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Finanzierung regionaler Entwicklung - sprint

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Berichte aus der Politik<br />

Sebastian Elbe / Florian Langguth (Hrsg.)<br />

<strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Oder: Geld ist schon wichtig<br />

Shaker Verlag<br />

Aachen 2011


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

Copyright Shaker Verlag 2011<br />

Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen<br />

oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen<br />

und der Übersetzung, vorbehalten.<br />

Printed in Germany.<br />

ISBN 978-3-8440-0148-8<br />

ISSN 0948-437X<br />

Shaker Verlag GmbH • Postfach 101818 • 52018 Aachen<br />

Telefon: 02407 / 95 96 - 0 • Telefax: 02407 / 95 96 - 9<br />

Internet: www.shaker.de • E-Mail: info@shaker.de


Vorwort.................................................................................................................. 5<br />

TEIL I: Regionalisierte Zuschüsse und Budgets<br />

Förderung von Regionen durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />

der regionalen Wirtschaftsstruktur“................................................................... 9<br />

von Dr. Friedemann Tetsch<br />

Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 29<br />

von Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

AktivRegionen in Schleswig-Holstein – flächendeckende Umsetzung des<br />

LEADER-Konzeptes ........................................................................................... 45<br />

von Christina Pfeiffer und Hermann-Josef Thoben<br />

Regionalisierte Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in Sachsen –<br />

Erfahrungen und Ausblick................................................................................. 55<br />

von Daniel Gellner<br />

Regionalbudgets im Modellvorhaben Regionen Aktiv – und wie geht<br />

das in Zukunft?................................................................................................... 69<br />

von Dr. Sebastian Elbe<br />

Teil II: Fonds in der Regionalentwicklung<br />

EFRE-kofinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland.. 87<br />

von Ulrike Schreckenberger und Anja Borisch<br />

Rechtliche Aspekte bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-<br />

Stadtentwicklungsfonds.................................................................................... 95<br />

von Dr. Maximilian Schwab und Sebastian Gröss<br />

Stadtentwicklungsfonds.................................................................................. 105<br />

von Christian Plöhn und Andreas Jacob<br />

EFRE-finanzierte KMU-Darlehen ..................................................................... 117<br />

von Thomas Hüttich<br />

Regionale Seed Fonds – Das Beispiel NRW.Bank.Seed Fonds ................... 131<br />

von Florian Langguth


Mikrokreditfonds .............................................................................................. 143<br />

von Falk Zientz<br />

TEIL III: Regionale Perspektive<br />

Im Spannungsfeld zentraler Verwaltung und dezentraler Entfaltung –<br />

Regionalisiertes Teilbudget und Regionalbudget am Beispiel des<br />

Landkreises Grafschaft Bentheim .................................................................. 155<br />

von Dr. Michael Kiehl<br />

Regional verbunden, überregional vernetzt – Integrierte ländliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> in der Altmark ............................................................................. 171<br />

von Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel ........................... 181<br />

von Josef Bühler<br />

Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen<br />

Menschen.......................................................................................................... 195<br />

von Franz Dullinger<br />

Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente – und damit<br />

verbundene Herausforderungen ..................................................................... 205<br />

von Carsten Hansen<br />

Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner............................ 215<br />

von Dr. Bertram Reddig, Dr. Sonja Scheffler und Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken –<br />

Umfassendes Experiment in den Niederlanden zeigt Eignung eines<br />

neuen Instruments ........................................................................................... 223<br />

von Floris Marcus und Caroline Rindertsma<br />

Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell für neue und innovative<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente............................................................................... 239<br />

von Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth


Vorwort<br />

Seit mittlerweile zehn Jahren bietet SPRINT Dienstleistungen in den Bereichen<br />

Forschung, Evaluation und Implementation rund um das Thema Regionalförderung<br />

und Förderung des ländlichen Raums an. Mit unseren Dienstleistungen bilden<br />

wir den gesamten Lebenszyklus von Förderprogrammen ab: von der ersten<br />

Konzeption, über die Begleitung und Bewertung der Umsetzung bis hin zur konkreten<br />

Unterstützung der Fördermittelgeber als auch der Fördermittelempfänger.<br />

In unserer alltäglichen Arbeit wurde und wird uns immer wieder bewusst, wie<br />

komplex und facettenreich das Thema <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist.<br />

Wir sprechen bewusst von <strong>Finanzierung</strong> und nicht Förderung, denn öffentliche<br />

Mittel stellen nur einen Teil der <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> dar. Hinzu<br />

kommen private Mittel, die, wie auch die öffentlichen Mittel, sowohl aus der Region<br />

selbst kommen als auch von außen in diese fließen können.<br />

Eine übergreifende Betrachtungsweise der verschiedenen <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />

<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> fehlte bisher. Mit dem vorliegenden Buch „<strong>Finanzierung</strong><br />

<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Oder: Geld ist schon wichtig!“ wollen wir von SPRINT<br />

anlässlich unseres 10-jährigen Firmenjubiläums einen Beitrag zur Schließung dieser<br />

Lücke leisten.<br />

Für das Buch konnten wir zahlreiche Autorinnen und Autoren gewinnen, um entlang<br />

von konkreten Initiativen oder Produkten die Vielfalt von Förderprogrammen, Regionalbudgets<br />

und neuen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten wie z.B. revolvierenden Fonds<br />

aufzuzeigen. Ergänzt werden diese Beiträge durch regionale Praxisbeispiele. Aus<br />

unserer Sicht eine gute und notwendige Mischung, um sich dem Themenfeld weiter<br />

zu nähern.<br />

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und anregende Diskussionen!<br />

Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth


TEIL I: Regionalisierte Zuschüsse und Budgets


Förderung von Regionen durch die Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

von Dr. Friedemann Tetsch<br />

I. Das frühe Fördersystem der Gemeinschaftsaufgabe<br />

1. Die GRW als Element der Großen Finanzreform von<br />

1969<br />

Im Mai 1970 trat zum ersten Mal das politische Entscheidungsgremium der Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW), der<br />

Bund-Länder-Planungsausschuss zusammen. Ab 1972 setzte der sog. Rahmenplan<br />

1 den konzeptionellen, instrumentellen, organisatorischen und finanziellen<br />

Rahmen für die gemeinsame Förderung strukturschwacher Regionen durch den<br />

Bund und die Länder.<br />

Seit nunmehr 40 Jahren ist die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />

der regionalen Wirtschaftsstruktur“ das wichtigste Instrument der Regionalförderung<br />

in Deutschland und ein Orientierungsrahmen für andere raumwirksame Politiken. 2<br />

In den 60er Jahren gab es einen breiten Konsens, dass eine Reihe öffentlicher Aufgaben<br />

und Funktionen nicht mehr sachgerecht von einer einzelnen Gebietskörperschaft<br />

bzw. staatlichen Ebene wahrgenommen werden konnte. Das waren öffentliche<br />

Aufgaben mit hoher Komplexität und gesamtstaatlich hoher Bedeutung sowie<br />

Aufgaben, deren Erfüllung oder Nichterfüllung mit externen Effekten verbunden war.<br />

Für die damalige Regionalförderung bedeutete diese Innovation: klare Regeln für<br />

die Mitwirkung des Bundes, ausschließliche Durchführungskompetenz für die Länder,<br />

verbindliche Spielregeln für die Gewährung von Beihilfen, Eindämmung des<br />

Subventionswettlaufs zwischen den Ländern, Festschreibung des Grundsatzes der<br />

Solidarität sowie die Möglichkeit für den Bund, gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche<br />

Erfordernisse zur Geltung zu bringen.<br />

1 Vgl. Erster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

für den Zeitraum 1972-1975, Bundestagsdrucksache VI/2451.<br />

2 Bis 2007 insgesamt 36 jährliche Rahmenpläne. Seit 2009 Koordinierungsrahmen.


10 Dr. Friedemann Tetsch<br />

Damals war unstreitig, dass diese Aufgaben Kooperation zwischen den Ländern<br />

sowie die Abstimmung mit dem Bund verlangen. Auf Basis dieses Konsenses wurde<br />

der deutsche Föderalismus im Zuge der Großen Finanzreform von 1969 zum<br />

Kooperativen Föderalismus weiterentwickelt. 3 Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />

der regionalen Wirtschaftsstruktur“ war dabei ein Baustein. 4<br />

Für die damalige Regionalförderung bedeutete diese Innovation: klare Regeln für<br />

die Mitwirkung des Bundes, ausschließliche Durchführungskompetenz für die Länder,<br />

verbindliche Spielregeln für die Gewährung von Beihilfen, Eindämmung des<br />

Subventionswettlaufs zwischen den Ländern, Festschreibung des Grundsatzes der<br />

Solidarität sowie die Möglichkeit für den Bund, gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche<br />

Erfordernisse zur Geltung zu bringen.<br />

2. Der regionalpolitische Grundkonsens<br />

Damals gab es in Wissenschaft und Praxis die breit akzeptierte Erkenntnis, dass<br />

marktwirtschaftliche Systeme zur Konzentration neigen – zur Konzentration wirtschaftlicher<br />

Macht, zur Konzentration von Einkommen und Vermögen sowie zur<br />

Konzentration von wirtschaftlichen Aktivitäten im Raum. Diese Konzentrationen und<br />

Polarisierungen wurden als politisch und gesamtwirtschaftlich schädlich angesehen.<br />

Deshalb setzte der Staat spezielle Gegenmaßnahmen wie Wettbewerbspolitik,<br />

Marktöffnung und betriebliche Mitbestimmung ein, um der Konzentration wirtschaftlicher<br />

Macht in den Händen weniger entgegen zu wirken. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand<br />

und umverteilungsorientierte Steuer- und Abgabenpolitik sowie<br />

Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und des Familienlastenausgleichs zur Reduzierung<br />

der Einkommens- und Vermögensunterschiede waren weitere Maßnahmen.<br />

Aber auch spezielle Maßnahmen, um Ballungstendenzen im Raum entgegen<br />

zu wirken, wurden entwickelt: Umverteilung öffentlicher Einnahmen im Finanzausgleichssystem,<br />

Hochschulgründungen im ländlichen Raum, Finanzhilfen für besonders<br />

bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden und, nicht zuletzt, Einführung<br />

der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.<br />

Durch all diese Maßnahmen ist die Marktwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft<br />

transformiert worden. 5<br />

3<br />

Vgl. Klein, Fritz: Die Finanz- und Haushaltsreform, Schriften der Bundeszentrale für politische<br />

Bildung. Bonn: 1969.<br />

4<br />

Vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, geändert durch Gesetz zur Änderung des<br />

Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12.5.1969 (BGBl. I, S. 359) und Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ vom 6.10.1969 (BGBl. I,<br />

S. 1861).<br />

5<br />

Vgl. Tetsch, Friedemann: Touristische Perspektiven des ländlichen Raums unter wirtschaftspolitischen<br />

Gesichtspunkten, Vortrag auf dem Deutschen Landschaftspflegetag 2008, Internetseite des<br />

Deutschen Verbands für Landschaftspflege e.V., Vorträge und Referate.


Förderung von Regionen durch die GRW 11<br />

Es bestand auch weitgehend Einigkeit, dass<br />

� ein demokratischer Staat große regionale Disparitäten bei Einkommen, Beschäftigung,<br />

Versorgung der Bevölkerung mit infrastrukturellen Leistungen<br />

(öffentlichen Gütern) sowie Umwelt- und Wohnverhältnissen auf Dauer nicht<br />

aushält;<br />

� zurückgebliebene Regionen auch deswegen zurückgeblieben sind, weil viele<br />

staatliche Aktivitäten der Vergangenheit und Gegenwart starke Regionen begünstigen<br />

und so ballungsfördernde Tendenzen auslösen;<br />

� der räumliche Differenzierungsprozess sich selbst verstärkende Kräfte besitzt;<br />

� strukturschwache Regionen einen gravierenden Standortnachteil gegenüber<br />

strukturstarken Regionen aufweisen;<br />

� gezielte regionalpolitische Interventionen zugunsten strukturschwacher Regionen<br />

nicht nur gerechtfertigt, sondern nötig sind, um die Standortnachteile auszugleichen<br />

und ein weiteres Abkoppeln dieser Regionen von der allgemeinen<br />

<strong>Entwicklung</strong> zu verhindern;<br />

� die regionalpolitischen Fördermaßnahmen an den Ursachen der regionalen<br />

Unterentwicklung ansetzen, die Ausstattung der strukturschwachen Regionen<br />

mit Produktivkapital im privaten und öffentlichen Bereich verbessern und so<br />

zusätzliche dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten und Einkommensquellen<br />

in der jeweiligen Region schaffen müssten;<br />

� durch Mobilisierung <strong>regionaler</strong> Wachstumspotentiale die regionalen Disparitäten<br />

abgeschwächt und zugleich dem gesamtwirtschaftlichen Wachstumsziel<br />

gedient werden kann, d.h. Regionalpolitik als Wachstumspolitik und nicht als<br />

Sozialpolitik.<br />

3. Die Grundelemente des GRW Fördersystems<br />

Auf Basis dieser Grundsätze haben der Bund und die Länder zu Anfang der 1970er<br />

Jahre die Grundelemente des GRW-Fördersystems festgelegt. 6<br />

6 Vgl. Tetsch/Benterbusch/Letixerant: Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der<br />

regionalen Wirtschaftsstruktur“, Köln 1996 und Tetsch, Friedemann: Investitionsförderprogramme<br />

- Teil C: Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

in: nwb-Infodienst Deutschland Ost, Steuer- und Wirtschaftsrecht der neuen Bundesländer vom<br />

20.6.1997.


12 Dr. Friedemann Tetsch<br />

3.1. Regelungen für das gesamte Fördersystem<br />

Für das gesamte Fördersystem gilt:<br />

Förderregelungen als Rahmen für die Regionalförderung der Länder<br />

Mit den Förderregelungen vereinbaren Bund und Länder den Rahmen, in dem sich<br />

die Länder bewegen dürfen, wenn sie GRW-Mittel in ihren strukturschwachen Regionen<br />

einsetzen wollen. Die Länder dürfen diesen Rahmen nicht überschreiten. Sie<br />

brauchen ihn aber nicht auszuschöpfen, d.h. sie können z.B. mit ihrer Förderung<br />

unterhalb der Förderhöchstsätze bleiben, die Liste der förderfähigen Wirtschaftszweige<br />

einschränken oder auf die Förderung an sich förderfähiger Tatbestände verzichten.<br />

Beschränkung der Förderung auf Regionen mit gravierenden Strukturschwächen<br />

Bund und Länder bewerten in mehrjährigen Abständen die wirtschaftsstrukturelle<br />

Lage in den – zur Zeit 270 – Arbeitsmarktregionen der Bundesrepublik mit Hilfe von<br />

Indikatoren zum regionalen Einkommen, zur regionalen Beschäftigung und zur regionalen<br />

Infrastrukturausstattung und bestimmen danach die wirtschaftsschwächsten<br />

Regionen kreisscharf als Fördergebiet.<br />

Beschränkung (früher) bzw. Konzentration (heute) der Förderung auf Investitionen<br />

in das Sachkapital<br />

Bis Ende 1994 wurden ausschließlich Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und<br />

Investitionen in die kommunale wirtschaftsnahe Infrastruktur gefördert. Auf diese<br />

Weise sollte die wichtigste Ursache der regionalen Unterentwicklung – der Mangel<br />

an Sachkapital – nachhaltig beseitigt bzw. gemildert werden. Seit 1995 können<br />

auch nichtinvestive Maßnahmen gefördert werden.<br />

3.2. Regelungen für gewerblichen Investitionen<br />

Für diese Förderung der gewerblichen Investitionen gilt:<br />

Beschränkung auf überregional ausgerichtete Betriebe<br />

Ziel der Regionalförderung ist es, durch Förderung von Investitionen zusätzliche<br />

Nachfrage, zusätzliche Arbeitsplätze und letztlich zusätzliches Einkommen in<br />

strukturschwache Regionen zu bringen. Diese Zielsetzung kann bei knappen Fördermitteln<br />

am ehesten erreicht werden, wenn die Förderung auf Betriebe beschränkt<br />

wird, die überregional ausgerichtet sind, d.h. mit Betrieben aus anderen


Förderung von Regionen durch die GRW 13<br />

Regionen konkurrieren und diesen gegenüber Standortnachteile haben. Dies sind<br />

nicht – wie fälschlicherweise oft behauptet wird – nur Betriebe, die Güter oder<br />

Dienstleistungen exportieren. Vielmehr sind es alle Betriebe, die ihrer Art nach überregional<br />

sind, auch wenn sie ihre Produkte tatsächlich ausschließlich in ihrer eigenen<br />

Region absetzen. Betriebe, die diesen Artbegriff (Positivliste) nicht erfüllen,<br />

müssen nachweisen, dass sie tatsächlich mehr als 50 % ihres Umsatzes außerhalb<br />

der eigenen Region tätigen, wenn sie gefördert werden wollen.<br />

Positive Arbeitsplatzeffekte als Fördervoraussetzung<br />

Gewerbliche Investitionen werden nur gefördert, wenn neue Arbeitsplätze dauerhaft<br />

geschaffen oder bestehende Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Die Errichtung<br />

einer neuen Betriebsstätte kann vom ersten Arbeitsplatz an gefördert werden.<br />

Die Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte kann nur gefördert werden, wenn<br />

die Zahl der zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze eine bestimmte Schwelle übersteigt.<br />

Die Förderung einer Umstellung oder grundlegenden Rationalisierung einer Betriebsstelle<br />

ist nur dann förderfähig, wenn das Investitionsvolumen eine bestimmte<br />

Schwelle überschreitet. Die geförderten Investitionsgüter müssen mindestens fünf<br />

Jahre im geförderten Betrieb (damit im Fördergebiet) verbleiben.<br />

Abstufung bzw. Differenzierung der Förderung nach dem Grad der Regionalprobleme<br />

und der Unternehmensgröße<br />

Das Fördergebiet ist entsprechend der Bewertung durch Regionalindikatoren im<br />

Zuge der Neuabgrenzung in mehrere Kategorien (zurzeit A, C und D) eingeteilt. Die<br />

Regionen mit den größten wirtschaftsstrukturellen Schwächen (Kategorie A) weisen<br />

die größten Standort- bzw. Wettbewerbsnachteile gegenüber den wirtschaftsstärkeren<br />

Regionen auf. Demzufolge erhalten sie die höchsten Förderhöchstsätze. Am<br />

niedrigsten sind die Förderhöchstsätze für gewerbliche Betriebe in der Kategorie D.<br />

Innerhalb der einzelnen Fördergebietskategorien können kleine Unternehmen höher<br />

als mittlere und diese höher als große Unternehmen gefördert werden (KMU-<br />

Definition gemäß EU-Beihilfenrecht). Auch hier geht man davon aus, dass die Wettbewerbsnachteile<br />

von kleinen Unternehmen in strukturschwachen Regionen größer<br />

als die von großen Unternehmen sind und deshalb höhere Hilfen angebracht sind<br />

(siehe folgende Tabelle).


14 Dr. Friedemann Tetsch<br />

Tabelle 1: Höchstsätze nach Fördergebieten<br />

Fördergebietskategorie<br />

Förderhöchstsätze<br />

große Unter- mittlere Un- kleine Unternehmenternehmennehmen<br />

A 30 % 40 % 50 %<br />

C 15 % 25 % 35 %<br />

D<br />

De-minimis-<br />

Regelung 10 % 20 %<br />

Förderhöchstsätze als Subventionsobergrenze<br />

Wenn zur Förderung einer betrieblichen Investition GRW-Mittel eingesetzt werden,<br />

stellen diese Förderhöchstsätze verbindliche Obergrenzen für die Summe aller öffentlichen<br />

Hilfen für dieses Vorhaben dar. Der jeweilige GRW-Förderhöchstsatz<br />

kann ausgeschöpft werden durch:<br />

� GRW-Zuschuss,<br />

� steuerliche Investitionszulage,<br />

� Bürgschaft (Subventionswert),<br />

� öffentlichen zinsbegünstigten Kredit (Subventionswert),<br />

� Beihilfe aus anderen Fachpolitiken, z.B. KMU-Förderung, Innovations- und<br />

Forschungsförderung, Umweltförderung.<br />

Wenn die Summe aller erhaltenen Beihilfen den GRW-Förderhöchstsatz<br />

(=Subventionsobergrenze) überschreitet, muss gegebenenfalls der GRW-Zuschuss<br />

entsprechend gekürzt werden.<br />

3.3. Regelungen für Infrastrukturinvestitionen<br />

Für die Förderung von Infrastrukturinvestitionen gilt:<br />

Beschränkung der Förderung auf Kommunen<br />

Träger der zur Förderung beantragten Maßnahme im subventionsrechtlichen Sinne<br />

müssen Kommunen oder Rechtspersonen sein, die nicht auf Gewinnerzielung<br />

ausgerichtet sind (z.B. Kammern oder Vereine). Maßnahmen des Bundes oder der<br />

Länder sind strikt von der Förderung ausgeschlossen.


Förderung von Regionen durch die GRW 15<br />

Beschränkung auf wirtschaftsnahe Maßnahmen<br />

Kommunale Infrastrukturinvestitionen sind nur dann förderfähig, wenn sie unmittelbar<br />

für die <strong>Entwicklung</strong> der regionalen Wirtschaft erforderlich sind. Außerdem<br />

sollen sie zielgerichtet und vorrangig förderfähigen Betrieben zur Verfügung gestellt<br />

werden. Der geforderte enge Bezug zur gewerblichen Wirtschaft wird konkretisiert<br />

durch eine abschließende Aufzählung der förderfähigen Maßnahmen im<br />

Rahmenplan/Koordinierungsrahmen.<br />

Angemessene Eigenbeteiligung der (kommunalen) Träger der geförderten<br />

Maßnahme<br />

Um ein ausreichendes Eigeninteresse des Maßnahmenträgers an der Notwendigkeit,<br />

sachgerechten Ausgestaltung und effizienten Durchführung der Fördermaßnahme<br />

zu gewährleisten, verlangen Bund und Länder eine finanzielle Mindestbeteiligung<br />

des Maßnahmenträgers. Zurzeit beträgt diese 40 % im Regelfall und 10<br />

% in begründeten Ausnahmefällen. 7<br />

4. Förderinstrumente<br />

4.1. Zuschüsse aus Haushaltsmitteln<br />

Zuschüsse aus Haushaltsmitteln sind das wichtigste Instrument der Gemeinschaftsaufgabe.<br />

Sie müssen vor Beginn der Investition vom Investor (Gewerbebetrieb<br />

oder Kommune) beim jeweiligen Land beantragt werden. Ob und gegebenenfalls<br />

in welcher Höhe das Land den Zuschuss bewilligt, hängt davon ab,<br />

� ob die zur Förderung beantragte Investition die Fördervoraussetzungen des<br />

jeweils gültigen Rahmenplans/Koordinierungsrahmens erfüllt (Förderfähigkeit),<br />

� wie das Land die strukturpolitische Bedeutung des Vorhabens einschätzt (Förderwürdigkeit),<br />

� ob ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.<br />

Das Land trifft eine Ermessensentscheidung unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots,<br />

die gerichtlich überprüft werden kann. Wenn ein Investor einen Bewilligungsbescheid<br />

erhalten hat, hat er – in der Regel vor Beginn seines Vorhabens –<br />

die Sicherheit, dass er den Zuschuss und damit die eingeplanten <strong>Finanzierung</strong>smittel<br />

für sein Vorhaben erhält. Die zur Förderung zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel<br />

unterliegen allerdings der jährlichen Haushaltsentscheidung des Bundestages<br />

und der Landtage. Mit der Höhe seiner Zuweisungen an die Länder bestimmt<br />

der Bund einen Großteil des finanziellen Spielraums der Länder für Zuwen-<br />

7 Vgl. Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

ab 2009, Bundestags-Drucksache 16/13950 vom 8.9.2009.


16 Dr. Friedemann Tetsch<br />

dungen (=Subventionen) im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe. Die Länder sind<br />

verpflichtet, den gleichen Mittelbetrag bereitzustellen (Grundsatz der hälftigen <strong>Finanzierung</strong>).<br />

Sie dürfen mehr eigene Landesmittel für die GRW-Zwecke einsetzen,<br />

als der Bund ihnen gibt, was auch gelegentlich geschieht. Sie verlieren aber den<br />

Anspruch auf die entsprechenden Bundesmittel, wenn sie weniger eigene Mittel<br />

einsetzen. Im Zuge der politischen Bemühungen um Konsolidierung der öffentlichen<br />

Haushalte standen sie – wie andere investive Ausgaben der öffentlichen Hände –<br />

unter starkem Kürzungsdruck. In den Jahren 1993-1995 stellte der Bund den Ländern<br />

pro Jahr umgerechnet etwa 2 Mrd. Euro zur Verfügung. Von da an verringerte<br />

er die GRW-Bundesmittel Jahr für Jahr. 2010 beliefen sie sich auf 624 Mio. Euro. 8<br />

Die Haushaltsplanung der Bundesregierung für die Jahre 2011-2014 sieht weitere<br />

Kürzungen (ab 2013 rd. 88 Mio. Euro) vor. Dies wird die Arbeitsplatz- und Wachstumseffekte<br />

der GRW weiter verringern.<br />

4.2. Investitionszulage<br />

Die Investitionszulage ist eine steuerrechtliche Beihilfe für Gewerbebetriebe. Sie<br />

verringert die Einkommens- bzw. Körperschaftsteuerschuld der gewerblichen Investoren<br />

in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Anschaffungs- und Herstellungskosten<br />

von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Wenn beim Investor keine<br />

Steuerschuld besteht, kann das zuständige Finanzamt die Zulage auch aus dem<br />

örtlichen Steueraufkommen direkt an den Investor auszahlen. Förderfähig sind Investoren<br />

des verarbeitenden Gewerbes, der produktionsnahen Dienstleistungen<br />

und des Beherbergungsgewerbes. Die Zulage ist beschränkt auf den ostdeutschen<br />

Teil des GRW-Fördergebiets (die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Bei Vorliegen der gesetzlichen<br />

und EU-beihilferechtlichen Fördervoraussetzungen besteht für den Investor<br />

ein Rechtsanspruch. Die Finanzbehörden prüfen das Vorliegen der (umfangreichen<br />

und komplexen) Fördervoraussetzungen endgültig erst im Rahmen von Betriebsprüfungen,<br />

die oft längere Zeit nach Abschluss der Investition stattfinden.<br />

Dabei kommt es häufiger zu negativen Abweichungen zwischen der vom Investor<br />

erwarteten Höhe und der vom Finanzamt gewährten Zulage. In diesen Fällen hat<br />

der vermeintliche Rechtsanspruch nicht zur gewünschten Rechtssicherheit geführt.<br />

Bei der Ermittlung des Förderbedarfs von gewerblichen Investitionen in Ost-<br />

Deutschland wird die Investitionszulage in der Regel als Erstes in Ansatz gebracht.<br />

Die Spanne bis zum vom Land vorgesehenen Fördersatz wird dann vom GRW-<br />

Zuschuss, gegebenenfalls mit noch weiteren Beihilfen, ausgefüllt. Die Investitions-<br />

8<br />

Vgl. Koordinierungsrahmen der GRW ab 2009, <strong>Entwicklung</strong> der GRW-Mittel im Zeitraum 1991 bis<br />

2012, S. 25, a.a.O.


Förderung von Regionen durch die GRW 17<br />

zulage wird aus dem Aufkommen an Einkommens- und Körperschaftsteuer am Sitz<br />

des Unternehmens, dem der geförderte Betrieb angehört, gezahlt. Sie mindert damit<br />

anteilig das Steueraufkommen des Bundes, des jeweiligen Landes und dessen<br />

Gemeinden.<br />

Die Investitionszulage ist in Praxis und Politik seit langem umstritten. Sie gilt ihren<br />

Kritikern als regionalpolitisch wenig zielgerichtet, verwaltungsaufwändig, fiskalisch<br />

teuer, als haushaltspolitisch nicht kontrollierbar und als ein das Steuerrecht weiter<br />

verkomplizierendes Element. Sie unterliegt allerdings, wenn sie einmal als Steuergesetz<br />

beschlossen ist, nicht der jährlichen Haushaltsentscheidung des Bundestages<br />

und damit auch nicht der Gefahr ständiger Kürzung. Nach intensiver Abwägung<br />

der Argumente für und gegen die Zulage hat der Bundestag im Dezember 2008 mit<br />

dem Investitionszulagengesetz 2010 beschlossen, die Zulage stufenweise bis einschließlich<br />

2013 auslaufen zu lassen. 9 Danach gelten folgende Zulagensätze:<br />

Tabelle 2: Auslaufende Zulagensätze<br />

Grundförderung KMU-Förderung<br />

2010 10% 20%<br />

2011 7,5% 15%<br />

2012 5% 10%<br />

2013 2,5% 5%<br />

Bei der politischen Entscheidung über das stufenweise Zurückfahren bzw. Auslaufenlassen<br />

der steuerlichen Förderung für GRW-förderfähige Betriebe in Ostdeutschland<br />

wurde auch darüber diskutiert, als partielle Kompensation für diesen<br />

Ausfall die Fördermittel der GRW moderat anzuheben. Die neue Haushaltsplanung<br />

der Bundesregierung geht in die andere Richtung.<br />

4.3. Bürgschaften<br />

Die GRW-Förderhöchstsätze stellen sicher, dass das Risiko einer gewerblichen Investition<br />

überwiegend beim gewerblichen (privaten) Investor verbleibt. Dieser muss<br />

also in jedem Fall die Hälfte, in der Regel sogar deutlich mehr als die Hälfte der Investitionskosten<br />

aus eigenen Mitteln oder aus Krediten finanzieren. Angesichts des<br />

häufig restriktiven Kreditvergabeverhaltens vieler Kreditinstitute gerade in strukturschwachen<br />

Regionen ist für viele Investoren der Zugang zu Krediten ein erhebliches<br />

Investitionshemmnis. In diesen Fällen können die Länder für den Eventualfall des<br />

Ausfalls eines Kredits gegenüber dem Kreditgeber eine Bürgschaft eingehen. Wenn<br />

9 Vgl. Investitionszulagengesetz 2010 vom 7.12.2008 (BGBl. I, S. 2350), geändert durch Art. 10 des<br />

Gesetzes vom 22.12.2009 (BGBl. I, S. 3950).


18 Dr. Friedemann Tetsch<br />

die Länder eine solche Ausfallbürgschaft für Investitionsvorhaben, die die Fördervoraussetzungen<br />

des GRW-Rahmenplans erfüllen, eingehen, übernimmt der Bund<br />

hierfür eine Garantie von 50 %. Die Bürgschaft kann der GRW-förderfähige Investor<br />

alternativ oder kumulativ zum GRW-Zuschuss in Anspruch nehmen. Sie kann sogar<br />

nach Beginn der Investitionen gewährt werden, wenn gleichzeitig ein GRW-<br />

Zuschuss gewährt wird. Der Subventionswert der Bürgschaft (Differenz zwischen<br />

risikoadäquatem Entgelt und tatsächlich geleistetem Entgelt) muss auf die Förderhöchstsätze<br />

der GRW angerechnet werden.<br />

4.4. Zinsbegünstigte Darlehen<br />

Das GRW-Gesetz gibt auch die Möglichkeit, zinsbegünstigte Kredite zur Förderung<br />

der regionalen Wirtschaft einzusetzen. In regelmäßigen Abständen – meistens unmittelbar<br />

nach einer Bundestagswahl – wurde von einzelnen Politikern und insbesondere<br />

Förderbanken gefordert, die GRW-Förderung von einer Zuschuss- auf eine<br />

Kreditförderung umzustellen. Die vorhandenen GRW-Haushaltsmittel sollten demnach<br />

zur <strong>Finanzierung</strong> der Zinsbonifikation eingesetzt werden. Auf diese Weise<br />

könnte man ein deutlich größeres Investitionsvolumen fördern, d.h. sehr viel mehr<br />

Investitionen „anstoßen“ als mit „verlorenen“ Zuschüssen. Politiker könnten damit<br />

ihre Tätigkeitsnachweise und Erfolgsbilanzen verbessern, Förderbanken ihr ertragssicheres<br />

Geschäftsvolumen vergrößern.<br />

Aus regionalpolitischer Sicht werden zinsbegünstigte Kredite als Instrument der Regionalpolitik<br />

weniger positiv beurteilt. Die Regionalpolitik verfolgt das Ziel, das Investitionsverhalten<br />

von Gewerbebetrieben zugunsten strukturschwacher Regionen zu<br />

beeinflussen. Die Gewerbebetriebe sollen an einem anderen Standort investieren,<br />

mehr investieren oder qualitativ höherwertiger investieren, als sie es ohne Förderung<br />

getan hätten. Eine solche Beeinflussung des Investitionsverhaltens kann nur<br />

erwartet werden, wenn der Staat den Investoren ausreichend hohe Anreize bietet,<br />

d.h. Beihilfen oberhalb eines Mindestsubventionswerts gewährt. Mit Zuschüssen ist<br />

dies möglich, mit zinsbegünstigten Krediten nicht. Die Letzteren weisen so niedrige<br />

Subventionswerte auf, dass sie von den Investoren kaum gespürt werden und deshalb<br />

in aller Regel zu keiner Änderung des Investitionsverhaltens führen, also von<br />

den Investoren lediglich mitgenommen werden.<br />

Im Übrigen brächte eine Umstellung von der Zuschussförderung auf eine Kreditförderung<br />

auch förderpolitisch keinen Mehrwert. Die deutsche Förderlandschaft bietet<br />

bereits heute eine Vielzahl von Kreditförderprogrammen, die von GRWförderfähigen<br />

Betrieben als Ergänzung der GRW-Zuschussförderung zur Erleichterung<br />

der <strong>Finanzierung</strong> ihres Investitionsvorhabens in Anspruch genommen werden.<br />

Manchmal kann man sogar den Eindruck haben, dass einzelne Förderbanken


Förderung von Regionen durch die GRW 19<br />

Schwierigkeiten haben, die vorhandenen Kreditmittel unterzubringen und dass sie<br />

deswegen laufend neue Förderprogramme auflegen.<br />

II. Die Gemeinschaftsaufgabe im Jahr 2010<br />

1. Die Weiterentwicklung des GRW-Fördersystems<br />

Das oben skizzierte GRW-Fördersystem bildet noch heute den Kern der GRW-<br />

Förderung. Bis 1994 war die Förderung strikt auf Investitionen beschränkt. Seitdem<br />

ist das Fördersystem schrittweise an neue regionale <strong>Entwicklung</strong>sbedingungen angepasst<br />

und um eine Reihe nicht-investiver Fördertatbestände ergänzt worden.<br />

Dabei kam es Bund und Ländern vor allem darauf an, verstärkte Förderanreize<br />

� für die Gründung und Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen,<br />

� für die Bildung von Humankapital sowie Forschung, <strong>Entwicklung</strong> und Innovationen,<br />

� für <strong>Entwicklung</strong>sansätze/-prozesse aus den Regionen heraus („<strong>Entwicklung</strong><br />

von unten“) und<br />

� für Kooperationen und Koordination auf lokaler/<strong>regionaler</strong> Ebene<br />

anzubieten.<br />

Förderpräferenzen für kleine und mittlere Unternehmen in der Investitionsförderung<br />

Für die Förderung gewerblicher Investitionen gelten in allen drei Fördergebietskategorien<br />

für KMU deutlich höhere Förderhöchstsätze als für große Unternehmen.<br />

Technologie-, Innovations- und Gründerzentren sind nur förderfähig, wenn sie von<br />

kleinen oder technologieorientierten mittleren Unternehmen belegt werden.<br />

Förderung innovativer nicht-investiver Aktivitäten von KMU<br />

Die Länder haben die Möglichkeit, zur Verstärkung von Landesfachprogrammen<br />

GRW-Mittel einzusetzen, wenn dadurch KMU in GRW-Fördergebieten zusätzlich<br />

gefördert werden. Bei diesen Fachprogrammen der Länder geht es um die Förderung<br />

von:<br />

� Beratung von KMU durch externe Sachverständige mit max. 50.000 Euro<br />

GRW-Beteiligung pro Förderfall,<br />

� Schulungen von Arbeitnehmern von KMU mit max. 50.000 Euro GRW-<br />

Beteiligung pro Förderfall,


20 Dr. Friedemann Tetsch<br />

� Ersteinstellung von Hochschulabsolventen/innen (Humankapitalbildung) in<br />

KMU mit max. GRW-Beteiligung von 20.000 Euro im 1. Jahr und 10.000 Euro<br />

im 2. Jahr,<br />

� betrieblichen Vorhaben der Forschung und <strong>Entwicklung</strong> in KMU mit max.<br />

GRW-Beteiligung von 500.000 Euro pro Förderfall,<br />

� Aufwendungen zur Markteinführung von selbst entwickelten innovativen Produkten<br />

von KMU mit max. GRW-Beteiligung von 100.000 Euro pro Förderfall.<br />

Verbesserung der Forschungsinfrastruktur<br />

Die Länder können Investitionen von gemeinnützigen Forschungseinrichtungen<br />

(u.a. sog. Forschungs-GmbHs), die steuerrechtlich weder Betriebsstätten noch<br />

kommunale Infrastruktureinrichtungen sind, so fördern, als ob sie Gewerbebetriebe<br />

wären. In der Praxis werden sie in der Regel mit den für KMU geltenden Fördersätzen<br />

gefördert.<br />

Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />

Die Länder können sich mit GRW-Mitteln an den Kosten der Erstellung von regionalen<br />

integrierten <strong>Entwicklung</strong>skonzepten mit max. 50.000 Euro beteiligen. Projekte,<br />

die sich in schlüssige <strong>Entwicklung</strong>skonzepte einfügen, sollen bei der Förderentscheidung<br />

der Länder Vorrang haben.<br />

Regionalmanagement<br />

Regionalmanagementvorhaben auf <strong>regionaler</strong> Ebene können mit max. 200.000 Euro<br />

pro Jahr für drei Jahre (Anschubfinanzierung) gefördert werden. Mit besonderer<br />

Begründung kann die Förderung zweimal um jeweils drei Jahre verlängert werden.<br />

Netzwerke und Cluster<br />

Ausgaben für regionale und überregionale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen<br />

und wirtschaftsnahen (Forschungs-)Einrichtungen in Form von Kooperationsnetzwerken<br />

oder Clustermanagements können in einer Anlaufphase von drei Jahren mit<br />

insgesamt bis zu 300.000 Euro, bei mindestens fünf Teilnehmern mit max. 500.000<br />

Euro gefördert werden. Mit besonderer Begründung kann die Förderung des entsprechenden<br />

Vorhabens um max. drei Jahre verlängert werden.<br />

Beratung von Kommunen<br />

Kommunen, die zur Vorbereitung bzw. Durchführung von förderfähigen Infrastrukturmaßnahmen<br />

Planungs- und Beratungsleistungen von externen Sachverständigen<br />

in Anspruch nehmen, können eine Kostenbeteiligung von max. 100.000 Euro pro<br />

Vorhaben erhalten.


Förderung von Regionen durch die GRW 21<br />

Regionalbudget<br />

Die Länder können den Regionen aus GRW-Mitteln ein Regionalbudget von<br />

300.000 Euro pro Jahr zur Verfügung stellen. Voraussetzung dafür ist, dass die Regionen<br />

über ein funktionierendes Regionalmanagement und/oder ein tragfähiges<br />

integriertes regionales <strong>Entwicklung</strong>skonzept verfügen. Die Regionen können über<br />

das Regionalbudget frei – d.h. ohne vorherige Projektbewilligung durch die Länder –<br />

verfügen, wenn sie damit Projekte zur Stärkung der <strong>Entwicklung</strong> der regionalen<br />

Wirtschaft finanzieren.<br />

Experimentierklausel für die Länder<br />

Die Bedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft und für<br />

eine sich selbst tragende regionale <strong>Entwicklung</strong> ändern sich häufig schnell und von<br />

Region zu Region unterschiedlich. Deshalb haben Bund und Länder eine Experimentierklausel<br />

eingeführt. Danach können die Länder jährlich bis zu 10 % ihrer jeweiligen<br />

Landesquote (max. 10 Mio. Euro) für Maßnahmen einsetzen, die nicht im<br />

GRW-Förderkatalog enthalten sind (aber keine direkte Förderung gewerblicher Investitionen).<br />

Diese Möglichkeit läuft – wie auch das Regionalbudget – als Modellvorhaben<br />

bis zum 31.12.2013.<br />

Anreiz für Kooperationen in der Infrastrukturförderung<br />

Für die Förderung von kommunalen Infrastruktureinrichtungen gilt ein Regelfördersatz<br />

von max. 60 %. Die Länder können einen Fördersatz von bis zu 90 % gewähren,<br />

wenn sich das Infrastrukturvorhaben in eine regionale <strong>Entwicklung</strong>sstrategie<br />

einfügt oder im Rahmen einer interkommunalen Kooperation durchgeführt wird.<br />

Alle diese Ansätze 10 geben den Ländern die Möglichkeit, in den GRW-Gebieten<br />

über die Förderung gewerblicher und kommunaler Investitionen hinaus die inneren<br />

Kräfte der Region zu mobilisieren, die regionale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen<br />

und regionale Wachstumsprozesse anzustoßen oder zu verstärken. Ob und gegebenenfalls<br />

wie die Länder diese Möglichkeiten nutzen, liegt allerdings ausschließlich<br />

in ihrer eigenen Entscheidung.<br />

10<br />

Vgl. Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“<br />

ab 2009, a.a.O., S. 52 ff.


22 Dr. Friedemann Tetsch<br />

2. Verlagerung der Schwerpunkte in 40 Jahren<br />

Im Laufe des 40-jährigen Bestehens der GRW haben sich ihre inhaltlichen Schwerpunkte<br />

mehrfach verschoben:<br />

� In den 70er Jahren standen die Probleme ländlicher Regionen im Mittelpunkt.<br />

Die regionalpolitische Debatte war geprägt von der Dichotomie Ballungsraum –<br />

ländlicher Raum.<br />

� In den 80er Jahren traten die Probleme alter, monostrukturierter Industrieregionen<br />

stärker in den Fokus. Dies verlangte die Suche nach neuen Instrumenten<br />

und die Abstimmung mit anderen Politiken, insbesondere mit der Arbeitsmarktpolitik.<br />

Besonders hervorzuheben ist, dass dies die Bereitschaft verlangte,<br />

auf bisherige Besitzstände zu verzichten.<br />

� Die 90er Jahre waren dominiert vom Aufbau der neuen Bundesländer. 1990/91<br />

gab die Politik die Losung aus: Viel hilft viel! Das hieß: Möglichst viel Fördermittel<br />

in die neuen Länder pumpen, möglichst hohe Fördersätze gewähren,<br />

möglichst wenig oder gar keine kodifizierten Förderregeln anwenden, manchmal<br />

auch möglichst wenig hinterfragen und kontrollieren.<br />

In der GRW ist es damals gelungen, ein wirksames, aber auch ordnungspolitisch<br />

und regional verträgliches Fördersystem zu entwickeln. Unter hohem Zeit- und Problemdruck<br />

wurden hohe Fördermittel umgesetzt. Es wurden neue Förderansätze<br />

und Förderinstrumente ausprobiert und installiert. Es wurden die bestehenden Förderregeln<br />

bis an den Anschlag ausgeschöpft. Dies alles haben die westdeutschen<br />

Länder mitgetragen, d.h. fast immer einstimmig mit beschlossen. Obwohl sie im<br />

Gegenzug weniger Fördermittel, weniger Fördergebiet und geringere Fördersätze<br />

hinnehmen mussten; obwohl Berlin- und Zonenrandförderung ganz wegfielen.<br />

Trotz der großen Herausforderungen und Belastungen im Zusammenhang mit dem<br />

Wiederaufbau der neuen Länder ist es der Gemeinschaftsaufgabe gelungen, Solidarität,<br />

Kooperation und Zusammenhalt zwischen Bund und Ländern sowie den<br />

Ländern untereinander in diesem Politikbereich zu bewahren.<br />

Bis Mitte der 90er Jahre hat die GRW – im Zusammenwirken mit anderen raumwirksamen<br />

Politikbereichen (Verkehrspolitik, Arbeitsmarktpolitik) – sichtbare Aufbauerfolge<br />

bei relativ wenigen Fehlschlägen erzielt. Ab 1996 wurde der Zusammenhang<br />

zwischen gesamtwirtschaftlicher und <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> immer offenkundiger.<br />

Schwacher Konjunkturverlauf und permanentes Bemühen der Finanzpolitik<br />

um Abbau auch der konjunkturbedingten Haushaltsdefizite durch Ausgabenkürzungen,<br />

vor allem bei investiven Maßnahmen, haben dann der Wirkung der GRW-<br />

Förderung deutlich engere Grenzen gesetzt. An eine Ausschöpfung der an sich bestehenden<br />

Fördermöglichkeiten war von da an nicht mehr zu denken.


Förderung von Regionen durch die GRW 23<br />

In den letzten 10 Jahren befand sich die GRW permanent in der Defensive:<br />

� Im Kampf gegen Mittelkürzungen, die ihre Existenz gefährdeten.<br />

� Im Kampf gegen einen Paradigmenwechsel in der Politik zugunsten von sogenannten<br />

Metropolregionen.<br />

� Im Kampf gegen die Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände im Zuge<br />

der Föderalismusreform.<br />

� Im Kampf gegen das strategische Bestreben der EU-Kommission, die regionalpolitischen<br />

Handlungsspielräume der Mitgliedsstaaten einzuschränken und<br />

eine eigenständige EU-Regionalpolitik an die Stelle der nationalen Politiken zu<br />

setzen.<br />

In allen diesen Bereichen konnte bisher das Schlimmste verhindert werden. Aber<br />

gleichzeitig sind die Unterstützung der Gemeinschaftsaufgabe im politischen Raum,<br />

ihr finanzieller und beihilferechtlicher Spielraum und damit auch ihre Wachstumsund<br />

Beschäftigungswirkungen kontinuierlich geringer geworden.<br />

III. Regionalpolitik in den nächsten 10 Jahren<br />

1. Die regionalpolitische Problemlage<br />

Vieles von den Grundeinsichten der 60er und 70er Jahre ist mittlerweile verloren<br />

gegangen. Auch das Verständnis dafür, dass langfristige <strong>Entwicklung</strong>en wie Globalisierung,<br />

demographischer Wandel, technologisch-wissenschaftliche <strong>Entwicklung</strong>ssprünge,<br />

Anstieg der Energiepreise, Klimawandel und Entscheidungen vieler Fachpolitiken,<br />

aber auch Finanz- und Konjunkturkrisen die <strong>Entwicklung</strong> der einzelnen<br />

Regionen in ganz unterschiedlicher Weise beeinflussen, also in hohem Maß raumbedeutsam<br />

sind. Und erst recht scheint das Gespür für die Brisanz großer sozialer<br />

und <strong>regionaler</strong> Disparitäten und für ihre Bedeutung für die politische und gesellschaftliche<br />

Stabilität verloren gegangen zu sein.<br />

Heute befinden wir uns in einer Situation, die in mancher Hinsicht derjenigen Ende<br />

der 60er Jahre ähnelt. Damals wie heute sind es vor allem ländlich geprägte Regionen,<br />

die vom Strukturwandel besonders belastet werden und die mit den neuen<br />

Herausforderungen aus eigener Kraft nicht fertig werden. Bei Einkommen, Ausstattung<br />

mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie der kommunalen Finanzkraft weisen<br />

diese Regionen beträchtliche und tendenziell steigende Rückstände auf. Infrastruktureinrichtungen<br />

wie Schulen, Schwimmbäder, Krankenhäuser, Bibliotheken<br />

oder Theater werden dort laufend geschlossen. Private Dienstleister – Post, Bahn,<br />

Kreditinstitute, Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen, Kinos – ziehen sich aus<br />

der Fläche zurück. Moderne technisch-wissenschaftliche Einrichtungen – Hochschulen,<br />

Forschungsinstitute, Breitbandnetze – sind unzureichend oder gar nicht


24 Dr. Friedemann Tetsch<br />

vorhanden. Immer mehr Menschen, insbesondere junge, gut ausgebildete, verlassen<br />

diese Regionen.<br />

So entwickeln sich schnell Spiralen nach unten, sich selbst verstärkende Tendenzen:<br />

Minderung der Standortqualität, Verlust von <strong>Entwicklung</strong>spotential, Zunahme<br />

des wirtschaftlichen Abstands zu anderen Regionen, Anstieg der sozialen Not, dauerhafte<br />

Abkopplung von der allgemeinen <strong>Entwicklung</strong>, weitere selektive Abwanderung<br />

und Rückgang der öffentlichen Einnahmen bei gleichzeitigem Anstieg der öffentlichen<br />

Soziallasten. 11<br />

2. Regionalpolitische Notwendigkeit – regionalpolitische<br />

Möglichkeiten<br />

Im demokratischen Staat, der sich immer noch der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet<br />

fühlt, erwächst daraus hoher politischer Druck und strukturpolitischer<br />

Handlungsbedarf. Deshalb wird auch in Zukunft eine intakte, leistungsfähige Gemeinschaftsaufgabe<br />

erforderlich sein,<br />

� als Garant der Solidarität zwischen starken und schwachen Regionen,<br />

� mit einem System einer indikatorgestützten, transparenten Bewertung <strong>regionaler</strong><br />

Strukturprobleme,<br />

� als Ordnungs- und Koordinierungsrahmen, der die Gleichbehandlung von Regionen<br />

mit gleich gelagerten Problemen sicherstellt,<br />

� als regelgebundene systematische Förderung, die diskretionäre, einzelfallbezogene<br />

Ad-hoc-Entscheidungen vermeidet.<br />

Die politischen Rahmenbedingungen hierfür sind allerdings schwierig:<br />

� Die Bundesregierung plant weitere Kürzungen der Fördermittel der GRW. Die<br />

vorgesehene Kürzung von 88 Mio. Euro Bundesmittel in 2013 würde die Existenz<br />

der Gemeinschaftsaufgabe in Frage stellen. Die Mehrheit der Länder<br />

würde dann keine Mittel oder nur noch Mittel unterhalb einer Bagatellgrenze<br />

erhalten. Damit würden diese Länder das Interesse an der Gemeinschaftsaufgabe<br />

verlieren. Vielleicht ist dies sogar die politische Absicht. Hier gilt: Geld ist<br />

nicht alles. Aber ohne Geld ist alles nichts.<br />

� 2013 endet die gegenwärtige Förderperiode und damit die EU-Genehmigung<br />

des GRW-Fördergebiets. Wenn die EU-Kommission an ihren bisherigen Methoden<br />

zur Festlegung der Fördergebiete nach Art. 87, Abs. 3a EU-Vertrag und<br />

zur Festlegung eines Fördergebietsplafonds für nationale Fördergebiete nach<br />

11 Vgl. Tetsch, Friedemann: Touristische Perspektiven des ländlichen Raums unter wirtschaftspolitischen<br />

Gesichtspunkten, Vortrag auf dem Deutschen Landschaftspflegetag 2008, Internetseite des<br />

Deutschen Verbands für Landschaftspflege e.V., Vorträge und Referate.


Förderung von Regionen durch die GRW 25<br />

Art. 87, Abs. 3c EU-Vertrag festhält, 12 wird Deutschland ab dem 1.1.2014 über<br />

deutlich weniger Fördergebiete dieser beiden Kategorien verfügen. Denn mit<br />

den Erweiterungen der EU der letzten Jahre ist der EU-Durchschnitt beim<br />

Bruttoinlandsprodukt deutlich gesunken und bei der Arbeitslosenquote deutlich<br />

gestiegen. Die deutschen Regionen sind dadurch im EU-Vergleich, d.h. statistisch,<br />

reicher geworden. Auch wenn 2014 noch ausreichend Fördermittel<br />

verfügbar wären, müsste sich die deutsche Regionalförderung auf engere beihilferechtliche<br />

Spielräume einstellen.<br />

Engerer beihilferechtlicher Spielraum heißt konkret: weniger Fördergebiete und geringere<br />

Förderhöchstsätze in Deutschland als bisher.<br />

Aber auch unter diesen Bedingungen verfügt die Gemeinschaftsaufgabe in ihrer<br />

gegenwärtigen Ausgestaltung noch über Handlungsmöglichkeiten, um die strukturschwachen<br />

Regionen bei der Bewältigung des Strukturwandels wirksam zu unterstützen:<br />

� In dem verbleibenden, von der EU-Kommission genehmigten Fördergebiet<br />

könnte die gegenwärtige investive und nicht-investive Förderung mit relativ hoher<br />

Beihilfeintensität fortgesetzt werden.<br />

� Darüber hinaus könnten strukturschwache Regionen als sog. D-Fördergebiete<br />

ausgewiesen werden. In diesen Gebieten wäre es weiterhin möglich,<br />

- gewerbliche Investitionen von KMU mit herabgesetzten Fördersätzen<br />

(max.10%/20%) oder auch größere Unternehmen nach der De-minimis-<br />

Regelung,<br />

- kommunale Investitionen,<br />

- nichtinvestive Aktivitäten von KMU,<br />

- die Erstellung von integrierten regionalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepten,<br />

- Regionalmanagement-Vorhaben,<br />

- die Kosten von Kooperationsnetzwerken und Clustermanagementvorhaben,<br />

- Regionalbudgets<br />

zu fördern. Alle diese Förderansätze werden von restriktiveren beihilferechtlichen<br />

Vorgaben der EU-Kommission nicht getroffen. Aber selbstverständlich benötigt<br />

man auch hierfür ausreichend Fördermittel.<br />

12<br />

Vgl. Leitlinien der EU-Kommission für staatliche Beihilfen mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung (ABl. C 54/13)<br />

vom 4.3.2006


26 Dr. Friedemann Tetsch<br />

3. Zur Weiterentwicklung der Regionalpolitik<br />

Am Ende der tiefgreifendsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg<br />

und angesichts fortscheitender Globalisierung sowie drohender wirtschaftlicher und<br />

gesellschaftlicher Verwerfungen durch den demografischen Wandel, bei zunehmenden<br />

sozialen und regionalen Disparitäten sowie der Gefahr wachsender sozialer<br />

Spannungen und Verteilungskonflikte steht die Regionalpolitik vor einem Dilemma.<br />

Auf der einen Seite müsste sie Regionalprobleme bewältigen helfen, die immer<br />

gewichtiger und komplexer werden. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als ob<br />

ihre politischen, finanziellen und (beihilfe-)rechtlichen Möglichkeiten hierzu immer<br />

geringer werden. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müsste die Regionalpolitik<br />

zu einer umfassenden regionalen <strong>Entwicklung</strong>s- und Strukturanpassungspolitik<br />

weiterentwickelt werden.<br />

Erstens: Im politischen Raum müsste wieder das Bewusstsein geschaffen werden,<br />

dass es in Deutschland nach wie vor strukturschwache Regionen gibt, dass deren<br />

Probleme in Zukunft tendenziell größer werden und dass diese Regionen, insbesondere<br />

ländlich strukturierte, der staatlichen Hilfe bedürfen.<br />

Zweitens: Die wichtigsten raumwirksamen Politiken müssten besser mit der Regionalpolitik<br />

abgestimmt werden (Programmkoordination), d.h. sie müssten die Ziele<br />

der Regionalpolitik explizit als Nebenziele in ihr fachpolitisches Zielsystem aufnehmen.<br />

Die Fragen der Quantität und Qualität der Kinderbetreuungs- und Bildungsangebote<br />

in einer Region, der Versorgung mit Gesundheits- und Betreuungsleistungen,<br />

der Verfügbarkeit schneller Internetdienste oder der Ausstattung mit eigenen<br />

Finanzmitteln bzw. des Ausgleichs für Soziallasten oder der Kosten neu übertragener<br />

Aufgaben sind heute für die <strong>Entwicklung</strong> der einzelnen Regionen viel wichtiger<br />

als z.B. die Frage der finanziellen Förderung durch die GRW. Durch eine bessere<br />

Abstimmung könnten die Wirkungen der staatlichen Politik zugunsten der strukturschwachen<br />

Regionen (in einer umfassenderen Definition) deutlich erhöht werden.<br />

Zuallererst könnten konterkarierende Effekte vermieden werden. In einer Reihe von<br />

Fachpolitiken, z.B. in der Agrarpolitik, der KMU-Förderung, der Innovations- und<br />

Technologietransferförderung oder der Städtebauförderung, könnten durch eine<br />

stärkere Fokussierung des Mitteleinsatzes auf strukturschwache Regionen sogar<br />

Synergieeffekte erzielt werden. So könnten auch Mitnahmeeffekte in diesen Politikfeldern<br />

verringert werden und damit den fachpolitischen Zielen gedient werden.<br />

Die Gemeinschaftsaufgabe könnte und müsste für eine wirksamere Koordinierung<br />

den regionalpolitischen Orientierungsrahmen liefern, insbesondere durch eine Bestimmung<br />

der strukturschwachen Regionen nach bundeseinheitlichen, problemgerechten<br />

und abgestimmten Kriterien sowie durch die Bereitstellung von situationsangepassten<br />

regionalpolitischen Konzeptionen.


Förderung von Regionen durch die GRW 27<br />

Drittens: Aber auch die Gemeinschaftsaufgabe müsste sich weiterentwickeln. Die<br />

Länder müssten die in den letzten Jahren eingeführten „weichen“ Fördermöglichkeiten<br />

intensiver und zielgerichteter nutzen. Sie müssten auch von der Experimentierklausel<br />

offensiv Gebrauch machen. Die Gemeinschaftsaufgabe müsste sich außerdem<br />

über den engen Bereich der Wirtschaft hinaus für alle Projekte öffnen, die<br />

für die <strong>Entwicklung</strong> einer Region relevant sind. Bei großer und zunehmender Bedeutung<br />

sogenannter weicher Standortfaktoren, wie Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit,<br />

Kultur, Freizeit und Versorgung mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen,<br />

könnte es regionalpolitisch sinnvoll sein, dass sich die GRW punktuell daran<br />

beteiligt, öffentliche/private Leistungsangebote in strukturschwachen Regionen<br />

aufrecht zu erhalten oder zur Steigerung der Standortattraktivität zu verbessern.<br />

Viertens: Schließlich müsste die Regionalpolitik aktiver als bisher die Rolle eines<br />

Moderators oder Mediators in regionalen <strong>Entwicklung</strong>sprozessen, wie etwa in Regionalkonferenzen,<br />

regionalen themenbezogenen Arbeitsgruppen, bei Regionalkrisen<br />

und Regionalkonflikten, übernehmen. Sie müsste Anstöße für neue <strong>Entwicklung</strong>en<br />

geben, beispielhafte Projekte und Problemlösungen zur Verfügung stellen. Sie<br />

müsste Dienstleister im umfassenden Sinn für strukturschwache Regionen sein. Die<br />

anstehende Reform der Bundeswehr mit vermutlich weit reichenden Folgen für viele<br />

Standorte im ländlichen Raum könnte hierfür schon bald reichlich Gelegenheiten<br />

bieten.<br />

Kontakt:<br />

Dr. Friedemann Tetsch<br />

Leiter Unterabteilung „Strukturpolitik“ im Bundeswirtschaftsministerium<br />

(bis November 2008)<br />

Görlitzer Weg 7<br />

53340 Meckenheim<br />

Tel.: 02225 - 10 594<br />

E-Mail: f.tetsch@t-online.de


28 Dr. Friedemann Tetsch


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht –<br />

was geht nicht?<br />

von Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke 13<br />

Regionale Globalbudgets: Grundsätzliches, Legaldefinition, EU-<br />

Vorgaben<br />

Regionale Zusammenschlüsse und Gebietskörperschaften gieren seit Langem nach<br />

regionalen Globalbudgets im Rahmen der europäischen und der nationalen Regionalpolitik.<br />

Sie wollen selbst entscheiden, selbst kofinanzieren, umsetzen und mit<br />

verantworten, erheben aber auch den Anspruch, vom Staat nicht alleine gelassen<br />

zu werden. Regionale Globalbudgets, sei es nun als Globalzuschuss oder in anderen<br />

Formen von Regionalbudgets, sind der Versuch von regionalen Zusammenschlüssen<br />

auf die staatliche regionale Strukturpolitik Einfluss zu nehmen. Es geht<br />

um regionale Selbstbestimmung, um regional angepasste und situationsgerechte,<br />

vermeintlich effizientere dezentrale Förder- und <strong>Entwicklung</strong>smaßnahmen, die regionale<br />

Absorptionsfähigkeit von Fördermitteln sowie um Subsidiarität und regionales<br />

Selbstbewusstsein. Damit einher geht auch die eigene regionale Profilierung im<br />

Standortwettbewerb. Regionale Projektträger sind gegen eine reine Austerity-Politik,<br />

aber sie haben alleine auch nicht die Mittel, die Kompetenzen und Finanzen sich<br />

nur aus regionalen Eigenpotentialen zu helfen. Das kennen wir seit der Auftaktveranstaltung<br />

zur regionalen Strukturkonferenz Ostfriesland 1987.<br />

Es hat sich herausgestellt, dass frühere Vorstellungen einer rein eigenständigen<br />

(endogenen) Regionalentwicklung auch bei sehr starken ländlichen Regionen, wie<br />

in West-Niedersachsen und in Südbayern, nicht der Realität entsprechen. Die Lösung<br />

liegt in der Anwendung des arbeitsteiligen Gegenstromprinzips bottom-up und<br />

top-down (Multilevel Governance mit Stärkung aller Ebenen), dem geordneten Zusammenspiel<br />

von kommunaler und staatlicher Wirtschaftsförderung.<br />

13 Der Verfasser äußert sich in diesem Fachartikel in eigener wissenschaftlicher Verantwortung und<br />

nicht im Namen des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Regionale<br />

Teilbudgets hat der Leiter der nds. Verwaltungsbehörde MR Eberhardt Franz vorgeschlagen<br />

und eingeführt. Der Verfasser hat die operative kommunale Förderung von KMU umgesetzt und<br />

realisiert.


30 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

Beide Politikebenen haben ihr eigenes unterschiedliches Instrumentarium, das man<br />

nicht ungestraft vermischen kann. Die Kommunen agieren tendenziell ganzheitlich<br />

gemäß örtlicher Allzuständigkeit im Grundgesetz und der Staat vertikal linearisiert<br />

nach dem in der Verfassung verankerten Ressortprinzip. Man darf Strukturen der<br />

ländlichen Regionalentwicklung im Agrarbereich auch nicht mit den Lösungsmustern<br />

der regionalen Wirtschaftsförderung vermischen. LEADER+ Methoden und<br />

Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (ILEK) haben in der staatlichen Wirtschaftsförderung<br />

nichts verloren: Größere Investitionen kann man nicht diskursiv<br />

dezentral entscheiden. Die Unternehmensförderung ist nach Verwaltungsverfahrensgesetz<br />

vertraulich, unbeachtlich der Veröffentlichung der Liste der Endempfänger.<br />

Staatliche Finanzengpässe darf man nicht mit einer Dezentralisierung der Zielfindung<br />

und Projektentscheidung beantworten, sonst führen die Verteilungskämpfe<br />

in einem Flächenland zur politischen Paralyse. Staatliche Förderrichtlinien kann<br />

man nicht mit mehreren Hundert Selbstverwaltungskörperschaften entwickeln. Dafür<br />

gibt es den Referentenentwurf und die Anhörung der Spitzenverbände in der<br />

Geschäftsordnung der Landesregierungen. Wer da noch Nicht-<br />

Regierungsorganisationen in die staatliche Förderung integrieren will, wie die EU-<br />

Kommission, trennt Zielfindung, Finanz- und Projektverantwortung, vermischt die<br />

Ebenen, lässt Unzuständige über Unzuständiges vorentscheiden, verstößt gegen<br />

die deutsche Kommunalverfassung und tritt methodische Grundprinzipien der integrierten<br />

Regionalentwicklung mit Füßen.<br />

Legaldefinition in der Grund-VO 1083/2006 Abschnitt 3 Art. 42 und 43<br />

Regionale Globalzuschüsse sind im Modell selbstständige finanziell getrennte<br />

Teilauskoppelungen aus großen Operationellen Programmen, die regional selbst<br />

verwaltet, selbst kofinanziert und verantwortet werden sollen. Bei einer größeren<br />

Zahl von derartigen Globalzuschüssen in großen Flächenländern (NUTS I) ergeben<br />

sich Fragen der zentralen Steuerung und Verantwortung (gegenüber der EU als<br />

Zuwendungsgeber), der kameralistischen Mittelzersplitterung, der Unflexibilität im<br />

Programmzeitraum und der Schwächung der Zentralebene. Wenn insgesamt sehr<br />

viel Geld zur Verfügung steht, kann man sowohl zentrale große impulssetzende<br />

Vorhaben als auch regionale Projekte über Globalzuschüsse und andere Formen<br />

von Regionalbudgets parallel realisieren. Dies ist nicht der empirische Normalfall. Je<br />

geringer das verteilbare Gesamtvolumen, desto fraglicher werden regionale Globalbudgets<br />

auch aufgrund der Gefahr von Ausgaberesten und N+2 Mittelverlusten in<br />

den Fonds. Auf der anderen Seite haben z.B. die Bundesländer (auch Niedersachsen)<br />

nicht genug Geld um sehr hohe Programmvolumina nur noch aus Landesmitteln<br />

national öffentlich kozufinanzieren. Demnach entlasten regionale <strong>Finanzierung</strong>sbeiträge<br />

auch die Zentralebene.


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 31<br />

Dabei erhebt sich eine Reihe grundsätzlicher zuwendungsrechtlicher Fragen. Die<br />

förderrechtliche Zuwendungsfähigkeit ist bei informellen regionalen Kooperationen<br />

oft nicht gegeben. Selbstverantwortete regionale Globalbudgets scheiden in diesen<br />

Fällen aus.<br />

Darüber hinaus sind Förderthemen und Projekte maßstabsgebunden. Nur wenige<br />

Maßnahmen sind für größere Regionen geeignet, alle Instrumente haben immer<br />

einen inhärenten geografischen und verwaltungspolitischen Maßstab, in dem sie gut<br />

funktionieren. Zu große Regionen (RIS Weser-Ems und andere sogenannte Makroregionen)<br />

sind in Zielfindung und Entscheidungsstrukturen politisch nicht auf Dauer<br />

einigungsfähig. Ihr Lösungspotential ist auf den engeren Konsensbereich inhaltlich<br />

begrenzt (Kompetenzzentren in RIS Weser-Ems), als typische NUTS-III Einheit<br />

funktionieren sie nicht, oder die Mitgliedseinheiten einigen sich nicht oder übertragen<br />

die Zuständigkeiten der Wirtschaftsförderung nicht auf die Region.<br />

NUTS-II Regionen, die Nicht-Verwaltungsregionen sind (in Niedersachsen nach<br />

Auflösung der alten Regierungsbezirke), sind als Zuwendungsebene für Strukturfondsmittel<br />

nicht mehr geeignet. Eine rechtliche Übertragung gebietskörperschaftlicher<br />

Aufgaben der Wirtschaftsförderung der NUTS-III Ebene auf größere Zusammenschlüsse<br />

ist notwendig. In Niedersachsen ist dies durch Landesgesetz nur in<br />

der Region Hannover gelungen; im Zweckverband Großraum Braunschweig durch<br />

Landesgesetz geregelt, aber nicht umgesetzt worden.<br />

In der Konsequenz all dieser Überlegungen konnten in Niedersachsen nur die sogenannten<br />

Regionalisierten Teilbudgets (RTB) für Landkreise im Rahmen des Operativen<br />

Landesprogramms zum EFRE eingeführt werden. Dies aber nicht für große,<br />

Kreisgrenzen überschreitende Kooperationsräume, sondern für Einzelkommunen.<br />

Das Ergebnis dieses Systems sind harte Investitionsmaßnahmen auf Kreisebene<br />

und unverbindliche nicht-investive weiche Kooperationsvorhaben auf über<strong>regionaler</strong><br />

Ebene. Dies ist systembedingt!<br />

Für zwischengeschaltete Stellen zur Verwaltung von Globalbudgets gibt es eine<br />

Legaldefinition der EU: Der Mitgliedstaat oder die Verwaltungsbehörde kann nach<br />

Art. 42 der Grundverordnung für die Strukturfondsperiode 2007 bis 2013 die Verwaltung<br />

und Durchführung eines Teils eines Operationellen Programms einer oder<br />

mehreren zwischengeschalteten Stellen übertragen. Das können auf der Basis von<br />

bindenden Vereinbarungen sein: Lokale Behörden, Regionale <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen<br />

(nach EU-Recht sogar Nicht-Regierungsorganisationen). Diese Übertragung<br />

berührt nicht die finanzielle Verantwortung der Verwaltungsbehörde und der Mitgliedstaaten.<br />

Hierfür gibt die beliehene Stelle eine Finanzgarantie. Die mit der Verwaltung<br />

von Globalzuschüssen beauftragte zwischengeschaltete Stelle weist nach,<br />

dass sie solvent ist, über Sachkenntnis und die erforderliche Verwaltungs- und<br />

Fachkompetenz verfügt. Die Übertragungsvereinbarung legt das Förderziel, die


32 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

Förderart, die Maßnahme(n) und Kriterien für die Auswahl von Begünstigten sowie<br />

die Fördersätze und den Interventionssatz, die EFRE Begleitung, Bewertung und<br />

Finanzkontrolle fest.<br />

In der deutschen Regionalpolitik reicht die Forderung, regionale Problemkenntnis<br />

und Zuständigkeiten stärker in der staatlichen Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik<br />

mitreden zu lassen, weit zurück, mindestens bis zu einem Bundestagshearing<br />

1984 zur Regionalen Strukturpolitik und bis zum 20. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe<br />

zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) in<br />

Deutschland (1990). Vorbild sind angelsächsische Muster der block-grants. Es wird<br />

behauptet, die Bottom-up-Mitwirkung regional Verantwortlicher an der Zielfindung,<br />

der Programmierung, der späteren Projektierung, Mitfinanzierung und Umsetzung<br />

erhöhe die Motivation zur Umsetzung <strong>regionaler</strong> Strategien und die Effizienz des<br />

Mitteleinsatzes, verbessere die Kofianzierungsmöglichkeiten und entlaste die staatliche<br />

Ebene. Insgesamt sei ein dezentrales und subsidiäres Fördersystem rationaler<br />

und effektiver. Das ist der Mainstream. Die strukturpolitische Realität der gemischten<br />

Multilevel-<strong>Finanzierung</strong>, der ressortübergreifenden Programmierung und der<br />

Entscheidung über Programmprioritäten bei hohen Milliardenbeträgen sieht deutlich<br />

anders aus. Das hat realpolitische Gründe, die in dem raumwissenschaftlichen Hypothesengefüge<br />

bislang nicht abgebildet sind und den akademischen Wissenschaften<br />

häufig von außen nicht zugänglich sind.<br />

Das Gesamtgefüge funktioniert nur, wenn das EU-Primärrecht im Beihilferecht, bei<br />

den Rechtsgrundlagen zur nationalen GRW-Förderung (Leitlinie für staatliche Beihilfen<br />

mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung) und bezüglich der Fortführung des Ziels Regionales<br />

Wachstum und Beschäftigung (RWB; ehemals Ziel 2) im EFRE einen Rahmen<br />

belässt, der regional angepasste Programmplanungen überhaupt weiter zulässt. So<br />

positioniert sich auch die deutsche Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom<br />

Oktober 2009 (S. 35 Ziff. 1772 und 1776 sowie S. 112).<br />

Man kann mit kommunaler Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen<br />

(KMU) aus dem EFRE keine aus der Krise herausführende industrielle Stabilisierungsstrategie<br />

betreiben. Man kann ohne den Ausbau spezieller großer Basisinfrastrukturen<br />

an der Küste in Norddeutschland keine Küstenentwicklung betreiben.<br />

Landesentwicklungspolitik kann immer nur im Gegenstrom zentraler Vorgaben,<br />

Großprojekte und <strong>regionaler</strong> Umsetzung funktionieren, nicht nur mit Hilfe kleiner<br />

örtlicher Projekte aus dem lokalen Kontext. Die Instrumente müssen sich ergänzen.<br />

Wenn dies nicht parallel dotiert werden kann, gibt es ein Absacken der realökonomischen<br />

Wirkungen der regionalen Strukturpolitik insgesamt.<br />

Auch völlig neue Zielvorgaben der EU, die mit regionalpolitischen Instrumenten<br />

nicht wirklich operativ umgesetzt werden können, sind nicht hilfreich. All dieses<br />

droht derzeit, so dass den regionalen und kommunalen Bedarfsträgern nur geraten


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 33<br />

werden kann, zunächst dazu beizutragen, dass die Zentralebene weiterhin überhaupt<br />

genug Mittel zur Verfügung hat, um anschließend regionalen Initiativen der<br />

zweiten Ebene Spielräume geben zu können. Ob es noch einmal die unten beschriebenen<br />

Regionalisierten Teilbudgets (RTB) in Niedersachsen geben kann und<br />

mit welchen Mitteln sie dotiert werden könnten, wird sich erst Ende 2012 abzeichnen.<br />

Bis dahin haben reine regionale Globalbudgets realpolitisch weiterhin nur eine<br />

inhaltlich und finanziell begrenzte Chance.<br />

In verschiedenen Dokumenten hat die EU-Kommission die Mitwirkung von regionalen<br />

Trägern schon bei der Programmierung, aber insbesondere bei der Projektumsetzung<br />

angelegt und grundsätzlich ermöglicht: Die Kommission weist z.B. in den<br />

Strategischen Kohäsionsleitlinien (BT Drs. 507/06 KOM (2006) Ratsdokument<br />

11706/06) auf die Leistungsfähigkeit, institutionellen Kapazitäten und Governance-<br />

Faktoren für die Umsetzung vor Ort hin. Hier sei Partnerschaft aller maßgeblich<br />

Beteiligten auf lokaler und <strong>regionaler</strong> Ebene unerlässlich. Gefordert werden: Konsultation<br />

und Beteiligung von Behörden, Wirtschafts- und Sozialpartnern sowie der<br />

„Zivilgesellschaft“, inklusive Nicht-Regierungsorganisationen. Ziel ist die Mobilisierung<br />

von innovativem Wissen, Lösungskompetenzen und Innovationsfähigkeit. Beispielhaft<br />

sind die bei der Schlussabrechnung später beanstandeten Regionalen Innovationsstrategien<br />

(RIS) der Periode 1994-99. Die deutschen kommunalen Spitzenverbünde<br />

bewegen sich nicht so weit: Sie verweisen auf Probleme mit dem<br />

Budgetrecht deutscher Gebietskörperschaften und der Kommunalverfassung für die<br />

Vertretungskörperschaften. Dort sind Beteiligungsformen, wie sie die EU vorsieht,<br />

nicht durchsetzbar. Hier liegt der Grund, warum es Beschränkungen in der Geschäftsordnung<br />

der Begleitausschüsse (z.B. Anhörung bei Richtlinienerstellung und<br />

keine Mitwirkung bei haushaltsrelevanten <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen) bei den<br />

Strukturfonds gibt.<br />

In den Überlegungen zur Territorialen Kohäsion wird auf die Bedeutung geografischer<br />

Aspekte in der EU-Kohäsionspolitik verwiesen (BT-Drs. 507/06, Ziff. 2, S. 69).<br />

Regionsspezifisch angepasste und situationsgerechte Förder-instrumentierungen<br />

sind der tragende Gedanke. Die auf regional-individuellen Fähigkeiten gründende<br />

Behandlung aller unterschiedlich strukturierten Gebiete wird als insgesamt wachstumsfördernder<br />

Faktor eingestuft. Dies öffnet die Möglichkeit unterschiedlich strukturierte<br />

ländliche und städtische Regionen mit ihrem jeweils – eventuell auch nur kleinen<br />

Beitrag – im Rahmen einer „potentialorientierten“ Politik einzubinden und entspricht<br />

sowohl einer Grundforderung der Kohäsionspolitik wie auch der kommunalen<br />

Spitzenverbände. Es wird gefordert regionale Verwaltungs- und Umsetzungskompetenz<br />

im Rahmen von Mehrebenen-Strategien und im Gegenstrom von <strong>regionaler</strong><br />

und staatlicher Strukturpolitik zu entwickeln. Ausschlaggebend ist die regionale<br />

Politikfähigkeit von Hauptverwaltungsbeamten und kommunaler Politik, Gremi-


34 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

en, Netzwerken, Kammern, Verbänden, Sparkassenwesen und <strong>regionaler</strong> Kreditwirtschaft.<br />

Hier gibt es sowohl zeitgeschichtlich gewachsene Schwäche- als auch<br />

Stärke-Regionen (Lüchow-Dannenberg oder Holzminden vs. Emsland und Hildesheim).<br />

Die Organisation der kommunalen Wirtschaftsförderung ist zusammen mit<br />

Leadership einer der Hauptfaktoren bei regionalen Schlüsselunternehmen. Bei der<br />

Programmierung der Operationellen Programme des EFRE sollen spezielle geografische<br />

und sozioökonomische Bedürfnisse und Eigenheiten berücksichtigt werden<br />

können. Alle Regionen sollen eine Chance erhalten eine potentialorientierte Strategie<br />

zu entwickeln. Good Governance und Partnerschaft seien tragende Faktoren.<br />

Diese Diskussion fußt auf drei Jahrzehnten, in denen eine Vielzahl <strong>regionaler</strong> Initiativen<br />

und Kooperationsprojekte begleitet, gefördert und vom Verfasser auch finanziert<br />

wurden. In aufeinanderfolgen Modewellen haben die Förderreferate in den<br />

Ländern praktisch alles „mal ausprobiert“ und teils negative <strong>Finanzierung</strong>serfahrungen<br />

gewonnen.<br />

Drei Jahrzehnte verwaltungs-regionalwissenschaftliche und raumordnerische<br />

Debatte über Initiativen und Maßnahmen von Regionen<br />

Bis auf die weiter unten beschriebenen RTBs und ihr Einsatz für die kommunale<br />

investive Zuschussförderung von KMU aus dem EFRE waren über viele Jahre hinweg<br />

die von den regionalen Trägern eingesetzten und umgesetzten Fördermaßnahmen<br />

mehrheitlich dem nicht-investiven Bereich zuzuordnen. Beispiele aus drei<br />

Jahrzehnten hat der Verfasser im Bericht der Gesellschaft für Regionalforschung<br />

über das Winterseminar 2010 in Matrei dargestellt. Dazu gehören Maßnahmen wie<br />

Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte, Regionalmanagement, neuerdings kleine Regionalbudgets<br />

in der GRW, Clustermanagement, Kooperation und Vernetzung, Regionalmarketing,<br />

regionales Gründungscoaching, Business Angels, Beratungsförderung,<br />

Technologieberatung und <strong>Finanzierung</strong>sberatung.<br />

Man war mehrheitlich der Auffassung, dass mindestens die einzelbetriebliche Unternehmensförderung<br />

nicht regionalisiert und nicht öffentlich in diskursiven Strukturen<br />

behandelt werden dürfe, da derartige Förderfälle nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz<br />

dem Datenschutz unterliegen. Öffentlich sind nur die nachträglichen Listen<br />

der endbegünstigten Zuwendungsempfänger im EFRE und seit 2008 auch in<br />

der GRW. Bei der wirtschaftsnahen Infrastrukturförderung gibt es in Hessen,<br />

Schleswig-Holstein und einigen neuen Ländern zwar eine staatliche Förderung,<br />

aber eine vorlaufende Behandlung von Projekten durch regionale Vorentscheidungsgremien.<br />

Nach hiesiger Kenntnis betrifft aber die regionale Mitwirkung im<br />

Vorfeld der Entscheidung über Investitionen nicht die Bewilligungsentscheidung


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 35<br />

selbst. Große Investitionsentscheidungen sind nirgendwo regionalisiert worden. Die<br />

hier erwähnten Regionalansätze sind sämtlich diskursive Beteiligungs- und Kooperationsansätze,<br />

teils mit zentraler Moderation in der Schweiz, Österreich und Nordrhein-Westfalen,<br />

teils mit Förderprogrammen untersetzt. Aus heutiger Sicht fällt die<br />

begrenzte Persistenz der Ansätze auf, auch dass diese nie geeignet waren, investive<br />

größere Projekte zu koordinieren. Sie waren sämtlich keine sogenannten Regelförderungsprogramme,<br />

sondern hatten Sonderprogramm-Charakter. Am weitesten<br />

institutionalisiert waren über mehrere Jahre hinweg die Regionen in NRW<br />

(1985 bis 90/92). Nach 1997 wurde dieses Aktionsfeld durch neue Clusterprojekte<br />

und später durch sogenannte „Regionale NRW“ (nach 2003) abgelöst. Allen gemeinsam<br />

sind die Zielfindung in größeren Entscheidergremien und der Versuch,<br />

gemeinsame Projekte aufzusetzen. Diese waren durchgängig nicht-investive Vorhaben.<br />

Bis heute ist es dagegen nicht wirklich gelungen, realökonomische Wirkungen<br />

all der schwach institutionalisierten kooperativen Regionalansätze nachzuweisen.<br />

Ein Grund, die operative Förderung auf NUTS-III Ebene (in Deutschland die Landkreise)<br />

anzudocken, ist die Tatsache, dass man zuwendungsrechtliche Empfänger<br />

mit Vertretungskörperschaftsstatus und eigener Finanzhoheit braucht. Das sind die<br />

kreisfreien Städte und Landkreise, die selbst kofinanzieren können und selbst entscheiden.<br />

Will man Förderprogramme, Budgets oder die Maßnahmenträgerschaft<br />

auf zwischengeschaltete regionale Stellen verlagern (vgl. Grundverordnung für die<br />

Strukturfonds), dann braucht man einen körperschaftsrechtlichen Beschluss, Teile<br />

der Wirtschaftsförderung aus dem freiwilligen übertragenen Wirkungskreis formal zu<br />

übertragen (z.B. Hannover-Region auf Hannover-Impuls). Solche Beschlüsse fassen<br />

Landkreise normalerweise nicht, schon gar nicht zu Gunsten von Großkommunen,<br />

wie den benachbarten Stadtstaaten in einer metropolitanen Makroregion. In<br />

der Praxis haben sich bei der Umsetzung der RTB die Einzelinteressen der Landkreise<br />

und kreisfreien Städte durchgesetzt. Unter diesen Umständen ist es insbesondere<br />

auch aus Aspekten der Fondsverwaltung in Niedersachsen weder zu regionalen<br />

Globalbudgets (vielfach aus Weser-Ems gefordert) noch zu zwischengeschalteten<br />

Stellen gem. Strukturfondsverordnung gekommen. Damit ist auch der<br />

Regionalisierungsansatz der regionalen Strukturpolitik für diese Fondsperiode gescheitert.<br />

Er hat in dem Fondsverwaltungssystem, dem Finanzcontrolling-System,<br />

den Ressortpolitiken, auch dem für die Raumordnung zuständigen Landwirtschaftsministeriums<br />

in Niedersachsen keine Durchsetzungschance.


36 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

Beispielhafte regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte der letzten Jahre<br />

in Niedersachsen als Fördergegenstände für regional zu finanzierende<br />

Maßnahmen<br />

In Niedersachsen wurden aus der GRW in den Jahren 1997 bis 2006 insgesamt 16<br />

Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK), sieben Regionalmanagements und ca. 20<br />

Wachstumsprojekte finanziert. Die ursprüngliche Absicht des BMWI im Jahre 1996,<br />

diese Konzepte zur verbindlichen Entscheidungsbasis für die regionale Mitbestimmung<br />

über Investitionsentscheidungen zu machen, wurde faktisch nie umgesetzt.<br />

GRW-Regionalbudgets auf der Basis funktionierender GRW-Regionalmanagements<br />

oder REKs wurden in Niedersachsen erstmals 2010 in der Jade-Weser-Region und<br />

der Ems-Achse bewilligt. Dies erfolgte nur kreisübergreifend. Landkreise wie Hameln,<br />

Holzminden und Lüchow-Dannenberg kamen nach dem Regime der einschlägigen<br />

Richtlinie des Landes nicht zum Zuge. Zudem hat das Land das Instrument<br />

in analoger Anwendung auf den EFRE auch Regionalbudget-Förderung in<br />

ganz Niedersachsen (nach GRW und/oder EFRE) ermöglicht und setzt über drei<br />

Jahre z.T. bis zu insgesamt 600.000 Euro ein. Notwendig ist ein inhaltliches Konzept,<br />

das der Verwendungsprüfung zugänglich ist und ein Arbeits- und Businessplan.<br />

Die neue Initiative Harz ist das bundesweit erste größere Experimentierklauselprojekt<br />

in der GRW mit einem untypischen Fördervolumen von 2 Mio. Euro und<br />

besonders straffem Projektmanagement sowie externer Beratung.<br />

Regionalisierte Teilbudgets (RTBs) aus dem EFRE<br />

An die Stelle der geforderten Globalbudgets traten die aus dem EFRE finanzierten<br />

RTBs. Im Rahmen der Aufstellung der EU-Programme 2007 - 2013 war es ein wesentliches<br />

Ziel des Landes Niedersachsen, die Handlungsspielräume der Kommunen<br />

vor Ort zu erweitern, um zu einer sinnvollen Arbeitsteilung von Land und Kommunen<br />

zu kommen. Dazu sind den Kommunen über verschiedene Kabinettsbeschlüsse<br />

erstmals eigene regionale EU-Budgets eingeräumt worden. Zwischengeschaltete<br />

Stellen und regionale Globalzuschüsse werden nicht umgesetzt. Stattdessen<br />

wurden in Niedersachsen sogenannte fachliche „Regionalisierte Teilbudgets“<br />

eingeführt. Es handelt sich um einen deutschlandweit und von der EU-Kommission<br />

vielbeachteten Ansatz zur Stärkung insbesondere der ländlichen Räume ohne originäre<br />

Landesmittel zu binden. Wie kam es dazu?<br />

Die RTBs innerhalb der EFRE-Programmstrukturen waren eine vom damaligen<br />

Chef der Staatskanzlei Hagebölling und mehreren Staatssekretären 2006 gesetzte<br />

politische Grundsatzentscheidung. Die RTBs wurden auf Kreisebene angesetzt. Für<br />

die großen starken und die kleinen schwachen Kommunen auf NUTS-III Ebene gab<br />

es gleich viel Geld, jeweils 5 Mio. Euro, inklusive der durch die Kommunen aufzu-


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 37<br />

bringenden nationalen öffentlichen Kofinanzierung. Dies bevorzugt durchaus gewollt<br />

die schwachen Landkreise. Mehr als 20 nicht-zuwendungsfähige informelle kreisübergreifende<br />

Regionen und Kooperationsräume werden nicht gefördert. Einige<br />

dieser Regionalinitiativen haben inzwischen ihre Bedeutung verloren oder sind inaktiv.<br />

Damit stellt sich aus heutiger Sicht die – bislang unbeantwortete – ganz grundsätzliche<br />

wissenschaftliche Frage nach der langfristigen Persistenz von Regionalstrukturen.<br />

Vorüberlegungen von Land und Kommunen in Niedersachsen<br />

Die politischen Vertreter der kreisfreien Städte und der Landkreise in Niedersachsen<br />

haben schon seit 1997 ihre Mitwirkung an der Strukturpolitik des Landes Niedersachsen<br />

eingefordert. Das Land Niedersachsen wollte die grundsätzliche Forderung<br />

nach Regionalbudgets berücksichtigen, widersprach aber der Forderung nach Globalzuschüssen,<br />

da aus Sicht des Landes Probleme der inhaltlichen und finanziellen<br />

Gesamtsteuerung befürchtet wurden. In einer eigens dazu eingerichteten Arbeitsgruppe<br />

mit breiter kommunaler Beteiligung und unter Leitung des Wirtschaftsministeriums<br />

(MW) wurde das Modell der RTBs entwickelt. Das MW erwartet in diesem<br />

Rahmen von einem Bottom-up-Verfahren wie das der RTBs hohe regionalökonomische<br />

Impulse. Die RTBs bieten den Landkreisen die Möglichkeit zur Umsetzung von<br />

Projekten bzw. Investitionsvorhaben zur Verbesserung <strong>regionaler</strong> Problemlagen, die<br />

den Akteuren vor Ort oftmals besser bekannt sind als der Landesverwaltung. Das<br />

Land Niedersachsen erhoffte sich eine höhere Qualität der umgesetzten Projekte,<br />

eine geringe Anzahl von Rückforderungen und höhere Arbeitsplatzeffekte in den<br />

Regionen. Durch die Kofinanzierung durch die Kommunen werden neben erweiterten<br />

Entscheidungsbefugnissen auch zusätzliche Verantwortung an die Regionen<br />

weitergegeben. Neben der höheren Verantwortung der Kommunen ist die Entlastung<br />

des Landeshaushaltes, der durch die Kofinanzierung der in dieser Förderperiode<br />

stark angestiegenen EFRE-Mittel zusätzlich belastet wurde, ein weiteres Ziel,<br />

das mit der Einführung der RTBs verbunden wurde. In der Initiierungsphase der<br />

RTBs wurde von Seiten des Landes zudem die Erwartung geäußert, dass zunehmend<br />

Kooperationsprojekte zwischen den Gebietskörperschaften im Rahmen der<br />

RTBs entstehen sollten.<br />

Dieses Modell sieht nach seinem Verfasser MR Franz, dem Leiter der Fondsverwaltung<br />

Niedersachsen, vor, dass die Kommunen „ihr Teilbudget“ nach eigener<br />

Entscheidung (aber vorheriger Information von MW und Genehmigung durch die<br />

NBank) auf die EFRE-Schwerpunkte 1 „Unternehmensförderung“, 2 „Innovation“<br />

und 3 „Infrastruktur“ verteilen können. Dabei ist auch bei der Förderung von Projekten<br />

aus den RTBs das nationale und das EU-Recht einzuhalten, d.h. die Projekte


38 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

müssen sich innerhalb des von der EU-Kommission akzeptierten Förderrahmens<br />

halten. Auf die RTBs entfällt insgesamt eine Summe von rund 130 Mio. Euro, wovon<br />

90 Mio. Euro dem RWB-Gebiet (Ziel 2) und 41 Mio. Euro dem Konvergenzgebiet<br />

(Ziel 1) zuzuordnen sind. Dabei stehen jedem Landkreis/jeder kreisfreien Stadt im<br />

RWB-Gebiet 2,5 Mio. Euro (Region Hannover: 5 Mio. Euro) und jedem Landkreis im<br />

Konvergenzgebiet 3,75 Mio. Euro EU-Mittel aus dem EFRE zur Verfügung. Daraus<br />

ergibt sich zusammen mit der notwendigen nationalen öffentlichen Kofinanzierung<br />

durch die Kommunen ein Programmvolumen von 5 Mio. Euro je Kreis/kreisfreier<br />

Stadt. Es liegt in der Hand der Kommunen, sich zu entscheiden, welche Projekte sie<br />

vor Ort gefördert sehen wollen und wie die RTB-Mittel auf die Schwerpunkte des<br />

EFRE-Programms im Einzelfall verteilt werden sollen. Aus einer Abfrage zum Abschluss<br />

der o.g. AG-Teilbudgets ergab sich die folgende Verteilung der RTB-Mittel<br />

auf die EFRE-Schwerpunkte:<br />

� zwei Drittel der Teilbudgets sollten im ersten EFRE-Schwerpunkt für kreiseigene<br />

Programme zur KMU-Förderung eingesetzt werden,<br />

� ein Sechstel der Mittel sollte für Innovationsprojekte vorgesehen werden<br />

(Schwerpunkt 2),<br />

� ein weiteres Sechstel sollte für Infrastrukturprojekte bereitgestellt werden<br />

(Schwerpunkt 3).<br />

Damit ist die kommunale Förderung von KMU der wichtigste Baustein der Förderung<br />

über Regionalisierte Teilbudgets.<br />

Die neue Förderung von KMU durch die kreisfreien Städte und Landkreise ist ein<br />

erstmaliger flächendeckender Einstieg in eine regionalpolitisch integrierte direkte<br />

Mittelstandsförderung. Die Mitwirkung der Kommunen mit ihrer lokalen Kenntnis von<br />

Schwierigkeiten und örtlichen Bedingungen ist hilfreich für die dezentrale Umsetzung.<br />

Die Rahmenvorgaben sind zentral, es bleibt das Zuwendungsrecht der staatlichen<br />

Wirtschaftsförderung. Es bleibt bei den zweckgebundenen Zuweisungen der<br />

EU-Mittel, die über den Landeshaushalt auf Antrag zugewiesen werden. Das System<br />

ist freiwillig, es ist aber weder eine kommunale Pflichtaufgabe noch eine Standardaufgabe<br />

der örtlichen Gemeinschaft. Das Wirtschafts- und das Innenministerium<br />

haben 2007 überlegt, das Fördersystem in den übertragenen Wirkungskreis der<br />

Landkreise zu geben. Davon wurde Abstand genommen, weil man es hier mit einer<br />

staatlichen Förderung aus Haushaltsmitteln des Landes zu tun hat, die auf Zeit für<br />

die Fondsperiode den Kommunen zur Umsetzung nach EU-Regelungen übergeben<br />

worden ist.


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 39<br />

Hauptunterschiede der kommunalen Förderung für KMU aus dem EFRE zur<br />

GRW:<br />

� die Förderung ist flächendeckend und horizontal;<br />

� Rechtsgrundlagen: Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, de-Minimis-<br />

Verordnung;<br />

� nahezu alle Branchen bis auf ganz wenige rechtliche Ausnahmen;<br />

� investiv auf Sachkapital und Arbeitsplätze ausgerichtet;<br />

� viel kleinteiliger und auf Projekte mit im Schnitt nicht mehr als 10.000 bis<br />

50.000 Euro an Zuschüssen ausgerichtet;<br />

� nach de-minimis ist der Höchstförderbetrag 200.000 Euro;<br />

� fördertechnisch geringere Anforderungen an die KMU-Antragsteller.<br />

Eine besondere Herausforderung war dabei die 10 Monate dauernde, teils streitige<br />

Abstimmung des Referentenentwurfes der zentralen Landesrahmenregelung mit<br />

den 47 beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften in einer Expertenrunde des<br />

Netzwerkes Wirtschaftsförderung Niedersachsen, NEWIN 2006/07 und bei der Novelle<br />

2008, die wegen der Anpassung an die neue Allgemeine EU-<br />

Gruppenfreistellungsverordnung (AGFVO 2008) notwendig war. Hier wurde verwaltungsmethodisches<br />

und -politisches Neuland in Deutschland beschritten.<br />

Das zweistufige Fördersystem wird über die sogenannte „Rahmenregelung des<br />

Landes Niedersachsen zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen aus dem<br />

Europäischen Fonds für Regionale <strong>Entwicklung</strong>“ umgesetzt. Sie besteht aus einem<br />

Erlass an die NBank (Abschnitt 1), der über die Nebenbestimmungen bei den Zuweisungen<br />

von Haushaltsmitteln an die kommunalen Träger der Maßnahme sicherstellt,<br />

dass die Rahmenregelungen (Abschnitt 2) in allen an dem Förderfeld teilnehmenden<br />

Gebietskörperschaften in eigenen kommunalen Förderrichtlinien umgesetzt<br />

werden. Die Abschnitte 1 und 2 sind für die NBank und alle beteiligten Institutionen<br />

verbindlich. Der Anhang des schlanken Dokuments enthält Empfehlungen des Landes<br />

zur Aufstellung der kommunalen Richtlinien. In der Rahmenrichtlinie des Landes<br />

Niedersachsen ist aus beihilferechtlichen Gründen gemäß AGFVO 2008 auf die<br />

Fokussierung auf bestimmte Wirtschaftszweige verzichtet worden. Das Land hat<br />

jedoch erwartet, dass die Landkreise im Rahmen der Erarbeitung ihrer Landkreisrichtlinie<br />

eine Fokussierung auf für sie bedeutende Wirtschaftsbereiche vornehmen<br />

und auf diese Weise regionale Kompetenzen stärken. Die an dem Förderfeld teilnehmenden<br />

Gebietskörperschaften stellen unter Beachtung dieser der EU angezeigten<br />

Rahmenregelung eigene kommunale Förderrichtlinien auf, die der EU-<br />

Kommission nicht anzuzeigen sind. Die Erarbeitung dieser Richtlinien erfolgt in Abstimmung<br />

zwischen den Landkreisen und, auf deren massiven politischen Druck<br />

hin, den kreisangehörigen Städten und Gemeinden. Das Ergebnis des Abstimmungsverfahrens<br />

ist der Bewilligungsbehörde im Rahmen der Antragstellung vor-


40 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

zulegen. Die Kommunen erhalten Zuwendungen der NBank nach diesen Rahmenregelungen,<br />

sie stellen eigene Förderkriterien auf, planen die Mittel ein, entscheiden<br />

über die Förderung der Unternehmen als Endempfänger, bewilligen die Förderung<br />

und sie sind für die Mittelverwendungsprüfung selbst zuständig. Sie berichten über<br />

die Einplanungen, die Bewilligungen, den Mittelabfluss und nehmen an dem landesweiten<br />

Datenaustausch teil. Dieser Bericht dient der Verwaltungsbehörde, den<br />

Prüfstellen und der Bescheinigungsbehörde dazu, die zentrale Mittelverwaltung sicherzustellen.<br />

Zuwendungszwecke sind:<br />

1. Arbeitsplatzschaffende und -sichernde Investitionen;<br />

2. Nicht-investive, im weiteren Sinne investitionsvorbereitende Maßnahmen<br />

Die Träger der Fördermaßnahme können bis zu 25 % des Finanzvolumens für das<br />

kommunale KMU-Programm (EFRE-Mittel einschließlich der kommunalen Kofinanzierung)<br />

für nicht-investive, im weiteren Sinne investitionsvorbereitende Vorhaben<br />

einsetzen. Die kommunalen Träger der Förderung setzen die Mindestbeträge und<br />

die Höchstförderbeträge innerhalb der genannten beihilferechtlichen Höchstgrenzen<br />

selbst fest.<br />

Die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Kommunalen Spitzenverbände haben<br />

große Erwartungen in das Instrument gesetzt, in der Hoffnung die jeweiligen<br />

regionalspezifischen Wirtschaftsförderungsziele effektiv selbst umsetzen zu können.<br />

Der eigene kommunale Handlungsspielraum der Kreise wird erweitert. Das Branchenspektrum<br />

bezieht den gesamten Dienstleistungsbereich, den Handel sowie das<br />

Bau- und Gastgewerbe explizit mit ein. Die Kommunen haben unterschiedliche<br />

Konzepte der Unternehmensförderung konzipiert und setzen spezifische Schwerpunkte<br />

bei den Zielgruppen (Existenzgründung, Kleinstunternehmen). Erklärtes Ziel<br />

der Landkreise und kreisfreien Städte ist es, die Förderung möglichst „nah am Unternehmen“<br />

auszurichten und sich durch die Auswahl der Projekte und umfangreiche<br />

Beratungsangebote Standortvorteile zu erarbeiten. Die intensive Vor-Ort-<br />

Betreuung der „Kunden“ bietet die Möglichkeit der besseren Verknüpfung mit anderen<br />

Aufgabenbereichen der Wirtschaftsförderung. Die RTB-Förderung kann damit<br />

eine „Türöffnerfunktion“ übernehmen. Dies alles wird von den deutschen kommunalen<br />

Spitzenverbänden als interessante Förderlösung eingestuft. Nach den ersten<br />

Verlautbarungen der EU-Kommission zur Strategie 2020 und zur Kohäsionspolitik<br />

ist derzeit aber im März 2011 auch immer noch nicht sicher erkennbar, dass das<br />

beihilfekonforme und für die Kommunen attraktive Fördersystem fortgesetzt und ab<br />

2014 weiter aus EFRE-Mitteln im Zielgebiet RWB in den alten Mitgliedstaaten und<br />

den alten Bundesländern fortgesetzt werden könnte.


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 41<br />

Wirkungskennziffern der kommunalen KMU-Förderung aus RTBs bis 2013:<br />

� 132 Mio. Euro Mitteleinsatz, ca. 5.500 Förderfälle,<br />

� 1,278 Mrd. durch Förderung begleitete Investitionen,<br />

� 14.730 neue Arbeitsplätze,<br />

� 38.000 gesicherte Arbeitsplätze.<br />

Ziel-Mittelrelationen der Förderung:<br />

� ø - Zuschuss pro Fall: ca. 24.000 Euro,<br />

� ø - Förderquote 10 % (6 % bis 20 %),<br />

� ø - Zuschuss pro neuem Arbeitsplatz: ca. 9.000 Euro<br />

Ausgestaltung und Bandbreiten der 47 kommunalen Förderrichtlinien gem.<br />

AGFVO 2008:<br />

� Mindest-Fördersummen zwischen 500 Euro und 70.000 Euro je Förderfall, nur<br />

selten de-Minimis,<br />

� max. Fördersumme 75.000 Euro bei 50 % der 47 Kreise/kreisfr.Städte (15.000<br />

Euro bis 250.000 Euro je Förderfall).<br />

Zur weiteren <strong>Entwicklung</strong> <strong>regionaler</strong> Budgets<br />

Die gemeinsame Erklärung der AG der Kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens<br />

und der Niedersächsischen Landesregierung vom 26. 11. 2009<br />

Landesregierung und kommunale Spitzenverbände haben im November 2009 den<br />

Ausbau eines Instrumentariums zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaften<br />

verabredet. Im Mittelpunkt steht das Prinzip der bürgernahen<br />

Durchführung öffentlicher Aufgaben. Das Niedersächsische Innenministerium prüft<br />

federführend die Möglichkeiten einer weitergehenden Kommunalisierung staatlicher<br />

Aufgaben<br />

1. Die kommunale Ebene hat Vorrang bei der Durchführung öffentlicher Aufgaben,<br />

zu prüfen ist auch eine Verlagerung von Aufgaben der Landkreise auf die<br />

Kommunen. Hierzu ist der Hinweis zu geben, dass sich die Landesregierung<br />

bei der Umsetzung des EFRE ganz auf Landkreise und kreisfreie Städte (47<br />

Kommunen, NUTS III) stützt.<br />

2. Aus Sicht des Wirtschaftsressorts sind die Wirtschaftsförderungseinrichtungen<br />

der NUTS-III Ebene geeignet für die Umsetzung von regionalisierten Teilbudgets.<br />

3. Unterstützung freiwilliger kommunaler Neugliederungen durch Gutachten und<br />

Moderation (z.B. Weser, Harz, Nordostniedersachsen, Ostfriesland, Großraum<br />

Braunschweig).


42 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke<br />

4. Ressortübergreifende Strukturpolitik mit den Kommunen und eine auf den de-<br />

mografischen Wandel ausgerichtete Regionalpolitik des Landes.<br />

5. Intensivierung des Instrumenteneinsatzes für besonders strukturschwache<br />

Gemeinden und die Kommunalisierung von Teilen der staatlichen Wirtschaftsförderung.<br />

Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat schon am 25.2.2009 einen Konsultationsbeitrag<br />

zum „Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt KOM (2008) 616 endg. V. 6.<br />

10.“ abgegeben. Alle Regionen der EU sollen ihren spezifischen Bedürfnissen gemäß<br />

gefördert werden. Man solle nicht einseitig Stärken von Wachstumskernen<br />

stärken. Die Verbände nehmen dabei Bezug auf den alten Art. 158 EGV Kohäsionspolitik.<br />

Zudem sollen Phasing-In und -Out Teilräume gesondert behandelt werden;<br />

angemahnt wird die Beibehaltung eines Systems der schrittweisen Übergangshilfe.<br />

Der DLT argumentiert, dass die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen<br />

eine zentrale Voraussetzung für die Akzeptanz der EU sei.<br />

1. Territorialer Zusammenhalt ist im Kontext des wirtschaftlichen und sozialen<br />

Zusammenhalts zu sehen.<br />

2. Eine einseitige Orientierung auf Humankapital, Exzellenz, Bildung, Forschung<br />

und <strong>Entwicklung</strong> ginge zu Lasten der Fläche und der Infrastrukturpolitik (Problem<br />

Post Lissabon-Strategie).<br />

3. Finanzielle Zuwendungen sollten anhand sozioökonomischer Indikatoren, nicht<br />

nach geografischen Typen vergeben werden.<br />

4. Der DLT stellt auf die Vielfalt der Regionen und spezifischer <strong>Entwicklung</strong>sbedürfnisse<br />

ab. Vorgeschlagen wird eine Kombination aus abstrakten Zweckbindungen<br />

und variablen Kofinanzierungsmöglichkeiten.<br />

5. Die Konzentration auf kleinere Gebietseinheiten soll die regionale und örtliche<br />

Umsetzung sicherstellen.<br />

6. DLT fordert ausreichende Handlungsspielräume für Regionen und Regionalbudgets<br />

(Globalzuschüsse) sowie die Zulassung dezentralisierter Verwaltung<br />

der Fondsmittel.<br />

7. In Analogie zur Gruppenfreistellungsverordnung sollen breitere Maßnahmengruppen<br />

pauschal zugelassen werden.<br />

8. Die Vernetzung ähnlich gelagerter Regionen (AK Grenzregionen), der Europäische<br />

Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) arbeitet seit 2006 und gilt<br />

als weiterführend bei der Lösung von Problemen (gestattet die Lobbybildung,<br />

Anm. d. Verf.).<br />

9. Die regionale Ebene koordiniert sektorale Maßnahmen. Die Koordinierung der<br />

Fonds und die Einbeziehung der Kommunen bei der Programmierung sind sicherzustellen.<br />

Typischerweise treten die kommunalen Spitzenverbände im


Globalzuschüsse und Regionale Teilbudgets: Was geht – was geht nicht? 43<br />

Rahmen der deutschen Kommunalverfassung dafür ein, KEINE weiteren gesellschaftlichen<br />

Akteure einzubinden, wie dies die EU vorsieht.<br />

Damit ist diese Stellungnahme als Schlüsseldokument der Position der substaatlichen<br />

Regionen zu sehen.<br />

Fazit<br />

Der Ausbau und die Weiterentwicklung der RTBs sind landesseitig bei begrenzten<br />

Volumen von max. ca. 15 % des Fondsvolumens im Bereich der Wirtschaftsstrukturpolitik<br />

unstreitig und das NUR als ergänzendes Instrument. Niedersachsen lehnt<br />

demgegenüber trotz der Kofinanzierungsprobleme des Landes regionale Globalbudgets<br />

mit <strong>regionaler</strong> Kofinanzierung weiter ab! Die Begründung dieser Entscheidung<br />

des Chefs der niedersächsischen Staatskanzlei vom September 2009 liegt in<br />

den absehbar sinkenden Mittelvolumina für Niedersachsen aus allen Regelförderungssystemen<br />

des EFRE und inzwischen auch der nationalen GRW. Der Bedarf<br />

an kohäsionspolitischen Mitteln für die Wachstums- UND Ausgleichpolitik liegt in<br />

Niedersachsen bei rund 300 Mio. Euro jährlich (EU und national) und sinkt auch bis<br />

zum Jahr 2020 nicht. Diese Mittel werden nach den derzeit absehbaren Tendenzen<br />

ab 2014 nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus Gründen der Landesentwicklung<br />

sind aber beispielsweise säkulare Investitionen in die Küstenentwicklung und Basisinfrastrukturen<br />

überall im Lande unverzichtbar.<br />

Aus diesem Grunde werden RTBs als ergänzendes Angebot an die Kommunen im<br />

Zuge des „Zukunftsvertrages“ mit dem bisherigen Mittelanteil bei sinkendem Ge-<br />

samtvolumen für das Ziel RWB konzeptionell ausgebaut. Der Kern der RTBs, die<br />

investive kommunale Förderung von KMU, ist nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung<br />

2008 der EU-Beihilfe konform und könnte fortgesetzt werden.<br />

Diese Förderung hat in den nationalen und EU-Fachgremien hohe Aufmerksamkeit<br />

gefunden. Ob die Kommission ihre strategischen Überlegungen zur Strukturfondsperiode<br />

2014-2020 so ergänzt, dass die kommunale Förderung von KMU über<br />

RTB im EFRE weiter möglich bleibt und ausgebaut werden kann, wird sich erst im<br />

Herbst 2011 abzeichnen.<br />

Kontakt:<br />

Apl. Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke, Dipl. Vw.,<br />

Stellv. Leiter Referat 34 Finanzmanagement und Controlling, u.a. (Oberste Instanz<br />

für die Wirtschaftsförderung in Niedersachsen)<br />

Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr


44 Prof. Dr. Dr. habil. Stefan Hartke


AktivRegionen in Schleswig-Holstein – flächendeckende<br />

Umsetzung des LEADER-Konzeptes<br />

von Christina Pfeiffer und Hermann-Josef Thoben<br />

1. Hintergründe<br />

Die Strategie zur ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in Schleswig-Holstein wurde in der EU-<br />

Förderperiode 2007-2013 durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die<br />

<strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums (ELER) neu ausgerichtet. Innerhalb des ELER<br />

ist es Zielsetzung der EU, den seit 1990 im Rahmen der LEADER Gemeinschaftsinitiative<br />

erfolgreich erprobten Bottom-up gesteuerten <strong>Entwicklung</strong>sansatz in die<br />

„Mainstream-Förderung“ einzubringen. Die Landesregierung hat im Rahmen der<br />

Vorbereitung des ELER-Programms für Schleswig-Holstein (Zukunftsprogramm<br />

ländlicher Raum (ZPLR)) entschieden, dass im Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />

vorrangig Mittel nach dem Leader-Konzept eingesetzt werden.<br />

Das Leader-Konzept umfasst gebietsbezogene integrierte <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />

und lokale öffentlich-private Partnerschaften – Lokale Aktionsgruppen (LAG) – mit<br />

Entscheidungsbefugnis für die Ausarbeitung und Umsetzung der integrierten <strong>Entwicklung</strong>sstrategien.<br />

Die LAGs werden in Schleswig-Holstein „AktivRegionen“ genannt.<br />

Das Leader-Konzept wird in Schleswig-Holstein insbesondere für den Förderbereich<br />

der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> flächendeckend umgesetzt. Seit Anfang 2010 werden<br />

in Schleswig-Holstein EU-, Bundes- und Landesmittel im Rahmen der ländlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> nach abgestimmten Spielregeln nur noch über die AktivRegionen eingesetzt.<br />

Die bisherigen Programme der Dorfentwicklung wurden bis auf wenige<br />

Ausnahmen zu Ende geführt. Mit dieser konsequenten Realisierung des Leader-<br />

Konzeptes geht Schleswig-Holstein weiter als die übrigen Bundesländer, die die<br />

Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> nur zum Teil in Leader integriert haben.<br />

Eine wesentliche Motivation für diese weit reichende Umsetzung des Leader- Konzeptes<br />

ist es, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen,<br />

wie Land und Gemeinden sowie Vereinen, Verbänden und privaten Akteuren<br />

anzuregen. Eine OECD-Studie aus den 90er Jahren kommt zu dem Ergebnis, dass<br />

durch die Verbesserung der Kooperationsfähigkeit auf <strong>regionaler</strong> Ebene eine wesentliche<br />

Grundlage für prosperierende Regionen geschaffen wird.


46 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />

Die ländlichen Räume sollen durch gezielte Förderung noch besser unterstützt werden:<br />

� zur Stärkung der Wirtschaftskraft, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen,<br />

� zur Sicherung der Lebensqualität,<br />

� zur Stärkung der Gemeinschaft durch Ermutigung der Menschen mit ihren unterschiedlichen<br />

Stärken zu noch mehr Eigeninitiative und<br />

� zur Schaffung von Anreizen für neue Partnerschaften (Kooperationen).<br />

Mit dem Leader-Konzept setzt das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche<br />

Räume (MLUR) somit auf starke selbst organisierte ländliche Regionen in<br />

Schleswig-Holstein. Die in einer AktivRegion vorhandenen Potenziale (Fähigkeiten<br />

und Erfahrungen der Menschen und Alleinstellungsmerkmale in den regionalen<br />

Strukturen) sollen optimal (nachhaltig) für die künftige <strong>Entwicklung</strong> genutzt werden.<br />

Mit Unterstützung der Medien sollen günstige Rahmenbedingungen (oder besser<br />

nach Maria Montessori: „Eine vorbereitete Umgebung“) geschaffen werden, die die<br />

Akteure in der AktivRegion ermutigen, sich für die <strong>Entwicklung</strong> ihrer Region einzusetzen.<br />

Jede Region hat ihre Besonderheiten und Stärken. Mit Hilfe einer integrierten <strong>Entwicklung</strong>sstrategie<br />

können Ziele und Maßnahmen gebündelt und vernetzt werden.<br />

Die AktivRegionen arbeiten sektorübergreifend zu allen Lebens- und Arbeitsbereichen<br />

im ländlichen Raum. Eine breite Bürgerbeteiligung mit demokratischen Spielregeln<br />

stellt die <strong>Entwicklung</strong> der Region auf eine starke Basis. Die Zusammenarbeit<br />

von Verwaltung, Bürgern, Wirtschaft und Initiativen ermöglicht eine Vernetzung bisher<br />

getrennter Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft. Mit diesen Partnerschaften<br />

kann eine wirksame Verbindung unterschiedlicher Förder- und <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />

leichter erreicht werden. Innovative Projekte können in neuen Partnerschaften<br />

besser umgesetzt werden.<br />

2. Aktuelle Zahlen, Fakten und Beispiele<br />

Insgesamt 21 AktivRegionen haben sich eigenständig im Land etabliert und wurden<br />

bis Anfang 2009 anerkannt. Von den 21 AktivRegionen waren sechs bereits bei<br />

LEADER+ aktiv. Da die Prozesse erst spät gestartet wurden, befindet sich die Projektumsetzung<br />

2010 noch in den Anfängen.<br />

� Eine AktivRegion ist ein zusammenhängendes Gebiet mit 50.000 bis 120.000<br />

Einwohnern.<br />

� Die 21 AktivRegionen umfassen ca. 14.250 km² mit einer Bevölkerung von rd.<br />

1,4 Mio. EinwohnerInnen und decken damit rd. 90% der Landesfläche Schleswig-Holsteins<br />

ab.


AktivRegionen in Schleswig-Holstein 47<br />

� Die AktivRegionen haben sich als rechtsfähige Organisationen gegründet (in<br />

Schleswig-Holstein alle als eingetragene Vereine) mit Mitgliedern aus unterschiedlichen<br />

Bereichen der Region, z.B. Kommunen, Wirtschaft, Soziales,<br />

Kultur und Umwelt. Im Sinne des Leader-Konzeptes der EU sind sie die LAG.<br />

� Eine integrierte <strong>Entwicklung</strong>sstrategie bildete die Grundlage für die Anerkennung<br />

als AktivRegion. Hierbei waren die regionsspezifischen Themen unter<br />

Berücksichtigung des demografischen Wandels und des Klimaschutzes auszuarbeiten.<br />

� Das Entscheidungsgremium der AktivRegion (i.d.R. der Vereinsvorstand) beschließt<br />

über ein jährliches Regionalbudget von 250.000 bis zu 300.000 Euro<br />

an EU-Mitteln, die in etwa gleicher Höhe mit nationalen öffentlichen Mitteln kofinanziert<br />

werden müssen, und wählt die Projekte aus, die gefördert werden<br />

sollen. Das Entscheidungsgremium der AktivRegion setzt sich aus einem Anteil<br />

von mindestens 50 % Wirtschafts- und Sozialpartnern sowie aus kommunalen<br />

Vertretern zusammen.<br />

Seit Anfang 2009 bis Mitte 2010 wurden 284 Projekte aus dem Regionalbudget bewilligt,<br />

die mit einem Zuschuss von rd. 10,7 Mio. Euro ein Investitionsvolumen von<br />

rd. 24 Mio. Euro auslösen.<br />

Über das Regionalbudget hinaus können auch so genannte Leuchtturmprojekte<br />

gefördert werden. Hierfür stehen jährlich weitere EU-, Bundes- und Landesmittel zur<br />

Verfügung. Sie müssen sich einem landesweiten Wettbewerb stellen. Zu den Projektauswahlkriterien<br />

gehören die Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft, die<br />

Schaffung/Sicherung von Arbeitsplätzen, Kooperationen/neue Partnerschaften und<br />

der Schutz der natürlichen Ressourcen/Klimaschutz sowie Innovation. Die Auswahl<br />

der Leuchtturmprojekte trifft der landesweite LAG AktivRegion Beirat, in dem alle 21<br />

AktivRegionen stimmberechtigt sind. Die maximale Fördersumme für ein Projekt<br />

wurde vom Beirat auf 750.000 Euro festgesetzt.<br />

Seit Anfang 2009 bis Ende 2010 wurden in sieben Beiratssitzungen insgesamt 36<br />

Leuchtturmprojekte ausgewählt, die sich zurzeit in der Umsetzung befinden. Sie<br />

erhalten einen Gesamtzuschuss in Höhe von rd. 14,4 Mio. Euro. Damit werden Investitionen<br />

von rd. 48 Mio. Euro ausgelöst.<br />

� Seit 2010 stehen den AktivRegionen zusätzlich für die Umsetzung des Health<br />

Checks zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2013 insgesamt rd. 19,6 Mio.<br />

Euro EU-Mittel zur Verfügung. Diese Mittel werden durch Aufstockung der jährlichen<br />

Regionalbudgets auf die 21 AktivRegionen verteilt. Die Umsetzung soll<br />

vorrangig als innovative Vorhaben in den Bereichen Klimawandel, erneuerbare<br />

Energien, Wasserwirtschaft und biologische Vielfalt erfolgen.


48 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />

� In AktivRegionen, die zur Gebietskulisse des Zukunftsprogramms Fischerei<br />

gehören, können auch Projekte zur nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> der Fischwirtschaftsgebiete<br />

aus dem Europäischen Fischereifonds (EFF) gefördert werden.<br />

� Die Regionaldezernate des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche<br />

Räume (LLUR) sind beratende Mitglieder der LAG und Zuwendungsstelle<br />

für die Mittel aus dem Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> des MLUR. Sie handeln<br />

als „Förderlotsen“ der AktivRegionen und koordinieren auch die Umsetzung<br />

von Projekten, für die Mittel aus anderen Förderprogrammen des Landes<br />

in Frage kommen.<br />

� Alle 21 AktivRegionen bilden ein landesweites Regionen-Netzwerk, das von<br />

der Akademie für die ländlichen Räume Schleswig-Holsteins koordiniert wird.<br />

Tabelle: 36 Leuchtturmprojekte der AktivRegionen 2009 und 2010<br />

Aktiv Region Titel des Leuchtturmprojektes Förderfähiges Förder-<br />

Invest.volumen zuschuss in<br />

in Euro (Netto) Euro<br />

Nordfriesland-Nord Wilhelminen-Hospiz 1.200.000 556.000<br />

Eider-Treene-Sorge Kanu-Tourismus (Koop. 3 LAGn) 1.000.000 463.000<br />

Südliches Nordfriesland<br />

Besucherzentrum Meierei Witzwort 250.000 87.500<br />

Dithmarschen Waldmuseum Burg 403.361 222.000<br />

Mitte des Nordens Wohnprojekt Hürup für Demenzkranke 1.010.000 555.000<br />

Mitte des Nordens Gemeinschaftshaus Servicekomplex<br />

„Pro Senior“<br />

223.281 122.805<br />

Mitte des Nordens Seenlandschaft Handewitt-Wanderup 1.041.059 572.582<br />

Mitte des Nordens Alter Bhf Langballig Gaststätte 989.643 445.335<br />

Schlei-Ostsee Danewerk (Vorbereitung zur Anerkennung<br />

als UNESCO Weltkulturerbe)<br />

Hügelland am Ostseestrand<br />

Hügelland am Ostseestrand<br />

Eider-und Kanalregion<br />

Rendsburg<br />

Eider-und Kanalregion<br />

Rendsburg<br />

319.000 175.851<br />

Das verrückte Haus 230.000 80.535<br />

Outdoor-Akademie Aschberg (Globetrotter)<br />

Tourismus Nord-Ostsee-Kanal (Koop.<br />

5 LAGn)<br />

Wissens- und Erlebniszentrum Abfallwirtschaft<br />

1.528.057 378.194<br />

1.960.000 600.000<br />

217.200 76.020<br />

Mittelholstein Pferdefreizeitpark Eidertal 281.958 126.881<br />

Steinburg Störtörn - Kanuprojekt 635.000 295.000<br />

Steinburg Eventstandort Wacken 1.760.000 500.000


AktivRegionen in Schleswig-Holstein 49<br />

Aktiv Region Titel des Leuchtturmprojektes Förderfähiges Förder-<br />

Invest.volumen zuschuss in<br />

in Euro (Netto) Euro<br />

Steinburg JugendCircus Ubuntu 582.397 203.838<br />

Steinburg Reitstall Basten 981.600 441.720<br />

Steinburg Haus d. Generationen Hohenfelde<br />

(modellhafte Wohnpflegeeinrichtung)<br />

1.156.807 636.244<br />

Holsteiner Auenland Jugendbildungsstätte Barmstedt 2.129.200 600.000<br />

Holsteiner Auenland Kochschule, Catering &<br />

Hofcafé Finnen<br />

Holsteins Herz „Ideen v. Küchentisch“ Zukunft der<br />

Gemeinde Wensin<br />

230.500 80.675<br />

649.902 357.446<br />

Ostseeküste Kirchenrouten (Koop. 4 LAGn) 1.505.000 600.000<br />

Ostseeküste Spielerlebniswelten 911.100 501.105<br />

Ostseeküste Obst-Erlebnis-Garten Hohwachter<br />

Bucht<br />

1.278.000 447.300<br />

Ostseeküste Inklusions- und Therapiehof Reiten 695.500 312.975<br />

Schwentine Holsteinische<br />

Schweiz<br />

Schwentine Holsteinische<br />

Schweiz<br />

Ländliches Kultur-, Bildungs- u Erlebniszentrum<br />

Hof Viehbrook<br />

1.714.000 500.000<br />

Attraktivierung Plöner Schwimmhalle 1.200.000 660.000<br />

Wagrien Fehmarn Adventure Golf Fehmarn 383.800 95.000<br />

Wagrien Fehmarn Zukunftspark Fehmarn 1.111.111 500.000<br />

Wagrien Fehmarn Tourist. Infrastruktur Fehmarn ÖP-<br />

Projekt Radwege<br />

Herzogtum Lauenburg<br />

Nord<br />

Herzogtum Lauenburg<br />

Nord<br />

Pinneberger<br />

Marsch & Geest<br />

Pinneberger<br />

Marsch & Geest<br />

1.6663.971 748.787<br />

Wildpark Mölln 1.500.000 500.000<br />

Jugendherberge Ratzeburg 5.672.269 630.252<br />

Reetdächer 2.109.500 600.000<br />

MarktTreff Heidgraben 1.433.268 750.000<br />

Alsterland Ökologischer Erlebnishof Gut Wulksfelde<br />

466.466 107.753<br />

Insgesamt 36 Leuchtturm-Projekte 40,4 Mio Euro 14,4 Mio Euro


50 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />

3. Auswertung der bisherigen Erfahrungen<br />

Aufgrund des späten Starts der AktivRegionen Anfang 2009 ist eine Analyse der<br />

Wirkungen dieses methodischen Ansatzes noch etwas verfrüht. Sowohl die eigenen<br />

Erfahrungen des begleitenden Fachreferates im MLUR als auch die im Entwurf vorliegenden<br />

Ergebnisse der Programm-Zwischenevaluierung (durchgeführt vom Johann<br />

Heinrich von Thünen-Institut (vTI)) geben schon einige wertvolle Hinweise auf<br />

die Chancen und Herausforderungen der Umsetzungen des Leader-Ansatzes in<br />

Schleswig-Holstein und auf Möglichkeiten der Weiterentwicklung – im Sinne eines<br />

„lernenden Konzeptes“.<br />

Chancen<br />

Wesentliche Ziele des Leader-Konzeptes wurden in Schleswig-Holstein bereits erreicht<br />

– zu diesem Ergebnis kommt auch die offizielle Zwischenevaluierung sowie<br />

eine erste Prüfung des Landesrechnungshofes:<br />

� Der gebietsbezogene, integrierte Ansatz hat sich gegenüber einer rein sektoralen<br />

und lokalen Förderung als positiv herausgestellt. Auf diese Weise wurde<br />

ein integratives Herangehen an die <strong>Entwicklung</strong>sthemen gefördert; die Verbundenheit<br />

der Akteure hat das Engagement für ihre Regionen gestärkt.<br />

� Der flächendeckende Ansatz in Schleswig-Holstein hat schon zu einer deutlich<br />

verbesserten Zusammenarbeit geführt und auch in weniger erfahrenen Regionen<br />

wurden wichtige Vernetzungsprozesse angestoßen.<br />

� Auch der Bottom-up-Ansatz mit den regionalen Steuerungsstrukturen LAG und<br />

Regionalmanagement hat seine Stärke bewiesen.<br />

Nach Einschätzung des Fachreferates im MLUR hat die Abgabe von Verantwortung<br />

an die regionalen Akteure deren Selbstbewusstsein erheblich gestärkt. Die Akteure<br />

wurden zu mehr Eigeninitiative ermutigt. Kreative Kräfte konnten durch neue Partnerschaften<br />

mobilisiert werden. Auf breiter Ebene konnten eine Aufbruchstimmung<br />

und eine breite Mobilisierung erzeugt werden, zunächst insbesondere bei den privaten<br />

Akteuren. Im nächsten Schritt wurden hier jedoch auch Engpässe deutlich<br />

(siehe hierzu Herausforderungen).<br />

In dem kurzen Zeitraum von 2009 bis Mitte 2010 wurden zudem bereits viele Maßnahmen<br />

aus den Regionalbudgets der AktivRegionen sowie 36 Leuchtturmprojekte<br />

auf landesweiter Ebene umgesetzt bzw. sind auf dem Weg der Realisierung. Kontinuierliche<br />

Erfolgserlebnisse sind wichtig, um die Motivation der Akteure aufrechtzuerhalten<br />

und der landesweite AktivRegion-Beirat, in dem alle AktivRegionen vertreten<br />

sind, hat sich zu einem selbstbewussten Gremium entwickelt, das die Umsetzung<br />

des Programms mit steuert.


AktivRegionen in Schleswig-Holstein 51<br />

Die Einrichtung einer landesweiten Vernetzungsstelle der AktivRegionen hat sich<br />

als wichtige und erfolgreiche Maßnahme erwiesen. Dieses Forum wird vor allem<br />

von den Regionalmanagern genutzt, um ihre Erfahrungen auszutauschen und spezielle<br />

Fragestellungen zu vertiefen. Das Fachreferat im Ministerium und das LLUR<br />

sind ebenfalls in den Austausch eingebunden.<br />

Besonders zu erwähnen ist die intensive Begleitung der AktivRegionen durch das<br />

Medienprojekt „AktivRegion21“ des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages<br />

(sh:z). Etwa jeden Monat wird eine AktivRegion mit ihren Projekten landesweit auf<br />

Sonderseiten des sh:z ausführlich präsentiert. Im Rahmen dieses Medienprojektes<br />

finden Bürgergespräche des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter-<br />

Harry Carstensen statt. Der Landeschef besucht jede AktivRegion und gibt den<br />

Bürgern die Möglichkeit, ihre Sorgen und Erfolge im Zusammenhang mit dieser<br />

Förderinitiative mit ihm zu teilen. Insgesamt ist ein breiter politischer Rückhalt in der<br />

Landesregierung für den Ansatz der AktivRegionen gegeben.<br />

Herausforderungen<br />

Eine Herausforderung liegt bereits darin, dass in der AktivRegion ein neu gebildetes<br />

regionales Entscheidungsgremium (mit privaten und öffentlichen Mitgliedern) eine<br />

Verantwortung für die Gestaltung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> und für die Entscheidung<br />

über ein Regionalbudget übernimmt. Hier werden Aufgaben nach dem Bottom-up-Prinzip<br />

nach unten verlagert. Die Einarbeitung in diese neuen Aufgaben erfordert<br />

unter anderem verlässliche und nachvollziehbare Rahmenbedingungen im<br />

administrativen Bereich. Und es braucht Zeit, damit sich private und öffentliche Akteure<br />

mit den neuen Konstellationen vertraut machen können. Die erforderlichen<br />

stabilen und transparenten Rahmenbedingungen konnten für die Akteure der AktivRegionen<br />

leider nicht gewährleistet werden (z.B. ständige Veränderungen bei den<br />

Förderbedingungen und im Vergaberecht).<br />

Einige Chancen, die der Förderansatz Leader bietet, können bei den aktuellen<br />

Durchführungsmodalitäten nicht genutzt werden. Als wichtiges Hemmnis hat sich<br />

herausgestellt, dass die Vorschriften des Verwaltungs- und Kontrollsystems der EU<br />

im Bereich des ELER zu anspruchsvoll und starr für die Umsetzung kreativer Projekte<br />

sind. Dieses System ist an die Förderung im Bereich der 1. Säule der Agrarförderung<br />

angepasst, wo es vor allem um die Auszahlung von Flächenprämien geht<br />

und ist im Prinzip nicht für die integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> geeignet. Das heißt,<br />

es passt nicht zu den meist nicht standardisierbaren<br />

Einzelprojekten der AktivRegionen (z.B. 3 %-Abweichungsregel bei der Sanktionierung).<br />

Die daraus resultierenden Anforderungen bedeuten einen unverhältnismäßig<br />

hohen Aufwand, insbesondere bei kleineren Projekten und für private Akteure.


52 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />

Darüber hinaus hat die Einbindung des Leader-Konzeptes in die Mainstream-<br />

Förderung zu einer Eingrenzung des Förderspektrums im Vergleich zur vergangenen<br />

Förderperiode LEADER+ geführt. Diese Verengung wird dem Anspruch eines<br />

integrierten multisektoralen Ansatzes nicht gerecht. Eine Erweiterung der Fördermöglichkeiten<br />

hat die EU über innovative Vorhaben geschaffen; diese Möglichkeit<br />

wird bisher aber wenig genutzt. Insbesondere für das Engagement von zivilgesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Akteuren liegen keine optimalen Rahmenbedingungen<br />

vor. Private Projektträger werden durch die Vorgabe einer öffentlichen Kofinanzierung<br />

der EU-Mittel in ihrem Engagement gebremst. Die beiden EU-<br />

Strukturfonds (EFRE und ESF) haben diese Vorschrift nicht.<br />

Zum Teil nicht vorhersehbare bzw. nicht beeinflussbare Veränderungen wie z.B. die<br />

weltweite Finanzkrise, aber auch die Sparzwänge des Landes Schleswig-Holstein<br />

führten in relativ kurzen Abständen zu Änderungen der Förderbedingungen. Dies<br />

hat eine zunehmende Verunsicherung insbesondere bei den Akteuren in AktivRegionen<br />

ausgelöst, die nicht auf Erfahrungen aus der LEADER+ Periode zurückgreifen<br />

können.<br />

Als Ergebnis des Health-Checks zur Gemeinsamen Agrarpolitik wurden während<br />

der Laufzeit des Programms zusätzliche Mittel für die so genannten „Neuen Herausforderungen“<br />

zur Verfügung gestellt. Ein großer Teil dieser Mittel soll in Schleswig-Holstein<br />

über die AktivRegionen umgesetzt werden. Die abweichenden Förderbedingungen<br />

führen zu einer wachsenden Komplexität bei der Projektentwicklung.<br />

Auch hier zeigen sich – aufgrund der dichten Abfolge von Veränderungen – Unsicherheiten<br />

und zum Teil eine Überforderung bei den Akteuren.<br />

Einerseits kann mit Stolz festgestellt werden, dass das früher stark ausgeprägte<br />

Kirchturmdenken der Dörfer in den AktivRegionen nicht mehr dominiert und dass<br />

die Vorteile der Kooperation Eingang in viele Köpfe gefunden haben. Andererseits<br />

zeigt sich jetzt aber auch eine Schattenseite. Denn inzwischen wurden die lokale<br />

und kleinregionale Ebene etwas in den Hintergrund gedrängt. Wichtige Themen wie<br />

die lokale Versorgung und die Innenentwicklung eines Dorfes werden zurzeit in vielen<br />

AktivRegionen noch zu wenig berücksichtigt.


AktivRegionen in Schleswig-Holstein 53<br />

4. Schlussfolgerungen<br />

Die Erfahrungen aus der aktuellen und aus den früheren Förderperioden zeigen,<br />

dass die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Landesregierung, den Einsatz<br />

der EU-, Bundes- und Landesmittel aus dem Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> auf<br />

die landesweit einheitliche Strategie der AktivRegionen auszurichten, richtig gewesen<br />

ist. Die Menschen in den ländlichen Räumen werden ermutigt, die Kräfte zu<br />

bündeln; sie können sich auf ihre unterschiedlichen regionalen Stärken konzentrieren.<br />

Dies soll auch in Zukunft dazu führen, dass in allen Sektoren – von der Wirtschaft<br />

über die Ökologie bis zu kulturellen und sozialen <strong>Entwicklung</strong>en – immer dann,<br />

wenn es möglich ist, dieser Ansatz „von unten“ vorrangig zum Tragen kommt. Dabei<br />

sollte der Blick aber nicht nur auf die Fördermöglichkeiten des Ministeriums für ländliche<br />

Räume gerichtet, sondern – wie bereits vielfach praktiziert – die Förderprogramme<br />

verschiedener Ressorts geprüft und somit auch die ressortübergreifende<br />

Zusammenarbeit angeregt werden.<br />

Das Maßnahmenspektrum für den Einsatz der Mittel aus den Regionalbudgets<br />

sollte unbedingt wieder erweitert werden – vergleichbar zu den Möglichkeiten der<br />

Gemeinschaftsinitiative LEADER+.<br />

Künftig ist stärker zu berücksichtigen, welche räumlichen und Akteursebenen am<br />

besten geeignet sind, um ein spezielles Thema zu bearbeiten. Die Ebene der AktivRegionen<br />

kann dabei eine Schnittstelle bilden. Hier kann entschieden werden, ob<br />

eine Aufgabe am besten auf der Ebene der AktivRegionen oder im Rahmen einer<br />

Kooperation von AktivRegionen (z.B. Tourismus), auf kleinräumiger Ebene (z.B.<br />

Daseinsvorsorge, demografischer Wandel) oder auf der Dorfebene (z.B. Dorfinnenentwicklung,<br />

lokale Versorgung) bearbeitet werden sollte.<br />

In der nächsten Förderperiode müssen die administrativen Rahmenbedingungen,<br />

insbesondere das Verwaltungs- und Kontrollsystem, besser an die Bedarfe der integrierten<br />

ländlichen <strong>Entwicklung</strong> angepasst werden. Insgesamt zeigen die schleswig-holsteinischen<br />

Erfahrungen, dass Menschen, die diesen von unten gesteuerten<br />

Ansatz kennen gelernt haben, Ideen mit mehr Selbstbewusstsein entwickeln und<br />

diese in enger Zusammenarbeit mit anderen interessierten Institutionen umsetzen<br />

wollen. Für die Verwaltung, insbesondere auf Landesebene, entsteht hieraus ein<br />

neues Selbstverständnis: Sie wird sich zunehmend darauf konzentrieren, frühzeitig<br />

auf Rahmenbedingungen hinzuweisen, bei Bedarf neue Impulse zu setzen, als Moderator<br />

zu wirken und die Akteure bei der Umsetzung von Projekten zu unterstützen.<br />

Dies ist gleichzeitig eine neue Chance für einen wirksamen Bürokratieabbau.<br />

Voraussetzung ist allerdings, dass hierfür einfachere und zuverlässige Rahmenbedingungen<br />

geschaffen werden.


54 Christina Pfeiffer/Hermann-Josef Thoben<br />

Nach 2013 sollten die AktivRegionen dann so erfahren und kompetent agieren,<br />

dass sie – mit den richtigen Anreizen – ihre <strong>Entwicklung</strong> weitgehend eigenständig<br />

gestalten können.<br />

Die zukünftigen Herausforderungen der ländlichen Räume (u.a. durch den demographischen<br />

Wandel) benötigen regionsspezifisches Handeln auf der Grundlage<br />

von regionalem Wissen und regionalen Kompetenzen, damit zukunftsfähige Lösungen<br />

entwickelt werden können. Der Leader-Ansatz der AktivRegionen ist grundsätzlich<br />

ein gutes und lernendes Instrument, um die kreativen und engagierten regionalen<br />

Akteure aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zu mobilisieren.<br />

Kontakt:<br />

Christina Pfeiffer<br />

Hermann-Josef Thoben<br />

Referat für ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />

Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des<br />

Landes Schleswig-Holstein<br />

Tel.: 0431-988-5078<br />

E-mail: Christina.Pfeiffer@mlur.landsh.de


Regionalisierte Förderung der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> in<br />

Sachsen – Erfahrungen und Ausblick<br />

von Daniel Gellner<br />

Die Idee, regionale Selbstverantwortung mit finanzieller Entscheidungsgewalt zu<br />

untersetzen, ist so alt wie der Gedanke der Subsidiarität selbst. Je nach Ursprung<br />

der Mittel und den damit verbundenen Vorstellungen des Geldgebers reicht die Palette<br />

von Globalzuschüssen über Regionalbudgets bis zu Regionalfonds und ähnlichen<br />

<strong>Finanzierung</strong>en. Aus verschiedenen Gründen war jedoch die praktische Verbreitung<br />

dieser Instrumente im Rahmen informeller <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>splanungen<br />

eher gering bzw. experimentell ausgeprägt. In der neueren Geschichte des<br />

Freistaates Sachsen sind es vor allem Förderprogramme, die entsprechende Anreize<br />

setzten. Erste praktische Erfahrungen konnten in den Programmen LEADER+,<br />

Regionen aktiv, Europäischer Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) und in der<br />

Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)<br />

gesammelt werden.<br />

1. Regionen – genormte Freiheit?<br />

Grundsätzlich stellt sich vor der Wahl des passenden regionalen <strong>Finanzierung</strong>sinstruments<br />

immer die Frage, wie sich eine Region definiert, woran sie arbeitet und<br />

wie sie legitimiert ist. Durch die Rahmensetzung fachspezifischer Programme wurden<br />

bisher auch fachspezifische Ziele verfolgt. Diese führten zu fachspezifischen<br />

Regionsabgrenzungen. So ist z.B. das Einzugsgebiet für die regionale Grundversorgung<br />

mit Waren und Dienstleistungen im Einzelfall überhaupt nicht deckungsfähig<br />

mit dem Gebiet des Abwasserbeseitigungskonzeptes; die Schulnetzplanung legt<br />

andere Regionen zu Grunde als der Hochwasserschutz. Es ist aus verständlichen<br />

Gründen nicht zweckmäßig und nachhaltig, jede fachspezifisch abgegrenzte Region<br />

mit einem eigenen Entscheidungsgremium und finanziellen Ressourcen zu versehen.<br />

Denn jede Gemeinde würde sich in einer Vielzahl solcher Regionen wiederfinden.<br />

Es muss also eine Region definiert werden, die möglichst vielen Fachbelangen gerecht<br />

wird. Überschneidungen sollte es nicht geben. Gedanklich gelangt man dabei<br />

schnell zu Regionen, die sich an vorhandenen administrativen Grenzen orientieren,<br />

z.B. den Landkreisen.


56 Daniel Gellner<br />

Doch entsprechen administrative Grenzen wirklich den regionalen Identitäten vor<br />

Ort? Kann man zivilgesellschaftliches Engagement in staatlich vorgegebenen Räumen<br />

optimal aktivieren? Selbst die EU hat, im Gegensatz zur vergangenen Förderperiode<br />

in LEADER+, im Europäischer Landwirtschaftsfonds für die ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />

(ELER) nicht mehr vorgeschrieben, in welchen Handlungsfeldern sich Regionalentwicklung<br />

bewegen muss. Hierfür sind die kleinregionalen endogenen Potentiale<br />

zu verschieden.<br />

Der Freistaat Sachsen hat einen anderen Versuch gewagt: Im Vorfeld der neuen<br />

EU-Förderperiode sollten sich die ländlichen Regionen selbst finden. Eine Bindung<br />

an administrative Grenzen war nicht vorgeschrieben, aber auch nicht ausgeschlossen.<br />

Das allein ist keineswegs neu. Zudem wurden jedoch auch keine inhaltlichen<br />

Rahmenvorgaben gemacht. Dies erfolgte auch vor dem Hintergrund, den Regionen<br />

künftig mehr inhaltliche Entscheidungskompetenz, das heißt über die klassischen<br />

Instrumente der Ländlichen <strong>Entwicklung</strong> hinaus, zu übertragen. Dazu sollten regionale<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstrategien mit der Förderung aus dem ELER und anderen Finanzquellen<br />

gekoppelt werden. Doch dazu später mehr.<br />

Die Gemeinden mussten sich allerdings für eine Region entscheiden – eine Mitgliedschaft<br />

in mehreren Regionen war ausgeschlossen. Im Ergebnis eines Aufrufes<br />

entstanden 35 ländliche Regionen, die in der Regel nicht mit Landkreisgrenzen korrespondieren<br />

(siehe Abbildung 1).<br />

LEADER-Gebiete sind dabei die Gebiete mit den aussichtsreichsten <strong>Entwicklung</strong>sstrategien.<br />

Diese erhalten im ELER in der Regel eine um 10 Prozentpunkte erhöhte<br />

Förderung. Die übrigen Gebiete sind sogenannte Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>s-<br />

Gebiete (ILE-Gebiete) und erhalten 5 Prozentpunkte mehr. LEADER- und ILE-<br />

Gebiete unterscheiden sich strukturell nicht, da beide auf der gleichen strategischen<br />

Grundlage arbeiten.<br />

Das Ergebnis zeigt u.a., dass die Sicherung <strong>regionaler</strong> Identität den Menschen<br />

wichtiger ist als etwaige administrative Schwierigkeiten durch „Grenzüberschreitungen“.<br />

Es wird aber auch deutlich, dass regionale Ziele im Einzelfall nicht in Übereinstimmung<br />

stehen mit den staatlichen Vorstellungen vom regionalen Zuschnitt einer<br />

optimalen Zusammenarbeit. Andererseits ist es im erheblichen öffentlichen Interesse,<br />

dass die Regionen ihre endogenen <strong>Entwicklung</strong>spotentiale bestmöglich nutzen.<br />

Eine logische Folge ist, dass die Landes- und Regionalplanung den Regionen bezüglich<br />

ihrer räumlichen Abgrenzung und <strong>Entwicklung</strong> mehr Entscheidungskompetenz<br />

zubilligen muss.


Regionalisierte Förderung in Sachsen 57<br />

Abbildung 1: ILE- und LEADER-Gebiete im Freistaat Sachsen<br />

2. Landesplanung und Subsidiarität<br />

Dies hat der Freistaat Sachsen im Ansatz bereits mit der Fortschreibung des Landesentwicklungsplans<br />

2003 (LEP) ermöglicht. Eine wesentliche Zielsetzung des<br />

LEP ist die Stärkung der regionalen Ebene als die sachgerechte Entscheidungsebene<br />

für räumliche <strong>Entwicklung</strong>en. Insofern erfolgen im LEP selbst keine landesweiten<br />

Festsetzungen über Raumnutzungen, sondern entsprechende Handlungsaufträge<br />

an die Träger der Regionalplanung. Damit können die Regionen nach einer<br />

landesweit einheitlichen Verfahrensweise über die jeweiligen Raumnutzungen<br />

selbst entscheiden. Neben den ordnungspolitischen Festlegungen fordert der LEP<br />

ausdrücklich eine prozess-, akteurs- und umsetzungsbezogene Planungskultur. Kooperation<br />

und Vernetzung wird als Partnerschaft von Stadt und Land verstanden.<br />

Dies wird in einem eigenen Grundsatz G 3.1.2 dokumentiert:<br />

„In Verantwortung der Regionen unter Einbeziehung der Wirtschaft und<br />

weiterer <strong>regionaler</strong> Akteure sollen interkommunale Kooperationsgemeinschaften<br />

gemeinsam eine problemorientierte Bestandsaufnahme und<br />

eine Stärken-Schwächen-Analyse erarbeiten, <strong>Entwicklung</strong>sleitziele ableiten<br />

und einen Handlungsrahmen mit konkreten und finanzierbaren<br />

Maßnahmen und Projekten erstellen und umsetzen.“


58 Daniel Gellner<br />

Bis 2006 wurde dieser Grundsatz durch vielfältige informelle Planungen <strong>regionaler</strong><br />

Akteure untersetzt. Nahezu jedes Ressort der Staatsregierung wurde durch EUund<br />

Bundesrichtlinien „ermuntert“, auf ihre Fachbelange zugeschnittene regionale<br />

Strategien zu fördern oder einer Fachförderung zu Grunde zu legen. Im Jahr 2006<br />

beschloss das sächsische Kabinett die sogenannte „Harmonisierung der Planungsinstrumente“.<br />

Für eine Region sollte es nur noch eine informelle Planung geben, die<br />

dann die Belange aller anderen Ressorts mit erfüllen muss. Zu dieser horizontalen<br />

wurde noch eine vertikale Abgrenzung definiert. Die verschiedenen Handlungsebenen<br />

und Instrumente wurden auf Ortsebene, auf Gemeindeebene und auf Regionsebene<br />

beschrieben. Dabei werden in städtisch geprägten Regionen Regionale<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK) gefördert, im ländlichen Raum Integrierte ländliche<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (ILEK); die beiden Leistungsbilder wurden harmonisiert und<br />

sind damit gegenseitig anerkennungsfähig für die jeweilige Projektförderung:<br />

Abbildung 2: Informelle ganzheitliche Planungsinstrumente in Sachsen<br />

Land<br />

Region<br />

Gemeinde<br />

Gemeindeteil<br />

Informelle ganzheitliche Planungsinstrumente in Sachsen – ab 2007<br />

Integriertes ländliches<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />

Regionale <strong>Entwicklung</strong>s- und Handlungskonzepte<br />

Regionale Anpassungs- und Handlungskonzepte<br />

Stadt-Umlandkonzepte<br />

Städtenetzkonzepte<br />

(§ 13 ROG, § 19 SächsLPlG)<br />

Städtebauliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte (§ 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB)<br />

Dörfliche<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />

<strong>Entwicklung</strong>s- und Anpassungsstrategie<br />

Stadtteilkonzepte


Regionalisierte Förderung in Sachsen 59<br />

Zwischen den Instrumenten wurde ein vertikales Beachtungsgebot vereinbart. Dies<br />

bedeutet z.B., dass sich Städtebauliche <strong>Entwicklung</strong>skonzepte an den Zielen der<br />

ILEK orientieren müssen. Dabei dürfen die auf der räumlich unteren Ebene erarbeiteten<br />

Strategien den Zielen der räumlich übergeordneten Strategien (z. B. LEP<br />

2003) nicht widersprechen, sondern sollen diese untersetzen. Ggf. sind die übergeordneten<br />

Strategien entsprechend anzupassen (Gegenstromprinzip).<br />

Als Folge dieses Ansatzes ist in allen relevanten Richtlinien aller Ministerien ein<br />

Vorrang für Maßnahmen vorgesehen (das heißt: bevorzugte Beratung sowie<br />

schnelle, bevorzugte Bewilligung und bis zu 10 Prozentpunkte höhere Fördersätze),<br />

welche über das „strategische Instrument“, z.B. das ILEK, eingebunden sind. „Relevant“<br />

heißt in diesem Zusammenhang, dass zusätzlich zu den fachlichen Anforderungen<br />

ein <strong>regionaler</strong> Mehrwert absehbar sein sollte. Denn wo der nicht möglich<br />

scheint, würde die Regionalisierung auch keinen Sinn machen.<br />

Durch die Harmonisierung der Leistungsbilder auf Regionsebene sind städtisch geprägte<br />

Regionen auch im ELER als strategische Grundlage anerkannt und (im<br />

Rahmen der bestehenden Fördergebietskulissen) auch im ELER förderfähig.<br />

3. Ein Handlungskonzept für alle – und nun?<br />

Der integrierte Ansatz des ILEK kann nur über ein integriertes System der Fördermittelbereitstellung<br />

umgesetzt werden. So wünschenswert eine <strong>Finanzierung</strong> aus<br />

einer Hand auch ist, die derzeitigen Rahmenvorgaben der EU-<br />

<strong>Finanzierung</strong>squellen, insbesondere die Forderung nach der inneren Kohärenz von<br />

EU-Mitteln, lassen eine solche Lösung vor allem außerhalb der anerkannten LEA-<br />

DER-Gebiete im ELER leider nicht zu. Daher wurde ein doppelter Ansatz gewählt:<br />

� regionale Budgetorientierung für <strong>Finanzierung</strong> aus dem ELER,<br />

� sogenannter „ILE-Vorrang“ für <strong>Finanzierung</strong> aus anderen Quellen.<br />

Die Abgrenzung zwischen diesen Ansätzen erfolgt durch die jeweils erfassten förderfähigen<br />

Gebiete:


60 Daniel Gellner<br />

Abbildung 3: Planungsinstrumente und Gebietskulissen<br />

Informelle<br />

Planungsinstrumente<br />

auf Ebene der<br />

Region als<br />

Grundlage der<br />

investiven<br />

Förderung<br />

Sektorale<br />

Gebietskulissen<br />

für<br />

investive<br />

Förderung<br />

Integriertes ländliches<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />

4. <strong>Finanzierung</strong> aus dem ELER<br />

Regionale Anpassungs- und <strong>Entwicklung</strong>skonzepte<br />

Stadt-Umlandkonzepte<br />

Städtenetzkonzepte<br />

Förderung der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />

Förderung der Stadtentwicklung<br />

Wirtschaftsförderung<br />

Förderung anderer Ressorts, falls betroffen<br />

Eine Regionalisierung der Fördermittelvergabe im ELER ist in LEADER-Gebieten –<br />

pauschalisiert – auf drei Arten möglich:<br />

1. Vollständige Übertragung der ELER-Mittel einschließlich der Zahlstellenfunktionen<br />

auf die LEADER-Gruppen,<br />

2. Einrichtung von Regionalfonds für Unternehmen,<br />

3. Regionale Budgetorientierung: Region entscheidet gemäß ihrer Strategie über<br />

eine Förderung (Prüfung auf Förderwürdigkeit), Verwaltungsarbeit verbleibt bei<br />

Bewilligungsbehörde (Prüfung auf Förderfähigkeit).<br />

Der Freistaat Sachsen hat die LEADER-Methode mittels Variante 3 in die Regelförderung<br />

überführt; die Bedingungen zur Förderung unter LEADER sind in Kapitel J<br />

der ILE-Richtlinie festgelegt. Das ILEK hat dieselbe Form und Funktion wie die in<br />

Achse 4 des ELER geforderte lokale Gebietsstrategie (auch eine Folge der Harmonisierung<br />

der Planungsinstrumente in Sachsen). Eine Förderung ist laut ILE-<br />

Richtlinie nur noch möglich, wenn ein regionales Votum auf ILEK-Ebene, das heißt<br />

eine Willensbekundung durch die regionale Partnerschaft, vorliegt. Projekte werden<br />

nur dann gefördert, wenn sie regional vernetzt und relevant im Sinne der Gebietsstrategie<br />

sind. „Isolierte Projektförderung“ gehört hier der Vergangenheit an.


Regionalisierte Förderung in Sachsen 61<br />

Die Dezentralisierung ist also mit einer Regionalisierung der Mittelzuteilung verbunden.<br />

Im Rahmen der ILE-Richtlinie wurden somit quasi regionale Budgets eingerichtet.<br />

In ILE- und LEADER-Gebieten entscheidet der sog. Koordinierungskreis als<br />

zentrales Lenkungs- und Arbeitsgremium der LEADER-Aktionsgruppe bzw. des<br />

ILE-Trägers über die Mittelvergabe. Die formale Prüfung und Bewilligung von Anträgen<br />

wird seit der Verwaltungs- und Funktionalreform im Jahr 2008 durch die Landratsämter<br />

vorgenommen. Die Förderwürdigkeit hingegen wird durch das regionale<br />

Votum festgestellt.<br />

Der Freistaat Sachsen stellt den 35 LEADER- und ILE-Regionen im Schwerpunkt 3<br />

und 4 des ELER etwa eine halbe Milliarde Euro im Zeitraum von 2007 bis 2013 als<br />

regionale Budgetorientierung zur Verfügung.<br />

5. <strong>Finanzierung</strong> aus Nicht-ELER-Mitteln<br />

Der ILE-Vorrang als zweites wichtiges Instrument zur Umsetzung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />

wurde je nach Betroffenheit differenziert in 23 Fachrichtlinien<br />

des Freistaates Sachsen verankert. Die jeweiligen Fachanforderungen werden dabei<br />

jedoch nicht außer Kraft gesetzt. Unabhängig von der Unterstützung der integrierten<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstrategien bietet dieses System auch Vorteile für die Träger<br />

der Fachbelange:<br />

Abbildung 4: <strong>Finanzierung</strong> aus Nicht-ELER-Mitteln<br />

REK/ILEK bietet zusätzlich zu Fachprioritäten regionale<br />

Voten für Fachentscheidungen<br />

z.B. Demografie-<br />

Check<br />

z.B. Regionale<br />

Prioritätensetzung<br />

Ableitbar sind:<br />

Ja/Nein-Entscheidungen<br />

Prioritäten/Rangfolgen<br />

Synergien<br />

Alternativen<br />

z.B. Leitbild/<br />

Gesamtstrategie<br />

Regionalmanagement<br />

kann der Unterstützung<br />

der Fachförderung dienen<br />

� zur Suche nach guten<br />

Projekten/Partnern in der<br />

Region<br />

� zur Vernetzung mit anderen<br />

Themen in der Region<br />

� als Kommunikationsmittel<br />

auf <strong>regionaler</strong> Ebene<br />

� zum Erreichen der regionalen<br />

Multiplikatoren


62 Daniel Gellner<br />

Die Umsetzung des ILE-Vorrangs in der Praxis bleibt jedoch eine große Herausforderung.<br />

Denn die Vorteile der Unterstützung integrierter <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />

müssen jedem Bearbeiter einer Fördermittelrichtlinie bewusst sein.<br />

6. Drei Jahre Erfahrung<br />

In Sachsen liegen nunmehr Erfahrungen aus etwa drei Jahren der Umsetzung der<br />

regionalen Budgetorientierungen vor. Diverse Studien und die ELER-<br />

Halbzeitevaluierung bescheinigen, dass sich die Harmonisierung der Planungsinstrumente,<br />

im ländlichen Raum unter dem Dach des ELER, bewährt hat. Die Einführung<br />

der LEADER-Maßnahmen auch für die Mainstream-Maßnahmen ist wichtig<br />

und notwendig. Dadurch wurden viele <strong>Entwicklung</strong>spotentiale genutzt und insbesondere<br />

bei privaten Akteuren und Unternehmen für eigene Projekte aktiviert. Die in<br />

Sachsen vorgeschriebene Legitimation der ILEK einschließlich der regionalen Entscheidungsstrukturen<br />

durch die zuständigen kommunalpolitischen Gremien ist zwar<br />

keine EU-Forderung. Sie stellt aber sicher, dass die Ziele der (nicht-kommunalen)<br />

Koordinierungskreise mit den kommunalen Handlungsstrategien vor allem in den<br />

verschiedenen Bereichen der Infrastruktur konform gehen.<br />

In der Praxis konnte sogar ein besonderes Engagement der kommunalpolitisch<br />

Verantwortlichen in der Zusammenarbeit mit den Koordinierungskreisen festgestellt<br />

werden. Denn für viele Kommunen ist dieses Instrument auch ein erfolgreiches Modell<br />

für eine neue interkommunale Zusammenarbeit. Diese Verfahrensweise zur<br />

Verbindung zivilgesellschaftlichen Engagements mit interkommunaler Kooperation<br />

hat sich bewährt. Es ist jedoch darauf zu achten, dass die regionalen Strategien<br />

nicht zu einer Art „kommunalem Infrastrukturprogramm“ reduziert werden. Dies wird<br />

durch die Umsetzung der EU-Vorgabe sichergestellt, dass über 50 % der Mitglieder<br />

in den Entscheidungsgremien aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialpartner<br />

stammen. Dass dies auch in den Augen der Regionen sinnvoll ist, zeigt die Tatsache,<br />

dass in den Koordinierungskreisen der ILE-Gebiete auch fast 50 % der Entscheider<br />

aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialpartner stammen, obwohl dies<br />

gar nicht vorgeschrieben ist.<br />

Erfreulich ist auch das besondere Engagement der Städte im ländlichen Raum. Gerade<br />

unter demographischen Gesichtspunkten sind dezentrale Konzentrationen von<br />

Funktionen im ländlichen Raum unumgänglich. Es spricht für ein gutes Stadt-Land-<br />

Verhältnis, wenn dies im Rahmen der ILEK erfolgt. Ein praktischer Grund ist sicher<br />

auch die zunehmende Schwierigkeit der Städte, im Rahmen der <strong>Finanzierung</strong> der<br />

Städtebauförderung die erforderlichen Eigenmittel aufzubringen. Gerade private<br />

Antragsteller und Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, Fördermittel zu<br />

akquirieren.


Regionalisierte Förderung in Sachsen 63<br />

Das vorgestellte System in Sachsen eignet sich vor allem in Zeiten knapper Mittel.<br />

Durch die regionale Prioritätensetzung werden strategiewirksame Förderentscheidungen<br />

getroffen. Dies setzt jedoch voraus, dass durch die regionale Budgetorientierung<br />

möglichst viele Bereiche der Schwerpunkte 3 und 4 des ELER erfasst sind.<br />

Denn eine wirkliche Prioritätensetzung z.B. zwischen Straße, Gewerbe und Schule<br />

ist nur dann möglich, wenn diese Fördergegenstände auch in den zulässigen Maßnahmen<br />

der regionalen Budgetorientierung enthalten sind. Dies wiederum stellt sehr<br />

hohe Anforderungen an das Personal in den Bewilligungsbehörden, die weitreichende<br />

Spezialkenntnisse vorhalten müssen. Genau genommen wäre es sogar<br />

noch besser, wenn im Regionalbudget z.B. auch Teile des EFRE und des ESF (Europäischer<br />

Sozialfonds) sowie der Bundesmittel Städtebauförderung enthalten wären.<br />

Dies würde auch ein einheitliches Monitoring und damit eine wirksamere Kontrolle<br />

des Erreichens der gewählten <strong>Entwicklung</strong>sziele ermöglichen.<br />

Unterstützung erhalten die LEADER- und ILE-Regionen neben den Bewilligungsstellen<br />

in den Landkreisen auch durch die regionalen Planungsstellen als Träger der<br />

formellen Regionalplanung in Sachsen. Sie sind im Einzelfall eine wichtige Hilfestellung<br />

bei der Prioritätensetzung z.B. im Bereich der kommunalen Infrastruktur.<br />

Die weiteren Vorteile des Systems in Sachsen sind in den genannten Quellen ausführlich<br />

nachlesbar. Das gewählte System wird fortgeführt und weiterentwickelt. Beschäftigen<br />

wir uns im Folgenden daher mit den Optionen zur Weiterentwicklung.<br />

7. Herausforderungen<br />

Kritik wird vor allem deutlich, wenn die Umsetzung integrierter Strategien mit dem<br />

nicht integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem des ELER kollidiert. Die Trennung<br />

von Förderwürdigkeit (Region) und Förderfähigkeit (Bewilligungsbehörde)<br />

selbst birgt auch Herausforderungen: Da die LEADER-Gruppen in der Regel ehrenamtlich<br />

organisiert sind bzw. zusätzlich zu einer eigentlichen Tätigkeit betrieben<br />

werden, ist eine Übertragung der Zahlstellenfunktion eher problematisch. Das Verwaltungs-<br />

und Kontrollsystem des ELER und auch das komplizierte Beihilferecht<br />

gehören eher in die Hand von Spezialisten. Um im Ablauf der Bewilligung von Fördervorhaben<br />

auf der Grundlage einer regionalen Prioritätensetzung keinen Zeitverzug<br />

zu erleiden, ist eine eingespielte Zusammenarbeit zwischen Regionen und Bewilligungsbehörde<br />

unabdingbar. Schwierig gestalten sich dabei auch die Anforderungen<br />

an das Regionalmanagement. Deren Aufgabe ist in erster Linie die Umsetzung<br />

der Strategie durch Sensibilisierung, Vernetzung der erforderlichen Partner<br />

etc. Doch viel zu oft werden die Managements von ihrem Auftraggeber, der Region,<br />

daran gemessen, wie das jeweilige Budget ausgelastet wird. In diesem Zusammenhang<br />

stellt sich auch die Personalfrage: Je höher die Eigenmittel der Region für das


64 Daniel Gellner<br />

beauftragte oder eingestellte Management sind, umso kritischer sind die Stimmen<br />

der an der Umlage beteiligten Kommunen nach der eigentlichen Aufgabe des Managements.<br />

Ideen<br />

Vergessen wir für einen Moment einen Teil der Regelungen des ELER. Welche Alternativen<br />

zur regionalen Budgetorientierung sind in der ländlichen <strong>Entwicklung</strong><br />

denkbar?<br />

� Regionale Budgetorientierung auf der Grundlage mehrerer Finanzquellen,<br />

� Regionalfonds nicht nur für Unternehmen (siehe Nr. 2 Kapitel 4),<br />

� Echtes Regionalbudget für einen Teil der regionalen Budgetorientierung (siehe<br />

Nr. 1 Kapitel 4).<br />

Eine Vereinfachung des Verwaltungs- und Kontrollsystems (VKS) wäre vor allem für<br />

echte Regionalbudgets sehr hilfreich. Doch angesichts der immer noch vergleichsweise<br />

hohen Fehlerquoten im Bereich des ELER ist damit wohl eher nicht zu rechnen.<br />

Aus den ersten drei Jahren der Umsetzung des ELER wird eingeschätzt, dass<br />

eine vollständige Übertragung der Zahlstellenfunktion auf die Lokale Arbeitsgruppe<br />

(LAG) in Sachsen diese zumindest derzeit vor zu hohe verwaltungstechnische Anforderungen<br />

stellt. Regionalbudgets sind jedoch notwendig zur Umsetzung von regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstrategien durch Projekte, die bisher nicht in bestehenden<br />

Förderprogrammen erfasst sind. Daher wird im Folgenden der Versuch unternommen,<br />

ein alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument in LEADER-Gebieten im Rahmen<br />

des geltenden VKS zu skizzieren, welches Merkmale eines Regionalbudgets aufweist.<br />

Dabei soll die Zahlstellenfunktion bei der originären Bewilligungsbehörde verbleiben,<br />

um Anlastungsrisiken zu minimieren.<br />

Abbildung 5: Alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument innerhalb des VKS des ELER<br />

Projektträger<br />

Projektträger LAG<br />

Projektträger<br />

Bewilligungsbehörde


Regionalisierte Förderung in Sachsen 65<br />

Die Lokale Aktionsgruppe (LAG) fungiert direkt als Antragsteller für Maßnahmebündel<br />

einzelner Projektträger. Diese müssen im Einzelnen und insgesamt den Zielen<br />

des ELER und der regionalen <strong>Entwicklung</strong>sstrategien dienen. Die LAG stellt dabei<br />

die erforderlichen Eigenanteile bereit. Die Beschreibung des Maßnahmebündels<br />

muss ausreichend detailliert sein, um eine spätere Rechnungsprüfung im Sinne des<br />

VKS zu ermöglichen. Die LAG reicht die Mittel auf privatrechtlichem Weg an die<br />

Endempfänger weiter. Die bei der Umsetzung der Projekte entstehenden Rechnungen<br />

werden auf Namen der LAG gestellt und von der LAG bei der Bewilligungsbehörde<br />

im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung eingereicht.<br />

Mit dieser Verfahrensweise sind folgende Vorteile verbunden:<br />

� Einfache Realisierung von Vorhaben, die nur über wenig oder keine Eigenmittel<br />

verfügen (z.B. im sozialen Bereich),<br />

� Umsetzung von Projekten mit „VKS-problematischen“ Zuwendungsempfängern,<br />

da die LAG im Verwaltungsverfahren an deren Stelle tritt,<br />

� Vorfinanzierung von Projekten mit Hilfe der Finanzmittel des Eigenanteils insbesondere<br />

für Endempfänger, die keine Vorfinanzierung von EU-Mitteln durch<br />

Banken erhalten (insbesondere soziale Projekte),<br />

� das VKS endet bei der LAG und nicht beim Projektträger (unbeschadet der<br />

Prüfrechte durch die zuständigen Behörden),<br />

� keine „doppelte Beratung“ der Projektträger durch LAG und Bewilligungsbehörde.<br />

Dennoch stellt dieses Modell auch die LAG vor Herausforderungen:<br />

� LAG stellt sicher, dass auch beim Endempfänger die Zuwendungsvoraussetzungen<br />

eingehalten werden, insbesondere die Zweckbindungsfristen etc.,<br />

� LAG trägt alle Risiken des Zuwendungsverfahrens bezüglich Sanktionierung<br />

etc.<br />

Eine weitere Alternative stellen die Regionalfonds dar. Hier werden derzeit wichtige<br />

Erfahrungen z.B. in den Stadtentwicklungsprogrammen gesammelt. Im Rahmen<br />

des ELER sind diese nur für Unternehmen und nur unter recht anspruchsvollen<br />

Verfahrensregelungen möglich. Regionalfonds auch für nicht rentierliche Projekte<br />

sind jedoch ein gutes Instrument auch zur Einbindung privaten regionalen Kapitals.<br />

Denn nicht nur angesichts schmaler werdender öffentlicher Haushalte ist die Einbindung<br />

privaten Kapitals sinnvoll: Es sorgt auch für eine noch bessere Verankerung<br />

privater Akteure im regionalen <strong>Entwicklung</strong>sprozess. Es bleibt also abzuwarten,<br />

welche Rahmenbedingungen hier ab 2014 gelten.


66 Daniel Gellner<br />

8. Fazit<br />

Integrierten regionalen Strategien ohne fachliche Einengung gehört die Zukunft. Die<br />

Einbindung der Zivilgesellschaft in regionale Entscheidungsprozesse aktiviert weitere<br />

<strong>Entwicklung</strong>spotentiale. Integrierte Strategien erfordern integrierte <strong>Finanzierung</strong>en.<br />

Eine Harmonisierung der Regelungen vor allem zwischen EFRE und ELER im<br />

Bereich der Regionalbudgets und Regionalfonds wäre dabei hilfreich.<br />

Quellen<br />

Elbe et. al. (2008): Land-Stadt Kooperationen und Politikintegration für ländliche<br />

Räume – Zentrale Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Begleitforschung<br />

Regionen Aktiv 2007 bis 2008. Abschlussbericht<br />

Landesentwicklungsplan 2003 (LEP 2003); bekannt gemacht durch Verordnung<br />

der Sächsischen Staatsregierung über den Landesentwicklungsplan Sachsen<br />

(LEP 2003) vom 16. Dezember 2003 [SächsGVBl 19/2003 vom 31. Dezember<br />

2003]<br />

Verordnung (EG) Nr. 1783/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

vom 21. Juli 1999 über den Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />

[Amtsblatt L 213 vom 13.8.1999]<br />

Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die<br />

Förderung der <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums durch den Europäischen<br />

Landwirtschaftsfonds für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums (ELER)<br />

[Amtsblatt L 277/1 vom 21.10.2005]<br />

Verordnung (EG) Nr. 1081/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der<br />

Verordnung (EG) Nr. 1784/1999 [Amtsblatt L 210/12 vom 31.7.2006]<br />

Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zur<br />

Integrierten Ländlichen <strong>Entwicklung</strong> im Freistaat Sachsen (Förderrichtlinie<br />

Integrierte Ländliche <strong>Entwicklung</strong> – RL ILE/2007) [SächsABl., Jg. 2007, Bl.-<br />

Nr. 47, S. 1601]<br />

Halbzeitbewertung des EPLR Sachsen: Veröffentlichung Ende 2010 unter<br />

www.smul.sachsen.de


Regionalisierte Förderung in Sachsen 67<br />

Kontakt:<br />

Daniel Gellner<br />

Abteilungsleiter Grundsatzfragen und ländliche <strong>Entwicklung</strong><br />

Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft<br />

Ansprechpartner:<br />

Andreas Grieß<br />

E-Mail: Andreas.Griess@smul.sachsen.de


68 Daniel Gellner


Regionalbudgets im Modellvorhaben Regionen Aktiv –<br />

und wie geht das in Zukunft?<br />

von Dr. Sebastian Elbe<br />

Auch wenn das Modellvorhaben „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ mittlerweile<br />

schon ein paar Jahre abgeschlossen ist, so wird dennoch im Zusammenhang<br />

mit der Diskussion um Regionalbudgets nach wie vor darauf Bezug genommen<br />

– und zwar sehr positiv. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Zum einen, was<br />

das Besondere und Positive an den Regionalbudgets war, und zum anderen – und<br />

das ist wahrscheinlich viel wichtiger – die Frage, wie eine solche Lösung in Zukunft<br />

umgesetzt werden könnte. Im Folgenden werden zentrale Aspekte zur Beantwortung<br />

der beiden Fragen aufgeführt. Vor allem die Möglichkeiten und Argumente<br />

für die zweite Frage, d.h. die zukünftige Umsetzung von Regionalbudgets<br />

insbesondere in der EU-Förderperiode ab 2014 sollen zur Diskussion beitragen.<br />

Angestrebte Ausrichtung der Regionalförderung<br />

Regionalentwicklung ist ein fester Zielbereich öffentlicher Förderprogramme. Die<br />

Notwendigkeit wird kaum ernsthaft in Frage gestellt, d.h. das „ob“ steht außer Frage.<br />

Die Art und Weise, „wie“ gefördert werden sollte, ist jedoch umstritten.<br />

Schließlich geht es um die Verteilung von Macht(-ressourcen) in einem komplexen<br />

Mehrebenensystem von der EU über die nationale und Länderebene bis in die<br />

Regionen. Regionalentwicklung muss dabei die zunehmende Komplexität sowohl<br />

der Herausforderungen als auch der Ausgangsbedingungen <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

berücksichtigen: Die heterogenen Probleme, Ausgangsbedingungen und Lösungsstrategien<br />

vor allem in Feldern demografischen Wandels oder wirtschaftlicher<br />

<strong>Entwicklung</strong> benötigen oftmals regionalisierte Ansätze. Denn mindestens auf<br />

Landesebene aber auch teilweise auf der regionalen Ebene, als eine Ebene zwischen<br />

einem Landkreis und einem Bundesland, ist eine Binnendifferenzierung im<br />

Sinne von unterschiedlichen oder sogar gegensätzlichen <strong>Entwicklung</strong>slinien und -<br />

prozessen zu beobachten. Folgt man dieser Argumentation, wird deutlich, dass<br />

die Entscheidungen über Lösungsstrategien und Kompetenzen zu deren Umsetzung,<br />

dem Subsidiaritätsprinzip folgend, möglichst dezentral und entlang eines<br />

integrierten Ansatzes getroffen werden sollten. Im Bereich der regionalen Wirtschaftspolitik<br />

ist die Umsetzungsebene offensichtlich die Region.


70 Dr. Sebastian Elbe<br />

Entsprechend den in den Verwaltungswissenschaften verwendeten drei Kompetenzarten<br />

der Politik müsste eine Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale<br />

Ebene die Entscheidungskompetenz aber vor allem auch die <strong>Finanzierung</strong>s- und<br />

Verwaltungskompetenz umfassen. 14 Die übergeordneten Ebenen sollten in einem<br />

solchen System nur die Rahmenbedingungen definieren, verlagern in der Regel<br />

jedoch zur Sicherung der eigenen Machtressourcen die <strong>Finanzierung</strong>skompetenz<br />

(Stichwort „Goldener Zügel“) und die Verwaltungskompetenz nicht. Den zentralen<br />

Engpass stellen hierbei die Bundesländer dar.<br />

Dass die Förderung von Regionalentwicklung zukünftig stärker regionalisiert werden<br />

sollte, fordern vor allem internationale Untersuchungen, insbesondere der<br />

OECD. Im Jahr 2006 veröffentliche die OECD „Das neue Paradigma für den ländlichen<br />

Raum“ 15 , das im Kern die Forderung enthält, die Förderung weg von der<br />

sektoralen Förderung und Unterstützung der Landwirtschaft, hin zur Valorisierung<br />

lokaler Aktiva und der Ausschöpfung ungenutzter Ressourcen auszurichten. Hierbei<br />

sollen die Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen mit eingebunden werden.<br />

Übersicht 1: Das neue Paradigma für den ländlichen Raum<br />

Altes Konzept Neues Konzept<br />

Zielsetzung Ausgleich, Agrareinkommen,Agrarwettbewerbs-<br />

Wettbewerbsfähigkeit ländlicher Räume, Valorisierung<br />

lokaler Aktiva, Ausschöpfung ungefähigkeitnutzter<br />

Ressourcen<br />

Wichtiger<br />

Zielsektor<br />

Landwirtschaft Verschiedene Sektoren ländlicher Volkswirtschaften<br />

(z.B. ländlicher Tourismus, verarbeitendes<br />

Gewerbe, IKT-Industrie usw.)<br />

Wichtigste<br />

Instrumente<br />

Subventionen Investitionen<br />

Wichtigste<br />

Akteure<br />

Nationale Regierungen,<br />

Landwirte<br />

Alle Regierungsebenen (supranational, national,<br />

regional und lokal), verschiedene lokale<br />

Stakeholder (öffentlich, privat, NRO)<br />

Quelle. OECD (2006): Das neue Paradigma für den ländlichen Raum, S. 15.<br />

14 Eser, Thiemo (1996): Ökonomische Theorie der Subsidiarität und Evaluation der Regionalpolitik.<br />

Ableitung eines Beurteilungskonzeptes und dessen Anwendung auf die institutionellen Strukturen<br />

Englands und Deutschlands von der EU bis zur kommunalen Ebene. Baden-Baden. S. 58ff.<br />

Bergmann, Eckard; Ulrike Hardt (1999): Aufgabenverteilung und Einnahmekompetenzen in Regionen.<br />

S. 635. In: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (1999): Perspektiven für<br />

die Region als Planungs- und Handlungsebene. Informationen zur Raumentwicklung. Heft<br />

9/10.1999. Bonn. S. 629-644.<br />

15 OECD (2006): Das neue Paradigma für den ländlichen Raum, S. 15.


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 71<br />

Bis zum Jahr 2010 konnte noch mit dem Argument, dass es sich hierbei um ländliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> im Sinne der Landwirtschaft handelt, vom notwendigen Wandel<br />

abgelenkt werden. Ländliche <strong>Entwicklung</strong> wurde dabei nicht als Regionalentwicklung<br />

in ländlichen Räumen, sondern als eine Politiknische des Sektors Landwirtschaft<br />

begriffen.<br />

Im Jahr 2010 hat die OECD 16 nun auch für die Regionalförderung ähnliche notwendige<br />

Veränderungen im Rahmen eines „Paradigmenwechsel der regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>spolitik“ eingefordert. Die beiden, bisher immer noch zu sehr getrennten<br />

Politik- und Förderbereiche sollten demnach eine Veränderung in die gleiche<br />

Richtung erfahren.<br />

Übersicht 2: Paradigmenwechsel der regionalen <strong>Entwicklung</strong>spolitik<br />

Old paradigm New paradigm<br />

Problem recogni- Regional disparities in income, Lack of regional competitivetion<br />

infrastructure stock, and emness, underused regional poploymenttential<br />

Objectives Equity through balanced regional<br />

development<br />

Competitiveness and equity<br />

General policy Compensating temporally for Tapping underutilised regional<br />

framework<br />

location disadvantages of lagging potential through regional<br />

regions, responding to shocks programming (Proactive for<br />

(e.g. industrial decline) (Reactive<br />

to problems)<br />

potential)<br />

Theme coverage Sectoral approach with a limited Integrated and comprehensive<br />

set of sectors<br />

development projects with<br />

wider policy area coverage<br />

Spatial orientation<br />

Targeted at lagging regions All-region focus<br />

Unit for policy<br />

intervention<br />

Administrative areas Functional areas<br />

Time dimension Short term Long term<br />

Approach One-size-fits-all approach Context-specific approach<br />

(place-based approach)<br />

Focus Exogenous investments and Endogenous local assets and<br />

transfers<br />

knowledge<br />

Instruments Subsidies and state aid (often to Mixed investment for soft and<br />

individual firms)<br />

hard capital (business environment,<br />

labour market, infrastructure)<br />

Actors Central government Different levels of government,<br />

various stakeholders<br />

(public, private, NGOs)<br />

Quelle: OECD (2010): Regional Development Policies in OECD Countries, S. 13.<br />

16 OECD (2010): Regional Development Policies in OECD Countries, S. 13.


72 Dr. Sebastian Elbe<br />

Im Bereich der Umsetzungs- und <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente würden Regionalbudgets<br />

einen wesentlichen Beitrag zur Regionalisierung leisten. Hierdurch wäre es<br />

auch möglich, einen sehr viel stärker integrierten Ansatz bei der Regionalentwicklung<br />

zu verfolgen. Aber, und dies sei an dieser Stelle ebenfalls deutlich gesagt,<br />

Regionalbudgets haben auch ihre Grenzen und sind eine sinnvolle Ergänzung im<br />

Instrumentenkasten der Regelförderung. Sie sind nicht der Ersatz der Regelförderung.<br />

Diese ist vor allem bei überregionalen (Groß-)Projekten im Bereich Infrastruktur<br />

sowie Forschung und <strong>Entwicklung</strong> weiterhin notwendig und sinnvoll.<br />

Wie war das noch mal bei Regionen Aktiv? 17<br />

Regionen Aktiv ist und war nicht das einzige Vorhaben, dass Regionalbudgets zur<br />

Umsetzung eingesetzt hat. Weitere Initiativen wie XperRegio 18 , die Regionalisierten<br />

Teilbudgets in Niedersachsen (RTB 19 ) oder die Umsetzung des ELER bzw.<br />

ILE in Schleswig-Holstein bzw. Sachsen sind im vorliegenden Buch beschrieben<br />

und zeigen, dass eine Verlagerung der inhaltlichen sowie der finanziellen und administrativen<br />

Steuerung und Verantwortung in der Praxis funktioniert und dabei<br />

sowohl weiche Wirkungen (Steigerung des Selbstwertgefühls etc.) als auch harte<br />

Effekte (Arbeitsplätze und Folgeinvestitionen) über einen integrierten Ansatz erzielt.<br />

Abwicklung des Regionalbudgets<br />

Im Rahmen des Modellvorhabens Regionen Aktiv (RA) wurde die Förderung zur<br />

Umsetzung der über ein 2-stufiges Wettbewerbsverfahren ausgewählten regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepte (REK) in den Modellregionen über ein eigenes Regionalbudget<br />

organisiert. Die Höhe des Regionalbudgets betrug durchschnittlich ca.<br />

2,7 Mio. Euro pro Region für die gesamte Umsetzungsphase 2002 bis 2007. Die<br />

RA-Mittel waren reine Bundesmittel und mussten deshalb nicht wie EU-Mittel national<br />

öffentlich kofinanziert werden. Dadurch wurden zwei Probleme, die im Rahmen<br />

der EU-Förderung LEADER zu beobachten waren, umgangen:<br />

� Zum einen ist das Aufbringen einer nationalen öffentlichen Kofinanzierung<br />

nicht unproblematisch. In den Bundesländern, in denen sich das Land aus dieser<br />

Kofinanzierung zurückgezogen hat und die kommunale Ebene in die Pflicht<br />

17<br />

Siehe ausführlich in: Elbe, Sebastian (2007): Die Voraussetzungen der erfolgreichen Steuerung<br />

integrierter Ansätze durch Förderprogramme. Untersucht am Beispiel des Modellvorhabens Regionen<br />

Aktiv. Dissertation an der Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund. Auf dieser Veröffentlichung<br />

basiert das vorliegende Unterkapitel.<br />

18<br />

www.xperregio.de<br />

19<br />

Siehe http://www.mw.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=5685&article_id=15684&<br />

_psmand=18


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 73<br />

nimmt, werden systematisch diejenigen Regionen bevorzugt, die sich EU-Mittel<br />

„noch leisten“ können. Benachteiligt werden strukturschwache Regionen. Die<br />

Länder lassen hierdurch die Ausgleichsfunktion der Förderung in den Hintergrund<br />

treten: Finanzschwache Kommunen haben das Nachsehen und es profitieren<br />

die finanzstarken Kommunen.<br />

� Zum anderen war die Anrechnung von privaten Mitteln im Rahmen von RA<br />

sehr viel einfacher als bei LEADER, wo aufgrund der Notwendigkeit der EUbestimmten<br />

Finanzkontrollen und der bereits angesprochenen nationalen öffentlichen<br />

Kofinanzierung 20 ein sehr enger Rahmen gesetzt wurde.<br />

Die RA-Mittel waren zudem nicht sektor- oder zweckgebunden, sondern unterlagen<br />

nur den Festlegungen im Notifizierungstext und der Maßgabe der Nachrangigkeit,<br />

d.h. RA-Mittel durften nur dann eingesetzt werden, wenn keine anderen<br />

Förderungen möglich waren. Die RA-Mittel unterlagen zudem der Jährlichkeit des<br />

Bundeshaushaltes. Die Bundesmittel wurden den sogenannten Abwicklungspartnern<br />

(AP) in den Modellregionen per Zuweisungsbescheid vom Ministerium zur<br />

selbständigen Bewirtschaftung zugewiesen. Die AP wurden damit ermächtigt, der<br />

für die Region zuständigen Bundeskasse Kassenanordnungen zu erteilen. Die<br />

Auszahlung der Mittel erfolgte auf Anforderung des Zuwendungsempfängers über<br />

den AP. Lag der Bundeskasse eine entsprechende Auszahlungsanordnung des<br />

AP vor, überwies sie die Mittel direkt an den Zuwendungsempfänger. Die Bereitstellung<br />

der Mittel konnte dabei auf zwei Wegen erfolgen: Entweder nach dem<br />

Erstattungsprinzip auf Ausgabenbasis, d.h. die Zuwendungsempfänger mussten<br />

ihre tatsächlichen Ausgaben nachweisen, die dann erstattet wurden, oder nach<br />

dem Vorauszahlungsprinzip, d.h. die Zuwendungsempfänger konnten Mittel in<br />

dem Umfang anfordern, wie sie sie innerhalb der nächsten zwei Monate benötigen<br />

würden.<br />

20 Der Standpunkt der EU-Kommission ist dabei leicht verständlich: Da es sich um eine öffentliche,<br />

nationale Kofinanzierung handeln muss, sind hierfür private Mittel grundsätzlich nicht möglich.<br />

Dies hat zur Folge, dass das eigentlich erwünschte Einbringen von privatem Kapitel stark erschwert<br />

wird. Als Ausweg wurden teilweise private Mittel an die Kommunen zweck-ungebunden<br />

gespendet, um so eine offizielle öffentliche nationale Kofinanzierung zu generieren. Dieses Vorgehen<br />

wurde von EU-Kommission bisher weder öffentlich akzeptiert noch sanktioniert (Stand<br />

10/2005).<br />

In der Förderperiode 2007-2013 hat sich die Problematik des Einbringens von privaten Mitteln im<br />

Rahmen des ELER nicht geändert. Im Rahmen der EU-Strukturfonds ist dies jedoch grundsätzlich<br />

möglich.


74 Dr. Sebastian Elbe<br />

Übersicht 3: Idealtypische Entscheidungswege und vorgeschriebene Finanzflüsse<br />

Externe Partner<br />

Beiräte etc.<br />

Beirat<br />

Entscheidungsebene<br />

3.<br />

Arbeitsebene<br />

3.<br />

Umsetzungsebene<br />

E.<br />

Jury<br />

B.<br />

Regionale Partnerschaft<br />

(e.V., GmbH etc.)<br />

Entscheidungen zu Projektanträgen<br />

und zum Regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />

2.<br />

Regionalmangement<br />

Koordination, Projektleitung,<br />

Erfolgskontrolle<br />

1.<br />

Projektträger<br />

<strong>Entwicklung</strong> von Projekten und<br />

Umsetzung durch Projektträger<br />

BMVEL<br />

Rahmensteuerung: A, B, C, D, E<br />

A. Das BMVEL setzt die Jury und den Beirat für den Wettbewerb „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ ein.<br />

B. Die Jury wählt die Modellregionen in einem zweistufigen Auswahlverfahren aus.<br />

C. Das REK ist die vertragliche Vereinbarung zur Durchführung des Modellvorhabens zwischen BMVEL und<br />

Modellregion.<br />

D. Die Zuweisungsbescheide werden an den Abwicklungspartner auf Grundlage des REK (siehe C.) erstellt. Der<br />

Abwicklungspartner erstellt den Schlussverwendungsnachweis zum 31.12.2006.<br />

E. Der Beitrat erarbeitet Empfehlungen zur Umsetzung des Wettbewerbes (z.B. Vergabe der leistungsgebundenen<br />

Reserve und Genehmigung bei Änderungen des REK).<br />

Detailsteuerung: 1, 2, 3, 4, 5, 6<br />

1. Erarbeitung von Projektanträgen, die über die Arbeitsebene an die Entscheidungsebene weitergeleitet werden.<br />

2. Vorprüfung der Projektanträge und Einreichung bei der Entscheidungsebene. Begleitung und Beratung bei der<br />

Antragstellung, Projektumsetzung und Evaluation.<br />

3. Fachliche Beratung durch externe Institutionen und Personen.<br />

4. Nach Beratung und Abstimmung über die Anträge auf der Entscheidungsebene werden diese an den Abwicklungspartner<br />

(AP) weitergeleitet.<br />

5. Nach Prüfung der rechtlichen Bedingungen wird der Zuwendungsbescheid durch den AP an den Projektträger<br />

erteilt. Der Projektträger fordert die Mittel beim AP an und muss gegenüber dem AP die Verwendungsnachweise<br />

erbringen.<br />

6. Über eine Kassenanordnung des AP wird dem Projektträger das Geld von der Bundeskasse überwiesen. Zu<br />

viel gezahlte Mittel und Rückforderungen (Erstellung des Rückforderungsbescheides durch den AP) werden<br />

vom Projektträger direkt an die jeweilige Bundeskasse überwiesen.<br />

A.<br />

C.<br />

4.<br />

Abwicklungspartner<br />

5.<br />

D.<br />

Abwicklungspartner<br />

haushaltstechnische<br />

Prüfung und<br />

Abwicklung durch<br />

öffentlich rechtliche<br />

Körperschaft<br />

6.<br />

6.<br />

Bundeskasse<br />

Rahmensteuerung Detailsteuerung


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 75<br />

Das Vorauszahlungsprinzip hat für die Projektträger den Vorteil, dass sie nicht in<br />

Vorleistung treten müssen, denn gerade bei kleineren Institutionen oder (gemeinnützigen)<br />

Vereinen sowie bei einer schwachen Eigenkapitalausstattung im Wirtschaftsbereich<br />

ist dies ein Problem. Nachteil ist, dass eventuell zu viel ausgezahlte<br />

und nicht verausgabte Mittel verzinst werden müssen. Hierdurch erhöht sich<br />

der Verwaltungsaufwand.<br />

Das Regionalbudget stand der Region somit nicht „physisch“ zur Verfügung (z.B.<br />

auf einem Konto in den Modellregionen), sondern es wurde ein „virtuelles“ Regionalbudget<br />

eingerichtet. Die Regionen haben entsprechend Bundesmittel bewirtschaftet<br />

– es waren zu keinem Zeitpunkt echte regionale Mittel. Mit dieser Konstruktion<br />

des Mittelflusses unterlagen die Regionalbudgets zum einen automatisch<br />

der Jährlichkeit des Bundes- bzw. den Haushaltsplanungen des Ministeriums und<br />

zum anderen wurde ein Mittelrückfluss aus erfolgreichen Projekten in das Regionalbudgets<br />

verbaut.<br />

Durch die o.a. Konstruktion des Finanzflusses gab es für die Modellregionen weder<br />

einen Anreiz noch die Möglichkeit alternative <strong>Finanzierung</strong>sformen anzuwenden,<br />

die z.B. einen Mittelrückfluss aus erfolgreichen Projekten in das Regionalbudget<br />

ermöglicht hätten: Ein sehr positiv zu bewertender Mittelrückfluss wurde<br />

ausgeschlossen, da zurückfließende Mittel an die Bundeskasse überwiesen werden<br />

mussten. Die Mittel wurden dort unter dem Titel „vermischte Einnahmen“ verbucht<br />

und flossen dem allgemeinen Bundeshaushalt zu. Sie waren damit sowohl<br />

für die Modellregionen als auch für das Ministerium „verloren“. Sämtliche Mittel<br />

wurden entsprechend als sogenannte verlorene Zuschüsse gewährt.<br />

Mit dieser <strong>Finanzierung</strong>sform orientierte sich RA an der immer noch vorherrschenden<br />

Subventionspraxis der EU-Förderung, die ebenfalls von verlorenen Zuschüssen<br />

dominiert wird. Dies trägt zwar zur Verwaltungsvereinfachung bei, da<br />

Zuschüsse einfacher zu administrieren sind als Darlehen oder Bürgschaften bei<br />

denen nicht nur der Mittelabfluss, sondern auch der Mittelrückfluss überwacht<br />

werden muss. Aus ökonomischer Sicht ist dies jedoch nicht unbedingt sinnvoll, da<br />

in Verbindung mit den o.a. hohen öffentlichen Förderanteilen die Gefahr der Mitnahmeeffekte<br />

steigt. Nach Fährmann/Grajewski 2003 erhöht sich die Anfälligkeit<br />

für Mitnahmeeffekte, je offener Auswahlkriterien formuliert sind, je weniger mit<br />

Gebietskulissen gearbeitet wird und je niedriger Auflagen sind, bzw. je weniger bei<br />

der Förderung nach Inhalten differenziert wird. 21<br />

21 Vgl. Fährmann, Barbara und Regina Grajewski (2003): Halbzeitbewertung von PROLAND Niedersachsen.<br />

Programm zur <strong>Entwicklung</strong> der Landwirtschaft und des ländlichen Raums. Materialband<br />

10 zu Kapitel 10. Kapitelübergreifende Fragestellung. Braunschweig. S. 21.


76 Dr. Sebastian Elbe<br />

Wesentliche Neuerungen durch Regionen Aktiv<br />

Das Regionalbudget war eine zentrale Neuerung für die ländliche <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Neben der möglichen inhaltlichen Breite der Förderung wurden die inhaltliche Entscheidungsverantwortung<br />

(durch die regionale Projektauswahl) und auch die Budgetverantwortung<br />

an die Regionen delegiert (Konnexitätsprinzip). Neu – vor allem<br />

im Vergleich zur damaligen EU-Gemeinschaftsinitiative LEADER+ – war, dass das<br />

Regionalbudget als zweckungebundene Bundesmittel vergeben wurde und keine<br />

weitere öffentliche Kofinanzierung wie bei EU-Mitteln notwendig war. Des Weiteren<br />

waren die Mittel nicht an administrative Grenzen gebunden und ermöglichten<br />

die Kombination mit oder die Kofinanzierung durch private Mittel und einen administrative<br />

Grenzen überschreitenden Ansatz wesentlich besser.<br />

Darüber hinaus stellte der Abwicklungspartner vor Ort eine weitere zentrale Neuerung<br />

und Besonderheit bei der Förderung dar: Während in der bisherigen Förderung<br />

die für die administrative Abwicklung zuständigen Stellen vom Fördermittelgeber<br />

bestimmt werden und in der Regel dessen nachgelagerte Behörden sind<br />

(z.B. bei LEADER), mussten die Regionen bei RA eigenständig eine öffentlichrechtliche<br />

Stelle hierfür benennen, die für die technisch-finanziellen Belange 22 verantwortlich<br />

war. Als potentielle AP kamen z.B. Landkreise, Kommunen, Landwirtschaftskammern<br />

oder Ämter für Agrarordnung in Betracht. Die im Rahmen der<br />

EU-Strukturfonds mögliche Übertragung dieser Aufgaben auf eine Nichtregierungsorganisation<br />

war nicht zulässig.<br />

Haushaltsrechtlich war der Abwicklungspartner vor Ort eine sog. zwischengeschaltete<br />

Stelle. Nach der Bundeshaushaltsordnung 23 (BHO) bzw. den Haushaltsordnungen<br />

der Länder (LHO) können zwischengeschaltete Stellen als so genannte<br />

beliehene Stellen zur Abwicklung eines Regionalen Budgets vorgesehen<br />

werden. Grundlage sind die §§ 23 und 44 der BHO. Diese regeln die Voraussetzungen<br />

von Zuwendungen und die Verwaltung von Mitteln oder Vermögensgegenständen<br />

außerhalb der Bundesverwaltung. Grundvoraussetzungen zur Veranschlagung<br />

von Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen an Stellen außerhalb<br />

der Bundesverwaltung sind einerseits ein erhebliches Interesse des Bundes an<br />

der Erfüllung bestimmter Zwecke durch solche Stellen und andererseits die Bedingung,<br />

dass ohne diese besondere Form der Mittelzuwendungen der Zweck<br />

nicht oder nicht im notwendigen Umfang erfüllt werden könnte (§ 23 BHO).<br />

22 Dies betrifft insbesondere das Haushalts- und Vergaberecht sowie Wettbewerbs- und Beihilferecht.<br />

Der AP musste sich hierfür schriftlich gegenüber dem Ministerium bereiterklären, die Zuwendungsbescheide<br />

an den Zuwendungsempfänger zu erteilen, die Mittel zu verwalten, die<br />

Haushaltsüberwachung durchzuführen, die Beachtung der Fördervorschriften zu garantieren und<br />

die Verwendungsnachweise zu prüfen (vgl. BMVEL 2001a: 17).<br />

23 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 1969. BGBl. I S. 1284. Zuletzt geändert durch<br />

Artikel 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 1997. BGBl. I S. 3251.


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 77<br />

Übersicht 4: Rechtliche Anforderungen an zwischengeschaltete Stellen<br />

Bundesfinanzministeriums<br />

Zustimmung durch das Ministerium<br />

(§ 44 Abs. 4 BHO)<br />

Übertragung der<br />

Befugnisse und<br />

Aufsicht durch das<br />

zuständige<br />

Bundesministerium<br />

(§ 44 Abs. 3 BHO)<br />

Interesse des Bundes<br />

(§ 23 BHO)<br />

Intermediäre Organisation<br />

Institutionalisierung der intermediären Organisation<br />

als Person des privaten Rechts (§ 44 Abs. 3 BHO)<br />

Zustimmung der intermediären Organisation zur<br />

Übertragung der Aufgaben (§ 44 Abs. 3 BHO)<br />

Quelle: Elbe/Kroës/Schubert 2002: 57<br />

Zuständiges Bundesministerium<br />

Einräumung des<br />

Prüfrechts der<br />

zuständigen Dienststellen<br />

(§ 44 Abs. 1 BHO)<br />

Sicherstellung des Nachweises<br />

der zweckentsprechenden<br />

Mittelverwendung<br />

(§ 44 Abs. 1 BHO)<br />

Aufsicht durch das zuständige Bundesministerium<br />

(§44 Abs. 3 BHO)<br />

oder Übertragung auf nachgeordnete<br />

Dienststellen (§44 Abs. 3 BHO)<br />

nachgeordnete Dienststellen<br />

Aufsicht bei Übertragung durch das<br />

zuständige Bundesministerium<br />

Im Bereich der EU-Strukturfonds kann die administrative Verwaltung von Regionalen<br />

Budgets (Globalzuschuss nach EU-Nomenklatur; siehe Artikel Dr. Hartke im<br />

vorliegenden Buch) ebenfalls durch zwischengeschaltete Stellen durchgeführt<br />

werden. Kriterien zu deren Auswahl sind:<br />

� In der Regel in der bzw. den betreffenden Regionen niedergelassen oder vertreten<br />

(in begrenzten und begründeten Fällen auch außerhalb). Sie müssen die<br />

sozio-ökonomischen Kreise, die unmittelbar von der Durchführung der vorgesehenen<br />

Maßnahmen betroffen sind, in angemessener Weise beteiligen;<br />

� Anerkannte Kompetenz und mehrjährige Erfahrung in Verwaltungsmanagement<br />

und Finanzkontrolle sowie Wahrnehmung von Aufgaben von öffentlichem<br />

Interesse;<br />

� Solvenz (wirtschaftliche Zahlungsfähigkeit).<br />

Zwischengeschaltete Stellen können lokale Behörden, Regionalentwicklungsorgane<br />

oder Nichtregierungsorganisationen sein.


78 Dr. Sebastian Elbe<br />

Mit der RA-Konstruktion wurde ein Kompromiss zwischen dem derzeit bereits Möglichen<br />

und dem im Ministerium Durchsetzbaren gefunden. Die Folge war, dass der<br />

AP über ein Einspruchsrecht („technisches Veto“) in den Fällen verfügte, in denen<br />

die von der Regionalen Partnerschaft ausgewählten Projekte nicht dem geltenden<br />

Recht entsprachen oder andere <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten (Nachrangigkeit der<br />

RA-Mittel) vorhanden waren. Inhaltlich war der AP jedoch an die Entscheidungen<br />

der Regionalen Partnerschaft gebunden. 24<br />

Die größten Vorteile am AP vor Ort werden von den Modellregionen 25 in der räumlichen<br />

Nähe, den regionalen Kenntnissen und den direkten (persönlichen) Kontakten<br />

gesehen. Die räumliche Nähe erlaubte kurze Bearbeitungszeiten und zeitnahe<br />

Entscheidungen bzw. Prüfungen, die ihrerseits die Grundlage für schnelle<br />

Erfolge darstellten und zu einer höheren Motivation der Akteure für die weitere<br />

Zusammenarbeit führte. Die fehlenden Zwischeninstanzen bei der Prüfung verkürzten<br />

die Genehmigungszeiten und verhinderten das Verschieben des „schwarzen<br />

Peters“: Die Region war selbst verantwortlich. Mit seinen regionalen Kenntnissen<br />

war der AP ein verlässlicher, qualifizierter Partner, der mit seiner Arbeit das<br />

Regionalmanagement entlastete. Die direkten persönlichen Kontakte und enge<br />

Abstimmung zwischen den Akteuren schafften Vertrauen, minimierten den „Nachsteuerungsaufwand“<br />

und erlaubten Flexibilität. Insgesamt wurde die Abwicklung<br />

vor Ort als sehr positiv eingestuft und eine Übertragung des Ansatzes in zukünftige<br />

Förderprogramme gefordert.<br />

Die Einführung des Regionalen Budgets in Verbindung mit dem AP vor Ort war in<br />

der Kombination und Konsequenz eine, wenn nicht sogar die zentrale Neuerung<br />

für die Förderung des ländlichen Raums in Deutschland. Die regionale Verantwortung<br />

war dabei ein Gewinn für die <strong>Entwicklung</strong> in der Region: Sie löste Lerneffekte<br />

aus und führte zu Kompetenzsteigerung. Der AP vor Ort hatte sich bei RA<br />

als Ressource für die <strong>Entwicklung</strong> der Modellregionen etabliert.<br />

24 „Der Abwicklungspartner ist an die Projektauswahl durch die regionale Partnerschaft gebunden,<br />

soweit die <strong>Finanzierung</strong> und die Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften gesichert ist“<br />

(BMVEL (2001): Regionen Aktiv. Land gestaltet Zukunft. Informationen zum Wettbewerb. Bonn.<br />

S. 17).<br />

25 Die hier wiedergegebene Zusammenfassung der Aussagen der Modellregionen basiert auf der<br />

Auswertung der Abschlussberichte Teil 1 und ist ausführlich dokumentiert in Elbe 2005a. Die Frage<br />

im Leitfaden zum Abschlussbericht Teil 1 lautete: Frage 3f: Welche Vor- und Nachteile hatte<br />

die finanzielle und haushaltstechnische Abwicklung des regionalen Budgets vor Ort durch den<br />

Abwicklungspartner? [max. halbe Seite].


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 79<br />

Festzuhalten bleibt, dass der Stellenwert und die Möglichkeiten, die mit einem Regionalen<br />

Budget verbunden sind, sehr eng mit der administrativen Abwicklung zusammenhängen:<br />

Je besser der AP in die <strong>Entwicklung</strong>sprozesse eingebunden ist,<br />

desto besser ist dies für den Prozess insgesamt. Die Erfahrungen aus LEADER<br />

zeigen, dass regionsferne oder der Programmbehörde nachgelagerte Abwicklungsstellen<br />

dazu tendieren, inhaltlich einzugreifen.<br />

Regionalbudgets in der nächsten EU-Förderperiode<br />

Welche Schlüsse können nun aus Regionen Aktiv und den weiteren Ansätzen im<br />

Bereich der Regionalbudgets gezogen werden? Regionalbudgets erfüllten die<br />

zentrale Voraussetzung dafür, dass es nicht nur bei der Planung von Veränderungen<br />

in Regionen bleibt, sondern die notwendige Umsetzung von Konzepten und<br />

Ideen durch eine niederschwellige Förderung stattfindet. Ohne Geld fehlt den Akteuren<br />

auf Dauer die Motivation für eine Zusammenarbeit, d.h. die intrinsische<br />

Motivation der regionalen Akteure ist ein notwendiges aber kein allein hinreichendes<br />

Kriterium für regionale <strong>Entwicklung</strong>sprozesse.<br />

Für eine breitere Umsetzung von Regionalbudgets bedarf es einer stärkeren Flankierung<br />

und Rahmensetzung durch die EU-Ebene. Die Erfahrung zeigt, dass<br />

Kann-Bestimmungen für Regionalbudgets in den Verordnungen allein nicht ausreichend<br />

sind. Die bisherigen Diskussionen auf EU-Ebene im Bereich integrierter<br />

Ansätze lassen jedoch erkennen, dass zumindest begründete Hoffnung auf einen<br />

verbesserten Rahmen besteht.<br />

Die strategische Ebene – Brief der vier Kommissare<br />

Ende August 2010 haben die Kommissare der vier großen Fonds EFRE 26 , ESF 27 ,<br />

ELER 28 und EFF 29 in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Barroso einen<br />

gemeinsamen strategischen Rahmen auf EU-Ebene zur besseren Koordinierung<br />

der vier Fonds vorgeschlagen. Dieser aus <strong>regionaler</strong> Sicht zunächst sehr positive<br />

Vorschlag muss jedoch relativiert werden, da gleichzeitig Folgendes geschrieben<br />

wurde: „The distinct characteristics and mechanisms of cohesion policy, rural development<br />

policy and maritime and fisheries policies would continue to be set out<br />

in their respective legislative framework.“ Daraus ergibt sich die Frage, welchen<br />

Stellenwert eine solche gemeinsame Strategie hat, wenn die Verordnungen und<br />

Umsetzungsinstrumente fondspezifisch erhalten bleiben.<br />

26<br />

Europäischer Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>.<br />

27<br />

Europäischer Sozialfonds.<br />

28<br />

Europäischer Landwirtschaftsfonds für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums.<br />

29<br />

Europäischer Fischereifonds.


80 Dr. Sebastian Elbe<br />

Der strategische Ansatz auf EU-Ebene soll sich – so der aktuelle Stand der Diskussionen<br />

– auch auf nationaler Ebene fortsetzen. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten<br />

sollen fondsübergreifende Strategien verfasst werden, um eine verbesserte<br />

Koordination der Förderung zu erreichen. Die Durchschlagskraft eines solchen<br />

Papiers ist zumindest in förderalen Staaten und insbesondere in Deutschland<br />

eher zweifelhaft: Eine solche Strategie war im Grunde schon in der Förderperiode<br />

2000-2006 für die Neuen Bundesländer durch das sogenannte Gemeinschaftliche<br />

Förderkonzept (GFK) vorhanden. In der aktuellen Förderperiode gibt<br />

es formal zumindest einen Nationalen Strategieplan (NSP) für den ELER und einen<br />

Nationalen Strategischen Rahmenplan für die Strukturfonds. Die drei Konzepte<br />

haben gemeinsam, dass die Verantwortung der Umsetzung der Regionalförderung<br />

und der Agrarförderung qua Grundgesetz bei den Bundesländern liegt.<br />

Konzepte und Strategien auf der bundesstaatlichen Ebene müssen entsprechend<br />

die Vielfalt der Interessen der Länder abbilden und können deswegen strukturell<br />

nur wenig Steuerungswirkung entfalten. Im Fall des NSP für den ELER fordert das<br />

BMELV bereits dessen Abschaffung in der neuen Förderperiode.<br />

Die Ebene der Umsetzungsinstrumente<br />

Folgt man der Argumentation, dass die strategische Ebene allein nicht ausreichend<br />

ist und vor allem in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle spielt, so<br />

ist es notwendig, auf der Ebene der Umsetzungsinstrumente Akzente zu setzen.<br />

Denkbar sind mindestens drei Möglichkeiten:<br />

� Die verpflichtende Einführung von Regionalbudgets,<br />

� das Aufsetzen einer EU-Gemeinschaftsinitiative und<br />

� die Verabschiedung einer Allgemeinen EU-Verordnung für integrierte Ansätze,<br />

die den Rahmen für die Abwicklung von Regionalbudgets im Themenfeld integrierte<br />

Regionalentwicklung setzen könnte.<br />

Die zentralen Aspekte dieser drei Möglichkeiten werden in der folgenden Tabelle<br />

stichpunktartig beschrieben.


Regionalbudgets Regionen Aktiv und in Zukunft 81<br />

Oberziel Sicherstellung und Verbesserung einer integrierten regionalen <strong>Entwicklung</strong> z.B. im Bereich der KMU-Förderung, Daseinsvorsorge und<br />

(wirtschaftsnahen) Infrastruktur<br />

Region = NUTS 3 (Landkreis) oder freiwilliger aber institutionalisierter Zusammenschluss mehrerer NUTS 3 Einheiten<br />

Ziel Implementierung Regionaler Budgets<br />

Strukturfonds und Fonds zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume werden wie bisher durch die einzelnen Generaldirektionen programmiert<br />

und in einzelne EU-Fonds unterteilt. Die EU-Fonds werden jeweils individuell abgewickelt. Das Ressorts-/Sektor-Prinzip wird<br />

nicht verändert.<br />

Grundannahmen<br />

Allgemeine EU-Verordnung<br />

für integrierte Ansätze<br />

Vorwegabzug auf EU-Ebene.<br />

EU-Gemeinschaftsinitiative /<br />

innovative Maßnahme<br />

Regionalbudgets inkl. gegenseitiger<br />

Deckungsfähigkeit der EU-Fonds<br />

Optionen für<br />

Regionalbud-<br />

gets<br />

� Die Allgemeine EU-Verordnung definiert ein<br />

gemeinsames und vereinfachtes Finanz-,<br />

Verwaltungs- und Monitoringsystem, dass an<br />

die Anforderungen integrierter Ansätze angepasst<br />

ist.<br />

� Förderprogramme zur Umsetzung integrierter<br />

Ansätze z.B. integrierte Regionalentwicklung,<br />

integriertes Küstenzonenmanagement,<br />

WRRL oder integrierte Stadtentwicklung unterliegen<br />

dieser Verordnung<br />

� Erhöhung der Fehlertoleranz bei Maßnahmen,<br />

die im Rahmen der Verordnung durchgeführt<br />

werden. Keine Anrechnung der Fehlerquote<br />

auf die Hauptförderlinien<br />

� 10 % der Mittel mit max. Förderquote 10 %<br />

=1 % Fehlerquote bezogen auf alle Mittel<br />

� Earmarking der Mittel für integrierte Ansätze<br />

zu dem Fonds, aus dem die Mittel stammen.<br />

� Vorwegabzug für Regionalbudgets auf<br />

EU-Ebene im Rahmen der Budgetsverhandlungen<br />

� Eine Generaldirektion muss die Gemeinschaftsinitiative<br />

programmieren und für<br />

die Umsetzung verantwortlich sein.<br />

� Möglichkeit der EU-Ebene Regionalbudgets<br />

direkt an die regionale Ebene (NUTS<br />

3 / Zusammenschluss NUTS 3) zu geben<br />

� Die Mittel für Regionalbudgets sind im<br />

Rahmen aller aktuellen Fondsverordnungen<br />

und Leitlinien gegenseitig deckungsfähig<br />

(s.o.).<br />

� Earmarking der Regionalen Budgets zu<br />

den Zielen auf EU-Ebene nicht zu einzelnen<br />

EU-Fonds<br />

EU-Verordnungen definieren:<br />

� zweckgebundene Mittel für Regionalbudgets<br />

auf der Ebene der Operationellen<br />

Programme (OP)<br />

� max. 10-15 % des EU-Fonds. Werden<br />

die Regionalen Budgets nicht eingerichtet,<br />

fließen die EU-Mittel an die<br />

EU zurück (= Anreiz für OP-Ebene)<br />

� dass die Mittel für Regionalbudgets im<br />

Rahmen aller aktuellen Fondsverordnungen<br />

und Leitlinien gegenseitig dekkungsfähig<br />

sind inkl. Allgemeiner Gruppenfreistellungsverordnung<br />

und Deminimis-Verordnung<br />

� dass die Mittel der Regionalen Budgets<br />

über Earmarking den jeweiligen Fonds,<br />

aus denen sie stammen, zugeordnet<br />

werden oder den Zielen EU 2020.<br />

Charakteristi<br />

ka<br />

� ????<br />

� Allgemeine Strukturfondsverordnung<br />

� FP 7, ehemalige Gemeinschaftsinitiativen<br />

� XperRegio<br />

� Regionen Aktiv<br />

� EU-Initiative Leader+ (2000-2006)<br />

Erfahrungen � Gegenseitige Deckungsfähigkeit von<br />

EFRE und ESF<br />

� EU-Gemeinschaftsinitiative Leader+<br />

(2000-2006)<br />

Die regionale Ebene (NUTS 3) muss für die Umsetzung <strong>regionaler</strong> Budgets qualifiziert sein bzw. qualifiziert werden.<br />

Lösungsansatz: Ein Teil der Regionalen Budgets wird zweckgebunden für Qualifizierung eingesetzt.<br />

Voraus-<br />

Umsetzung


82 Dr. Sebastian Elbe<br />

Drei Varianten zur Umsetzung in den EU-Verordnungen<br />

Neben der Umsetzungsebene ist es auch auf der Ebene des Rechtsrahmens notwendig,<br />

unterstützende Akzente zu setzen. Die o.a. Allgemeine Verordnung für<br />

integrierte Ansätze wäre hierfür eine Möglichkeit. Darüber hinaus gibt es drei Varianten,<br />

wie eine verbesserte und vereinfachte Umsetzung von Regionalbudgets im<br />

vorhandenen bzw. neuen Rechtsrahmen nach 2013 möglich wäre. Zu unterscheiden<br />

ist dabei, ob Regionalbudgets innerhalb eines einzelnen Fonds verankert<br />

werden sollen, oder sich aus zwei oder mehr Fonds speisen. Fondsübergreifende<br />

Regionalbudgets könnten durch folgenden Rechtsrahmen ermöglicht werden.<br />

Variante „Beihilferecht”<br />

Die Regeln für Regionalbudgets in den verschiedenen Fonds basieren auf dem<br />

EU-Haushalts- und Beihilferecht, der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung,<br />

De-minimis etc. Mit dem Rückgriff auf die mehr oder weniger allgemeinen<br />

Rechtsgrundlagen ergeben sich entsprechende Freiheiten bei der inhaltlichen<br />

Ausgestaltung der Regionalbudgets. Gemeinsame Regeln bedeuten dabei auch<br />

vereinfachte Zusammenarbeit und Koordination bis hin zur Teilfusion und dem<br />

Poolen von Mitteln aus verschiedenen Fonds innerhalb eines Regionalbudgets.<br />

Mit dieser Variante geht jedoch ein Verlust an Politiksteuerung für die Seite der<br />

Fördermittelgeber einher.<br />

Variante „Akzeptanz”<br />

Die Regionalbudgets werden durch gleichlautende Artikel zur Umsetzung der Förderung<br />

von Regionen in allen Verordnungen der vier Fonds verankert. Aufwändiger,<br />

aber mit ähnlicher Wirkung wäre die gegenseitige Anerkennung der Verordnungen<br />

für alle Fonds durch alle Fonds. Dem Hauptnachteil der Variante „Beihilferecht“,<br />

dem Verlust an Politiksteuerung, würde entgegengewirkt. Nachteil in dieser<br />

Variante wäre der wahrscheinlich hohe Zeitaufwand zur Abstimmung der gemeinsamen<br />

Regeln bzw. bei der Anerkennung der Regeln der jeweils anderen Fonds.<br />

Variante „Politikwettbewerb“<br />

Die dritte Variante baut auf der Variante „Akzeptanz“ auf, bzw. stellt eine Lösung<br />

für den Fall dar, dass keine Einigung auf gemeinsame Regeln erfolgt und auch die<br />

gegenseitige Anerkennung nicht erzielt wird. Ein Lösungsansatz wäre, dass die<br />

Regionen jeweils selbst zu Beginn der Förderperiode einmalig entscheiden müssen,<br />

nach welchem Regelwerk sie die Regionalbudgets abwickeln, d.h. AGRI oder<br />

REGIO oder EMPL oder MARE. Damit wäre natürlich auch eine „Abstimmung mit<br />

den Füßen“ in Bezug auf die Praxisnähe der Fonds verbunden – vielleicht nicht<br />

die schlechteste Form des Feedbacks für Politikgestalter.


Regionalbudget bei Regionen Aktiv 83<br />

Fazit<br />

Regionalbudgets sind eine Grundvoraussetzung für eine dezentrale, regionalisierte<br />

Förderpolitik und müssen beibehalten bzw. ausgebaut werden. Zur Förderung<br />

einer integrierten <strong>Entwicklung</strong> sollten die Budgets soweit wie möglich zweckund<br />

sektoral ungebunden sein. Wesentliche Aspekte, die für die Zukunft angegangen<br />

werden müssen, sind dabei:<br />

� Wie können Mittelrückflüsse in die Regionalbudgets organisiert werden? Regionalfonds<br />

sind hierfür eine Möglichkeit, teilrückzahlbare Zuschüsse sollten in<br />

den Diskussionen um revolvierende <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente mit berücksichtigt<br />

werden.<br />

� Die Entkopplung der Regionalbudgets von der Jährlichkeit der öffentlichen<br />

Haushalte und Programmplanung sollte im Sinne einer verbesserten Planungssicherheit<br />

erreicht werden. Im Bereich der revolvierenden Fonds in den<br />

EU-Strukturfonds ist dies bereits erreicht.<br />

� Die Abwicklungspartner vor Ort müssen bei der Abwicklung unterstützt werden.<br />

Dies kann z.B. über zentrale Arbeitshilfen oder die Definition von gemeinsamen<br />

und vereinfachten Prüfpfaden erfolgen. Diese sollten eventuell sogar länderübergreifend<br />

definiert werden, um diese über den Bund und damit als Mitgliedstaat<br />

bei der EU-Kommission anerkennen zu lassen.<br />

� Die administrativen Kompetenzen sind nach und nach und je nach Qualifizierungsstand<br />

des AP in die Regionen zu verlagern. Hierfür ist ein Lern- und Qualifizierungsprozess<br />

notwendig, der Zeit kostet.<br />

� Der Prüfaufwand sollte z.B. durch gemeinsam von Programmebene und Regionen<br />

erarbeitete Prüfpfade verringert werden.<br />

Mit den oben beschriebenen Möglichkeiten der verpflichtenden Einführung von<br />

Regionalbudgets, dem Aufsetzen einer EU-Gemeinschaftsinitiative oder der Verabschiedung<br />

einer Allgemeinen EU-Verordnung für integrierte Ansätze liegen in<br />

Verbindung mit den drei Varianten „Beihilferecht“, „Akzeptanz“ und „Politikwettbewerb“<br />

konkrete Vorschläge auf dem Tisch, die durch den Autor sowohl in die Generaldirektionen<br />

AGRI, REGIO und MARE als auch in die offiziellen Arbeitsgremien<br />

der AGRI „Working Group Delivery Mechanism“ getragen wurden.<br />

Ob und inwieweit dies dazu beiträgt, bessere Rahmenbedingungen für Regionalbudgets<br />

zu schaffen, ist dabei nebensächlich. Zentral ist, dass die Diskussionen<br />

über verbesserte Rahmenbedingungen nicht auf der strategischen Ebene enden<br />

dürfen. Nach bisherigen Erfahrungen ist zu erwarten, dass sich in der Praxis dann<br />

leider nicht viel ändert. Aus meiner Sicht ist diese Diskussion jedoch weiterzuführen<br />

und auf alle verantwortlichen Ebenen zu tragen – für eine aktive Regionalentwicklung.


84 Dr. Sebastian Elbe<br />

Kontakt:<br />

Dr. Sebastian Elbe<br />

Geschäftsführender Gesellschafter SPRINT (GbR)<br />

Luisenstraße 16<br />

64283 Darmstadt<br />

E-Mail: elbe@<strong>sprint</strong>consult.de


Teil II: Fonds in der Regionalentwicklung


EFRE-kofinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

in Deutschland<br />

von Ulrike Schreckenberger und Anja Borisch<br />

1. Einführung<br />

Mit diesem Beitrag soll ein Überblick über den Einsatz von neuen innovativen Finanzinstrumenten<br />

in der Europäischen Strukturpolitik in Deutschland gegeben werden.<br />

Beleuchtet werden der aktuelle Umsetzungsstand, der rechtliche Hintergrund,<br />

Verbesserungs- und <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten sowie die Förderperiode nach 2013<br />

im Hinblick auf das Instrumentarium der Europäischen Strukturfonds.<br />

In der Regionalentwicklung gibt es seit einigen Jahren einen Wandel dahingehend,<br />

alternative innovative Förderinstrumente als Ergänzung zu den klassischen Instrumenten<br />

der Förderung, wie Zuschüssen, Darlehen und Bürgschaften, einzuführen.<br />

Damit orientiert sich die Regionalpolitik an zunehmenden Forderungen auf nationaler<br />

und europäischer Ebene, Fördermittel effizienter und langfristiger anzulegen und<br />

neben öffentlichen Mitteln verstärkt privates Kapital einzubeziehen.<br />

Die Europäische Kommission hat seit Anfang 2007 in der Europäischen Strukturpolitik<br />

die Grundlagen dafür geschaffen, die klassischen Instrumente der Wirtschaftsförderung<br />

durch neue <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente (z.B. Risikokapitalfonds, Garantieund<br />

Darlehensfonds) zu ergänzen. In erster Linie soll für kleine und mittlere Unternehmen<br />

(KMU) der Zugang zu Finanzmitteln verbessert werden. Außerdem werden<br />

auch Investitionen in öffentlich-private Partnerschaften und andere Projekte im<br />

Rahmen eines integrierten Plans für nachhaltige Stadtentwicklung ermöglicht. Ein<br />

weiterer Anwendungsbereich sind Fonds- oder Darlehensinstrumente für Energieeffizienzmaßnahmen<br />

und die Nutzung erneuerbarer Energien in Gebäuden, einschließlich<br />

des Wohnungsbestands.<br />

Der Grundgedanke dieser innovativen Finanzinstrumente besteht darin, Strukturfondsmittel<br />

revolvierend für einen Förderzweck einzusetzen. Ausgezahlte Mittel fließen<br />

in den Fonds zurück und es können mehr Antragsteller gefördert werden als<br />

bei der Förderung mit traditionellen Instrumenten. Durch den revolvierenden Charakter<br />

erhöht sich – im Vergleich zur Zuschussförderung – die Hebelwirkung auf die<br />

Investitionsausgaben. Die vorhandenen Fondsmittel werden durch die Vergabe von<br />

Darlehen, Garantien und Beteiligungen eingesetzt. Dadurch erwirtschaftete Zinsen<br />

und Gewinne sollen entweder für den Förderzweck eingesetzt werden, wodurch<br />

sich die ursprünglich vorhandenen Mittel erhöhen, oder für die Begleichung von<br />

Verwaltungs- und Refinanzierungskosten genutzt werden.


88 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />

Abgesehen von möglichen Ausfällen bei der Rückzahlung durch den Begünstigten<br />

verringert sich somit das ursprüngliche Mittelvolumen nicht.<br />

Damit steht auch in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ein alternatives <strong>Finanzierung</strong>sinstrument<br />

zur Zuschussförderung zur Verfügung. So können potenziell mehr<br />

Antragsteller gefördert werden, ohne die nationalen Haushalte zu belasten. Dies<br />

war ein wichtiges Argument für die Einführung solcher <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in<br />

Deutschland.<br />

Flankiert wird diese <strong>Entwicklung</strong> von der Innovationsstrategie der Bundesregierung<br />

aus dem Jahr 2006, in der sie ihre innovationspolitischen Initiativen in einer „High-<br />

Tech-Strategie“ für Deutschland gebündelt hat. Im Juli 2010 hat das Bundeskabinett<br />

beschlossen diesen Ansatz mit der High-Tech-Strategie 2020 weiterzuentwickeln.<br />

Ziel ist es, die Innovationskompetenz und -exzellenz in Wissenschaft und Wirtschaft,<br />

insbesondere in KMU weiter auszubauen und so eine Innovationspolitik aus<br />

einem Guss zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen für Innovationen in<br />

Deutschland werden damit weiter verbessert. Dies betrifft vor allem die Gründungsbedingungen,<br />

die besondere Situation des Mittelstandes, eine ausreichende <strong>Finanzierung</strong><br />

von Innovationen sowie die Bereitstellung von Wagniskapital. Auf Bundesebene<br />

investierte der Bund bis 2009 zusätzlich 6 Mrd. Euro in Forschung und <strong>Entwicklung</strong>,<br />

um die Vorgaben der Lissabon-Strategie und des Nationalen Reformprogramms<br />

umzusetzen. Die Maßnahmen auf Bundesebene betreffen vorrangig Projekte<br />

mit überproportionaler Hebelwirkung, um zusätzliche Investitionen der Wirtschaft<br />

anzuziehen, Spitzentechnologien zu stärken und die Attraktivität des deutschen<br />

Wissenschaftssystems international zu erhöhen.<br />

2. Rahmenbedingungen<br />

In der Verordnung (EG) 1083/2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen<br />

Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), den europäischen Sozialfonds<br />

(ESF) und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 1260/1999<br />

sind die neuen Finanzinstrumente in Artikel 44 sowie in Erwägungsgrund 41 verankert<br />

(ausführliche Aspekte zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der innovativen<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente befinden sich im Beitrag von Schwab/Gröss).<br />

Um die EU-Kohäsionspolitik umsetzen zu können, hat die Europäische Kommission<br />

gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und dem Europäischen<br />

Investitionsfonds (EIF) innovative Finanzinstrumente wie JEREMIE (Joint European<br />

Resources for Small and Medium-sized Enterprises) und JESSICA (Joint European<br />

Support for Sustainable Investment in City Areas) konzipiert. Diese Initiativen werden<br />

von den Verwaltungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten verwaltet und bieten die<br />

Möglichkeit, einen Teil ihrer EU-Strukturfondsmittel für die <strong>Finanzierung</strong> von KMU


EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 89<br />

bzw. die Förderung nachhaltiger Stadtentwicklung einzusetzen. Die <strong>Finanzierung</strong>en<br />

werden in Form von Eigenkapital, Darlehen oder Garantien über einen revolvierenden<br />

Holding-Fonds und nicht nur durch „verlorene Zuschüsse“ durchgeführt. Damit<br />

fließen die aus den Projekten kommenden Rückzahlungen dann wieder an den<br />

Fonds zurück, der dadurch neue Förderungen vergeben kann.<br />

JEREMIE zielt unter Beteiligung des EIF darauf ab, in den am wenigsten entwikkelten<br />

Regionen den Zugang von KMU zu Finanzmitteln zu erleichtern. Auf diese<br />

Weise soll besonders in innovativen Branchen ein Beitrag zur Gründung neuer Unternehmen<br />

geleistet werden. Dies soll zur Schaffung von Arbeitsplätzen und<br />

Wachstum führen. JEREMIE beinhaltet Kreditgarantien sowie Eigen- und Risikokapitalfinanzierungen.<br />

JEREMIE wird indes zurzeit nur von wenigen Mitgliedstaaten<br />

genutzt. Auch in Deutschland werden stattdessen entsprechende Instrumente vom<br />

Bankensektor (Förderbanken, Landesförderinstitute, KfW) aufgelegt.<br />

Für den Bereich der Stadtentwicklung hat die Europäische Kommission ebenfalls<br />

seit Beginn der laufenden Förderperiode ein neues Finanzinstrument geschaffen.<br />

Die Initiative JESSICA soll in Kooperation mit der Europäischen Investitionsbank<br />

(EIB) und der Europäischen <strong>Entwicklung</strong>sbank nachhaltige Investitionen, Wachstum<br />

und Arbeitsplätze in den europäischen städtischen Regionen fördern (ausführliche<br />

Informationen zur JESSICA-Initiative sowie zu Stadtentwicklungsfonds befinden<br />

sich im Beitrag von Plöhn/Jacob).<br />

3. Umsetzung in der EU und in Deutschland<br />

Mit Hilfe von JEREMIE wurden bis Oktober 2010 30 Holdingfonds in 15 Mitgliedstaaten<br />

mit einem Volumen von 3,5 Mrd. Euro eingerichtet. Diese JEREMIE-<br />

Initiativen zeigen erste Erfolge – inzwischen wurden KMU mit 0,3 Mrd. Euro unterstützt.<br />

Für 19 JESSICA-Instrumente wurden bis Oktober 2010 bereits 1,65 Mrd. Euro in 11<br />

Mitgliedstaaten ausgegeben, darunter waren drei Stadtentwicklungsfonds.<br />

In Deutschland werden in 14 von 16 Bundesländern folgende innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

eingesetzt: Beteiligungsfonds, Risikokapitalfonds, Darlehensfonds<br />

sowie Mikrodarlehensfonds.<br />

In Deutschland haben zwei Bundesländer Stadtentwicklungsfonds ins Leben gerufen,<br />

um Industriebrachflächen zu revitalisieren und Gebäudesanierungen in vernachlässigten<br />

Stadtteilen durchzuführen. Um die Rückzahlungen in den Fonds zu<br />

garantieren, werden sie mit Mieten refinanziert und in einigen Städten werden gestützte<br />

Kredite an Unterprojekte vergeben.


90 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />

Ziel Konvergenz<br />

Ziel der innovativen Finanzinstrumente ist die Förderung von KMU und die Steigerung<br />

ihrer betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Diese Zielregionen<br />

fördern ihre KMU überwiegend durch Darlehensfonds, Risikokapitalbeihilfen<br />

und stille Beteiligungen. Manche Bundesländer unterstützen innovative, wirtschaftlich<br />

tragfähige Unternehmen durch stille Beteiligungen, beispielsweise in der Vorgründungs-<br />

und Gründungsphase. KMU können z. B. auch zinsgünstige Weiterleitungsdarlehen<br />

aus einem Darlehensfonds über ihre Hausbank erhalten.<br />

Die Laufzeiten der Finanzinstrumente betragen im Durchschnitt sieben bis zehn<br />

Jahre. Zum Großteil wurde die Laufzeit der Fonds an der laufenden Förderperiode<br />

ausgerichtet.<br />

Das Gesamtvolumen der <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente liegt zwischen 20 Mio. Euro und<br />

237,9 Mio. Euro und setzt sich jeweils zu 75 % aus EFRE-Mitteln und zu 25 % aus<br />

Landesmitteln zusammen. Die Abwicklung erfolgt vorrangig durch Landesförderinstitute.<br />

Beispielsweise stattet der BFB Wachstumsfonds Brandenburg (BFB II) technologieorientierte<br />

KMU in Brandenburg in der Früh- und Wachstumsphase mittels offener<br />

und stiller Beteiligungen mit einem Kapital von bis zu 1,5 Mio. Euro aus. Die<br />

Fondsmittel werden zu 75 % aus dem EFRE und zu 25 % aus Haushaltsmitteln des<br />

Landes Brandenburg bereitgestellt. Finanziert werden Unternehmen in wachstumsstarken<br />

Branchen. Ebenso gewährt das Land Brandenburg Nachrangdarlehen an<br />

KMU unter Einbindung von Mitteln des EFRE durch die InvestitionsBank des Landes<br />

Brandenburg im Auftrag des Landes Brandenburg.<br />

Ziel Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung<br />

Die Finanzinstrumente sind in den Regionen des Ziels Regionale Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Beschäftigung breiter gefächert. Neben Risikokapitalfonds, Wagnisfonds,<br />

Nachrangdarlehensfonds, stillen und offenen Beteiligungen kommen auch<br />

Seed Capital Fonds mit geplanter Beteiligung sowie Ratendarlehen zum Einsatz.<br />

Schwerpunkte der Förderung sind die Stärkung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit,<br />

die Förderung von Innovationen, wissensbasierter Wirtschaft, Existenzgründungen<br />

und -festigungen, die Stabilisierung der unternehmerischen Basis sowie<br />

nachhaltige Stadt- und Kommunalentwicklung. Beispielhaft kann hier die Förderung<br />

von jungen innovativen High-Tech-Unternehmen mit Wachstumspotential oder jungen<br />

Technologieunternehmen genannt werden.<br />

Zum Beispiel hat das Land Nordrhein-Westfalen mit Hilfe der NRW.BANK Ende<br />

2005 einen Fonds mit insgesamt 30 Mio. Euro initiiert, um die traditionell schwache<br />

Kapitalausstattung des Frühphasensektors zu lindern. Dieser Fonds teilt sich in bis-


EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 91<br />

her sieben regionale Seedfonds auf und wird zusammen mit Partnern vor Ort erstellt.<br />

Aus diesem Fonds erhalten technologieorientierte Gründungen mit Bezug zu<br />

NRW bis zu 500.000 Euro Eigenkapital. Die zielgerichtete Verteilung der Mittel<br />

übernehmen Partner aus den Regionen, die über langjährige Branchenerfahrung<br />

verfügen (ausführliche Informationen zu dem Fonds befinden sich im Beitrag von<br />

Langguth).<br />

Im Bezug auf andere Finanzinstrumente wurden beispielsweise in Bayern im Oktober<br />

2007 zwei EFRE-Risikokapitalfonds mit einem Gesamtvolumen von 30 Mio. Euro<br />

eingerichtet. Durch diese sollen junge, innovative KMU gezielt gefördert werden.<br />

Die Mittel aus den beiden Fonds können in ganz Bayern (mit Ausnahme der Planungsregion<br />

14 - München) eingesetzt werden.<br />

Im Durchschnitt beträgt die Laufzeit der Fonds zwischen fünf und sieben Jahren; im<br />

Ausnahmefall bis zu zwölf Jahren. In zwei Bundesländern gibt es bei den jeweiligen<br />

Fonds keine Beschränkung der Laufzeit.<br />

Die Spanne der Gesamtvolumina der Fonds liegt zwischen 1,6 Mio. Euro und 72<br />

Mio. Euro. Die Beteiligung an EFRE-Mitteln variiert zwischen 27,08 % und 50 %; die<br />

restliche Beteiligung wird meist durch Landesmittel abgedeckt. In manchen Bundesländern<br />

fließen neben den Landesmitteln private Mittel (Investoren) in den<br />

Fonds. Die finanzielle Abwicklung erfolgt durch Landes- oder sonstige (private) Institute.<br />

Zum großen Teil sind die Fonds bei den Landesförderbanken angesiedelt.<br />

Besonderheiten<br />

In zwei Bundesländern erfolgt derzeit kein Einsatz von innovativen Finanzinstrumenten.<br />

Hier ist die Anwendung von innovativen Finanzinstrumenten zwar schon im<br />

Gespräch, jedoch stehen Entscheidungen über die Details zur Umsetzung noch<br />

aus.<br />

4. Blick in die Zukunft<br />

Seit 2010 hat sich die Diskussion um die Reform der Europäischen Strukturpolitik<br />

nach 2013 intensiviert. Es werden auch zukünftig die Ziele der Lissabon-Agenda –<br />

Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung – maßgeblich für die Ausgestaltung<br />

der Europäischen Strukturfonds sein. Auch wird der Fokus der Strukturförderung<br />

weiterhin auf Bereichen wie Innovation, Forschung und <strong>Entwicklung</strong> (F&E),<br />

Ausbau der Wissensgesellschaft und Stärkung von KMU liegen.<br />

Im Frühjahr 2010 hat die Europäische Kommission mit der Strategie Europa-2020<br />

die neuen Herausforderungen beschrieben, die die Europäische Union zukünftig<br />

bewältigen muss: Globalisierung, Klimawandel, demografischer Wandel und Energieversorgung.<br />

Dabei werden die Europäischen Strukturfonds als ein Instrument zur


92 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch<br />

Umsetzung dieser Ziele aufgeführt. Im November 2010 hat die Europäische Kommission<br />

den 5. Kohäsionsbericht vorgelegt, der aufzeigt, wie die drei strategischen<br />

Prioritäten der Europa-2020 Strategie – intelligentes, nachhaltiges und integratives<br />

Wachstum – mit Hilfe der Strukturfonds erreicht werden können. In diesem Zusammenhang<br />

spielen auch die innovativen Finanzinstrumente eine wichtige Rolle. Sie<br />

stellen sinnvolle und effektive <strong>Finanzierung</strong>smaßnahmen dar, die dazu beitragen,<br />

die wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Unterschiede innerhalb der Europäischen<br />

Union zu verringern sowie Konvergenz, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung<br />

zu stärken. Sie sind nicht nur politisch gewollt, sondern werden in den Mitgliedstaaten<br />

tatsächlich angewendet und weisen positive Ergebnisse auf. Allerdings<br />

sollten die neuen Finanzinstrumente die traditionellen Instrumente nicht verdrängen,<br />

sondern ergänzen. In ihrer Stellungnahme zum 5. Kohäsionsbericht der Europäischen<br />

Kommission hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass bei der künftigen<br />

Förderung von produktiven Unternehmensinvestitionen Zuschussförderung<br />

und neue Finanzinstrumente gleichrangig nebeneinander beibehalten werden sollten.<br />

5. Fazit und Ausblick<br />

Auch wenn die Einführung neuer und innovativer Finanzinstrumente aus den oben<br />

aufgeführten Erwägungen grundsätzlich zu begrüßen ist, sind noch zahlreiche Fragen<br />

zur Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Instrumente offen. Wünschenswert<br />

wäre, wenn zwischen den Vorschriften für zuschussbasierte Förderung und für<br />

rückzahlbare Formen der Unterstützung stärker differenziert und mehr Klarheit geschaffen<br />

würde. Für den verstärkten Einsatz und den Erfolg von Finanzinstrumenten<br />

ist es unerlässlich, ihre rechtssichere und einheitliche Anwendung durch einfache<br />

und klare Rechtsgrundlagen zu gewährleisten. Das heißt vor allem, dass<br />

Rechtsgrundlagen und deren Auslegung während laufender Förderperioden nicht<br />

geändert werden dürfen. Auch der Umfang der Förderung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />

darf bei der Bestimmung des Verwaltungs- und Prüfaufwandes nicht<br />

außer Acht gelassen werden, um hier einen Anstieg zu vermeiden. Gleichwohl<br />

sollte geprüft werden, ob die Anwendung von innovativen Finanzinstrumenten auf<br />

weitere Politikbereiche ausgedehnt werden kann. Im 5. Kohäsionsbericht der Europäischen<br />

Kommission sind als mögliche Einsatzbereiche genannt: nachhaltiger<br />

Stadtverkehr, Forschung & <strong>Entwicklung</strong>, Energie, lokale <strong>Entwicklung</strong>, lebenslanges<br />

Lernen und Mobilitätsmaßnahmen, Klimawandel und Umwelt, Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien (IKT) sowie Breitband. Hier wäre indes zu prüfen, ob<br />

es in dem jeweiligen Sektor Projekte mit Renditeerwartungen gibt, so dass innovative<br />

Finanzinstrumente sinnvoll eingesetzt werden könnten. Neben den neuen Finan-


EFRE-konfinanzierte innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in Deutschland 93<br />

zinstrumenten muss die klassische Zuschussförderung gleichrangig beibehalten<br />

werden, damit die Verwaltungsbehörden entsprechend der Zielrichtung der Operationellen<br />

Programme und der örtlichen Besonderheiten flexibel das jeweils passende<br />

Instrument auswählen können. Die Kombination von Zuschussförderung und<br />

Förderung durch ein Finanzinstrument sollte ebenfalls ermöglicht werden.<br />

Bei der Debatte über die Ausgestaltung der Strukturpolitik nach 2013 wird der Bund<br />

in Abstimmung mit den Bundesländern seine Vorstellungen zur Fortführung der innovativen<br />

Finanzinstrumente in den zuständigen Gremien auf EU-Ebene einbringen.<br />

Bei Berücksichtigung dieser Vorschläge könnte man dem Fortbestand und<br />

weiteren Ausbau der innovativen Finanzinstrumente in Deutschland zuversichtlich<br />

entgegensehen.<br />

Kontakt:<br />

Ulrike Schreckenberger<br />

Referat E A 3 - Koordinierung der EU-Strukturpolitik<br />

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />

Scharnhorststr. 34-37<br />

10115 Berlin<br />

Tel.: 03018-615-6921<br />

E-Mail: Ulrike.Schreckenberger@bmwi.bund.de<br />

Anja Borisch<br />

Referat E A 3 - Koordinierung der EU-Strukturpolitik<br />

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />

Scharnhorststr. 34-37<br />

10115 Berlin<br />

Tel.: 03018-615-6225<br />

E-Mail: Anja.Borisch@bmwi.bund.de


94 Ulrike Schreckenberger/Anja Borisch


Rechtliche Aspekte bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-<br />

Stadtentwicklungsfonds<br />

von Dr. Maximilian Schwab und Sebastian Gröss<br />

1. Einleitung<br />

Mit der Einführung der JESSICA-Initiative (Joint European Support for Sustainable<br />

Investment in City Areas) zur Förderperiode 2007-2013 hat die Europäische<br />

Kommission zusammen mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und in Zusammenarbeit<br />

mit der <strong>Entwicklung</strong>sbank des Europarates (Council of Europe<br />

Development Bank – CEB) neue Konzepte geschaffen, die es den Mitgliedstaaten<br />

ermöglichen, einen Teil der EU-Zuschüsse aus den Europäischen Strukturfonds für<br />

rückzahlbare <strong>Finanzierung</strong>en zur Realisierung von Projekten für eine nachhaltige<br />

Stadtentwicklung einzusetzen. Während die Umsetzung von JESSICA in einigen<br />

Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits recht weit fortgeschritten ist, vollzieht<br />

sich die Implementierung in Deutschland nur zögerlich. Trotz breiter Aufgeschlossenheit<br />

seitens der deutschen Verwaltungsbehörden, Förderbanken und Privatinvestoren<br />

gegenüber JESSICA-Stadtentwicklungsfonds, gestalten sich die Konzipierung<br />

und Umsetzung revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente in der Praxis<br />

teilweise noch schwierig. Dieser Umstand ist einerseits der knappen Verfügbarkeit<br />

finanzieller Ressourcen geschuldet, andererseits begegnen die verantwortlichen<br />

Akteure auch zahlreichen rechtlichen Fragestellungen, deren Beantwortung den<br />

Umsetzungsprozess oftmals erheblich beeinträchtigt (ausführliche Informationen zu<br />

Stadtentwicklungsfonds finden sie im Beitrag von Plöhn/Jacob).<br />

Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick darüber verschaffen, welche rechtlichen<br />

Aspekte es bei der Konzipierung und Umsetzung von JESSICA-<br />

Stadtentwicklungsfonds zu bedenken gilt und – gestützt auf praktischen Erfahrungen<br />

der Autoren in der Beratung bei der <strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-Konzepten –<br />

einige konkrete Konstellationen darstellen. Weil es sich bei JESSICA in erster Linie<br />

um eine neuartige Form der Verwendung von Mitteln aus den Europäischen Strukturfonds<br />

handelt, lässt sich ein Großteil der angesprochenen Aspekte auch auf andere<br />

strukturfondsfinanzierte Fondskonstruktionen übertragen (siehe z.B. die Beiträge<br />

von Schreckenberger/Borisch sowie Hüttich).


96 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />

2. Die JESSICA-Initiative im Rahmen des EFRE<br />

Die JESSICA-Initiative stellt keine neue Mittelquelle der EU für die <strong>Finanzierung</strong> von<br />

Stadtentwicklungsmaßnahmen dar. Vielmehr eröffnet sie die Möglichkeit, Mittel aus<br />

dem Europäischen Fonds für Regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) nicht mehr als klassische<br />

"verlorene Zuschüsse" auszureichen, sondern diese in revolvierende Stadtentwicklungsfonds<br />

im Sinne von Art. 46 VO (EG) Nr. 1828/2006 einzulegen. Die<br />

Stadtentwicklungsfonds selbst investieren dann in Form von Kapitalbeteiligungen,<br />

Darlehen oder Garantien in (teil-)rentierliche Projekte zur nachhaltigen Stadtentwicklung<br />

mit dem Ziel, Mittelrückflusse zu generieren. Diese Rückflüsse aus den<br />

Projekten sollen dann für erneute Investitionen verwendet werden können. Durch<br />

diesen Rückflussgedanken, der auch dem parallel bestehenden JEREMIE-<br />

Programm 30 zugrunde liegt, sollen die europäischen Fördermittel langfristiger und<br />

nachhaltiger eingesetzt werden können. Die Eröffnung dieser neuen Form der Mittelverwendung<br />

lässt die bis dato für EFRE-Mittel geltenden rechtlichen Förderfähigkeitskriterien<br />

für die Projekte zunächst weitgehend unberührt. Es gelten vornehmlich<br />

die EU-Strukturfondsverordnungen sowie die Vorgaben aus den jeweiligen Operationellen<br />

Programmen. Neu ist lediglich das Erfordernis eines integrierten und<br />

nachhaltigen Stadtentwicklungsplans. 31 Die Anforderungen an einen solchen Stadtentwicklungsplan<br />

werden in den Verordnungen nicht näher präzisiert und lassen<br />

insoweit einen gewissen Umsetzungsspielraum. Er soll jedoch dazu dienen, die<br />

Nachhaltigkeit der Projekte dadurch zu belegen, dass die wirtschaftlichen, sozialen<br />

und ökologischen Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen den Projekten<br />

und ihrem Umfeld abgebildet werden. 32 Die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen<br />

der Europäischen Kommission und den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden<br />

bei der Verwaltung und der Kontrolle des Einsatzes der EFRE-Mittel 33 wird<br />

von der JESSICA-Initiative ebenfalls nicht berührt.<br />

Um den zahlreichen nationalen, regionalen und lokalen Besonderheiten gerecht<br />

werden zu können, sind JESSICA-Modelle flexibel gestaltbar. Dies betrifft sowohl<br />

die Wahl der <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente selbst, als auch die Fragen der konkreten<br />

Umsetzung wie etwa der Trägerschaft des Fondsmanagements, der Wahl der<br />

Rechtsform oder der Beteiligungsverhältnisse. Insbesondere besteht die Möglichkeit,<br />

auch private Investoren auf Fonds- oder Projektebene zu beteiligen. Ziel ist es,<br />

30<br />

Joint European Resources for Micro to Medium Enterprises.<br />

31<br />

Art. 46 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1828/2006.<br />

32<br />

Vgl. Erläuterungen auf http://www.eib.org/products/technical_assistance/jessica/faq/index.htm<br />

?lang=de (zuletzt abgerufen am 1.12.2010).<br />

33<br />

Vgl. hierzu Puttler in Callies/Ruffert: Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage<br />

München 2007, Art. 160 EG, Rn. 1; Holzwart, Der rechtliche Rahmen für die Verwaltung und <strong>Finanzierung</strong><br />

der gemeinschaftlichen Strukturfonds am Beispiel des EFRE, Berlin 2003, S. 121 f.


Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 97<br />

auf diesem Wege private Investoren in Projekte einzubinden, die gerade in der<br />

Frühphase nur schwer rentabel finanzierbar sind. Hierdurch kommt dem Fonds eine<br />

Art "Steigbügelfunktion" für private Investitionen gerade für Projekte mit längerfristigen<br />

Anlaufzeiten zu. Allerdings wirft zunehmendes privates Engagement auch weitere<br />

rechtliche Fragen, nicht zuletzt im Bereich des Beihilfenrechts auf, die es frühzeitig<br />

zu adressieren gilt. Wird beispielsweise auf Ebene des Stadtentwicklungsfonds<br />

eine asymmetrische Risikoverteilung zu Gunsten eines privaten Investors<br />

vereinbart, so kann dies die Gewährung einer Begünstigung im Sinne von Art. 107<br />

AEUV darstellen, so dass auf eine beihilfenrechtskonforme Ausgestaltung dieser<br />

Vereinbarung zu achten ist.<br />

Die Strukturfondsverordnungen erlauben darüber hinaus auch die Zwischenschaltung<br />

von so genannten JESSICA-Holdingfonds. Hier werden die EFRE-Mittel sowie<br />

die nationale Kofinanzierung zunächst auf übergeordneter Ebene "gepoolt", bevor<br />

dann ein Investment in einzelne Stadtentwicklungsfonds erfolgt, die dann in die<br />

Projekte investieren. Während zahlreiche Verwaltungsbehörden im europäischen<br />

Ausland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben und derzeit 15 JESSICA-<br />

Holdingfonds allein unter dem Management der EIB stehen, sind in Deutschland<br />

bislang ausschließlich JESSICA-Stadtentwicklungsfonds auf Länderebene ohne<br />

Zwischenschaltung von Holdingfonds geplant bzw. umgesetzt. Vor diesem Hintergrund<br />

werden rechtliche Besonderheiten von Holdingsfondsmodellen (z.B. bezüglich<br />

der Ausschreibung von Stadtentwicklungsfonds) hier nicht detailliert beleuchtet.<br />

3. Europarechtliche Implikationen<br />

Der europarechtliche Rahmen für die Verwendung von EFRE-Mitteln in JESSICA-<br />

Stadtentwicklungsfonds wird zunächst von strukturfondsspezifischen Vorgaben,<br />

insb. den Strukturfondsverordnungen und den darauf basierenden Operationellen<br />

Programmen vorgegeben. Diese für den Programmplanungszeitraum 2007-2013<br />

geltenden Vorschriften enthalten Vorgaben zur Förderfähigkeit von Projekten und<br />

der Art und Weise des Mittelabrufs und der -verwendung. Daneben sind in fast allen<br />

denkbaren Ausgestaltungen die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Regelungen<br />

der EU, namentlich das europäische Beihilfen- und Vergaberecht, zu beachten.


98 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />

3.1. Vorgaben der Strukturfondsverordnungen<br />

Die Strukturfondsverordnungen bilden den allgemeinen Rechtsrahmen für die Zusammensetzung<br />

und die Verwendung der Gelder aus dem Europäischen Fonds für<br />

regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Kohäsionsfonds.<br />

Sie werden ergänzt durch Auslegungshilfen des Coordination Committee<br />

of the Funds (COCOF), die sogenannten COCOF-Notes.<br />

Die Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 (Allgemeine Verordnung für die Strukturfonds<br />

und den Kohäsionsfonds) 34 schafft den Rahmen, innerhalb dessen die Kohäsionspolitik<br />

durchgeführt wird, und benennt die einzelnen Ziele, zu deren Erreichung<br />

die verschiedenen Fonds eingesetzt werden. Ferner bestimmt die Verordnung Kriterien<br />

zur geografischen Abgrenzung der Förderfähigkeit, legt die verfügbaren Finanzmittel<br />

fest und bezeichnet Kriterien für deren Aufteilung. Schließlich enthält sie<br />

die zwischen Mitgliedstaaten und Kommission geltenden Grundsätze und Regeln<br />

für die Partnerschaft, die Programmplanung, die Bewertung, die Verwaltung, die<br />

Begleitung und die Kontrolle. 35<br />

In der Verordnung (EG) Nr. 1080/2006 (EFRE-Verordnung) 36 werden die einzelnen<br />

Interventionsbereiche des EFRE festgelegt. Je nach Region gibt die Verordnung<br />

vor, welche Ziele in den Operationellen Programmen festgelegt werden können.<br />

Von entscheidender Bedeutung für die Aktivitäten von JESSICA-Fonds sind letztlich<br />

die Vorgaben der Operationellen Programme nach Art. 4 (Konvergenz) und Art. 5<br />

(Regionale Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit). Die Einbeziehung der nachhaltigen<br />

Stadtentwicklung nach Art. 8 der Verordnung entbindet nicht von dem Erfordernis,<br />

dass JESSICA-Projekte mit den bereits bestehenden Operationellen Programmen<br />

vereinbar sein müssen. Der Vorrang der Operationellen Programme wird<br />

von der Kommission immer wieder betont. Die Gestaltung der Operationellen Programme<br />

für die Förderperiode nach 2013 ist daher mitentscheidend für die weitere<br />

<strong>Entwicklung</strong> von JESSICA-Fonds in den einzelnen Fördergebieten.<br />

Bei entsprechender finanzieller Ausstattung können JESSICA-Stadtentwicklungsfonds<br />

auch in Stadtentwicklungsprojekte investieren, die nach den Strukturfondsverordnungen<br />

ganz oder teilweise nicht förderfähig sind. Maßgeblich ist allein, dass<br />

34 VO (EG) Nr. 1083/2006 vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen<br />

Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur<br />

Aufhebung der VO (EG) Nr. 1260/1999 zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 539/2010 vom 16. Juni<br />

2010.<br />

35 EIB/DLA Piper, Verwendung von EFRE-Mitteln im Rahmen von JESSICA-Fonds - Themenpapier<br />

zum rechtlichen Umfeld, 2009, S. 12 (abrufbar unter http://www.eib.org/attachments/documents/<br />

jessica-legal-study-germany-de.pdf , zuletzt abgerufen am 29.11.2010).<br />

36 VO (EG) Nr. 1080/2006 vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />

und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1783/1999, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 846/2009<br />

vom 1. September 2009.


Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 99<br />

eine rechnerische Trennung von förderfähigen und nicht förderfähigen Teilinvestitionen<br />

gewährleistet ist.<br />

Die meisten Rechtsfragen ergeben sich derzeit im Zusammenhang mit der Anwendung<br />

der Verordnung (EG) Nr. 1828/2006 (Durchführungsverordnung). 37 Insbesondere<br />

die Vorschriften des Abschnitts 8 – Finanztechnische Maßnahmen (Art. 43,<br />

44, 45 und 46) sind für JESSICA-<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente von Bedeutung, da dort<br />

detaillierte Vorgaben zum Aufbau und zum Einsatz der <strong>Finanzierung</strong>selemente aufgestellt<br />

werden. Hier werden die Fragen zum "Financial Engineering" des Fonds,<br />

wie die Bemessung der Verwaltungskosten oder Anforderungen an einen Unternehmensplan<br />

und die Ertragsverwendung näher geregelt. Als Begünstigter im Sinne<br />

der Strukturfondsverordnungen ist der Stadtentwicklungsfonds für die Einhaltung<br />

dieser Pflichten aus der Durchführungsverordnung und insbesondere der Berichtspflichten<br />

selbst verantwortlich.<br />

Die Kommission wird nach Art. 103 VO (EG) Nr. 1083/2006 im Rahmen der Anwendung<br />

der Verordnungsvorschriften durch einen Koordinierungsausschuss, dem<br />

COCOF unterstützt. Der COCOF erarbeitet Hinweise zur Auslegung der Strukturfondsverordnungen.<br />

Die für die Anwendung von JESSICA besonders relevanten<br />

Interpretationen finden sich in den beiden Guidance Notes on Financial Engineering<br />

aus 2007 38 und 2008 39 sowie der Guidance Note zur Förderungswürdigkeit<br />

von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien durch EFRE und den Kohäsionsfonds<br />

im Bausektor (inklusive Wohnungsbau). 40 Darüber hinaus ist in absehbarer<br />

Zeit mit einer weiteren COCOF-Note zu rechnen, die insbesondere die Verwendung<br />

und Bewertung von Sacheinlagen – insbesondere Grundstücken – in JESSICA-<br />

Konstruktionen zum Gegenstand haben soll.<br />

37<br />

VO (EG) Nr. 1828/2006 vom 8. Dezember zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur VO<br />

(EG) Nr. 1083/2006 des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für<br />

regionale <strong>Entwicklung</strong>, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und der VO (EG)<br />

Nr. 1080/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für<br />

regionale <strong>Entwicklung</strong>, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 846/2009 vom 1. September 2009.<br />

38<br />

Note of the Commission services on Financial Engineering in the 2007-13 programming period<br />

(COCOF/07/0018/01-EN).<br />

39<br />

Guidance Note on Financial Engineering (COCOF 08/0002/03-EN).<br />

40<br />

Guidance Note on Eligibility of Energy Efficiency and Renewable Energies Interventions under the<br />

ERDF and the Cohesion Fund (2007-2013) in the Building Sector Including Housing (COCOF<br />

08/0034/02/EN).


100 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />

3.2. Mittelbereitstellung und nationale Kofinanzierung<br />

Als wesentliches Element der Strukturfondsförderung findet auch für JESSICA-<br />

Modelle das Prinzip der nationalen Kofinanzierung Anwendung. 41 Dieses charakterisiert<br />

sich dadurch, dass ein Einsatz von EFRE-Mitteln nur zulässig ist, wenn<br />

zu einer bestimmten Quote gleichzeitig nationale Mittel in das geförderte Projekt<br />

eingebracht werden. Dieser nationale Komplementäranteil zu den Mitteln aus dem<br />

EFRE kann aus Sicht der Strukturfondsverordnungen sowohl aus öffentlichen als<br />

auch aus privaten Quellen geleistet werden. In einigen Konzeptionen der Bundesländer<br />

soll der nationale Kofinanzierungsanteil beispielsweise durch die jeweiligen<br />

Landesförderbanken bereitgestellt werden. 42 Bei der Entscheidung, auf welcher<br />

Ebene die nationale Komplementärfinanzierung geleistet werden soll, zeigen sich<br />

die Strukturfondsverordnungen für flexible Lösungen offen. So kann die nationale<br />

Kofinanzierung sowohl auf (Holding-) Fondsebene, als auch auf Ebene der Projekte<br />

erbracht werden. Für die Umsetzung von JESSICA von entscheidender Bedeutung<br />

könnte sich die Möglichkeit erweisen, den nationalen Kofinanzierungsanteil auch<br />

durch Sacheinlagen zu erbringen. Gerade für Investitionen von Stadtentwicklungsfonds<br />

im Bereich der Brachflächensanierung könnten sich hier interessante Lösungen<br />

entwickeln lassen. Die Einbindung kommunalen Grundeigentums wird indes<br />

einer näheren haushaltsrechtlichen Prüfung im Einzelfall unterzogen werden müssen.<br />

Als weitere allgemeine Vorgabe der Strukturfondsverordnungen gilt es auch die<br />

zeitliche Dimension des Mittelabrufs, also die sog. n+2-Regel zu beachten. 43 Diese<br />

besagt, dass diejenigen Mittel, die nicht bis zum 31. Dezember des zweiten Jahres<br />

nach dem Jahr der Mittelbindung gegenüber der Kommission als verausgabt nachgewiesen<br />

werden, automatisch verfallen.<br />

41 Art. 9 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1083/2006.<br />

42 Vgl. z.B. die Darstellung des Stadtentwicklungsfonds Nordrhein-Westfalen in Wucherpfennig,<br />

ExWoSt-Informationen 35/2 - 04/2010, S. 8 f.<br />

43 Art. 93 VO (EG) Nr. 1083/2006.


Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 101<br />

3.3. Fondsmanagement und Fondsgestaltung<br />

Die Ausgestaltung des Fonds und insb. die Wahl des Fondsmanagements wird<br />

maßgeblich durch Art. 43 Abs. 3 der Durchführungsverordnung bestimmt. Danach<br />

müssen Stadtentwicklungsfonds entweder als eigenständige rechtliche Einheit<br />

oder als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock innerhalb einer Finanzinstitution errichtet<br />

werden. Die Ansiedlung des Fondsmanagements innerhalb der EFRE-<br />

Verwaltungsbehörde scheidet damit aus. 44 Soll der Stadtentwicklungsfonds Fremdkapital<br />

ausreichen, ist in Deutschland nach den Vorgaben des Kreditwesengesetzes<br />

(KWG) eine Banklizenz erforderlich, was für die Einrichtung des Fonds als <strong>Finanzierung</strong>sblock<br />

innerhalb einer Finanzinstitution sprechen kann. Ob es sich dabei<br />

um eine öffentliche oder eine private Bank handelt, spielt aus Sicht der Strukturfondsverordnungen<br />

keine Rolle, hat aber Auswirkungen auf beihilfen- und vergaberechtliche<br />

Fragestellungen. Obliegt das Fondsmanagement einem privaten Akteur,<br />

muss beispielsweise dessen Vergütung für die Verwaltung (auch) öffentlicher Mittel<br />

den Anforderungen des Beihilfen- und Vergaberechts genügen, um ungerechtfertigten<br />

Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen. Dies gilt unabhängig von der Regelung<br />

in Art. 43 Abs. 4 der Durchführungsverordnung, wonach das Fondsmanagement<br />

auf den am Ende der Förderperiode ausgereichten und abgerechneten Betrag<br />

im Schnitt maximal 3 % pro Jahr als Managementgebühr erheben darf. 45<br />

3.4. Beihilfenrecht<br />

Das europäische Beihilfenrecht nach Art. 107 ff. AEUV ist als Bestandteil des europäischen<br />

Wettbewerbsrechts gegen mitgliedstaatliche Eingriffe in den Wettbewerb<br />

gerichtet. 46 In JESSICA-Konstruktionen können derartige Eingriffe auf verschiedenen<br />

Ebenen und in unterschiedlicher Art und Weise auftauchen. So können insb.<br />

die Einbeziehung privater Investoren auf Fonds- oder Projektebene, die Vergütung<br />

des Fondsmanagers oder die Errichtung einer Projektgesellschaft grundsätzlich den<br />

Beihilfentatbestand erfüllen, wenn die staatliche Maßnahme dem sogenannten Private<br />

Investor Test nicht standhält. Von einer Beihilfe im rechtlichen Sinne kann<br />

demnach nicht gesprochen werden, wenn das Verhalten des Staates dem Verhal-<br />

44<br />

Vgl. EIB, Machbarkeitsstudie Saarland, 2010, S. 48 (abrufbar unter<br />

http://www.eib.org/attachments/jessica_evaluation_study_saarland_de.pdf, zuletzt abgerufen am<br />

1.12.2010).<br />

45<br />

Dazu ausführlich EIB/DLA Piper, Verwendung von EFRE-Mitteln im Rahmen von JESSICA-Fonds<br />

- Themenpapier zum rechtlichen Umfeld, 2009, S. 31 ff. (abrufbar unter<br />

http://www.eib.org/attachments/documents/jessica-legal-study-germany-de.pdf, zuletzt abgerufen<br />

am 29.11.2010).<br />

46<br />

Vgl. Heidenhain, Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, München 2003, 1. Kapitel, § 1, Rn.<br />

1.


102 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />

ten eines marktwirtschaftlichen Kapitalgebers entspricht. 47 Soweit eine staatliche<br />

Maßnahme als Beihilfe zu qualifizieren ist, kann diese dennoch mit dem gemeinsamen<br />

Markt vereinbar sein. So ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass einige<br />

Maßnahmen im JESSICA-Kontext unter die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnungen<br />

48 fallen und somit auch ohne Notifizierung als mit dem gemeinsamen<br />

Markt vereinbar gelten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere<br />

auf Regionalbeihilfen oder Beihilfen zu Gunsten von KMU. Alle übrigen Beihilfen<br />

unterliegen einer Notifizierungspflicht. Diese Notifizierungen können entweder auf<br />

bestimmte Kommissionsleitlinien 49 oder direkt auf den AEUV gestützt werden. Die<br />

beihilfenrechtliche Lösung zahlreicher Detailfragen, wie etwa die Ansetzung des<br />

internen Zinsfußes, wird gegenwärtig bei der Kommission durch die zuständige Generaldirektion<br />

Wettbewerb noch geprüft und diskutiert. Im Rahmen dieses Prozesses<br />

ist im Laufe des Jahres 2011 mit offiziellen Stellungnahmen der Kommission<br />

und ersten Beihilfeentscheidungen im Zusammenhang mit JESSICA-Konzepten zu<br />

rechnen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass – soweit eine Notifizierung beabsichtigt<br />

ist – schon so früh wie möglich der Austausch mit der Kommission gesucht werden<br />

sollte, um einen reibungslosen Notifizierungsablauf zu gewährleisten. Eine intensive<br />

beihilfenrechtliche Prüfung der beabsichtigten Maßnahmen ist in jedem Fall<br />

schon bei der Konzeption des Fonds von entscheidender Bedeutung.<br />

3.5. Vergaberecht<br />

Auch das im Wesentlichen auf europarechtlichen Vorgaben basierende Vergaberecht<br />

kann auf verschiedenen Ebenen zum Tragen kommen. Dabei ist von grundsätzlicher<br />

Bedeutung, ob der Auftraggeber als staatlich oder als privat zu qualifizieren<br />

ist und ob die jeweiligen Auftragsvolumina die vergaberechtlich relevanten<br />

Schwellenwerte erreichen. Auf einer ersten Ebene kann zunächst die Auswahl des<br />

Fondsmanagements durch die EFRE-Verwaltungsbehörde einem Ausschreibungserfordernis<br />

unterliegen. Dies dürfte unzweifelhaft der Fall sein, wenn ein privates<br />

Finanzinstitut mit dem Fondsmanagement betraut werden soll. Auf einer nächsten<br />

Ebene – und insbesondere dann, wenn das Fondsmanagement in öffentlicher Hand<br />

verbleibt – kann die Auswahl der zu finanzierenden Projektentwickler einem Ausschreibungserfordernis<br />

unterliegen. Die Komplexität sowohl der vergaberechtlichen<br />

47 Giesberts/Streit, EuZW 2009, S. 484 (S. 485).<br />

48 Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit<br />

bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87<br />

und 88 EG-Vertrag.<br />

49 Z.B. Leitlinien für staatliche Beihilfen mit <strong>regionaler</strong> Zielsetzung 2007-2013, Abl. C 54 vom<br />

4.3.2006, S. 13; Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen, Abl. C 82 vom 1.4.2008.


Rechtliche Aspekte von JESSICA-Stadtentwicklungsfonds 103<br />

Regelungen als auch der Ausgestaltungs-möglichkeiten von JESSICA-Fonds machen<br />

auch hier eine detaillierte Prüfung im Einzelfall notwendig.<br />

4. Nationales Recht<br />

Soweit das Europarecht keine entgegenstehenden Regelungen trifft, bleibt der nationale<br />

Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten weiter anwendbar. 50 Damit unterliegt die<br />

Ausgestaltung eines JESSICA-Stadtentwicklungsfonds im Einzelfall sowohl öffentlich-rechtlichen<br />

als auch allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben.<br />

Aus öffentlich-rechtlicher Sicht muss die konkrete Ausgestaltung eines Stadtentwicklungsfonds<br />

insbesondere haushaltsrechtlichen und kommunal-rechtlichen Vorgaben<br />

genügen. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die in einigen Landeshaushaltsordnungen<br />

vorgesehenen Restriktionen im Hinblick auf Beteiligungen an privaten<br />

Unternehmen 51 hingewiesen. Aus kommunalrechtlicher Sicht können sich<br />

Beschränkungen aus den Vorgaben über die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden<br />

52 oder aus eventuell vorliegenden Genehmigungs-erfordernissen, z.B. bei<br />

der Aufnahme von Krediten, ergeben.<br />

Neben den bereits angesprochenen Vorgaben des Kapitalmarktrechts stellen sich<br />

aus zivilrechtlicher Perspektive nicht zuletzt Fragen des Gesellschaftsrechts, z.B.<br />

bei der Wahl der Rechtsform des Fonds. Diese wird maßgeblich von der gewünschten<br />

Ausgestaltung der Haftungsverhältnisse bestimmt. Dabei können wiederum<br />

beihilfenrechtlichen Fragen relevant werden, wenn z.B. das sogenannte<br />

First Loss-Risiko privater Investoren abgemildert werden soll.<br />

50<br />

Zum Anwendungsvorrang des Europarechts Ruffert, in Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der<br />

Europäischen Union, 3. Auflage München 2007, Art. 249 EGV, Rn. 22 ff.<br />

51<br />

Vgl. z.B. § 65 Landeshaushaltsordnung NRW.<br />

52<br />

Vgl. z.B. §§ 107 ff. Gemeindeordnung NRW.


104 Dr. Maximilian Schwab/SebastianGröss<br />

5. Fazit<br />

Die Verflechtung unterschiedlicher Rechtsgebiete und Regelungsebenen sowie die<br />

zahlreichen Ausgestaltungsmöglichkeiten von JESSICA-Instrumenten zeigen, dass<br />

der Einsatz von JESSICA neue Möglichkeiten im Bereich der Städtebauförderung<br />

eröffnet, gleichzeitig jedoch auch neue und komplexe rechtliche Fragestellungen<br />

aufwirft. Durch die Möglichkeit, verschiedene Mittelquellen auf verschiedenen Ebenen<br />

zu bündeln und verschiedene revolvierende <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente (gegebenenfalls<br />

auch mit Zuschüssen) zu kombinieren, wird den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden<br />

und Investoren mit JESSICA ein äußerst flexibles Konzept an die<br />

Hand gegeben. Gerade diese Flexibilität und Einbindungsmöglichkeiten privaten<br />

Kapitals sind zwingend notwendig, um eine zukunftsorientierte Städtebauförderung<br />

zu ermöglichen. Unbestritten führt diese neu gewonnene Flexibilität auch zu einem<br />

gewissen Maß an zusätzlicher Komplexität. Im Wege einer zielgerichteten rechtlichen<br />

wie tatsächlichen Analyse in der Konzeptionsphase eines Stadtentwicklungsfonds<br />

lassen sich jedoch strukturierte Lösungen finden, um den durch JESSICA<br />

beabsichtigten Mehrwert für alle Beteiligten herbeizuführen.<br />

Kontakt:<br />

Dr. Maximilian Schwab<br />

Willkie, Farr & Gallagher<br />

Senckenberganlage 16<br />

60325 Frankfurt<br />

Tel.: 069-79302139<br />

E-Mail: mschwab@willkie.com<br />

Sebastian Gröss<br />

DLA Piper UK LLP<br />

Hohenzollernring 72<br />

50672 Köln<br />

Tel.: 0221-277277351<br />

E-Mail: Sebastian.Groess@dlapiper.com


Stadtentwicklungsfonds<br />

von Christian Plöhn und Andreas Jacob<br />

1. Einführung und Definition<br />

Die Herausforderungen an Städte in Deutschland und Europa sind vielseitig: Das<br />

Zusammenspiel demografischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer <strong>Entwicklung</strong>en<br />

führt zu immer neuen stadtentwicklungspolitischen Fragestellungen, für<br />

deren Lösung ein entsprechender Investitionsbedarf entsteht. In gleichem Maße<br />

gestaltet sich dessen <strong>Finanzierung</strong> für die Städte allein zunehmend schwieriger,<br />

sodass schon seit geraumer Zeit nach Möglichkeiten gesucht wird, privates Kapital<br />

für Investitionen in stadtentwicklungspolitisch bedeutsame Projekte und Maßnahmen<br />

zu mobilisieren. Die Europäische Union ist sich dieser Problematik bewusst<br />

und reagierte u.a. 2005 mit der Initiierung der JESSICA-Initiative („Joint European<br />

Support for Sustainable Investments in City Areas“) 53 .<br />

Im Gegensatz zur im Bereich der Stadtentwicklung bestehenden Zuschussförderung<br />

ermöglicht die JESSICA-Initiative den Einsatz von revolvierenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten.<br />

Das bedeutet, dass EU-Strukturmittel zusammen mit der entsprechenden<br />

nationalen Kofinanzierung in einen Stadtentwicklungsfonds eingelegt<br />

werden, der dann im Nachgang Projekte durch den Einsatz von Darlehen, Garantien<br />

und Eigenkapitalbeteiligungen fördert. Diese <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente haben<br />

einen Rückfluss an Kapital an den Stadtentwicklungsfonds zur Folge, das dann<br />

wiederum förderwirksam eingesetzt werden kann. Dadurch wird auch deutlich, dass<br />

diese Art der nicht-zuschussbasierten Förderung andere Stadtentwicklungsprojekte<br />

anspricht als bisher.<br />

Während „der Markt“ rentable Stadtentwicklungsprojekte aus sich selbst heraus<br />

umsetzt, konzentriert sich die „klassische“ Zuschussförderung auf unrentable Projekte.<br />

Die Stadtentwicklungsprojekte, die im Fokus der Förderung durch einen<br />

Stadtentwicklungsfonds liegen, weisen auch eine gewisse Rentabilität bzw. rentable<br />

Anteile auf – allerdings in einem derart geringen Maße oder verbunden mit einem<br />

derart hohen Risiko, dass sie auf dem Markt nicht selbstständig umgesetzt werden.<br />

Folgt man der CABERNET 54 -Klassifikation, so handelt es sich dabei um typische B-<br />

Projekte (A: Markfähigkeit, C: Zuschussbedarf).<br />

53 „Financing Growth and Cohesion in the enlarged EU“ – Konferenz am 24. November in Brüssel.<br />

54 Concerted Action on Brownfield and Economic Regeneration Network (CABERNET): Europäisches<br />

Expertennetzwerk zur Bearbeitung von akteursbezogenen Fragestellungen rund um die<br />

<strong>Entwicklung</strong> von Brachflächen (www.cabernet.org.uk).


106 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

Diese Projekte sind dabei meist von besonderer stadtentwicklungspolitischer Bedeutung,<br />

da durch ihre Umsetzung oft weitere stadtentwicklungsrelevante private<br />

Investitionen im Projektumfeld getätigt werden.<br />

Der Förderbedarf sowie die Höhe und Regelmäßigkeit möglicher Rückflüsse aus<br />

den Projekten an den Stadtentwicklungsfonds hängt vor allem davon ab, in welcher<br />

Phase des Immobilien-Lebenszyklus sich das Projekt befindet. Handelt es sich um<br />

eine Immobilienentwicklung, also um eine Landentwicklung, Projektentwicklung<br />

oder eine größer angelegte Revitalisierungsmaßnahme, so ist der Kapitalbedarf<br />

bereits zu Beginn des Projektes sehr groß und erste Rückflüsse sind erst ab der<br />

Fertigstellung der baulichen Maßnahmen zu erwarten. Bei Projekten innerhalb der<br />

Phasen der Immobiliennutzung (Modernisierungen) ist der Kapitalbedarf im Vergleich<br />

geringer, da in einer genutzten Immobilie keine größeren Veränderungen erfolgen,<br />

und Rückflüsse resultieren bereits aus der bestehenden Nutzung. Allen B-<br />

Projekten ist jedoch gemein, dass die Rückzahlung der vom Stadtentwicklungsfonds<br />

erhaltenen Förderung eher mittel- bis langfristig anzusetzen ist, da aufgrund<br />

der geringen Renditeerwartung und der hohen Risiken deren finanzieller Spielraum<br />

stark begrenzt ist.<br />

Abbildung 1: <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente von Stadtentwicklungsfonds<br />

Die Auswahl der einzusetzenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente ist ebenfalls im Zusammenhang<br />

mit den jeweiligen Projekten zu sehen. Die Vergabe von Darlehen<br />

und Garantien eignet sich im Besonderen für Projekte in der Nutzungsphase, da der<br />

Kapitaldienst direkt über die regelmäßigen Einnahmen geleistet werden kann. Bei<br />

Immobilienentwicklungen ist meist Eigenkapital der klassische Engpassfaktor, da<br />

von dessen Einsatz auch die Verfügbarkeit und Kosten der für die <strong>Entwicklung</strong> nötigen<br />

Fremdfinanzierung abhängen. Gleichzeitig erlaubt eine Eigenkapitalbeteiligung<br />

die Abschöpfung von möglichen <strong>Entwicklung</strong>sgewinnen – im Falle von Verlusten<br />

erfolgt jedoch gleichermaßen ein Kapitalverzehr.


Stadtentwicklungsfonds 107<br />

Eine wichtige Voraussetzung für eine Förderung durch einen EFRE-gespeisten<br />

Stadtentwicklungsfonds ist die Einbindung des in Frage kommenden Projektes in<br />

einen integrierten Stadtentwicklungsplan. Dabei ist es den EU-Mitgliedstaaten<br />

selbst überlassen, wie diese Einbindung konkret aussieht – wo kein explizites Konzept<br />

vorhanden ist oder es sich im Aufstellungsprozess befindet, muss nachgewiesen<br />

werden, inwiefern sich das Prinzip der integrierten Stadtentwicklung in den bestehenden<br />

Plänen und Abstimmungsprozessen der räumlichen und fachlichen Planung<br />

wiederfindet.<br />

2. Holdingfonds 55 vs. Stadtentwicklungsfonds 56<br />

Die Einrichtung eines Holdingfonds, der mehreren Stadtentwicklungsfonds vorgeschaltet<br />

ist, kann sich als sinnvoll erweisen und liegt – sofern EFRE-Mittel in den<br />

Holdingfonds und damit auch in die Stadtentwicklungsfonds eingelegt werden sollen<br />

– im direkten Entscheidungsspielraum der zuständigen Verwaltungsbehörde des<br />

Mitgliedstaats oder der Länder. Mit Hilfe des Holdingsfonds können in einem Fonds<br />

zentral Finanzmittel gesammelt und dann auf mehrere Stadtentwicklungsfonds mit<br />

unterschiedlichen Finanzvolumina verteilt werden. Somit wird zum einen die Kapitalakquisition<br />

kanalisiert und zum anderen gleichzeitig die Vergabe der Fördermittel<br />

spezialisiert.<br />

Der Holdingfonds übernimmt dabei von der Verwaltungsbehörde alle relevanten<br />

Aufgaben, die für die Umsetzung von Stadtentwicklungsfonds notwendig sind, wie<br />

z.B. die Auswahl von Stadtentwicklungsfonds (inklusive Prüfung von Businessplänen),<br />

die Vertragsabschlüsse mit den verschiedenen Stadtentwicklungs-fonds, das<br />

Monitoring und die Umsetzungskontrolle der vertraglichen Vereinbarungen zwischen<br />

Verwaltungsbehörde und Holdingfonds in der Projektion durch die Verträge<br />

mit den einzelnen Stadtentwicklungsfonds. Ein mit entsprechendem Know-how<br />

ausgestatteter Holdingfondsmanager kann der an der Umsetzung der JESSICA-<br />

Initiative interessierten Verwaltungsbehörde auch die dafür nötige Infrastrukturausstattung<br />

bieten und somit die Verwendung der in der Stadtentwicklung neuen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

Darlehen, Garantie und Eigenkapitalbeteiligung effizienter<br />

verwalten. Er besitzt dabei den Überblick über das gesamte dem Holdingfonds zur<br />

Verfügung stehende Kapital einerseits und den aus den Einsätzen bestimmter <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

resultierenden Kapitalbedarfen der einzelnen Stadtent-<br />

55 Für weitergehende Informationen s. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission<br />

(Hrsg.) (2010): JESSICA – Holding Fund Handbook, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.<br />

56 Für weitergehende Informationen s. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission<br />

(Hrsg.) (2010): JESSICA – UDF Typologies and Governance Structures in the context of<br />

JESSICA implementation, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.


108 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

wicklungsfonds andererseits. Darüber hinaus ermöglicht der Holdingfonds eine einfachere<br />

Koordinierung der Kapitalverwendung aus mehreren Operationellen Programmen<br />

gleichzeitig. 57<br />

Abbildung 2: Holdingfonds<br />

Stadtentwicklungsfonds fördern die konkreten Stadtentwicklungsprojekte mit dem<br />

Einsatz revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente. Wenn ihnen keine Holdingfonds<br />

vorgeschaltet sind, übernimmt das Management des Stadtentwicklungsfonds die<br />

Aufgaben, die weiter oben dem Management des Holdingfonds zugeordnet wurden,<br />

zusätzlich zu denen, die aus der konkreten Förderung von Projekten resultieren.<br />

Sofern der Stadtentwicklungsfonds sein verfügbares Kapital nicht von einem Holdingfonds<br />

zugeteilt bekommt, ist dessen Management für die Organisation der verschiedenen<br />

möglichen Finanzquellen (und eventuellen Rückzahlmodalitäten) verantwortlich.<br />

Bei einem EFRE-geförderten Stadtentwicklungsfonds stellt sich an diesem<br />

Punkt zunächst die Frage nach der nötigen Kofinanzierung der in den Fonds<br />

eingelegten EFRE-Mitteln. Die ursprüngliche Intention des Kofinanzierungsprinzips<br />

war die gleichzeitige Bereitstellung von europäischen Strukturfondsmitteln zum einen<br />

und von landeseigenen Haushaltsmitteln zum anderen. Aufgrund des revolvierenden<br />

Prinzips in der Projektförderung mit finanziellen Rückflüssen an den Fonds<br />

können nun auch Darlehen (z.B. durch Förderbanken zu günstigen Konditionen an-<br />

57 Vgl. Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (EC) (Hrsg.) (2010): JES-<br />

SICA – Holding Fund Handbook, Europäische Investitionsbank, Luxemburg.


Stadtentwicklungsfonds 109<br />

geboten) zur Kofinanzierung herangezogen werden, da der Fonds selbst entsprechende<br />

Kapitaldienste leisten kann. Darüber hinaus ist es ebenfalls durchaus denkbar,<br />

dass er Kapitalgaben von institutionellen Anlegern mit geringeren Renditeerwartungen<br />

(z.B. Stiftungskapital) einwirbt.<br />

Die zentrale Aufgabe des Managements des Stadtentwicklungsfonds ist jedoch die<br />

Vorbereitung und Abwicklung der Förderung der Projekte 58 . Es hat im Fall der Verwendung<br />

von EFRE-Mitteln gegenüber der zuständigen Verwaltungsbehörde nachzuweisen,<br />

dass die Mittel in den geförderten Projekten entsprechend der Vorgaben<br />

des jeweiligen Operationellen Programms verwandt werden und hat dies auch während<br />

des Förderungsvollzugs zu überprüfen. Das Management wählt die zu fördernden<br />

Projekte anhand von stadtentwicklungspolitischen und wirtschaftlichen<br />

Kriterien aus.<br />

Nach Maßgabe der Verordnung (EG) 1080/2006 über den EFRE müssen sich die<br />

Projekte in einen Integrierten Stadtentwicklungsplan einfügen; die weitere stadtentwicklungspolitische<br />

Förderfähigkeit hängt von den Vorgaben des Operationellen<br />

Programms ab (Nutzungen und räumliche Begrenzung der Förderkulisse). Förderung<br />

von Wohnungsbau ist bis auf energetische Sanierungsmaßnahmen durch die<br />

Verordnung grundsätzlich für Deutschland ausgeschlossen. Bei Förderungen des<br />

Stadtentwicklungsfonds, für die keine EFRE-Mittel inklusive dazugehöriger Kofinanzierung<br />

ausgereicht werden bzw. für Stadtentwicklungsfonds ohne Kapitaleinlage<br />

der Europäischen Strukturfonds besteht dementsprechend keine Einschränkung<br />

hinsichtlich der Förderfähigkeit von Projekten.<br />

Im Bezug zu wirtschaftlichen Kriterien entscheidet das Fondsmanagement, welche<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente am sinnvollsten eingesetzt werden können, bewertet<br />

Zeitpunkte und Höhe des Förderbedarfs, Rückzahlungsmöglichkeiten und Ausfallrisiken<br />

und prüft Passgenauigkeit des Projekt-Businessplans auf den des Stadtentwicklungsfonds.<br />

Wie schon beim Management des Holdingfonds angesprochen, ist<br />

an dieser Stelle spezifisches finanzpolitisches Know-how vonnöten, das gleichzeitig<br />

um Kenntnisse der Immobilienprojektentwicklung, der Integrierten Stadtentwicklung<br />

und der formalen Modalitäten der EU-Förderung ergänzt werden muss.<br />

58 Grundsätzlich sind alle Stadtentwicklungsprojekte mit der vorab beschriebenen <strong>Finanzierung</strong>sstruktur<br />

für einen Stadtentwicklungsfonds förderfähig. EFRE-Mittel dürfen jedoch nur nach Maßgabe<br />

der Artikel 4, 5 und 6 in Verbindung mit Artikel 8 (Nachhaltige Stadtentwicklung) der Verordnung<br />

(EG) 1080/2006 gefördert werden. Dieser Artikel ermöglicht die Unterstützung von Büro-,<br />

Einzelhandel-, Gewerbe- und Technologieentwicklungen, <strong>Entwicklung</strong>en von Freizeit- und Kultureinrichtungen,<br />

Hotels, Krankenhäusern und Schulen, energetischen Sanierungsmaßnahmen im<br />

öffentlichen und privaten Bereich, die Integration von ergänzenden (auch privaten) Nutzungen in<br />

öffentlich genutzten Gebäuden sowie Maßnahmen zur Aufwertung und Verbesserung der Infrastrukturnetze<br />

(Energie, Wasser/Abwasser, Verkehr, Kommunikation, Entsorgung).


110 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

Abbildung 3: Förderstruktur des Stadtentwicklungsfonds 59<br />

Aufgrund dieser inhaltlichen Vorgaben und den weiteren organisatorischen Bestimmungen<br />

der europäischen Verordnungen besteht nur ein gewisser Gestaltungsspielraum<br />

bei den Umsetzungsstrukturen von Stadtentwicklungsfonds. So ist zunächst<br />

vorgeschrieben, dass mit EFRE-Mitteln gespeiste Stadtentwicklungsfonds<br />

nur als eigenständige rechtliche Einheit oder als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock<br />

innerhalb einer Finanzinstitution (getrennte Buchführung) eingerichtet werden dürfen<br />

60 (siehe hierzu auch den Beitrag von Schwab/Gröss). Darüber hinaus sind aufgrund<br />

der Anforderungen an das Management eines Stadtentwicklungsfonds sehr<br />

häufig mehrere Akteure beteiligt, deren Interessen unter einen Hut gebracht werden<br />

müssen:<br />

� EFRE-Verwaltungsbehörde: verbleibt Direktverantwortliche gegenüber der EU<br />

bezüglich der Verwendung der Europäischen Fördermittel, auch wenn das<br />

Fondsmanagement einige Aufgaben übernimmt.<br />

� Für Stadtentwicklung zuständiges Landesministerium: bislang Fokussierung<br />

auf die Vergabe von Zuschüssen und alleinentscheidende Institution, muss<br />

(Teil-)Kompetenzen an das Fondsmanagement abgeben.<br />

59 Europäische Investitionsbank (EIB)/Europäische Kommission (Hrsg.) (2010): UDF Typologies and<br />

Governance Structures in the context of JESSICA implementation, Europäische Investitionsbank,<br />

Luxemburg, S. 12.<br />

60 Art. 43 Verordnung (EG) 1828/2006.


Stadtentwicklungsfonds 111<br />

� Förderbank: möglicher Fondsmanager und/oder Kapitalgeber (im Besonderen<br />

bei der Kofinanzierung von EFRE-Mitteln).<br />

� Experte im Bereich Stadtentwicklung (z.B. Landesentwicklungsgesellschaft):<br />

Erfahrung und Wissen um stadtentwicklungspolitische Zielsetzung und immobilienwirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit von Projekten.<br />

Die zuvor genannten Akteure bilden meist den Kern der für die Umsetzung von<br />

Stadtentwicklungsfonds erarbeiteten Governance-Modelle 61 , der um weitere Akteure<br />

aus anderen Ministerien, Vertreter von Städten und Gemeinden, regionale private<br />

Investoren und Entwickler sowie andere Gutachter und Experten situationsbedingt<br />

erweitert wird.<br />

3. <strong>Entwicklung</strong>sgeschichte und derzeitiger Sachstand<br />

Im Jahr 2005 wurde von der damals für Regionalentwicklung zuständigen EU-<br />

Kommissarin Danuta Hübner die JESSICA-Initiative ins Leben gerufen, um den sich<br />

ändernden Rahmenbedingungen in der europäischen Stadtentwicklungspolitik<br />

(steigender Investitionsbedarf in unterschiedlichen Politikfeldern bei gleichzeitiger<br />

Verknappung der dafür zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel) Rechnung tragen<br />

zu können. Sie wurde in die bestehende, auf dem Zuschussprinzip basierende<br />

Förderung der Nachhaltigen Stadtentwicklung integriert, die sich in den für den für<br />

die Förderperiode 2007–2013 formulierten Zielen „Konvergenz“, „Regionale Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Beschäftigung“ und „Territoriale Zusammenarbeit“ wiederfindet.<br />

Um die offenen Fragen in Bezug zur Umsetzung der Initiative vorab zu klären,<br />

wurde im Mai 2007 eine Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus interessierten Mitgliedstaaten<br />

und Institutionen unter Federführung des deutschen Bundesministeriums für<br />

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingerichtet. Die erarbeiteten<br />

Schlussfolgerungen und Empfehlungen wurden im Rahmen der Konferenz der EU-<br />

Stadtentwicklungsminister im November 2008 zur Kenntnis genommen und den<br />

Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung empfohlen; der entsprechende Forschungsbericht<br />

wurde Anfang 2009 veröffentlicht 62 .<br />

Basierend auf dem Memorandum of Understanding zwischen der Europäischen<br />

Kommission, der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der <strong>Entwicklung</strong>sbank<br />

des Europarates (CEB) wurden seit 2007 eine Vielzahl von durch die EIB finanzierten<br />

Machbarkeitsstudien in den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt, die 2008 in die<br />

<strong>Entwicklung</strong> und Einrichtung der ersten Holdingfonds mündeten. In Deutschland<br />

61 Aufbau und Ablauforganisation, inkl. Aussagen zur Verteilung von Kompetenzen und Verantwortungsbereichen,<br />

Förderantragstellung und -bearbeitung sowie Kapitalflüsse.<br />

62 BMVBS/BBSR (Hrsg.) (2009): Stadtentwicklungsfonds in Europa. Ideen zur Umsetzung der JES-<br />

SICA-Initiative, BBSR-Online-Publikation 02/2009.


112 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

starteten Ende 2008 das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung<br />

(BBSR) und das BMVBS das ExWoSt-Forschungsfeld „Stadtentwicklungsfonds in<br />

Deutschland“ mit fünf Modellvorhaben (Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-<br />

Westfalen, Rheinland-Pfalz und Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)/ohne EFRE-<br />

Mittel), die die Einrichtung von Stadtentwicklungsfonds erproben sollten. Daneben<br />

evaluierten auch noch andere Länder die mögliche Einrichtung eines Stadtentwicklungsfonds<br />

(Berlin, Saarland). Während sich die <strong>Entwicklung</strong>en in Europa weiter<br />

zunächst hauptsächlich auf Holdingfonds konzentrierten, wurde im Sommer 2009<br />

der EU-weit erste Stadtentwicklungsfonds in Brandenburg umgesetzt.<br />

Ende 2010 stellt sich die Situation in Deutschland und Europa ähnlich dar. Im Zuge<br />

der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden freies Kapital und personelle Ressourcen<br />

hauptsächlich in zuschussbasierten Konjunkturmaßnahmen gebunden, darüber<br />

hinaus nahm der politische Wille, neue <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zu erproben, aufgrund<br />

der Erfahrungen der Jahre davor stark ab. Dadurch wurde der <strong>Entwicklung</strong>sfluss<br />

der Stadtentwicklungsfonds deutlich gebremst. Während Rheinland-Pfalz und<br />

die KfW verstärkt theoretische Grundüberlegungen angestrengt haben, wurden in<br />

Berlin und dem Saarland umsetzungsfähige Fondsmodelle von der politischen Entscheidungsebene<br />

zurückgestellt. In Nordrhein-Westfalen steht ein Stadtentwicklungsfonds<br />

vor der direkten Umsetzung, allerdings mit stark reduziertem Volumen.<br />

Ähnliches gilt auch für Hamburg, wo zusätzlich zunächst auf die Einlage von EFRE-<br />

Mitteln verzichtet wird, um noch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten bezüglich<br />

der Nutzung von Europäischen Strukturfondsmitteln aus dem Weg zu gehen. Der<br />

seit 2009 bestehende Stadtentwicklungsfonds Brandenburg, der sich auf die Vergabe<br />

von vergünstigten Darlehen an Kommunen beschränkt, hat bis zu diesem Zeitpunkt<br />

nur zwei kommunalen Projekten eine Förderung gewähren können.<br />

Die Holdingfonds im europäischen Ausland entstanden hauptsächlich in den neuen<br />

EU-Mitgliedstaaten und weiteren Regionen mit hohen EFRE-Mittelzuweisungen und<br />

geringen Kofinanzierungsquoten. Sie wählten und wählen bis dato die nachgeschalteten<br />

Stadtentwicklungsfonds aus, die dann wiederum vor dem Problem stehen,<br />

nicht in ausreichendem Maße Projekte für eine Förderung zu finden, da die<br />

Auswirkungen der Finanzkrise im Besonderen die Projekte trafen, deren vom Start<br />

weg geringen Renditen komplett wegfielen. Gleiches gilt auch für die ohne Holdingfonds<br />

eingerichteten nicht-deutschen Stadtentwicklungsfonds.


Stadtentwicklungsfonds 113<br />

4. Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken von Stadtentwicklungsfonds<br />

63<br />

Die Betrachtung der Vor- und Nachteile von Stadtentwicklungsfonds sowie von deren<br />

Chancen und Risiken war integraler Bestandteil von Machbarkeitsstudien zur<br />

Umsetzung von Stadtentwicklungsfonds in den deutschen Ländern. Da in allen<br />

Ländern die mögliche Einlage von EFRE-Mitteln in den Stadtentwicklungsfonds den<br />

Ausgangspunkt aller Überlegungen bildete, beziehen sich die Ergebnisse der Studien<br />

auf Stadtentwicklungsfonds, die den Vorgaben zur Verwendung von EFRE-<br />

Mitteln unterliegen. Dennoch lassen sich darüber hinaus auch einige Punkte identifizieren,<br />

die für „EFRE-freie“ Fonds ebenfalls von Bedeutung sind.<br />

Allgemeine Vorteile sind u.a. der Einsatz neuer flexibler Förderinstrumente (auch in<br />

Kombination mit Zuschüssen), die mögliche mehrmalige Verausgabung derselben<br />

Mittel, die größere Hebelwirkung auf den Einsatz privaten Kapitals zur Umsetzung<br />

von stadtentwicklungspolitischen Zielen (kleine Förderungen verhelfen großen Projekten<br />

zum Erfolg). In Bezug zur Nutzung von EFRE-Mitteln ist hervorzuheben, dass<br />

aufgrund der Projektrückflüsse nun auch Darlehen zur Kofinanzierung genutzt werden<br />

können und dass die Verwendung der EFRE-Mittel nur bis zwei Jahre nach<br />

Ende der Förderperiode den Europäischen Bestimmungen unterliegt (bis dahin<br />

muss das gesamte Kapital in Projekte investiert sein, eine ehemalige Vorabprogrammierung<br />

der Mittel auf früher fällige Tranchen ist obsolet). Danach hat der<br />

Einsatz der zurückgeflossenen Mittel lediglich im Bereich der Integrierten Stadtentwicklung<br />

zu erfolgen 64 . Diese weiteren Verwendungsmöglichkeiten werden aber<br />

bereits in der Verwaltungsvereinbarung zwischen Fondsmanagement und EFRE-<br />

Verwaltungsbehörde festgelegt. Die Restriktionen der JESSICA-Initiative resultieren<br />

hauptsächlich aus den Einschränkungen zur Verwendung von EFRE-Mitteln (Zeitdruck<br />

bis 2015, Ausschluss der Förderung von relevanten Nutzungen wie Wohnen);<br />

lediglich der hohe Verwaltungsaufwand und die hohen laufenden Kosten sind allen<br />

Stadtentwicklungsfonds gemein.<br />

Eine ähnlich starke Abhängigkeit zur Verwendung von EFRE-Mitteln in Stadtentwicklungsfonds<br />

findet sich auch bei der Betrachtung zukünftiger Chancen und Risiken<br />

dieses <strong>Finanzierung</strong>sinstruments. Vor dem Hintergrund des sich verlagernden<br />

geografischen Schwerpunkts der Europäischen Strukturförderung hin zu den zehn<br />

neuen Mitgliedstaaten können Länder und Regionen trotz dadurch sinkender Mittelzuweisungen<br />

mit Hilfe eines revolvierenden Stadtentwicklungsfonds ein konstantes<br />

63 Vgl. Evaluierungsstudien der Europäischen Investitionsbank (EIB) (Hrsg.) zu den Ländern Hamburg,<br />

(2009), Berlin (2010) und Saarland (2010), abrufbar unter www.eib.org/jessica.<br />

64 Vgl. Art. 78 (7) Verordnung (EG) 1083/2006 i.V.m. Europäische Kommission, GD Regio (2008):<br />

Guidance Note on Financial Engineering, COCOF 08/0002/03-EN, Europäische Kommission<br />

Brüssel, A3.


114 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

Volumen an zur Verfügung stehenden Fördermitteln aufrechterhalten. Darüber hinaus<br />

können die revolvierten Stadtentwicklungsmittel zur Kofinanzierung weiterer<br />

europäischer und nationaler Fördermittel genutzt werden. Gleichermaßen erfahren<br />

Ziele und Inhalte der Integrierten Stadtentwicklungsplanungen durch die entsprechende<br />

Fokussierung der EFRE-Förderung eine bessere Umsetzung. Generell gesehen<br />

kann eine Projektförderung durch einen Stadtentwicklungsfonds positive<br />

Imagewirkung auf Projekte (Verbesserung der Kreditwürdigkeit) und Standort (Erwirkung<br />

weiterer privat finanzierter Ansiedlungen/<strong>Entwicklung</strong>en) haben. Neben den<br />

Bestimmungen zur Verwendung der EFRE-Mittel (komplexe Verwaltungsabläufe,<br />

hoher Umsetzungszeitdruck) bilden die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

größere Risiken für den Erfolg von Stadtentwicklungsfonds: Es stehen weniger<br />

Mittel für Zuschussförderungen zur Verfügung, die in Krisenzeiten stärker nachgefragt<br />

werden, und Projektentwicklern wird die Aufnahme von Fremdkapital landesseitig<br />

stärker erschwert, sodass eine Förderung des Stadtentwicklungsfonds oft wirkungslos<br />

bleibt.<br />

In der Vorteilsbetrachtung aus Sicht der einzelnen involvierten Akteursgruppen verbleiben<br />

darüber hinaus – unabhängig von der Nutzung von EFRE-Mitteln im Stadtentwicklungsfonds<br />

– die folgenden Punkte:<br />

Abbildung 4: Vorteilsbetrachtung aus Sicht der unterschiedlichen Akteure 65<br />

65<br />

Europäische Investitionsbank (EIB) (2010): JESSICA-Evaluierungsstudie Berlin, abrufbar unter<br />

www.eib.org/jessica.


Stadtentwicklungsfonds 115<br />

5. Aktuelle Rahmenbedingungen und Ausblick<br />

Auch wenn der Umsetzungsstand der Stadtentwicklungsfonds in Deutschland zum<br />

Dezember 2010 wie auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten noch keine großen<br />

Erfolge bieten kann und die Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise die Rahmenbedingungen<br />

der Umsetzung weiterhin stark beeinträchtigen, so sind gerade<br />

letztere auch der Grund weswegen es verfrüht wäre, die JESSICA-Initiative zu beschränken<br />

oder als wirkungslos einzustufen. Durch steigende Investitionsbedarfe in<br />

der Stadtentwicklung auf der einen Seite und akute Finanzknappheit der öffentlichen<br />

Hand auf der anderen, ist es eine logische Konsequenz, dass revolvierende<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente gegenüber der Zuschussförderung im Sinne einer nachhaltigeren<br />

Verwendung von Fördermitteln an Bedeutung gewinnen. Dies bedeutet<br />

aber auch gleichermaßen, dass die öffentliche Hand verstärkt Kooperationen mit<br />

Privaten eingeht und in diesem Zug auch Kompetenzen wird abgeben müssen. Das<br />

Hauptproblem der meisten deutschen Stadtentwicklungsfondskonzeptionen waren<br />

bislang die fehlenden nationalen Möglichkeiten der Kapitalaufbringung, wodurch<br />

auch kein privates Kapital für stadtentwicklungspolitische Zwecke gewonnen werden<br />

konnte.<br />

Als grundsätzliches Charakteristikum kann indes konstatiert werden, dass in Verwaltungen<br />

und auch in den Projekten selbst bei den Akteuren nach wie vor eine (zu)<br />

starke Fokussierung auf Zuschussförderungen zu finden ist, die bislang nur schwerlich<br />

eine Öffnung gegenüber den revolvierenden Förderinstrumenten zulässt. In diesem<br />

Bereich ist eine entsprechende weitergehende Imagebildung und Kommunikation<br />

angeraten. Im Rahmen der JESSICA Networking Platform im November 2010<br />

wurde deshalb von Seiten der Europäischen Kommission deutlich gemacht, dass<br />

für die Förderperiode ab 2014 gegebenenfalls mit Mindestvolumina bezüglich des<br />

Einsatzes von revolvierenden Förderinstrumenten zu rechnen sei. Dementsprechend<br />

liegt es im Interesse der Verwaltungen selbst, sich mit dem Thema Stadtentwicklungsfonds<br />

frühzeitig und umsetzungsorientiert zu beschäftigen.<br />

Unabhängig von den bisher beobachteten Hemmnissen bei der Umsetzung von<br />

Stadtentwicklungsfonds bergen diese öffentlichen Fondskonzeptionen ein deutliches<br />

Potenzial, sich erfolgreich zu entwickeln und als Leuchtturmprojekte positive<br />

<strong>Entwicklung</strong>en der <strong>Finanzierung</strong> im Städtebau zu ermöglichen. Neben einigen englischen<br />

Fonds sollte das Augenmerk der Fachöffentlichkeit in der nächsten Zukunft<br />

auf die <strong>Entwicklung</strong>en in Nordrhein-Westfalen und bei der KfW gerichtet werden, da<br />

hier die Chancen für eine Umsetzung eines erfolgreichen Stadtentwicklungsfonds<br />

am größten einzuordnen sind.


116 Christian Plöhn/Andreas Jacob<br />

Weiterführende Literatur und Internetquellen<br />

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut<br />

für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.) (2009): Stadtentwicklungsfonds<br />

in Europa. Ideen zur Umsetzung der JESSICA-Initiative,<br />

BBSR-Online-Publikation, Nr. 02/2009.<br />

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Website des ExWoSt-<br />

Forschungsfeldes „Stadtentwicklungsfonds in Deutschland“, abrufbar unter<br />

http://www.bbsr.bund.de/cln_016/nn_21888/BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschun<br />

gsfelder/Stadtentwicklungsfonds/01__Start.html<br />

Europäische Investitionsbank (EIB) (Hrsg.): JESSICA-Evaluationsstudien auf nationaler<br />

und <strong>regionaler</strong> Ebene, abrufbar unter www.eib.org/jessica.<br />

Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (Hrsg.) (2010):<br />

JESSICA – UDF Typologies and Governance Structures in the context of<br />

JESSICA implementation, EIB, Luxemburg.<br />

Europäische Investitionsbank (EIB) und Europäische Kommission (Hrsg.) (2010):<br />

JESSICA – Holding Fund Handbook, EIB, Luxemburg.<br />

Kontakt:<br />

Christian Plöhn<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung<br />

Fachgebiet Immobilienentwicklung<br />

44221 Dortmund<br />

Dipl.-Ing. Andreas Jacob<br />

geschäftsführender Gesellschafter<br />

Forschungs- und Informations-Gesellschaft für Fach- und Rechtsfragen der Raumund<br />

Umweltplanung (FIRU) mbH<br />

Bahnhofstraße 22<br />

67655 Kaiserslautern


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen<br />

von Thomas Hüttich<br />

Der von der Investitionsbank Berlin verwaltete KMU-Fonds vergibt Mikrokredite sowie<br />

Gründungs- und Wachstumsdarlehen an kleine und mittlere Berliner Unternehmen<br />

mit und ohne Beteiligung einer Geschäftsbank. Es war eines der ersten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

in Deutschland, welches den revolvierenden Einsatz von<br />

Strukturfondsmitteln der EU erprobt hatte. Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise<br />

und die unterstützende Rolle der Förderbanken in Deutschland bei der Gegensteuerung<br />

haben gezeigt, dass öffentlich finanzierte Kapitalmarktprodukte partielles<br />

Marktversagen ausgleichen können. Innovative Fördermöglichkeiten aus den europäischen<br />

Strukturfonds nehmen dabei eine wichtige regionalpolitische Pilotfunktion<br />

ein.<br />

1. Von Zuschüssen zu revolvierenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />

Der Einsatz kapitalmarktbasierter Instrumente in der Regional- und Wirtschaftsförderung<br />

bietet bedeutende Vorteile für die Effizienz und Handlungsspielräume der<br />

öffentlichen Hand, ist aber auch eine folgerichtige Antwort auf zunehmende <strong>Finanzierung</strong>slücken<br />

am Kapitalmarkt.<br />

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellen nicht nur den weitaus größten Teil<br />

der Unternehmen in Deutschland dar, sie sind auch der Motor für Innovationen und<br />

die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Insbesondere KMU sind aber seit einigen Jahren<br />

mit gestiegenen Schwierigkeiten beim Zugang zu <strong>Finanzierung</strong> konfrontiert. Im europäischen<br />

Vergleich sind KMU in der <strong>Finanzierung</strong>sstruktur unterdurchschnittlich<br />

mit Eigenkapital ausgestattet. Die <strong>Finanzierung</strong> erfolgt überwiegend durch Fremdkapital<br />

von Kreditinstituten. Strukturelle Veränderungen auf den Finanzmärkten (Basel<br />

II, globale Strategien) führten zu Beginn der „Nuller“-Jahre zu geänderten Geschäftspolitiken<br />

der Banken. So wurden aus Rentabilitätsgründen Kreditportfolios<br />

zurückgefahren und stattdessen das Provisionsgeschäft ausgebaut. In der Folge<br />

senkten die Banken ihre Risiko- bzw. Risikoanalysebereitschaft und verlangten<br />

mehr Sicherheiten und höhere Eigenkapitalquoten, vor allem bei kleineren Unternehmen.<br />

Risikoreichere Gründungsfinanzierungen und unrentable Kleinstkredite<br />

wurden oft überhaupt nicht angeboten 66 .<br />

66 Siehe hierzu u.a. die jährlichen Unternehmensbefragungen der KfW zu den <strong>Finanzierung</strong>sbedingungen<br />

kleiner und mittlerer Unternehmen.


118 Thomas Hüttich<br />

Der Zugang zu <strong>Finanzierung</strong> für KMU und Existenzgründer wuchs somit immer<br />

mehr in den Fokus <strong>regionaler</strong> Wirtschaftsförderung aber auch der Regionalpolitik<br />

der Europäischen Union 67 . Unternehmensfinanzierung ist ein wichtiger Pfeiler in den<br />

öffentlichen Programmen zur Stärkung von Innovation und <strong>regionaler</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />

sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dennoch überwiegen bis<br />

heute klassische Zuschussprogramme bei der Förderung von gewerblichen Investitionen,<br />

Existenzgründungen und in der Technologieförderung. Im Rahmen der Neuausrichtung<br />

der Wirtschaftsförderung vieler Bundesländer wird jedoch nicht zuletzt<br />

vor dem Hintergrund schrumpfender öffentlicher Ressourcen der Einsatz darlehensund<br />

beteiligungsbasierter <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente forciert.<br />

Neben den offensichtlichen langfristigen Vorteilen eines revolvierenden Einsatzes<br />

von öffentlichen Mitteln, ermöglichen kapitalmarktähnliche Produkte und <strong>Finanzierung</strong>sfonds<br />

die Hebelung zusätzlicher privater Mittel und externen Know-hows und<br />

erhöhen damit die Effizienz und Effektivität der Förderung 68 . Darüber hinaus können<br />

rückzahlungspflichtige und verzinste Instrumente Mitnahmeeffekte minimieren und<br />

zu betriebswirtschaftlicher Disziplin motivieren. Schließlich werden im Vergleich zu<br />

Zuschüssen Elemente staatlicher Beihilfe und somit mögliche Marktverzerrungen<br />

reduziert.<br />

2. Financial Engineering – innovative Einsatzmöglichkeiten<br />

des EFRE<br />

Die Strukturfonds der Europäischen Union, insbesondere der Europäische Fonds<br />

für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE), haben in vielen Bundesländern eine wichtige Pilotfunktion<br />

bei der Einführung revolvierender <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für regionale<br />

<strong>Entwicklung</strong> eingenommen. Unter dem Begriff „Financial Engineering“ wurde erstmals<br />

in der Förderperiode 1994-1999 vor allem in Großbritannien der innovative<br />

Einsatz von EFRE-Mitteln z.B. im Rahmen von Risikokapitalfonds oder Zinssubventionen<br />

getestet. Nachdem die auf Zuschussförderung ausgelegten Strukturfondsverordnungen<br />

in der Förderperiode 2000-2006 eine rechtliche Grundlage für<br />

den revolvierenden Einsatz erhielten, wurden auch in Deutschland die ersten Fonds<br />

implementiert, darunter der VC-Fonds Berlin und als erster Darlehensfonds der<br />

KMU-Fonds bei der Investitionsbank Berlin. Aktuell expandieren in fast allen Mitgliedsstaaten<br />

EFRE-finanzierte Fonds, neben der Unternehmensfinanzierung auch<br />

67<br />

Vgl. Mitteilung der EU-Kommission: „Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln“,<br />

Dez. 2003.<br />

68<br />

Neben obligatorischen privaten Ko-Investoren bei Beteiligungsprodukten ist in Deutschland bei<br />

Darlehensprodukten das sogenannte Hausbankenverfahren vorherrschend. Dabei werden Darlehen<br />

der Förderbanken über die jeweiligen Hausbanken an die begünstigten Unternehmen durchgeleitet,<br />

welche auch die Betreuung der Darlehensnehmer übernehmen.


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 119<br />

in den Bereichen Stadtentwicklung und Energieeffizienz. Im Rahmen der EU-<br />

Initiativen JEREMIE und JESSICA unterstützt auch die EIB-Gruppe die Implementierung<br />

von EFRE-geförderten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten. Damit will die EU-<br />

Kommission erreichen, dass insbesondere Regionen mit sinkenden Strukturfondsallokationen<br />

auch in der Zukunft noch von EFRE-Mitteln profitieren können.<br />

Anders als Zuschussprogramme genießen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für KMU in<br />

Form von Beteiligungen für Seed-, Venture- und Mezzanine-Fonds, Darlehen für<br />

Gründungen und Erweiterungsinvestitionen, Bürgschaften und Rückbürgschaften<br />

sowie Stadtentwicklungsprojekten Sonderregeln und Vereinfachungen in den<br />

Strukturfondsverordnungen 69 :<br />

� Rückzahlungen und Erträge müssen nicht wie in anderen Fällen an Brüssel<br />

zurückgezahlt werden; sie können für gleiche Ziele auch nach Ende der Förderperiode<br />

eingesetzt werden.<br />

� Durch die mögliche Gewinnbeteiligung und eine optionale vorrangige Haftung<br />

der öffentlichen Mittel können zusätzliche private Mittel auf Fondsebene gewonnen<br />

werden.<br />

� Die marktübliche Ausgestaltung der Instrumente führt insbesondere auf Projektebene<br />

zu Hebelwirkungen auf private Ko-Investoren.<br />

� Die nationale Kofinanzierung der EFRE-Mittel kann durch Kapitalmarktdarlehen<br />

der Förderbanken oder privater Investoren gestellt werden.<br />

� Der Fonds und nicht das begünstigte Unternehmen ist Endbegünstigter, d.h.<br />

die EFRE-Mittel können sofort nach Einzahlungen von Mitteln in den Fonds<br />

und in voller Höhe in der Ausgabenerklärung gegenüber der EU-Kommission<br />

deklariert werden und unterliegen keiner automatischen De-commitment (N+2)<br />

Regelung.<br />

� Auch die Dokumentations- und Berichtspflichten sind in der Regel auf die Ebene<br />

des Fonds begrenzt. Einzelne Verwendungsnachweise in Form von Belegen<br />

und Quittungen der Unternehmen sind nicht erforderlich.<br />

� Die in den Fonds eingezahlten, aber noch nicht investierten EFRE-Mittel können<br />

gewinnbringend zwischenangelegt werden.<br />

� Anstatt der üblichen Förderausschüsse ist explizit ein unabhängiges, professionelles<br />

und gewinnorientiertes Fondsmanagement vorgesehen.<br />

(Ausführliche Informationen zu den rechtlichen Aspekten der innovativen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

finden sie im Beitrag von Schwab/Gröss).<br />

69 Siehe VO (EG) 1083/2006, Artikel 44 und 78 sowie VO (EG) 1828/2006, Artikel 43-46.


120 Thomas Hüttich<br />

3. Der KMU-Fonds Berlin<br />

3.1. Ausgangslage<br />

Die regionale <strong>Entwicklung</strong> Berlins ist noch immer von dem seit der Wiedervereinigung<br />

einsetzenden tiefgreifenden Strukturwandel mit einem einhergehenden Abbau<br />

der industriellen Beschäftigung geprägt. Die Wirtschaftsstruktur ist vergleichsweise<br />

kleinteilig mit einem hohen Anteil des Dienstleistungssektors. Mehr als 80 % aller<br />

Berliner Betriebe sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten. Die<br />

Zukunftschancen liegen vor allem in einer überdurchschnittlichen Gründungsdynamik<br />

70 und der ausgeprägten Forschungs- und Wissenschaftslandschaft.<br />

Zentraler Ansatzpunkt der Berliner Politik für die Stärkung der regionalen Wirtschaft<br />

und die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Investitionstätigkeit der Unternehmen. 1994 wurde dazu aus der ehemaligen<br />

Wohnungsbau-Kreditanstalt die Investitionsbank Berlin (IBB) gegründet, die als<br />

zentrale Förderbank des Landes mit monetären Instrumenten die Wirtschaftsförderung<br />

unterstützt. Im Fokus steht die <strong>Finanzierung</strong> innovativer kleiner und mittlerer<br />

Unternehmen sowie Gründungen und Ansiedlungen.<br />

2004 stellte sich das Land zum Ziel, die regionale Wirtschaft gezielter mit mehr<br />

darlehens- und beteiligungsbasierten Instrumenten sowie schwerpunktmäßig in den<br />

sogenannten technologieorientierten Berliner Kompetenzfeldern 71 zu fördern. Entsprechend<br />

kam es auch bei der IBB zu einer strategischen Neuausrichtung. Im gleichen<br />

Jahr vereinbarten IBB und Land die Auflegung des KMU-Fonds Berlin, den<br />

ersten EFRE-finanzierten Darlehensfonds in Deutschland. Vorausgegangen waren<br />

Gespräche und Verhandlungen mit der EU-Kommission, welche sich über mehr als<br />

ein Jahr hinzogen. Das Fondskapital betrug zunächst 32 Mio. EUR, davon 19 Mio.<br />

EUR aus dem Operationellen Programmen des EFRE 2000-2006 für Berlin 72 und<br />

13 Mio. EUR aus Mitteln der IBB. In der Förderperiode 2007-2013 stehen jeweils<br />

rund 50 Mio. EUR EFRE- und IBB-Mittel zur Verfügung. Daneben wurden mit dem<br />

VC-Fonds Technologie, VC-Fonds Kreativwirtschaft und Berlin Kapital auch drei<br />

EFRE-finanzierte Beteiligungsfonds eingerichtet.<br />

70<br />

Mit 14,1 % lag 2008 die Selbstständigenquote in Berlin deutlich über dem Bundesdurchschnitt von<br />

11,1 %.<br />

71<br />

Zu den Kompetenzfeldern Berlins gehören die IuK/Medien und Kreativwirtschaft, Biotechnologie,<br />

Medizintechnik, Verkehr und Mobilität, Optik sowie Energietechnik.<br />

72<br />

Bis 2006 gab es in Berlin sowohl Ziel-1 als auch Ziel-2 Fördergebiete mit entsprechend unterschiedlich<br />

hohen EFRE-Förderhöchstsätzen (75 % und 50 % respektive).


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 121<br />

Übergeordnetes Ziel des KMU-Fonds ist die Erleichterung des Zugangs zu <strong>Finanzierung</strong><br />

als Ausgleich größenbedingter Nachteile, geringer Besicherungsmöglichkeiten<br />

und niedriger Eigenkapitalausstattung von KMU und Unternehmensgründungen.<br />

Regionalpolitische Ziele sind insbesondere die<br />

� Erhöhung der Investitionstätigkeit und Hebelung von Wachstumsprozessen in<br />

den Berliner KMU,<br />

� Stärkung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Produktivität,<br />

� Steigerung und Erleichterung nachhaltiger Unternehmensgründungen,<br />

� Erschließung neuer Märkte durch Berliner KMU und damit<br />

� Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen und zusätzlichem Einkommen.<br />

Der KMU-Fonds soll die Ziele bei Einhaltung der Wettbewerbsneutralität durch den<br />

Ausbau der Kooperation mit ansässigen Geschäftsbanken, die Abdeckung von<br />

Marktlücken und Weiterleitung der Refinanzierungsvorteile an die Unternehmen<br />

gewährleisten. Im Fokus der Aktivitäten steht eine konsequente Ausrichtung auf die<br />

Bedürfnisse vor allem kleiner Unternehmen mit geringem <strong>Finanzierung</strong>sbedarf<br />

durch eine unbürokratische Vergabe von Mikrokrediten.<br />

3.2. Fondskonstruktion<br />

Der KMU-Fonds wurde als gesonderter <strong>Finanzierung</strong>sblock 73 innerhalb der IBB errichtet,<br />

was eine klare Unterscheidung zwischen den neu in den Fonds investierten<br />

Mitteln (einschließlich des Beitrags des EFRE-Strukturfonds) und den ursprünglich<br />

bei der IBB verfügbaren Mitteln zulässt. Grundlagen sind die zwischen dem Land<br />

Berlin und der IBB abgeschlossenen Durchführungsvereinbarungen. Die bei Beteiligungsfonds<br />

bevorzugte Variante einer eigenständigen rechtlichen Einheit mit externem<br />

Fondsmanagement ist aufgrund einer für die Vergabe von Darlehen benötigten<br />

Banklizenz keine Alternative.<br />

Das Land Berlin stellt der IBB zur finanziellen Ausstattung des KMU-Fonds die<br />

EFRE-Mittel als bedingt rückzahlbare Zuwendung zur Verfügung. Die nationale Kofinanzierung<br />

der EFRE-Mittel wird durch die IBB bedarfsgerecht über den Kapitalmarkt<br />

refinanziert. Volumen und Laufzeit entsprechen den jeweiligen Kreditauszahlungen<br />

an die Kreditnehmer. Die Anlage der zwischenzeitlich nicht für das Darlehensgeschäft<br />

des KMU-Fonds benötigten EFRE-Mittel erfolgt zu aktuellen Marktsätzen<br />

durch die IBB. Zusätzliche private Investoren auf Fondsebene sind mangels<br />

Interesse nicht vorgesehen, allerdings finanziert der Fonds auf Einzelprojektebene,<br />

mit Ausnahme der Mikrokredite, in der Regel gemeinsam mit einer Geschäftsbank.<br />

73 Gemäß Verordnung (EG) 1828/2006, Art. 43.


122 Thomas Hüttich<br />

Abbildung 1: Konstrukt KMU-Fonds 74<br />

Die Geschäfte und die Finanzplanung des KMU-Fonds werden von einem unabhängigen<br />

Fondsmanagement wahrgenommen, das professionell und gewinnorientiert<br />

handelt und einzelne <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen nur nach bankwirtschaftlichen<br />

Kriterien fällt. Um den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (Ma-<br />

Risk) 75 sowie den geltenden internen Regelungen der IBB zur Risikostrategie zu<br />

entsprechen, wird der IBB, vertreten durch den Vorstand, ein Vetorecht zu den Kreditanträgen<br />

eingeräumt, soweit sich die Beurteilung auf Bonität und Wirtschaftlich-<br />

74 Elbe, Sebastan und Florian Langguth (2010): Alternative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente - Konzeptionelle<br />

Ansätze und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementation. Endbericht.<br />

75 Rundschreiben 18/2005 der BaFin vom 20.12. 2005.


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 123<br />

keit beschränkt. Weder die IBB aus geschäftspolitischen, noch das Land Berlin aus<br />

wirtschaftspolitischen Gründen dürfen auf eine positive Kreditentscheidung des<br />

Fondsmanagements hinwirken. Das Fondsmanagement des KMU-Fonds ist eine<br />

selbständige organisatorische Einheit innerhalb der IBB und stützt sich entsprechend<br />

den Erfordernissen auf Dienstleistungen diverser Abteilungen der IBB. 76<br />

Der Fonds wird jährlich zwischen dem Land Berlin und der IBB durch eine Gegenüberstellung<br />

aller Kosten und Erträge abgerechnet. Erträge oder Verluste werden<br />

entsprechend der Mittelherkunft zwischen IBB und EFRE (Land Berlin) aufgeteilt.<br />

Erträge des EFRE-Anteils verbleiben dauerhaft im Fonds. Um einen nachhaltigen,<br />

revolvierenden Einsatz zu gewährleisten, müssen die Darlehens- und Zwischenanlagezinsen<br />

die Verwaltungs-, Refinanzierungs- und Risikokosten des Fonds decken.<br />

Da dies aufgrund der hohen Stückkosten bei Mikrokrediten in der Regel nicht realisiert<br />

werden kann, ist ein ausgewogenes Kreditportfolio mit teilweise auch höhervolumigen<br />

Investitionen erforderlich.<br />

Die Vertragslaufzeit des Fonds ist zunächst bis 2025 festgeschrieben, jedoch müssen<br />

die eingezahlten Mittel vor Abschluss des jeweiligen operationellen Programms<br />

77 mindestens einmal investiert worden sein, andernfalls sind die EFRE-<br />

Mittel an die EU-Kommission zurückzuzahlen. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit<br />

oder Auflösung des Fonds ist die IBB verpflichtet sicherzustellen, dass die verbleibenden<br />

Rückflüsse und Erträge aus den Strukturfondsbeiträgen für vergleichbare<br />

Förderzwecke im gleichen Zielgebiet zugunsten von KMU wiederverwendet werden.<br />

Im Rahmen der EFRE-Berichterstattung werden einmal jährlich ein Sachbericht sowie<br />

materielle und finanzielle Indikatoren an die Verwaltungsbehörde des Landes<br />

übermittelt. Die Datenerhebung und Dokumentation erfolgt auf der Ebene des<br />

Fonds, der auch Endbegünstigter der Förderung ist. Anders als bei EFRE-<br />

Zuschussprogrammen werden von den Unternehmen keine Ausgabenbelege in<br />

Form von Eingangsrechnungen und Quittungen verlangt. Der KMU-Fonds vergibt<br />

die Darlehen an die Unternehmen für die <strong>Entwicklung</strong> oder den Ausbau ihrer allgemeinen<br />

Wirtschaftstätigkeit. Verlangt werden nur eine kurze Durchführungsbestätigung<br />

nach Vorhabensende sowie die Einräumung eines allgemeinen Prüfrechts bei<br />

begründeten Ausnahmefällen.<br />

76<br />

z. B. bei Kundenberatung, Bonitätsanalyse, Rating, Treasury, Controlling, EDV, Öffentlichkeitsarbeit<br />

etc.<br />

77<br />

31.12.2015 für die Förderperiode 2007-2013.


124 Thomas Hüttich<br />

3.3. <strong>Finanzierung</strong>sangebote<br />

Der KMU-Fonds investiert in die Gründung, Frühphase und Erweiterung von kleinen<br />

und mittleren Unternehmen durch:<br />

� Mikrokredite bis zu 25.000 EUR ohne Beteiligung einer Geschäftsbank im vereinfachten<br />

Verfahren,<br />

� Gründungs- und Wachstumsdarlehen bis zu 250.000 EUR vorrangig gemeinsam<br />

mit einer Geschäftsbank oder einem sonstigen privaten Kofinanzierer und<br />

� Wachstumsdarlehen bis zu 10 Mio. EUR gemeinsam mit einer Geschäftsbank<br />

oder einem sonstigen privaten Kofinanzierer.<br />

Antragsberechtigt sind Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, Freiberufler sowie<br />

natürliche Personen während der Existenzgründungsphase, mit Sitz oder Betriebsstätte<br />

in Berlin. Das zu finanzierende Vorhaben muss in Berlin durchgeführt<br />

werden. Der KMU-Fonds vergibt Darlehen an Unternehmen für die <strong>Entwicklung</strong><br />

oder den Ausbau ihrer allgemeinen Wirtschaftstätigkeit. Das Darlehen kann insbesondere<br />

für folgende Maßnahmen verwendet werden:<br />

� Mitfinanzierung von Investitionen des Anlagevermögens (die einer langfristigen<br />

Mittelbereitstellung bedürfen, im Rahmen von Betriebsübernahmen, Neuansiedlungen,<br />

Erweiterungen, Rationalisierungsmaßnahmen und Reinvestitionen)<br />

und im Zusammenhang mit dieser Investition stehenden Betriebsmitteln,<br />

� Auftragsvorfinanzierung, Produktentwicklung und -einführung zur Erweiterung<br />

des Unternehmens,<br />

� Gründungsfinanzierungen bis 250.000 EUR (bis 3 Jahre nach Markteintritt),<br />

� Mikrofinanzierungen bis zu 25.000 EUR.<br />

Voraussetzung für die Gewährung von Darlehen ist ein tragfähiges Unternehmenskonzept,<br />

dessen Durchführung eine nachhaltige Festigung oder Verbesserung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sowie die planmäßige Verzinsung und<br />

Tilgung der gewährten Mittel erwarten lässt. Wesentliches Kriterium für die Darlehensvergabe<br />

ist weiterhin die Gewährleistung von ausreichendem betriebswirtschaftlichen<br />

Know-how. Dieses kann auch durch externes Coaching sichergestellt<br />

werden. Für Darlehen ab 25.000 EUR ist zusätzlich ein Besicherungsvorschlag erforderlich.<br />

Grundsätzlich ausgeschlossen sind die Umschuldung bzw. Nachfinanzierung<br />

bereits begonnener und abgeschlossener Investitionsvorhaben sowie Sanierungsfinanzierungen.<br />

Der KMU-Fonds soll in erster Linie die <strong>Finanzierung</strong>sbereitschaft der Hausbanken<br />

erhöhen und dabei mögliche Wettbewerbsverzerrungen am Kreditmarkt vermeiden.<br />

Deshalb sind vorrangig <strong>Finanzierung</strong>en mit Hausbankenbeteiligungen vorgesehen.<br />

Dabei profitiert der Fonds von der Vielzahl der Filialen der Geschäftsbanken für den<br />

Vertrieb, den Größenvorteilen bei den Kosten und die Kundennähe durch das Füh-


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 125<br />

ren von Geschäftskonten. Bei gemeinsamen <strong>Finanzierung</strong>en erfolgt die Antragstellung<br />

und Darlehensvergabe direkt über die Hausbank.<br />

Für höhervolumige Darlehen von bestehenden Unternehmen wird das sogenannte<br />

Konsortialverfahren angewandt. Hierbei teilen sich der KMU-Fonds und die Hausbank<br />

die Refinanzierung und das Risiko der Darlehen. Letztere muss mindestens<br />

50 % der <strong>Finanzierung</strong> stellen. Die Darlehen mit bis zu zehnjähriger Laufzeit werden<br />

grundsätzlich zu den Konditionen der Hausbank vergeben, die Geschäftsbeziehung<br />

zwischen den <strong>Finanzierung</strong>spartnern regelt ein Rahmenvertrag.<br />

Existenzgründer und junge Unternehmen bis zu drei Jahren und einem <strong>Finanzierung</strong>sbedarf<br />

bis 100.000 EUR werden im sogenannten Hausbanken- oder<br />

Durchleitungsverfahren bedient. Unter dem Vertriebsnamen "Berlin Start" refinanziert<br />

der KMU-Fonds 100 % der an die Hausbank durchgeleiteten Darlehen, zusätzlich<br />

wird im Rahmen eines integrierten Antragsverfahrens eine bis zu 80-prozentige<br />

Bürgschaft der BBB Bürgschaftsbank zu Berlin-Brandenburg einbezogen. Die Zinsen<br />

und Laufzeiten werden vom Fondsmanagement vorgegeben und orientieren<br />

sich am StartGeld der KfW.<br />

Erst bei nachgewiesenem Marktversagen können Darlehen auch direkt bei der IBB<br />

beantragt und durch diese ausgezahlt werden. Dies trifft in der Regel auf die Mikrokredite<br />

für Existenzgründungen und bestehende Unternehmen bis 25.000 EUR zu.<br />

Hier verzichtet der KMU-Fonds auch auf die Stellung von Sicherheiten. Darüber<br />

hinaus sind Direktfinanzierungen bis 250.000 EUR möglich, wenn das Fondsmanagement<br />

von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Geschäftsidee überzeugt ist und<br />

eine Hausbankfinanzierung abgelehnt wurde.<br />

Nach den ersten Erfahrungen mit dem <strong>Finanzierung</strong>sinstrument wurde schnell deutlich,<br />

dass für Unternehmensgründer und kleine Unternehmen in der Wachstumsphase<br />

aufgrund kurzer Vorbereitungszeiten schnelle <strong>Finanzierung</strong>sentscheidungen<br />

enorm wichtig sind. Demgegenüber wurde der Antragstellungsprozess bei<br />

geringen Summen als äußerst aufwändig und schwierig wahrgenommen. Als Pilotprojekt<br />

ermöglicht der KMU-Fonds deshalb seit Oktober 2007 einen unbürokratischen<br />

und schnellen Zugang zu Mikrokrediten. Darlehen zunächst bis zu 10.000<br />

EUR, seit Ende 2009 auch bis 25.000 EUR, werden in einem vereinfachten Antragstellungs-<br />

und verschlankten Kreditentscheidungsverfahren vergeben 78 .<br />

Auf eine obligatorische Erstellung eines umfassenden Businessplans sowie eine<br />

zweijährige Liquiditätsplanung und Rentabilitätsvorschau wird verzichtet. Im Rahmen<br />

eines standardisierten Antragsverfahrens werden vorstrukturierte Fragen über<br />

Produkt und Markt sowie Unternehmerpersönlichkeit und Qualifikation abgefragt.<br />

Neben einem von der IBB entwickelten Quick-Check-Tool für eine standardisierte<br />

78 Auch die Zinsen der Mikrokredite orientieren sich an der KfW. Die Laufzeiten sind i.d.R. auf sechs<br />

Jahre (inkl. ein halbes Jahr tilgungsfrei) begrenzt.


126 Thomas Hüttich<br />

Kreditentscheidung wird dem persönlichen Gespräch mit dem Kunden eine besondere<br />

Bedeutung beigemessen. Zusätzlich zur fachlichen Kompetenz sollen hier persönliche<br />

Fähigkeiten, die einen Unternehmertyp ausmachen, und eine sorgfältige<br />

Vorbereitung auf die Gründung nachgewiesen werden. Eine intensive Vorbereitung<br />

auf eine Gründung, z. B. durch Teilnahme am Businessplan Wettbewerb oder Inanspruchnahme<br />

von Coachingangeboten der Berliner Gründungsberatungsinstitutionen<br />

fließt positiv in die Kreditentscheidung ein. Alle <strong>Finanzierung</strong>en sind so<br />

bepreist, dass sie beihilfefrei 79 oder im Rahmen der De-Minimis-Verordnung 80 vergeben<br />

werden.<br />

3.4. Ergebnisse<br />

Der KMU-Fonds hatte in den ersten Jahren durchaus mit Anlaufschwierigkeiten zu<br />

kämpfen. Bei der Errichtung des Fonds 2005 waren mangels bestehender Modelle<br />

viele Detailfragen zur EFRE-Förderfähigkeit sowie zur Tiefe der Berichts- und Verwendungsnachweispflichten<br />

noch ungeklärt. Der Vertrauensaufbau bei Kunden und<br />

Partnerbanken war vor dem Hintergrund bestehender Vorbehalte und Skepsis gegenüber<br />

den als bürokratisch gewerteten EFRE-Auflagen sehr zeitintensiv. Als problematisch<br />

hatte sich insbesondere die geringe Flexibilität bei der Anpassung der<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente an die Dynamik der sich ändernden Markt- und Nachfragesituation<br />

erwiesen. Selbst für geringfügige Änderungen wie die Öffnung für Freiberufler<br />

oder Auftragsvorfinanzierungen waren langwierige Verhandlungen mit der<br />

EU-Kommission nötig. Das geplante Volumen konnte in der alten Förderperiode bis<br />

2006 vor allem auch deshalb nicht erreicht werden, weil für die Partnerbanken aufgrund<br />

einer geänderten Geschäftspolitik die Konsortialfinanzierungen nur noch im<br />

höhervolumigen Bereich außerhalb der KMU-<strong>Finanzierung</strong>en interessant wurden.<br />

Richtig Fahrt aufgenommen hat der Vertrieb des KMU-Fonds erst mit der Einführung<br />

des vereinfachten Verfahrens für Mikrokredite Ende 2007 sowie der Genehmigung<br />

zur Anwendung des Durchleitungsverfahrens im Rahmen von Berlin Start in<br />

2008.<br />

79 Eine Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes durch öffentliche Förderung kann ausgeschlossen<br />

werden bei a) einem „Private Investor Test“ (gleiche Konditionen wie eine private Ko-<br />

<strong>Finanzierung</strong> zu gleichen Bedingungen, z.B. bei Konsortialdarlehen), b) einem Zinssatz unter dem<br />

EU-Referenzzinssatz oder c) einem geringfähigen Subventionswert unter 200 TEUR innerhalb<br />

von drei Jahren (De-Minimis Verordnung).<br />

80 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006.


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 127<br />

Werden die zwischen dem Land und der IBB vereinbarten Zielindikatoren 81 als<br />

Grundlage für eine Zwischenbilanz genommen, so ist der KMU-Fonds mittlerweile<br />

als voller Erfolg zu bewerten. Wichtigsten Anteil daran haben zweifelsohne die Mikrokredite.<br />

Damit liefert der KMU-Fonds einen wichtigen Beitrag zu Abdeckung eines<br />

bestehenden Marktversagens. Die wachsende Anzahl von Gründungsfinanzierungen<br />

aus den Segmenten Mikrokredit und Berlin Start in den letzten drei Jahren<br />

trotz drohender Kreditklemme zeigt darüber hinaus, dass der KMU-Fonds eine<br />

wichtige Funktion in der gerade überstandenen Finanz- und Wirtschaftskrise eingenommen<br />

hatte.<br />

Insgesamt wurden seit Errichtung des Fonds in 2005 1.040 Darlehen in Höhe von<br />

33,4 Mio. EUR bewilligt (Stand per 30.11.2010). Den höchsten Anteil an der Anzahl<br />

der Fälle haben die Mikrokredite, den höchsten Anteil am Volumen die im Hausbankenverfahren<br />

vergebenen Berlin Start Darlehen (siehe Abb. 1 und 2). Rund zwei<br />

Drittel der Bewilligungen sind Gründungsfinanzierungen 82 . Das durch die Bewilligungen<br />

zusätzlich induzierte private Investitionsvolumen betrug 37,4 Mio. EUR. Den<br />

größten Anteil daran tragen die Konsortialfinanzierungen. Nicht berücksichtigt sind<br />

dabei die Risikoübernahmen der Hausbanken und der Bürgschaftsbank im Rahmen<br />

von Berlin Start.<br />

Abbildung 2: <strong>Entwicklung</strong> Bewilligungsvolumen in Mio. EUR<br />

81 Anzahl geförderter Unternehmen, bewilligtes Volumen und induziertes Gesamtinvestitionsvolumen,<br />

Anzahl geschaffener und gesicherter Arbeitsplätze nach Männern und Frauen.<br />

82 Als Gründungen gelten auch Unternehmen bis zu drei Jahre nach Gründungsdatum.


128 Thomas Hüttich<br />

Abbildung 3: <strong>Entwicklung</strong> Bewilligungszahlen kumuliert<br />

Insgesamt wurden 3.055 Anträge auf <strong>Finanzierung</strong>en aus dem KMU-Fonds gestellt.<br />

Die hohe Diskrepanz zwischen Anträgen und Bewilligungen ist fast ausschließlich<br />

auf die Mikrokredite zurückzuführen. Hier gibt es eine zunehmende Anzahl von Antragstellern,<br />

bei denen die unternehmerische Qualität mangelhaft ist (Gründungen<br />

aus "Not"). Die häufigsten Gründe für eine Ablehnung waren negative Schufa-<br />

Einträge, eine unzureichende wirtschaftliche Tragfähigkeit oder Vorbereitung des<br />

Vorhabens und/oder mangelnde Kapitaldienstfähigkeit sowie fehlende formale Voraussetzungen.<br />

Durch die <strong>Finanzierung</strong>en aus dem KMU-Fonds konnten insgesamt 1.210 Arbeitsplätze<br />

neu geschaffen und 1.316 Arbeitsplätze gesichert werden. Der Anteil der<br />

Frauenarbeitsplätze daran betrug 50 % und 39 % respektive. Am höchsten ist der<br />

Anteil der Frauen mit 63 % bei den finanzierten Existenzgründungen.<br />

Bei der Branchenverteilung ergibt sich ein differenziertes Bild. Während die<br />

Wachstumsfinanzierungen mehrheitlich in das verarbeitende Gewerbe flossen, sind<br />

bei den Gründungs- und Mikrofinanzierungen der Dienstleistungssektor und die<br />

Kreativwirtschaft am stärksten vertreten. Die Verteilung der Kreditbewilligungen<br />

nach Branchen zeigt auch, dass es bei der Mikrofinanzierung schon lange nicht<br />

mehr alleine um Existenzgründer aus der Arbeitslosigkeit und benachteiligte Zielgruppen<br />

geht. Immer mehr Menschen wechseln immer häufiger zwischen abhängiger<br />

und selbständiger Beschäftigung, vor allem im boomenden Kreativsektor der<br />

Stadt, mit positiven Standorteffekten für Berlin.


EFRE-finanzierte KMU-Darlehen 129<br />

Die Wirtschaftlichkeit des Fonds konnte bisher trotz der defizitären Mikrokredite aufgrund<br />

eines gemischten Portfolios und der entsprechenden Bepreisung der antizipierten<br />

Ausfallwahrscheinlichkeiten sichergestellt werden. In Zukunft steht das<br />

Fondsmanagement aber wegen des gesunkenen Zinsniveaus bei der Zwischenanlage<br />

und dem steigenden Anteil der Mikrokredite bei gleichzeitig sinkendem Interesse<br />

der Banken an höhervolumigen Konsortialfinanzierungen vor größeren Herausforderungen.<br />

4. Fazit und Ausblick<br />

Es besteht mittlerweile ein breiter Konsens, dass die öffentliche Förderung des Privatsektors,<br />

insbesondere der KMU-<strong>Entwicklung</strong>, größtenteils mittels revolvierender<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente wie Darlehen, Beteiligungen und Bürgschaften erfolgen<br />

sollte. Instrumente wie der KMU-Fonds in Berlin sind effizient und schonen die öffentlichen<br />

Haushalte, minimieren mögliche Wettbewerbsverzerrungen oder Mitnahmeeffekte<br />

und sind aufgrund der Hebelwirkung für zusätzliches privates Kapital<br />

auch nach Ende der Förderung besonders nachhaltig. Insbesondere in Krisenzeiten<br />

leisten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung von Kapital<br />

für neue Investitionen.<br />

Die Öffnung der Strukturfonds für innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente hat in vielen<br />

Regionen Europas den Wandel von der zuschussbasierten zur revolvierenden Förderung<br />

beschleunigt. In Berlin haben sich neben dem KMU-Fonds insbesondere die<br />

EFRE-finanzierten VC-Fonds für technologieorientierte Unternehmen bewährt. Aktuell<br />

bestehen Planungen zwischen dem Land Berlin und der Investitionsbank Berlin,<br />

auch einen Mezzanine-Fonds und einen Bürgschaftsfonds mit EFRE-<br />

Kofinanzierung zu errichten.<br />

Die Erfahrungen haben aber auch gezeigt, dass Nachhaltigkeit, Effizienz und Effektivität<br />

der Fonds sowie ein stärkeres Engagement der Privatwirtschaft und Finanzinstitute<br />

von drei wesentlichen Einflussfaktoren abhängig sind:<br />

1. Flexibilität: Kapitalmarktprodukte reagieren äußerst sensibel auf Änderungen<br />

am Markt und Konjunkturzyklen. Schnelle, bedarfsgerechte Anpassungen der<br />

Einsatzmöglichkeiten der Instrumente und Ressourcentransfers zwischen den<br />

diversen <strong>Finanzierung</strong>sformen müssen möglich sein. Darüber hinaus ist auch<br />

ein zielgebietsübergreifender Einsatz der Fonds – insbesondere der Rückflüsse<br />

bei Änderungen der Zielgebiete während der Fondslaufzeit – wünschenswert.<br />

2. Schlanke Verfahren: Die künftigen Strukturfonds-Verordnungen sollten bezüglich<br />

der Interventionsformen und möglicher Anwendungsbereiche von Finanzinstrumenten<br />

keine Restriktionen und einfachere, klarere Regelungen enthal-


130 Thomas Hüttich<br />

ten. Insbesondere die Förderbestimmungen, Finanzkontrollvorschriften und<br />

Prüfpflichten für Finanzinstrumente können noch vereinfacht werden.<br />

3. Verlässlichkeit: Voraussetzung für eine fehlerfreie Anwendung von Finanzinstrumenten<br />

und die Einwerbung zusätzlicher privater Mittel ist, größere<br />

Rechtssicherheit über die gesamte Förderperiode zu erhalten (keine rückwirkende<br />

Änderung der Bestimmungen), sowie auftretende Fragen schnell und<br />

partnerschaftlich zu klären.<br />

Kontakt:<br />

Thomas Hüttich<br />

Stab Produktstrategie und -entwicklung<br />

Investitionsbank Berlin<br />

Bundesallee 210<br />

10719 Berlin<br />

www.ibb.de


Regionale Seed Fonds – Das Beispiel NRW.Bank.Seed<br />

Fonds<br />

von Florian Langguth<br />

1. Unternehmensgründungen und Regionalentwicklung<br />

Die Zahl von Unternehmensgründungen wird als Maß für Innovationstätigkeit und<br />

Wettbewerbsfähigkeit von Regionen angesehen. Durch die Gründung und das<br />

Wachstum schaffen sie Arbeitsplätze in der Region, tragen zum Wissenstransfer bei<br />

und fördern durch die Erneuerung des Unternehmensbestandes den Strukturwandel<br />

der Region. Erfolgreiche Unternehmensgründungen haben eine Vorreiter- und Vorbildfunktion<br />

und führen zu Nachahmern. Dadurch werden regionale, sich selbst verstärkende<br />

Spezialisierungs- und Wachstumsprozesse in Gang gebracht, die zur<br />

(wirtschaftlichen) <strong>Entwicklung</strong> der Region beitragen. 83<br />

Damit diese Effekte entstehen können, müssen Regionen über ein entsprechendes<br />

„Gründungsklima“ verfügen. Dazu gehört auch und vor allem eine hinreichende<br />

Verfügbarkeit von Kapital zur Gründungsfinanzierung. Ist dieses nicht vorhanden,<br />

besteht die Gefahr, dass das Gründungs- und somit das Innovationspotenzial einer<br />

Region nicht genügend ausgenutzt werden kann.<br />

2. Gründungsfinanzierung<br />

In Anlehnung an den (idealtypischen) Lebenszyklus eines Unternehmens kann hinsichtlich<br />

des <strong>Finanzierung</strong>sanlasses zwischen der Gründungs-, der Wachstums-,<br />

der Konsolidierungs- und der Sanierungsfinanzierung unterschieden werden. Die<br />

Gründungsfinanzierung umfasst (Vor-)Gründungsaufwendungen sowie Frühentwicklungsaufwendungen.<br />

84 Diese auch als Seed- und Start-up- bezeichneten Phasen<br />

sind dadurch gekennzeichnet, dass zunächst nur eine Idee über ein neues Produkt<br />

oder ein neues Verfahren existiert, welche weiter konkretisiert und entwickelt<br />

werden muss. Die <strong>Finanzierung</strong> wird vor allem für Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>saktivitäten<br />

(FuE), die <strong>Entwicklung</strong> eines Prototyps oder eines Unternehmenskonzeptes<br />

und die daran anschließende kommerzielle Umsetzung und den Aufbau der<br />

Infrastruktur benötigt.<br />

83 Vgl. u.a. Bathelt/Glückler (2003): Wirtschaftsgeographie. 2. korrigierte Auflage. UTB, Stuttgart. S.<br />

205f oder Pfeffer, Michael (2006): Existenzgründungen als Erfolgsfaktor zur Regionalentwicklung.<br />

Das A-B-C der Regionalentwicklung durch Existenzgründung. Tectum Verlag, Marburg. S. 15.<br />

84 Vgl. Nathusius, Klaus (2001): Grundlagen der Gründungsfinanzierung. Wiesbaden. S. 2ff.


132 Florian Langguth<br />

Abbildung 1: <strong>Finanzierung</strong>sphasen 85<br />

<strong>Finanzierung</strong>sphasen<br />

Unternehmensphasen<br />

+<br />

Seed-<br />

Phase<br />

Grundlagenentwicklung<br />

(Produkt, Verfahren)<br />

Frühphase<br />

Risiko<br />

Start-up<br />

Phase<br />

Unternehmensgründung,<br />

Produktionsreife<br />

- Gewinn/Verlust<br />

Wachstums- u.<br />

Expansionsphase<br />

erste<br />

Phase<br />

Produktionsaufnahme,<br />

Markteinführung<br />

zweite<br />

Phase<br />

Marktdurchdringung,<br />

Vertriebsausweitung<br />

Konsolidierungs- oder<br />

Restrukturierungsmaßnahmen,<br />

Zwischenfinanzierung,<br />

Börsengang<br />

Reifephase<br />

Buy-Out<br />

<strong>Finanzierung</strong>smöglichkeiten<br />

Nur wenige Gründer verfügen über ausreichend Kapital, um ihre Ideen marktreif zu<br />

entwickeln. Dies trifft vor allem auf technologie-orientierte Gründungen zu, da die<br />

notwendigen <strong>Entwicklung</strong>skosten sehr hoch sind. Aus diesem Grund muss ein<br />

Großteil deshalb auf eine Außenfinanzierung zurückgreifen. Hierzu stehen grundsätzlich<br />

folgende <strong>Finanzierung</strong>sformen zur Verfügung: die <strong>Finanzierung</strong> durch fremdes<br />

Eigenkapital (Beteiligungskapital) oder durch Fremdkapital (Kreditfinanzierung).<br />

Dazwischen gibt es weitere Mischformen, die Eigenschaften beider Formen aufweisen<br />

(Mezzanine-<strong>Finanzierung</strong>en).<br />

Die <strong>Finanzierung</strong>sformen unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener Kriterien,<br />

die in der folgenden Übersicht zusammengestellt sind.<br />

85 Zemke, Ingo (1995): Die Unternehmensverfassung von Beteiligungsgesellschaften - Analyse des<br />

institutionellen Designs deutscher Venture-Capital-Gesellschaften. Deutscher Universitäts-Verlag,<br />

Wiesbaden. S. 29.<br />

Management-Buy-Outs,<br />

Management-Buy-Ins


Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 133<br />

Tabelle 1: Kriterien der Kapitalformen 86<br />

Kriterium Eigenkapital Fremdkapital Mezzanine-Kapital<br />

Rechtstellung (Haftung)<br />

(Mit-)Eigentümer<br />

Haftung zumindest in<br />

Höhe der Einlage<br />

Vergütung Erfolgsabhängig<br />

Beteiligung an Gewinn<br />

und Verlust<br />

Vermögensanspruch<br />

(Rückzahlungsverpflichtung)<br />

Einfluss auf das Unternehmen<br />

Residualanspruch<br />

(Rückzahlungsverpflichtung<br />

besteht<br />

nicht)<br />

Kontroll- und Stimmrechte<br />

Gläubiger<br />

keine Haftung<br />

Erfolgsunabhängig<br />

Zinsanspruch<br />

Nominalanspruch<br />

(Rückzahlungsverpflichtung<br />

besteht)<br />

Keine Kontroll- und<br />

Stimmrechte<br />

Unterschiedlich<br />

Haftung je nach<br />

Vertragsgestaltung<br />

möglich<br />

Je nach Vertragsgestaltung<br />

Zinsanspruch<br />

Beteiligung am Gewinn<br />

und Verlust<br />

Je nach Vertragsgestaltung<br />

Kontroll- und Stimmrechte<br />

möglich<br />

Verfügbarkeit der finanziellen<br />

Mittel<br />

Unbefristet i.d.R. befristet i.d.R. langfristig<br />

Rangstellung im In- Nachrangig<br />

Vorrangig Nachrangig nach<br />

solvenzfall<br />

(Haftungskapital)<br />

Fremdkapital<br />

Besicherung Keine (vorrangige) Kreditsi- Keine oder Rancherheitengrücktritt<br />

Die Kriterien zeigen, dass mit den verschiedenen Kapitalformen gewisse Anforderungen<br />

an den oder die Kapitalnehmer gestellt werden. Technologie-orientierte<br />

Gründungen können den mit der Vergabe von Fremdkapital verbundenen Ansprüchen<br />

in den seltensten Fällen gerecht werden. Die Gründer verfügen in der Regel<br />

nicht über genügend Sicherheiten, um einen entsprechenden Kredit ausreichend zu<br />

besichern. Hinzu kommt, dass aufgrund der noch fehlenden Marktreife der Produkte<br />

oder Verfahren erste Umsätze noch in weiter Ferne sind. Weder eine Zahlung der<br />

Zinsen noch die Tilgung des Kredites ist in den ersten Jahren möglich. Ein weiteres<br />

und gewichtiges Problem stellen zudem die hohen Risiken dar, die mit technologieorientierten<br />

Unternehmensgründungen in der Seed-Phase verbunden sind. Im Gegensatz<br />

zu "normalen Existenzgründungen" gilt es nicht nur allgemeine Gründungsoder<br />

Unternehmensrisiken zu berücksichtigen, sondern auch weitere wie z.B. das<br />

Produktentwicklungs-, das Time-to-Market-, das Fertigungs- oder das Marktakzep-<br />

86 Volkmann, Christiane K. und Kim Oliver Tokarski (2006): Entrepreneurship - Gründung und<br />

Wachstum von jungen Unternehmen. Lucius & Lucius, Stuttgart. S. 308.


134 Florian Langguth<br />

tanzrisiko. 87 Eine entsprechende Einschätzung dieser Risiken verlangt hinreichende<br />

Kompetenzen in den entsprechenden Märkten, die zwischen den Gründern und den<br />

Kredit vergebenden Instituten unterschiedlich verteilt sein können (Informationsasymmetrien).<br />

Beteiligungsfinanzierung<br />

Vor dem skizzierten Problemhintergrund kommt für viele technologie-orientierte<br />

Gründungen nur eine Beteiligungsfinanzierung in Frage. Da es sich, wie zuvor dargestellt,<br />

bei der Gründungsphase von technologie-orientierten Unternehmen um<br />

schwer einzuschätzende Vorhaben handelt, wird deshalb in diesem Segment das<br />

Beteiligungskapital auch als Risikokapital bzw. Wagniskapital bezeichnet, was sich<br />

aus dem angelsächsischen „Venture Capital“ 88 ableitet. Dem Unternehmen werden<br />

durch die Beteiligungsgesellschaft jedoch nicht nur Kapitel, sondern auch (fachliche)<br />

Kompetenzen seitens der Beteiligungsgesellschaft zur Verfügung gestellt. Aufgrund<br />

des gleichzeitigen Transfers von Kapital und Kompetenzen wird Beteiligungskapital<br />

auch als "intelligentes Kapital" bezeichnet. 89<br />

Die Beteiligung an einem Unternehmen ist geprägt von einer mal mehr, mal weniger<br />

intensiven Begleitung und Betreuung des Unternehmens durch die Beteiligungsgesellschaft.<br />

Die Begleitung und Betreuung kann für beide Seiten von Vorteil sein. Der<br />

Beteiligungsgeber kann dadurch auf die <strong>Entwicklung</strong> des Unternehmens Einfluss<br />

nehmen und wenn nötig rechtzeitig auf Fehlentwicklungen reagieren. Der Beteiligungsnehmer<br />

profitiert im Gegenzug von dem kaufmännischen und zum Teil auch<br />

fachlichen Know-how und den Kompetenzen der Beteiligungsgeber. Zudem erhält<br />

er Zugang zu weiteren wichtigen Kontakten und den Netzwerken des Kapitalgebers.<br />

Diese temporäre "Beziehung" gehört während der Beteiligungsphase angemessen<br />

austradiert, um negative Einflüsse auf die Unternehmensentwicklung abzuwenden.<br />

87 Vgl. Nathusius, Klaus (2001): Grundlagen der Gründungsfinanzierung. Wiesbaden. S. 10ff.<br />

88 Vgl. u.a. Zemke, Ingo (1995): Die Unternehmensverfassung von Beteiligungsgesellschaften -<br />

Analyse des institutionellen Designs deutscher Venture-Capital-Gesellschaften. Deutscher Universitäts-Verlag,<br />

Wiesbaden oder Schröder, Christoph (1992): Strategien und Management von<br />

Beteiligungsgesellschaften - ein Einblick in die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse<br />

von institutionellen Eigenkapitalinvestoren. Nomos-Verlagsgesellschaften, Baden-Baden.<br />

89 Vgl. u.a. Schröder, Christoph (1992): Strategien und Management von Beteiligungsgesellschaften<br />

- ein Einblick in die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse von institutionellen Eigenkapitalinvestoren.<br />

Nomos-Verlagsgesellschaften, Baden-Baden. S. 18 oder Wöhe, Günter und<br />

Ulrich Döring (2008): Einführung in die Betriebswirtschaftslehre. 23., vollständig, neu bearbeitete<br />

Auflage. Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, o.O. S. 624.


Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 135<br />

Beteiligungsgesellschaften<br />

Auf dem Markt für Beteiligungsfinanzierung gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

Anbieter. Zu nennen wären u.a. die Beteiligungsgesellschaften der Länder, allen<br />

voran die mittelständischen Beteiligungsgesellschaften, oder die der Landesförderinstitute,<br />

die Beteiligungsgesellschaften der Sparkassen mit regionalem Fokus,<br />

die Gesellschaften mittelständischer Unternehmen und von Großunternehmen oder<br />

ungebundene Beteiligungsgesellschaften in privater Trägerschaft. Sie verfolgen<br />

unterschiedlich hohe Renditeerzielungen, in einigen Fällen gepaart mit weiteren<br />

Zielen. So zielen z.B. die Beteiligungsgesellschaften der Länder auf eine Förderung<br />

der Gründungsaktivitäten, damit die zuvor skizzierten volkswirtschaftlichen Effekte<br />

eintreten, wohingegen die Gesellschaften hochtechnologie-orientierter Unternehmen<br />

ihren Markt fördern und ebenfalls den Zugang zu neuen Technologien sichern<br />

wollen. Neben diesem auch als formell bezeichneten Markt für Beteiligungskapital<br />

gibt es auch einen informellen Markt. Die Anbieter auf diesem Markt sind private<br />

Investoren, die auch als Business Angels bezeichnet werden. Diese tätigen in der<br />

Regel einzelne Investments in geringerer Größenordnung als die Beteiligungsgesellschaften<br />

(unter 250.000 Euro) und stehen den Unternehmen persönlich beratend<br />

zur Seite. 90<br />

3. Gründungsfinanzierung und räumliche Nähe<br />

Der Faktor räumliche Nähe, im vorliegenden Kontext vielmehr verstanden als qualitative<br />

Beziehung denn als Distanz, spielt im Bereich der Gründungsfinanzierung in<br />

zweierlei Weise eine zentrale Rolle:<br />

Erstens ist die räumliche Nähe bei der Anbahnung und Abwicklung von Transaktionen<br />

ein nicht zu unterschätzender Faktor sowohl für Kapitalgeber als auch Kapitalnehmer.<br />

Dies trifft für das Kredit- wie auch das Beteiligungsgeschäft in gleichem<br />

Maße zu. „Persönliche Bekanntschaften, per Erfahrung erwiesene Verlässlichkeit,<br />

der gute Ruf eines Unternehmens [oder Gründers; Anm. d. Red.], die Partizipation<br />

der Akteure am gesellschaftlichen Leben einer Gemeinde sind Vertrauen schaffende<br />

Faktoren, die auf einem Markt, auf dem Informationsasymmetrien zwischen den<br />

Marktpartnern eine beträchtliche Rolle spielen, sensible - da für opportunistische<br />

Verhalten anfällige - kommerzielle Beziehungen wesentlich erleichtern können.“ 91<br />

90 Volkmann, Christiane K. und Kim Oliver Tokarski (2006): Entrepreneurship - Gründung und<br />

Wachstum von jungen Unternehmen. Lucius & Lucius, Stuttgart. S. 321.<br />

91 Vgl. Lageman, Bernhard und Friederike Welter (2003): Ansätze der Gründungsförderung in Nordrhein-Westfalen.<br />

In: Rolf Steinberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung durch Existenzgründungen?<br />

Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der ARL, Hannover. S. 54-71. S.<br />

56.


136 Florian Langguth<br />

Hinzu kommt, die im Zusammenhang mit einer Wagniskapitalfinanzierung stehende<br />

intensive Begleitung und Betreuung des Beteiligungsunternehmens während der<br />

Beteiligungsphase durch den Kapitalgeber. Der dafür notwendige persönliche Faceto-Face-Kontakt<br />

kann auch durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nur<br />

schwerlich ersetzt werden. Dies trifft im besonderen Maße bei Business Angels zu,<br />

da diese nur bedingt dazu bereit sind, ein Engagement einzugehen, dass nur durch<br />

hohe logistische Aufwendungen zu betreuen ist. 92<br />

Zweitens bezieht sich die räumliche Nähe nicht nur auf die bilaterale Beziehung<br />

zwischen Kapitalnehmer und Kapitalgeber, sondern greift viel weiter. Für die nachhaltige<br />

<strong>Entwicklung</strong> eines Unternehmens ist nicht nur der Zugang zu Kapital von<br />

Bedeutung, sondern auch die Einbindung in das regionale Umfeld, genauer in die<br />

regionalen Netzwerke. Die Vernetzung des oder der Gründer mit anderen Unternehmen<br />

gleicher oder vor- bzw. nachgelagerter Wertschöpfungsstufen, Kunden,<br />

wichtigen Transfer- oder Unterstützungsstellen sowie, insbesondere für technologieorientierte<br />

Neugründungen, die Nähe zu Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen<br />

sind von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Unternehmensgründung und<br />

nachhaltige <strong>Entwicklung</strong> des Unternehmens. Sie ermöglichen den Zugang zu gebundenen<br />

Fachinformationen, helfen bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter<br />

oder der Initiierung von Kooperationsprozessen. 93<br />

4. Der NRW.Bank.Seed Fonds<br />

Der NRW.Bank.Seed Fonds wurde 2005 von der NRW.Bank mit den Zielen aufgelegt,<br />

das Angebot von Risikokapital in ausgewählten Regionen in Nordrhein-<br />

Westfalen zu stärken sowie privates Kapital, Know-how und Netzwerke aus den<br />

Regionen für die Gründungsfinanzierung von Unternehmen aus dem Hochtechnologiesektor<br />

zu aktivieren und einzubinden. 94<br />

Der NRW.Bank.Seed Fonds ist als Dachfonds konzipiert, der in Seed Fonds ausgewählter<br />

Regionen investiert (Fund-of-Funds Konzept). Hierzu wurden Regionen<br />

92<br />

Vgl. Lageman, Bernhard und Friederike Welter (2003): Ansätze der Gründungsförderung in Nordrhein-Westfalen.<br />

In: Rolf Steinberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung durch Existenzgründungen?<br />

Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der ARL, Hannover. S. 54-71. S.<br />

60.<br />

93<br />

Vgl. u.a. Sternberg, Rolf (2003): Das Konzept endogener Regionalentwicklung - Implikationen für<br />

Existenzgründungen und deren Förderung. In: Rolf Sternberg [Hrsg.]: Endogene Regionalentwicklung<br />

durch Existenzgründungen? Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Verlag der<br />

ARL, Hannover. S. 4-19. S. 10.<br />

94<br />

Güllmann, Peter (2007): Interview zum NRW.Bank.Seed Fonds. In: Venture Capital Magazin.<br />

Sonderausgabe „start up 2008“. S. 102.


Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 137<br />

ausgewählt, die eine „technologische Attraktivität“ 95 besitzen, d.h. über eine hohe<br />

Präsenz an Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie technologieorientierten<br />

Unternehmen verfügen, und sich in den letzten Jahren durch eine hohe<br />

Gründungsdynamik auszeichneten.<br />

Der Dachfonds stellt den regionalen Seed Fonds eine Minderheitsbeteiligung von<br />

bis zu 49 % zur Verfügung. Die restlichen 51 % müssen von Kapitalgebern aus der<br />

Region selbst aufgebracht werden.<br />

Die regionalen Seed Fonds werden von erfahrenen und mit der Frühphasenfinanzierung<br />

vertrauten Managements verwaltet, die gut in die regionalen Netzwerke eingebunden<br />

sind. Dies war ein gewichtiges Kriterium für die NRW.Bank bei der Wahl<br />

der regionalen Seed Fonds. In einem erfahrenen Fondsmanagement mit hoher und<br />

breiter fachlicher Expertise und guter <strong>regionaler</strong> Vernetzung wird ein wichtiger Erfolgsfaktor<br />

für die Umsetzung der regionalen Fonds gesehen. 96<br />

Zwischen den Fondsmanagements und der NRW.Bank wurden Investorenvereinbarungen<br />

geschlossen, in denen der Rahmen und die Regeln für das Fondsmanagement<br />

und die Beteiligungen sowie Investitionsperiode und Fondslaufzeit vereinbart<br />

wurden. Auf dieser Grundlage agieren die Fondsmanagements selbständig und<br />

unabhängig. Zusätzlich wurden für die regionalen Fonds Investorenkomitees eingerichtet,<br />

die auf Vorschlag des Fondsmanagements über die Beteiligungen der<br />

Fonds entscheiden. In den Investorenkomitees sitzen je ein Vertreter der<br />

NRW.Bank sowie je zwei weitere Vertreter der regionalen Kapitalgeber. Diese sind<br />

in der Regel ein Vertreter der regionalen Sparkassen, die meist einen ähnlich großen<br />

Teil des Kapitals stellen wie die NRW.Bank, sowie ein Vertreter der privaten<br />

Kapitalgeber.<br />

95<br />

Güllmann, Peter (2008): Frühphasenfinanzierung - Wenn Jugend forscht … braucht Sie Geld.<br />

Frühphasenfinanzierung bleibt Mangelware. In: FINANCE - Der Markt für Unternehmen und Finanzen.<br />

Heft 2 vom 25.01.2008. S. 44-46.<br />

96<br />

Güllmann, Peter (2007): Interview zum NRW.Bank.Seed Fonds. In: Venture Capital Magazin.<br />

Sonderausgabe „start up 2008“. S. 102.


138 Florian Langguth<br />

Abbildung 2: Konstrukt des NRW.Bank.Seed Fonds<br />

Die regionalen Seed Fonds bieten direkte Minderheitsbeteiligungen von bis zu<br />

500.000 Euro pro Unternehmen für die Erstrundenfinanzierung an. 97 Die Beteiligungsdauer<br />

beträgt in der Regel fünf bis sieben Jahre. Für eine Beteiligung kommen<br />

Gründer und Unternehmen in Frage, die über eine wirtschaftlich tragfähige und<br />

hohes Wachstum versprechende Geschäftsidee aus den Zielbranchen der regionalen<br />

Fonds verfügen. Die Zielbranchen wurden anhand der regionalen Stärken<br />

ausgerichtet. Die regionalen Seed Fonds besitzen zwar einen regionalen Fokus,<br />

dieser ist jedoch nicht restriktiv: Die räumliche Zuordnung ist der Gewinn versprechenden<br />

Idee nachrangig.<br />

97 Seit 2007 besteht die Möglichkeit, dass Erfolg versprechende Gründungen von einem regionalen<br />

Seed Fonds und dem High-Tech Gründerfonds gemeinsam finanziert werden können. Beide<br />

Fonds bieten den Unternehmen zusammen bis zu 600.000 Euro an.<br />

Der High-Tech Gründerfonds ist ein Public-Private Partnership-Fonds des Bundesministeriums für<br />

Wirtschaft und Technologie, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und mehreren deutschen Industrieunternehmen.<br />

Der rund 270 Mio. Euro schwere Fonds bietet jungen, chancenreichen Technologieunternehmen<br />

eine Seedfinanzierung von bis zu 500.000 Euro an (vgl. Website High-Tech<br />

Gründerfonds).


Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 139<br />

Tabelle 2: Regionale Seed Fonds<br />

Regionaler Seed<br />

Fonds<br />

SeedCapital<br />

Dortmund<br />

Rheinland<br />

Venture Capital<br />

Seed-Fonds<br />

Region Aachen<br />

Sirius Seed<br />

Fonds Düsseldorf<br />

Gründerfonds<br />

Bielefeld / Ostwestfalen<br />

Region FV* Schwerpunktbranchen Regionale Investoren<br />

Dortmund ca. 10,75<br />

Mio.<br />

Rheinland mit<br />

Schwerpunkt<br />

Köln/Bonn<br />

ca. 12<br />

Mio.<br />

Region Aachen ca. 8,5<br />

Mio.<br />

Stadt Düsseldorf,<br />

Kreis<br />

Neuss, Kreis<br />

Mettmann<br />

IHK** Bezirk<br />

Ostwestfalen<br />

zu Bielefeld<br />

ELS-Fonds Großraum<br />

Emscher-<br />

Lippe, Ruhrgebiet<br />

und Niederrhein<br />

Gründerfonds<br />

Münsterland<br />

ca. 10<br />

Mio.<br />

ca. 10<br />

Mio.<br />

ca. 12,5<br />

Mio.<br />

u.a. Mikrosystem und<br />

Nanotechnologie, Life<br />

Sciences, IT und Querschnittstechnologien<br />

Life Sciences, Medizintechnik,<br />

Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie,<br />

neue Werkstoffe,<br />

Mikro- und Nanotechno-<br />

logie<br />

Sparkasse Dortmund,<br />

Schüttermann-<br />

Schillersche Familienstiftung<br />

Intelligent Venture Capital<br />

Management GmbH,<br />

Kreissparkasse Köln,<br />

Sparkasse Köln/Bonn,<br />

Georgieff Capital und<br />

weitere Privatinvestoren<br />

alle Technologiebranchen Sparkasse Aachen und<br />

weitere Privatinvestoren<br />

Life Sciences, Bio- und<br />

Medizintechnologie, Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie,<br />

neue Werkstoffe und<br />

Ingenieurwissenschaften<br />

Maschinenbau, Verfahrens-<br />

und Automatisierungstechnik,<br />

IT, Kommunikations-<br />

und Nanotechnologie,Materialwissenschaften<br />

Life Siences<br />

Energie, Medizintechnik,<br />

Telekommunikation, Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie,<br />

neue Werkstoffe, Mikround<br />

Nanotechnologie<br />

Münsterland ca. 7 Mio. Nano- und Biotechnologie,<br />

Kommunikations- und<br />

Informationstechnologie,<br />

Life Sciences, Medizintechnik,<br />

Maschinenbau,<br />

Verfahrens- und Industrietechnik<br />

* FV = Fondsvolumen (Zielvolumen); ** IHK = Industrie- und Handelskammer<br />

Sirius Venture Partner<br />

GmbH, Sparkasse Düsseldorf<br />

Sparkasse Bielefeld,<br />

Skapital Unternehmensbeteiligungsgesellschaft<br />

(Tochtergesellschaft der<br />

Sparkassen Herford,<br />

Bielefeld und Detmold),<br />

eCapital entrepreneurial<br />

Partners AG und 22 Unternehmen<br />

und Unternehmer<br />

aus Ostwestfalen-Lippe.<br />

Sparkassen Gelsenkirchen<br />

und Vest Recklinghausen<br />

sowie weitere<br />

Privatinvestoren<br />

Sparkassen Münsterland-<br />

Ost und Westmünsterland,<br />

Kreisparkasse<br />

Steinfurt, eCapital entrepreneurial<br />

Partners AG<br />

und mehr als 10 Privatinvestoren


140 Florian Langguth<br />

Umsetzungsstand<br />

Der NRW.Bank.Seed Fonds hat bisher in sieben regionale Seed Fonds investiert.<br />

Er hat ein Fondsvolumen von 30 Mio. Euro, wovon 28 Mio. Euro zugesagt sind. Die<br />

regionalen Seed Fonds konnten insgesamt Zusagen für weitere 40 Mio. Euro durch<br />

regionale Investoren aufbringen. Bisher haben insgesamt 40 Unternehmen eine<br />

<strong>Finanzierung</strong> erhalten (Stand November 2009) (siehe Tabelle 3).<br />

Tabelle 3: Umsetzungsstand Regionale Seedfonds (2009)<br />

Anzahl Unternehmen Kapitalbindung<br />

SeedCapital Dortmund 10 Unternehmen 4,1 Mio. Euro<br />

Seed Fonds Region Aachen 8 Unternehmen 3,4 Mio. Euro<br />

Sirius Seed Fonds Düsseldorf 8 Unternehmen 3,0 Mio. Euro<br />

ELS-Fonds 6 Unternehmen 3,0 Mio. Euro<br />

Rheinland Venture Capital 6 Unternehmen 2,9 Mio. Euro<br />

Gründerfonds Bielefeld-Ostwest-falen 2 Unternehmen 1,2 Mio. Euro<br />

Gründerfonds Münsterland 0 Unternehmen 0,0 Mio. Euro<br />

Quelle: NRW.Bank Stand November 2009<br />

5. Fazit<br />

Technologie-orientierten Unternehmensgründungen wird eine Schlüsselposition bei<br />

der Erreichung volkswirtschaftlicher Ziele wie der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

oder der Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt.<br />

Damit sie dieses Potenzial entfalten können, benötigen sie Kapital. Aufgrund von<br />

Informationsasymmetrien zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer ist ein entsprechendes<br />

Angebot jedoch wenig bis gar nicht vorhanden.<br />

Der NRW.Bank.Seed Fonds wurde 2005 von der NRW.Bank mit dem Ziel aufgelegt,<br />

jungen Unternehmen aus Hochtechnologiebranchen Eigenkapital zur Verfügung zu<br />

stellen. Mittlerweile zählt der Fonds neben dem High-Tech-Gründerfonds gemessen<br />

an den Portfoliounternehmen zu den größten in Deutschland und ist Vorbild zukünftiger<br />

Fonds in diesem Segment. 98 Hervorzuheben ist 99 :<br />

98<br />

So planen z.B. andere Länder wie Bayern oder Bundesstaaten in den USA, Fonds nach gleichen<br />

Prinzipien aufzulegen.<br />

99<br />

Interview Dr. Claas Heise NRW.Bank vom 20.11.2009.


Regionale Seed Fonds - Das Beispiel NRW.BANK.Seed Fonds 141<br />

Bereitstellung von Wagniskapital<br />

Zur <strong>Finanzierung</strong> technologie-orientierter Unternehmensgründungen steht in der<br />

Regel nur eine externe Eigenkapitalfinanzierung zur Verfügung. Dieses Segment,<br />

ist im Vergleich zu anderen Segmenten wie z.B. dem Bereich Management Buy-<br />

Outs in Deutschland besonders unterentwickelt. 100 Durch den NRW.Bank.Seed<br />

Fonds mit seinen regionalen Seed Fonds wird das Angebot an Wagniskapital in<br />

den Regionen gefördert. Dies ist für das Wachstum und die Steigerung der Innovationsfähigkeit<br />

eines Landes sowie einzelner Regionen wichtig.<br />

Kombination von <strong>Finanzierung</strong> und Beratung<br />

Mit der Beteiligung eines regionalen Seed Fonds ist nicht nur eine Kapitalbereitstellung<br />

verbunden, sondern auch eine Begleitung und Betreuung des Beteiligungsunternehmens<br />

durch den Kapitalgeber. Der Kapitalgeber hat die Möglichkeit,<br />

Einfluss auf seine Investition zu nehmen und das Risiko eines Verlustes zu<br />

mindern. Der Kapitalnehmer erhält eine Anlaufstelle, die ihm mit fachlichem sowie<br />

kaufmännischem Rat zur Seite steht. Die regionale Vernetzung der Fondsmanagements<br />

hilft zudem, die Unternehmen in regionale Netzwerke einzuführen und<br />

schafft so weitere Vorteile.<br />

Fondskonstrukt oder neue <strong>Finanzierung</strong>spartnerschaften<br />

Durch das gewählte Fund-of-Funds Konstrukt des NRW.Bank.Seed Fonds wird es<br />

möglich, den mit einem Seedfonds in der Regel verbundenen hohen Verwaltungsaufwand<br />

zu dezentralisieren. Regional gut vernetzte und erfahrene Fondsmanagements<br />

sowie regionale Privatinvestoren beteiligen sich gemeinsam mit der<br />

NRW.Bank im Sinne einer „Financial Governance“ an der <strong>Finanzierung</strong> und Unterstützung<br />

technologie-orientierter Unternehmensgründungen und schaffen ein<br />

angenehmes Gründungsklima in den Regionen. Ein Vorteil, den ein zentral organisierter,<br />

über<strong>regionaler</strong> Fonds nur schwer realisieren kann.<br />

100 vgl. Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (o.J.): BVK SPECIAL - Venture<br />

Capital in den USA 2009. Berlin (gefunden unter: http://www.bvkap.de/ privateequity.php/cat/13/title/Publikationen;<br />

zugegriffen am 05.11.2010) oder Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften<br />

(o.J.b): BVK SPECIAL - Private Equity in Europa 2009. Berlin<br />

(gefunden unter: http://www.bvkap.de/privateequity.php/cat/13/title/Publikationen; zugegriffen am<br />

05.11.2010).


142 Florian Langguth<br />

Kontakt:<br />

Florian Langguth<br />

SPRINT (GbR)<br />

E-Mail: langguth@<strong>sprint</strong>consult.de


Mikrokreditfonds<br />

von Falk Zientz<br />

1. Einführung<br />

Die GLS Bank finanziert soziale, ökologische und kulturell zukunftsweisende Unternehmen<br />

und Projekte. Bei der Geldanlage können ihre Kundinnen und Kunden<br />

wählen, in welchem Bereich Ihr Geld vorzugsweise investiert wird. Die GLS Bank<br />

macht regelmäßig transparent, was und wo finanziert wird.<br />

Seit 2000 baut die GLS Bank in Deutschland Mikrokreditangebote für kleine Unternehmen<br />

und Gründungen auf. In einer experimentellen Phase bis 2004 wurden in<br />

sehr kleinen Stückzahlen Erfahrungen mit unterschiedlichen Konzepten, die von der<br />

Vergabe von Unternehmensbeteiligungen und Krediten über Kooperationen mit<br />

gemeinnützigen Trägern, öffentlichen Stellen und Stiftungen sowie der Einbindung<br />

von privaten und öffentlichen Mitteln bis hin zur Kombination von rückzahlbaren<br />

Mitteln und Zuschüssen reichten, gesammelt.<br />

Auf Basis dieser Erfahrungen wurden 2004 das Deutsche Mikrofinanz Institut und<br />

der GLS Mikrofinanzfonds als bundesweite Plattform für die Weiterentwicklung gegründet.<br />

80 Privatpersonen sowie die GLS Bank legten über 500.000 Euro ein.<br />

2006 investierten die KfW Bankengruppe, das Bundesministerium für Arbeit und<br />

Soziales sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie weitere 1,5<br />

Mio. Euro in den Fonds. Die Konstruktion wurde maßgeblich geändert, so dass die<br />

Chancen und Risiken nun weitgehend bei den Mikrofinanzinstituten (MFIs) lagen.<br />

Bis 2009 wurden über 500 Kredite mit einem Volumen von über 3 Mio. Euro vergeben.<br />

Die Ausfallquote (Kreditausfälle in Relation zu Kredittilgungen) liegt unter 3 %,<br />

was im Hinblick auf die Zielgruppen ein großer Erfolg ist.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte wurde 2010 mit zunächst 10 Mikrofinanzinstituten<br />

der neue „Mikrokreditfonds Deutschland“ gestartet. Aus Mitteln des<br />

Bundes sowie des Europäischen Sozialfonds stehen jetzt 100 Mio. Euro zur Verfügung,<br />

die von der NBank als Zweckvermögen angelegt sind. Die Anzahl der Kreditvergaben<br />

sowie der Mikrofinanzinstitute stieg innerhalb weniger Monate deutlich an.<br />

Bis 2015 sollen nun mindestens 15.000 Kredite vergeben werden.<br />

Der Mikrokreditfonds Deutschland ist also das Ergebnis einer 10-jährigen <strong>Entwicklung</strong>sarbeit,<br />

in der mit unterschiedlichen Modellen Erfahrungen gesammelt<br />

wurden. Der große Zuspruch, den dieses Modell derzeit erfährt, bestätigt diese<br />

<strong>Entwicklung</strong>. Im Folgenden wird dieses Erfolgsmodell beschrieben.


144 Falk Zientz<br />

2. Grundsätzliches zum Mikrokredit<br />

Mikrokredite ermöglichen Unternehmensgründungen von Menschen, die über kein<br />

ausreichendes Kapital, aber über unternehmerisches Engagement verfügen. In anderen<br />

Fällen geht es um die Vorfinanzierung von ersten größeren Aufträgen oder<br />

von wichtigen Wachstumsschritten. Im Durchschnitt werden durch jeden Mikrokredit<br />

ca. 1,5 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten<br />

ist Mikrofinanz insofern sehr effektiv und fördert in besonderem Maße<br />

individuelles Engagement und Selbstverantwortung.<br />

Über die Hälfte der Kredite werden zurzeit an Unternehmerinnen und Unternehmer<br />

mit einem Migrationshintergrund vergeben. 40 % der Mikrokredite erhalten Frauen,<br />

was ihren Anteil an Kleinunternehmen (ca. 30 %) erkennbar übersteigt. Schwerpunkte<br />

der finanzierten Branchen sind Dienstleistungen, gefolgt von Gastronomie<br />

und Einzelhandel. Gerade diese Branchen haben oftmals einen besonders schwierigen<br />

Zugang zu Kapital.<br />

Als typische <strong>Finanzierung</strong>sbeispiele können unter anderem die Vorfinanzierung eines<br />

ersten großen Auftrages einer Grafikdesignerin mit einem Kredit über 7.000<br />

Euro, endfällig nach neun Monaten, das Anschaffungsdarlehen zur Gründung eines<br />

Hausmeisterservices über 4.000 Euro, rückzahlbar in 36 Monatsraten; die mehreren<br />

gewährten Stufenkredite (von 2.000 bis zu 10.000 Euro) zum schrittweisen Aufbau<br />

einer zunächst nebenerwerblichen Vertriebstätigkeit oder auch der regelmäßige<br />

Saisonalkredit für das Weihnachtsgeschäft eines kleinen Fachhandels von jeweils<br />

bis zu 15.000 Euro für 6 Monate gelten.<br />

2.1. Zu den Kreditausfällen<br />

Zunächst hatte der Mikrokreditfonds mit Kreditausfällen von bis zu 10 % gerechnet<br />

und sich dabei an öffentlichen Förderkrediten, deren Quoten in der Regel ein Vielfaches<br />

davon betragen, orientiert.<br />

Die Ausfallquote von Mikrokrediten beträgt bis jetzt tatsächlich etwa 4 %, wenn die<br />

Ausfälle der ab 2006 vergebenen Kredite in Relation zu den zurückgeflossenen<br />

Kredittilgungen gesetzt werden. 2009 wurde mit 2,8 % abgeschlossen. Dies ist für<br />

die noch jungen Mikrofinanzinstitute ein beachtlicher Erfolg.<br />

Allerdings haben andere Organisationen im europäischen Ausland hinsichtlich Methodik<br />

und Marktentwicklung noch einen deutlichen Erfahrungs- und Wissensvorsprung,<br />

der in den nächsten Jahren eingeholt werden soll.


Mikrokreditfonds 145<br />

2.2. Zur Anzahl der Kredite<br />

Von 2006 bis 2009 wurden über 500 Mikrokredite vergeben. Damit haben einige<br />

Mikrofinanzinstitute als Pioniere mit großem Engagement für ihre speziellen Zielgruppen<br />

die Kreditvergabe punktuell erprobt.<br />

Mit dem Start des Mikrokreditfonds Deutschland Anfang 2010 soll nun das Angebot<br />

maßgeblich ausgebaut werden. Derzeit beträgt die monatliche Stückzahl etwa 150<br />

Kredite. Für 2010 ist die Vergabe von über 1.200 Mikrokrediten und, in den Folgejahren,<br />

ein entsprechendes Wachstum geplant.<br />

Zum Vergleich: In Frankreich wurden 2009 bei starken Wachstumsraten und insgesamt<br />

vergleichbaren Rahmenbedingungen etwa 20.000 Mikrokredite vergeben.<br />

Diese Größenordnung zu erreichen ist langfristiges Ziel des Mikrokreditfonds<br />

Deutschland und seiner Partnerorganisationen.<br />

2.3. Zu den Mikrofinanz-Methoden<br />

Das Faszinierende an erfolgreichen Mikrofinanzinstituten ist, dass auch Personen,<br />

die keinen Zugang zu Banken haben, trotzdem Kredit erhalten, die Vergabe der Mikrokredite<br />

schnell und einfach erfolgt und die Ausfallquoten sehr gering sind.<br />

Entwickelt haben solche Angebote seit über 150 Jahren Kreditgenossenschaften<br />

sowie seit den 80er Jahren Mikrofinanzinstitute in wirtschaftlich schwächeren<br />

Weltregionen, die einer breiteren Öffentlichkeit durch die Verleihung des Friedensnobelpreises<br />

an Muhammad Yunus bekannt wurden.<br />

Kreditvergaben, die nur auf der Basis von Geschäftsplänen erfolgen, sind in der<br />

Regel deutlich aufwändiger und auch riskanter als die erfolgreichen Mikrokredit-<br />

Methoden, die im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden:<br />

� Stufenkredite: Ein Kleinstbetrag von z.B. 2.000 Euro kann in jedem Fall zurückgezahlt<br />

werden – und sei es in kleinsten Raten. Für die Kreditentscheidung<br />

ist darum eine verlässliche Einschätzung der Rückzahlungsmotivation ausreichend,<br />

ohne dass eine umfangreiche Dokumentenprüfung erforderlich wird. Im<br />

Erfolgsfall kann danach eine Kreditbiografie mit Beträgen bis zu 20.000 Euro<br />

aufgebaut werden.<br />

� Monitoring: Per E-Mail müssen die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer mancher<br />

Mikrofinanzinstitute monatlich drei Fragen zu ihrer Situation beantworten,<br />

die automatisch ausgewertet werden. Noch bevor eine Rate platzt, kann das<br />

Mikrofinanzinstitut auf dieser Basis persönlich und rechtzeitig intervenieren.<br />

� Social Lending: Ähnlich einer klassischen Dorfbank kann das Mikrofinanzinstitut<br />

einen persönlichen Bezug zu den Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern


146 Falk Zientz<br />

sowie deren Umfeld aufbauen, z.B. durch die Konzentration auf einen Straßenzug,<br />

eine MigrantInnengruppe oder Mitglieder einer Genossenschaft.<br />

� Ansparen: Durch monatliche Ansparraten können sich Unternehmen einen<br />

Kreditanspruch erarbeiten. Von dem angesparten Guthaben kann zunächst<br />

das Dreifache, später das bis zu Zehnfache als Kredit aufgenommen werden.<br />

3. Das Kooperationsmodell<br />

Um einen schnellen und einfachen Zugang zu Kapital für kleine Unternehmen und<br />

Gründungen zu schaffen, kooperiert die GLS Bank mit Mikrofinanzinstituten, die für<br />

die Akquisition und Betreuung der Kreditnehmer zuständig sind. Dieses Kooperationsmodells<br />

bietet insbesondere zwei Vorteile: erstens kann das Mikrofinanzinstitut<br />

seine jeweiligen Zielgruppen und Standorte ohne Bankzulassung mit selbst entwikkelten<br />

Angeboten bedienen. Zweitens können unterschiedlichste Organisationen<br />

und Förderer, beispielsweise Ministerien, Vereine, Wirtschaftsförderer und Genossenschaften,<br />

flexibel eingebunden werden.<br />

Die Mikrofinanzinstitute werden in der Regel von Unternehmensberatungen, Wirtschaftsförderern,<br />

Genossenschaften, Vereinen und öffentlichen Stellen gegründet.<br />

Die GLS Bank bietet den kooperierenden Mikrofinanzinstituten eine erfolgsabhängige<br />

Gratifikation in Höhe von 10 % des erfolgreich zurückgezahlten Kreditvolumens<br />

abzüglich der jährlichen Kreditausfälle, ein Stückhonorar von derzeit 800 EUR pro<br />

Kredit zum Aufbau des Geschäftsfeldes (wird in den Folgejahren reduziert) und eine<br />

Internetplattform zur Vergabe und Betreuung von Mikrokrediten sowie eine besondere<br />

Förderung der besten Mikrofinanz-Angebote (so genannter Leuchtturmprojekte)<br />

an. Außerdem wird der Know-how-Transfer zwischen neu gegründeten und bereits<br />

erfolgreichen MFIs aktiv von der GLS Bank unterstützt und vorangetrieben.<br />

Aufgaben eines Mikrofinanzinstituts (MFI)<br />

Von der ersten Kundenansprache bis zur vollständigen Rückzahlung liegt die Kreditbetreuung<br />

in der Hand des Mikrofinanzinstitutes. Die Bank sorgt ohne direkten<br />

Kundenkontakt entsprechend den Angaben des Mikrofinanzinstituts für die Verwaltung<br />

im Hintergrund.<br />

Die Kreditvergabe ist schnell und einfach organisiert: Das Mikrofinanzinstitut analysiert<br />

einen Kreditantrag und gibt bei einer positiven Entscheidung die Vertragsdaten<br />

auf einer Internetplattform ein. Daraufhin versendet die Bank den Kreditvertrag zur<br />

Unterschrift und zahlt danach das Geld an das Unternehmen aus.


Mikrokreditfonds 147<br />

Abbildung 1: Aufgaben der Mikrofinanzinstitute<br />

Die in Abb. 1 dargestellten Aufgaben der Mikrofinanzinstitute werden im Folgenden<br />

kurz beschrieben:<br />

� Akquisition: Das MFI holt <strong>Finanzierung</strong>sanfragen von Gründungen und<br />

Kleinstunternehmen ein. Dazu entwickelt es Angebote für spezifische Zielgruppen<br />

wie etwa Unternehmerinnen oder Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund,<br />

für besondere <strong>Finanzierung</strong>sbedarfe oder auch für ausgewählte Regionen.<br />

� Kreditanalyse: Seinen <strong>Finanzierung</strong>sangeboten entsprechend, kann das MFI<br />

die Analyse etwa durch ein Vor-Ort-Gespräch mit der Durchsicht von Kontoauszügen,<br />

durch einen Businessplan oder durch die Prüfung eines vorzufinanzierenden<br />

Auftrages vornehmen.<br />

� Datenerfassung: Die Vertragsdaten sowie Angaben zur Person der Kreditnehmer/innen<br />

erfasst das MFI auf einer geschützten Internetplattform, die auch<br />

zur laufenden Kreditbetreuung dient.<br />

� Unterzeichnung: Die von der Bank erstellten Vertragsunterlagen lässt das<br />

MFI von den Kreditnehmer/innen unterzeichnen und sendet diese an die Bank<br />

zurück.<br />

� Sicherheitenverwaltung: Das MFI legt nach eigenen Maßgaben die Kreditsicherheiten<br />

fest und verwaltet diese.<br />

� Rückzahlungskontrolle: Über ausbleibende Zahlungen wird das MFI elektronisch<br />

informiert. Dieses interveniert dann zeitnah und persönlich.


148 Falk Zientz<br />

� Tilgungsänderungen: Sollen Kredittilgungen reduziert oder ausgesetzt werden,<br />

teilen sie dies der Bank über die Internetplattform mit.<br />

� Ausbuchung: Kann ein Kredit nicht mehr zurückgezahlt werden, teilt das MFI<br />

dies der Bank über die Internetplattform mit. Ausgebuchte Kredite werden jährlich<br />

mit den Gratifikationen verrechnet.<br />

4. Voraussetzungen für eine Kooperation<br />

Die für eine Kooperation mit der GLS Bank wesentlichen Bedingungen für Mikrofinanzinstitute<br />

bestehen in der Teilnahme an einem Bewerbungsprozess, der Begleitung<br />

des technischen und organisatorischen Aufbaus durch das Deutsche Mikrofinanz<br />

Institut DMI (Kosten etwa 5.000 Euro) und der Stellung von Sicherheiten<br />

von zunächst 20 % der aktuellen Kreditsalden – wobei diese nach einem erfolgreichen<br />

Start reduziert werden können. Außerdem sollten MFIs in der Lage sein, die<br />

personellen Ressourcen für eine Anlaufphase auch ohne nennenswerte Erträge<br />

über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten bereitstellen zu können.<br />

Sinnvoll ist der Aufbau eines Mikrofinanzinstitutes, wenn deutlich über 100 Kredite<br />

pro Jahr vergeben werden und die Kreditausfälle langfristig deutlich unter 10 % liegen.<br />

Eine Beispielrechnung: Wenn die Ausfallquote unter 3 % liegt – wie während<br />

unserer Testphase in 2009 – erhält das MFI eine jährliche Gratifikation von mehr als<br />

7 % der Kredittilgungen. Um dies zu erreichen, sollte Mikrofinanzierung als eigenes<br />

Geschäftsfeld aufgebaut und entsprechend den international erfolgreichen Methoden<br />

entwickelt werden. Hierbei leistet der Mikrokreditfonds Deutschland Unterstützung.<br />

Kriterienkatalog für interessierte Organisationen<br />

Formelle Kriterien zur Auswahl von neuen Mikrofinanzinstituten haben für den Mikrokreditfonds<br />

eine nachgeordnete Bedeutung. Erfolgreiche MFIs gibt es in allen<br />

Rechtsformen und mit unterschiedlichsten Geschäftskonzepten – von Selbsthilfeorganisationen<br />

über Dienstleister bis hin zu Franchise-Modellen. Eine Besonderheit<br />

des Mikrokreditfonds ist, dass unterschiedliche Organisationen daran andocken<br />

können und damit ihren jeweiligen Zielgruppen neuen Zugang zu Kapital verschaffen.<br />

Hierfür wird mit den daran interessierten Organisationen zunächst geklärt, ob<br />

der Aufbau eines MFI grundsätzlich sinnvoll ist. Dabei sind dies die wesentlichen<br />

Fragen:


Mikrokreditfonds 149<br />

Wollen Sie Mikrofinanz als tragfähiges Geschäftsfeld aufbauen?<br />

Die Betreuung von Mikrokrediten sollte nicht nur als Nebentätigkeit verstanden werden,<br />

sondern als Geschäftsfeld, in das zunächst investiert werden muss, um dauerhaft<br />

Mikrokredite anbieten zu können. Unserer Erfahrung nach sollten zumindest<br />

drei Personen in unterschiedlichen Rollen das MFI aufbauen. Pro Kreditbetreuer<br />

sollte mittelfristig ein Neugeschäft von mindestens 100 Krediten pro Jahr sowie deren<br />

Betreuung plausibel dargestellt werden können.<br />

Verfügen Sie über das erforderliche Eigenkapital?<br />

Sie haften grundsätzlich für alle Kreditausfälle, wobei die Ausfälle jährlich mit einer<br />

Marge von 10 % auf die Tilgungen verrechnet werden. Ein MFI, das einen jährlichen<br />

Kreditausfall von 2 % hat, erhält somit 8 % der Tilgungen als Gratifikation ausgezahlt.<br />

Insbesondere neue MFIs können aber durchaus Ausfallquoten von über 10 %<br />

erreichen. Vor einigen Jahren hatte ein neues MFI einen Ausfall von 15 % zu verbuchen.<br />

Entsprechend erhielt dieses MFI für das Kalenderjahr keine Gratifikation,<br />

sondern musste 5 % der Tilgungen an den Fonds bezahlen. Dieses Haftungsrisiko<br />

ist ganz bewusst gesetzt, denn Ziel ist der Aufbau wirtschaftlich tragfähiger MFIs.<br />

Zur Absicherung müssen neue MFIs 20 % der aktuellen Kreditsalden mit Guthabenverpfändung<br />

oder Bankbürgschaften unterlegen. Diese Sicherheitenstellung<br />

kann zur Ausweitung des Kreditportfolios monatlich aufgestockt werden. Etablierte<br />

MFIs können die Sicherheitenstellung entsprechend eines Ratings reduzieren.<br />

In der Startphase besteht ein weiterer erheblicher Liquiditätsbedarf dadurch, dass<br />

die Stückentgelte von derzeit 800 Euro erstmals nach 12 Monaten ausgezahlt werden,<br />

anschließend quartalsweise.<br />

Kennen Sie ihre Zielgruppen?<br />

Mikrofinanzinstitute haben keinen Gebietsschutz. Sie definieren ihr Angebot in erster<br />

Linie in Bezug auf Zielgruppen. So kann es in einer Region oder auch in einem<br />

Stadtteil mehrere Mikrokreditangebote geben, ohne dass eine Konkurrenzsituation<br />

auftritt – worauf wir allerdings auch beim Aufbau neuer MFIs achten. Sehr erfolgreiche<br />

Mikrofinanz-Zielgruppen sind Migranten-Gruppierungen, Unternehmerinnen<br />

sowie wirtschaftlich benachteiligte Personen. Sinnvoll ist auch eine Konzentration<br />

auf die Branchen, die von Banken wenig bedient werden. Dafür sollten Sie allerdings<br />

jeweils die spezifischen <strong>Finanzierung</strong>sbedarfe kennen, beispielsweise die<br />

Vorfinanzierung von Aufträgen oder Saisonalkredite für ein bestimmtes Klientel.


150 Falk Zientz<br />

Nutzen Sie die internationalen Erfahrungen?<br />

Die Aufbauphase von MFIs dauert in der Regel deutlich länger als zunächst geplant<br />

und auch die Kreditvergabe läuft oft langsamer an. Mit den Kreditausfällen sind<br />

Lernkurven durchzumachen. Der Arbeitsaufwand übersteigt insbesondere am Anfang<br />

die möglichen Einnahmen. Auch bereits langjährig erfolgreiche Beratungsoder<br />

Dienstleitungsorganisationen, die das Geschäftsfeld Mikrofinanz neu aufbauen,<br />

stehen regelmäßig vor diesen Problemen. Darum lohnt es sich, möglichst intensiv<br />

von den international erfolgreichen Mikrofinanz-Methoden und -Produkten zu<br />

lernen. Unsere Frage an Sie wird darum sein, inwieweit Sie sich beispielsweise mit<br />

Ansparmodellen, Gruppenkrediten oder Stufenkrediten auseinandergesetzt haben<br />

und welche Ansätze Sie für sich nutzen wollen – Gerne unterstützen wir Sie bei der<br />

Wahl der geeigneten Ansätze.<br />

Wäre eine Kooperation mit bestehenden MFIs die bessere Alternative?<br />

Wenn Sie sich für Mikrofinanz engagieren wollen, ohne aber die zum Aufbau eines<br />

MFIs erforderlichen Investitionen zu tätigen, können Sie auch bestehende MFIs auf<br />

eine Kooperation ansprechen. Viele MFIs arbeiten mit Beratern, Banken und öffentlichen<br />

Stellen zusammen. Bis Ende 2010 werden einige Modelle entwickelt, wie<br />

diese Kooperation standardisiert werden kann. Diese Modelle werden sich darin<br />

unterscheiden, ob die Kooperationspartner gegenüber dem MFI mit in die Haftung<br />

gehen, an den finanziellen Chancen partizipieren oder nur unverbindliche Empfehlungen<br />

aussprechen. Bei Interesse können Sie auch jetzt schon auf MFIs mit Ihrem<br />

Kooperationsangebot zugehen.<br />

Haben wir gemeinsame Zielsetzungen?<br />

Für den gemeinsamen Erfolg unserer Kooperation wollen wir mit den neuen MFIs<br />

eine Vertrauensbasis aufbauen, wie uns dies während den letzten Jahren mit den<br />

Pionier-MFIs gelungen ist. In Workshops, Gesprächen und Veranstaltungen geht es<br />

deshalb auch darum, ob unsere geschäftspolitischen Zielsetzungen und unsere Außenauftritte<br />

zueinander passen.<br />

Dies ist wichtig, weil unser Kooperationsmodell auf Gegenseitigkeit beruht. So<br />

könnten beispielsweise die 800 Euro Stückentgelt für jeden Kredit – es gibt keine<br />

Mindestbeträge für Mikrokredite – zur Planung von nur kurzfristig ertragreichen MFI-<br />

Geschäftsmodellen führen. Außerdem gibt es international immer wieder Versuche,<br />

die <strong>Finanzierung</strong>snot eines Unternehmens zu nutzen, um Beratungs- oder Finanzdienstleistungen<br />

zu verkaufen, die das Unternehmen nicht will. Entsprechend haben<br />

wir geregelt, dass die Stückentgelte liquiditätsmäßig erstmals nach 12 Monaten<br />

ausgezahlt werden und die Höhe des Kreditbetrages am unternehmerischen Bedarf<br />

gemessen sein muss. Kopplungsgeschäfte mit anderen Leistungen sind grundsätz-


Mikrokreditfonds 151<br />

lich nicht möglich. Die GLS Bank kann jederzeit die Kreditvergabe einstellen – Wir<br />

gehen aber davon aus, dass diese formellen Regelungen aufgrund der gemeinsamen<br />

Zielsetzungen weiterhin im Hintergrund stehen werden.<br />

5. Einbindung <strong>regionaler</strong> Partner<br />

Viele Mikrofinanzinstitute kooperieren mit regionalen Partnern, wie Banken und<br />

Sparkassen, Wirtschaftsförderern oder ARGEn. Diese Kooperationen sind sehr<br />

sinnvoll, da die MFIs öffentliche und gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen und<br />

es gemeinsame Zielsetzungen gibt. Beispiele für die Unterstützung von MFIs können<br />

das Empfehlungsmarketing bei potenziellen Kreditnehmern, die <strong>Finanzierung</strong><br />

des Aufbaus des MFI oder der laufenden Kreditbetreuung, die Bereitstellung von<br />

Sicherheiten (zunächst 20 % der Kreditsalden) sowie die Produktentwicklung für<br />

spezielle Zielgruppen sein.<br />

Sinnvollerweise greifen dabei verschiedene Maßnahmen ineinander. Dies kann beispielsweise<br />

so aussehen: Das Landesförderinstitut stellt Sicherheiten in Höhe von<br />

20 % des Kreditportfolios zur Verfügung. Alternativ dazu könnten auch Kommune,<br />

Sparkasse, Volksbank und ein Sponsor gemeinsam einen Betrag als Sicherheit für<br />

die lokale Kreditvergabe zur Verfügung stellen. Parallel dazu finanziert das Wirtschaftsministerium<br />

die Ausbildung von Kreditbetreuern sowie Kundenanalysen und<br />

Marktstudien an mehreren Standorten während verschiedene JobCenter die Kosten<br />

der Kreditbetreuung für deren Kunden übernehmen. Volksbanken und Sparkassen<br />

verweisen außerdem regelmäßig Kreditanfragen mit zu geringen Beträgen an das<br />

MFI.<br />

Da Mikrofinanz ein sehr effektives Instrument mit Hebeleffekten ist, sind die Vorteile<br />

für die Kooperationspartner greifbar: Die Kreditausfälle und somit die Kosten sind<br />

deutlich geringer als bei den bekannten Förderprogrammen. Eigenständige regionale<br />

Fonds müssten 100 % der Kreditmittel aufbringen, in dieser Kooperationsform<br />

sind allerdings nur 20 % als Sicherheiten erforderlich – mit der Perspektive auf Reduzierung.<br />

Außerdem muss kein <strong>regionaler</strong> Verwaltungsapparat aufgebaut werden,<br />

da die Verwaltung, inklusive Qualitätssicherung und Reportings, zentral von der<br />

GLS Bank geleistet wird. Vorhandene Förder- und Beratungsangebote können genutzt<br />

werden, was geringe Kosten und eine große Nähe zu den Zielgruppen bedeutet.<br />

Banken und Sparkassen können ihren Kunden neue Lösungen anbieten<br />

und damit in der Region werben.


152 Falk Zientz<br />

Entsprechend sind solche regionalen Kooperationen sehr wünschenswert. Es gibt<br />

jedoch auch MFIs, die ausschließlich mit großem ehrenamtlichen Engagement und<br />

mit Eigenkapital sozialer Unternehmer erfolgreich gestartet sind. Außerdem kann<br />

unserer Erfahrung nach die Einbindung von regionalen Partnern in der Regel erst<br />

der zweite Schritt sein. Zunächst kommt es darauf an, dass eine Initiative unternehmerisch<br />

Mikrofinanz als Geschäftsfeld aufbauen will.<br />

Kontakt:<br />

Falk Zientz<br />

Leiter der Abteilung Mikrofinanz<br />

GLS Bank<br />

Christstr. 9<br />

44789 Bochum<br />

www.mikrokreditfonds.de


TEIL III: Regionale Perspektive


Im Spannungsfeld zentraler Verwaltung und dezentraler<br />

Entfaltung – Regionalisiertes Teilbudget und Regionalbudget<br />

am Beispiel des Landkreises Grafschaft Bentheim<br />

von Dr. Michael Kiehl<br />

1. Einleitung<br />

Der folgende Beitrag widmet sich dem Themenfeld der Regionalfinanzierung aus<br />

der praktischen Perspektive des Landkreises Grafschaft Bentheim. Am Beispiel von<br />

zwei <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten aus dem Bereich der Wirtschaftsförderung soll<br />

herausgearbeitet werden, was konkret mit den regional zur Verfügung stehenden<br />

Mitteln getan werden kann. Dabei wird gleichsam das Spannungsfeld zwischen dezentralem<br />

Gestaltungswillen und zentraler Steuerung durch die Verwaltungsbehörden<br />

auf Landesebene deutlich.<br />

Als erstes Beispiel wurden die Regionalisierten Teilbudgets ausgewählt, die im Jahr<br />

2007 Eingang in die niedersächsische EFRE-Förderung (Förderung des Europäischen<br />

Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong>) gefunden haben und deren Umsetzung im<br />

Landkreis Grafschaft Bentheim weit fortgeschritten ist. Die Regionalisierten Teilbudgets<br />

sind – nicht zuletzt im bundesweiten Vergleich – als sehr weitreichende Form<br />

der Einbindung der Kommunen in die Entscheidungsprozesse der EFRE-Förderung<br />

zu bezeichnen und verdienen schon allein vor diesem Hintergrund eine eingehende<br />

Betrachtung. Im zweiten Teil des Beitrags wird das Regionalbudget aus der Gemeinschaftsaufgabe<br />

zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)<br />

vorgestellt. In der „Wachstumsregion Ems-Achse“, einem regionalen Verbund, dem<br />

auch der Landkreis Grafschaft Bentheim angehört, wurde basierend auf dem Regionalbudget<br />

eine regionale Fachkräfteinitiative mit dem Titel ”Ems-Achse, beste<br />

Köpfe – beste Chancen” erarbeitet.<br />

Dieses zweite Beispiel macht deutlich, dass durch Instrumente der Regionalfinanzierung<br />

und die damit gestärkten dezentralen Entscheidungsprozesse tatsächlich<br />

passgenaue Lösungen für die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> vor Ort entstehen können.


156 Dr. Michael Kiehl<br />

2. Das Regionalisierte Teilbudget am Beispiel des Landkreises<br />

Grafschaft Bentheim<br />

Im Rahmen des Operationellen Programms des Landes Niedersachsen für den Europäischen<br />

Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong> (EFRE) wurde die Einführung Regionalisierter<br />

Teilbudgets festgelegt. Für die Förderperiode 2007 bis 2013 ist ein Teil der<br />

EFRE Fördermittel (insgesamt 131,25 Mio. Euro) zur dezentralen Verwaltung durch<br />

die Landkreise und die kreisfreien Städte in Niedersachsen vorgesehen. Im Konvergenz-Gebiet<br />

sind das 3,75 Mio. Euro, in den übrigen Landesteilen (RWB-Gebiet)<br />

2,5 Mio. Euro je Landkreis bzw. kreisfreier Stadt. Die EFRE-Mittel sind im RWB-<br />

Gebiet in gleicher Höhe und im Konvergenz-Gebiet zu 25% kozufinanzieren, sodass<br />

letztlich in der Summe 5 Mio. Euro je Kreis bzw. kreisfreier Stadt über den Förderzeitraum<br />

zur Verfügung stehen. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft,<br />

Arbeit und Verkehr gibt als Verwaltungsbehörde über Richtlinien vor, für welche Bereiche<br />

des Operationellen Programms die Mittel des Regionalisierten Teilbudgets<br />

verwendet werden dürfen (vgl. Abbildung). Ein besonderer Fokus der Mittelverwendung<br />

soll dabei auf eine Förderung investiver Maßnahmen für kleine und mittlere<br />

Unternehmen (KMU) im Schwerpunkt 1 des Operationellen Programms gelegt werden.<br />

Darüber hinaus wurden bestehende Landesrichtlinien aus den Schwerpunkten<br />

2 und 3 für eine <strong>Finanzierung</strong> aus Mitteln der Regionalisierten Teilbudgets geöffnet.<br />

Abbildung 1: Fördermöglichkeiten im Rahmen der Regionalisierten Teilbudgets<br />

Schwerpunkt 1:<br />

Steigerung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von KMU, z.B.:<br />

� Investive Unternehmensförderung bei KMU<br />

Schwerpunkt 2:<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Innovationskapazitäten und gesellschaftliche Wissenspotenziale, z.B.:<br />

� Förderung von Beratung für Wissens- und Technologietransfer in Gebietskörper-<br />

schaften<br />

� Förderung von Innovationsclustern<br />

� Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />

Schwerpunkt 3:<br />

Unterstützung spezifischer Infrastrukturen für nachhaltiges Wachstum, z.B.:<br />

� Breitbandnetze<br />

� Touristische Infrastruktur<br />

2.1. Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

Der Landkreis Grafschaft Bentheim liegt in Niedersachsen unmittelbar an der Grenze<br />

zu den Niederlanden bzw. zu Nordrhein-Westfalen. Mit rd. 135.500 Einwohnern<br />

und einer Fläche von 980,75 km² (Stand 2009) beträgt die Einwohnerdichte 138


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 157<br />

Einwohner/km², so dass die Grafschaft Bentheim als ländlicher Raum zu bezeichnen<br />

ist. 101 Zum Landkreis gehören sieben Kommunen, von denen Nordhorn als<br />

Mittelzentrum mit gut 53.000 Einwohnern die größte ist. Infrastrukturell ist der Landkreis<br />

über die Bundesautobahnen 30 und 31 sowie einen Anschluss an die Intercity-<br />

Strecke Amsterdam-Berlin-Warschau gut erschlossen. In wirtschaftlicher Hinsicht<br />

hat die Grafschaft Bentheim innerhalb weniger Jahrzehnte einen tiefgreifenden<br />

Strukturwandel von einem landwirtschaftlich geprägten Peripherraum zu einer äußerst<br />

dynamischen Region mit starkem Beschäftigungswachstum vollzogen. Prägende<br />

Branchen sind das Baugewerbe, die Ernährungswirtschaft, die Kunststoffverarbeitung<br />

sowie der Maschinenbau. 102 Trotz des Niedergangs der Textilindustrie<br />

und den damit verbundenen erheblichen Strukturbrüchen zählte der Landkreis in<br />

den vergangen Jahren zu den wachstumsstärksten Regionen des Bundesgebietes<br />

und kann aktuell mit 4,6 % auf eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten im Land<br />

Niedersachsen verweisen (Stand November 2010).<br />

2.2. Das Regionalisierte Teilbudget im Landkreis Grafschaft<br />

Bentheim<br />

Zu Beginn der Förderperiode waren die 2,5 Mio. Euro EFRE-Mittel des Regionalisierten<br />

Teilbudgets durch den Landkreis bzw. den Kreistag auf die drei Schwerpunkte<br />

zu verteilen. Entsprechend einer Empfehlung der Investitions- und Förderbank<br />

Niedersachsen (NBank) hat die Grafschaft Bentheim – wie die Mehrzahl der<br />

niedersächsischen Landkreise und kreisfreien Städte – rund zwei Drittel der Mittel<br />

auf den Schwerpunkt 1 und damit die Umsetzung des kommunalen KMU-<br />

Förderprogramms konzentriert (255.000 Euro/Jahr). Die restlichen Mittel wurden zu<br />

gleichen Teilen auf die Schwerpunkte 2 und 3 verteilt (jeweils 51.000 Euro/Jahr).<br />

Das macht deutlich, dass die kommunale KMU-Förderung hinsichtlich der Mittelausstattung<br />

den zentralen Aspekt der Regionalisierten Teilbudgets darstellt und<br />

insofern in der folgenden Darstellung etwas ausführlicher betrachtet werden sollte.<br />

2.3. Die KMU-Förderung im Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

Der Landkreis Grafschaft Bentheim konnte bereits im Jahr 2002 im Zuge der vorausgegangenen<br />

EFRE-Ziel 2 Förderung eine KMU-Förderrichtlinie einführen. Über<br />

diese Richtlinie konnten Unternehmen, die in der Grafschaft Bentheim investieren<br />

und neue Arbeitsplätze schaffen, einen Zuschuss zu ihren Investitionskosten erhal-<br />

101 Vgl. BBSR (2010): http://www.bbsr.bund.de/nn_103086/BBSR/DE/Raumbeobachtung/Werkzege/<br />

Raumabgrenzungen/SiedlungsstrukturelleGebietstypen/Regionstypen/regionstypen.html (zugegriffen<br />

am 29.12.2010).<br />

102 vgl. KIEHL, MICHAEL (2010): Aus der Randlage auf die Überholspur. Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft;<br />

In: Burkert: Die Grafschaft Bentheim, 477-487, Bad Bentheim.


158 Dr. Michael Kiehl<br />

ten. Mit der Einführung der Regionalisierten Teilbudgets auf Grundlage der Rahmenregelung<br />

des Landes Niedersachsen für die kommunale Förderung kleiner und<br />

mittlerer Unternehmen aus dem EFRE vom 03.08.2007 bestand für die Grafschaft<br />

Bentheim die Chance, die erfolgreiche kommunale KMU-Förderung fortzusetzen.<br />

Bereits im September des gleichen Jahres wurde durch einen Kreistagsbeschluss<br />

die neue KMU-Richtlinie des Landkreises Grafschaft Bentheim in Kraft gesetzt. Im<br />

Zuge der kommunalen KMU-Richtlinie wird die Landesrahmenregelung insbesondere<br />

hinsichtlich der Förderkriterien und -voraussetzungen (z.B. Zahl der zu schaffenden<br />

Arbeitsplätze, förderfähige Branchen, förderfähige Investition je Arbeitsplatz,<br />

Maximalförderung) konkretisiert und an die regionalen Besonderheiten angepasst.<br />

Die Kernelemente der KMU-Richtlinie des Landkreises Grafschaft Bentheim lassen<br />

sich wie folgt zusammenfassen:<br />

1. Zuwendungszweck, Rechtsgrundlage<br />

Zur Schaffung neuer und Sicherung vorhandener Arbeitsplätze gewährt der<br />

Landkreis Grafschaft Bentheim finanzielle Zuwendungen zu investiven Maßnahmen<br />

von KMU. Die Förderung erfolgt auf der Grundlage der Allgemeinen<br />

Gruppenfreistellungsverordnung (AGFVO). Ein Anspruch auf die Gewährung<br />

einer Zuwendung nach der Richtlinie besteht nicht.<br />

2. Antragsberechtigung<br />

Antragsberechtigt sind KMU des produzierenden Gewerbes, des verarbeitenden<br />

Handwerks, des Großhandels und der Logistik – außer Transport- und Lagergewerbe<br />

– soweit sich der Sitz der Betriebsstätte im Landkreis Grafschaft<br />

Bentheim befindet und sie die aktuellen Kriterien der Europäischen Union für<br />

staatliche Beihilfen an KMU erfüllen.<br />

3. Gegenstand der Förderung<br />

Gefördert werden Anlageinvestitionen bei der Errichtung oder Erweiterung einer<br />

neuen Betriebsstätte oder der Erwerb einer stillgelegten Betriebsstätte.<br />

Voraussetzung für eine Förderung ist, dass die Zahl der Dauerarbeitsplätze um<br />

15 % gegenüber dem Stand vor Investitionsbeginn erhöht wird. Es müssen<br />

mindestens zwei Dauerarbeitsplätze geschaffen werden, davon mindestens ein<br />

Vollzeitarbeitsplatz. Da dem Landkreis Grafschaft Bentheim die Förderung von<br />

Ausbildungsplätzen besonders wichtig ist, zählen Ausbildungsplätze doppelt.<br />

Die durch die Investition geschaffenen Dauerarbeitsplätze müssen mindestens<br />

drei Jahre besetzt bleiben bzw. nachweislich auf dem Arbeitsmarkt angeboten<br />

werden.<br />

Die Investitionsmaßnahme muss ein förderfähiges Volumen in Höhe von mindestens<br />

50.000 Euro haben. Die maximale Förderung je Investitionsvorhaben<br />

beträgt 40.000 Euro. Investitionszuschüsse kommen nur für den Teil der Inve-


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 159<br />

stition in Betracht, der je geschaffenem Dauerarbeitsplatz 75.000 Euro nicht<br />

übersteigt.<br />

4. Art, Umfang und Höhe der Zuwendung:<br />

Die Beihilfe wird in Form eines nicht rückzahlbaren, sachkapitalbezogenen Investitionszuschusses<br />

als Anteilsfinanzierung gewährt. Der Zuschuss kann bei<br />

kleinen Unternehmen im Sinne der Definition der EU bis zu 20 % und mittleren<br />

Unternehmen im Sinne der Definition der EU bis zu 10 % der förderfähigen<br />

Kosten betragen.<br />

Anders als bei der einzelbetrieblichen Förderung der Gemeinschaftsaufgabe zur<br />

Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) ist ein über<strong>regionaler</strong> Absatzmarkt<br />

für die KMU-Förderung nicht Voraussetzung. Da die Grafschaft Bentheim<br />

zum Fördergebiet der GRW zählt, ergänzen sich beide Programme im Landkreis.<br />

Unternehmen mit einem überregionalen Absatzmarkt stellen Förderanträge über die<br />

GRW, während Unternehmen, die überwiegend regional agieren, eine Förderung<br />

der KMU-Richtlinie in Anspruch nehmen können. Dies erklärt auch die im Vergleich<br />

zu anderen Landkreisen hohe Maximalförderung von 40.000 Euro. Bis zum Jahr<br />

2010 hat die RTB-Maximalförderung im Landkreis Grafschaft Bentheim sogar<br />

60.000 Euro betragen. Mit einer deutlichen Verknappung der GRW-Mittel in 2010<br />

und einer Verschiebung der Förderfälle aus der GRW-Förderung in die KMU-<br />

Förderung musste jedoch eine Reduzierung der Maximalförderung vorgenommen<br />

werden.<br />

Die Bilanz der KMU-Förderung fällt äußerst positiv aus. So konnten allein im Zeitraum<br />

2007 bis 2010 über 70 unternehmerische Investitionsvorhaben mit einem Zuschuss<br />

begleitet werden. Mit einem Zuschussvolumen in Höhe von knapp 2,5 Mio.<br />

Euro wurden Gesamtinvestitionen in der Höhe von gut 28 Mio. Euro angestoßen<br />

und insgesamt 215 Arbeitsplätze, darunter 50 Ausbildungsplätze geschaffen. Dies<br />

entspricht einem Fördermitteleinsatz von rd. 11.600 Euro je geschaffenem Arbeitsplatz,<br />

was deutlich unter dem durchschnittlichen Fördermitteleinsatz je geschaffenen<br />

Arbeitsplatz in der GRW von rd. 22.000 Euro liegt. 103<br />

103 Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />

zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 84.


160 Dr. Michael Kiehl<br />

2.4. Umsetzung des Regionalisierten Teilbudgets in den Schwerpunkten<br />

2 und 3<br />

Im Gegensatz zur KMU-Förderung erfolgt in den Schwerpunkten 2 und 3 ein zentrales<br />

durch die NBank gesteuertes Verfahren. Sowohl die Beratung und die Antragsaufnahme<br />

als auch die Prüfung der Förderfähigkeit und -würdigkeit obliegt der<br />

NBank. Die Landkreise und kreisfreien Städte haben lediglich ein qualifiziertes Vorschlagsrecht,<br />

die benannten Anträge werden anschließend jedoch auf der Grundlage<br />

richtlinienspezifischer Qualitätskriterien hinsichtlich ihrer Förderfähigkeit (z.B.<br />

eine Mindestpunktzahl im Scoringverfahren) bewertet. Gleichfalls werden – ebenfalls<br />

anders als bei der KMU-Förderung – auch die Bescheiderstellung, das Berichtswesen,<br />

die Vorort-Kontrollen und die Verwendungsnachweisprüfung nicht<br />

durch die Kommunen sondern durch die NBank vorgenommen.<br />

Im Landkreis Grafschaft Bentheim wurden die Fördermöglichkeiten des Schwerpunkts<br />

2 zum einen für die Erweiterung des kommunalen Technologietransfers und<br />

zum anderen für die Umsetzung eines Clustermanagements im Kunststoffnetzwerk<br />

genutzt:<br />

Technologietransfer über das Steinbeis Transferzentrum Grafschaft Bentheim<br />

Wissen und Innovationen werden für die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> von Unternehmen<br />

immer wichtiger. Tendenziell gelten ländliche Regionen, bedingt durch ihre räumliche<br />

Distanz zu Forschungs- und <strong>Entwicklung</strong>seinrichtungen, als benachteiligt bei<br />

der Diffusion von Wissen. 104 Diese Erkenntnis hat den Landkreis im Jahr 2002<br />

veranlasst einen Kooperationsvertrag mit der Steinbeis-Stiftung zum Technologietransfer<br />

abzuschließen. Durch die Verknüpfung und das Zusammenführen von<br />

mittlerweile mehr als 700 Steinbeis-Zentren und den leistungsfähigen regionalen<br />

Unternehmen in Beratungsgesprächen werden Impulse für die <strong>Entwicklung</strong> und<br />

Umsetzung von Zukunftstechnologien gegeben. Durch die Einführung der Richtlinie<br />

”Technologietransfer in Gebietskörperschaften” in die Regionalisierten Teilbudgets<br />

war es dem Landkreis Grafschaft Bentheim möglich, dieses Angebot<br />

weiter aufrecht zu erhalten und auszuweiten. Seit der Förderung aus dem Regionalbudget<br />

wurden 111 Beratungen bei Grafschafter Unternehmen durchgeführt.<br />

Über 90 % der beratenen Unternehmen zeigten sich mit dem Angebot sehr zufrieden.<br />

104 Glaeser, Edward; et al. (1992): Growth in cities. In: Journal of Political Economy, No. 100, S.<br />

1126-1152, Frenkel, Ammon und David Scheffer (1996): Modelling Regional Innovativeness and<br />

Innovation. In: The Annals of Regional Science, S. 31-54.


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 161<br />

Kunststoffnetzwerk der Ems-Achse<br />

Über die Richtlinie ”Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur” können u.a. Kooperationsnetzwerke<br />

und Clustermanagement gefördert werden. Der Landkreis<br />

Grafschaft Bentheim ist seit 2006 mit der Betreuung eines Kunststoffnetzwerkes<br />

der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. (siehe auch zweiter Teil des Beitrags) betraut.<br />

Um die Personal- und Geschäftskosten des Clustermanagements aber auch<br />

die Projektaktivitäten des Kunststoffnetzwerkes finanzieren zu können, stellte der<br />

Landkreis im Jahr 2007 einen Antrag auf Förderung bei der NBank. Der Antrag<br />

wurde unter der Maßgabe bewilligt, dass ein Teil der 50-prozentigen Förderung<br />

aus Mitteln des Regionalisierten Teilbudgets entnommen wird.<br />

Mit diesen beiden bewilligten Maßnahmen sind die Mittel des Schwerpunkts 2 aus<br />

dem Regionalisierten Teilbudget nahezu vollständig gebunden. Für die Mittel des<br />

Schwerpunkts 3 konnte hingegen bis zum Jahreswechsel 2009/2010 keine Verwendung<br />

gefunden werden. Ursprünglich war beabsichtigt worden, die Mittel über<br />

die Richtlinie ”Breitbandnetze” für die Förderung der Breitbandversorgung in den<br />

ländlichen Außenbereichen der Grafschaft Bentheim einzusetzen. Die äußerst geringe<br />

Maximalförderung von 100.000 Euro sowie die neu entstandenen Fördermöglichkeiten<br />

über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und<br />

des Küstenschutzes bzw. das Konjunkturpaket machten diese Überlegungen jedoch<br />

obsolet. Vor diesem Hintergrund wurde zum Haushaltsjahr 2010 die Übertragung<br />

der Mittel aus dem Schwerpunkt 3 auf den Schwerpunkt 1 (KMU-Förderung) bei der<br />

NBank beantragt und bewilligt. Damit fließen von 2010 bis 2013 jährlich nunmehr<br />

344.000 Euro EFRE-Mittel in die KMU-Förderung des Landkreises.<br />

3. Das GRW-Regionalbudget am Beispiel der Initiative<br />

”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”<br />

Bei dem Projekt ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen” handelt es sich um<br />

eine Initiative der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. zur Gewinnung von Fach- und<br />

Führungskräften. Das Projekt wurde ermöglicht durch die Einführung von so genannten<br />

Regionalbudgets in die GRW im Jahr 2008. Über dieses Förderinstrument<br />

können Regionen einen Zuschuss von maximal 300.000 Euro pro Jahr für bis zu<br />

drei Jahre erhalten, um Projekte zu realisieren, die die Wirtschaftskraft der Region<br />

stärken. Voraussetzung sind eine Kreisgrenzen übergreifende Kooperation, ein<br />

funktionierendes Regionalmanagement, eine vorgeschaltete Potentialanalyse sowie<br />

eine enge Zusammenarbeit in der Umsetzungsphase mit Unternehmen. Mit der<br />

Einführung von Regionalbudgets schließt die GRW an die Förderung von Regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepten seit Mitte der 1990er Jahre an. Schon mit den Regio-


162 Dr. Michael Kiehl<br />

nalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepten wurde die Hoffnung verbunden, über die Einbindung<br />

<strong>regionaler</strong> Akteure und Expertise innovative und neuartige Lösungsansätze für die<br />

wirtschaftliche Regionalentwicklung vor Ort zu generieren. Dieser Gedanke wird mit<br />

der Einführung von Regionalbudgets aufgegriffen und insofern erweitert, als nunmehr<br />

nicht nur die Erstellung von Konzepten gefördert wird, sondern Regionen – für<br />

die Realisierung ihrer neuartigen Ideen – Budgets zur eigenverantwortlichen Umsetzung<br />

erhalten können. 105<br />

Am Beispiel des Projekts ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”, das zu den<br />

ersten beiden geförderten Projekten in Niedersachsen aus dem Regionalbudget der<br />

GRW gehört, soll im Folgenden exemplarisch die Umsetzung dieses Förderinstruments<br />

aufgezeigt werden.<br />

3.1. Die Wachstumsregion Ems-Achse<br />

Die Wachstumsregion Ems-Achse liegt im Nordwesten Niedersachsens an der<br />

Grenze zu den Niederlanden und umfasst die Landkreise Aurich, Emsland, Grafschaft<br />

Bentheim, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden. Der Verein<br />

”Wachstumsregion Ems-Achse e.V.” wurde von den beteiligten Landkreisen, der<br />

kreisfreien Stadt Emden sowie von den Industrie- und Handelskammern und einigen<br />

Unternehmen im Jahr 2006 gegründet. 106<br />

Mitglieder des Wachstumsregion Ems-Achse e.V. können neben den Gebietskörperschaften<br />

alle Wirtschaftsunternehmen der Region, Kammern, Wirtschaftsverbände,<br />

Bildungseinrichtungen sowie weitere juristische Personen mit enger Beziehung<br />

zur Region werden. In kurzer Zeit konnte die Mitgliederzahl des Vereins auf<br />

mehr als 350 gesteigert werden. Besonders erfreulich ist die große Akzeptanz des<br />

Vereins in der Unternehmerschaft. Derzeit sind rund drei Viertel der Mitglieder regionale<br />

Unternehmer. Dies bringt auch die Struktur des Vereinsvorstandes zum<br />

Ausdruck, der paritätisch mit Unternehmensvertretern und den Hauptverwaltungsbeamten<br />

der beteiligten Landkreise besetzt ist. Der starken unternehmerischen<br />

Prägung des Ems-Achse e.V. kommt aus Sicht des Verfassers eine große Bedeutung<br />

bei der erfolgreichen <strong>Entwicklung</strong> und Umsetzung des Regionalbudgets zu. So<br />

ist die maßgebliche Beteiligung der Unternehmen ein Garant dafür, dass nur solche<br />

Projekte für die Umsetzung vorgeschlagen werden, von denen sich auch die Unternehmen<br />

der Region einen echten Mehrwert versprechen.<br />

105 Vgl. BUNDESDRUCKSACHSE 16/13950 (2009): Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />

”Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur”, Berlin.<br />

106 Vgl. BRÖRING, Hermann (2009): Die Emsachse als Ansatz für eine moderne Governance-Struktur<br />

im ländlichen Raum; In: Neues Archiv für Niedersachsen, S. 86-97.


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 163<br />

Entsprechend Ihrer wirtschaftlichen Stärken und Potentiale konzentriert sich die Arbeit<br />

der Wachstumsregion Ems-Achse auf sechs Schwerpunktbranchen bzw. Kompetenzfelder.<br />

Dies sind die Kompetenzfeder Energie, Kunststoff, Logistik, Maritime<br />

Verbundwirtschaft, Metall- und Maschinenbau sowie Tourismus. Jedes dieser Kompetenzfelder<br />

wird federführend durch einen der beteiligten Landkreise bzw. die<br />

Stadt Emden dezentral für den gesamten Wirtschaftsraum betreut.<br />

3.2. Das Regionalbudget – ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste<br />

Chancen”<br />

Im Jahr 2008 stellte das Themenfeld Fachkräftemangel bzw. die Gewinnung von<br />

Fachkräften einen Arbeitsschwerpunkt in allen beteiligten Kompetenzfeldern dar.<br />

Die Unternehmensvertreter beklagten vermehrt Schwierigkeiten bei der Besetzung<br />

von Stellen bzw. bei der (überregionalen) Akquisition von Fachkräften. Gleichzeitig<br />

quantifizierte eine Beschäftigungsprojektion für die Wachstumsregion Ems-Achse<br />

den zu erwartenden Fachkräftemangel eindrücklich. 107 Vor diesem Hintergrund<br />

wurde in den Gremien der Wachstumsregion Ems-Achse e.V. im Sommer 2009<br />

entschieden, sich an der ersten Ausschreibung des Landes Niedersachsen zur Vergabe<br />

von Regionalbudgets mit einer Fachkräftestrategie zu beteiligen. In zahlreichen<br />

Workshops mit Experten aus den Landkreisen sowie Vertretern von Unternehmen,<br />

Bildungsträgern und Kammern wurden Zielgruppen definiert, Projektideen<br />

entwickelt und nach einer abschließenden Priorisierung mit konkreten Finanzplänen<br />

unterlegt. Der gesamte <strong>Entwicklung</strong>sprozess erfolgte in enger Abstimmung mit der<br />

für die Bewilligung zuständigen NBank, was insbesondere aus zwei Gründen erforderlich<br />

war: Zum einen erfolgt die Vergabe der GRW-Regionalbudgets in Niedersachsen<br />

auf der Grundlage der recht allgemeinen ”Richtlinie über die Gewährung<br />

von Zuwendungen zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und zur Förderung<br />

wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen”. Ist dies im Grunde äußerst erfreulich,<br />

da es den Regionen tatsächlich Raum für innovative Lösungen lässt, erlaubt es<br />

jedoch ohne enge Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber auch keinerlei Gewissheit<br />

darüber, ob einzelne Maßnahmen förderfähig sind. Zum anderen war die enge<br />

Abstimmung mit der NBank auch deshalb unerlässlich, da das Regionalbudget zu<br />

erheblichen Teilen aus dem EFRE gespeist wird. Die Fachkräftestrategie mit ihren<br />

am Arbeitsmarkt orientierten Ansätzen weist jedoch in einigen Bereichen eine inhaltliche<br />

Nähe zu den Förderzielen des Europäischen Sozialfonds (ESF) auf, so<br />

dass zwingend auf eine Abgrenzung zu ESF Maßnahmen geachtet werden musste.<br />

107 Vgl. GWS Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (2009): Beschäftigungsprojektion<br />

Wachstumsregion Ems-Achse bis zum Jahr 2025, Abschlussbericht im Auftrag der Regionaldirektion<br />

Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit, Osnabrück.


164 Dr. Michael Kiehl<br />

Letztlich konnte die Wachstumsregion Ems-Achse e.V. im Dezember 2009 einen<br />

Bewilligungsbescheid über 900.000 Euro für drei Jahre in Empfang nehmen und<br />

erhielt im Sommer 2010 die Freigabe für die im Businessplan detailliert aufgeschlüsselten<br />

Projekt- und <strong>Finanzierung</strong>spläne. Damit konnte die Umsetzung der<br />

Maßnahmen aus dem Regionalbudget im September 2010 beginnen.<br />

Mit der Förderung von 900.000 Euro und der regionalen Kofinanzierung in Höhe<br />

von je 450.000 Euro durch die Landkreise und die Stadt Emden sowie die Mitgliedsunternehmen<br />

stehen nun 1,8 Millionen Euro für die Umsetzung insbesondere<br />

folgender sechs Projekte zur Verfügung 108 :<br />

1. Servicestelle für zuziehende Fachkräfte<br />

Ziel dieser Maßnahme ist eine bedarfsorientierte Betreuung zuziehender Fachund<br />

Führungskräfte, die über den eigentlichen Arbeitsplatz hinausgeht. Sowohl<br />

in der Geschäftsstelle als auch bei den beteiligten Landkreisen und der Stadt<br />

Emden werden Servicestellen eingerichtet, die den Fachkräften Unterstützungsleistungen<br />

z.B. bei der Immobiliensuche, der Suche nach einem Kindergartenplatz<br />

oder der Jobsuche für den Ehepartner behilflich sind. Unternehmen<br />

erhalten die Möglichkeit bereits im Bewerbungsgespräch einen Service-<br />

Gutschein an die potentielle Fachkraft zu vergeben, was dazu beitragen soll,<br />

dass sich der Bewerber für das Unternehmen und für die Region entscheidet.<br />

2. Deutschlandweite Akquisition von Fachkräften<br />

Die Wachstumsregion Ems-Achse wird in den kommenden Jahren bundesweit<br />

an Job- und Hochschulabsolventenmessen teilnehmen und für die Berufschancen<br />

in der Region werben. Konkret sollen Informationen über die Kompetenzfelder<br />

der Region, über die vielfältige Unternehmenslandschaft sowie<br />

über die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort vermittelt werden. Darüber<br />

hinaus haben die Unternehmen die Chance, konkrete Stellenangebote aber<br />

auch Unternehmensprofile in einer neuen, auf Fachkräfte ausgerichteten Stellenbörse<br />

(www.jobachse.de) zu präsentieren. Mit beiden Maßnahmen soll die<br />

Ems-Achse neben ihrem Image als Urlaubsregion auch als Standort vielfältiger<br />

innovativer und zukunftssicherer Unternehmen im Bewusstsein potentieller<br />

Fachkräfte verankert werden.<br />

108 Vgl. Kipp, Daniel und Marco Stüber (2010): Ems-Achse, beste Köpfe - beste Chancen! Busi-<br />

nessplan zum Regionalbudget.


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 165<br />

3. Kontakthaltemaßnahmen zu Absolventen der Region<br />

Auf Grund der geringen Hochschuldichte verlassen viele junge Menschen die<br />

Region für ihre akademische Ausbildung. Wer die Region für ein Studium oder<br />

aus anderen privaten oder beruflichen Gründen verlässt, muss jedoch nicht auf<br />

Dauer für den regionalen Arbeitsmarkt verloren sein. Vielmehr zeigt die Erfahrung,<br />

dass ”Ehemalige” eine zentrale Zielgruppe für die Fachkräfteaktivitäten<br />

der Ems-Achse sind, da sie auf Grund ihrer oftmals hohen emotionalen Bindung<br />

an die Region leichter und dauerhafter für den regionalen Arbeitsmarkt zu<br />

gewinnen sind als Zuzügler. Um das Potential der ”Ehemaligen” für die Ems-<br />

Achse besser und konsequenter zu nutzen als bisher, wird in Zukunft eine Absolventendatenbank<br />

aufgebaut, in die sich Schulabsolventen eintragen können.<br />

Über regelmäßige Newsletter mit Informationen aus der Region, Stellenangeboten<br />

und Praktikumsmöglichkeiten bleibt die Region mit ihren Absolventen<br />

im Kontakt.<br />

4. Entrepreneurship-Offensive an den regionalen Hochschulen<br />

Zum einen werden auch die Absolventen der regionalen Hochschulstandorte<br />

(Emden/Leer sowie Osnabrück Standort Lingen) verstärkt über die beruflichen<br />

Perspektiven in der Region informiert werden. Darüber hinaus soll jedoch auch<br />

der Unternehmergeist der Studierenden systematisch gestärkt werden, um das<br />

kreative und innovative Potential der regionalen Fachhochschulstudierenden<br />

für Unternehmensneugründungen und das mindestens ebenso wichtige Feld<br />

der Unternehmensnachfolge zu nutzen. Nach einer Sensibilisierung aller Studierenden<br />

für das Themenfeld Entrepreneurship durch Informationsveranstaltungen<br />

und verpflichtende Vorlesungen sollen gründungswillige Studierende<br />

einen nahtlosen Übergang von den Angeboten der Hochschule in die regionale<br />

Unterstützungsstruktur – z.B. in die regionalen Gründerzentren in Emden, Lingen<br />

und Nordhorn – vorfinden.<br />

5. Notfallbetreuung für Kinder<br />

Da die Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Ems-Achse deutlich unter dem<br />

Bundesdurchschnitt liegt, sind Frauen eine weitere zentrale Zielgruppe der Initiative<br />

”Ems-Achse, beste Köpfe – beste Chancen”. Der Maßnahme Notfallbetreuung<br />

für Kinder liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass Familien die Kinderbetreuung<br />

im Alltag mittlerweile gut organisieren können und auf ein regional gut<br />

ausgebautes Netz an Unterstützungsdienstleistungen und Betreuungseinrichtungen<br />

zurückgreifen können. Probleme treten allerdings regelmäßig bei<br />

Krankheitsfällen der Kinder oder etwa bei ausfallender Kinderbetreuung<br />

(Krankheit der Tagespflegeperson/Schulausfall etc.) auf. Über das Projekt wird


166 Dr. Michael Kiehl<br />

eine kurzfristige Betreuung von Kindern im Zuge solcher ”Notfälle” sichergestellt.<br />

Fest angestellte Tagesmütter halten sich auf Abruf bereit und werden bei<br />

Bedarf binnen zwei Stunden an eine Familie vermittelt. Das Angebot ist für die<br />

Familien kostenlos und darf jeweils für einen Tag in Anspruch genommen werden.<br />

6. Gezieltes Regionalmarketing<br />

Die Wachstumsregion Ems-Achse als dynamische Wirtschaftsregion ist als Arbeits-<br />

und Lebensraum noch nicht ausreichend bekannt. Um die Standortvorteile<br />

und <strong>Entwicklung</strong>sperspektiven deutlich zu machen, ist ein gezieltes Regionalmarketing<br />

für die Ems-Achse erforderlich. Das beinhaltet z.B. die <strong>Entwicklung</strong><br />

und Umsetzung einer einheitlichen Marketingstrategie ”Ems-Achse –<br />

Jobmotor Nordwest”, eine aktive überregionale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

eine professionelle Social-Media-Strategie oder auch die Teilnahme an<br />

überregionalen Standortmessen (z.B. Expo Real).<br />

4. Fazit<br />

Im vorliegenden Beitrag wurden mit den Regionalisierten Teilbudgets aus der<br />

EFRE-Förderung des Landes Niedersachsen und dem Regionalbudget aus der<br />

GRW zwei bedeutende Instrumente der Regionalfinanzierung praktisch vorgestellt.<br />

Bevor abschließend einige allgemeine Anmerkungen zur Regionalfinanzierung aus<br />

Sicht einer Kommune vorgenommen werden, soll zunächst eine Bewertung der beiden<br />

Förderinstrumente erfolgen.<br />

Das Regionalisierte Teilbudget des Landes Niedersachsen ist sicher als eine sehr<br />

weitreichende Form der Regionalisierung von EFRE-Mitteln zu betrachten. Dies<br />

wird nicht zuletzt in der bundesdeutschen Perspektive deutlich, nach der Niedersachsen<br />

neben dem Land Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland in<br />

Deutschland ist, das die Umsetzungs- und Entscheidungsprozesse eines Programms<br />

in der EFRE-Förderung den Kommunen in ihrer Gebietskörperschaft überträgt.<br />

109 Durch die Rahmenrichtlinie in Förderschwerpunkt 1 (KMU-Förderung) und<br />

die Richtlinien in den Förderschwerpunkten 2 und 3 auf der einen Seite sowie durch<br />

die Empfehlung zur Mittelaufteilung auf die drei Schwerpunkte auf der anderen<br />

Seite hat das Land einen Rahmen zur Ausgestaltung der Regionalisierten Teilbudgets<br />

vorgegeben. Auch wenn dieser Rahmen sowohl bei der Mittelverteilung als<br />

auch bei der Formulierung der kommunalen KMU-Richtlinien durchaus lokale Flexibilität<br />

und lokale Schwerpunktsetzungen erlaubt, wäre aus Sicht der Landkreise und<br />

109 Vgl. Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />

zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 7.


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 167<br />

kreisfreien Städte in der Praxis weitergehender Gestaltungsspielraum sehr wünschenswert.<br />

So sind bspw. inhaltliche Schwerpunktsetzungen neben den vom Land<br />

benannten Richtlinien nicht möglich, obwohl die gesamte Kofinanzierung der EFRE-<br />

Mittel über kommunale Mittel erfolgt. Dies gilt selbst für solche Projekte, die durch<br />

andere Landesrichtlinien zur EFRE-Förderung abgedeckt wären, wenn diese Richtlinien<br />

nicht für die Regionalisierten Teilbudgets freigegeben sind. Dies hängt damit<br />

zusammen, dass sich die Landesregierung in der Umsetzung der Regionalisierten<br />

Teilbudgets nicht zu einem ressortübergreifenden Ansatz entschließen konnte und<br />

die Budgets nur aus EFRE-Mitteln des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft,<br />

Arbeit und Verkehr gespeist wurden. Selbst bei einer Berücksichtigung des<br />

Anlastungsrisikos und des damit berechtigten Steuerungsanliegens durch das Land<br />

Niedersachsen, wäre daher eine flexiblere und inhaltlich weiter gefasste Gestaltung<br />

der regionalisierten Teilbudgets durchaus möglich gewesen.<br />

Im Zuge der Darstellung des GRW-Regionalbudgets am Beispiel des Fachkräfteprojektes<br />

in der Wachstumsregion Ems-Achse ist deutlich geworden, dass Regionalfinanzierung<br />

Raum für innovative Ideen vor Ort lässt. Nachdem das Land Niedersachsen<br />

einer Umsetzung der Regionalbudgets zunächst skeptisch gegenüber<br />

stand, 110 entschied man sich letztlich für eine sehr flexible Lösung. So wurden die<br />

Regionalbudgets nicht über eine eigene Richtlinie inhaltlich konkretisiert, sondern in<br />

die recht allgemeine Richtlinie zur ”Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und<br />

zur Förderung wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen” als Fördertatbestand integriert.<br />

Dieses Vorgehen erlaubte in der Antragstellung und in der inhaltlichen Projektkonkretisierung<br />

eine sehr weitgehende Flexibilität, die die Wachstumsregion<br />

Ems-Achse für die Beantragung des Projekts ”Ems-Achse, beste Köpfe – beste<br />

Chancen” nutzen konnte. Gerade dieses Fachkräfteprojekt an der Nahtstelle zwischen<br />

ESF- und EFRE-Förderung macht deutlich, dass eine inhaltlich weit gefasste<br />

Richtlinie, die pauschalierte Zuweisung eines Budgets und die enge Abstimmung<br />

zwischen Fördergeber und Förderempfänger zu wertvollen regionalen Lösungen<br />

führen können. Insbesondere ist auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />

Antragsteller und der NBank als Bewilligungsstelle hinzuweisen. Vor dem Hintergrund<br />

dieser engen Zusammenarbeit konnte der Förderrahmen so weit ausgenutzt<br />

werden, dass die kommunalen Akteure bestmögliche Lösungen für Ihre Anliegen<br />

vor Ort erhalten und zugleich das Land eine ordnungsgemäße Verwendung der<br />

Mittel gewährleisten kann.<br />

110 Vgl. Hartke, Stefan (2010): Grenzen <strong>regionaler</strong> Globalbudgets – Regionale Umsetzungsansprüche<br />

vs. Staatliche Wirtschaftsförderung und Landesentwicklungspolitik; In: Seminarbericht der<br />

Gesellschaft für Regionalforschung, forthcoming.


168 Dr. Michael Kiehl<br />

Grundsätzlich ist anzumerken, dass Regionalfinanzierung aus Sicht der Kommunen<br />

auf Dauer nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Subsidiaritätsgedanke auch im<br />

Falle finanzieller Förderung ernst gemeint ist. Dazu drei Gedanken:<br />

1. Innovative dezentrale Lösungen vor Ort brauchen Experimentierklauseln:<br />

Sollen über die verschiedenen Instrumente zur Regionalfinanzierung tatsächlich<br />

die endogenen Potentiale zur Ableitung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />

genutzt werden, kann eine Regionalfinanzierung inhaltlich nicht vollständig<br />

über Richtlinien ”vorgedacht” werden. Dies ist durchaus als Appell zu verstehen,<br />

die Regionalfinanzierung in Form von Globalzuschüssen zu gestalten, bei<br />

denen die Mittelverwendung vollkommen auf die nachgelagerte, kommunale<br />

Ebene verlagert wird. Das Beispiel der Umsetzung des Regionalbudgets aus<br />

der GRW oder die positiven Erfahrungen mit sogenannten Experimentierklauseln<br />

in LEADER+ machen jedoch deutlich, dass es auch unterhalb der<br />

Schwelle der Globalzuschüsse möglich ist, innovative Lösungen vor Ort durch<br />

Regionalfinanzierung zu ermöglichen und gleichzeitig das Anlastungsrisiko der<br />

Landesebene gegenüber der EU zu minimieren.<br />

2. Regionalfinanzierung muss spürbar mehr sein als die Organisation dezentraler<br />

Kofinanzierung:<br />

Ein offen kommuniziertes Ziel des Landes Niedersachsen bei der Einführung<br />

der Regionalisierten Teilbudgets war es, ”einen wesentlichen Kofinanzierungsanteil<br />

auf die Gebietskörperschaften zu übertragen” 111 Für die EU-<br />

Förderperiode ab 2014, mit zu erwartenden deutlichen Rückgängen der EFRE-<br />

Mittel, lehnt das Land Niedersachsen eine Fortführung der Regionalisierten<br />

Teilbudgets bzw. eine Einführung von regionalen Globalbudgets ab. Prioritär<br />

wird die Durchführung einer eigenen Wachstums- und Ausgleichspolitik verfolgt.<br />

112 Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit von Landeswirtschaftspolitik<br />

kann diese Betrachtungsweise die Akteure vor Ort nicht davon überzeugen,<br />

dass die Einbindung <strong>regionaler</strong> Akteure und Expertise für innovative und neuartige<br />

Lösungsansätze ernsthaft gewünscht ist.<br />

111 Brünink, Daniel; Bornemann, Holger; Skubowius, Alexander (2010): Endbericht zur Sonderuntersuchung<br />

zu den Regionalisierten Teilbudgets, Bremen/ Hannover. S. 10.<br />

112 Hartke, Stefan (2010): Grenzen <strong>regionaler</strong> Globalbudgets – Regionale Umsetzungsansprüche vs.<br />

Staatliche Wirtschaftsförderung und Landesentwicklungspolitik; In: Seminarbericht der Gesellschaft<br />

für Regionalforschung, forthcoming. S. 35.


RTB und Regionalbudget in der Grafschaft Bentheim 169<br />

3. Regionalfinanzierung als Ergänzung, nicht als Alternative zur Regelförderung:<br />

Auch aus Sicht eines kommunalen Vertreters kann es nicht das Ziel sein, die<br />

bestehende Regelförderung durch Regionalfinanzierung zu ersetzen. So sind<br />

zum einen die Schwierigkeiten und Grenzen regionalisierter Strukturpolitik<br />

auch aus theoretischer Perspektive hinlänglich diskutiert und offenkundig. 113<br />

Zum anderen ist die Bedeutung von Wachstums- und Ausgleichspolitik auf<br />

übergeordneten Politikebenen unstreitig. Durch die Ergänzung beider Politikansätze<br />

– ressortübergreifende Regionalbudgets auf der einen Seite und<br />

fachspezifische Maßnahmenpakete und Richtlinien auf Landesebene auf der<br />

anderen Seite – ließen sich die Vorzüge beider Instrumente in bester Weise für<br />

die wirtschaftliche Regionalentwicklung nutzbar machen.<br />

Kontakt:<br />

Dr. Michael Kiehl<br />

Leiter Fachbereich Wirtschaftsförderung und Bauwesen<br />

Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

Tel.: 05921-961513<br />

E-Mail: michael.kiehl@grafschaft.de<br />

113 PESCHEL, KARIN (1984): Über die Unmöglichkeit endogener <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> in hochindustrialisierten<br />

Volkswirtschaften. In: Gesellschaft für Regionalforschung e. V. (Hrsg.): Jahrbuch für<br />

Regionalwissenschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 29-47, BADE, Franz-Josef (1998):<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Regionalisierung der regionalen Strukturpolitik. In: Raumforschung<br />

und Raumordnung 1/1998, S. 3-8.


170 Dr. Michael Kiehl


Regional verbunden, überregional vernetzt – Integrierte<br />

ländliche <strong>Entwicklung</strong> in der Altmark<br />

von Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />

1. Die Altmark – Sachsen-Anhalts schöner Norden setzt<br />

auf nachhaltige Regionalentwicklungsprozesse<br />

Die Altmark ist eine historisch gewachsene, naturräumlich weitestgehend einheitliche<br />

und sozio-ökonomisch homogene Region im Norden des Bundeslandes Sachsen-Anhalt.<br />

Aus ihrer früheren Randlage, bedingt durch die deutsche Teilung, ist die<br />

Altmark nun wieder in die Mitte der Ballungsräume Hamburg, Berlin, Hannover und<br />

Magdeburg gerückt. Die Region wird aus dem Landkreis Stendal und dem Altmarkkreis<br />

Salzwedel gebildet. Zusammen umfassen beide Landkreise rund 23 Prozent<br />

der Fläche Sachsen-Anhalts, wobei jeder der beiden Landkreise größer als das<br />

Saarland ist. Auf einer Fläche von 4.715,5 Quadratkilometern leben nur rund<br />

217.000 Menschen (Stand: 31.12.2008). Mit einer Bevölkerungsdichte von 46 Einwohnern<br />

je Quadratkilometer gehört die Altmark zu den besonders dünn besiedelten<br />

Regionen in Deutschland.<br />

Die Region weist eine kleinräumliche und disperse Siedlungsstruktur mit einer charakteristischen<br />

Vielzahl kleiner Dörfer auf. Von besonderem Stellenwert für die Daseinsvorsorge<br />

in der Altmark sind die Land-, Klein- und Mittelstädte sowie die größeren<br />

Ortschaften, die als Versorgungskerne über den örtlichen Bedarf hinaus wirtschaftliche,<br />

soziale, wissenschaftliche und kulturelle Aufgaben für die Bevölkerung<br />

des Umlandes übernehmen. Die beiden Kreisstädte Stendal und Salzwedel sind<br />

Mittelzentren, wobei Stendal als die größte Stadt der Altmark zugleich oberzentrale<br />

Teilfunktionen erfüllt.<br />

Neben der Land- und Forstwirtschaft, die die Wirtschaftsstruktur in der Region traditionell<br />

prägen, sind die klein- und mittelständischen Unternehmen des Handwerks<br />

und des produzierenden Gewerbes von Bedeutung. In den letzten Jahren ist zudem<br />

eine dynamische <strong>Entwicklung</strong> in der holzverarbeitenden Industrie, der Ernährungswirtschaft,<br />

dem Maschinen- und Fahrzeugbau sowie dem Tourismus zu verzeichnen.<br />

Unter dem Blickwinkel sich verstärkender Tendenzen zur Etablierung von<br />

Metropolregionen und eines sich intensivierenden Standortwettbewerbs der ländlichen<br />

Räume kommt es für die strukturschwache, aber über beachtliche Wachstumspotenziale<br />

verfügende Altmark darauf an, sich ihrer Stärken bewusst zu sein<br />

und diese zum Ausdruck zu bringen sowie entsprechend innovative Maßnahmen<br />

umzusetzen.


172 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />

Wichtige Stärken sind der hohe Wert der Kulturlandschaft und das bedeutende Leistungspotenzial<br />

der natürlichen Ressourcen. Diese Faktoren sind große Standortvorteile<br />

für die Region und bilden traditionell die Grundlage für eine starke Landund<br />

Forstwirtschaft.<br />

Um die Wirtschaftskraft der Altmark zu stärken und um Arbeitsplätze zu sichern und<br />

neu zu schaffen, wurden auf <strong>regionaler</strong> Ebene zukunftsträchtige Ideen entwickelt,<br />

wie die endogenen Potenziale genutzt und in Wert gesetzt werden können. Schon<br />

frühzeitig wurde in der Altmark erkannt, dass in der Zusammenarbeit unterschiedlicher<br />

Sektoren und <strong>regionaler</strong> Akteure Chancen für die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> der<br />

Region liegen. Die integrierte und aktive Regionalentwicklung auf der Grundlage<br />

von Strategien unterschiedlicher Konzepte nimmt deshalb seit Mitte der 90er Jahre<br />

einen besonderen Stellenwert ein. Zu den wichtigsten Dokumenten gehören die<br />

Regionalen <strong>Entwicklung</strong>skonzepte der Altmark (REK I und REK II, iREK) sowie die<br />

regionalen Aktionsprogramme (RAP I und RAP II), die insgesamt die Basis für das<br />

heutige Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong>skonzept (ILEK) Altmark bilden.<br />

Regionale Kooperationsstrukturen haben sich, eingebettet in formelle sowie informelle<br />

Handlungsrahmen, in der Altmark etablieren können. Diese umfassen vielgestaltige<br />

Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung und regionalen<br />

Akteuren, Netzwerken unterschiedlicher Intensität und Stabilität sowie qualifizierten<br />

Clustern in einzelnen Wirtschaftsbranchen. Hervorzuheben sind die Aktivitäten<br />

der Regionalen Planungsgemeinschaft Altmark, die neben der formellen Regionalplanung<br />

auch freiwillige, informelle Formen der interkommunalen Zusammenarbeit<br />

umfassen. Beispiele für Netzwerke im informellen Bereich sind das Städtenetz<br />

Altmark, der Tourismusverband Altmark e.V. und das Unternehmensnetzwerk<br />

Altmark e.V. Regionalmanagementstrukturen wurden aufgebaut und haben<br />

den Prozess der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> sowie die landkreisübergreifende<br />

Zusammenarbeit begleitet und unterstützt.<br />

Ein wesentlicher Erfahrungsschritt wurde mit der Durchführung des Bundesmodellvorhabens<br />

„Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ von 2002 bis 2007 gemacht.<br />

Aus einem Wettbewerb mit einer Beteiligung von über 200 Regionen wurden 18<br />

Modellregionen ausgewählt, die durch das Bundesministerium für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) eine Förderung erhielten, um ihre<br />

eigenen <strong>Entwicklung</strong>skonzepte umzusetzen – zu den Gewinnerregionen gehörte die<br />

Altmark. Es hat sich gezeigt, dass die Organisation von Bottom-up-Prozessen, d.h.<br />

die Beteiligung <strong>regionaler</strong> Akteure an Gestaltung, Entscheidung und Umsetzung<br />

von regionalen Strategien und Projekten, eine sehr geeignete Methode der Regionalentwicklung<br />

ist, die zu positiven Ergebnissen und vielfältigen Erfolgen für die Region<br />

führt und deutlich zu einer Steigerung der regionalen Identität beiträgt.


Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 173<br />

2. Das Bundesmodellvorhaben „Regionen Aktiv – Land<br />

gestaltet Zukunft“ – Motivation <strong>regionaler</strong> Akteure<br />

durch Mitbestimmung und Eigenverantwortung<br />

Der Regionalverein Altmark e.V., gegründet 2002 als Regionale Interessengemeinschaft<br />

„Die Altmark mittendrin“ e.V., hat das Bundesmodellvorhaben „Regionen Aktiv<br />

– Land gestaltet Zukunft“ erfolgreich in der Altmark umgesetzt. Durch die intensive<br />

Arbeit des Vereins hat sich ein regionales Netzwerk mit über 60 Mitgliedern etabliert.<br />

Im Verein engagieren sich klein- und mittelständische Unternehmen, berufsständische<br />

Verbände unterschiedlicher Branchen, Vertreter aus Verwaltung, Politik,<br />

Umweltverbänden und Bildungsträgern sowie zahlreiche Vereine und Privatpersonen.<br />

Mit dieser Regionalen Partnerschaft wurde eine wichtige Basis für die Integrierte<br />

ländliche <strong>Entwicklung</strong> in der Altmark geschaffen.<br />

Im Rahmen des Bundesmodellvorhabens Regionen Aktiv war es die Aufgabe der<br />

Partnerschaft diejenigen Projekte auszuwählen, die aus dem Budget, das der Region<br />

durch das BMELV zur Verfügung gestellt wurde, gefördert werden konnten. Insgesamt<br />

hat der Verein eine Fördersumme von über drei Millionen Euro im Zeitraum<br />

von 2002-2007 in der Region umgesetzt. Mit diesen Mitteln wurden insgesamt 57<br />

Projekte realisiert, die sich mit Themen wie ländlicher Tourismus, Direktvermarktung,<br />

Verbraucheraufklärung oder nachwachsende Rohstoffe befasst haben. Ein<br />

Großteil der Projekte wird auch nach Beendigung der Förderung erfolgreich weitergeführt<br />

oder hat die Basis für weitere Aktivitäten geschaffen. Beispiele sind das Altmärker<br />

Kulinarium oder die Unterstützung der Bauernmärkte in den Kreisstädten<br />

Stendal und Salzwedel. Hier ist es gelungen, die Direktvermarkter zu stärken und<br />

gleichzeitig in bestehende Vermarktungsstrategien einzubinden. Das Altmärker Kulinarium<br />

ist mittlerweile ein touristisches Produkt, das periodisch durch den Tourismusverband<br />

Altmark e.V. im Rahmen der Markensäule GENUSSmark aktualisiert<br />

wird. In einer ansprechenden Broschüre werden Informationen zu denjenigen Direktvermarktern<br />

und Gastronomen bereitgestellt, die ihren Kunden bzw. Gästen<br />

überwiegend regionale Produkte anbieten. Weitere Beispiele für Regionen Aktiv-<br />

Projekte sind die Schaffung eines Altmark-Gartens im Kinder- und Jugenderholungszentrum<br />

(KiEZ) Arendsee oder das länderübergreifende Projekt einer Straße<br />

der alten Obstsorten. Auch Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen<br />

(Stichwort „lebenslanges Lernen“) zu den Themen Landwirtschaft und<br />

regionale Produkte erfolgte in unterschiedlichen Projekten. Hierzu wurden Kochshows<br />

und Kochschulungen auf den Bauernmärkten durchgeführt sowie Schulstunden,<br />

verbunden mit Besuchen auf landwirtschaftlichen Betrieben und Bauernhöfen,<br />

gestaltet. Daraus entwickelten sich feste Kooperationen zwischen Kindertagesstätten,<br />

Schulen und den Landwirtschaftsbetrieben. Der Besuch von Rinderställen oder


174 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />

Projekttage zum Thema Apfel gehören heute zum festen Bestandteil der Aktivitäten<br />

von zahlreichen Kindertagesstätten und Grundschulen.<br />

Aber nicht nur die Ernährungswirtschaft spielte eine Rolle bei der Wissensvermittlung,<br />

sondern auch das Thema erneuerbare Energien war von besonderer Bedeutung,<br />

denn es war ebenfalls ein wichtiger Baustein in der Festlegung der regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstrategie. Jedoch hat die Region sich nicht ausschließlich auf die Erzeugung<br />

erneuerbarer Energien fokussiert, sondern auch auf die stoffliche Nutzung<br />

nachwachsender Rohstoffe. Dazu gehört z.B. auch der Baustoff Stroh. So konnte<br />

die Erlangung der „Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung“ für die Strohballenbautechnik<br />

im Ökodorf Sieben Linden gefördert werden. Mittlerweile gibt es in der<br />

Altmark, aber auch in anderen Orten, zahlreiche Gebäude, die mit diesem Baustoff<br />

errichtet worden sind.<br />

Viele andere Projekte haben sich mit der energetischen Nutzung nachwachsender<br />

Rohstoffe befasst, z.B. in Form von Standortanalysen für Biogasanlagen oder für<br />

die Nutzung von Landschaftspflegematerial aus dem Naturpark Drömling. Hiermit<br />

konnten die Grundlagen zur stärkeren Nutzung der Bioenergie in der Altmark gelegt<br />

werden. Ein Großteil der Projekte wurde und wird auch nach Beendigung der Förderung<br />

erfolgreich weitergeführt oder hat die Basis für weitere Aktivitäten geschaffen.<br />

Ursprünglich sollte das Bundesmodellvorhaben Regionen Aktiv im Dezember 2005<br />

beendet werden. Aufgrund der erzielten Erfolge hatte sich das Bundesministerium<br />

jedoch dazu entschlossen, das Programm um zwei weitere Jahre zu verlängern. Die<br />

zweite Phase des Bundesmodellvorhabens war auf die Konzentration auf ein bestimmtes<br />

Kernthema ausgerichtet. Voraussetzung für den Erhalt weiterer Fördermittel<br />

für Projekte war die Erarbeitung eines sogenannten Regionskonzeptes mit der<br />

ausführlichen Darstellung, wie dieses Thema strategisch entwickelt werden soll.<br />

Basis für die Aktivitäten war die Auswahl einer Wertschöpfungskette mit dem Ziel,<br />

diese mit Unterstützung der zur Verfügung stehenden Fördermittel aufzubauen und<br />

zu stärken. Die Altmark hat sich auf die Wertschöpfungskette Biogas konzentriert.<br />

Im Zeitraum 2006-2007 sind zwölf Projekte ausgesucht und umgesetzt worden, die<br />

auf die Bildung von Grundlagen zur erhöhten Nutzung von Biogas zur Erzeugung<br />

<strong>regionaler</strong> Wertschöpfung gesetzt haben. Zugleich ist der Wissensaustausch und<br />

die Qualifizierung der Akteure durch eine intensive Zusammenarbeit mit anderen<br />

Regionen, die sich ebenfalls schwerpunktmäßig mit dieser Thematik befasst haben,<br />

ausgebaut worden. Hierdurch konnten die Grundlagen für aktuelle Aktivitäten zur<br />

stärkeren Nutzung der Bioenergie in der Altmark gelegt werden. Heute ist der Regionalverein<br />

Altmark e.V. auch Träger des Projektes Bioenergie-Region Altmark –<br />

ebenfalls das Ergebnis der erfolgreichen Teilnahme an einem Bundeswettbewerb.


Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 175<br />

Das Modellvorhaben Regionen Aktiv war insofern Neuland, als dass die ausgewählten<br />

18 Regionen aus ganz Deutschland sich selbst organisieren und regionale<br />

Entscheidungsstrukturen aufbauen mussten. Durch diese Form der Mitbestimmung<br />

und Mitgestaltung von Projekten und Strategien hat die Regionalentwicklung mit<br />

den intensiv ausgeprägten Beteiligungsprozessen eine neue Qualität gewonnen, die<br />

nun in der Altmark verstetigt wird.<br />

3. Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> – Die Fortsetzung<br />

nachhaltiger Bottom-up-Ansätze in der aktuellen Förderperiode<br />

Auch in der aktuellen EU-Strukturfondsphase 2007-2013 spielt die <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume eine wichtige Rolle. Für Sachsen-Anhalt relevant sind die Integrierte<br />

ländliche <strong>Entwicklung</strong> (ILE) als ein deutscher Ansatz und die Umsetzung der<br />

EU-weiten Leader-Methode. Beide Prozesse beziehen sich jeweils auf abgegrenzte<br />

Räume, die sich in vielen Gebieten in Sachsen-Anhalt überlagern, wobei Leader auf<br />

lokaler Ebene umgesetzt wird, und damit kleinräumiger zu betrachten ist als die Integrierte<br />

ländliche <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Die Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> (ILE) beruht auf der Partnerschaft zwischen<br />

Politik und Verwaltung, Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft und<br />

nutzt maßgeblich die vorhandenen Potenziale der Region sowie das Know-how ihrer<br />

Bevölkerung. Sie versteht sich dabei als Bottom-up-Prozess, d.h. dass die Aktivitäten<br />

zur <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raumes nicht von einer übergeordneten<br />

Ebene initiiert und geleitet, sondern seitens <strong>regionaler</strong> Akteure „von unten nach<br />

oben“ auf den Weg gebracht werden. Der Vorteil eines solchen Prozesses besteht<br />

in der vergleichsweise breiten Einbeziehung von Akteuren aus unterschiedlichen<br />

Strukturen und Ebenen, um Ziele und Handlungsschwerpunkte für eine integrierte<br />

Regionalentwicklung zu vereinbaren. In der Altmark übernimmt der Regionalverein<br />

Altmark e.V., unterstützt durch ein leistungsfähiges Management, die koordinierte<br />

Umsetzung dieses Prozesses. Die Zielformulierung, das Motto lautet dabei: Die<br />

Altmark mittendrin – wettbewerbsfähig und lebenswert. Die gesamte Altmark versteht<br />

sich dabei als ILE-Region. Ein wesentliches Ziel des Modellvorhabens Regionen<br />

Aktiv war es, die Verstetigung der begonnenen Prozesse zur eigenständigen<br />

<strong>Entwicklung</strong> auf Regionsebene zu verwirklichen. Dieses Ziel ist in der Altmark erreicht<br />

worden.<br />

Am 15. Dezember 2006 haben die beiden Landkreise der Altmark den Regionalverein<br />

Altmark e.V. über jeweils gleichlautende Beschlüsse der beiden Kreistage formal<br />

mit der koordinierten Umsetzung des Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong>skonzeptes<br />

(ILEK) beauftragt. Hiermit hat die Region dem Verein einen zentralen Stellenwert


176 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />

innerhalb der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> zugeordnet und zugleich auch den<br />

durch die GAK (Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz) geforderten<br />

partnerschaftlichen Ansatz im Rahmen der ILE realisiert. Als Regionale Partnerschaft<br />

hat der Verein die Verantwortung für die Entscheidung und Prioritätensetzung<br />

zu Leitprojekten, Modell- und Pilotvorhaben zur <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen<br />

Raumes. Das ILEK versteht sich als Zukunftsentwurf der Region, in dem die regionalen<br />

Akteure die <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten in einer anspruchsvollen, aber realistischen<br />

Vision dargestellt haben. Das ILEK ist in drei Teile gegliedert:<br />

� Teil I: Regionaler Strategieplan – Regionales <strong>Entwicklung</strong>skonzept (REK),<br />

� Teil II: Leitprojekte – Regionales Aktionsprogramm (RAP),<br />

� Teil III: Umsetzung der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> (Organisation, Projektauswahl,<br />

Evaluierung).<br />

Mit dieser Unterteilung wird an die Erfahrungen und die Vorgehensweise der bisherigen<br />

Regionalentwicklung in der Altmark angeknüpft.<br />

Die regionale <strong>Entwicklung</strong>sstrategie gliedert sich in Leitbild, Leitziele und Handlungsfelder.<br />

Jedes Handlungsfeld ist ausführlich beschrieben und mit eigenen<br />

Handlungslinien und Zielen untersetzt. Zur Umsetzung wird das ILEK durch Leitprojekte<br />

thematisch weiter strukturiert.<br />

Die ILEK-Leitprojekte sind detaillierte Strategien für zukunftsweisende Themen der<br />

Regionalentwicklung. Mit Stand 2010 sind vier Leitprojekte in der Altmark in der<br />

Umsetzungsphase:<br />

� Innovative Biomassenutzung im Rahmen eines regionalen Energie- und<br />

Stoffstrommanagements,<br />

� Hansestädte und Hansewege in der Altmark,<br />

� Den Altmarkrundkurs entlang – Eine Kulturlandschaft mit dem Rad entdecken,<br />

� Wege zur deutschen Einheit – Natur, Kultur und Geschichte am Grünen Band.<br />

Da die Integrierte ländliche <strong>Entwicklung</strong> ein dynamischer Prozess ist, werden weitere<br />

Leitprojekte erarbeitet, wie z.B. derzeit zu den Themenfeldern demografische<br />

<strong>Entwicklung</strong> und zukunftsfähiges Wassermanagement.<br />

Diese Leitprojekte entstehen auf Initiative der regionalen Akteure. In Workshops und<br />

Beratungen werden die Themen aufgearbeitet, Schwerpunkte der <strong>Entwicklung</strong> gesetzt<br />

und gemeinsame Ziele formuliert sowie strategische Maßnahmen zur <strong>Entwicklung</strong><br />

des Themas erarbeitet und mit geplanten Einzelmaßnahmen untersetzt.<br />

Durch diese gemeinsame Erarbeitung von Leitprojekten werden von Beginn an Kooperationen<br />

in der Region aufgebaut. Zugleich gelingt es, bestehende Projekte und<br />

Initiativen sinnvoll mit einzubinden und an die geplanten Aktivitäten anzuknüpfen.<br />

Hierfür ist beispielhaft das Leitprojekt „Wege zur deutschen Einheit – Natur, Kultur<br />

und Geschichte am Grünen Band“, das aufbauend auf einem räumlich und zeitlich<br />

begrenzten Projekt im Rahmen des <strong>Entwicklung</strong>s- und Erprobungsvorhaben in der


Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 177<br />

länderübergreifenden Modellregion Elbe-Altmark-Wendland nun das komplette<br />

Grüne Band in der Altmark im Fokus hat. Von Bedeutung ist hierbei die intensive<br />

Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen in Niedersachsen. Nur durch die Landes-<br />

und Kreisgrenzen überschreitende Arbeit kann es gelingen, nachhaltige Projekte<br />

sowohl im Tourismus als auch im Naturschutz zu realisieren.<br />

Die Arbeit des Regionalvereins Altmark e.V. konzentrierte sich in den Jahren 2008<br />

bis 2010 insbesondere auf die Umsetzung des ILEK-Leitprojektes „Innovative Biomassenutzung<br />

im Rahmen eines regionalen Energie- und Stoffstrommanagements“.<br />

So hat der Verein das Anfang 2009 angelaufene Projekt RUBIRES 114 (Rural<br />

Biological Resources) innerhalb des INTERREG IV B-Programms intensiv unterstützt.<br />

Durch das transnationale Projekt konnten für die Altmark EU-Mittel in Höhe<br />

von rund 390.000 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale <strong>Entwicklung</strong><br />

(EFRE) gebunden werden. Mit diesem Projekt wird nicht nur die internationale Vernetzung<br />

der Region auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe sichergestellt<br />

(Wissenstransfer durch internationale Fachveranstaltungen, Exkursion zum österreichischen<br />

Projektpartner), sondern auch die weitere intensive <strong>Entwicklung</strong> des<br />

Themas in der Altmark forciert.<br />

Weiterhin hat sich der Regionalverein Altmark e.V. erfolgreich an dem Bundeswettbewerb<br />

Bioenergie-Regionen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft<br />

und Verbraucherschutz (BMELV) beteiligt. Im Frühjahr 2009 ist die Altmark<br />

als Gewinnerregion ausgezeichnet worden. Zur Umsetzung des Projektes stehen<br />

dem Verein damit 400.000 Euro an Fördermitteln des Bundes für den Zeitraum von<br />

drei Jahren zur Verfügung.<br />

Die thematischen Schwerpunkte der Regionalentwicklung bilden in Form der beschriebenen<br />

Leitprojekte den konzeptionellen Rahmen für die Förderung von Einzelvorhaben.<br />

Diese wiederum können eher strategisch angelegten Verbund- bzw.<br />

Modellcharakter aufweisen, wie z.B. das INTERREG IV B-Vorhaben RUBIRES und<br />

das Bundesprojekt Bioenergie-Region Altmark, oder konkrete standortbezogene<br />

Investitionen im Kontext der Förderung für den ländlichen Raum sein (Dorferneuerung,<br />

Dorfentwicklung, ländlicher Wegebau), hier sind beispielsweise Infrastrukturund<br />

Wegebaumaßnahmen am Altmarkrundkurs sowie die Förderung zum Bau von<br />

Nahwärmenetzen einzuordnen.<br />

Durch die bisherigen Aktivitäten konnte insgesamt die Arbeit mit Akteuren der in den<br />

zertifizierten Leitprojekten dargestellten Wertschöpfungsketten intensiviert werden.<br />

Hier bilden vor allem Vernetzungsaktivitäten und die Organisation des Wissens- und<br />

Know-how-Transfers Schwerpunkte der Arbeit. Ebenso wurden Mittel aus weiteren<br />

114 RUBIRES: Das transnationale Projekt RUBIRES (Rural Biological Resources = Nachwachsende<br />

Rohstoffe in ländlichen Räumen) wird durchgeführt im Rahmen des EU-Programms INTERREG<br />

IV B im Central Europe Raum. Weitere Informationen unter www.rubires.eu.


178 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />

Bundes- und EU-Programmen zur Umsetzung von Einzel- oder Verbundprojekten<br />

akquiriert, wie z.B. für das Projekt der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf zur<br />

Gestaltung des Systemwechsels in der <strong>Finanzierung</strong> von Kindertagesstätten im<br />

Rahmen des Modellvorhabens „Daseinsvorsorge 2030 – innovativ und modern –<br />

eine Antwort auf den demografischen Wandel“ 115 .<br />

4. Das Regionalbudget Altmark – Regionalisierte Entscheidungskompetenz<br />

in Sachen Wirtschaftsförderung<br />

als Modell<br />

Seit 2009 ist der Regionalverein Altmark e.V. für die Auswahl von Vorhaben verantwortlich,<br />

die im Rahmen des Regionalbudgets gefördert werden können. Das Regionalbudget<br />

ist ein neues modellhaftes Förderinstrument des Landes Sachsen-<br />

Anhalt, das darauf ausgerichtet ist, Projekte zu realisieren, die der Stärkung regionseigener<br />

Kräfte, der Verbesserung der regionalen Kooperation und der Mobilisierung<br />

von Wachstumspotenzialen dienen. Finanziert wird das Regionalbudget im<br />

Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen<br />

Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Bis zum Jahr 2013 werden der Region jährlich 300.000<br />

Euro zur Verfügung gestellt. Ähnlich wie in anderen Bundesländern können in<br />

Sachsen-Anhalt Gebietskörperschaften oder kommunale Zweckverbände Mittel aus<br />

diesem Budget beantragen und für Projekte nutzen. Voraussetzung für die Bewilligung<br />

von Projekten durch das Land ist das positive Votum der Region. Die regionale<br />

Entscheidungsfindung erfolgt in der Altmark in den Gremien des Regionalvereins.<br />

Hier haben die beteiligten Akteure in den entsprechenden Ausschüssen und<br />

im Vorstand des Vereins die Verantwortung, auf der Grundlage des ILEK über beantragte<br />

Vorhaben sachorientiert zu diskutieren, diese zu bewerten sowie nach positiver<br />

Bewertung Empfehlungen für eine Förderung auszusprechen. Gegen Ende<br />

des Jahres 2009 sind aus der Altmark beim federführenden Ministerium für Wirtschaft<br />

und Arbeit erstmals Vorhaben, für die auch ein entsprechendes regionales<br />

Votum vorlag, eingereicht worden. Insgesamt neun Projekte, deren inhaltliches<br />

Spektrum von Studien zur <strong>Entwicklung</strong> von Industrie- und Gewerbeflächen, über<br />

Breitbandversorgung bis hin zu Marketingkonzeptionen reicht, wurden genehmigt<br />

und erhielten einen Förderbescheid von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt. Somit<br />

konnten bereits im ersten Jahr des Modellvorhabens innovative Projekte realisiert<br />

115 Das Modellvorhaben „Daseinsvorsorge 2030 – innovativ und modern – eine Antwort auf den demografischen<br />

Wandel“ wird durch den Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer<br />

gemeinsam mit den Landesregierungen der Neuen Bundesländer durchgeführt. Ziel des<br />

Modellvorhabens ist es, neue Lösungswege zur Sicherung der technischen und sozialen Daseinsvorsorge<br />

in besonders vom demografischen Wandel betroffenen ländlichen Regionen in den<br />

östlichen Bundesländern praktisch auf <strong>regionaler</strong> Ebene zu erproben.


Regional verbunden, überregional vernetzt - ILE in der Altmark 179<br />

werden, die die Wirtschaft in der Altmark durch den Aufbau von interkommunalen<br />

Kooperationen, eine gezielte Standortentwicklung und Marketinginitiativen im touristischen<br />

Bereich unterstützen.<br />

5. Fazit: Politik und Akteure gemeinsam für eine integrierte<br />

und nachhaltige Regionalentwicklung<br />

Es ist eine erfreuliche wie wichtige Feststellung, dass es sehr viele aktive Menschen<br />

in der Altmark gibt, die ein großes Interesse an ihrer Region haben und bereit sind,<br />

sich zu engagieren. Mit dem Regionalverein Altmark e.V. wurde die Basis geschaffen,<br />

um eine bottom-up-gestützte Regionalentwicklung durchführen zu können.<br />

Zahlreiche Einzelprojekte wurden durch die Akteure vor Ort ausgewählt, die nun<br />

nachhaltig in und für die Region wirken. Der Verein hat sich als kreative Ideenschmiede<br />

und strukturell als Institution zur Projektauswahl etabliert und zugleich<br />

gezeigt, dass er flexibel auf neue Herausforderungen reagieren kann.<br />

Mit dem Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong>skonzept sind konkrete Ziele gesetzt<br />

worden, die nun durch unterschiedliche Aktivitäten verfolgt werden. Wichtig ist es<br />

hierbei, die Menschen dauerhaft für diesen Prozess zu gewinnen und sie hieran zu<br />

beteiligen. Um sie zu aktivieren und zu motivieren ist es unabdingbar, Gestaltungs-,<br />

Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schaffen sowie die finanzielle<br />

Unterstützung von Projekten zu ermöglichen. In der gemeinsamen Erarbeitung und<br />

Umsetzung von Strategien liegt die unbedingt zu nutzende Chance, endogene Potenziale<br />

einer Region zu ermitteln und zu erschließen. Wenn Politik die Möglichkeiten<br />

nutzen möchte, die sich hierdurch für die <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raumes<br />

ergeben, dann gehört es auch zu den Aufgaben der Politik, die Rahmenbedingungen<br />

entsprechend zu setzen. So kann es gelingen, zukünftig weitere Akteure wie<br />

Unternehmen in den Prozess zu integrieren, die bisher nur in geringer Zahl beteiligt<br />

gewesen sind: Akteure, die sich nicht nur mit eigenen Ideen beteiligen, sondern die<br />

letztendlich auch bereit sind, Geld in diesen Prozess zu investieren.<br />

Im Rahmen der Integrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> wäre es für die regionalen Akteure<br />

wünschenswert – da Erfolg versprechend – den eingeschlagenen Weg auch<br />

konsequent weitergehen zu können. Dies erfordert nicht nur die langfristige Bereitstellung<br />

der erforderlichen finanziellen Mittel; dies bedeutet ebenso, seitens der politisch<br />

Verantwortlichen zu gewährleisten, dass die Entscheidungen respektiert und<br />

akzeptiert werden, die in der Region durch die Akteure getroffen werden. Nur eine in<br />

dieser Weise von Politik und Akteuren gemeinsam flankierte integrierte Regionalentwicklung<br />

kann erfolgreich sein. Nur so kann integrierte Regionalentwicklung mit<br />

den Menschen vor Ort funktionieren und zukunftsfähig gestaltet werden.


180 Sibylle Paetow/Björn Gäde<br />

Kontakt:<br />

Sibylle Paetow und Björn Gäde<br />

ILE-Regionalmanagement Altmark<br />

Arneburger Str. 24<br />

39576 Stendal<br />

Tel.: 03931 410453<br />

E-Mail: info@landleute.eu


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel<br />

von Josef Bühler<br />

1. Einleitung<br />

Was tun, wenn der Klassiker der <strong>Finanzierung</strong> „Eigenmittel plus Förderung“ in der<br />

Investitions- und der Betreibungsphase eines Projektes nicht mehr funktioniert?<br />

Was tun, wenn wichtige regionale <strong>Entwicklung</strong>sziele nicht mehr mit Mitteln aus der<br />

öffentlichen Hand vorangetrieben werden können? Spätestens dann ist in der Regionalentwicklung<br />

an „alternative“ <strong>Finanzierung</strong>skonzepte zu denken. In der Regel<br />

geht es dabei nicht nur um ein neues – möglichst hochrentables – Finanzprodukt,<br />

sondern um eine andere Art des bürgerschaftlichen und solidarischen Engagements<br />

von Individuen und Organisationen. Über Zeitspenden hinaus ist der Einsatz von<br />

privaten Mitteln im Bezug auf soziale, kulturelle, ökologische und gemeinwohlwirtschaftliche<br />

Belange das Thema. Gerade beim Erhalt oder der Steigerung der eigenen<br />

Lebensqualität im Wohnumfeld lassen sich auch Ideen einer solidarischen<br />

Ökonomie, die sich auf Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitige Hilfe<br />

stützt, entwickeln. Dazu zählen beispielsweise Genossenschaften und Bürgeraktiengesellschaften<br />

im ländlichen Raum.<br />

Die Quellen, aus denen privates Kapital sprudelt, und die unter bestimmten Voraussetzungen<br />

erschlossen werden können, tragen die Namen „Wirtschaft“, „Haushalte“<br />

und „Stiftungen“. Die „Schöpfkellen“ heißen Konsum (z.B. Benefizfeste), Spenden<br />

(z.B. Schenkgemeinschaften), Kredite oder diverse Beteiligungsformen für weniger<br />

rentable (Nahversorgungs-)Projekte. Die dafür geeigneten <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien sortieren:<br />

� Grad der Teilhabe und des Engagements: Nicht alle betroffenen Bürger haben<br />

das Bedürfnis Mitunternehmer/in zu werden, sondern beteiligen sich lieber ohne<br />

Anspruch auf Mitsteuerung nur mit Kapital.<br />

� Zielsetzung und steuerrechtlicher Status der Maßnahme: Je nachdem, ob es<br />

sich um ein gemeinnütziges oder um ein wirtschaftliches Projekt handelt,<br />

schließen sich einzelne Instrumente aus bzw. müssen anders gestaltet und<br />

kommuniziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Schenk- und Leihgemeinschaft.


182 Josef Bühler<br />

� Private und öffentliche Partner: Tritt die öffentliche Hand als Partner mit auf, so<br />

sind ebenfalls spezifische Rahmenbedingungen zu beachten. Hier sind neben<br />

den bereits praktizierten Public Private Partnership-Großprojekten (z.B. Altenhilfewohnanlagen,<br />

Schulbau) auch Modelle für kleinere und mittlere Maßnahmen<br />

so zu entwickeln, dass sich private Kapitalgeber einbinden lassen (z.B.<br />

Kulturhaus, Bibliothek).<br />

� Projektbezogener oder projektübergreifender <strong>Finanzierung</strong>sbedarf: Es ist ein<br />

Unterschied, inwieweit es um die Absicherung einer regionalen <strong>Entwicklung</strong>slinie<br />

bzw. eines regionalen Wertschöpfungskettenansatzes (z.B. Biolandwirtschaft)<br />

oder um die Betriebserweiterung eines Biobetriebes geht. Für die regionalrelevanten<br />

Anliegen sind „Kapitalsammelstellen“ notwendig, die Zuschüsse<br />

ausschütten (Stiftungen) oder sich an Betrieben beteiligen können<br />

(Bürger-AGs).<br />

Nachfolgend werden beispielhaft <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente für wirtschaftliche sowie<br />

gemeinnützige Projekte beschrieben. In einem weiteren Abschnitt finden sich Erläuterungen<br />

zu regionalen <strong>Finanzierung</strong>ssystemen. Sie haben die Funktion von regionalen<br />

„Kapitalsammelstellen“. In einem Schlusswort finden sich zentrale Anforderungsprofile<br />

für das Gelingen dieser bürgergestützten <strong>Finanzierung</strong>en.<br />

2. Wenn Bürger projektbezogen zusammenlegen und unternehmerisch<br />

agieren<br />

Mit zwei Strategien wird hier die Kapitalerschließung angegangen: die Gründung<br />

neuer Gesellschaftsformen (z.B. Genossenschaft) bzw. die Einlage von Kapital in<br />

bereits bestehende Organisationen (z.B. stille Beteiligung). All diesen Beteiligungsformen<br />

ist gemein, dass sie das Risiko eines Totalverlustes des eingesetzten Kapitals<br />

beinhalten.<br />

Die nachfolgenden projektbezogenen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente werden mit ihren<br />

Funktionsweisen und Rahmenbedingen kurz dargestellt sowie mit einem Beispiel<br />

illustriert.


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 183<br />

Abbildung 1<br />

Projektbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente: Beteiligungen bei Projekten mit wirt-<br />

schaftlichen Zielen<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrument Beispiel<br />

Genossenschaft<br />

Beteiligungsform: Anteile<br />

Dorfladen Gottwollshausen eG<br />

www.dorfladen-gottwollshausen.de<br />

Aktiengesellschaft<br />

AG Apfeltraum, Landwirtschaft<br />

Beteiligungsform: Aktien<br />

www.apfeltraum-ag.de<br />

Geschlossene Fonds<br />

Energiewerk Schönau GmbH<br />

Beteiligungsform: Anteile<br />

www.ews-schoenau.de<br />

Genussscheine Bio-Molkerei-Bodelshausen oder<br />

Solarcomplex AG<br />

www.solarcomplex.de<br />

Stille Beteiligung Existenzgründung oder Betriebserweiterung<br />

Genossenschaften (eG)<br />

Genossenschaften stehen für Wirtschaften in Gemeinschaft, demokratische Kultur,<br />

Sicherheit und Stabilität – und damit für eine Form der materiellen und ideellen Beteiligung<br />

von Bürgern. Jedes Mitglied zeichnet ein oder mehrere Anteile. Damit sind<br />

Genossenschaften Alternativen zu externen Investorenmodellen. Vorteile der eG<br />

sind die Einfachheit der Gründung (geringer Kapitalbedarf, Einfachheit der Verträge,<br />

standardisiertes Verfahren) und die Möglichkeit, sehr viele Mitunternehmer/innen<br />

einbinden zu können bzw. diesen einen unkomplizierten Ein- und Ausstieg zu ermöglichen.<br />

Besonders interessant ist die eG aufgrund der Tatsache, dass eine Begrenzung<br />

der Haftung für getätigte Geschäfte der Genossenschaft auf das Vermögen<br />

der eG möglich ist. Als Nachteil der Genossenschaft können die Prüfungsvorgaben<br />

des Genossenschaftsgesetzes (jährliche Prüfung, bzw. unter 2 Mio. Euro<br />

Umsatz und 1 Mio. Euro Bilanzsumme im Zwei-Jahres-Turnus) gesehen werden.<br />

Beispiel „Unser Dorfladen Gottwollshausen eG“: Nach der Schließung des<br />

letzten Ladens in der Gemeinde Gottwollshausen (knapp 1.100 Einwohner) in der<br />

Nähe von Schwäbisch Hall (Baden-Württemberg) entwickelte sich die Grundidee für<br />

den „Dorfladen“. Es wurde eine Genossenschaft, die „Unser Dorfladen Gottwollshausen<br />

eG“, gegründet, um die Versorgung der regionalen Bevölkerung mit Lebensmitteln<br />

sicher zu stellen. Mit einem einmaligen Beitrag von 100 Euro ist es jedem<br />

Bürger der Gemeinde möglich, Mitglied der Genossenschaft zu werden und<br />

den Erhalt des Dorfladens zu sichern. Es können maximal 50 Anteile erworben


184 Josef Bühler<br />

werden. Der 2005 gegründete Dorfladen blickt inzwischen auf erfolgreiche Geschäftsjahre<br />

zurück. Im August 2007 ist ein zweites Ladengeschäft nach dem gleichen<br />

Konzept im Nachbarort eröffnet worden. Die Genossenschaft zählt heute über<br />

150 Mitglieder.<br />

Aktiengesellschaften (AG)<br />

Sie besitzen ein in Aktien zerlegtes Grundkapital, wobei die Aktien die anteiligen<br />

Beträge der Gesellschafter (Aktionäre) zum Grundkapital darstellen. Das Grundkapital<br />

der AGs beträgt mindestens 50.000 Euro. Es kann in Form von Bar- oder<br />

Sacheinlagen erbracht werden. Bei Sacheinlagen ist der Nennbetrag der für die<br />

Einlage zu gewährenden Aktien in der Satzung festzulegen. Der Nennbetrag einer<br />

Aktie beträgt mindestens einen Euro. Bei der Gründung einer AG wird festgelegt, in<br />

wie viele Aktien das Grundkapital aufgeteilt wird. Das Unternehmen kann die<br />

Aktionäre über Dividenden am Gewinn des Unternehmens beteiligen. Vorteile einer<br />

AG liegen bei der Beteiligung vieler Menschen mit überschaubaren Beträgen, dem<br />

überregionalen Einzugsbereich, der Erschließung größerer Geldsummen und der<br />

hohen Steuerungskompetenz der AG-Geschäftsführung. Eine AG ist allerdings aufwändiger<br />

zu etablieren als eine eG. Dies gilt für die Gründung und für die laufende<br />

Aktionärsakquise.<br />

Beispiel Landwirtschaftsbetrieb „Apfeltraum AG“, Müncheberg: Die Hofgemeinschaft<br />

bestand zunächst aus sechs selbständigen Unternehmen: Gärtnerei<br />

Apfeltraum, Apfeltraum Feldbau, Apfeltraum Tierhaltung, Imkerei Apfeltraum, Lieferdienst<br />

Abokiste Apfeltraum. Je nach Saison leben und arbeiten 15-20 Menschen<br />

auf dem Hof. Um einen erneuten Ausbau finanzieren zu können haben 8 Personen<br />

und eine GbR (Eigentümer wie Kunden des Demeter-Betriebes Apfeltraum) im Dezember<br />

2005 eine kleine Aktiengesellschaft gegründet. Sie bieten Aktien im Wert<br />

von 150.000 Euro an, die als Namensaktien zu einem Nennwert von 100 Euro gekauft<br />

werden können. Die Aktien werden mit folgender Botschaft verkauft: "Wir wollen<br />

Ihnen einen modernen Weg anbieten, sich für eine […] fortschrittliche Landwirtschaft<br />

zu engagieren. Anders als bei einer Spende, geben Sie das Aktienkapital<br />

nicht weg. Im Gegenteil, die Aktionäre werden zu Mitbesitzern des Unternehmens."<br />

Es werden keine Dividenden ausbezahlt, sondern es wird in anderer Form ein Nutzen<br />

organisiert: Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen; Vorrang beim<br />

Zugang zu Ferienwohnungen oder Veranstaltungsräumen sowie an ideellen Werten:<br />

die Schaffung von neuen Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Nach einem Jahr<br />

konnten 67 Aktionäre gewonnen werden. Von diesen kamen 10 aus dem familiären<br />

Umfeld der Gründer, 20 aus Berlin, 15 aus dem Umland und die anderen aus Hamburg,<br />

Essen, Bonn, Darmstadt und Dachau. Mit dem zusätzlichen Eigenkapital


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 185<br />

konnten öffentliche Zuschüsse eingeworben und die anstrebten Investitionen umgesetzt<br />

werden.<br />

Beteiligungen mit geschlossenen Fonds<br />

Bei größeren regionalen Projekten ist die Kapitalbeschaffung über ein Beteiligungsmodell<br />

durch einen geschlossenen Fonds überlegenswert. Bei dieser Form<br />

können Interessierte nur während einer festgelegten Zeit in der Startphase – auch<br />

Platzierungszeitraum genannt – investieren. Danach wird der Fonds geschlossen.<br />

Der Erwerber eines Anteils an einem geschlossenen Fonds ist Unternehmer (in der<br />

Regel Kommanditist) mit allen Chancen und Risiken. Gängige Investitionsgüter für<br />

geschlossene Fonds sind neben Immobilien z.B. Anlagen zur Produktion regenerativer<br />

Energien (Windkraft- und Biogasanlagen) und Filme (Medienfonds). Es bestehen<br />

aber auch geschlossene Fonds für landwirtschaftliche Betriebe, für Kosmetik-<br />

Werke oder für Non-Profit-Unternehmen im Rahmen der Schaffung von Wohnungen<br />

für ehemalige Obdachlose. Um die Haftungsfrage für alle Beteiligten einzugrenzen<br />

wird häufig bei geschlossenen Fonds die Form der GmbH & Co KG benutzt.<br />

Beispiel Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS): Die Elektrizitätswerke<br />

Schönau haben 1997 das Stromnetz vom früheren Versorger übernommen und<br />

versorgen die Stadt Schönau vollständig mit dezentralem, ökologischem Strom.<br />

Darüber hinaus hat die EWS bundesweit schon zu 1.100 neuen "Ökostrom-<br />

Anlagen" verholfen. Aktuell werden über 70.000 Kunden mit atom- und kohlestromfreiem<br />

Strom versorgt. Die EWS zählen heute zu den erfolgreichsten Ökostromhändlern<br />

in Deutschland.<br />

Die <strong>Finanzierung</strong> des Netzkaufs und der Aufbau der EWS erfolgten mit Hilfe von<br />

zwei Institutionen, der stimmberechtigten Netzkauf GbR und dem nicht stimmberechtigten<br />

GKG-Energiefonds Schönau. Die Netzkauf GbR verfügt über 650 Gesellschafter,<br />

die über 1 Mio. Euro eingelegt haben (Mindesteinlage 500 Euro) und am<br />

Gewinn beteiligt sind. Der GKG-Energiefonds Schönau ist ein Beteiligungsangebot<br />

der GLS-Bank, Bochum. Es ist ein geschlossener Fonds in der Form einer GbR.<br />

Aus diesem Fonds kann jede natürliche und juristische Person Anteile von mindestens<br />

2.500 Euro erwerben. Die Haftung ist auf die Einlage begrenzt. Der Fonds<br />

stellt der EWS Kapital in Form eines partiarischen Darlehens (Mindestverzinsung<br />

plus ggf. Gewinnbeteiligung) zur Verfügung.


186 Josef Bühler<br />

Genussscheine<br />

Sie verbriefen in Form eines Wertpapiers ein Genussrecht. Dieses beinhaltet nur<br />

Vermögens- und keine Mitbestimmungsrechte. Genussscheine werden in der Regel<br />

nachrangig ausgestaltet, d.h. die Verbindlichkeiten werden im Falle einer Insolvenz<br />

erst nach den Forderungen der anderen Fremdkapitalgläubiger bedient. Wie eine<br />

Anleihe auch, gewähren die „Genüsse” in der Regel die Rückzahlung des Anlagebetrages<br />

zum Nominalwert am Laufzeitende sowie einen jährlichen Zinsanspruch.<br />

Da Begriff, Inhalt und Umfang von Genussrechten gesetzlich nicht geregelt sind, hat<br />

der Emittent bei der Ausgestaltung von Genussscheinen große Freiheit. Die<br />

Bedeutung der Genussscheine hat in den letzten Jahren stark zugenommen und<br />

zwar als Instrument zur Gewinnbeteiligung von Mitarbeitern sowie generell zur<br />

Kapitalbeschaffung. Da die Ausgabe von Genussscheinen nicht an eine bestimmte<br />

Rechtsform der ausgebenden Gesellschaft gebunden ist, stellen sie für Nicht-<br />

Aktiengesellschaften eine interessante Möglichkeit dar, sich Geldmittel zu<br />

beschaffen.<br />

Beispiel solarcomplex AG: Das Bürgerunternehmen zum Umbau der Energieversorgung<br />

in der Region Hegau/Bodensee bietet Genussrechte für den Bau von regenerativen<br />

Versorgungslösungen in einem Dorf am Bodensee an. Ein Grund war,<br />

dass die Bürger sich nicht in einer risikoreicheren Variante am Umbau beteiligen<br />

wollten. Mit dem gewählten Instrument und den damit verbundenen Konditionen<br />

(feste Verzinsung von 4 %, Mindestlaufzeit von 6 Jahren, eine Mindestbeteiligung<br />

von 1.000 Euro, freie Übertragbarkeit) konnte trotzdem Bürgerkapital in erheblichem<br />

Umfang erschlossen werden. Es wurde auch mit einer ökologisch sinnvollen Geldanlage<br />

und einer Geldanlage, die regionalwirtschaftliche Akzente setzt, geworben.<br />

Stille Beteiligung<br />

Ein Außenstehender legt beim Projektträger Beteiligungskapital ein, ohne nach außen<br />

in Erscheinung zu treten. Dieser Gläubiger mit Gewinnanspruch hat in der Regel<br />

ein Kontrollrecht und darf den Jahresabschluss prüfen. Stille Beteiligungen sind<br />

ein Mittelding zwischen Eigen- und Fremdkapitalgeber.<br />

Beispiel: Die Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes in Sachsen-Anhalt baut<br />

eine alte Schule zum Altenhilfezentrum (Kurzzeitpflege, Wohnen, Physiotherapie<br />

u.ä.) um. Die Eigenkapitaldecke reicht nicht aus, um für einen Förderantrag die Gesamtfinanzierung<br />

darstellen zu können bzw. in ausreichendem Maße Kredite zu<br />

erhalten. Sie gewinnt den örtlichen Arzt, die künftige Betreiberin der Physiotherapie<br />

sowie potenzielle Nutzer/innen sich „still“, d.h. ohne die Gründung eines gemeinsamen<br />

Unternehmens zu beteiligen.


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 187<br />

3. Wenn Bürger sich projektbezogen für gemeinnützige<br />

Anliegen stark machen<br />

Je nach Rechtsform können bei gemeinnützigen Unternehmen auch die bereits genannten<br />

Beteiligungsmodelle geprüft werden (z.B. Anteile, Genussrechte, stille Beteiligungen).<br />

Darüber hinaus haben sich – neben Einzelspenden – Schenkungsmodelle<br />

etabliert. Mit diesen wurden auch größere Projekte wie Schulen, Bildungsstätten,<br />

Armenküchen oder Oldtimer-Bahnen gestemmt.<br />

Abbildung 2<br />

Projektbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente: Schenkung bei gemeinnützige Anliegen<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrument Beispiel<br />

Schenkung oder Leihen Leih- und Schenkgemeinschaft ÖkoLea<br />

www.bildungswerk.oekolea.de<br />

Sammleraktie Öchsle Bahn AG<br />

www.oechsle-bahn.de<br />

Leih- und Schenkgemeinschaft<br />

Gemeinnützige Einrichtungen wie Vereine und Initiativen werden vorwiegend durch<br />

Zuwendungen, Schenkungen und Beiträge ihrer Mitglieder und Förderer finanziert.<br />

Diese Beträge und Spenden fließen üblicherweise in Form von regelmäßigen, kleineren<br />

Beiträgen. Durch eine Leihgemeinschaft ist es möglich, solche zweckgebundenen<br />

Spenden vorzufinanzieren, wenn sofort ein größerer Betrag bereitgestellt<br />

werden muss. Interessierte Bürger erklären sich z.B. bereit, für die Sanierung eines<br />

Sozial- oder Bildungsprojektes monatlich 50 Euro über einen Zeitraum von max. 5<br />

Jahren – also insgesamt 3.000 Euro – abzugeben und damit den Vorauskredit der<br />

Bank für den Projektträger abzuzahlen. Einer Leihgemeinschaft sollten aus Gründen<br />

der Übersicht und Steuerbarkeit höchstens 30 Leihgemeinschaftsmitglieder<br />

angehören und der Gesamtdarlehensbetrag 50.000 Euro möglichst nicht übersteigen.<br />

Bei größeren Projekten, wie z.B. dem Bau einer freien Schule, gründen sich<br />

mehrere Leihgemeinschaften. Diese Kreditbeträge werden gebündelt und dem begünstigten<br />

Projekt die zugesagten Summen in einem Betrag zum Projektbeginn<br />

ausbezahlt. Dieses „Eigenkapital“ des Projektes kann dann auch als Nachweis für<br />

die Einwerbung von weiteren Zuschüssen genutzt werden. Die abwickelnde GLS<br />

Bank, Bochum, verlangt keinen Zins, sondern eine Kostendeckungsumlage von 2,5<br />

bis 4,5 %. Der Geldgeber kann die jährlichen Beiträge als Spenden beim Finanzamt<br />

gelten machen.


188 Josef Bühler<br />

Beispiel ÖkoLeA – Gemeinschaftliche <strong>Finanzierung</strong> eines Wohn- und Bildungshauses:<br />

Die ������������ �������� ���� �������������������� ��������� �����������<br />

���� ist eine Kommune mit 25-30 Personen in ������������������ ���� ����������. Sie<br />

kaufte 1993 einen großen Bauernhof mit Gartenland, Wohnhaus, Kälberstall, Kuhstall<br />

und Scheune. 2000/2001 wurde der ehemalige Kuhstall zu einem ����������<br />

����� mit Küche und Sanitäreinrichtungen und einer Holzofenbäckerei für Biobrot<br />

ausgebaut. 2005 kamen eine ����������, ein ������� und ein ��������� dazu. Das Ladencafé<br />

ist zur Zeit Klosterdorfs einzige Einkaufsstätte und entwickelte sich zum<br />

beliebten Treffpunkt. Die ÖkoLeA hat sich zu einem Anziehungspunkt in der Region<br />

Märkische Schweiz entwickelt; das Bildungswerk ist zu einem kulturellen Mittelpunkt<br />

in der Region geworden. Beide <strong>Entwicklung</strong>sschritte sind über Leihgemeinschaften,<br />

in die die Mitarbeiter, Mitglieder und einzelnen Kunden einbezahlt haben, mitfinanziert<br />

worden.<br />

Sammleraktien<br />

Sammleraktien nennt man neu herausgegebene Aktien mit Liebhaberwert, die aber<br />

entwertet sind. Sie kommen über Ausgabestellen in den Verkauf und werden nicht<br />

mehr zurückgenommen. Eine Weiterveräußerung auf dem Sammlermarkt ist möglich.<br />

Mit Sammleraktien werden sowohl infrastrukturelle Maßnahmen (z.B. Erhalt<br />

einer Bahnstrecke) als auch soziale Projekte (z.B. Kinderzentren, Suchtpräventionsmaßnahmen)<br />

finanziell abgesichert. Träger der Aktie können gemeinnützige<br />

Vereine, GmbHs aber auch richtige Aktiengesellschaften - wie bei der Öchsle-Bahn<br />

AG - sein. In diesem Fall erwirbt jeder Aktionär mit seiner Aktie die Berechtigung,<br />

sein Stimmrecht in der jährlichen Hauptversammlung auszuüben. Der Aktionär erhält<br />

bei den gemeinnützigen Gesellschaften keine Dividende. Er fördert allerdings<br />

mit dem Aktienerwerb einen guten Zweck.<br />

Beispiel „Öchsle Bahn AG“: Damit einer der schönsten Bahnstrecken Süddeutschlands<br />

nicht die Spitzhacke droht, gründeten 1995 engagierte Eisenbahnfreude<br />

zusammen mit dem Landkreis einer Anliegergemeinde sowie der Kreissparkasse<br />

eine Aktiengesellschaft: die „Öchsle-Bahn AG“. Sie gibt zum wiederholten<br />

Male Aktien heraus und hat darüber über 2 Mio. Euro Kapital für den Erhalt der<br />

Strecke erschlossen. Um ein optimiertes Betreibermodell „fahren“ zu können, wurden<br />

drei Rechtsträger mit folgender Funktionsteilung geschaffen:<br />

� Die Öchsele-Bahn AG hat das Erbbaurecht der Strecke. Sie ist Eigentümer der<br />

Dampflok „Berta“ und des Schotterwagens. Sie gibt die Sammleraktien heraus<br />

und ist zuständig für die Unterhaltung und Sanierung der Strecke.<br />

� Die Betriebsgesellschaft zeichnet sich für den Fahrbetrieb zuständig. Sie zahlt<br />

an die Aktiengesellschaft Streckennutzungsgebühren und trägt das Betriebsdefizit.


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 189<br />

� Der Verein ist für die Unterhaltung der Fahrzeuge und der Strecke verantwortlich.<br />

Er stellt das (ehrenamtlich arbeitende) Fahrpersonal und ist Eigentümer<br />

des Museumszuges. Pro Jahr werden etwa 9000 Stunden ehrenamtlich von<br />

Vereinsmitgliedern erbracht.<br />

4. Wenn Bürger einen regionalen Kapitalstock schaffen<br />

Die direkte Mitfinanzierung eines wichtigen Projektes in seinem eigenen Lebensumfeld<br />

ist eine Möglichkeit, regionale Anliegen voranzubringen. Eine andere,<br />

anfänglich meist schwierigere, ist die Schaffung von regionalen „Kapitalsammelstellen“,<br />

die sich für ausgewählte projektübergreifende <strong>Entwicklung</strong>slinien engagieren<br />

(Stiftungen, Bürger-Aktiengesellschaften). Ein weiterer Weg ist die Implementierung<br />

von Komplementärwährungen, um in anderen Formen eine Marktbeteiligungen<br />

zu ermöglichen (Abbildung 3).<br />

Abbildung 3<br />

Regionalbezogene <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

Wirtschaftlich agierende Systeme<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente Beispiel<br />

Regionalfonds als Bürgeraktiengesell- Regionalwert AG<br />

schaft<br />

www.regionalwert-ag.de<br />

Gemeinnützig ausgerichtete Systeme<br />

Regionalfonds<br />

Verein Dübener Heide e.V.<br />

(spendengespeister Sinking funds) www.naturpark-duebener-heide.com<br />

Bürger-Stiftung (und Treuhänderlösung) Viele Beispiele und<br />

www.buergerstiftungen.de<br />

Regionalfonds<br />

An anderer Stelle dieses Buches sind revolvierende Regionalfonds beschrieben, die<br />

sich aus öffentlichen und eventuell in einer zweiten Phase aus privaten Mittel speisen.<br />

Diese Form steht hier nicht im Fokus, sondern rein aus Haushalten und Wirtschaft<br />

unterstützte Modelle. Im Unterschied zu den geschlossenen Fonds beteiligen<br />

sie sich nicht an einem Objekt, sondern machen sich projektübergreifend für verschiedene<br />

Maßnahmen einer oder mehrerer <strong>Entwicklung</strong>saufgaben stark.<br />

Grob vereinfacht finden sich hierfür zwei Modelle: Die einen können als Kapitalanlagefonds<br />

mit regionalwirtschaftlichen Effekten (z.B. Regionalwert AG) bezeichnet<br />

werden, die anderen als Fundraising gestützte Fonds (z.B. Dübener Heide).<br />

Kapitaleinlagen in einen Fonds führen schnell zum Tatbestand einer sich bildenden<br />

Kapitalanlagegesellschaft. Damit verbunden sind gesetzlichen Vorgaben. Die Her-


190 Josef Bühler<br />

einnahme verzinslicher Einlagen unterliegt dem Kreditwesengesetz, die Herausgabe<br />

von Fondsanteilen sowie deren Zurücknahme in der Regel dem Investmentgesetz.<br />

Beide Gesetze stellen nicht unerhebliche formale und inhaltliche Anforderungen.<br />

Beispiel „Regionalwert AG“: Sie ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die Landwirtschaft<br />

und Regionalwirtschaft rund um Freiburg sozial, ökologisch und wirtschaftlich<br />

nachhaltig gestalten will. Die Aktionäre stellen über Aktien oder stille Beteiligungen<br />

Kapital zur Verfügung und können sich damit an regionalen Prozessen nicht nur<br />

finanziell, sondern auch gestalterisch beteiligen. Das Ziel der Regionalwert AG ist<br />

eine wirtschaftlich erfolgreiche und sozial-ökologisch vertretbare Wertschöpfungskette<br />

vom Acker bis auf den Teller. Dazu erwirbt sie landwirtschaftliche Betriebe<br />

sowie Unternehmen aus vor- und nachgelagerten Bereichen und verpachtet sie<br />

dann an qualifizierte Unternehmer. Über zusätzliche finanzielle Beteiligungen werden<br />

zusammen mit Partnern Lücken in der Wertschöpfungskette durch den Aufbau<br />

neuer Unternehmen geschlossen. Die wirtschaftlichen Erträge der Regionalwert AG<br />

stammen aus Pachtzahlungen und Beteiligungen. In der Unternehmensstrategie<br />

steht die wirtschaftliche Gewinnorientierung gleichwertig neben der sozialökologischen<br />

Wertbildung. Die sozial-ökologische Wertschöpfung wird jährlich als<br />

Rendite auf die Aktie ausweisen, „denn diese Werte sind es, die in Verknüpfung mit<br />

wirtschaftlichem Handeln den zukünftigen Wohlstand ausmachen“. Dazu werden<br />

Bewirtschaftungskriterien mit den Partnerunternehmen vereinbart.<br />

Die Fundraising gestützten Modelle werden über Spenden und Schenkungen gespeist<br />

und erreichen nicht die Zuflüsse von Kapitaleinlagefonds. Die Einlagen müssen<br />

nicht dauerhaft gesichert werden. Das eingesetzte Kapital wird über einen festgelegten<br />

Zeitraum hinweg für definierte Ziele aufgezehrt (sogenannte „sinking<br />

funds“). Dieser Mechanismus bietet sich in Fällen an, in denen der Kapitalbedarf<br />

zeitlich befristet ist, zukünftig anderweitig gedeckt oder wo immer wieder Neueinlagen<br />

organisiert werden können. Als Träger bieten sich gemeinnützige Vereine oder<br />

Stiftungen an. Diese Art von Fonds rechtfertigen den Aufwand der Kapitalakquise<br />

nicht allein über die Mittelzuflüsse, sondern sie sind auch ein sehr gutes innerregionales<br />

Vernetzungs- und vor allem auch Marketinginstrument für ausgewählte regionale<br />

Themen.


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 191<br />

Beispiel Zukunftsfonds Dübener Heide: Der Naturpark Dübener Heide hat einen<br />

„Zukunftsfonds“ gegründet, der Privatpersonen und Wirtschaftunternehmen dazu<br />

einlädt, sich an der <strong>Entwicklung</strong> der Heide zu beteiligen. Dafür wurde ein Fundraising-Konzept<br />

entwickelt, das größtenteils zweckgebundene Mittel einwirbt. Für die<br />

Kommunikation wurden fünf Projekte identifiziert, für die Geld gesammelt wird: Naturpark-Informationszentrum,<br />

Flächenkauf für Biberschutzzonen, Wildtiererlebnis,<br />

Junior Ranger. Acht Zielgruppen, die diese Projekte wertschätzen, sind identifiziert<br />

und jeweils spezifische Botschaften dafür definiert. Erste Maßnahme war das persönliche<br />

Verteilen von Spendenbriefen bei größeren Naturparkveranstaltungen.<br />

Sehr erfolgreich ist auch der Verkauf einer Sammleraktie. Eine jährliche „Aktionärsversammlung“<br />

mit Infos, Kultur und Kulinarischem führt diese Personen zusammen<br />

und bildet inzwischen ein wichtiges Unterstützernetzwerk.<br />

Bürgerstiftungen<br />

Ziel ist es, einer größeren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen<br />

(Corporate Citizens) lokal oder regional zu ermöglichen, ihre spezifischen Beiträge<br />

zum Gemeinwohl unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen. Sie dienen dabei<br />

als Sammelbecken für Spenden und Zustiftungen. Der langfristige Aufbau des Stiftungsvermögens<br />

durch Zustiftungen sichert die finanzielle Unabhängigkeit einer<br />

Bürgerstiftung und gewährleistet die Kontinuität der Stiftungsarbeit. Eine Bürgerstiftung<br />

ist eine selbständige und unabhängige Institution. Sie sichert eine langfristige<br />

und zukunftsorientierte Unterstützung von sinnvollen Projekten und Ideen. Hierfür<br />

baut sie ein eigenes Stiftungskapital aus Zustiftungen und Spenden auf. Während<br />

das Stiftungskapital dauerhaft angelegt ist, werden die Stiftungserträge für die Arbeit<br />

der Stiftung – Projekte und Aktionen – eingesetzt. Spenden indes werden bereits<br />

kurzfristig für unterschiedliche Aktivitäten im Sinne der Stiftungsziele eingesetzt.<br />

Eine Bürgerstiftung kann Trägerin verschiedenster Kleinstiftungen für unterschiedliche<br />

Anliegen sein, so dass sehr vielfältige Motive dort einen Platz finden können.<br />

Beispiel Bürgerstiftung Südbrandenburg: „Die Geschicke selbst in die Hand<br />

nehmen“ dachte sich eine Gruppe engagierter Menschen und bildete im März 2008<br />

eine Initiativgruppe. Hier kommen Unternehmer, Medienschaffende und interessierte<br />

Bürger zusammen. Innerhalb von 6 Monaten hat die Initiativgruppe gemeinsam<br />

Visionen und Zielsetzungen für die „Bürgerstiftung Südbrandenburg“ entwikkelt.<br />

Die Bürgerstiftung engagiert sich für ein zukunftsfähiges Leben auf dem Lande<br />

mit den Schwerpunkten Jugend, Kultur, und soziales Miteinander. Mit den Pilotvorhaben,<br />

wie Kinder Uni Mobil und BerufsCamps, will die Bürgerstiftung die regionalen<br />

Chancen für die Bindung und Ausbildung der jungen Generation unterstützen.<br />

Unterstützt durch zwei Beraterinnen wurden die für die Stiftungsarbeit erforderlichen<br />

Vermögens- und Kommunikationsstrategien entwickelt sowie Satzungsunterlagen


192 Josef Bühler<br />

entworfen. Gleichzeitig hat die Initiativgruppe das förmliche Anerkennungsverfahren<br />

zur Stiftungsgründung beim zuständigen Innenministerium des Landes Brandenburg<br />

eingeleitet.<br />

5. Doppelte Rendite ist der Schlüssel<br />

Die aufgeführten Instrumente sind in der Regel nicht neu. Wenn von „neu“ oder „alternativ“<br />

überhaupt gesprochen werden kann, dann ist es der andere Kontext, in<br />

denen sie eingesetzt werden. Bürger engagieren sich für eine Idee und stellen dafür<br />

Beteiligungskapital oder Spenden in verschiedensten Formen zur Verfügung.<br />

Alle Erfahrungen zeigen, dass dies nur gelingt, wenn die Projekte oder <strong>Entwicklung</strong>slinien:<br />

� eine „doppelte Rendite“ vermitteln können. Diese besteht – mit Ausnahme von<br />

Spendenmodellen – aus einem materiellen Teil (Zinsen, Sammlerwert, Nutzungsansprüchen)<br />

sowie einem ideellen Mehrwert durch die Erfüllung ökologischer,<br />

sozialer und kultureller Motive. Geld geben muss „Sinn“ stiften.<br />

� mit einer Kommunikationsstrategie vermittelt werden, die zielgruppengerecht<br />

aufgebaut wird und somit Mitmacher/innen gewinnt und erhält. Dies setzt ein<br />

Marketingkonzept voraus.<br />

Häufig werden diese Instrumente als in der Region nicht umsetzbar definiert und<br />

argumentiert: „Unsere Region hat kein Geld“. Dieser Satz ist zu relativieren. Denn<br />

selbst bei der Sparkasse des ärmsten Landkreises in Deutschland liegen über 600<br />

Mio. Euro Spareinlagen ein, bundesweit gar über alle Bankengruppen hinweg mehr<br />

als 600 Mrd. Euro. Ein Teil dieses Geldes wird von den Bürgern mit niedrigen Renditen<br />

– ohne Zusatznutzen und Mitsteuerung – im Sparbuchniveau eingelagert. Wer<br />

Kapital benötigt, muss den Bürgern Alternativen anbieten.<br />

Ergänzende Literatur<br />

Beermann, Petra/Leuninger, Stefan (2005): Kooperative Regionalentwicklung im<br />

ländlichen Raum – PPP als Erfolgsmodell?, in: LEADERforum 2/2005, S.<br />

23ff,<br />

Bühler, Josef (2009): Aktives privates Kapital für die Region erschließen: Instrumente<br />

und Beispiele, euregia-Verlag, Aulendorf, 2. Auflage<br />

Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband (2006): Genossenschaften<br />

gründen – von der Idee zur EG, CD-ROM, Bezug: www.dgrv.de; info@dgrv.de<br />

(kostenlos)<br />

Friess, Isabell (2005): Was ist Public Private Partnership? In: LEADERforum<br />

2/2005, S. 20ff,


<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente zur Aktivierung privater Mittel 193<br />

Hardraht, Klaus/Dr. Godschalk, Hugo (2004): Komplementärwährungsgutachten –<br />

Sparkasse – Delitzsch – Eilenburg, Leipzig<br />

Kontakt:<br />

Josef Bühler<br />

Geschäftsführer neuland+ GmbH & Co KG, Aulendorf<br />

www.neulandplus.de<br />

E-Mail: Buehler@neulandplus.de


194 Josef Bühler


Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen<br />

Menschen<br />

von Franz Dullinger<br />

Regionalförderung: Bringt hoher Aufwand automatisch große<br />

Wirkung in den Regionen?<br />

Für Regionalentwicklung wird in den europäischen Mitgliedstaaten ein großer Aufwand<br />

betrieben. So wird mit über 400 Mrd. EUR in einer Förderperiode mehr als ein<br />

Drittel des EU-Haushalts dafür eingesetzt. In Deutschland betreiben zusätzlich zur<br />

EU der Bund und jeweils die Länder weiteren Aufwand, um die „Nachteile strukturschwacher<br />

Regionen“ auszugleichen. Die Fördergelder werden dabei üblicherweise<br />

für neue Straßen, Ortskernsanierungen oder neue Fabrikhallen ausgegeben.<br />

Der Staat will sich irgendwie um die „Bedürftigen“ kümmern und gibt vor, dass Regionalförderung<br />

automatisch zu den im Grundgesetz verankerten „gleichwertigen<br />

Lebensverhältnissen“ beitragen würde.<br />

Dass das viele Fördergeld jedoch häufig nicht zu den erhofften Wirkungen führt,<br />

kann jeder sehen und spüren, der mit offenen Augen durch die oft ländlich geprägten<br />

Gebiete fährt, die seit Jahrzehnten „Höchstfördergebiete“ sind.<br />

Der folgende Beitrag rückt die ländliche geprägten Gebiete in den Fokus und zeigt<br />

Ansätze auf, wie Regionalentwicklung funktionieren kann.<br />

Ist die konventionelle Regionalförderung noch ihr Geld wert?<br />

Die Bevölkerung in vielen ländlichen Regionen Europas nimmt aus verschiedenen<br />

Gründen stetig ab. Das liegt daran, dass es schlicht weniger junge Menschen gibt.<br />

Wenn zusätzlich die Schule und das Lebensmittelgeschäft schließen oder die Musikgruppe<br />

nicht mehr zustande kommt, zieht es junge Menschen nach der Ausbildung<br />

mehr und mehr in die großen Städte. Dort winken scheinbar mehr Wahlmöglichkeiten<br />

und auch der „angesehene Arbeitsplatz“, vorzugsweise im großen Unternehmen,<br />

ist dort eher zu finden.<br />

Bei den Kommunen im ländlichen Raum ist hektische Betriebsamkeit die Folge:<br />

Viele Kommunalpolitiker und Funktionäre rufen häufig nach dem Staat. Er soll die<br />

Infrastruktur verbessern, die Arbeitsplätze zu den Bürgern bringen, die Ortskerne<br />

vitalisieren, den Tourismus ankurbeln etc.


196 Franz Dullinger<br />

Hier kommt die Regionalförderung bzw. die ländliche <strong>Entwicklung</strong> ins Spiel. Heerscharen<br />

von öffentlich Bediensteten im Mehrebenen-System von Brüssel bis runter<br />

zu den Kommunen beschäftigen sich damit. Die Ausrichtung der Programme orientiert<br />

sich maßgeblich daran, ob das Geld planmäßig und fehlerfrei über die bestehenden<br />

Verwaltungsstrukturen ausgegeben werden kann. Dabei belegen aktuelle<br />

Erkenntnisse, z.B. des Berlin-Instituts für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong>, einmal<br />

mehr, dass diese Art der Förderung von oben nach unten wenig bewirkt. 116 Im Gegenteil:<br />

In den sogenannten „Höchstfördergebieten“ wurde schon viel Unternehmungslust<br />

eingeschläfert.<br />

Neben der fraglichen Wirkung der konventionellen Regionalförderung wird deren<br />

Verteilungsapparat von immer mehr Menschen als kalt und unmenschlich empfunden.<br />

117 Im Förderwesen hat sich über die Jahre eine weit verbreitete Kultur entwikkelt:<br />

Die „Förderexperten“ beschäftigen sich zu großen Teilen mit sich selbst. Als<br />

aktuelles Beispiel kann hier das sogenannte Schulobstprogramm angeführt werden.<br />

Die EU stellt den Regionen, in Deutschland also den Ländern, Geld für Schulobst<br />

zur Verfügung. Aufgrund des immensen bürokratischen Aufwandes verzichten einige<br />

Länder komplett auf die Mittel. Andere wiederum verbrauchen einen beträchtlichen<br />

Teil der Mittel zur Beschäftigung ihres „Apparat“. In Baden-Württemberg sind<br />

das in diesem Fall laut Angaben des Landwirtschaftsministeriums rund 400.000<br />

EUR von den 4 Mio. EUR Projektmittel. Eigentlich sollte das Geld bewirken, dass<br />

Kinder mehr gesundes Obst essen.<br />

Es bestehen kaum Verbindungen zwischen der „Förderwelt“ und den unternehmerischen<br />

Menschen in den Regionen (siehe Abbildung 1). Wenn überhaupt, dann mit<br />

denjenigen, die beispielsweise für den Bau größerer Hallen Investitionsförderung<br />

„mitnehmen“. Selbst die Profis „im System“ empfinden die Förderabwicklung als<br />

derart kompliziert, dass niemand mehr durchblickt. Kein Mensch „außerhalb des<br />

Systems“ versteht diese Handhabung der Förderprogramme auch nur ansatzweise.<br />

116 Brandeins 10/09: „Die Leute fallen ja nicht vom Himmel“; Interview mit Reiner Klingholz.<br />

117 Brandeins 01/10: „Aufstand von unten“; Interview mit Kurt Biedenkopf.


Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 197<br />

Abbildung 1: Die Förderwelt ist von den unternehmerischen Menschen abgetrennt.<br />

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Alternativer Ansatz für ländliche Räume: Selbstverantwortliche<br />

lokale Initiativen<br />

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong> hat im Auftrag der Bundesregierung<br />

im Jahr 2009 eine Idee entwickelt, wonach die Menschen auf lokaler Ebene<br />

die <strong>Entwicklung</strong> selbstverantwortlich gestalten. Gefördert werden könne nur dort, wo<br />

Menschen sind, die Ideen haben und diese umsetzen wollen und können. Um <strong>Entwicklung</strong><br />

anzuregen, müsse man die Menschen einfach „machen lassen“. Nur wo<br />

Bürger ernst genommen würden, übernähmen sie auch Verantwortung. 118<br />

Zur praktischen Umsetzung einer solchen Idee hat der Verfasser dieses Artikels<br />

bereits im Jahr 2003 das europäische Modellprojekt „XperRegio“ initiiert und zusammen<br />

mit Partnern über Jahre „an den Graswurzeln“ umgesetzt.<br />

Beispiel EU-Modellprojekt XperRegio<br />

Als ersten Schritt haben sieben niederbayerische Gemeinden ein eigenes Handlungsprogramm<br />

aufgesetzt: Diejenigen, die lieben, was sie tun, sollten gefunden,<br />

individuell unterstützt und untereinander vernetzt werden. Gesucht wurden Menschen<br />

mit speziellem Können, die mutigen Unternehmer, die Begeisterten und die<br />

Freaks. Von der Kindergärtnerin oder dem Theaterintendanten über den Musikfreak<br />

oder den Bauern bis zum Software-Designer. XperRegio nahm sich vor, bestmög-<br />

118 Berlin-Institut für Bevölkerung und <strong>Entwicklung</strong> (2009): Demografischer Wandel. Ein Politikvorschlag<br />

unter besonderer Berücksichtigung der Neuen Länder. Berlin.<br />

x


198 Franz Dullinger<br />

lich ihre „regionalen Experten“ zu unterstützen. In diesen unternehmerischen Menschen<br />

sah man den längsten Hebel für eine dynamische Regionalentwicklung. Die<br />

Erfahrenen wissen: Hinter jedem erfolgreichen Projekt, hinter jedem erfolgreichen<br />

Unternehmen steht ein Mensch mit einem inneren Antrieb für „seine Sache“. Diese<br />

begeisterten Typen stecken andere an, sorgen für einen positiven Wettbewerb um<br />

die besten Ideen, sorgen für Aufbruchstimmung und schaffen Wettbewerbsfähigkeit<br />

und neue Arbeitsplätze. Ein pulsierendes Feld entsteht. Dort engagieren sich die<br />

Menschen für die Gemeinschaft, gründen Familien, kaufen ein und gestalten ihre<br />

Umgebung mit Freude.<br />

Mit diesem Programm wurde die Region von der Europäischen Kommission als<br />

Modellprojekt ausgewählt. Ein Budget von 3 Mio. EUR und die volle Verantwortung<br />

an die Basis waren die Folge.<br />

Abbildung 2: Budget und volle Verantwortung an die Basis<br />

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The „XperRegio-way“ of ERDF<br />

Die Gemeinden haben zur Umsetzung des Modellprogramms ein regionales Team<br />

mit dem Management beauftragt. Nach der Gestaltung des Handlungsprogramms<br />

war die nächste Aufgabe des Regionalmanagements, wirkungsvolle Projekte mit<br />

den Menschen vor Ort umzusetzen und die korrekte Mittelverwendung zu prüfen.<br />

Regionalfonds XperCapital<br />

Zusätzlich zu dem EU-Modellprogramms wurde im Jahr 2008 der Regionalfonds<br />

„XperCapital“ aufgesetzt. Rund 400.000 EUR EU-Mittel wurden eingebracht. Bis<br />

dato investierten Private aus der Region weitere 600.000 EUR in den Fonds. Die<br />

vorhandenen 1 Mio. EUR sind im Moment als nachrangige Darlehen an neun Unternehmen<br />

ausgereicht. Der Fonds ist eine langfristig in der Region vorhandene,<br />

zusätzliche <strong>Finanzierung</strong>smöglichkeit innerhalb des „Modell XperRegio“.<br />

Brussels<br />

Berlin<br />

Munich<br />

NUTS 2<br />

XperRegio


Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 199<br />

Ein anderes faszinierendes Modell für effektive Regionalentwicklung – unabhängig<br />

von öffentlicher Förderung – sei an dieser Stelle erwähnt: Die Regionalwert AG<br />

Freiburg. Gründer und Vorstand Christian Hiss hat erstmals eine Bürgeraktiengesellschaft<br />

aufgebaut, die in Unternehmen rund um regionale Lebensmittelproduktion<br />

und -verarbeitung investiert. Ziel ist ebenfalls eine nachhaltige regionale <strong>Entwicklung</strong><br />

mit konsequenter Bürgerbeteiligung.<br />

Entstehung und Umsetzung eines Projekts im Rahmen des Modellprogramms<br />

Das Regionalmanagement ist in den Dörfern präsent, findet den unternehmerischen<br />

Mensch und baut ein Vertrauensverhältnis auf, die Person spricht darüber, was ihr<br />

wirklich wichtig ist und wie der nächste Schritt auf ihrem Weg aussehen könnte.<br />

Die Person wird ermutigt, jetzt anzufangen. Sie wird bei der bei der Umsetzung<br />

konsequent unterstützt z.B. durch die Vermittlung individuell passender Kontakte.<br />

Gemeinsam wird dann an einem guten Konzept oder einem „runden Businessmodell“<br />

gearbeitet. Sofern dieses erfolgversprechend ist, wird ein Projektantrag gestellt.<br />

Der Antrag wird vorab vom Regionalmanagement bewertet und bei positiver<br />

Bewertung dem regionalen Lenkungsausschuss vorgestellt. Folgende Fragen stehen<br />

dabei im Mittelpunkt des Interesses:<br />

� Welches strategische Ziel verfolge ich?<br />

� Welcher nachhaltige Nutzen wird gestiftet?<br />

� Welche nachhaltigen Wettbewerbsvorteile entstehen?<br />

� Wie sieht der Beitrag für die regionale Gemeinschaft aus?<br />

Direkt im Anschluss wird über eine Projektförderung entschieden. 24 Stunden später<br />

hat die Person einen Förderbescheid.<br />

Das Regionalmanagement steht weiter als Sparringspartner zur Umsetzung und<br />

Weiterentwicklung des Vorhabens zur Verfügung. Den unternehmerischen Menschen<br />

mit ihren Ideen und Projekten wird Öffentlichkeit verschafft, Netzwerke werden<br />

ausgebaut.<br />

Die projektbezogenen Rechnungen werden beim Regionalmanagement vorgelegt<br />

und dann geprüft. Nach Feststellung der korrekten Verwendung wird die Förderung<br />

ausbezahlt.<br />

Das Ergebnis nach drei Jahren Umsetzung des Programms in einer ländlichen Region<br />

mit rund 120.000 Einwohner ist:<br />

� 150 Menschen haben ein Projekt umgesetzt.<br />

� Dadurch wurden 400 neue Arbeitsplätze geschaffen (entspricht 10.000 EUR<br />

pro Job).<br />

� Mit den 3 Mio. EUR Förderung wurden 14,3 Mio. EUR Ausgaben ausgelöst.<br />

� Hohe öffentliche Aufmerksamkeit – regional und überregional.


200 Franz Dullinger<br />

� Aufbruchstimmung und Bewusstsein über die Potenziale in der Region ist entstanden.<br />

� XperRegio wurde mit einem European Enterprise Award und dem Bundespreis<br />

für interkommunale Kooperation ausgezeichnet.<br />

Projektbeispiel: Werner Rüdel, Drehfix Systems GmbH<br />

Werner Rüdel kommt aus einer landwirtschaftlich geprägten Familie und ist von Beruf<br />

Schreinermeister. Im Jahr 2002 hatte er die Idee für ein neuartiges Dübelsystem:<br />

Eine speziell entwickelte Ankerstange wird in einen Dübel mit Führungsfunktion gesteckt<br />

und mit einem Vierteldreh stufenlos justiert. Im Schnitt werden maximal drei<br />

Sekunden für das Einsetzen und die Drehung der Ankerstange benötigt und das mit<br />

minimalem Kraftaufwand.<br />

Die Vorteile dieser Erfindung sind überzeugend: 80 % Zeitersparnis beim Montageprozess,<br />

einfache und schnelle Abstandjustierung, Klemmung über die gesamte<br />

Lochlaibung. Da das Marktvolumen für Dübel in Europa bei 1,2 Mrd. Stück pro Jahr<br />

liegt, ist das Potential einer Neuentwicklung in diesem Bereich sehr groß.<br />

2005 erhielt Herr Rüdel die europaweiten Patentrechte für seine Erfindung. Gemeinsam<br />

mit XperRegio begann er, an der Etablierung des neuen Produkts auf dem<br />

Markt zu arbeiten. Herr Rüdel setzte sich dabei ein ehrgeiziges Ziel: mittelfristig 5 %<br />

Marktanteil in Europa. In einem ersten Schritt wurden mit Hilfe des Regionalmanagements<br />

der Geschäftsplan und ein Marketingkonzept aufgestellt sowie Partner für


Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 201<br />

Produktion und Vertrieb gefunden. Zusätzlich wurden zahlreiche Gespräche mit<br />

Banken und Fördergebern der öffentlichen Hand geführt, um das notwendige Startkapital<br />

sicherzustellen. Die Banken verhielten sich jedoch zunächst passiv, kein einziges<br />

öffentliches Förderprogramm kam zum Tragen. Es bestand somit die Gefahr,<br />

dass die Industrie das Patent billig erwirbt und das damit verbundene Potenzial<br />

einmal mehr aus dem ländlichen Raum abwandert, womöglich nach Fernost.<br />

XperRegio war in dieser Situation für Herrn Rüdel die letzte Chance. Der Lenkungsausschuss<br />

entschied positiv über eine Förderung der Kosten für Marketing und<br />

Vertrieb. Dieser Vertrauensvorschuss von XperRegio bewirkte ein Umdenken bei<br />

den Banken. Die <strong>Finanzierung</strong> konnte somit doch noch gesichert und im Oktober<br />

2006 die Drehfix Systems GmbH gegründet werden.<br />

Es folgten zahlreiche Messeauftritte, Qualitätssicherung und -zertifizierung, Weiterentwicklung<br />

und Fertigung der Maschinen, die Rekrutierung der ersten Mitarbeiter<br />

usw. Im August 2007 war es schließlich soweit: Herr Rüdel verkaufte die ersten Dübel.<br />

In der Folge stellte er von Kleinserien- auf Großserienproduktion um und baute<br />

den Mitarbeiterstamm weiter aus.<br />

Die erfolgreiche und von XperRegio begleitete Unternehmensgründung von Herrn<br />

Rüdel hat direkte Auswirkungen auf die Region: Die Zulieferbetriebe befinden sich<br />

alle in der näheren Umgebung, der weiteste ist nur 60 Kilometer entfernt. Mittelbar<br />

wurden bisher mehr als 30 Arbeitsplätze geschaffen. Es entstehen Ausbildungsplätze,<br />

zwei Behindertenwerkstätten erhalten Aufträge und Herr Rüdel steht dreimal im<br />

Jahr mit seinem Patentanwalt für Schulveranstaltungen „Patent einmal praktisch“<br />

zur Verfügung.<br />

Wirkungsvolle Regionalentwicklung<br />

Wirkungsvolle Regionalentwicklung mit passenden <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />

muss am Ende aus der Region kommen und von den Menschen vor Ort konsequent<br />

gelebt werden. Subsidiarität darf nicht auf Ebene der Länder aufhören. Eigenständigkeit<br />

auf lokaler Ebene mit allen Konsequenzen ist zu fördern und zu fordern.<br />

Das Kopieren anderswo erfolgreicher Strukturen bringt keine nachhaltige <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Dazu berichtete der frühere Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, in<br />

einem Gespräch mit Professor Viktor Mayer-Schönberger, Harvard University, enttäuscht<br />

davon, dass sein Staat die Risikokapitalstruktur des Silicon Valley in Singapur<br />

nachgebaut hätte, und trotzdem würden die innovativen Unternehmer Singapurs<br />

nach San Francisco auswandern, anstatt im dynamischen asiatischen Stadtstaat zu<br />

bleiben. Lee Kuan Yew machte die enorm frustrierende Erfahrung, dass auch die<br />

schönste Region leer bleibt, wenn sie nicht mit Leben erfüllt wird.


202 Franz Dullinger<br />

Dieses Beleben einer Region beginnt mit einem regionalen Management oder einer<br />

ähnlichen Struktur, dessen Arbeit von einer speziellen Haltung geprägt ist: „Wir<br />

nehmen Sie als Mensch mit ihrem Spleen ernst. Setzen Sie sich für ihre Sache ein<br />

– wir unterstützen Sie!“ Dieses Unterstützen ist nur dann erfolgreich, wenn das Management<br />

über spezielle Kompetenzen verfügt und möglichst eigenständig und<br />

schnell entscheiden kann.<br />

Wesentliche Kompetenzen des Managements einer regionalen Initiative<br />

Wesentliche Kompetenzen eines Managements sind, die unternehmerischen Menschen<br />

einer Region zu finden und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen. Diese<br />

Menschen müssen ermutigt werden. Sie brauchen beim Ausarbeiten und Weiterentwickeln<br />

von unternehmerischen Konzepten einen Sparringspartner. Ein gutes<br />

unternehmerisches Konzept muss dabei folgendes leisten (nach Prof. Faltin):<br />

1. klare Marktvorteile herausarbeiten,<br />

2. einen Vorsprung vor Imitatoren sichern,<br />

3. vor technologischer und wirtschaftlicher Obsoleszenz schützen,<br />

4. den <strong>Finanzierung</strong>saufwand minimieren und<br />

5. Marketing muss integraler Bestandteil des Konzeptes sein.<br />

Hinzu kommen folgende unterstützende Elemente:<br />

� Wirkungsvolle Kommunikation und Vernetzung – innerhalb und außerhalb der<br />

Region<br />

Der Kontakt zu den unternehmerischen Menschen – mit ihren Geschichten und<br />

Plänen ist so interessant, dass z.B. Fernsehbeiträge dazu sehr hohe Quoten<br />

erreichen. Eine intensive Kommunikation mit und über die „positiv Verrückten“<br />

verbreitert die Basis für Regionalentwicklung und regt immer mehr Menschen<br />

an, über die Frage nachzudenken: Was ist eigentlich meine Sache? Für was<br />

will ich mich einsetzen? Das wiederum schafft zusätzliche Andockstellen zum<br />

regionalen Management.<br />

� Flexible Förderung gerade von gewinnorientierten Projekten und schnelle Entscheidungen<br />

Förderfähig ist alles, was nicht verboten ist und einen sinnvollen Beitrag zur<br />

Zielerreichung darstellt. Entschieden wird vor Ort.<br />

Schließlich sind solche innovativen Regionalinitiativen – ob öffentlich gefördert oder<br />

ausschließlich von Bürgern getragen – korrekt umzusetzen und die Mittelverwendung<br />

transparent nachzuweisen.


Regionalentwicklung durch Mobilisierung der unternehmerischen Menschen 203<br />

Hier werden vor allem von behördlicher Seite große Probleme gesehen. Wenn Spezialisten<br />

mit den komplexen Kontrollsystemen schon Schwierigkeiten hätten, könne<br />

diese Verantwortung unmöglich auf die lokale Ebene gegeben werden, so die Befürchtung<br />

von Behördenvertretern. Die Gefahr von Sanktionen mit weitgehenden<br />

Konsequenzen wäre aus ihrer Sicht viel zu groß.<br />

Das Modellprojekt XperRegio hat jedoch gezeigt, dass es möglich ist, auch auf lokaler<br />

Ebene ein innovatives Programm korrekt abzuwickeln. Tatsächlich ist es ein<br />

großer Aufwand, allen aktuell existierenden Kontrollen gerecht zu werden. Eine gut<br />

durchdachte Implementierung des Prüfsystems zur „Stunde Null“ und eine aktive<br />

Kommunikation mit allen am Prüfpfad Beteiligten minimierte jedoch das Risiko.<br />

Die Darstellung der Projekte in der Öffentlichkeit (Internet, TV, Radio, Presse, Veranstaltungen)<br />

hat sich als das effektivste Regulativ erwiesen. Der Geförderte will<br />

der Öffentlichkeit beweisen, dass er das Beste aus seiner Chance macht und am<br />

Ende Erfolg hat.<br />

Auf die Frage, wie wirkungsvolle Regionalentwicklung aussehen kann, gibt auch<br />

das Modellprojekt XperRegio eine klare Antwort: In unternehmerische Menschen<br />

investieren! Damit ist Aufbruchstimmung entstanden: „Wenn ich jetzt nicht mit meiner<br />

Sache anpacke, dann verpasse ich was.“ Die Beteiligten waren überrascht und<br />

begeistert zugleich, wieviel Freude es machen kann, „Policy-Innovation“ und „veränderungswillige<br />

Denkstrukturen“ praktisch und relativ schnell vor Ort umzusetzen.<br />

Die finanzielle Förderung spielte bei vielen Projekten eben nicht die zentrale Rolle.<br />

Wichtiger war, dass im Regionalmanagement vor Ort Menschen sind, die den positiv<br />

Verrückten Mut machen und als kompetenter Sparringspartner bei der Ausarbeitung<br />

ihrer Sache dienen.<br />

Damit sendet die Region ein Signal aus: „Bei uns gibt es Freiräume. Hier kannst du<br />

deinen Weg gehen und deine eigene Sache machen. Wir freuen uns darüber und<br />

unterstützen dich dabei!“<br />

Kontakt:<br />

Franz Dullinger<br />

Hengersbergerstr. 13a<br />

94557 Niederalteich<br />

E-Mail: office@stopgo.net


204 Franz Dullinger


Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente – und<br />

damit verbundene Herausforderungen<br />

von Carsten Hansen<br />

1. Was kümmert uns die Region? – Regionen sind gelebte<br />

Subsidiarität!<br />

Die Lebenszusammenhänge der Bürger sind regional und die Mobilität lässt die<br />

„örtliche Gemeinschaft“ wachsen. Die Menschen sind heute oft nicht mehr an einem<br />

Ort „zu Hause“, sondern sie sind an verschiedenen Orten in einer Region sozial integriert.<br />

Der Wohnort ist für viele nicht mehr der Arbeitsort, der Schulort, der Ort an<br />

dem die Freizeitaktivitäten oder die Kirchgemeindetreffen stattfinden. Diese Aktivitäten<br />

verteilen sich auf einen größeren räumlichen Bereich. Daher müssen die<br />

Städte und Gemeinden zunehmend auf <strong>regionaler</strong> Ebene zusammenarbeiten, um<br />

die von den Bürgern erwarteten öffentlichen Dienstleistungen zu erbringen. Die so<br />

verstandene Region ist aber nicht darauf begrenzt, als Kooperationsraum Verwaltungsdienstleistungen<br />

wie Schulbildung, Wasserver- und Abwasserentsorgung,<br />

Abfallbeseitigung, Kulturangebote etc. sicherzustellen. Dazu gehören auch die Arbeitswelt<br />

mit der Förderung unternehmerischer Tätigkeiten und die Verbesserung<br />

der harten und weichen Standortfaktoren, um Unternehmen und damit Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

vor Ort zu halten.<br />

Die neuen Kooperationsbeziehungen sind ein Resultat der Lebensführung der Menschen.<br />

Sie werden deshalb nicht unbedingt durch administrative Einrichtungen abgebildet.<br />

Regionen sind etwas anderes als z.B. bloß Landkreise. Diese sind als<br />

Gemeindeverbände für den Ausgleich benachbarter Gemeinden zuständig, aber sie<br />

decken originär keine regionalen Aufgaben ab. Vielmehr bestimmen die Menschen<br />

mit ihren differenzierten Strategien der Bedürfnisbefriedigung, welche Kommunen<br />

kooperieren müssen.


206 Carsten Hansen<br />

2. Hintergrund regionale Wirtschaftspolitik<br />

Regionale Wirtschaftspolitik wird nicht nur von Kommunen betrieben. Wenn es um<br />

investive gewerbliche Wirtschaftsförderung geht, beanspruchen die Länder Zuständigkeit.<br />

Auf regionale Wirkungen zielen öffentliche Förderprogramme mit ihren Möglichkeiten<br />

der Investitionsförderung. Regionale Wirtschaftsförderung ist daher ein<br />

fester Bestandteil der Wirtschaftspolitik der Länder. Die Notwendigkeit dessen wird<br />

kaum ernsthaft in Frage gestellt, d.h. das „Ob“ steht außer Frage. Das „Was bzw.<br />

Wo sollte gefördert werden“ und das „Wie sollte gefördert werden“ ist umstritten:<br />

Schließlich geht es um die Verteilung von Macht(-ressourcen) in einem komplexen<br />

politischen und administrativen Mehrebenensystem. Es reicht von der EU über die<br />

nationale und Länderebene bis in die Regionen auf die lokale Ebene.<br />

Die Aufgabe ist komplex und oft genug entsteht der Eindruck, dass die regionale<br />

Wirtschaftspolitik mit Ansprüchen und erwarteten Wirkungen überfordert ist. Die<br />

öffentliche Infrastruktur und Branchenschwerpunkte der Wirtschaft sollen zusammenpassen,<br />

das Verhältnis von örtlich bzw. regional verankerten und globalen Unternehmen<br />

soll stimmen, Cluster sollen sich zusammenfinden oder gar gebildet<br />

werden, die Rentabilität der Unternehmen soll mit Arbeitsplatzzuwächsen verbunden<br />

sein und Wertschöpfungsprozesse sollen für volkswirtschaftliche Mittelzuflüsse<br />

in die Regionen sorgen.<br />

Probleme der regionalen Wirtschaftsentwicklung sind ergänzend dazu oft in einer<br />

Vielzahl von kleinen und örtlich begrenzten Ursachen begründet, die die Komplexität<br />

weiter vergrößern. Sie reichen von Schwierigkeiten, Zugang zu Finanzmitteln zu<br />

bekommen, schrumpfenden, bzw. sich durch Migration räumlich verlagernden<br />

Märkten, demografischen Ursachen (Unternehmensnachfolger, Fachkräftemangel),<br />

unternehmensfremden Rahmenbedingungen wie das Schul- oder das Freizeitangebot<br />

bis hin zu klassischen Infrastrukturfragen wie der Straßenanbindung oder der<br />

Breitbandverfügbarkeit.<br />

Typischerweise wird die Steuerungskompetenz vergrößert, um der Komplexität der<br />

Herausforderung gewachsen zu sein. D.h. mehr Kompetenzen für die Mittel verwaltenden<br />

Stellen, mehr und genauere Richtlinien für die Mittelverwendung, mehr<br />

Planungskompetenz, straffere Führung und zentrale Entscheidungen, um die „Reibungsverluste“<br />

zu verringern.<br />

Die für eine zentrale Regulierung notwendigen homogenen Probleme, Ausgangsbedingungen<br />

und Lösungsstrategien sind leider in Themenbereichen wie demographischer<br />

Wandel oder wirtschaftlicher <strong>Entwicklung</strong>, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen<br />

vorhanden.


Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 207<br />

3. Steuerung <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Ein anderer Ansatz beantwortet das Wachstum von Komplexität nicht mit Wachstum<br />

der Steuerung, sondern Vervielfältigung von Maßnahmen. Die Entscheidungen<br />

über Lösungsstrategien und die Kompetenzen zu deren Umsetzung sollten deshalb,<br />

dem Subsidiaritätsprinzip folgend, möglichst dezentral getroffen werden. Im Bereich<br />

der regionalen Wirtschaftspolitik ist dies offensichtlich die Ebene der Region. Entsprechend<br />

den in der Verwaltungswissenschaft verwendeten drei Kompetenzarten<br />

der Politik müsste eine Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale Ebene sowohl<br />

die Entscheidungskompetenz als vor allem auch die <strong>Finanzierung</strong>s- und Verwaltungskompetenz<br />

umfassen. Untersuchungen von Förderprogrammen, in denen<br />

regionale Budgets zum Einsatz gekommen sind, zeigen, dass mit der o.a. eher<br />

technischen Verlagerung der Kompetenzen sehr viele positive und emotionale Reaktionen<br />

bei den Akteuren in den Regionen ausgelöst werden: Steigerung des<br />

Selbstwertgefühls, Motivation, Verantwortungsbewusstsein, Aktivierung des Ehrenamts<br />

und die Eigenverantwortlichkeit. Damit wird genau das aktiviert und gestärkt,<br />

was für eine erfolgreiche regionale <strong>Entwicklung</strong> gebraucht wird, so zutreffend 2007<br />

formuliert von Sebastian Elbe in seiner Dissertation "Die Voraussetzungen der erfolgreichen<br />

Steuerung integrierter Ansätze durch Förderprogramme. Untersucht am<br />

Beispiel des Modellvorhabens Regionen Aktiv".<br />

4. Regionales Budget als Schlüssel<br />

Mit dem als Modellvorhaben in die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen<br />

Wirtschaftsstruktur (GRW) eingeführten Regionalbudget besteht für die Bundesländer<br />

die Möglichkeit, die o.a. Effekte zu initiieren. In den Ländern ist das Instrumentarium<br />

vorhanden, die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> ihrer Regionen voranzutreiben,<br />

indem die regionalen Potenziale gezielt identifiziert und aktiviert werden.<br />

Für die Regionen und vor allem für die Unternehmen in der Region kann das GRW-<br />

Regionalbudget eine wesentliche Erleichterung durch kurze Wege und Einbeziehung<br />

der vor Ort vorhandenen Kenntnisse der beteiligten Partner in Politik und Verwaltung<br />

bedeuten. Zudem können die Kommunen verantwortlich in die Förderung<br />

einbezogen werden.<br />

Das GRW-Regionalbudget und andere regionale Budgetformen hätten vor allem<br />

den Vorteil, dass sie einen Wandel in der „Philosophie“ der Zusammenarbeit für die<br />

Regionalentwicklung bewirken könnten. Das bestehende System, Zuschüsse eines<br />

Landesprogramms zu beantragen, führt dazu, dass erfolgreich ist, wer mehr oder<br />

weniger geeignete Maßnahmen und Projekte kreiert, um möglichst viele Mittel in


208 Carsten Hansen<br />

den eigenen Ort/Wahlkreis/Region zu lenken. Im Ergebnis werden damit Kooperationen<br />

erschwert, weil sie diese Art Erfolg nicht bieten können.<br />

Bei Regionalbudgets gehen von örtlichen „Egoismen“ keine positiven Anreize mehr<br />

aus. Zumindest mittelfristig ist zu erwarten, dass Kooperationen vereinfacht werden,<br />

weil sie attraktiver werden.<br />

5. Rahmenbedingungen für regionale Budgets<br />

Die Idee von regionalen Budgets setzt einige Bedingungen voraus, die gegeben<br />

sein sollten. Was ist zum Beispiel eine Region? Es gibt keine klare Abgrenzung,<br />

aber dafür viele Vorstellungen. Regionen im Sinne von Kooperationen, die ein gemeinsames<br />

Budget für die Regionalentwicklung verwalten, sind keine neuen Institutionen<br />

oder gar Behörden. Eine derartige Region ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips,<br />

nach dem die jeweils kleinteiligste Ebene, die eine Aufgabe erfüllen<br />

kann, diese auch erfüllen soll. Deshalb müssen die Gebietskörperschaften, die als<br />

Region zusammenarbeiten, in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Derartige<br />

Zusammenarbeit ist nachhaltig, zumindest dauerhaft, nur zu erreichen, wenn sie<br />

freiwillig geschieht. Bestehen innerhalb der Region Spannungen, weil sich einige<br />

Kooperationspartner ungleich bzw. ungerecht behandelt fühlen, dann können diese<br />

Spannungen auch nicht durch institutionelles Gefüge oder rechtliche Verpflichtung<br />

beseitigt werden.<br />

Deshalb sollte die Abgrenzung den Kommunen selbst überlassen bleiben, also freiwillig<br />

sein. Dennoch bietet sich eine thematische Abgrenzung an, um hierdurch<br />

auch inhaltliche Schwerpunkte setzen zu können: Die Region grenzt sich aufgrund<br />

eines gemeinsamen Problem- und Potenzialraums unter Berücksichtigung der Akteursstrukturen<br />

ab.<br />

Um mit Fördermitteln im Bereich der Regionalentwicklung positive Impulse setzen<br />

zu können bedarf es einer kritischen Masse der Förderung: Es müssen bezogen auf<br />

die Region ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die regionale <strong>Entwicklung</strong><br />

beeinflussen zu können. Das Volumen von GRW-Regionalbudgets ist mit 300.000<br />

Euro pro Jahr nach oben begrenzt – das erfordert eigentlich, dass die Mittel dann<br />

wenigstens sehr flexibel eingesetzt werden können sollten.


Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 209<br />

6. Stärkung der Regionen durch Regionalbudgets<br />

Eine weitere unverzichtbare Grundlage für ein Regionalbudget ist ein regionales<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzept. Es beantwortet die Frage, was die gemeinsamen Ziele einer<br />

Region sind. Es ist darüber hinaus auch die Grundlage für die <strong>Entwicklung</strong> von<br />

Handlungskonzepten, die für die Inanspruchnahme nationaler und europäischer<br />

Fördermittel für die Regionalentwicklung vorausgesetzt wird. Über die Inanspruchnahme<br />

bestehender Fördermöglichkeiten hinaus bieten regionale Konzepte die<br />

Gelegenheit, neue Handlungsformen und Initiativen zu erproben.<br />

Hierzu können beispielsweise regionale Fonds gehören, mit denen besondere kreative<br />

oder unternehmerische Ideen unterstützt werden. Oftmals sind die „großen“<br />

gewerblichen Investitionsprogramme hierfür weder gedacht, noch geeignet. Durch<br />

die Einbindung der regionalen Banken und Sparkassen können solche Fonds auch<br />

finanztechnisch regional verankert werden.<br />

Natürlich werden Regionen auch gestärkt, wenn die Bedingungen für regionales<br />

Verwaltungshandeln verbessert werden. Hierzu sind besonders die regionalen Planungsinstitutionen<br />

(wie regionale Planungsverbände) zu zählen, aber auch die gesetzlich<br />

vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit vom Zweckverband bis zur<br />

gemeinsamen Ausschreibung von Leistungen. Die Region ist daneben auch die<br />

geeignete Handlungsebene, um modernes Verwaltungshandeln wie „Good Governance“-Ansätze<br />

umzusetzen. Damit werden die wichtigen Formen bürgerschaftlichen<br />

Engagements und Formen öffentlich-privater Partnerschaften integriert.<br />

Regionalbudgets treffen also auf ein vorbereitetes Umfeld, das weit über die enge<br />

Perspektive der verwaltungsmäßigen Umsetzung von Regionalentwicklungs- oder<br />

regionalen Wirtschaftsförderungsprogrammen hinausgeht.<br />

7. Vorbehalte gegen Regionalbudgets<br />

Regionalbudgets sind in der gegenwärtigen Fördersystematik der Regionalpolitik ein<br />

ergänzendes Instrument. Auch in anderen Bereichen gibt es Regionalbudgets.<br />

Umfangreich werden sie in der Arbeitsmarktpolitik genutzt. In Brandenburg sind sie<br />

flächendeckend eingeführt. Hier sind sie ein wesentliches Instrument, um Fördermittel<br />

des Europäischen Sozialfonds regionalisiert einzusetzen. Die Regionalbudgets<br />

der Arbeitsmarktpolitik werden auch zur Unterstützung der Zielerreichung in<br />

Fachpolitiken (z.B. Tourismus-, Naturschutz-, Standortpolitik) eingesetzt.


210 Carsten Hansen<br />

Nachfolgend soll die Betrachtung auf die Regionalbudgets in der Regionalpolitik zur<br />

Stärkung der regionalen Wirtschaft beschränkt werden. Der mit Regionalbudgets<br />

verbundene mögliche Nutzen hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze, der<br />

Verstärkung <strong>regionaler</strong> Vernetzung und Wertschöpfung sowie der Vertiefung der<br />

regionalen wirtschaftlichen Zugehörigkeit spricht eigentlich dafür, Regionalbudgets<br />

als innovatives Instrument zu erproben. In der Realität überwiegen jedoch die Bedenken<br />

gegen Regionalbudgets. Zwei Hauptkritikpunkte betreffen die Investitionsförderung<br />

und die organisatorischen Strukturen.<br />

Die Einsatzbereiche des Regionalbudgets in der GRW sind nicht etwa die „kleinskaligen“<br />

Investitionsförderung, sondern das regionale <strong>Entwicklung</strong>spotenzial verstärkt<br />

zu mobilisieren, regionale <strong>Entwicklung</strong>saktivitäten zu organisieren und die regionale<br />

Identität zu stärken – unter der Voraussetzung, dass es funktionierende Regionalmanagementeinrichtungen<br />

gibt. Mit Regionalbudgets dürfen also keine gewerblichen<br />

Unternehmen direkt gefördert werden. Zudem dürfen bestehende Regionalmanagements<br />

nicht zusätzlich (doppelt) gefördert werden. Die Einschränkungen<br />

beschneiden den Einsatzbereich von GRW-Regionalbudgets erheblich, denn der<br />

zulässige Einsatzbereich gehört zum klassischen Betätigungsbereich des Regionalmanagements,<br />

darf aber nicht dafür verwendet werden (Doppelförderung). Als<br />

Resultat dessen werden möglicherweise Projekte und Aktivitäten gefördert, die gegebenenfalls<br />

nicht den Kern dessen treffen, was in der Region und für die regional<br />

ansässigen Unternehmen erforderlich ist. Zudem wird den Regionalbudgets, zumindest<br />

in Sachsen-Anhalt, eine Mindestprojektgröße (20.000 Euro) vorgeschrieben.<br />

Damit kann ein Glaubwürdigkeitsproblem entstehen, welches die Effizienz des Mitteleinsatzes<br />

mit dem Instrument grundsätzlich in Frage stellt und „begründet“, warum<br />

die Verwendung knapper Investitionsmittel besser nicht durch Regionalbudgets<br />

gesteuert werden sollte. Das Verbot der Förderung gewerblicher Investitionen sorgt<br />

folgerichtig dafür, dass die Förderentscheidung in diesem Bereich zentralisiert bei<br />

den Ländern bleibt. Eine Verlagerung der <strong>Finanzierung</strong>s- und Entscheidungskompetenz<br />

durch Dezentralisierung wird als Verlust von Entscheidungskompetenz und<br />

damit von Macht begriffen. Dabei könnten Regionalbudgets die für Regionalförderung<br />

zuständigen Länder entlasten: Eine Reihe kleiner Projekte, die ansonsten beantragt,<br />

bearbeitet und gegebenenfalls aus rein formalen Gründen abgelehnt werden<br />

müssten, würden schon auf der kleinregionalen Ebene abgefangen und den<br />

Aufwand für die Abwicklung der Förderung durch die Länder verringern. Zudem<br />

können die beabsichtigten Effekte der Verstärkung der regionalen Identität genutzt<br />

werden, ohne dass die Länder die erforderlichen Maßnahmen koordinieren müssen.<br />

Außerdem ist zu erwarten, dass die regionale Kompetenz zur Nutzung der zur Verfügung<br />

gestellten Fördermittel wächst, mit der Folge, dass die Effizienz des Mitte-


Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 211<br />

leinsatzes steigt. In diesem Falle entsteht möglicherweise eine Konkurrenzsituation<br />

unterschiedlicher Förderphilosophien, die nicht zwingend gewollt sein muss.<br />

Das zweite Problem ist, dass eine klare Vorstellung des organisatorischen Rahmens<br />

fehlt. Die Verantwortlichen in den Ländern wissen nicht, auf was sie sich da<br />

einlassen. Ein probates Mittel, diese Unsicherheit zu beseitigen, ist es, Vorschriften<br />

über die Erscheinungsform zu erlassen. Das ist auch hier geschehen, indem die<br />

gesetzliche Regelung auf bestehende Regionalmanagements abhebt. Das stellt<br />

allerdings erneut die Frage nach der Notwendigkeit des Budgets. Der Charme, dass<br />

die Regionsabgrenzung nicht zwingend an bestehende Verwaltungsgrenzen (z.B.<br />

Landkreise, Regierungsbezirke, Länder) gebunden sein muss, entfällt dabei.<br />

8. Herausforderungen auf kommunaler Seite<br />

Es soll nicht verschwiegen werden, dass ein umfangreicher Einsatz von Regionalbudgets<br />

auch von kommunalen Vertretern als Herausforderung begriffen wird. Regionalbudgets<br />

stellen auch auf der Anwenderseite bisherige Strategien sowie die Art<br />

und Weise, wie bestimmte Konflikte in der Regionalförderung gelöst wurden, in Frage.<br />

Eigene Kompetenzen bedeuten eigene Verantwortung. Das gilt auch in der Regionalentwicklung<br />

und besonders unter dem Diktat begrenzter Mittel. In dem Maße,<br />

wie die Steuerungsverantwortung vor Ort steigt, nimmt die Möglichkeit ab, Konflikte<br />

oder Misserfolge zu verlagern. Eine klare Gegenüberstellung der (wichtigen) eigenen<br />

Bedürfnisse und der (ergänzend zu berücksichtigenden) anderen Bedürfnisse<br />

ist nicht mehr möglich. Alle Prioritäten müssen selbst gesetzt und vertreten werden.<br />

Prioritätensetzung deckt Wahrheiten auf, die dadurch nicht mehr umgangen, sondern<br />

zur Kenntnis genommen werden müssen. Das ist allerdings kein spezifisches<br />

Problem der Regionalbudgets, sondern ein mit jeder Evaluierung verbundener Umstand.<br />

Dennoch droht dadurch ein zusätzliches Konfliktpotenzial sowohl in der interkommunalen<br />

Kooperation, als auch innerhalb der eigenen Gemeinde.<br />

Ein weiterer Vorbehalt auf der kommunalen Seite betrifft, wie vorher bei den Länden<br />

beschrieben, die räumlich-institutionelle Abgrenzung von Regionen, die über ein<br />

Regionalbudget verfügen können. Idealerweise sollten sich die Kommunen, die zur<br />

Nutzung eines Regionalbudgets kooperieren, freiwillig auf der Basis <strong>regionaler</strong> und<br />

funktionaler Zugehörigkeit zusammenfinden und auf Augenhöhe begegnen. Die<br />

eine Region bildenden Städte, Gemeinden und Landkreise müssen nicht von vornherein<br />

die gleiche Struktur haben, aber sie müssen bereit sein, sich jeweils weitgehend<br />

gleichen Einfluss und Gewichtung in der Kooperation zuzusagen.<br />

Diese Übung ist auf kommunaler Ebene zu bewältigen, weil die Kommunen Kooperationserfahrung<br />

haben. Darüber hinaus bedeutet die Freiwilligkeit der Kooperation


212 Carsten Hansen<br />

aber auch die Fähigkeit, auszuhalten, dass einzelne Kommunen in einem eigentlich<br />

eine Region bildenden Gebiet keine Kooperationsnotwendigkeit sehen und keine<br />

Kooperation wollen. Das ist durchaus nicht trivial, denn diese Fähigkeit muss nicht<br />

nur auf der kommunalen Ebene vorliegen, sondern auch beim Land. Länder, wie<br />

auch (Raum- oder Regional-)Planer neigen dazu, aus Gründen der Vereinfachung<br />

von Abläufen auf Institutionen und administrative Einheiten zurückzugreifen, die es<br />

gibt oder die sie einschätzen können. Das heißt konkret, dass die Landkreise allein<br />

deshalb eine herausgehobene Rolle bei Regionalbudgets erhalten könnten, weil es<br />

sie gibt und ihnen eine die kreisangehörigen Städte und Gemeinden koordinierende<br />

Funktion zugesprochen wird. Damit sind in der Diskussion gleich mehrere weitere<br />

Aspekte verbunden, die auf der gemeindeverbandlichen Ebene Vorbehalte auslösen.<br />

Landkreise werden als räumliche Einheit von Regionen angesehen, was mit einem<br />

Vertretungsanspruch verbunden ist. Das würde jedoch zu einem Ungleichgewicht<br />

der Vertretung in den Fällen führen, in denen lediglich ein Teil der kreisangehörigen<br />

Städte und Gemeinden in einer kooperierenden Region engagiert ist. Außerdem<br />

wären weitere Fragen über die Einbindung von Gemeinden in eine Region zu klären,<br />

die weder funktional noch räumlich zur Region gehören.<br />

Zudem werden Kreisverwaltungen als Geschäftsstelle und gleichsam als institutionelle<br />

Repräsentanz von Regionen angesehen. Das ist der sichtbare Ausdruck der<br />

Koordinierungs- und damit auch Lenkungsfunktion gegenüber den Gebietskörperschaften<br />

auf lokaler Ebene, der sich auch daraus erklärt, dass Landkreise eben<br />

nicht reine Selbstverwaltungskörperschaften, sondern in Doppelfunktion auch die<br />

unterste nachgeordnete staatliche Behörde sind. Ein weiterer Aspekt wäre, dass sie<br />

bzw. die bei ihnen angesiedelten Regionalmanagements die Mittel der Regionalbudgets<br />

zur Verwaltung erhalten würden. Dies könnte die Tendenz eines Selbstverständnisses<br />

als Zahlstelle (und eventuell bewilligende Behörde) verstärken. Dieser<br />

Vorbehalt würde allerdings wohl entfallen, wenn die Länder die finanziellen Mittel<br />

des Regionalbudgets auf der Landesebene oder Sonderkonten bei den abwickelnden<br />

Banken behielten.<br />

Landkreise haben tatsächlich eine Ausgleichsfunktion für die kreisangehörigen<br />

Städte und Gemeinden. Allerdings geht es beim Regionalbudget gerade nicht um<br />

eine Ausgleichsfunktion innerhalb des Kreisgebietes. Es geht auch nicht darum,<br />

staatliche Förderprogramme dezentral zu exekutieren, sondern darum, im Konsens<br />

getroffene Fördermaßnahmen in einer Region umzusetzen. Dem widerspricht eine<br />

herausgehobene Rolle eines der Partner dann, wenn sie ihm nicht von allen angetragen<br />

wird.<br />

Zudem wird befürchtet, dass die Mittel als ergänzende <strong>Finanzierung</strong> der Regionalentwicklungspolitik<br />

auf Kreisebene und damit als Mittel zur <strong>Finanzierung</strong> der Land-


Argumente für regionale <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente 213<br />

kreise angesehen werden. In diesem Falle würden aus Sicht der kreisangehörigen<br />

Gemeinden Landesprogramme zur Regionalentwicklung bzw. der regionalen Wirtschaftsförderung<br />

nur durch solche auf der Kreisebene ersetzt. Das würde dem Ansatz<br />

von Regionalbudgets nicht gerecht. Fast müsste eine derartige <strong>Entwicklung</strong><br />

unter dem Gesichtspunkt der Partizipation (Entscheidungskompetenz) aus kreisangehöriger<br />

Perspektive als Rückschritt angesehen werden.<br />

Die Kreisumlage ist als das bedeutendste selbst bestimmbare <strong>Finanzierung</strong>smittel<br />

der Landkreise anzusehen. Zugleich ist sie die materielle Grundlage der Einnahme-<br />

Ausgleichsfunktion der Kreise für die kreisangehörigen Gemeinden. Insoweit ist die<br />

Tätigkeit der Landkreise im Bereich der Regionalförderung durch die Gemeinden<br />

zumindest mitfinanziert. Damit ist die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen<br />

Kreis und kreisangehörigen Gemeinden berührt. Daraus ergibt sich ein gewisser<br />

politischer Einfluss der kreisangehörigen Ebene auf die Verwendung der Mittel. Die<br />

Mitgestaltungsmöglichkeiten aufgrund dieser <strong>Finanzierung</strong>sbeziehungen würden<br />

aufgehoben, wenn es eine direkte und alleinige <strong>Finanzierung</strong> von regionalen Budgets<br />

durch die Länder (ohne die üblichen Eigenanteile der Maßnahmenträger) gäbe.<br />

9. Bedeutungskern des Regionalbudget – Region oder<br />

Kooperation?<br />

Abschließend stellt sich die Frage, ob in der politischen Diskussion nicht besser ein<br />

anderer Begriff für Regionalbudgets gefunden werden sollte. „Kooperationsfonds“<br />

drücken z.B. viel besser die Zielsetzung von Regionalbudgets aus und geben bessere<br />

Hinweise auf die Umsetzung. Vielleicht hilft das auch, die zahlreichen Befürchtungen<br />

zu verringern, die mit dem Begriff Regionalbudget verbunden sind.<br />

Kontakt:<br />

Carsten Hansen<br />

Wirtschaft, Tourismus, Verkehr<br />

Deutscher Städte- und Gemeindebund<br />

Marienstr. 6<br />

12207 Berlin<br />

www.dstgb.de<br />

Tel.: 030 77307 243<br />

E-Mail: carsten.hansen@dstgb.de


214 Carsten Hansen


Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner<br />

von Dr. Bertram Reddig, Dr. Sonja Scheffler und Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

1. In bewährter Tradition Zukunft gestalten<br />

Die Förderung des unternehmerischen Mittelstandes ist traditionell eines der<br />

Grundanliegen der Sparkassen. Sparkassen wurden vor über 200 Jahren gegründet,<br />

um auch den ärmeren Bevölkerungsschichten das Sparen zu ermöglichen. Und<br />

sie vergaben auch schon im 19. Jahrhundert Kredite zu fairen Konditionen. Sie<br />

nutzten das Sparpotenzial der Bevölkerung zur Stärkung der lokalen und regionalen<br />

Wirtschaftskreisläufe.<br />

So wurden die Sparkassen im Laufe der letzten 200 Jahre zum wichtigsten Finanzierer<br />

der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Diese Unternehmen<br />

bilden nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und auch die Sparkassen<br />

sind unverändert der wichtigste regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner der kleinen und<br />

mittleren Unternehmen.<br />

Im Kreditgeschäft mit dem Handwerk konnten die Sparkassen beispielsweise einen<br />

Marktanteil von 66,4 Prozent Ende Juni 2010 erreichen. Insgesamt verzeichneten<br />

die Sparkassen im ersten Halbjahr 2010 einen Anstieg ihrer gewerblichen Kreditbestände<br />

um 5,1 Milliarden Euro.<br />

Auch die Verbindung mit ihrer Region hat für die Sparkassen eine 200-jährige Tradition.<br />

Denn Anfang des 19. Jahrhunderts erkannten die Kommunen den sozialen<br />

und wirtschaftlichen Nutzen der Sparkassen. Es entstand der Typus der kommunalen<br />

Sparkasse, der auch heute noch vorherrscht. Überall in Deutschland schossen<br />

neue Institute aus dem Boden. 1836 gab es rund 280 Sparkassen. Bis zum Jahr<br />

1900 stieg die Zahl der Sparkassen im Deutschen Reich auf rund 2.700 an.<br />

Heute sind 431 Sparkassen mit einem dichten Netz von 15.700 Geschäftsstellen in<br />

ganz Deutschland vertreten. Sie stellen ein flächendeckendes kreditwirtschaftliches<br />

Angebot für alle Teile der Bevölkerung auch in ländlichen und strukturschwachen<br />

Gebieten sicher. In den Sparkassen sind insgesamt rund 250.000 Mitarbeiter tätig.<br />

Die zusammengefasste Bilanzsumme beläuft sich auf 1.073 Milliarden Euro.


216 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Sparkassen sind für ihren unternehmerischen Erfolg auf ihr jeweiliges Geschäftsgebiet<br />

angewiesen. Erfolg im Markt benötigen sie, um ihre Leistungen verlässlich zu<br />

erbringen. Dabei stehen aber nicht möglichst hohe Renditen für Anteilseigner im<br />

Vordergrund. Die Geschäftstätigkeit der Sparkassen ist auf den Erhalt und Ausbau<br />

langfristiger und tragfähiger Kundenbeziehungen ausgerichtet, die eine nachhaltig<br />

positive Wirtschaftsentwicklung ermöglichen. Entsprechend verfolgen die Sparkassen<br />

mit ihrer Geschäftstätigkeit nicht die Maximierung von Gewinnen. Sie orientieren<br />

sich vielmehr in ihrer täglichen Geschäftspolitik am Gemeinwohl.<br />

2. In der Region, für die Region<br />

Nah bei den Kunden und mit einer Geschäftspolitik, die klar auf die regionale Wirtschaft<br />

ausgerichtet ist, sind die Sparkassen überall dort vor Ort vertreten, wo auch<br />

die Unternehmen ihren Sitz haben. Man kennt sich oft langjährig und Unternehmer<br />

bestätigen immer wieder, dass ihnen persönliche Beratung – sei es in der nahen<br />

Filiale oder beim Besuch des Beraters bzw. der Beraterin im Betrieb – auch im Zeitalter<br />

des Online-Bankings sehr wichtig ist.<br />

So haben die Sparkassen nicht zuletzt durch ihre regionale Verankerung ein starkes<br />

eigenes Interesse, gemeinsam mit ihren gewerblichen Kunden auch wirtschaftlich<br />

schwierige Zeiten zu meistern. Der Ausfall eines Unternehmens hat immer auch<br />

Folgen für dessen Arbeitnehmer, Zulieferer, Kunden und das gesellschaftliche Umfeld<br />

sowie die örtliche Kommune. Diese negativen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit<br />

gilt es gemeinsam zu vermeiden.<br />

Deshalb ist eine wirtschaftlich gesunde Region immer positiv für die <strong>Entwicklung</strong> der<br />

dort verankerten Sparkasse. Deren Einsatz für ihr Geschäftsgebiet ist daher stets<br />

eine Investition in die eigene Zukunft. Auf diese Weise entsteht eine Interessenidentität<br />

mit der mittelständischen Wirtschaft, den Bürgern und den Kommunen, die<br />

dazu beiträgt, die regionalen <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten ganzheitlich zu fördern.<br />

Sparkassen haben umfassende Möglichkeiten, Kredite zu vergeben, weil sie den<br />

größten Teil der Einlagen privater Kunden aus ihrem Geschäftsgebiet einsammeln<br />

(im Durchschnitt 40 Prozent aller privaten Einlagen). Diese Gelder sind eine stabile<br />

Liquiditäts- und Refinanzierungsquelle, die die Sparkassen in der Regel von den<br />

internationalen Finanz- und Kapitalmärkten unabhängig macht.<br />

Auf diese Weise tragen Sparkassen dazu bei, dass Ersparnisse aus der Region<br />

auch dort wieder eingesetzt und investiert werden, um so die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong><br />

vor Ort voranzubringen. Die Kundeneinlagen der Sparkassen stiegen im<br />

Jahr 2009 um mehr als 9,6 Milliarden auf über 751,9 Milliarden Euro. Das Volumen<br />

dieser Einlagen übertraf Ende 2009 das der Kredite um rund 110 Milliarden Euro.


Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 217<br />

3. Kredite vergeben – Unternehmensentwicklung fördern<br />

Für den deutschen Mittelstand sind die Sparkassen der wichtigste kreditwirtschaftliche<br />

Partner; drei von vier deutschen Unternehmen sind Kunde bei einer Sparkasse<br />

oder Landesbank. Von allen Krediten an Unternehmen und Selbstständige, die<br />

deutsche Kreditinstitute Ende 2009 in ihren Büchern stehen hatten, entfielen 42,6<br />

Prozent des Gesamtvolumens auf Institute der Sparkassen-Finanzgruppe.<br />

Dieser Anteil verteilte sich zu 25,1 Prozent auf die Sparkassen und 17,5 Prozent auf<br />

die Landesbanken. Im Vergleich dazu kamen die genossenschaftliche Bankengruppe<br />

auf 15,8 Prozent und die Großbanken auf 11,9 Prozent.<br />

Mit ihrer Kreditvergabe – gerade auch im Bereich der langfristigen Mittelstandsfinanzierung<br />

– haben Sparkassen wesentlich dazu beitragen, dass es in der Finanzkrise<br />

nicht zu einer flächendeckenden Kreditklemme gekommen ist. 2009 sagten<br />

die Sparkassen 62,1 Milliarden Euro an neuen Krediten an Unternehmen und Selbständige<br />

zu, das waren sogar noch 5,5 Prozent mehr als im vorherigen Rekordjahr<br />

2008.<br />

Neben den Genossenschaftsbanken konnten die Sparkassen damit weitgehend<br />

ausgleichen, dass in der Finanzkrise bestimmte Gruppen von Kreditinstituten – wie<br />

die Groß- oder die Auslandsbanken – ihr Kreditgeschäft mit Firmenkunden zurückfahren<br />

mussten. Gerade in einer Krise erlaubt die genaue Kenntnis der Kunden und<br />

ihrer Situation vor Ort den dezentralen Verbünden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken,<br />

Kredite auch dann noch bereitzustellen, wenn diese in weiter entfernten<br />

Konzernzentralen nicht mehr als tragfähig erkannt werden können.<br />

Förderkredite können im Grundsatz durch alle Kreditinstitute in Deutschland vergeben<br />

werden, aber die Sparkassen-Finanzgruppe ist der wichtigste Vertriebspartner<br />

für diese Programme – auch und vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen.<br />

Unter den zugesagten Förderkrediten der bundesweit tätigen KfW Mittelstandsbank<br />

lag ihr Anteil 2009 bei 38,9 Prozent (1. Halbjahr 2010: 44,6 Prozent). Die Genossenschaftsbanken<br />

kamen auf 19,9 (28,3) Prozent, die Großbanken auf 17,5 (9,2)<br />

Prozent.<br />

Mehr oder weniger überdurchschnittlich ist die Marktposition der Sparkassen, je<br />

erklärungsbedürftiger und beratungsintensiver ein Förderprogramm ist und je mehr<br />

sich dieses an kleinere gewerbliche Kunden richtet – also an die typische Klientel<br />

von Sparkassen. Dies gilt z.B. für Existenzgründerprogramme wie KfW-StartGeld<br />

(Marktanteil 2009 der Sparkassen-Finanzgruppe: 57,3 Prozent) oder ERP-Kapital<br />

für Gründung (44,2 Prozent). Im Gründungsgeschäft haben Sparkassen für einen<br />

Teil ihrer Engagements Bedarf an Risikoteilung, der durch Einbindung dieser Förderprogramme<br />

(oder vergleichbarer Programme der Landesförderinstitute) bzw. von<br />

Bürgschaften in kostengünstige und oft EDV-gestützte Verfahren gedeckt werden<br />

kann.


218 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Für die arbeitsintensive Betreuung von Existenzgründern kooperieren Sparkassen<br />

vielfach vor Ort mit geeigneten Partnern wie Kammern, Wirtschaftsförderern, Universitäten,<br />

Hochschulen oder auch Mikrofinanzierern. Dies gilt vor allem für Kleinfinanzierungen<br />

und analog auch für Betriebsmittelkredite an bestehende Unternehmen,<br />

wenn diese einer speziellen und arbeitsaufwändigen Betreuung bedürfen.<br />

Der andere Schwerpunkt mit besonders hohen Marktanteilen der Sparkassen-<br />

Finanzgruppe sind KfW-Programme für gewerbliche Kunden in den Bereichen Umweltschutz,<br />

Energieeffizienz und erneuerbare Energien (Marktanteil 2009: 44,1 Prozent).<br />

In diesen Geschäftsfeldern spielt die qualitative Beratungskompetenz der<br />

Sparkassen vor Ort ebenfalls eine große Rolle.<br />

Neben der KfW bieten auch Förderinstitute der Bundesländer schwerpunktmäßig<br />

Programme für gewerbliche Kunden an, und zwar stärker als die KfW für kleine und<br />

mittlere Unternehmen (KMU) im Sinne der EU-Definition, welche eher Kunden bei<br />

Sparkassen sind als Großunternehmen. Bei den Zusagen der größeren Landesförderinstitute<br />

erreichte die Sparkassen-Finanzgruppe daher 2009 Marktanteile von<br />

teils deutlich über 40 Prozent: L-Bank (Baden-Württemberg) 52,5 Prozent, ISB<br />

(Rheinland-Pfalz) 48,1 Prozent, NRW.Bank 45,2 Prozent, NBank (Niedersachsen)<br />

44,2 Prozent und LfA Bayern 40,5 Prozent.<br />

Ein aktuelles Thema sind Mikrokredite, über die derzeit national und international<br />

viel diskutiert wird. Es gibt dafür neue zusätzliche Angebote des Bundes und der<br />

EU. Nicht immer wird bei den Diskussionen und bei der Darstellung staatlicher Angebote<br />

ganz deutlich, was mit „Mikrokredit“ genau gemeint ist: die rein quantitative<br />

Festlegung eines Kredits bis zu 25.000 Euro (laut EU-Kommission) – manchmal<br />

auch nur 10.000 Euro – oder eine mehr qualitative Definition von Kleinkrediten mit<br />

alternativen Besicherungsverfahren und ohne bankübliche Sicherheiten an „nicht<br />

bankfähige“ Zielgruppen, die vor diesem Hintergrund überdurchschnittlich arbeitsaufwändig<br />

betreut werden müssen.<br />

Wenn es um „normale“ Klein- und Kleinstkredite für Investitionen und Betriebsmittel<br />

für tragfähige Kunden im gewerblichen Bereich (Existenzgründer und Bestandskunden)<br />

geht, so gehören diese zum Kerngeschäft der Sparkassen. Gerade kleine Unternehmen<br />

und Selbstständige, die Kredite dieser Größenordnung benötigen, sind<br />

besonders häufig Kunden von Sparkassen, weil sie von diesen wegen der räumlichen<br />

Nähe und der Verbundenheit mit der Region besser bedient werden als von<br />

manchen anderen Banken.<br />

Und weil die Vergabe auch kleiner Kredite für Sparkassen üblich ist, werden diese<br />

innerhalb der gesamten Kreditvergabe auch gar nicht separat statistisch erfasst.<br />

Mitte 2009 hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband aber eine Sonderbefragung<br />

über Kredite bis zu jeweils 10.000 Euro an Unternehmen und Selbstständige<br />

durchgeführt: Diese Umfrage ergab bei allen Sparkassen einen Gesamtbestand von


Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 219<br />

420.000 Stück für zusammen 2,14 Milliarden Euro – also in dieser Größenklasse<br />

durchschnittlich gut 5.000 Euro.<br />

4. Existenzgründungen – Träume verwirklichen<br />

Unternehmensgründungen sind die Triebfeder für die Wettbewerbsfähigkeit unserer<br />

Volkswirtschaft, sie fördern Wirtschaftswachstum und schaffen Arbeitsplätze in den<br />

Regionen. Sparkassen sind auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Finanzpartner<br />

Nr. 1 für Existenzgründer. Sie begleiteten 2009 rund 11.300 Gründungsvorhaben<br />

finanziell und unterstützten dadurch die Schaffung von über 26.000 Arbeitsplätzen.<br />

Die Zahl der begleiteten Vorhaben wuchs gegenüber 2008 um 8,6 Prozent – deutlich<br />

mehr als der Zuwachs um 3,3 Prozent, den das Institut für Mittelstandsforschung<br />

(IfM) für die Zahl der Existenzgründungen ermittelt hat. Wie oben dargelegt<br />

engagieren Sparkassen sich auch bei der Vergabe staatlicher Förderprogramme<br />

stärker als andere Finanzinstitute.<br />

Sparkassen sind sich Ihrer Verantwortung gegenüber der Gründerperson und der<br />

regionalen Wirtschaft bewusst und legen Wert darauf, dass die Geschäftsideen gute<br />

Aussichten auf einen nachhaltigen Erfolg bieten. Wegen ihrer lokalen Verankerung<br />

können sie die Gegebenheiten vor Ort sehr genau einschätzen und neue Geschäftskonzepte<br />

verlässlich bewerten.<br />

2009 wurden doppelt so viele Ideen wie im Vorjahr an Sparkassen herangetragen,<br />

die sich aufgrund eines unzureichenden Geschäftskonzeptes noch nicht realisieren<br />

ließen. In diesen Fällen wird die Gründerperson gemeinsam mit örtlichen Partnern<br />

wie z.B. Wirtschaftsförderern, Kammern oder Gründungsinitiativen mit „Rat und Tat“<br />

bei der Ausarbeitung ihres Vorhabens unterstützt.<br />

Solche regionalen Netzwerke müssen noch offensiver vermarktet werden. Sparkassen<br />

stehen bereit – denn eine gute Beratung liegt zwar zu allererst im Interesse der<br />

Gründer, aber auch im Interesse der Sparkassen selbst im Sinne einer „Investition<br />

für die Zukunft“.<br />

Die Stärkung der Gründungsbereitschaft sollte bereits bei jungen Menschen ansetzen.<br />

Die Sparkassen – gemeinsam mit stern, Porsche und dem ZDF – setzen sich<br />

mit dem Deutschen Gründerpreis bereits seit 1997 für die Förderung des Unternehmertums<br />

und der Gründungskultur ein. Als bedeutendste Auszeichnung für herausragende<br />

Unternehmer in Deutschland wird er jährlich in den Kategorien Schüler,<br />

StartUp, Aufsteiger und Lebenswerk verliehen.<br />

Die Kategorie Schüler ist das bundesweit größte Existenzgründer-Planspiel für Jugendliche,<br />

die im Rahmen einer fiktiven Unternehmensgründung ein Geschäftskonzept<br />

entwickeln. Über praxisorientierte Aufgaben knüpfen die Schülerteams erste


220 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Kontakte zu echten Unternehmern. Spaß am Unternehmertum, selbstständiges<br />

Denken und Handeln werden so gefördert. Auf diese Weise sammeln die Jugendlichen<br />

Erfahrungen, die eine frühzeitige berufliche Orientierung und Qualifikation ermöglichen.<br />

5. Beteiligungskapital – Wachstum ermöglichen<br />

Für viele Unternehmen wird die Beschaffung von Eigenkapital zunehmend wichtiger<br />

– als oft entscheidende Voraussetzung für günstige Unternehmenskredite. Gerade<br />

kleine und mittlere Betriebe sind dabei besonders auf <strong>Finanzierung</strong>en durch die<br />

Kreditwirtschaft angewiesen, da in der Regel nur größeren Unternehmen der direkte<br />

Zugang zum Kapitalmarkt, zum Beispiel für die Ausgabe von Anleihen, möglich ist.<br />

Nach Angabe des Bundesverbandes der Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK)<br />

flossen 2009 in Deutschland etwa 2,4 Milliarden Euro in 1.179 Unternehmen. Knapp<br />

78 Prozent von diesen hatten einen Umsatz von weniger als 10 Millionen Euro. Dies<br />

zeigt: auch kleinere Unternehmen nutzen – gegenteiligen Aussagen zum Trotz –<br />

Beteiligungskapital für Wachstum und zur Umsetzung ihrer Unternehmensstrategien.<br />

Hier sind Sparkassen regionale Partner für ihre Firmenkunden und bieten ihnen –<br />

passend zur Unternehmenssituation wie z.B. bei schnellem Wachstum, Internationalisierung<br />

oder Nachfolge – Beteiligungskapital auch in kleineren Größenordnungen.<br />

In der Sparkassen-Finanzgruppe haben sich rund 60 aktive Beteiligungsgesellschaften<br />

etabliert, die Ende 2009 mit rund 1,8 Milliarden Euro in rund 1.450 Beteiligungen<br />

in mittelständischen Unternehmen investiert waren. 57 Prozent davon<br />

haben eine Größenordnung von bis zu 250.000 Euro, weitere 18 Prozent liegen<br />

zwischen 250.000 und 500.000 Euro.<br />

Die Positionierung der Sparkassen-Finanzgruppe in diesem Geschäftsfeld verdeutlichen<br />

folgende vier Punkte:<br />

1. Das Angebot der Sparkassen-Beteiligungsgesellschaften umfasst insbesondere<br />

mittelstandsgerechte Größenordnungen für Unternehmen.<br />

2. Regional aufgestellte Beteiligungsgesellschaften – oft mit mehreren Sparkassen<br />

und/oder Landesbanken im Gesellschafterkreis – stellen das Angebot<br />

vor Ort sicher.<br />

3. Landesbanken decken über ihre Beteiligungsgesellschaften größere Volumina<br />

für die eigene Firmenkundschaft ab und stehen für Koinvestitionen zur<br />

Verfügung.


Sparkassen als wichtige regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner 221<br />

4. Sparkassen und/oder ihre Beteiligungsgesellschaften investieren zudem in<br />

regionale Fondslösungen, um sich als Partner in den Regionen für spezielle<br />

Branchen und/oder <strong>Finanzierung</strong>sanlässe stark zu machen. Erfolgsbeispiele<br />

existieren z. B. in den Regionen Dortmund, Aachen oder in Schleswig-<br />

Holstein.<br />

Unter Berücksichtigung der Eigenkapital bietenden KfW-Förderprogramme und der<br />

<strong>Finanzierung</strong>slösungen mit den Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften investierten<br />

die Sparkassen, Landesbanken und ihre Beteiligungsgesellschaften 2009<br />

rund 485 Millionen Euro an Eigenkapital und eigenkapitalähnlichen Mitteln in mittelständische<br />

Unternehmen. Für das Jahr 2010 standen rund 550 Millionen Euro an<br />

neuem Eigenkapital für Unternehmen zur Verfügung.<br />

Gleichzeitig startete die Sparkassen-Finanzgruppe eine Initiative, um interessierte<br />

Unternehmer umfassend über das Thema „Eigenkapital“ zu informieren. So können<br />

sich Interessenten über das neue Portal www.sparkasse.de/eigenkapital-mittelstand<br />

kundig machen und bei Beratungsbedarf auch online Kontakt mit der Sparkasse in<br />

der Region und/oder der Beteiligungsgesellschaft aufnehmen.<br />

6. Internationalität fördern – Unternehmen ins Ausland<br />

begleiten<br />

Für die typischerweise kleinen Kunden von Sparkassen wird das internationale Geschäft<br />

immer wichtiger und dessen Begleitung hat hohe Bedeutung für die regionale<br />

<strong>Entwicklung</strong>, weil international orientierte Unternehmen besonders erfolgreich sind.<br />

Sparkassen begleiten ihre Kunden daher auch bei der Erschließung neuer Märkte<br />

im Ausland. Sie sind dort zwar nicht selbst vertreten, kooperieren aber mit ausländischen<br />

Sparkassen oder Kreditinstituten mit ähnlicher Geschäftsphilosophie, die<br />

ebenfalls regional ausgerichtet sind und sich um kleine und mittlere Unternehmenskunden<br />

kümmern.<br />

Die Nähe zu den Kunden – im Inland wie im Ausland – ist die große Stärke der<br />

Sparkassen, die bei deren Unterstützung das Wissen der gesamten Finanzgruppe<br />

nutzen können. Ein wichtiger Baustein im internationalen Netzwerk der Sparkassen-<br />

Finanzgruppe ist der S-CountryDesk mit dessen Hilfe die örtliche Sparkasse in fast<br />

100 Ländern ihren Firmenkunden Bankbegleitung, Know-how und persönliche Betreuung<br />

vermitteln kann. Weitere Partner in diesem Netzwerk sind die Landesbanken<br />

und die Deutsche Leasing mit modernen <strong>Finanzierung</strong>sprodukten und ihrer<br />

großen Erfahrung im internationalen Geschäft.<br />

Dazu kommen Spezialeinrichtungen für die Beratung bei der Markterschließung wie<br />

die German Centres oder der EuropaService der Sparkassen-Finanzgruppe. Letzterer<br />

macht den Sparkassen und ihren Kunden die Leistungen des Enterprise Europe


222 Dr. Bertram Reddig/Dr. Sonja Scheffler/Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Network der EU-Kommission zugänglich, vor allem für die Vermittlung von Kontakten<br />

zu ausländischen Geschäftspartnern und für die Information über Fördermöglichkeiten<br />

im europäischen Ausland.<br />

Auch einzelne KfW-Förderprogramme lassen sich für Investitionen im Ausland einsetzen.<br />

An den dafür 2009 insgesamt zugesagten 555 Millionen Euro hatte die<br />

Sparkassen-Finanzgruppe einen Marktanteil von 80 Prozent.<br />

Sparkassen sind somit in besonderer Weise in der Lage, intensive lokale Betreuung<br />

und grenzüberschreitende Begleitung miteinander zu verbinden. Sie bleiben auf ihre<br />

Region ausgerichtet, tragen aber der Orientierung der Unternehmer hin zu internationalen<br />

Märkten Rechnung, indem sie die internationale Kompetenz und Vernetzung<br />

der gesamten Sparkassen-Finanzgruppe in die Betreuung einbringen.<br />

7. Sparkassen – der regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner<br />

Die Sparkassen erfassen das Wirtschaftsgeschehen ihrer Region ganzheitlich. Sie<br />

verwirklichen Träume, indem sie Existenzgründer beraten und diese auf ihrem Weg<br />

der Unternehmensgründung begleiten. Sie finanzieren Wachstum, indem sie Kredite<br />

vergeben und über Beteiligungen Eigenkapital bereit stellen. Mit ihrer regionalen<br />

Verankerung fördern sie die Wirtschaft vor Ort und unterstützen zugleich die<br />

Expansion der Unternehmen auf ausländische Märkte. Seit 200 Jahren sind die<br />

Sparkassen der regionale <strong>Finanzierung</strong>spartner aller Bevölkerungsgruppen und<br />

Unternehmen in Deutschland.<br />

Kontakt:<br />

Deutscher Sparkassen- und Giroverband<br />

Charlottenstr. 47<br />

10117 Berlin<br />

www.dsgv.de<br />

Dr. Bertram Reddig<br />

EuropaService/Fördergeschäft<br />

Dr. Sonja Scheffler<br />

Volkswirtschaft/Finanzmärkte<br />

Kay-Ute Dallmeier-Tießen<br />

Existenzgründungen und Nachfolge


Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

– Umfassendes Experiment in den Niederlanden<br />

zeigt Eignung eines neuen Instruments 119<br />

Von Floris Marcus und Caroline Rindertsma<br />

In den Niederlanden wird seit 2009 ein interessantes Experiment durchgeführt, in<br />

dessen Rahmen veraltete Gewerbe- und Einkaufsgebiete mithilfe der Bildung eines<br />

Unternehmensfonds erneuert werden. Dies ist gesetzlich zulässig, wenn der Gemeinderat<br />

ein entsprechendes Gebiet als Business Improvement District (BedrijvenInvesteringsZone/BIZ)<br />

ausweist, die ansässigen Unternehmen gemeinsam einen<br />

Businessplan erstellen und diesem mehrheitlich zustimmen.<br />

Im folgenden Artikel geben wir einen Überblick über die Entstehung, gesetzliche<br />

Regelung und ersten Ergebnisse dieses Experiments. Mit einigen Empfehlungen für<br />

die Zukunft werden wir den Artikel abschließen.<br />

Die Gründung eines Unternehmensfonds ist kein Allheilmittel für alle raumwirtschaftlichen<br />

Probleme. Gezielt eingesetzt, stellt er jedoch ein sehr geeignetes und<br />

Erfolg versprechendes Instrument dar, das für alle Beteiligten Vorteile bietet. Er erfordert<br />

allerdings eine intensive Zusammenarbeit, Investitionsbereitschaft und ein<br />

strategisches, langfristiges Denken.<br />

Revitalisierung von Gewerbe- und Einkaufsgebieten – endlich auf<br />

der Tagesordnung<br />

Aus der Vogelperspektive sehen die Niederlande wie ein gut gepflegter Garten aus.<br />

Eine grüne Oase mit einem kunstvollen Muster aus Flüssen, Straßen und scharf<br />

abgegrenzten bebauten Flächen. Innerhalb dieser Städte und Dörfer sieht es genauso<br />

geordnet aus. Klar sind historische Einkaufskerne, Neubauviertel und Gewerbegebiete<br />

zu unterscheiden. Man erkennt, dass Jahrhunderte bewusster Stadtplanung<br />

ihre Früchte getragen haben. Darauf kann man, und das vergessen viele<br />

Niederländer häufig, durchaus stolz sein. Zum Glück schenken immer mehr Einwohner<br />

und Unternehmer diesen Gebieten ihre Aufmerksamkeit. Menschen kommen<br />

in Bewegung und engagieren sich, sei es um Qualitäten zu verbessern oder<br />

Gefahren abzuwenden.<br />

119 Aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt.


224 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

Wieder mit beiden Beinen auf der Erde, geben die Niederlande vielerorts leider ein<br />

weniger schönes Bild ab. Zahlreiche Wohnviertel sind durch physische und soziale<br />

Probleme gekennzeichnet. Viele Gewerbegebiete sind veraltet und funktionieren<br />

schlecht. Nicht wenige Einkaufsgebiete haben eine überaus schlechte Ausstrahlung<br />

und die Zusammenarbeit zwischen den Ladenbesitzern ist mäßig.<br />

Aufgrund vierzigjähriger Erfahrung mit städtischer Erneuerung hat sich auf dem Gebiet<br />

des Wohnens in den Niederlanden viel gebessert. Nichtsdestotrotz braucht es<br />

auch noch in Zukunft viel Energie und Zeit, um aus Problemvierteln Prachtviertel zu<br />

machen.<br />

Der Erneuerung veralteter Gewerbe- und Einkaufsgebiete hat man sich in den Niederlanden<br />

erst in den letzten zehn Jahren wirklich zugewandt. Erst spät wuchs die<br />

Erkenntnis, dass die schlechte räumliche Verfassung schwerwiegende negative<br />

Auswirkungen auf das Funktionieren der Unternehmen selbst und der Städte im<br />

Ganzen hat. Die Wirtschaft hatte vor allem in kleinen Gemeinden und Regionen<br />

keine Priorität. Das Wohnen, die Lebensqualität und Infrastruktur hatten bei Politikern<br />

eindeutig den Vorrang.<br />

Initiativen zur Verbesserung veralteter Gewerbe- und Einkaufsgebiete kommen<br />

bislang nur sehr mühsam zustande. Wichtigste Ursachen dafür sind der Mangel an<br />

Geld, Organisation und Zusammenarbeit.<br />

Vorgreifend auf eine landesweite gesetzliche Regelung haben einige Gemeinden<br />

deshalb begonnen, die erforderliche Revitalisierung selbst strukturiert anzugehen.<br />

Hinzu kommt, dass zahlreiche Gemeinden die regionale Zusammenarbeit in diesem<br />

Bereich intensiviert haben. Dabei geht es bislang vor allem um eine Abstimmung<br />

der Planung beim Bau neuer Gewerbegebiete und der Erneuerung alter Gebiete.<br />

Innerhalb weniger Jahre muss nun endlich die praktische Umsetzung starten. Staat,<br />

Provinzen und Gemeinden haben in einer Vereinbarung beschlossen, dass spätestens<br />

2013 mit der Revitalisierung von 6500 ha veralteter Gewerbegebietsfläche<br />

begonnen werden muss. Staat und Provinzen stellen dafür über 300 Millionen Euro<br />

als Kofinanzierung zur Verfügung.<br />

Dies sind gute Aussichten und eine Unterstützung für lokale Initiativen, denn durch<br />

sie muss die Revitalisierung letztendlich bewerkstelligt werden. Seit 2009 gibt es auf<br />

nationaler Ebene die gesetzliche Grundlage, die es ermöglicht, die Verbesserung<br />

der Gewerbe- und Einkaufsgebiete auf Gemeindeebene durch die Einrichtung eines<br />

so genannten Unternehmensfonds effektiver anzupacken. Hierdurch sollen nationale,<br />

regionale und lokale Initiativen und Instrumente in der gemeinsamen Aufgabe<br />

für „Schöne Niederlande“ einander verstärken.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 225<br />

Ein paar Fakten zu Gewerbegebieten<br />

In den Niederlanden gibt es fast 100.000 ha Gewerbegebietsflächen. Das entspricht etwa 3 %<br />

der Gesamtfläche. Diese Gewerbegebiete beherbergen über ein Viertel der Arbeitsplätze des<br />

Landes. In einer Studie wurde festgestellt, dass mehr als Tausend Gewerbegebiete mit einer<br />

Fläche von fast 17.000 ha veraltet sind. Das sind im Schnitt mehr als zwei Gebiete in jeder Gemeinde.<br />

Die Gesamtkosten für die Revitalisierung belaufen sich schätzungsweise auf 6,35 Milliarden<br />

Euro.<br />

In den kommenden Jahren wächst in den Niederlanden der Bedarf an neuen Gewerbeflächen um<br />

über 900 ha. Dies liegt unter anderem am Bedarf der ansässigen Wirtschaft und am Interesse<br />

großer ausländischer Unternehmen, sich in den Niederlanden niederzulassen und von hier aus<br />

den europäischen Markt zu bedienen. 120<br />

Ein paar Fakten zu Einzelhandelsgebieten<br />

Anstatt sich veralteten Einzelhandelsflächen zu widmen, sind im vergangenen Jahrzehnt die Einzelhandelsflächen<br />

in den Niederlanden um viele Quadratmeter gewachsen. Die Niederlande haben<br />

26.967.000 m 2 Einzelhandelsfläche. Fast 40 % dieser Quadratmeter liegen in den Kerngebieten<br />

der Innenstädte und -dörfer. Etwa 15 % dieser Fläche befindet sich in Stadtteil- und<br />

Wohnviertelzentren. Aufgrund der feinmaschigen Ladenstruktur in den Niederlanden sind diese<br />

Stadtteil- und Wohnviertelzentren mit 75 % zahlenmäßig stark in der Mehrheit. Ein Teil dieser<br />

kleineren Gebiete steht vor einer Revitalisierungsaufgabe, aber auch einige Innenstädte bedürfen<br />

einer qualitativen Verbesserung. Die Einkaufsgebiete und Regionen weisen im Hinblick auf Qualität<br />

und Leerstand große Unterschiede auf. Das liegt unter anderem an der durchschnittlichen<br />

Leerstandsquote, die je nach Typ Einkaufszentrum und auch je nach Provinz zwischen 3,5 und 8<br />

% liegt. 121 In den letzten Jahren ist der Leerstand auch wegen der wirtschaftlichen Rezession<br />

und des Aufschwungs des Onlinegeschäfts stetig gestiegen. Außerdem lassen die Leistungen<br />

auf vielen Quadratmetern zu wünschen übrig.<br />

Die Nachfrage nach erstklassigen Standorten in den großen Städten ist immer noch hoch. 2009<br />

verzeichnete die Planentwicklung bei Einzelhandelsimmobilien zum ersten Mal seit langem einen<br />

Abwärtstrend. 122<br />

120<br />

Laut dem in nationalen Untersuchungen häufig verwendeten mittleren Wirtschaftsszenario.<br />

121<br />

Geschäftsdaten Locatus, Stichtag Anfang 2010.<br />

122<br />

Das geht aus der jährlichen Geschäftsforschung von Vastgoedmarkt Research hervor.


226 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

Kernaufgaben: Was unternehmen die Niederlande?<br />

Der Bau neuer Gewerbegebiete ist künftig weniger eine Selbstverständlichkeit als in<br />

der Vergangenheit. Denn in den Niederlanden haben sich in den vergangenen Jahren<br />

zunehmend neue Organisationen für den Erhalt schützenswürdiger Landschaften<br />

eingesetzt. Große Umweltschutzorganisationen wie z.B. die Vereinigung Natuurmonumenten<br />

(mit ca. 1 Million Mitgliedern) haben ihr traditionelles Interessensgebiet<br />

Naturschutz auf den Landschaftsschutz ausgedehnt. Sie besitzen eine große<br />

Lobby und haben maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung.<br />

Die Öffentlichkeit steht deshalb dem Bau neuer Gewerbegebiete immer kritischer<br />

gegenüber. Grund dafür ist die Geschwindigkeit, mit der viele schlecht aussehende<br />

neue Gebiete wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. In den vergangenen zehn<br />

Jahren sind vor allem entlang der Autobahnen scheinbar willkürlich Gebiete mit „gesichtslosen<br />

Gebäudequadern“ entstanden.<br />

Die Standorte und die Erscheinungsbilder der Unternehmen haben bei der Öffentlichkeit<br />

wenig Sympathie geweckt. Das hat sich auch in der politischen Meinungsbildung<br />

niedergeschlagen. Außerdem steigt der Druck auf den knappen Raum in<br />

den Niederlanden unverändert. Immer mehr Funktionen führen einen harten Kampf<br />

um die Quadratmeter.<br />

Auf lokaler Ebene wird zudem immer stärker auf die Verbesserung der Einzelhandelsstandorte<br />

gesetzt. Dies geschieht „von unten“ und nicht „von oben“, wie teilweise<br />

bei den Gewerbegebieten. Die Gemeinde spielt bei dem gemeinsamen Vorgehen<br />

oft eine weniger wichtige Rolle. Ladenbesitzer und Immobilieneigentümer haben<br />

ein unmittelbares Interesse an der Verbesserung der Qualität ihres Einzelhandelsstandortes.<br />

Ein ansprechender Einzelhandel für Verbraucher heißt mehr Passanten,<br />

höhere Ausgaben, mehr Besucher und damit höhere Umsätze und schließlich<br />

höhere Mieten.<br />

Der wachsende gesellschaftliche Widerstand gegen die Umwandlung ländlicher<br />

Gebiete in neue Gewerbegebiete sowie der zunehmende Kampf um den knappen<br />

Raum lassen den Ruf nach tiefgreifender Revitalisierung der vorhandenen Gebiete<br />

immer lauter werden. Und das ist eine absolute Voraussetzung, um politische<br />

Schritte zu legitimieren und in Gang zu setzen.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 227<br />

Welche Antwort haben die Niederlande? Strategie und Instrumente<br />

Auf nationaler Ebene wurden Strategien und Gesetze erarbeitet, die von den Regionen<br />

und Gemeinden bisweilen schon vorgreifend auf die neuen Gesetze umgesetzt<br />

wurden. Im Folgenden werden die wichtigsten strategischen Ziele der Niederlande<br />

für die Gewerbe- und Einzelhandelsgebiete zusammengefasst.<br />

Strategische Ziele für Gewerbegebiete<br />

In den Niederlanden wurden drei strategische Ziele formuliert, die eine erfolgreiche<br />

Bewältigung der Problematik der Gewerbegebiete gewährleisten sollen. 123<br />

1) Wirtschaftliche Stadterneuerung: ein gemeinsames Vorgehen zur Bewältigung<br />

der anstehenden Revitalisierungsaufgabe, um die Verelendung zu<br />

stoppen. Damit soll das Vertrauen geweckt werden, um den Wandel hin zu<br />

einem stärker kommerziellen Gewerbegebietssektor in Gang zu setzen.<br />

2) Die Kommerzialisierung von Restrukturierung, <strong>Entwicklung</strong> und Verwaltung<br />

von Gewerbegebieten. Aufgrund der Raumknappheit muss Revitalisierung<br />

auf Dauer zum normalen, marktgesteuerten Lebenszyklus der Gewerbegebiete<br />

gehören, bei dem der Staat lediglich eine eingeschränkte unterstützende<br />

Rolle wahrnimmt. Dies schließt die Rolle des Staates als „Produzent“ von<br />

Gewerbegebieten nicht aus, wird jedoch im Laufe der Zeit wahrscheinlich an<br />

Bedeutung verlieren. Der Markt für Gewerbegebiete wird schließlich minimal<br />

ein <strong>regionaler</strong> Markt sein, auf dem die Marktteilnehmer sich auch regional<br />

bewegen müssen. Dieser Markt wird allmählich – auch im Hinblick auf Revitalisierung<br />

– stärker mit Risiken verbunden sein. Eine starke öffentliche Hand<br />

passt dazu nicht.<br />

3) Positionierung von Planung und Ausführung der (Neu-)<strong>Entwicklung</strong> der Gewerbegebiete<br />

in den regionalen Kontext. Der regionale Kontext bietet beste<br />

Aussichten für einen Prozess der Kommerzialisierung und die Verbindung<br />

von „Greenfield-Ansatz“ und „Brownfield-Ansatz“. Letzteres ist insbesondere<br />

für einen optimalen finanziellen Beitrag der Marktteilnehmer und Gemeinden<br />

zur wirtschaftlichen Stadterneuerung von Bedeutung.<br />

123 Abschlussgutachten der Taskforce zur (Neu-)<strong>Entwicklung</strong> der Gewerbegebiete 2009.


228 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

Strategie für die Einzelhandelsstandorte<br />

Die Einzelhandelspolitik wurde vor einigen Jahren in den Niederlanden liberalisiert<br />

und dezentralisiert. Lokale Behörden tragen nun mehr Verantwortung. Auf <strong>regionaler</strong><br />

Ebene bedarf es einer stärkeren Abstimmung, denn die Gemeinden sehen sich<br />

derzeit noch häufig als Konkurrenten. Die oben genannten Aufgaben werden nicht,<br />

wie es bei der Revitalisierung der Gewerbegebiete geschieht, auf nationaler Ebene<br />

benannt und angegangen.<br />

Maßnahmen auf nationaler Ebene<br />

Die Komplexität, Ganzheitlichkeit und Breite der Aufgabe erklären, warum die Regierung<br />

die Regie übernommen hat. Dabei kommt zum besseren und sparsameren<br />

Umgang mit Gewerbegebieten das sogenannte „Leiter-Prinzips“ zur Anwendung.<br />

Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass bei vorhandenen Gewerbegebieten erst<br />

alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, bevor ein neues Gebiet gebaut<br />

werden darf. Kurz zusammengefasst:<br />

1. Nutze den Raum, der bereits für eine bestimmte Funktion zur Verfügung gestellt<br />

wurde und/oder durch Revitalisierung verfügbar gemacht werden kann.<br />

2. Schöpfe die Möglichkeiten optimal aus, um die Raumproduktivität zu erhöhen.<br />

Dies lässt sich auf verschiedene Art und Weise bewerkstelligen, beispielsweise<br />

durch die Nutzung der „dritten Dimension“ (unterirdisch Bauen oder Hochbau),<br />

durch technische Innovationen und durch multifunktionale Raumnutzung.<br />

Rechtliche Vorschriften und die dazu gehörenden politischen Instrumente<br />

müssen eine Erhöhung der Raumproduktivität fördern.<br />

3. Falls dies nicht hinreichend Abhilfe schafft, ist die Ausdehnung der Raumnutzung<br />

für die betreffende Funktion an der Tagesordnung. Dabei sind in einem<br />

gebietsorientierten Vorgehen die einzelnen relevanten Werte und Interessen<br />

sorgfältig abzuwägen. Interessant ist die Ergänzung, dass, wenn man sich für<br />

eine Erweiterung entscheidet, Natur und Landschaft, soweit es geht, verbessert<br />

werden müssen. Eine Hand wäscht sozusagen die andere. 124<br />

Dieses Denkmodell wurde von einem Beratungsorgan der Regierung 1999 entworfen<br />

und empfohlen. Erst 2009 wurde es gesetzlich verankert. 125 Von den ersten<br />

Schritten bis hin zu ersten Taten hat es somit zehn Jahre gedauert. Bislang trug<br />

diese Stellungnahme einen unverbindlichen Charakter und zeitigte nur in begrenztem<br />

Umfang Erfolg. Das wird sich nun allerdings ändern.<br />

124 „SER-Leiter“, benannt nach einer Stellungnahme des niederländischen Wirtschafts- und Sozialrats<br />

(Sociaal Economische Raad/SER), einem Beratungsorgan der Regierung, dem mehrere Arbeitgeber-<br />

und Arbeitnehmerorganisationen angehören.<br />

125 Dies ist gesetzlich in einer so genannten Algemene Maatregel van Bestuur, einer Rechtsverordnung<br />

verankert, die die Regierung neben dem formalen Raumordnungsgesetz verabschieden<br />

kann.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 229<br />

Experimentiergesetz über Business Improvement Districts (BIDs)<br />

Am 1. Mai 2009 ist ein Experimentiergesetz über Business Improvement Districts<br />

(Experimentenwet BedrijfenInvesteringsZones BIZ) in Kraft getreten. Das Experiment<br />

läuft bis Juli 2015. Sind die Ergebnisse positiv, wird über ein definitives Gesetz<br />

entschieden.<br />

Die Aktivitäten eines BID konzentrieren sich auf „die Förderung der Lebensqualität,<br />

der Sicherheit, der räumlichen Qualität oder eines anderen teilweise öffentlichen<br />

Interesses im öffentlichen Raum des BID.“ Die Unternehmen legen die Aktivitäten<br />

selbst fest, die Gemeinde- oder Stadtverwaltung muss zustimmen und sie auf das<br />

Gemeinwohl im öffentlichen Raum hin prüfen. In der Begründung des Gesetzentwurfs<br />

wird dies wie folgt konkretisiert: „Konkret kann es sich dabei um Aktivitäten<br />

zur Verbesserung der Verkehrseinrichtungen, der Ausschilderung, der Grünflächen,<br />

der Entsorgung, der Beleuchtung, der Reinigung, der Instandhaltung, des Brandschutzes,<br />

der Graffitientfernung und zur Vergrößerung der Sicherheit durch zusätzliche<br />

Überwachung, Zäune, Videoüberwachung o.Ä. handeln.“<br />

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es für den Stadtteil und die gesamte Stadt<br />

von Vorteil ist, wenn sich in dem Gebiet die Rahmenbedingungen für Unternehmen<br />

und die Qualität des Gebiets insgesamt verbessern.<br />

Maßnahmen auf Gemeindeebene: der Unternehmensfonds<br />

Mit diesem BID-Gesetz verfügen die Gemeinden nun über ein neues gesetzliches<br />

Instrument für die Revitalisierung und die Verwaltung von Gewerbe- und Einzelhandelsstandorten:<br />

den Unternehmensfonds. Damit können Unternehmer gemeinsam,<br />

mit Unterstützung der Gemeinde, in das Unternehmensumfeld investieren. Verantwortung<br />

und Durchführung liegen in den Händen der Unternehmen.<br />

In den Niederlanden gibt es folgende drei Arten einen Unternehmensfonds aufzubauen:<br />

� über das BID-Gesetz,<br />

� die Erhebung einer Werbesteuer oder<br />

� die Erhöhung der Gemeindesteuern für Gewerbeimmobilien (das so genannte<br />

Leidener Modell).<br />

Durch alle drei Arten wird effektiv mehr Geld verfügbar, um die Qualität des eigenen<br />

Unternehmensumfelds mithilfe eines guten Businessplans zu verbessern. Die Abgabe<br />

wird bei allen Arten über die Gemeindesteuern erhoben.


230 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

BID<br />

BID ist ein Instrument von und für Unternehmen, dessen Kosten die Unternehmen<br />

selbst tragen. Da sich alle Unternehmen beteiligen, bleiben die Kosten für den Einzelnen<br />

beschränkt und es gibt kein „Trittbrettfahrer-Problem“. Voraussetzung ist jedoch,<br />

dass zwei Drittel der Unternehmen innerhalb des auszuweisenden Gebiets<br />

die Einrichtung eines BIDs unterstützt.<br />

Die Mittel verwenden die Unternehmen für Maßnahmen, von denen das gesamte<br />

Gebiet profitiert, wie z.B. die Verbesserung der Sicherheit und des öffentlichen<br />

Raums, (Stimmungs-)Beleuchtung, Werbung für Veranstaltungen und deren Organisation.<br />

Sowohl die Unternehmen als auch die Gemeinden haben ein Interesse an<br />

den Investitionen in das Unternehmensumfeld. Für die Wirtschaft sind Qualität und<br />

Sicherheit des Unternehmensumfelds ein wichtiger Faktor für ihre Kunden. Für die<br />

Gemeinde ist ein sicherer und lebenswerter öffentlicher Raum von Bedeutung, um<br />

Unternehmen und Besucher anzuziehen.<br />

Immobiliensteueraufschlag oder das „Leidener Modell“<br />

Unternehmen können Gemeinden darum ersuchen, einen Aufschlag auf den Immobiliensteuersatz<br />

zu erheben. Die Zusatzeinnahmen fließen dann in einen Fonds,<br />

den die Unternehmen verwalten. Dazu müssen Gemeinde und Unternehmen Absprachen<br />

treffen. Da dieses Modell schon seit Jahren in der Stadt Leiden praktiziert<br />

wird, wird es auch als „Leidener Modell“ bezeichnet. Mittlerweile hat es landesweit<br />

eine Vorbildfunktion. Auch andere Städte wie Leeuwarden und Gouda haben den<br />

Immobiliensteueraufschlag eingeführt. Der Aufschlag kann sowohl bei den Eigentümern<br />

als auch bei den Nutzern erhoben werden. Bei dem BID-Modell und der<br />

Werbesteuer ist dies nicht möglich.<br />

Werbesteuer<br />

Die Beteiligung an einem Unternehmensfonds über eine Werbesteuer wird mithilfe<br />

einer Abgabe für „öffentliche Ankündigungen auf öffentlichen Straßen“ geregelt. Die<br />

Grundlage bildet das Werbeobjekt. Dabei handelt es sich um alle Formen öffentlicher<br />

Ankündigungen und nicht nur um Werbung. Der Tarif kann sich nach den Maßen<br />

des Werbeobjektes, nach dem Standort oder dem Wert der Immobilie richten.<br />

Es spielt dabei keine Rolle, ob sich die Werbung auf dem eigenen Gelände oder<br />

außerhalb (z.B. über einer öffentlichen Straße) befindet. Diese Tatsache führt dazu,<br />

dass die Vorbereitung und Ausführung einer Werbesteuer kostspielig ist, muss die<br />

Gemeinde doch sämtliche Werbeobjekte inventarisieren. Außerdem gibt es Unternehmen,<br />

die ihre Werbeelemente von der Fassade nehmen, wodurch die Grundlage<br />

entzogen wird. Das gilt insbesondere für Gewerbegebiete. Das Zentrum von<br />

Veenendaal hat einen funktionierenden Fonds, der auf einer Werbesteuer beruht.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 231<br />

Das Wesen der gesetzlichen BID-Regelung aus dem Jahr 2009<br />

Der Kern eines Unternehmensfonds besteht darin, dass Unternehmen gemeinsam<br />

in ihr Gebiet investieren und es so aufwerten. Die Unternehmen legen gemeinsam<br />

fest, welche Maßnahmen zusätzlich zu den von der Gemeinde erbrachten Leistungen<br />

noch ergriffen werden müssen, um das Gebiet noch besser zu pflegen, sicherer<br />

zu machen und repräsentativ zu gestalten. Die Einnahmen aus der Abgabe kommen,<br />

abzüglich etwaiger Organisationskosten, voll und ganz den Unternehmen zugute.<br />

Gemeinde als Verwaltungsbüro<br />

Die Gemeinde übernimmt eine unterstützende Funktion. Der Gemeinderat regelt die<br />

Besteuerung über eine Verordnung und die Gemeinde organisiert die Erhebung der<br />

Abgabe. Die Einnahmen werden anschließend dem Verband oder der Stiftung ausgezahlt,<br />

die im Namen der Unternehmen die Maßnahmen ausführt.<br />

Erfolg mit konkreten Maßnahmen sichtbar machen<br />

Die Festlegung der Maßnahmen erfordert Maßarbeit und unterscheidet sich von<br />

Gebiet zu Gebiet. Der Beitrag der ansässigen Unternehmen ist dabei von essentieller<br />

Bedeutung. Schließlich bestimmen sie selbst, ob sie für diese Aktivitäten mehr<br />

zahlen möchten.<br />

Bei der Erstellung eines Businessplans wird von den Aspekten ausgegangen, die<br />

aus Sicht der Unternehmen zu verbessern sind. Für Gewerbegebiete wünscht man<br />

sich häufig Sicherheitsmaßnahmen, wie Schranken, Videoüberwachung oder den<br />

Einsatz von Sicherheitspersonal, zusätzliche Pflege der Grünanlagen, zusätzliche<br />

Reinigung und eine Koordinierungsstelle wie z.B. einen Parkmanager.<br />

Bisweilen sind dies andere Aspekte als die Gemeinde anstrebt. Wichtig ist ein ausgewogenes<br />

Verhältnis zwischen den Ambitionen und den Kosten für jedes Unternehmen.<br />

Zu hohe Ambitionen bewirken hin und wieder eine zu starke Anhebung<br />

des Beitrags je Unternehmen. Damit steigen die Chancen, dass Unternehmer bei<br />

der Abstimmung doch nein sagen. Daher scheint es sinnvoller, die Ambition anfangs<br />

nicht zu hoch anzusetzen. Erst wenn die ersten Erfolge im Gebiet zu sehen<br />

sind, können die Ambitionen hochgeschraubt werden. Die Unternehmer haben den<br />

Mehrwert durch die Maßnahmen dann schon erkennen können.


232 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

Demokratischer Prozess<br />

Wie geht die Einrichtung eines Business Improvement Districts vonstatten? Um ein<br />

BID einzurichten, müssen Unternehmen die physischen Grenzen des Gebiets festlegen<br />

und eine gesonderte Stiftung oder einen Verband gründen. Danach stellen<br />

die Unternehmen einen Maßnahmen- und einen Haushaltsplan zusammen und legen<br />

die Höhe des BID-Beitrags fest.<br />

Anschließend beschließen die Unternehmen und die Gemeinde eine Durchführungsvereinbarung.<br />

Auf Grundlage der getroffenen Entscheidungen und der erfassten<br />

Daten erstellt die Gemeinde eine BID-Verordnung, die danach von der Gemeindeverwaltung<br />

(mit einer aufschiebenden Bedingung im Zusammenhang mit der<br />

Akzeptanzmessung) festgestellt wird.<br />

Dem schließt sich eine Akzeptanzmessung (Abstimmung) unter den steuerpflichtigen<br />

Unternehmen an. Im Rahmen dieser Akzeptanzmessung werden die Unternehmen<br />

vorab gefragt, ob sie der Einrichtung eines BID zustimmen würden. Das<br />

Gesetz schreibt vor, dass sich mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten an der<br />

Messung beteiligen muss, wovon sich mindestens zwei Drittel für die Einrichtung<br />

des BID aussprechen müssen. Diese Ja-Stimmen müssen dabei mehr Immobilienwert<br />

vertreten als die Nein-Stimmen. (Dies gilt nicht, wenn für jedes Firmengebäude<br />

ein fester Betrag verlangt wird.) Erst wenn diese gewährleistet ist, wird ein BID eingerichtet.<br />

Erste Erfahrungen<br />

Die Idee des Business Improvement Districts stammt ursprünglich aus Kanada. Von<br />

dort aus hat sich der BID vor allem in den angelsächsischen Ländern durchgesetzt.<br />

Die Erfahrungen mit BIDs in anderen Ländern sind überwiegend positiv. Sie tragen<br />

zur effizienten und effektiven Verbesserung bestimmter Örtlichkeiten bei. BIDs sind<br />

aber kein Allheilmittel, erleichtern jedoch den Schritt vom Wollen zum Können. 126<br />

In den Niederlanden sind innerhalb von zwei Jahren ungefähr 180 Initiativen entstanden,<br />

die sich derzeit in unterschiedlichen Phasen befinden. Zahlenmäßig kann<br />

man dies durchaus als großen Erfolg werten, jedoch muss sich noch zeigen, ob alle<br />

BIDs bei der Akzeptanzmessung die Vorgaben erreichen (Stand Ende 2010) 127 .<br />

126 Redmer Wierdsma, Abschlussarbeit Universität Utrecht, Abschlussauftrag DHV 2007.<br />

127 Im Februar 2010 wurden laut dem ersten nationalen Evaluierungsgutachten seit Inkrafttreten des<br />

Gesetzes am 1. Mai 2009 etwa 60 BID-Initiativen gezählt. In 21 Gebieten war damals eine Akzeptanzmessung<br />

durchgeführt worden. Im Ergebnis können 8 Initiativen umgesetzt werden, 7<br />

Einzelhandelsgebiete und 1 Gewerbegebiet. Es handelt sich dabei um Gebiete in den Gemeinden<br />

Den Haag (3), Hoogeveen, Hilversum, Schiedam, Rijswijk und Zwolle. In der ersten Gruppe sind<br />

demzufolge 13 Initiativen wegen fehlender Akzeptanz gestrandet. Das lag sowohl an einer geringen<br />

Abstimmungsbeteiligung als auch einer zu niedrigen Anzahl Ja-Stimmen. Das sind mehr als<br />

die Hälfte der Initiativen. Quelle: Ministerium für Wirtschaft der Niederlande, Voortgangsrapporta-


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 233<br />

Die Initiativen und die Gründung eines Unternehmensfonds konzentrieren sich bisher<br />

eher auf Einzelhandelsgebiete als auf Gewerbegebiete. Dies liegt vermutlich<br />

daran, dass sich eine Verbesserung der Einzelhandelsgebiete für Unternehmen<br />

unmittelbar in Kaufströmen und Umsatz auszahlt, wohingegen sich der Mehrwert für<br />

Unternehmen in Gewerbegebieten erst langfristig in Immobilienwert, Firmenwert<br />

oder niedrigeren Kriminalitätskosten bemerkbar macht.<br />

Nicht alle Initiativen wurden bisher umgesetzt, da in der Praxis nicht alle beteiligten<br />

Unternehmen in einem gemeinsamen Vorgehen immer einen Vorteil gesehen haben.<br />

Für das eine Unternehmen mit viel Kundenbesuch sind gut gepflegte Grünanlagen<br />

wichtiger als für ein Unternehmen, das seinen Standort nur als Lager nutzt.<br />

Außerdem stehen Unternehmen in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten einer Erhöhung<br />

der Betriebskosten besonders kritisch gegenüber. Darüber hinaus ist der<br />

Nutzen nicht immer direkt sichtbar. Dies ist ein gewichtiges Dilemma, ist der Nutzen<br />

doch eher langfristig in einer Zunahme der Kundschaft, einem angenehmeren Arbeitsumfeld<br />

für die Mitarbeiter, geringeren Kosten durch Kriminalität und schließlich<br />

einem höheren Immobilien- oder Firmenwert zu sehen. Im Folgenden einige aktuelle<br />

Beispiele aus unserer eigenen Beratungspraxis:<br />

Haarlemmermeer<br />

Spoorzicht ist eines der zahllosen Gewerbegebiete in Haarlemmermeer südlich von<br />

Amsterdam. Eine Gruppe von Unternehmen im Gebiet Spoorzicht hat der Gemeinde<br />

vorgeschlagen, das Gebiet als BID und somit als Vorbildprojekt für die gesamte<br />

Gemeinde auszuweisen. Die Gemeinde hat den Vorschlag angenommen und ein<br />

Pilotprojekt eingerichtet. Seit Anfang 2009 unterstützt die Gemeinde die Initiativgruppe<br />

mit einem BID-Manager.<br />

Ziel des BID ist die Erhöhung der Qualität des Gewerbegebiets. Die Aktivitäten für<br />

den BID umfassen u.a. die Videoüberwachung, einen Parkmanager und die Wahrung<br />

der Interessen der Unternehmen im Gebiet durch einen neuen Verband.<br />

Bei der Akzeptanzmessung haben sich jedoch nicht genügend Unternehmen für die<br />

Einrichtung des BID ausgesprochen. Damit kann im Gebiet Spoorzicht kein BID<br />

eingerichtet werden, obwohl viel Zeit und Energie in die Vorbereitung gesteckt wurde.<br />

Der Beigeordnete für Wirtschaft Arthur van Dijk hierzu: „Ich möchte meine politische<br />

Basis in Den Haag bitten, beim Wirtschaftsministerium auf eine Vereinfachung<br />

der Regelung zu drängen. Der heutige Markt muss bei der Revitalisierung von Ge-<br />

ge experimenten Bedrijven Investeringszones (BIZ) [Fortschrittsbericht über die BID-<br />

Experimente], 16. April 2010.<br />

Nachforschungen der Autoren haben ergeben, dass es in den Niederlanden zu Beginn des Jahres<br />

2011 ungefähr 180 Initiativen für die Einrichtung von BIDs gibt. Zehn Projekte wurden verworfen.<br />

Sechzig Projekte befinden sich einer fortgeschrittenen Phase oder sind nahezu abgeschlossen.<br />

Somit sind noch über einhundert Projekte in Arbeit.


234 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

werbegebieten auf die Wirtschaft setzen. Und wenn eine positive <strong>Entwicklung</strong>, wie<br />

der BID, wegen ein paar Prozenten stecken bleibt, ist das schade. Ich denke, dass<br />

das Gewerbegebiet Spoorzicht eine große Chance für eine Weiterentwicklung versäumt.<br />

Ich habe viel Respekt für die Unternehmen, die sich für die Initiative eingesetzt<br />

haben. Es ist eine gute Initiative, und wir glauben immer noch an das Konzept“<br />

128<br />

Die Unternehmen des Gewerbegebiets Spoorzicht haben sofort nach der negativen<br />

Akzeptanzmessung einen Antrag auf Durchführung einer neuen Messung gestellt.<br />

Daran arbeiten nun die Unternehmen gemeinsam mit der Gemeinde Haarlemmermeer.<br />

Hilversum<br />

Der BID Gijsbrecht van Amstelstraat in Hilversum ist der vierte erfolgreiche BID in<br />

den Niederlanden. DHV hat im Namen der Gemeinde den Prozess begleitet und die<br />

Unternehmen bei der Einrichtung unterstützt. Dazu bedurfte es vieler Verhandlungen,<br />

die letztlich aber zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt haben. Nach einem<br />

Jahr sind die Aktivitäten nun planmäßig angelaufen. Das Geld wurde für die geplanten<br />

Maßnahmen bereitgestellt und die Einkaufsstraße hat viel Aufmerksamkeit<br />

in den Medien erhalten.<br />

Während der Einrichtung hat der Vorsitzende des Unternehmerverbandes viel Zeit<br />

in die Aufklärung der beteiligten Unternehmen und die Vorbereitung der Akzeptanzmessung<br />

gesteckt. Persönlicher Kontakt und fortdauernde Aufklärungsarbeit<br />

waren hierbei zentrale Erfolgsfaktoren. Der Businessplan mit den Maßnahmen war<br />

schnell zusammengestellt, denn man konnte auf bereits vorhandene Aktivitäten eines<br />

Unternehmerverbandes zurückgreifen. Hierzu gehören: Sicherheitsprojekte,<br />

zusätzliche Reinigungsaktionen, Festbeleuchtung und Veranstaltungen. Für diese<br />

Maßnahmen hatte der Unternehmerverband bisher zu wenig finanzielle Mittel.<br />

Durch den BID kann er nun für diese Maßnahmen teilweise bezahlte Kräfte engagieren.<br />

Stadskanaal<br />

Die Zeichen, dass in Stadskanaal ein BID zustande kommt, standen zuerst gut.<br />

Viele Unternehmer hatten am Informationsabend dem Vorhaben zugestimmt und<br />

Unterstützung zugesagt. Die Unternehmen hofften, mit dem BID jährlich 75.000 Euro<br />

für Gebietswerbung, Verbesserung des öffentlichen Raums mit Flaggen, Pflege<br />

der Grünanlagen, Sicherheitsmaßnahmen und Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />

für Unternehmen einsetzen zu können.<br />

128<br />

Laut einer Pressemitteilung und dem Internetportal der Gemeinde Haarlemmermeer, November<br />

2010.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 235<br />

Kurz vor der offiziellen Abstimmung entstand unter den Unternehmen jedoch eine<br />

Gegenbewegung, die über die Presse viel von sich hören ließ. Die Unternehmen<br />

wollten für einen BID nicht zahlen und sahen darin keinen Vorteil. Auch der zweite<br />

Versuch, den BID in einem kleineren Gebiet zu organisieren, hat nicht geklappt.<br />

Obwohl sich hinreichend Unternehmen an der Abstimmung beteiligten, stimmten<br />

letztlich zu wenige für das Projekt. 129<br />

Den Haag<br />

In der Gemeinde Den Haag wurden 2010 acht neue Anträge gestellt. In der ersten<br />

Runde wurden drei BIDs eingerichtet. Die Gemeinde setzt in jedem Gebiet Quartiersmanager<br />

ein, die die Unternehmen über Inhalt und Ziel des BID informieren und<br />

bei der Erstellung des Businessplans unterstützen. Das wirkt sich positiv aus. Ein<br />

Nachteil ist jedoch, dass Unternehmen dadurch in einigen Gebieten selbst weniger<br />

aktiv werden und viel dem Quartiersmanager überlassen. So z.B. im Hofkwartier,<br />

einem historischen Stadtteil in der Innenstadt, wo kleine Geschäfte, Gaststätten,<br />

(kreative) Dienstleister und Wohnungen in einem harmonischen Miteinander bestehen.<br />

Die dort ansässigen Unternehmen wollten einen BID, weil ein paar Mitglieder<br />

des Unternehmerverbandes für die Weihnachtsbeleuchtung und Veranstaltungen<br />

des gesamten Stadtteils zahlten. DHV hat 2010 hierfür einen Projektleiter gestellt,<br />

der im Namen der Gemeinde in dem Gebiet einen Plan zur Stärkung der örtlichen<br />

Wirtschaft umsetzten sollte. Die Einrichtung eines BID war Teil dieses Plans. Die<br />

Trittbrettfahrer profitierten, beteiligten sich aber nicht an den Kosten. Da der BID<br />

nunmehr ein Faktum ist, wird auch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen<br />

gestärkt.<br />

Amersfoort<br />

Der Neptunusplein in Amersfoort ist ein kleines gemütliches Einzelhandelsgebiet,<br />

das sich zusammengeschlossen hat, um ein BID einzurichten. Mit Inkrafttreten des<br />

Experimentiergesetzes im Mai 2009 wusste der Vorsitzende der Ladenbesitzervereinigung<br />

Gert Weterings sofort, dass dies das Mittel war, nachdem sie gesucht hatten.<br />

Schon seit Jahren versucht Gert Weterings, andere Ladenbesitzer für Aktivitäten<br />

zur Vergrößerung der Kauflaune zu begeistern. Bisher war aber immer das Geld<br />

das Problem. „Mit einem BID können wir sicher sein, dass jedes Unternehmern seinen<br />

Teil zu einem schönen und besseren Neptunusplein beiträgt!“, so Gert Weterings.<br />

Um zu einem gemeinsamen Plan zu kommen, hat die Gemeinde Amersfoort<br />

DHV gebeten, als Vermittler zwischen den Ladenbesitzern und der Gemeinde aufzutreten.<br />

Gemeinsam mit den Unternehmen wurde ein Businessplan verfasst und<br />

129 siehe Internetportal der Gemeinde Stadskanaal, Dezember 2010.


236 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

eine breit unterstützte Durchführungsvereinbarung zusammengestellt. Ende Dezember<br />

wurde die Akzeptanzmessung durchgeführt. 95 % der abgegebenen Stimmen<br />

haben sich für den BID ausgesprochen. Mit einer Beteiligung von 75 % wurden<br />

die Akzeptanzvorgaben mehr als nur erreicht und der BID ist zustande gekommen.<br />

Schlussfolgerungen: Faktoren für Erfolg und Misserfolg<br />

Persönlicher Kontakt, die Arbeit von „Botschaftern“ und eine gute Kommunikation<br />

sind bislang wichtige Faktoren für den Erfolg. Unternehmen müssen sich gegenseitig<br />

erklären können, worin sie, unabhängig von den objektiven Informationen der<br />

Gemeinde über Verfahren und Inhalt, den Vorteil eines Unternehmensfonds sehen.<br />

Viele Unternehmen befürchten, dass es sich um eine versteckte zusätzliche Steuermaßnahme<br />

handelt, die sie tragen müssen, ihnen aber nichts einbringt. Daher ist<br />

es immens wichtig, das Instrument und den Grundsatz „von und für Unternehmen“<br />

umfassend zu erläutern. In der Landespresse sind beispielsweise Mitteilungen erschienen,<br />

in denen BIDs als versteckte kommunale Sparmaßnahme oder als Milchkuh<br />

dargestellt werden. Der niederländische Einzelhandelsrat (Raad Nederlandse<br />

Detailhandel/RND) hat diesen Standpunkt eingenommen. 130 Sorgfalt bei der Einführung<br />

und Klarheit über die Tatsache, dass die Gemeinde nur die Gelder der Unternehmen<br />

für die Unternehmen einzieht, sind daher von Bedeutung.<br />

Der Beitrag der Unternehmen bei der Erstellung des Businessplans ist nicht nur erforderlich,<br />

um die richtigen empfundenen Probleme anzugehen, sondern auch um<br />

Akzeptanz zu schaffen und damit letztendlich die Umsetzung des Plans zu gewährleisten.<br />

130 Das Justizministerium hat diesen Gesetzesentwurf vorbereitet und ist für die landesweite Evaluierung<br />

verantwortlich. Nach den Erfolgen in Großbritannien, den USA und Kanada verlangen Unternehmerverbände<br />

in den Niederlanden schon seit Jahren, dass gesetzliche Möglichkeiten für<br />

Unternehmensfonds geschaffen werden. Die Gesetzeslage in den Niederlanden gab dies aber<br />

bislang nicht her. Daher war die Einführung des BID-Gesetzes notwendig. Die jetzige Gesetzeslage<br />

ist jedoch vorübergehender Natur. Das Ministerium möchte erst Erfahrungen sammeln, bevor<br />

ein endgültiges Gesetz verabschiedet wird. Infolge des niederländischen „Poldermodells“, in dessen<br />

Rahmen mehrere Parteien nach Verhandlungen einen Kompromiss schließen, hat man sich<br />

für ein Pilotgesetz entschieden.<br />

Die Zurückhaltung der Dachverbände und einiger politischer Parteien ist darauf zurückzuführen,<br />

dass sie befürchten, dass Unternehmen am Ende mehr für Dienstleistungen bezahlen, die eigentlich<br />

die öffentliche Hand tragen müsste. Man befürchtet demnach eine zweckentfremdete Nutzung<br />

des Instruments. Der KMU-Dachverband, der Unternehmerverband VNO-NCW und der Verband<br />

der niederländischen Gemeinden VNG haben einen Sitz im BID-Lenkungsausschuss und beraten<br />

das Ministerium bei der Ausarbeitung und Evaluierung des Gesetzes. Das Gesetz zeigt, dass es<br />

sich um einen Kompromiss handelt. Marketingaktivitäten werden im Gesetzestext und der Erläuterung<br />

zum Gesetz nicht genannt. Die meisten Einkaufsgebiete verwenden in der Praