch gezeigt, dass es möglich ist, auch auf lokaler<br />
Ebene ein innovatives Programm korrekt abzuwickeln. Tatsächlich ist es ein<br />
großer Aufwand, allen aktuell existierenden Kontrollen gerecht zu werden. Eine gut<br />
durchdachte Implementierung des Prüfsystems zur „Stunde Null“ und eine aktive<br />
Kommunikation mit allen am Prüfpfad Beteiligten minimierte jedoch das Risiko.<br />
Die Darstellung der Projekte in der Öffentlichkeit (Internet, TV, Radio, Presse, Veranstaltungen)<br />
hat sich als das effektivste Regulativ erwiesen. Der Geförderte will<br />
der Öffentlichkeit beweisen, dass er das Beste aus seiner Chance macht und am<br />
Ende Erfolg hat.<br />
Auf die Frage, wie wirkungsvolle Regionalentwicklung aussehen kann, gibt auch<br />
das Modellprojekt XperRegio eine klare Antwort: In unternehmerische Menschen<br />
investieren! Damit ist Aufbruchstimmung entstanden: „Wenn ich jetzt nicht mit meiner<br />
Sache anpacke, dann verpasse ich was.“ Die Beteiligten waren überrascht und<br />
begeistert zugleich, wieviel Freude es machen kann, „Policy-Innovation“ und „veränderungswillige<br />
Denkstrukturen“ praktisch und relativ schnell vor Ort umzusetzen.<br />
Die finanzielle Förderung spielte bei vielen Projekten eben nicht die zentrale Rolle.<br />
Wichtiger war, dass im Regionalmanagement vor Ort Menschen sind, die den positiv<br />
Verrückten Mut machen und als kompetenter Sparringspartner bei der Ausarbeitung<br />
ihrer Sache dienen.<br />
Damit sendet die Region ein Signal aus: „Bei uns gibt es Freiräume. Hier kannst du<br />
deinen Weg gehen und deine eigene Sache machen. Wir freuen uns darüber und<br />
unterstützen dich dabei!“<br />
Kontakt:<br />
Franz Dullinger<br />
Hengersbergerstr. 13a<br />
94557 Niederalteich<br />
E-Mail: office@stopgo.net
204 Franz Dullinger
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente – und<br />
damit verbundene Herausforderungen<br />
von Carsten Hansen<br />
1. Was kümmert uns die Region? – Regionen sind gelebte<br />
Subsidiarität!<br />
Die Lebenszusammenhänge der Bürger sind regional und die Mobilität lässt die<br />
„örtliche Gemeinschaft“ wachsen. Die Menschen sind heute oft nicht mehr an einem<br />
Ort „zu Hause“, sondern sie sind an verschiedenen Orten in einer Region sozial integriert.<br />
Der Wohnort ist für viele nicht mehr der Arbeitsort, der Schulort, der Ort an<br />
dem die Freizeitaktivitäten oder die Kirchgemeindetreffen stattfinden. Diese Aktivitäten<br />
verteilen sich auf einen größeren räumlichen Bereich. Daher müssen die<br />
Städte und Gemeinden zunehmend auf <strong>regionaler</strong> Ebene zusammenarbeiten, um<br />
die von den Bürgern erwarteten öffentlichen Dienstleistungen zu erbringen. Die so<br />
verstandene Region ist aber nicht darauf begrenzt, als Kooperationsraum Verwaltungsdienstleistungen<br />
wie Schulbildung, Wasserver- und Abwasserentsorgung,<br />
Abfallbeseitigung, Kulturangebote etc. sicherzustellen. Dazu gehören auch die Arbeitswelt<br />
mit der Förderung unternehmerischer Tätigkeiten und die Verbesserung<br />
der harten und weichen Standortfaktoren, um Unternehmen und damit Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
vor Ort zu halten.<br />
Die neuen Kooperationsbeziehungen sind ein Resultat der Lebensführung der Menschen.<br />
Sie werden deshalb nicht unbedingt durch administrative Einrichtungen abgebildet.<br />
Regionen sind etwas anderes als z.B. bloß Landkreise. Diese sind als<br />
Gemeindeverbände für den Ausgleich benachbarter Gemeinden zuständig, aber sie<br />
decken originär keine regionalen Aufgaben ab. Vielmehr bestimmen die Menschen<br />
mit ihren differenzierten Strategien der Bedürfnisbefriedigung, welche Kommunen<br />
kooperieren müssen.
206 Carsten Hansen<br />
2. Hintergrund regionale Wirtschaftspolitik<br />
Regionale Wirtschaftspolitik wird nicht nur von Kommunen betrieben. Wenn es um<br />
investive gewerbliche Wirtschaftsförderung geht, beanspruchen die Länder Zuständigkeit.<br />
Auf regionale Wirkungen zielen öffentliche Förderprogramme mit ihren Möglichkeiten<br />
der Investitionsförderung. Regionale Wirtschaftsförderung ist daher ein<br />
fester Bestandteil der Wirtschaftspolitik der Länder. Die Notwendigkeit dessen wird<br />
kaum ernsthaft in Frage gestellt, d.h. das „Ob“ steht außer Frage. Das „Was bzw.<br />
Wo sollte gefördert werden“ und das „Wie sollte gefördert werden“ ist umstritten:<br />
Schließlich geht es um die Verteilung von Macht(-ressourcen) in einem komplexen<br />
politischen und administrativen Mehrebenensystem. Es reicht von der EU über die<br />
nationale und Länderebene bis in die Regionen auf die lokale Ebene.<br />
Die Aufgabe ist komplex und oft genug entsteht der Eindruck, dass die regionale<br />
Wirtschaftspolitik mit Ansprüchen und erwarteten Wirkungen überfordert ist. Die<br />
öffentliche Infrastruktur und Branchenschwerpunkte der Wirtschaft sollen zusammenpassen,<br />
das Verhältnis von örtlich bzw. regional verankerten und globalen Unternehmen<br />
soll stimmen, Cluster sollen sich zusammenfinden oder gar gebildet<br />
werden, die Rentabilität der Unternehmen soll mit Arbeitsplatzzuwächsen verbunden<br />
sein und Wertschöpfungsprozesse sollen für volkswirtschaftliche Mittelzuflüsse<br />
in die Regionen sorgen.<br />
Probleme der regionalen Wirtschaftsentwicklung sind ergänzend dazu oft in einer<br />
Vielzahl von kleinen und örtlich begrenzten Ursachen begründet, die die Komplexität<br />
weiter vergrößern. Sie reichen von Schwierigkeiten, Zugang zu Finanzmitteln zu<br />
bekommen, schrumpfenden, bzw. sich durch Migration räumlich verlagernden<br />
Märkten, demografischen Ursachen (Unternehmensnachfolger, Fachkräftemangel),<br />
unternehmensfremden Rahmenbedingungen wie das Schul- oder das Freizeitangebot<br />
bis hin zu klassischen Infrastrukturfragen wie der Straßenanbindung oder der<br />
Breitbandverfügbarkeit.<br />
Typischerweise wird die Steuerungskompetenz vergrößert, um der Komplexität der<br />
Herausforderung gewachsen zu sein. D.h. mehr Kompetenzen für die Mittel verwaltenden<br />
Stellen, mehr und genauere Richtlinien für die Mittelverwendung, mehr<br />
Planungskompetenz, straffere Führung und zentrale Entscheidungen, um die „Reibungsverluste“<br />
zu verringern.<br />
Die für eine zentrale Regulierung notwendigen homogenen Probleme, Ausgangsbedingungen<br />
und Lösungsstrategien sind leider in Themenbereichen wie demographischer<br />
Wandel oder wirtschaftlicher <strong>Entwicklung</strong>, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen<br />
vorhanden.
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 207<br />
3. Steuerung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Ein anderer Ansatz beantwortet das Wachstum von Komplexität nicht mit Wachstum<br />
der Steuerung, sondern Vervielfältigung von Maßnahmen. Die Entscheidungen<br />
über Lösungsstrategien und die Kompetenzen zu deren Umsetzung sollten deshalb,<br />
dem Subsidiaritätsprinzip folgend, möglichst dezentral getroffen werden. Im Bereich<br />
der regionalen Wirtschaftspolitik ist dies offensichtlich die Ebene der Region. Entsprechend<br />
den in der Verwaltungswissenschaft verwendeten drei Kompetenzarten<br />
der Politik müsste eine Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale Ebene sowohl<br />
die Entscheidungskompetenz als vor allem auch die <strong>Finanzierung</strong>s- und Verwaltungskompetenz<br />
umfassen. Untersuchungen von Förderprogrammen, in denen<br />
regionale Budgets zum Einsatz gekommen sind, zeigen, dass mit der o.a. eher<br />
technischen Verlagerung der Kompetenzen sehr viele positive und emotionale Reaktionen<br />
bei den Akteuren in den Regionen ausgelöst werden: Steigerung des<br />
Selbstwertgefühls, Motivation, Verantwortungsbewusstsein, Aktivierung des Ehrenamts<br />
und die Eigenverantwortlichkeit. Damit wird genau das aktiviert und gestärkt,<br />
was für eine erfolgreiche regionale <strong>Entwicklung</strong> gebraucht wird, so zutreffend 2007<br />
formuliert von Sebastian Elbe in seiner Dissertation "Die Voraussetzungen der erfolgreichen<br />
Steuerung integrierter Ansätze durch Förderprogramme. Untersucht am<br />
Beispiel des Modellvorhabens Regionen Aktiv".<br />
4. Regionales Budget als Schlüssel<br />
Mit dem als Modellvorhaben in die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen<br />
Wirtschaftsstruktur (GRW) eingeführten Regionalbudget besteht für die Bundesländer<br />
die Möglichkeit, die o.a. Effekte zu initiieren. In den Ländern ist das Instrumentarium<br />
vorhanden, die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> ihrer Regionen voranzutreiben,<br />
indem die regionalen Potenziale gezielt identifiziert und aktiviert werden.<br />
Für die Regionen und vor allem für die Unternehmen in der Region kann das GRW-<br />
Regionalbudget eine wesentliche Erleichterung durch kurze Wege und Einbeziehung<br />
der vor Ort vorhandenen Kenntnisse der beteiligten Partner in Politik und Verwaltung<br />
bedeuten. Zudem können die Kommunen verantwortlich in die Förderung<br />
einbezogen werden.<br />
Das GRW-Regionalbudget und andere regionale Budgetformen hätten vor allem<br />
den Vorteil, dass sie einen Wandel in der „Philosophie“ der Zusammenarbeit für die<br />
Regionalentwicklung bewirken könnten. Das bestehende System, Zuschüsse eines<br />
Landesprogramms zu beantragen, führt dazu, dass erfolgreich ist, wer mehr oder<br />
weniger geeignete Maßnahmen und Projekte kreiert, um möglichst viele Mittel in
208 Carsten Hansen<br />
den eigenen Ort/Wahlkreis/Region zu lenken. Im Ergebnis werden damit Kooperationen<br />
erschwert, weil sie diese Art Erfolg nicht bieten können.<br />
Bei Regionalbudgets gehen von örtlichen „Egoismen“ keine positiven Anreize mehr<br />
aus. Zumindest mittelfristig ist zu erwarten, dass Kooperationen vereinfacht werden,<br />
weil sie attraktiver werden.<br />
5. Rahmenbedingungen für regionale Budgets<br />
Die Idee von regionalen Budgets setzt einige Bedingungen voraus, die gegeben<br />
sein sollten. Was ist zum Beispiel eine Region? Es gibt keine klare Abgrenzung,<br />
aber dafür viele Vorstellungen. Regionen im Sinne von Kooperationen, die ein gemeinsames<br />
Budget für die Regionalentwicklung verwalten, sind keine neuen Institutionen<br />
oder gar Behörden. Eine derartige Region ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips,<br />
nach dem die jeweils kleinteiligste Ebene, die eine Aufgabe erfüllen<br />
kann, diese auch erfüllen soll. Deshalb müssen die Gebietskörperschaften, die als<br />
Region zusammenarbeiten, in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Derartige<br />
Zusammenarbeit ist nachhaltig, zumindest dauerhaft, nur zu erreichen, wenn sie<br />
freiwillig geschieht. Bestehen innerhalb der Region Spannungen, weil sich einige<br />
Kooperationspartner ungleich bzw. ungerecht behandelt fühlen, dann können diese<br />
Spannungen auch nicht durch institutionelles Gefüge oder rechtliche Verpflichtung<br />
beseitigt werden.<br />
Deshalb sollte die Abgrenzung den Kommunen selbst überlassen bleiben, also freiwillig<br />
sein. Dennoch bietet sich eine thematische Abgrenzung an, um hierdurch<br />
auch inhaltliche Schwerpunkte setzen zu können: Die Region grenzt sich aufgrund<br />
eines gemeinsamen Problem- und Potenzialraums unter Berücksichtigung der Akteursstrukturen<br />
ab.<br />
Um mit Fördermitteln im Bereich der Regionalentwicklung positive Impulse setzen<br />
zu können bedarf es einer kritischen Masse der Förderung: Es müssen bezogen auf<br />
die Region ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die regionale <strong>Entwicklung</strong><br />
beeinflussen zu können. Das Volumen von GRW-Regionalbudgets ist mit 300.000<br />
Euro pro Jahr nach oben begrenzt – das erfordert eigentlich, dass die Mittel dann<br />
wenigstens sehr flexibel eingesetzt werden können sollten.
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 209<br />
6. Stärkung der Regionen durch Regionalbudgets<br />
Eine weitere unverzichtbare Grundlage für ein Regionalbudget ist ein regionales<br />
<strong>Entwicklung</strong>skonzept. Es beantwortet die Frage, was die gemeinsamen Ziele einer<br />
Region sind. Es ist darüber hinaus auch die Grundlage für die <strong>Entwicklung</strong> von<br />
Handlungskonzepten, die für die Inanspruchnahme nationaler und europäischer<br />
Fördermittel für die Regionalentwicklung vorausgesetzt wird. Über die Inanspruchnahme<br />
bestehender Fördermöglichkeiten hinaus bieten regionale Konzepte die<br />
Gelegenheit, neue Handlungsformen und Initiativen zu erproben.<br />
Hierzu können beispielsweise regionale Fonds gehören, mit denen besondere kreative<br />
oder unternehmerische Ideen unterstützt werden. Oftmals sind die „großen“<br />
gewerblichen Investitionsprogramme hierfür weder gedacht, noch geeignet. Durch<br />
die Einbindung der regionalen Banken und Sparkassen können solche Fonds auch<br />
finanztechnisch regional verankert werden.<br />
Natürlich werden Regionen auch gestärkt, wenn die Bedingungen für regionales<br />
Verwaltungshandeln verbessert werden. Hierzu sind besonders die regionalen Planungsinstitutionen<br />
(wie regionale Planungsverbände) zu zählen, aber auch die gesetzlich<br />
vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit vom Zweckverband bis zur<br />
gemeinsamen Ausschreibung von Leistungen. Die Region ist daneben auch die<br />
geeignete Handlungsebene, um modernes Verwaltungshandeln wie „Good Governance“-Ansätze<br />
umzusetzen. Damit werden die wichtigen Formen bürgerschaftlichen<br />
Engagements und Formen öffentlich-privater Partnerschaften integriert.<br />
Regionalbudgets treffen also auf ein vorbereitetes Umfeld, das weit über die enge<br />
Perspektive der verwaltungsmäßigen Umsetzung von Regionalentwicklungs- oder<br />
regionalen Wirtschaftsförderungsprogrammen hinausgeht.<br />
7. Vorbehalte gegen Regionalbudgets<br />
Regionalbudgets sind in der gegenwärtigen Fördersystematik der Regionalpolitik ein<br />
ergänzendes Instrument. Auch in anderen Bereichen gibt es Regionalbudgets.<br />
Umfangreich werden sie in der Arbeitsmarktpolitik genutzt. In Brandenburg sind sie<br />
flächendeckend eingeführt. Hier sind sie ein wesentliches Instrument, um Fördermittel<br />
des Europäischen Sozialfonds regionalisiert einzusetzen. Die Regionalbudgets<br />
der Arbeitsmarktpolitik werden auch zur Unterstützung der Zielerreichung in<br />
Fachpolitiken (z.B. Tourismus-, Naturschutz-, Standortpolitik) eingesetzt.
210 Carsten Hansen<br />
Nachfolgend soll die Betrachtung auf die Regionalbudgets in der Regionalpolitik zur<br />
Stärkung der regionalen Wirtschaft beschränkt werden. Der mit Regionalbudgets<br />
verbundene mögliche Nutzen hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze, der<br />
Verstärkung <strong>regionaler</strong> Vernetzung und Wertschöpfung sowie der Vertiefung der<br />
regionalen wirtschaftlichen Zugehörigkeit spricht eigentlich dafür, Regionalbudgets<br />
als innovatives Instrument zu erproben. In der Realität überwiegen jedoch die Bedenken<br />
gegen Regionalbudgets. Zwei Hauptkritikpunkte betreffen die Investitionsförderung<br />
und die organisatorischen Strukturen.<br />
Die Einsatzbereiche des Regionalbudgets in der GRW sind nicht etwa die „kleinskaligen“<br />
Investitionsförderung, sondern das regionale <strong>Entwicklung</strong>spotenzial verstärkt<br />
zu mobilisieren, regionale <strong>Entwicklung</strong>saktivitäten zu organisieren und die regionale<br />
Identität zu stärken – unter der Voraussetzung, dass es funktionierende Regionalmanagementeinrichtungen<br />
gibt. Mit Regionalbudgets dürfen also keine gewerblichen<br />
Unternehmen direkt gefördert werden. Zudem dürfen bestehende Regionalmanagements<br />
nicht zusätzlich (doppelt) gefördert werden. Die Einschränkungen<br />
beschneiden den Einsatzbereich von GRW-Regionalbudgets erheblich, denn der<br />
zulässige Einsatzbereich gehört zum klassischen Betätigungsbereich des Regionalmanagements,<br />
darf aber nicht dafür verwendet werden (Doppelförderung). Als<br />
Resultat dessen werden möglicherweise Projekte und Aktivitäten gefördert, die gegebenenfalls<br />
nicht den Kern dessen treffen, was in der Region und für die regional<br />
ansässigen Unternehmen erforderlich ist. Zudem wird den Regionalbudgets, zumindest<br />
in Sachsen-Anhalt, eine Mindestprojektgröße (20.000 Euro) vorgeschrieben.<br />
Damit kann ein Glaubwürdigkeitsproblem entstehen, welches die Effizienz des Mitteleinsatzes<br />
mit dem Instrument grundsätzlich in Frage stellt und „begründet“, warum<br />
die Verwendung knapper Investitionsmittel besser nicht durch Regionalbudgets<br />
gesteuert werden sollte. Das Verbot der Förderung gewerblicher Investitionen sorgt<br />
folgerichtig dafür, dass die Förderentscheidung in diesem Bereich zentralisiert bei<br />
den Ländern bleibt. Eine Verlagerung der <strong>Finanzierung</strong>s- und Entscheidungskompetenz<br />
durch Dezentralisierung wird als Verlust von Entscheidungskompetenz und<br />
damit von Macht begriffen. Dabei könnten Regionalbudgets die für Regionalförderung<br />
zuständigen Länder entlasten: Eine Reihe kleiner Projekte, die ansonsten beantragt,<br />
bearbeitet und gegebenenfalls aus rein formalen Gründen abgelehnt werden<br />
müssten, würden schon auf der kleinregionalen Ebene abgefangen und den<br />
Aufwand für die Abwicklung der Förderung durch die Länder verringern. Zudem<br />
können die beabsichtigten Effekte der Verstärkung der regionalen Identität genutzt<br />
werden, ohne dass die Länder die erforderlichen Maßnahmen koordinieren müssen.<br />
Außerdem ist zu erwarten, dass die regionale Kompetenz zur Nutzung der zur Verfügung<br />
gestellten Fördermittel wächst, mit der Folge, dass die Effizienz des Mitte-
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 211<br />
leinsatzes steigt. In diesem Falle entsteht möglicherweise eine Konkurrenzsituation<br />
unterschiedlicher Förderphilosophien, die nicht zwingend gewollt sein muss.<br />
Das zweite Problem ist, dass eine klare Vorstellung des organisatorischen Rahmens<br />
fehlt. Die Verantwortlichen in den Ländern wissen nicht, auf was sie sich da<br />
einlassen. Ein probates Mittel, diese Unsicherheit zu beseitigen, ist es, Vorschriften<br />
über die Erscheinungsform zu erlassen. Das ist auch hier geschehen, indem die<br />
gesetzliche Regelung auf bestehende Regionalmanagements abhebt. Das stellt<br />
allerdings erneut die Frage nach der Notwendigkeit des Budgets. Der Charme, dass<br />
die Regionsabgrenzung nicht zwingend an bestehende Verwaltungsgrenzen (z.B.<br />
Landkreise, Regierungsbezirke, Länder) gebunden sein muss, entfällt dabei.<br />
8. Herausforderungen auf kommunaler Seite<br />
Es soll nicht verschwiegen werden, dass ein umfangreicher Einsatz von Regionalbudgets<br />
auch von kommunalen Vertretern als Herausforderung begriffen wird. Regionalbudgets<br />
stellen auch auf der Anwenderseite bisherige Strategien sowie die Art<br />
und Weise, wie bestimmte Konflikte in der Regionalförderung gelöst wurden, in Frage.<br />
Eigene Kompetenzen bedeuten eigene Verantwortung. Das gilt auch in der Regionalentwicklung<br />
und besonders unter dem Diktat begrenzter Mittel. In dem Maße,<br />
wie die Steuerungsverantwortung vor Ort steigt, nimmt die Möglichkeit ab, Konflikte<br />
oder Misserfolge zu verlagern. Eine klare Gegenüberstellung der (wichtigen) eigenen<br />
Bedürfnisse und der (ergänzend zu berücksichtigenden) anderen Bedürfnisse<br />
ist nicht mehr möglich. Alle Prioritäten müssen selbst gesetzt und vertreten werden.<br />
Prioritätensetzung deckt Wahrheiten auf, die dadurch nicht mehr umgangen, sondern<br />
zur Kenntnis genommen werden müssen. Das ist allerdings kein spezifisches<br />
Problem der Regionalbudgets, sondern ein mit jeder Evaluierung verbundener Umstand.<br />
Dennoch droht dadurch ein zusätzliches Konfliktpotenzial sowohl in der interkommunalen<br />
Kooperation, als auch innerhalb der eigenen Gemeinde.<br />
Ein weiterer Vorbehalt auf der kommunalen Seite betrifft, wie vorher bei den Länden<br />
beschrieben, die räumlich-institutionelle Abgrenzung von Regionen, die über ein<br />
Regionalbudget verfügen können. Idealerweise sollten sich die Kommunen, die zur<br />
Nutzung eines Regionalbudgets kooperieren, freiwillig auf der Basis <strong>regionaler</strong> und<br />
funktionaler Zugehörigkeit zusammenfinden und auf Augenhöhe begegnen. Die<br />
eine Region bildenden Städte, Gemeinden und Landkreise müssen nicht von vornherein<br />
die gleiche Struktur haben, aber sie müssen bereit sein, sich jeweils weitgehend<br />
gleichen Einfluss und Gewichtung in der Kooperation zuzusagen.<br />
Diese Übung ist auf kommunaler Ebene zu bewältigen, weil die Kommunen Kooperationserfahrung<br />
haben. Darüber hinaus bedeutet die Freiwilligkeit der Kooperation
212 Carsten Hansen<br />
aber auch die Fähigkeit, auszuhalten, dass einzelne Kommunen in einem eigentlich<br />
eine Region bildenden Gebiet keine Kooperationsnotwendigkeit sehen und keine<br />
Kooperation wollen. Das ist durchaus nicht trivial, denn diese Fähigkeit muss nicht<br />
nur auf der kommunalen Ebene vorliegen, sondern auch beim Land. Länder, wie<br />
auch (Raum- oder Regional-)Planer neigen dazu, aus Gründen der Vereinfachung<br />
von Abläufen auf Institutionen und administrative Einheiten zurückzugreifen, die es<br />
gibt oder die sie einschätzen können. Das heißt konkret, dass die Landkreise allein<br />
deshalb eine herausgehobene Rolle bei Regionalbudgets erhalten könnten, weil es<br />
sie gibt und ihnen eine die kreisangehörigen Städte und Gemeinden koordinierende<br />
Funktion zugesprochen wird. Damit sind in der Diskussion gleich mehrere weitere<br />
Aspekte verbunden, die auf der gemeindeverbandlichen Ebene Vorbehalte auslösen.<br />
Landkreise werden als räumliche Einheit von Regionen angesehen, was mit einem<br />
Vertretungsanspruch verbunden ist. Das würde jedoch zu einem Ungleichgewicht<br />
der Vertretung in den Fällen führen, in denen lediglich ein Teil der kreisangehörigen<br />
Städte und Gemeinden in einer kooperierenden Region engagiert ist. Außerdem<br />
wären weitere Fragen über die Einbindung von Gemeinden in eine Region zu klären,<br />
die weder funktional noch räumlich zur Region gehören.<br />
Zudem werden Kreisverwaltungen als Geschäftsstelle und gleichsam als institutionelle<br />
Repräsentanz von Regionen angesehen. Das ist der sichtbare Ausdruck der<br />
Koordinierungs- und damit auch Lenkungsfunktion gegenüber den Gebietskörperschaften<br />
auf lokaler Ebene, der sich auch daraus erklärt, dass Landkreise eben<br />
nicht reine Selbstverwaltungskörperschaften, sondern in Doppelfunktion auch die<br />
unterste nachgeordnete staatliche Behörde sind. Ein weiterer Aspekt wäre, dass sie<br />
bzw. die bei ihnen angesiedelten Regionalmanagements die Mittel der Regionalbudgets<br />
zur Verwaltung erhalten würden. Dies könnte die Tendenz eines Selbstverständnisses<br />
als Zahlstelle (und eventuell bewilligende Behörde) verstärken. Dieser<br />
Vorbehalt würde allerdings wohl entfallen, wenn die Länder die finanziellen Mittel<br />
des Regionalbudgets auf der Landesebene oder Sonderkonten bei den abwickelnden<br />
Banken behielten.<br />
Landkreise haben tatsächlich eine Ausgleichsfunktion für die kreisangehörigen<br />
Städte und Gemeinden. Allerdings geht es beim Regionalbudget gerade nicht um<br />
eine Ausgleichsfunktion innerhalb des Kreisgebietes. Es geht auch nicht darum,<br />
staatliche Förderprogramme dezentral zu exekutieren, sondern darum, im Konsens<br />
getroffene Fördermaßnahmen in einer Region umzusetzen. Dem widerspricht eine<br />
herausgehobene Rolle eines der Partner dann, wenn sie ihm nicht von allen angetragen<br />
wird.<br />
Zudem wird befürchtet, dass die Mittel als ergänzende <strong>Finanzierung</strong> der Regionalentwicklungspolitik<br />
auf Kreisebene und damit als Mittel zur <strong>Finanzierung</strong> der Land-
Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 213<br />
kreise angesehen werden. In diesem Falle würden aus Sicht der kreisangehörigen<br />
Gemeinden Landesprogramme zur Regionalentwicklung bzw. der regionalen Wirtschaftsförderung<br />
nur durch solche auf der Kreisebene ersetzt. Das würde dem Ansatz<br />
von Regionalbudgets nicht gerecht. Fast müsste eine derartige <strong>Entwicklung</strong><br />
unter dem Gesichtspunkt der Partizipation (Entscheidungskompetenz) aus kreisangehöriger<br />
Perspektive als Rückschritt angesehen werden.<br />
Die Kreisumlage ist als das bedeutendste selbst bestimmbare <strong>Finanzierung</strong>smittel<br />
der Landkreise anzusehen. Zugleich ist sie die materielle Grundlage der Einnahme-<br />
Ausgleichsfunktion der Kreise für die kreisangehörigen Gemeinden. Insoweit ist die<br />
Tätigkeit der Landkreise im Bereich der Regionalförderung durch die Gemeinden<br />
zumindest mitfinanziert. Damit ist die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen<br />
Kreis und kreisangehörigen Gemeinden berührt. Daraus ergibt sich ein gewisser<br />
politischer Einfluss der kreisangehörigen Ebene auf die Verwendung der Mittel. Die<br />
Mitgestaltungsmöglichkeiten aufgrund dieser <strong>Finanzierung</strong>sbeziehungen würden<br />
aufgehoben, wenn es eine direkte und alleinige <strong>Finanzierung</strong> von regionalen Budgets<br />
durch die Länder (ohne die üblichen Eigenanteile der Maßnahmenträger) gäbe.<br />
9. Bedeutungskern des Regionalbudget – Region oder<br />
Kooperation?<br />
Abschließend stellt sich die Frage, ob in der politischen Diskussion nicht besser ein<br />
anderer Begriff für Regionalbudgets gefunden werden sollte. „Kooperationsfonds“<br />
drücken z.B. viel besser die Zielsetzung von Regionalbudgets aus und geben bessere<br />
Hinweise auf die Umsetzung. Vielleicht hilft das auch, die zahlreichen Befürchtungen<br />
zu verringern, die mit dem Begriff Regionalbudget verbunden sind.<br />
Kontakt:<br />
Carsten Hansen<br />
Wirtschaft, Tourismus, Verkehr<br />
Deutscher Städte- und Gemeindebund<br />
Marienstr. 6<br />
12207 Berlin<br />
www.dstgb.de<br />
Tel.: 030 77307 243<br />
E-Mail: carsten.hansen@dstgb.de
214 Carsten Hansen
Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner<br />
von Dr. Bertram Reddig, Dr. Sonja Scheffler und Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
1. In bewährter Tradition Zukunft gestalten<br />
Die Förderung des unternehmerischen Mittelstandes ist traditionell eines der<br />
Grundanliegen der Sparkassen. Sparkassen wurden vor über 200 Jahren gegründet,<br />
um auch den ärmeren Bevölkerungsschichten das Sparen zu ermöglichen. Und<br />
sie vergaben auch schon im 19. Jahrhundert Kredite zu fairen Konditionen. Sie<br />
nutzten das Sparpotenzial der Bevölkerung zur Stärkung der lokalen und regionalen<br />
Wirtschaftskreisläufe.<br />
So wurden die Sparkassen im Laufe der letzten 200 Jahre zum wichtigsten Finanzierer<br />
der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Diese Unternehmen<br />
bilden nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und auch die Sparkassen<br />
sind unverändert der wichtigste regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner der kleinen und<br />
mittleren Unternehmen.<br />
Im Kreditgeschäft mit dem Handwerk konnten die Sparkassen beispielsweise einen<br />
Marktanteil von 66,4 Prozent Ende Juni 2010 erreichen. Insgesamt verzeichneten<br />
die Sparkassen im ersten Halbjahr 2010 einen Anstieg ihrer gewerblichen Kreditbestände<br />
um 5,1 Milliarden Euro.<br />
Auch die Verbindung mit ihrer Region hat für die Sparkassen eine 200-jährige Tradition.<br />
Denn Anfang des 19. Jahrhunderts erkannten die Kommunen den sozialen<br />
und wirtschaftlichen Nutzen der Sparkassen. Es entstand der Typus der kommunalen<br />
Sparkasse, der auch heute noch vorherrscht. Überall in Deutschland schossen<br />
neue Institute aus dem Boden. 1836 gab es rund 280 Sparkassen. Bis zum Jahr<br />
1900 stieg die Zahl der Sparkassen im Deutschen Reich auf rund 2.700 an.<br />
Heute sind 431 Sparkassen mit einem dichten Netz von 15.700 Geschäftsstellen in<br />
ganz Deutschland vertreten. Sie stellen ein flächendeckendes kreditwirtschaftliches<br />
Angebot für alle Teile der Bevölkerung auch in ländlichen und strukturschwachen<br />
Gebieten sicher. In den Sparkassen sind insgesamt rund 250.000 Mitarbeiter tätig.<br />
Die zusammengefasste Bilanzsumme beläuft sich auf 1.073 Milliarden Euro.
216 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Sparkassen sind für ihren unternehmerischen Erfolg auf ihr jeweiliges Geschäftsgebiet<br />
angewiesen. Erfolg im Markt benötigen sie, um ihre Leistungen verlässlich zu<br />
erbringen. Dabei stehen aber nicht möglichst hohe Renditen für Anteilseigner im<br />
Vordergrund. Die Geschäftstätigkeit der Sparkassen ist auf den Erhalt und Ausbau<br />
langfristiger und tragfähiger Kundenbeziehungen ausgerichtet, die eine nachhaltig<br />
positive Wirtschaftsentwicklung ermöglichen. Entsprechend verfolgen die Sparkassen<br />
mit ihrer Geschäftstätigkeit nicht die Maximierung von Gewinnen. Sie orientieren<br />
sich vielmehr in ihrer täglichen Geschäftspolitik am Gemeinwohl.<br />
2. In der Region, für die Region<br />
Nah bei den Kunden und mit einer Geschäftspolitik, die klar auf die regionale Wirtschaft<br />
ausgerichtet ist, sind die Sparkassen überall dort vor Ort vertreten, wo auch<br />
die Unternehmen ihren Sitz haben. Man kennt sich oft langjährig und Unternehmer<br />
bestätigen immer wieder, dass ihnen persönliche Beratung – sei es in der nahen<br />
Filiale oder beim Besuch des Beraters bzw. der Beraterin im Betrieb – auch im Zeitalter<br />
des Online-Bankings sehr wichtig ist.<br />
So haben die Sparkassen nicht zuletzt durch ihre regionale Verankerung ein starkes<br />
eigenes Interesse, gemeinsam mit ihren gewerblichen Kunden auch wirtschaftlich<br />
schwierige Zeiten zu meistern. Der Ausfall eines Unternehmens hat immer auch<br />
Folgen für dessen Arbeitnehmer, Zulieferer, Kunden und das gesellschaftliche Umfeld<br />
sowie die örtliche Kommune. Diese negativen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit<br />
gilt es gemeinsam zu vermeiden.<br />
Deshalb ist eine wirtschaftlich gesunde Region immer positiv für die <strong>Entwicklung</strong> der<br />
dort verankerten Sparkasse. Deren Einsatz für ihr Geschäftsgebiet ist daher stets<br />
eine Investition in die eigene Zukunft. Auf diese Weise entsteht eine Interessenidentität<br />
mit der mittelständischen Wirtschaft, den Bürgern und den Kommunen, die<br />
dazu beiträgt, die regionalen <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten ganzheitlich zu fördern.<br />
Sparkassen haben umfassende Möglichkeiten, Kredite zu vergeben, weil sie den<br />
größten Teil der Einlagen privater Kunden aus ihrem Geschäftsgebiet einsammeln<br />
(im Durchschnitt 40 Prozent aller privaten Einlagen). Diese Gelder sind eine stabile<br />
Liquiditäts- und Refinanzierungsquelle, die die Sparkassen in der Regel von den<br />
internationalen Finanz- und Kapitalmärkten unabhängig macht.<br />
Auf diese Weise tragen Sparkassen dazu bei, dass Ersparnisse aus der Region<br />
auch dort wieder eingesetzt und investiert werden, um so die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong><br />
vor Ort voranzubringen. Die Kundeneinlagen der Sparkassen stiegen im<br />
Jahr 2009 um mehr als 9,6 Milliarden auf über 751,9 Milliarden Euro. Das Volumen<br />
dieser Einlagen übertraf Ende 2009 das der Kredite um rund 110 Milliarden Euro.
Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 217<br />
3. Kredite vergeben – Unternehmensentwicklung fördern<br />
Für den deutschen Mittelstand sind die Sparkassen der wichtigste kreditwirtschaftliche<br />
Partner; drei von vier deutschen Unternehmen sind Kunde bei einer Sparkasse<br />
oder Landesbank. Von allen Krediten an Unternehmen und Selbstständige, die<br />
deutsche Kreditinstitute Ende 2009 in ihren Büchern stehen hatten, entfielen 42,6<br />
Prozent des Gesamtvolumens auf Institute der Sparkassen-Finanzgruppe.<br />
Dieser Anteil verteilte sich zu 25,1 Prozent auf die Sparkassen und 17,5 Prozent auf<br />
die Landesbanken. Im Vergleich dazu kamen die genossenschaftliche Bankengruppe<br />
auf 15,8 Prozent und die Großbanken auf 11,9 Prozent.<br />
Mit ihrer Kreditvergabe – gerade auch im Bereich der langfristigen Mittelstandsfinanzierung<br />
– haben Sparkassen wesentlich dazu beitragen, dass es in der Finanzkrise<br />
nicht zu einer flächendeckenden Kreditklemme gekommen ist. 2009 sagten<br />
die Sparkassen 62,1 Milliarden Euro an neuen Krediten an Unternehmen und Selbständige<br />
zu, das waren sogar noch 5,5 Prozent mehr als im vorherigen Rekordjahr<br />
2008.<br />
Neben den Genossenschaftsbanken konnten die Sparkassen damit weitgehend<br />
ausgleichen, dass in der Finanzkrise bestimmte Gruppen von Kreditinstituten – wie<br />
die Groß- oder die Auslandsbanken – ihr Kreditgeschäft mit Firmenkunden zurückfahren<br />
mussten. Gerade in einer Krise erlaubt die genaue Kenntnis der Kunden und<br />
ihrer Situation vor Ort den dezentralen Verbünden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken,<br />
Kredite auch dann noch bereitzustellen, wenn diese in weiter entfernten<br />
Konzernzentralen nicht mehr als tragfähig erkannt werden können.<br />
Förderkredite können im Grundsatz durch alle Kreditinstitute in Deutschland vergeben<br />
werden, aber die Sparkassen-Finanzgruppe ist der wichtigste Vertriebspartner<br />
für diese Programme – auch und vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen.<br />
Unter den zugesagten Förderkrediten der bundesweit tätigen KfW Mittelstandsbank<br />
lag ihr Anteil 2009 bei 38,9 Prozent (1. Halbjahr 2010: 44,6 Prozent). Die Genossenschaftsbanken<br />
kamen auf 19,9 (28,3) Prozent, die Großbanken auf 17,5 (9,2)<br />
Prozent.<br />
Mehr oder weniger überdurchschnittlich ist die Marktposition der Sparkassen, je<br />
erklärungsbedürftiger und beratungsintensiver ein Förderprogramm ist und je mehr<br />
sich dieses an kleinere gewerbliche Kunden richtet – also an die typische Klientel<br />
von Sparkassen. Dies gilt z.B. für Existenzgründerprogramme wie KfW-StartGeld<br />
(Marktanteil 2009 der Sparkassen-Finanzgruppe: 57,3 Prozent) oder ERP-Kapital<br />
für Gründung (44,2 Prozent). Im Gründungsgeschäft haben Sparkassen für einen<br />
Teil ihrer Engagements Bedarf an Risikoteilung, der durch Einbindung dieser Förderprogramme<br />
(oder vergleichbarer Programme der Landesförderinstitute) bzw. von<br />
Bürgschaften in kostengünstige und oft EDV-gestützte Verfahren gedeckt werden<br />
kann.
218 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Für die arbeitsintensive Betreuung von Existenzgründern kooperieren Sparkassen<br />
vielfach vor Ort mit geeigneten Partnern wie Kammern, Wirtschaftsförderern, Universitäten,<br />
Hochschulen oder auch Mikrofinanzierern. Dies gilt vor allem für Kleinfinanzierungen<br />
und analog auch für Betriebsmittelkredite an bestehende Unternehmen,<br />
wenn diese einer speziellen und arbeitsaufwändigen Betreuung bedürfen.<br />
Der andere Schwerpunkt mit besonders hohen Marktanteilen der Sparkassen-<br />
Finanzgruppe sind KfW-Programme für gewerbliche Kunden in den Bereichen Umweltschutz,<br />
Energieeffizienz und erneuerbare Energien (Marktanteil 2009: 44,1 Prozent).<br />
In diesen Geschäftsfeldern spielt die qualitative Beratungskompetenz der<br />
Sparkassen vor Ort ebenfalls eine große Rolle.<br />
Neben der KfW bieten auch Förderinstitute der Bundesländer schwerpunktmäßig<br />
Programme für gewerbliche Kunden an, und zwar stärker als die KfW für kleine und<br />
mittlere Unternehmen (KMU) im Sinne der EU-Definition, welche eher Kunden bei<br />
Sparkassen sind als Großunternehmen. Bei den Zusagen der größeren Landesförderinstitute<br />
erreichte die Sparkassen-Finanzgruppe daher 2009 Marktanteile von<br />
teils deutlich über 40 Prozent: L-Bank (Baden-Württemberg) 52,5 Prozent, ISB<br />
(Rheinland-Pfalz) 48,1 Prozent, NRW.Bank 45,2 Prozent, NBank (Niedersachsen)<br />
44,2 Prozent und LfA Bayern 40,5 Prozent.<br />
Ein aktuelles Thema sind Mikrokredite, über die derzeit national und international<br />
viel diskutiert wird. Es gibt dafür neue zusätzliche Angebote des Bundes und der<br />
EU. Nicht immer wird bei den Diskussionen und bei der Darstellung staatlicher Angebote<br />
ganz deutlich, was mit „Mikrokredit“ genau gemeint ist: die rein quantitative<br />
Festlegung eines Kredits bis zu 25.000 Euro (laut EU-Kommission) – manchmal<br />
auch nur 10.000 Euro – oder eine mehr qualitative Definition von Kleinkrediten mit<br />
alternativen Besicherungsverfahren und ohne bankübliche Sicherheiten an „nicht<br />
bankfähige“ Zielgruppen, die vor diesem Hintergrund überdurchschnittlich arbeitsaufwändig<br />
betreut werden müssen.<br />
Wenn es um „normale“ Klein- und Kleinstkredite für Investitionen und Betriebsmittel<br />
für tragfähige Kunden im gewerblichen Bereich (Existenzgründer und Bestandskunden)<br />
geht, so gehören diese zum Kerngeschäft der Sparkassen. Gerade kleine Unternehmen<br />
und Selbstständige, die Kredite dieser Größenordnung benötigen, sind<br />
besonders häufig Kunden von Sparkassen, weil sie von diesen wegen der räumlichen<br />
Nähe und der Verbundenheit mit der Region besser bedient werden als von<br />
manchen anderen Banken.<br />
Und weil die Vergabe auch kleiner Kredite für Sparkassen üblich ist, werden diese<br />
innerhalb der gesamten Kreditvergabe auch gar nicht separat statistisch erfasst.<br />
Mitte 2009 hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband aber eine Sonderbefragung<br />
über Kredite bis zu jeweils 10.000 Euro an Unternehmen und Selbstständige<br />
durchgeführt: Diese Umfrage ergab bei allen Sparkassen einen Gesamtbestand von
Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 219<br />
420.000 Stück für zusammen 2,14 Milliarden Euro – also in dieser Größenklasse<br />
durchschnittlich gut 5.000 Euro.<br />
4. Existenzgründungen – Träume verwirklichen<br />
Unternehmensgründungen sind die Triebfeder für die Wettbewerbsfähigkeit unserer<br />
Volkswirtschaft, sie fördern Wirtschaftswachstum und schaffen Arbeitsplätze in den<br />
Regionen. Sparkassen sind auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Finanzpartner<br />
Nr. 1 für Existenzgründer. Sie begleiteten 2009 rund 11.300 Gründungsvorhaben<br />
finanziell und unterstützten dadurch die Schaffung von über 26.000 Arbeitsplätzen.<br />
Die Zahl der begleiteten Vorhaben wuchs gegenüber 2008 um 8,6 Prozent – deutlich<br />
mehr als der Zuwachs um 3,3 Prozent, den das Institut für Mittelstandsforschung<br />
(IfM) für die Zahl der Existenzgründungen ermittelt hat. Wie oben dargelegt<br />
engagieren Sparkassen sich auch bei der Vergabe staatlicher Förderprogramme<br />
stärker als andere Finanzinstitute.<br />
Sparkassen sind sich Ihrer Verantwortung gegenüber der Gründerperson und der<br />
regionalen Wirtschaft bewusst und legen Wert darauf, dass die Geschäftsideen gute<br />
Aussichten auf einen nachhaltigen Erfolg bieten. Wegen ihrer lokalen Verankerung<br />
können sie die Gegebenheiten vor Ort sehr genau einschätzen und neue Geschäftskonzepte<br />
verlässlich bewerten.<br />
2009 wurden doppelt so viele Ideen wie im Vorjahr an Sparkassen herangetragen,<br />
die sich aufgrund eines unzureichenden Geschäftskonzeptes noch nicht realisieren<br />
ließen. In diesen Fällen wird die Gründerperson gemeinsam mit örtlichen Partnern<br />
wie z.B. Wirtschaftsförderern, Kammern oder Gründungsinitiativen mit „Rat und Tat“<br />
bei der Ausarbeitung ihres Vorhabens unterstützt.<br />
Solche regionalen Netzwerke müssen noch offensiver vermarktet werden. Sparkassen<br />
stehen bereit – denn eine gute Beratung liegt zwar zu allererst im Interesse der<br />
Gründer, aber auch im Interesse der Sparkassen selbst im Sinne einer „Investition<br />
für die Zukunft“.<br />
Die Stärkung der Gründungsbereitschaft sollte bereits bei jungen Menschen ansetzen.<br />
Die Sparkassen – gemeinsam mit stern, Porsche und dem ZDF – setzen sich<br />
mit dem Deutschen Gründerpreis bereits seit 1997 für die Förderung des Unternehmertums<br />
und der Gründungskultur ein. Als bedeutendste Auszeichnung für herausragende<br />
Unternehmer in Deutschland wird er jährlich in den Kategorien Schüler,<br />
StartUp, Aufsteiger und Lebenswerk verliehen.<br />
Die Kategorie Schüler ist das bundesweit größte Existenzgründer-Planspiel für Jugendliche,<br />
die im Rahmen einer fiktiven Unternehmensgründung ein Geschäftskonzept<br />
entwickeln. Über praxisorientierte Aufgaben knüpfen die Schülerteams erste
220 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Kontakte zu echten Unternehmern. Spaß am Unternehmertum, selbstständiges<br />
Denken und Handeln werden so gefördert. Auf diese Weise sammeln die Jugendlichen<br />
Erfahrungen, die eine frühzeitige berufliche Orientierung und Qualifikation ermöglichen.<br />
5. Beteiligungskapital – Wachstum ermöglichen<br />
Für viele Unternehmen wird die Beschaffung von Eigenkapital zunehmend wichtiger<br />
– als oft entscheidende Voraussetzung für günstige Unternehmenskredite. Gerade<br />
kleine und mittlere Betriebe sind dabei besonders auf <strong>Finanzierung</strong>en durch die<br />
Kreditwirtschaft angewiesen, da in der Regel nur größeren Unternehmen der direkte<br />
Zugang zum Kapitalmarkt, zum Beispiel für die Ausgabe von Anleihen, möglich ist.<br />
Nach Angabe des Bundesverbandes der Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK)<br />
flossen 2009 in Deutschland etwa 2,4 Milliarden Euro in 1.179 Unternehmen. Knapp<br />
78 Prozent von diesen hatten einen Umsatz von weniger als 10 Millionen Euro. Dies<br />
zeigt: auch kleinere Unternehmen nutzen – gegenteiligen Aussagen zum Trotz –<br />
Beteiligungskapital für Wachstum und zur Umsetzung ihrer Unternehmensstrategien.<br />
Hier sind Sparkassen regionale Partner für ihre Firmenkunden und bieten ihnen –<br />
passend zur Unternehmenssituation wie z.B. bei schnellem Wachstum, Internationalisierung<br />
oder Nachfolge – Beteiligungskapital auch in kleineren Größenordnungen.<br />
In der Sparkassen-Finanzgruppe haben sich rund 60 aktive Beteiligungsgesellschaften<br />
etabliert, die Ende 2009 mit rund 1,8 Milliarden Euro in rund 1.450 Beteiligungen<br />
in mittelständischen Unternehmen investiert waren. 57 Prozent davon<br />
haben eine Größenordnung von bis zu 250.000 Euro, weitere 18 Prozent liegen<br />
zwischen 250.000 und 500.000 Euro.<br />
Die Positionierung der Sparkassen-Finanzgruppe in diesem Geschäftsfeld verdeutlichen<br />
folgende vier Punkte:<br />
1. Das Angebot der Sparkassen-Beteiligungsgesellschaften umfasst insbesondere<br />
mittelstandsgerechte Größenordnungen für Unternehmen.<br />
2. Regional aufgestellte Beteiligungsgesellschaften – oft mit mehreren Sparkassen<br />
und/oder Landesbanken im Gesellschafterkreis – stellen das Angebot<br />
vor Ort sicher.<br />
3. Landesbanken decken über ihre Beteiligungsgesellschaften größere Volumina<br />
für die eigene Firmenkundschaft ab und stehen für Koinvestitionen zur<br />
Verfügung.
Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 221<br />
4. Sparkassen und/oder ihre Beteiligungsgesellschaften investieren zudem in<br />
regionale Fondslösungen, um sich als Partner in den Regionen für spezielle<br />
Branchen und/oder <strong>Finanzierung</strong>sanlässe stark zu machen. Erfolgsbeispiele<br />
existieren z. B. in den Regionen Dortmund, Aachen oder in Schleswig-<br />
Holstein.<br />
Unter Berücksichtigung der Eigenkapital bietenden KfW-Förderprogramme und der<br />
<strong>Finanzierung</strong>slösungen mit den Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften investierten<br />
die Sparkassen, Landesbanken und ihre Beteiligungsgesellschaften 2009<br />
rund 485 Millionen Euro an Eigenkapital und eigenkapitalähnlichen Mitteln in mittelständische<br />
Unternehmen. Für das Jahr 2010 standen rund 550 Millionen Euro an<br />
neuem Eigenkapital für Unternehmen zur Verfügung.<br />
Gleichzeitig startete die Sparkassen-Finanzgruppe eine Initiative, um interessierte<br />
Unternehmer umfassend über das Thema „Eigenkapital“ zu informieren. So können<br />
sich Interessenten über das neue Portal www.sparkasse.de/eigenkapital-mittelstand<br />
kundig machen und bei Beratungsbedarf auch online Kontakt mit der Sparkasse in<br />
der Region und/oder der Beteiligungsgesellschaft aufnehmen.<br />
6. Internationalität fördern – Unternehmen ins Ausland<br />
begleiten<br />
Für die typischerweise kleinen Kunden von Sparkassen wird das internationale Geschäft<br />
immer wichtiger und dessen Begleitung hat hohe Bedeutung für die regionale<br />
<strong>Entwicklung</strong>, weil international orientierte Unternehmen besonders erfolgreich sind.<br />
Sparkassen begleiten ihre Kunden daher auch bei der Erschließung neuer Märkte<br />
im Ausland. Sie sind dort zwar nicht selbst vertreten, kooperieren aber mit ausländischen<br />
Sparkassen oder Kreditinstituten mit ähnlicher Geschäftsphilosophie, die<br />
ebenfalls regional ausgerichtet sind und sich um kleine und mittlere Unternehmenskunden<br />
kümmern.<br />
Die Nähe zu den Kunden – im Inland wie im Ausland – ist die große Stärke der<br />
Sparkassen, die bei deren Unterstützung das Wissen der gesamten Finanzgruppe<br />
nutzen können. Ein wichtiger Baustein im internationalen Netzwerk der Sparkassen-<br />
Finanzgruppe ist der S-CountryDesk mit dessen Hilfe die örtliche Sparkasse in fast<br />
100 Ländern ihren Firmenkunden Bankbegleitung, Know-how und persönliche Betreuung<br />
vermitteln kann. Weitere Partner in diesem Netzwerk sind die Landesbanken<br />
und die Deutsche Leasing mit modernen <strong>Finanzierung</strong>sprodukten und ihrer<br />
großen Erfahrung im internationalen Geschäft.<br />
Dazu kommen Spezialeinrichtungen für die Beratung bei der Markterschließung wie<br />
die German Centres oder der EuropaService der Sparkassen-Finanzgruppe. Letzterer<br />
macht den Sparkassen und ihren Kunden die Leistungen des Enterprise Europe
222 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Network der EU-Kommission zugänglich, vor allem für die Vermittlung von Kontakten<br />
zu ausländischen Geschäftspartnern und für die Information über Fördermöglichkeiten<br />
im europäischen Ausland.<br />
Auch einzelne KfW-Förderprogramme lassen sich für Investitionen im Ausland einsetzen.<br />
An den dafür 2009 insgesamt zugesagten 555 Millionen Euro hatte die<br />
Sparkassen-Finanzgruppe einen Marktanteil von 80 Prozent.<br />
Sparkassen sind somit in besonderer Weise in der Lage, intensive lokale Betreuung<br />
und grenzüberschreitende Begleitung miteinander zu verbinden. Sie bleiben auf ihre<br />
Region ausgerichtet, tragen aber der Orientierung der Unternehmer hin zu internationalen<br />
Märkten Rechnung, indem sie die internationale Kompetenz und Vernetzung<br />
der gesamten Sparkassen-Finanzgruppe in die Betreuung einbringen.<br />
7. Sparkassen – der regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner<br />
Die Sparkassen erfassen das Wirtschaftsgeschehen ihrer Region ganzheitlich. Sie<br />
verwirklichen Träume, indem sie Existenzgründer beraten und diese auf ihrem Weg<br />
der Unternehmensgründung begleiten. Sie finanzieren Wachstum, indem sie Kredite<br />
vergeben und über Beteiligungen Eigenkapital bereit stellen. Mit ihrer regionalen<br />
Verankerung fördern sie die Wirtschaft vor Ort und unterstützen zugleich die<br />
Expansion der Unternehmen auf ausländische Märkte. Seit 200 Jahren sind die<br />
Sparkassen der regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner aller Bevölkerungsgruppen und<br />
Unternehmen in Deutschland.<br />
Kontakt:<br />
Deutscher Sparkassen- und Giroverband<br />
Charlottenstr. 47<br />
10117 Berlin<br />
www.dsgv.de<br />
Dr. Bertram Reddig<br />
EuropaService/Fördergeschäft<br />
Dr. Sonja Scheffler<br />
Volkswirtschaft/Finanzmärkte<br />
Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />
Existenzgründungen und Nachfolge
Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
– Umfassendes Experiment in den Niederlanden<br />
zeigt Eignung eines neuen Instruments 119<br />
Von Floris Marcus und Caroline Rindertsma<br />
In den Niederlanden wird seit 2009 ein interessantes Experiment durchgeführt, in<br />
dessen Rahmen veraltete Gewerbe- und Einkaufsgebiete mithilfe der Bildung eines<br />
Unternehmensfonds erneuert werden. Dies ist gesetzlich zulässig, wenn der Gemeinderat<br />
ein entsprechendes Gebiet als Business Improvement District (BedrijvenInvesteringsZone/BIZ)<br />
ausweist, die ansässigen Unternehmen gemeinsam einen<br />
Businessplan erstellen und diesem mehrheitlich zustimmen.<br />
Im folgenden Artikel geben wir einen Überblick über die Entstehung, gesetzliche<br />
Regelung und ersten Ergebnisse dieses Experiments. Mit einigen Empfehlungen für<br />
die Zukunft werden wir den Artikel abschließen.<br />
Die Gründung eines Unternehmensfonds ist kein Allheilmittel für alle raumwirtschaftlichen<br />
Probleme. Gezielt eingesetzt, stellt er jedoch ein sehr geeignetes und<br />
Erfolg versprechendes Instrument dar, das für alle Beteiligten Vorteile bietet. Er erfordert<br />
allerdings eine intensive Zusammenarbeit, Investitionsbereitschaft und ein<br />
strategisches, langfristiges Denken.<br />
Revitalisierung von Gewerbe- und Einkaufsgebieten – endlich auf<br />
der Tagesordnung<br />
Aus der Vogelperspektive sehen die Niederlande wie ein gut gepflegter Garten aus.<br />
Eine grüne Oase mit einem kunstvollen Muster aus Flüssen, Straßen und scharf<br />
abgegrenzten bebauten Flächen. Innerhalb dieser Städte und Dörfer sieht es genauso<br />
geordnet aus. Klar sind historische Einkaufskerne, Neubauviertel und Gewerbegebiete<br />
zu unterscheiden. Man erkennt, dass Jahrhunderte bewusster Stadtplanung<br />
ihre Früchte getragen haben. Darauf kann man, und das vergessen viele<br />
Niederländer häufig, durchaus stolz sein. Zum Glück schenken immer mehr Einwohner<br />
und Unternehmer diesen Gebieten ihre Aufmerksamkeit. Menschen kommen<br />
in Bewegung und engagieren sich, sei es um Qualitäten zu verbessern oder<br />
Gefahren abzuwenden.<br />
119 Aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt.
224 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
Wieder mit beiden Beinen auf der Erde, geben die Niederlande vielerorts leider ein<br />
weniger schönes Bild ab. Zahlreiche Wohnviertel sind durch physische und soziale<br />
Probleme gekennzeichnet. Viele Gewerbegebiete sind veraltet und funktionieren<br />
schlecht. Nicht wenige Einkaufsgebiete haben eine überaus schlechte Ausstrahlung<br />
und die Zusammenarbeit zwischen den Ladenbesitzern ist mäßig.<br />
Aufgrund vierzigjähriger Erfahrung mit städtischer Erneuerung hat sich auf dem Gebiet<br />
des Wohnens in den Niederlanden viel gebessert. Nichtsdestotrotz braucht es<br />
auch noch in Zukunft viel Energie und Zeit, um aus Problemvierteln Prachtviertel zu<br />
machen.<br />
Der Erneuerung veralteter Gewerbe- und Einkaufsgebiete hat man sich in den Niederlanden<br />
erst in den letzten zehn Jahren wirklich zugewandt. Erst spät wuchs die<br />
Erkenntnis, dass die schlechte räumliche Verfassung schwerwiegende negative<br />
Auswirkungen auf das Funktionieren der Unternehmen selbst und der Städte im<br />
Ganzen hat. Die Wirtschaft hatte vor allem in kleinen Gemeinden und Regionen<br />
keine Priorität. Das Wohnen, die Lebensqualität und Infrastruktur hatten bei Politikern<br />
eindeutig den Vorrang.<br />
Initiativen zur Verbesserung veralteter Gewerbe- und Einkaufsgebiete kommen<br />
bislang nur sehr mühsam zustande. Wichtigste Ursachen dafür sind der Mangel an<br />
Geld, Organisation und Zusammenarbeit.<br />
Vorgreifend auf eine landesweite gesetzliche Regelung haben einige Gemeinden<br />
deshalb begonnen, die erforderliche Revitalisierung selbst strukturiert anzugehen.<br />
Hinzu kommt, dass zahlreiche Gemeinden die regionale Zusammenarbeit in diesem<br />
Bereich intensiviert haben. Dabei geht es bislang vor allem um eine Abstimmung<br />
der Planung beim Bau neuer Gewerbegebiete und der Erneuerung alter Gebiete.<br />
Innerhalb weniger Jahre muss nun endlich die praktische Umsetzung starten. Staat,<br />
Provinzen und Gemeinden haben in einer Vereinbarung beschlossen, dass spätestens<br />
2013 mit der Revitalisierung von 6500 ha veralteter Gewerbegebietsfläche<br />
begonnen werden muss. Staat und Provinzen stellen dafür über 300 Millionen Euro<br />
als Kofinanzierung zur Verfügung.<br />
Dies sind gute Aussichten und eine Unterstützung für lokale Initiativen, denn durch<br />
sie muss die Revitalisierung letztendlich bewerkstelligt werden. Seit 2009 gibt es auf<br />
nationaler Ebene die gesetzliche Grundlage, die es ermöglicht, die Verbesserung<br />
der Gewerbe- und Einkaufsgebiete auf Gemeindeebene durch die Einrichtung eines<br />
so genannten Unternehmensfonds effektiver anzupacken. Hierdurch sollen nationale,<br />
regionale und lokale Initiativen und Instrumente in der gemeinsamen Aufgabe<br />
für „Schöne Niederlande“ einander verstärken.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 225<br />
Ein paar Fakten zu Gewerbegebieten<br />
In den Niederlanden gibt es fast 100.000 ha Gewerbegebietsflächen. Das entspricht etwa 3 %<br />
der Gesamtfläche. Diese Gewerbegebiete beherbergen über ein Viertel der Arbeitsplätze des<br />
Landes. In einer Studie wurde festgestellt, dass mehr als Tausend Gewerbegebiete mit einer<br />
Fläche von fast 17.000 ha veraltet sind. Das sind im Schnitt mehr als zwei Gebiete in jeder Gemeinde.<br />
Die Gesamtkosten für die Revitalisierung belaufen sich schätzungsweise auf 6,35 Milliarden<br />
Euro.<br />
In den kommenden Jahren wächst in den Niederlanden der Bedarf an neuen Gewerbeflächen um<br />
über 900 ha. Dies liegt unter anderem am Bedarf der ansässigen Wirtschaft und am Interesse<br />
großer ausländischer Unternehmen, sich in den Niederlanden niederzulassen und von hier aus<br />
den europäischen Markt zu bedienen. 120<br />
Ein paar Fakten zu Einzelhandelsgebieten<br />
Anstatt sich veralteten Einzelhandelsflächen zu widmen, sind im vergangenen Jahrzehnt die Einzelhandelsflächen<br />
in den Niederlanden um viele Quadratmeter gewachsen. Die Niederlande haben<br />
26.967.000 m 2 Einzelhandelsfläche. Fast 40 % dieser Quadratmeter liegen in den Kerngebieten<br />
der Innenstädte und -dörfer. Etwa 15 % dieser Fläche befindet sich in Stadtteil- und<br />
Wohnviertelzentren. Aufgrund der feinmaschigen Ladenstruktur in den Niederlanden sind diese<br />
Stadtteil- und Wohnviertelzentren mit 75 % zahlenmäßig stark in der Mehrheit. Ein Teil dieser<br />
kleineren Gebiete steht vor einer Revitalisierungsaufgabe, aber auch einige Innenstädte bedürfen<br />
einer qualitativen Verbesserung. Die Einkaufsgebiete und Regionen weisen im Hinblick auf Qualität<br />
und Leerstand große Unterschiede auf. Das liegt unter anderem an der durchschnittlichen<br />
Leerstandsquote, die je nach Typ Einkaufszentrum und auch je nach Provinz zwischen 3,5 und 8<br />
% liegt. 121 In den letzten Jahren ist der Leerstand auch wegen der wirtschaftlichen Rezession<br />
und des Aufschwungs des Onlinegeschäfts stetig gestiegen. Außerdem lassen die Leistungen<br />
auf vielen Quadratmetern zu wünschen übrig.<br />
Die Nachfrage nach erstklassigen Standorten in den großen Städten ist immer noch hoch. 2009<br />
verzeichnete die Planentwicklung bei Einzelhandelsimmobilien zum ersten Mal seit langem einen<br />
Abwärtstrend. 122<br />
120<br />
Laut dem in nationalen Untersuchungen häufig verwendeten mittleren Wirtschaftsszenario.<br />
121<br />
Geschäftsdaten Locatus, Stichtag Anfang 2010.<br />
122<br />
Das geht aus der jährlichen Geschäftsforschung von Vastgoedmarkt Research hervor.
226 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
Kernaufgaben: Was unternehmen die Niederlande?<br />
Der Bau neuer Gewerbegebiete ist künftig weniger eine Selbstverständlichkeit als in<br />
der Vergangenheit. Denn in den Niederlanden haben sich in den vergangenen Jahren<br />
zunehmend neue Organisationen für den Erhalt schützenswürdiger Landschaften<br />
eingesetzt. Große Umweltschutzorganisationen wie z.B. die Vereinigung Natuurmonumenten<br />
(mit ca. 1 Million Mitgliedern) haben ihr traditionelles Interessensgebiet<br />
Naturschutz auf den Landschaftsschutz ausgedehnt. Sie besitzen eine große<br />
Lobby und haben maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung.<br />
Die Öffentlichkeit steht deshalb dem Bau neuer Gewerbegebiete immer kritischer<br />
gegenüber. Grund dafür ist die Geschwindigkeit, mit der viele schlecht aussehende<br />
neue Gebiete wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. In den vergangenen zehn<br />
Jahren sind vor allem entlang der Autobahnen scheinbar willkürlich Gebiete mit „gesichtslosen<br />
Gebäudequadern“ entstanden.<br />
Die Standorte und die Erscheinungsbilder der Unternehmen haben bei der Öffentlichkeit<br />
wenig Sympathie geweckt. Das hat sich auch in der politischen Meinungsbildung<br />
niedergeschlagen. Außerdem steigt der Druck auf den knappen Raum in<br />
den Niederlanden unverändert. Immer mehr Funktionen führen einen harten Kampf<br />
um die Quadratmeter.<br />
Auf lokaler Ebene wird zudem immer stärker auf die Verbesserung der Einzelhandelsstandorte<br />
gesetzt. Dies geschieht „von unten“ und nicht „von oben“, wie teilweise<br />
bei den Gewerbegebieten. Die Gemeinde spielt bei dem gemeinsamen Vorgehen<br />
oft eine weniger wichtige Rolle. Ladenbesitzer und Immobilieneigentümer haben<br />
ein unmittelbares Interesse an der Verbesserung der Qualität ihres Einzelhandelsstandortes.<br />
Ein ansprechender Einzelhandel für Verbraucher heißt mehr Passanten,<br />
höhere Ausgaben, mehr Besucher und damit höhere Umsätze und schließlich<br />
höhere Mieten.<br />
Der wachsende gesellschaftliche Widerstand gegen die Umwandlung ländlicher<br />
Gebiete in neue Gewerbegebiete sowie der zunehmende Kampf um den knappen<br />
Raum lassen den Ruf nach tiefgreifender Revitalisierung der vorhandenen Gebiete<br />
immer lauter werden. Und das ist eine absolute Voraussetzung, um politische<br />
Schritte zu legitimieren und in Gang zu setzen.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 227<br />
Welche Antwort haben die Niederlande? Strategie und Instrumente<br />
Auf nationaler Ebene wurden Strategien und Gesetze erarbeitet, die von den Regionen<br />
und Gemeinden bisweilen schon vorgreifend auf die neuen Gesetze umgesetzt<br />
wurden. Im Folgenden werden die wichtigsten strategischen Ziele der Niederlande<br />
für die Gewerbe- und Einzelhandelsgebiete zusammengefasst.<br />
Strategische Ziele für Gewerbegebiete<br />
In den Niederlanden wurden drei strategische Ziele formuliert, die eine erfolgreiche<br />
Bewältigung der Problematik der Gewerbegebiete gewährleisten sollen. 123<br />
1) Wirtschaftliche Stadterneuerung: ein gemeinsames Vorgehen zur Bewältigung<br />
der anstehenden Revitalisierungsaufgabe, um die Verelendung zu<br />
stoppen. Damit soll das Vertrauen geweckt werden, um den Wandel hin zu<br />
einem stärker kommerziellen Gewerbegebietssektor in Gang zu setzen.<br />
2) Die Kommerzialisierung von Restrukturierung, <strong>Entwicklung</strong> und Verwaltung<br />
von Gewerbegebieten. Aufgrund der Raumknappheit muss Revitalisierung<br />
auf Dauer zum normalen, marktgesteuerten Lebenszyklus der Gewerbegebiete<br />
gehören, bei dem der Staat lediglich eine eingeschränkte unterstützende<br />
Rolle wahrnimmt. Dies schließt die Rolle des Staates als „Produzent“ von<br />
Gewerbegebieten nicht aus, wird jedoch im Laufe der Zeit wahrscheinlich an<br />
Bedeutung verlieren. Der Markt für Gewerbegebiete wird schließlich minimal<br />
ein <strong>regionaler</strong> Markt sein, auf dem die Marktteilnehmer sich auch regional<br />
bewegen müssen. Dieser Markt wird allmählich – auch im Hinblick auf Revitalisierung<br />
– stärker mit Risiken verbunden sein. Eine starke öffentliche Hand<br />
passt dazu nicht.<br />
3) Positionierung von Planung und Ausführung der (Neu-)<strong>Entwicklung</strong> der Gewerbegebiete<br />
in den regionalen Kontext. Der regionale Kontext bietet beste<br />
Aussichten für einen Prozess der Kommerzialisierung und die Verbindung<br />
von „Greenfield-Ansatz“ und „Brownfield-Ansatz“. Letzteres ist insbesondere<br />
für einen optimalen finanziellen Beitrag der Marktteilnehmer und Gemeinden<br />
zur wirtschaftlichen Stadterneuerung von Bedeutung.<br />
123 Abschlussgutachten der Taskforce zur (Neu-)<strong>Entwicklung</strong> der Gewerbegebiete 2009.
228 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
Strategie für die Einzelhandelsstandorte<br />
Die Einzelhandelspolitik wurde vor einigen Jahren in den Niederlanden liberalisiert<br />
und dezentralisiert. Lokale Behörden tragen nun mehr Verantwortung. Auf <strong>regionaler</strong><br />
Ebene bedarf es einer stärkeren Abstimmung, denn die Gemeinden sehen sich<br />
derzeit noch häufig als Konkurrenten. Die oben genannten Aufgaben werden nicht,<br />
wie es bei der Revitalisierung der Gewerbegebiete geschieht, auf nationaler Ebene<br />
benannt und angegangen.<br />
Maßnahmen auf nationaler Ebene<br />
Die Komplexität, Ganzheitlichkeit und Breite der Aufgabe erklären, warum die Regierung<br />
die Regie übernommen hat. Dabei kommt zum besseren und sparsameren<br />
Umgang mit Gewerbegebieten das sogenannte „Leiter-Prinzips“ zur Anwendung.<br />
Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass bei vorhandenen Gewerbegebieten erst<br />
alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, bevor ein neues Gebiet gebaut<br />
werden darf. Kurz zusammengefasst:<br />
1. Nutze den Raum, der bereits für eine bestimmte Funktion zur Verfügung gestellt<br />
wurde und/oder durch Revitalisierung verfügbar gemacht werden kann.<br />
2. Schöpfe die Möglichkeiten optimal aus, um die Raumproduktivität zu erhöhen.<br />
Dies lässt sich auf verschiedene Art und Weise bewerkstelligen, beispielsweise<br />
durch die Nutzung der „dritten Dimension“ (unterirdisch Bauen oder Hochbau),<br />
durch technische Innovationen und durch multifunktionale Raumnutzung.<br />
Rechtliche Vorschriften und die dazu gehörenden politischen Instrumente<br />
müssen eine Erhöhung der Raumproduktivität fördern.<br />
3. Falls dies nicht hinreichend Abhilfe schafft, ist die Ausdehnung der Raumnutzung<br />
für die betreffende Funktion an der Tagesordnung. Dabei sind in einem<br />
gebietsorientierten Vorgehen die einzelnen relevanten Werte und Interessen<br />
sorgfältig abzuwägen. Interessant ist die Ergänzung, dass, wenn man sich für<br />
eine Erweiterung entscheidet, Natur und Landschaft, soweit es geht, verbessert<br />
werden müssen. Eine Hand wäscht sozusagen die andere. 124<br />
Dieses Denkmodell wurde von einem Beratungsorgan der Regierung 1999 entworfen<br />
und empfohlen. Erst 2009 wurde es gesetzlich verankert. 125 Von den ersten<br />
Schritten bis hin zu ersten Taten hat es somit zehn Jahre gedauert. Bislang trug<br />
diese Stellungnahme einen unverbindlichen Charakter und zeitigte nur in begrenztem<br />
Umfang Erfolg. Das wird sich nun allerdings ändern.<br />
124 „SER-Leiter“, benannt nach einer Stellungnahme des niederländischen Wirtschafts- und Sozialrats<br />
(Sociaal Economische Raad/SER), einem Beratungsorgan der Regierung, dem mehrere Arbeitgeber-<br />
und Arbeitnehmerorganisationen angehören.<br />
125 Dies ist gesetzlich in einer so genannten Algemene Maatregel van Bestuur, einer Rechtsverordnung<br />
verankert, die die Regierung neben dem formalen Raumordnungsgesetz verabschieden<br />
kann.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 229<br />
Experimentiergesetz über Business Improvement Districts (BIDs)<br />
Am 1. Mai 2009 ist ein Experimentiergesetz über Business Improvement Districts<br />
(Experimentenwet BedrijfenInvesteringsZones BIZ) in Kraft getreten. Das Experiment<br />
läuft bis Juli 2015. Sind die Ergebnisse positiv, wird über ein definitives Gesetz<br />
entschieden.<br />
Die Aktivitäten eines BID konzentrieren sich auf „die Förderung der Lebensqualität,<br />
der Sicherheit, der räumlichen Qualität oder eines anderen teilweise öffentlichen<br />
Interesses im öffentlichen Raum des BID.“ Die Unternehmen legen die Aktivitäten<br />
selbst fest, die Gemeinde- oder Stadtverwaltung muss zustimmen und sie auf das<br />
Gemeinwohl im öffentlichen Raum hin prüfen. In der Begründung des Gesetzentwurfs<br />
wird dies wie folgt konkretisiert: „Konkret kann es sich dabei um Aktivitäten<br />
zur Verbesserung der Verkehrseinrichtungen, der Ausschilderung, der Grünflächen,<br />
der Entsorgung, der Beleuchtung, der Reinigung, der Instandhaltung, des Brandschutzes,<br />
der Graffitientfernung und zur Vergrößerung der Sicherheit durch zusätzliche<br />
Überwachung, Zäune, Videoüberwachung o.Ä. handeln.“<br />
Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es für den Stadtteil und die gesamte Stadt<br />
von Vorteil ist, wenn sich in dem Gebiet die Rahmenbedingungen für Unternehmen<br />
und die Qualität des Gebiets insgesamt verbessern.<br />
Maßnahmen auf Gemeindeebene: der Unternehmensfonds<br />
Mit diesem BID-Gesetz verfügen die Gemeinden nun über ein neues gesetzliches<br />
Instrument für die Revitalisierung und die Verwaltung von Gewerbe- und Einzelhandelsstandorten:<br />
den Unternehmensfonds. Damit können Unternehmer gemeinsam,<br />
mit Unterstützung der Gemeinde, in das Unternehmensumfeld investieren. Verantwortung<br />
und Durchführung liegen in den Händen der Unternehmen.<br />
In den Niederlanden gibt es folgende drei Arten einen Unternehmensfonds aufzubauen:<br />
� über das BID-Gesetz,<br />
� die Erhebung einer Werbesteuer oder<br />
� die Erhöhung der Gemeindesteuern für Gewerbeimmobilien (das so genannte<br />
Leidener Modell).<br />
Durch alle drei Arten wird effektiv mehr Geld verfügbar, um die Qualität des eigenen<br />
Unternehmensumfelds mithilfe eines guten Businessplans zu verbessern. Die Abgabe<br />
wird bei allen Arten über die Gemeindesteuern erhoben.
230 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
BID<br />
BID ist ein Instrument von und für Unternehmen, dessen Kosten die Unternehmen<br />
selbst tragen. Da sich alle Unternehmen beteiligen, bleiben die Kosten für den Einzelnen<br />
beschränkt und es gibt kein „Trittbrettfahrer-Problem“. Voraussetzung ist jedoch,<br />
dass zwei Drittel der Unternehmen innerhalb des auszuweisenden Gebiets<br />
die Einrichtung eines BIDs unterstützt.<br />
Die Mittel verwenden die Unternehmen für Maßnahmen, von denen das gesamte<br />
Gebiet profitiert, wie z.B. die Verbesserung der Sicherheit und des öffentlichen<br />
Raums, (Stimmungs-)Beleuchtung, Werbung für Veranstaltungen und deren Organisation.<br />
Sowohl die Unternehmen als auch die Gemeinden haben ein Interesse an<br />
den Investitionen in das Unternehmensumfeld. Für die Wirtschaft sind Qualität und<br />
Sicherheit des Unternehmensumfelds ein wichtiger Faktor für ihre Kunden. Für die<br />
Gemeinde ist ein sicherer und lebenswerter öffentlicher Raum von Bedeutung, um<br />
Unternehmen und Besucher anzuziehen.<br />
Immobiliensteueraufschlag oder das „Leidener Modell“<br />
Unternehmen können Gemeinden darum ersuchen, einen Aufschlag auf den Immobiliensteuersatz<br />
zu erheben. Die Zusatzeinnahmen fließen dann in einen Fonds,<br />
den die Unternehmen verwalten. Dazu müssen Gemeinde und Unternehmen Absprachen<br />
treffen. Da dieses Modell schon seit Jahren in der Stadt Leiden praktiziert<br />
wird, wird es auch als „Leidener Modell“ bezeichnet. Mittlerweile hat es landesweit<br />
eine Vorbildfunktion. Auch andere Städte wie Leeuwarden und Gouda haben den<br />
Immobiliensteueraufschlag eingeführt. Der Aufschlag kann sowohl bei den Eigentümern<br />
als auch bei den Nutzern erhoben werden. Bei dem BID-Modell und der<br />
Werbesteuer ist dies nicht möglich.<br />
Werbesteuer<br />
Die Beteiligung an einem Unternehmensfonds über eine Werbesteuer wird mithilfe<br />
einer Abgabe für „öffentliche Ankündigungen auf öffentlichen Straßen“ geregelt. Die<br />
Grundlage bildet das Werbeobjekt. Dabei handelt es sich um alle Formen öffentlicher<br />
Ankündigungen und nicht nur um Werbung. Der Tarif kann sich nach den Maßen<br />
des Werbeobjektes, nach dem Standort oder dem Wert der Immobilie richten.<br />
Es spielt dabei keine Rolle, ob sich die Werbung auf dem eigenen Gelände oder<br />
außerhalb (z.B. über einer öffentlichen Straße) befindet. Diese Tatsache führt dazu,<br />
dass die Vorbereitung und Ausführung einer Werbesteuer kostspielig ist, muss die<br />
Gemeinde doch sämtliche Werbeobjekte inventarisieren. Außerdem gibt es Unternehmen,<br />
die ihre Werbeelemente von der Fassade nehmen, wodurch die Grundlage<br />
entzogen wird. Das gilt insbesondere für Gewerbegebiete. Das Zentrum von<br />
Veenendaal hat einen funktionierenden Fonds, der auf einer Werbesteuer beruht.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 231<br />
Das Wesen der gesetzlichen BID-Regelung aus dem Jahr 2009<br />
Der Kern eines Unternehmensfonds besteht darin, dass Unternehmen gemeinsam<br />
in ihr Gebiet investieren und es so aufwerten. Die Unternehmen legen gemeinsam<br />
fest, welche Maßnahmen zusätzlich zu den von der Gemeinde erbrachten Leistungen<br />
noch ergriffen werden müssen, um das Gebiet noch besser zu pflegen, sicherer<br />
zu machen und repräsentativ zu gestalten. Die Einnahmen aus der Abgabe kommen,<br />
abzüglich etwaiger Organisationskosten, voll und ganz den Unternehmen zugute.<br />
Gemeinde als Verwaltungsbüro<br />
Die Gemeinde übernimmt eine unterstützende Funktion. Der Gemeinderat regelt die<br />
Besteuerung über eine Verordnung und die Gemeinde organisiert die Erhebung der<br />
Abgabe. Die Einnahmen werden anschließend dem Verband oder der Stiftung ausgezahlt,<br />
die im Namen der Unternehmen die Maßnahmen ausführt.<br />
Erfolg mit konkreten Maßnahmen sichtbar machen<br />
Die Festlegung der Maßnahmen erfordert Maßarbeit und unterscheidet sich von<br />
Gebiet zu Gebiet. Der Beitrag der ansässigen Unternehmen ist dabei von essentieller<br />
Bedeutung. Schließlich bestimmen sie selbst, ob sie für diese Aktivitäten mehr<br />
zahlen möchten.<br />
Bei der Erstellung eines Businessplans wird von den Aspekten ausgegangen, die<br />
aus Sicht der Unternehmen zu verbessern sind. Für Gewerbegebiete wünscht man<br />
sich häufig Sicherheitsmaßnahmen, wie Schranken, Videoüberwachung oder den<br />
Einsatz von Sicherheitspersonal, zusätzliche Pflege der Grünanlagen, zusätzliche<br />
Reinigung und eine Koordinierungsstelle wie z.B. einen Parkmanager.<br />
Bisweilen sind dies andere Aspekte als die Gemeinde anstrebt. Wichtig ist ein ausgewogenes<br />
Verhältnis zwischen den Ambitionen und den Kosten für jedes Unternehmen.<br />
Zu hohe Ambitionen bewirken hin und wieder eine zu starke Anhebung<br />
des Beitrags je Unternehmen. Damit steigen die Chancen, dass Unternehmer bei<br />
der Abstimmung doch nein sagen. Daher scheint es sinnvoller, die Ambition anfangs<br />
nicht zu hoch anzusetzen. Erst wenn die ersten Erfolge im Gebiet zu sehen<br />
sind, können die Ambitionen hochgeschraubt werden. Die Unternehmer haben den<br />
Mehrwert durch die Maßnahmen dann schon erkennen können.
232 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
Demokratischer Prozess<br />
Wie geht die Einrichtung eines Business Improvement Districts vonstatten? Um ein<br />
BID einzurichten, müssen Unternehmen die physischen Grenzen des Gebiets festlegen<br />
und eine gesonderte Stiftung oder einen Verband gründen. Danach stellen<br />
die Unternehmen einen Maßnahmen- und einen Haushaltsplan zusammen und legen<br />
die Höhe des BID-Beitrags fest.<br />
Anschließend beschließen die Unternehmen und die Gemeinde eine Durchführungsvereinbarung.<br />
Auf Grundlage der getroffenen Entscheidungen und der erfassten<br />
Daten erstellt die Gemeinde eine BID-Verordnung, die danach von der Gemeindeverwaltung<br />
(mit einer aufschiebenden Bedingung im Zusammenhang mit der<br />
Akzeptanzmessung) festgestellt wird.<br />
Dem schließt sich eine Akzeptanzmessung (Abstimmung) unter den steuerpflichtigen<br />
Unternehmen an. Im Rahmen dieser Akzeptanzmessung werden die Unternehmen<br />
vorab gefragt, ob sie der Einrichtung eines BID zustimmen würden. Das<br />
Gesetz schreibt vor, dass sich mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten an der<br />
Messung beteiligen muss, wovon sich mindestens zwei Drittel für die Einrichtung<br />
des BID aussprechen müssen. Diese Ja-Stimmen müssen dabei mehr Immobilienwert<br />
vertreten als die Nein-Stimmen. (Dies gilt nicht, wenn für jedes Firmengebäude<br />
ein fester Betrag verlangt wird.) Erst wenn diese gewährleistet ist, wird ein BID eingerichtet.<br />
Erste Erfahrungen<br />
Die Idee des Business Improvement Districts stammt ursprünglich aus Kanada. Von<br />
dort aus hat sich der BID vor allem in den angelsächsischen Ländern durchgesetzt.<br />
Die Erfahrungen mit BIDs in anderen Ländern sind überwiegend positiv. Sie tragen<br />
zur effizienten und effektiven Verbesserung bestimmter Örtlichkeiten bei. BIDs sind<br />
aber kein Allheilmittel, erleichtern jedoch den Schritt vom Wollen zum Können. 126<br />
In den Niederlanden sind innerhalb von zwei Jahren ungefähr 180 Initiativen entstanden,<br />
die sich derzeit in unterschiedlichen Phasen befinden. Zahlenmäßig kann<br />
man dies durchaus als großen Erfolg werten, jedoch muss sich noch zeigen, ob alle<br />
BIDs bei der Akzeptanzmessung die Vorgaben erreichen (Stand Ende 2010) 127 .<br />
126 Redmer Wierdsma, Abschlussarbeit Universität Utrecht, Abschlussauftrag DHV 2007.<br />
127 Im Februar 2010 wurden laut dem ersten nationalen Evaluierungsgutachten seit Inkrafttreten des<br />
Gesetzes am 1. Mai 2009 etwa 60 BID-Initiativen gezählt. In 21 Gebieten war damals eine Akzeptanzmessung<br />
durchgeführt worden. Im Ergebnis können 8 Initiativen umgesetzt werden, 7<br />
Einzelhandelsgebiete und 1 Gewerbegebiet. Es handelt sich dabei um Gebiete in den Gemeinden<br />
Den Haag (3), Hoogeveen, Hilversum, Schiedam, Rijswijk und Zwolle. In der ersten Gruppe sind<br />
demzufolge 13 Initiativen wegen fehlender Akzeptanz gestrandet. Das lag sowohl an einer geringen<br />
Abstimmungsbeteiligung als auch einer zu niedrigen Anzahl Ja-Stimmen. Das sind mehr als<br />
die Hälfte der Initiativen. Quelle: Ministerium für Wirtschaft der Niederlande, Voortgangsrapporta-
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 233<br />
Die Initiativen und die Gründung eines Unternehmensfonds konzentrieren sich bisher<br />
eher auf Einzelhandelsgebiete als auf Gewerbegebiete. Dies liegt vermutlich<br />
daran, dass sich eine Verbesserung der Einzelhandelsgebiete für Unternehmen<br />
unmittelbar in Kaufströmen und Umsatz auszahlt, wohingegen sich der Mehrwert für<br />
Unternehmen in Gewerbegebieten erst langfristig in Immobilienwert, Firmenwert<br />
oder niedrigeren Kriminalitätskosten bemerkbar macht.<br />
Nicht alle Initiativen wurden bisher umgesetzt, da in der Praxis nicht alle beteiligten<br />
Unternehmen in einem gemeinsamen Vorgehen immer einen Vorteil gesehen haben.<br />
Für das eine Unternehmen mit viel Kundenbesuch sind gut gepflegte Grünanlagen<br />
wichtiger als für ein Unternehmen, das seinen Standort nur als Lager nutzt.<br />
Außerdem stehen Unternehmen in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten einer Erhöhung<br />
der Betriebskosten besonders kritisch gegenüber. Darüber hinaus ist der<br />
Nutzen nicht immer direkt sichtbar. Dies ist ein gewichtiges Dilemma, ist der Nutzen<br />
doch eher langfristig in einer Zunahme der Kundschaft, einem angenehmeren Arbeitsumfeld<br />
für die Mitarbeiter, geringeren Kosten durch Kriminalität und schließlich<br />
einem höheren Immobilien- oder Firmenwert zu sehen. Im Folgenden einige aktuelle<br />
Beispiele aus unserer eigenen Beratungspraxis:<br />
Haarlemmermeer<br />
Spoorzicht ist eines der zahllosen Gewerbegebiete in Haarlemmermeer südlich von<br />
Amsterdam. Eine Gruppe von Unternehmen im Gebiet Spoorzicht hat der Gemeinde<br />
vorgeschlagen, das Gebiet als BID und somit als Vorbildprojekt für die gesamte<br />
Gemeinde auszuweisen. Die Gemeinde hat den Vorschlag angenommen und ein<br />
Pilotprojekt eingerichtet. Seit Anfang 2009 unterstützt die Gemeinde die Initiativgruppe<br />
mit einem BID-Manager.<br />
Ziel des BID ist die Erhöhung der Qualität des Gewerbegebiets. Die Aktivitäten für<br />
den BID umfassen u.a. die Videoüberwachung, einen Parkmanager und die Wahrung<br />
der Interessen der Unternehmen im Gebiet durch einen neuen Verband.<br />
Bei der Akzeptanzmessung haben sich jedoch nicht genügend Unternehmen für die<br />
Einrichtung des BID ausgesprochen. Damit kann im Gebiet Spoorzicht kein BID<br />
eingerichtet werden, obwohl viel Zeit und Energie in die Vorbereitung gesteckt wurde.<br />
Der Beigeordnete für Wirtschaft Arthur van Dijk hierzu: „Ich möchte meine politische<br />
Basis in Den Haag bitten, beim Wirtschaftsministerium auf eine Vereinfachung<br />
der Regelung zu drängen. Der heutige Markt muss bei der Revitalisierung von Ge-<br />
ge experimenten Bedrijven Investeringszones (BIZ) [Fortschrittsbericht über die BID-<br />
Experimente], 16. April 2010.<br />
Nachforschungen der Autoren haben ergeben, dass es in den Niederlanden zu Beginn des Jahres<br />
2011 ungefähr 180 Initiativen für die Einrichtung von BIDs gibt. Zehn Projekte wurden verworfen.<br />
Sechzig Projekte befinden sich einer fortgeschrittenen Phase oder sind nahezu abgeschlossen.<br />
Somit sind noch über einhundert Projekte in Arbeit.
234 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
werbegebieten auf die Wirtschaft setzen. Und wenn eine positive <strong>Entwicklung</strong>, wie<br />
der BID, wegen ein paar Prozenten stecken bleibt, ist das schade. Ich denke, dass<br />
das Gewerbegebiet Spoorzicht eine große Chance für eine Weiterentwicklung versäumt.<br />
Ich habe viel Respekt für die Unternehmen, die sich für die Initiative eingesetzt<br />
haben. Es ist eine gute Initiative, und wir glauben immer noch an das Konzept“<br />
128<br />
Die Unternehmen des Gewerbegebiets Spoorzicht haben sofort nach der negativen<br />
Akzeptanzmessung einen Antrag auf Durchführung einer neuen Messung gestellt.<br />
Daran arbeiten nun die Unternehmen gemeinsam mit der Gemeinde Haarlemmermeer.<br />
Hilversum<br />
Der BID Gijsbrecht van Amstelstraat in Hilversum ist der vierte erfolgreiche BID in<br />
den Niederlanden. DHV hat im Namen der Gemeinde den Prozess begleitet und die<br />
Unternehmen bei der Einrichtung unterstützt. Dazu bedurfte es vieler Verhandlungen,<br />
die letztlich aber zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt haben. Nach einem<br />
Jahr sind die Aktivitäten nun planmäßig angelaufen. Das Geld wurde für die geplanten<br />
Maßnahmen bereitgestellt und die Einkaufsstraße hat viel Aufmerksamkeit<br />
in den Medien erhalten.<br />
Während der Einrichtung hat der Vorsitzende des Unternehmerverbandes viel Zeit<br />
in die Aufklärung der beteiligten Unternehmen und die Vorbereitung der Akzeptanzmessung<br />
gesteckt. Persönlicher Kontakt und fortdauernde Aufklärungsarbeit<br />
waren hierbei zentrale Erfolgsfaktoren. Der Businessplan mit den Maßnahmen war<br />
schnell zusammengestellt, denn man konnte auf bereits vorhandene Aktivitäten eines<br />
Unternehmerverbandes zurückgreifen. Hierzu gehören: Sicherheitsprojekte,<br />
zusätzliche Reinigungsaktionen, Festbeleuchtung und Veranstaltungen. Für diese<br />
Maßnahmen hatte der Unternehmerverband bisher zu wenig finanzielle Mittel.<br />
Durch den BID kann er nun für diese Maßnahmen teilweise bezahlte Kräfte engagieren.<br />
Stadskanaal<br />
Die Zeichen, dass in Stadskanaal ein BID zustande kommt, standen zuerst gut.<br />
Viele Unternehmer hatten am Informationsabend dem Vorhaben zugestimmt und<br />
Unterstützung zugesagt. Die Unternehmen hofften, mit dem BID jährlich 75.000 Euro<br />
für Gebietswerbung, Verbesserung des öffentlichen Raums mit Flaggen, Pflege<br />
der Grünanlagen, Sicherheitsmaßnahmen und Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />
für Unternehmen einsetzen zu können.<br />
128<br />
Laut einer Pressemitteilung und dem Internetportal der Gemeinde Haarlemmermeer, November<br />
2010.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 235<br />
Kurz vor der offiziellen Abstimmung entstand unter den Unternehmen jedoch eine<br />
Gegenbewegung, die über die Presse viel von sich hören ließ. Die Unternehmen<br />
wollten für einen BID nicht zahlen und sahen darin keinen Vorteil. Auch der zweite<br />
Versuch, den BID in einem kleineren Gebiet zu organisieren, hat nicht geklappt.<br />
Obwohl sich hinreichend Unternehmen an der Abstimmung beteiligten, stimmten<br />
letztlich zu wenige für das Projekt. 129<br />
Den Haag<br />
In der Gemeinde Den Haag wurden 2010 acht neue Anträge gestellt. In der ersten<br />
Runde wurden drei BIDs eingerichtet. Die Gemeinde setzt in jedem Gebiet Quartiersmanager<br />
ein, die die Unternehmen über Inhalt und Ziel des BID informieren und<br />
bei der Erstellung des Businessplans unterstützen. Das wirkt sich positiv aus. Ein<br />
Nachteil ist jedoch, dass Unternehmen dadurch in einigen Gebieten selbst weniger<br />
aktiv werden und viel dem Quartiersmanager überlassen. So z.B. im Hofkwartier,<br />
einem historischen Stadtteil in der Innenstadt, wo kleine Geschäfte, Gaststätten,<br />
(kreative) Dienstleister und Wohnungen in einem harmonischen Miteinander bestehen.<br />
Die dort ansässigen Unternehmen wollten einen BID, weil ein paar Mitglieder<br />
des Unternehmerverbandes für die Weihnachtsbeleuchtung und Veranstaltungen<br />
des gesamten Stadtteils zahlten. DHV hat 2010 hierfür einen Projektleiter gestellt,<br />
der im Namen der Gemeinde in dem Gebiet einen Plan zur Stärkung der örtlichen<br />
Wirtschaft umsetzten sollte. Die Einrichtung eines BID war Teil dieses Plans. Die<br />
Trittbrettfahrer profitierten, beteiligten sich aber nicht an den Kosten. Da der BID<br />
nunmehr ein Faktum ist, wird auch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen<br />
gestärkt.<br />
Amersfoort<br />
Der Neptunusplein in Amersfoort ist ein kleines gemütliches Einzelhandelsgebiet,<br />
das sich zusammengeschlossen hat, um ein BID einzurichten. Mit Inkrafttreten des<br />
Experimentiergesetzes im Mai 2009 wusste der Vorsitzende der Ladenbesitzervereinigung<br />
Gert Weterings sofort, dass dies das Mittel war, nachdem sie gesucht hatten.<br />
Schon seit Jahren versucht Gert Weterings, andere Ladenbesitzer für Aktivitäten<br />
zur Vergrößerung der Kauflaune zu begeistern. Bisher war aber immer das Geld<br />
das Problem. „Mit einem BID können wir sicher sein, dass jedes Unternehmern seinen<br />
Teil zu einem schönen und besseren Neptunusplein beiträgt!“, so Gert Weterings.<br />
Um zu einem gemeinsamen Plan zu kommen, hat die Gemeinde Amersfoort<br />
DHV gebeten, als Vermittler zwischen den Ladenbesitzern und der Gemeinde aufzutreten.<br />
Gemeinsam mit den Unternehmen wurde ein Businessplan verfasst und<br />
129 siehe Internetportal der Gemeinde Stadskanaal, Dezember 2010.
236 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
eine breit unterstützte Durchführungsvereinbarung zusammengestellt. Ende Dezember<br />
wurde die Akzeptanzmessung durchgeführt. 95 % der abgegebenen Stimmen<br />
haben sich für den BID ausgesprochen. Mit einer Beteiligung von 75 % wurden<br />
die Akzeptanzvorgaben mehr als nur erreicht und der BID ist zustande gekommen.<br />
Schlussfolgerungen: Faktoren für Erfolg und Misserfolg<br />
Persönlicher Kontakt, die Arbeit von „Botschaftern“ und eine gute Kommunikation<br />
sind bislang wichtige Faktoren für den Erfolg. Unternehmen müssen sich gegenseitig<br />
erklären können, worin sie, unabhängig von den objektiven Informationen der<br />
Gemeinde über Verfahren und Inhalt, den Vorteil eines Unternehmensfonds sehen.<br />
Viele Unternehmen befürchten, dass es sich um eine versteckte zusätzliche Steuermaßnahme<br />
handelt, die sie tragen müssen, ihnen aber nichts einbringt. Daher ist<br />
es immens wichtig, das Instrument und den Grundsatz „von und für Unternehmen“<br />
umfassend zu erläutern. In der Landespresse sind beispielsweise Mitteilungen erschienen,<br />
in denen BIDs als versteckte kommunale Sparmaßnahme oder als Milchkuh<br />
dargestellt werden. Der niederländische Einzelhandelsrat (Raad Nederlandse<br />
Detailhandel/RND) hat diesen Standpunkt eingenommen. 130 Sorgfalt bei der Einführung<br />
und Klarheit über die Tatsache, dass die Gemeinde nur die Gelder der Unternehmen<br />
für die Unternehmen einzieht, sind daher von Bedeutung.<br />
Der Beitrag der Unternehmen bei der Erstellung des Businessplans ist nicht nur erforderlich,<br />
um die richtigen empfundenen Probleme anzugehen, sondern auch um<br />
Akzeptanz zu schaffen und damit letztendlich die Umsetzung des Plans zu gewährleisten.<br />
130 Das Justizministerium hat diesen Gesetzesentwurf vorbereitet und ist für die landesweite Evaluierung<br />
verantwortlich. Nach den Erfolgen in Großbritannien, den USA und Kanada verlangen Unternehmerverbände<br />
in den Niederlanden schon seit Jahren, dass gesetzliche Möglichkeiten für<br />
Unternehmensfonds geschaffen werden. Die Gesetzeslage in den Niederlanden gab dies aber<br />
bislang nicht her. Daher war die Einführung des BID-Gesetzes notwendig. Die jetzige Gesetzeslage<br />
ist jedoch vorübergehender Natur. Das Ministerium möchte erst Erfahrungen sammeln, bevor<br />
ein endgültiges Gesetz verabschiedet wird. Infolge des niederländischen „Poldermodells“, in dessen<br />
Rahmen mehrere Parteien nach Verhandlungen einen Kompromiss schließen, hat man sich<br />
für ein Pilotgesetz entschieden.<br />
Die Zurückhaltung der Dachverbände und einiger politischer Parteien ist darauf zurückzuführen,<br />
dass sie befürchten, dass Unternehmen am Ende mehr für Dienstleistungen bezahlen, die eigentlich<br />
die öffentliche Hand tragen müsste. Man befürchtet demnach eine zweckentfremdete Nutzung<br />
des Instruments. Der KMU-Dachverband, der Unternehmerverband VNO-NCW und der Verband<br />
der niederländischen Gemeinden VNG haben einen Sitz im BID-Lenkungsausschuss und beraten<br />
das Ministerium bei der Ausarbeitung und Evaluierung des Gesetzes. Das Gesetz zeigt, dass es<br />
sich um einen Kompromiss handelt. Marketingaktivitäten werden im Gesetzestext und der Erläuterung<br />
zum Gesetz nicht genannt. Die meisten Einkaufsgebiete verwenden in der Praxis das meiste<br />
Geld für Marketingaktivitäten. Hier liegt schließlich die Aufgabe: Wie sorgt man dafür, dass<br />
sich mehr Besucher und Verbraucher länger im Gebiet aufhalten und mehr ausgeben?<br />
In diesem Punkt ist daher noch mehr rechtliche Klarheit zu schaffen, um mehr Akzeptanz bei den<br />
Unternehmen zu gewinnen.
Floris Marcus/Caroline Rindertsma 237<br />
Außerdem bedarf es eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Ambitionen und<br />
Kosten für jedes einzelne Unternehmen. Wir empfehlen, die Ziele nicht zu hoch zu<br />
stecken. Sobald sich die ersten Erfolge in der Praxis zeigen, können die Ambitionen<br />
hochgeschraubt werden. Unternehmen sehen die Vorteile dann schneller und besser.<br />
Der Maßnahmenplan der Unternehmen und die Verordnung dürfen daher keine<br />
Zweifel an den Vorteilen für das Gebiet lassen.<br />
Durch die Einrichtung eines Unternehmensfonds investieren Unternehmen auf lokaler<br />
Ebene in das Management für ihr Gebiet. Die Einrichtung eines Unternehmensfonds<br />
ist allerdings sehr zeitaufwändig und infolge des derzeitigen niederländischen<br />
Rechts mit langen Verfahren und vielen Unklarheiten verbunden. Deshalb<br />
entscheiden sich manche Gebiete gegen gemeinsame Investitionen.<br />
Die Erfahrungen der ersten BID sind jedoch positiv. Auch wenn die Investitionen<br />
bisher noch nicht all zu groß sind, so ist nichtsdestotrotz mehr Geld zur Lösung von<br />
Problemen, die Unternehmen im Gebiet für wichtig halten, verfügbar. Außerdem<br />
verbessern BID den Kontakt der Unternehmen zur Gemeinde und fördern das Miteinander<br />
der Unternehmen. 131 Umfassende Revitalisierungsaufgaben wurden noch<br />
nicht mithilfe des BID-Modells angegangen. Dazu braucht man einen langen Atem.<br />
Wir glauben, dass ein Unternehmensfonds in der Zukunft eine gute Grundlage<br />
schafft, um gemeinsam mit der Gemeinde umfassende Revitalisierungsprojekte<br />
durchzuführen, zumindest wenn der gemeinsame Wille da ist.<br />
Wir befürworten deshalb die Fortführung des Experimentiergesetzes, möglicherweise<br />
in Form einer Kombination der drei Modelle. Ein gebietsorientiertes Vorgehen der<br />
Unternehmer ist von unschätzbarem Wert, da gerade die Unternehmen am Ende<br />
selbst davon profitieren. Der große Zuspruch zeigt, dass ein entsprechender Bedarf<br />
besteht.<br />
Allerdings ist es notwendig, die gesetzlichen Vorschriften und Verfahren zu ändern.<br />
Im Moment zeigt sich, dass große Anstrengungen umsonst gewesen sind, weil die<br />
Akzeptanzmessung gesetzlich erst am Ende des Prozesses vorgesehen ist. Führt<br />
man sie am Anfang des Prozesses durch, wird vermieden, dass viel Arbeit am Ende<br />
umsonst war. Viele Gemeinden führen diese Anfangsmessung schon auf informelle<br />
Weise durch, dies müsste jedoch gesetzlich festgelegt werden. Darüber hinaus plädieren<br />
wir dafür, Immobilieneigentümer mitzahlen zu lassen, da sie von den Investitionen<br />
mitprofitieren. Abschließend möchten wir nahelegen, Experimente zur Anwendung<br />
des BID-Modells in Wohngebieten zu initiieren.<br />
131 Bis Ende 2010 lag noch kein nationales Gutachten vor, das ein Gesamtbild der erfolgreichen und<br />
der fehlgeschlagenen Initiativen vermittelt. Einige Experten und Entscheidungsträger drängen<br />
deshalb bereits jetzt schon auf eine Änderung des Gesetzes, da die Akzeptanzvorgaben als zu<br />
hoch angesehen werden.
238 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />
Kontakt:<br />
Drs Floris Marcus<br />
strategischer Berater räumliche und wirtschaftliche Visionen und <strong>Entwicklung</strong><br />
DHV<br />
E-Mail : floris.marcus@dhv.com<br />
Drs Caroline Rindertsma<br />
Senior Berater Einzelhandel und Area Development<br />
DHV<br />
E-Mail: caroline.rindertsma@dhv.com
Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell für neue und innovative<br />
<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
von Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth<br />
Die Beiträge der einzelnen Autorinnen und Autoren haben gezeigt, wie facettenreich<br />
das Thema <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist. Wir haben unseren Fokus<br />
bewusst auf neue, in der Diskussion oft auch als innovativ bezeichnete <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
wie Regionalbudgets und Fondslösungen gelegt. Das Neue<br />
und Innovative ist dabei im Kontext der „herkömmlichen“ Fördersystematik zu sehen.<br />
Denn weder Fonds noch Budgets sind im Grunde etwas Neues oder haben<br />
etwas Innovatives an sich. Diese Instrumente gibt es bereits seit Jahrzehnten. Ihren<br />
Weg in die <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> haben sie jedoch erst in den<br />
letzten Jahren gefunden.<br />
Die Instrumente zeigen vielmehr neue und innovative Wege auf, wie die <strong>Finanzierung</strong><br />
<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> neu ausgerichtet werden kann. Denn die öffentliche<br />
Förderung, die derzeit die <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> dominiert, wird in<br />
Zukunft weder mehr noch ihr Einsatz einfacher. Es müssen Alternativen gefunden<br />
werden, mit denen sowohl Fördermittel effektiver und effizienter eingesetzt als<br />
auch privates Kapitel stärker in die <strong>Finanzierung</strong> eingebunden werden können.<br />
Dies schließt Instrumente mit ein, die die Akteure vor Ort in die Lage versetzen,<br />
auf die zunehmend komplexen regionalspezifischen Probleme und Herausforderungen<br />
reagieren zu können. Denn in einigen Problembereichen der regionalen<br />
<strong>Entwicklung</strong> haben zentrale Lösungen ausgedient.<br />
Wir sind fest von den Vorteilen der neuen und innovativen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />
überzeugt: Im idealen Fall erweitern sie den Gestaltungsspielraum der Akteure<br />
vor Ort und stärken somit ihre Motivation und ihr Selbstbewusstsein. Es entsteht<br />
ein „Wir-Gefühl“, das enorme Kräfte für eine eigenverantwortliche Regionalentwicklung<br />
freisetzen kann. Durch die räumliche Nähe zwischen Mittelempfänger<br />
und -geber entstehen Fühlungsvorteile, die die Zielgenauigkeit und Wirkung der<br />
eingesetzten Mittel erhöhen können. Der Einsatz revolvierender Instrumente ermöglicht<br />
es zudem, zurückfließende Mittel wieder einzusetzen.
240 Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell<br />
Wir möchten nicht falsch verstanden werden. Wir sehen in diesen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />
keinen Ersatz der Regelförderung, sondern eine wertvolle Ergänzung.<br />
Die <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente sollten sich der Regelförderung entsprechend<br />
vielmehr bedienen. Sie sollten überall dort eingesetzt werden, wo entweder <strong>Finanzierung</strong>slücken<br />
in den Regionen zu schließen sind oder sie effektiver und effizienter<br />
als die Regelförderung eingesetzt werden können.<br />
Es ist uns bewusst, dass die Konzeption solcher <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente und<br />
deren Einsatz im Rahmen des bestehenden umfassenden öffentlich- sowie zivilrechtlichen<br />
Regelwerks gewiss nicht einfach sind. Die Beispiele in den Beiträgen<br />
zeigen jedoch, dass es auch kein Hexenwerk ist.<br />
Deshalb möchten wir alle Akteure im Bereich der <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
aufrufen, neue und innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente motiviert und<br />
engagiert stärker voranzutreiben. Wir fordern EU-Kommissionen, Bundes- und<br />
Landesministerien, Landesbanken sowie regionale Banken und Sparkassen aber<br />
auch private Investoren auf, ihre technischen und finanziellen Möglichkeiten zu<br />
aktivieren, um die Instrumente zu entwickeln und umzusetzen.<br />
Wir brauchen mehr erfolgreiche Beispiele – Beispiele, die zeigen, dass es sich bei<br />
den Instrumenten nicht um ein kurzweiliges Nischenphänomen handelt, sondern<br />
dass sie möglich sind und zu einem Mehrwert führen.<br />
Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg und gutes Gelingen und würden uns freuen,<br />
Sie als gutes Beispiel in unserem nächsten Buch aufnehmen zu dürfen.<br />
Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth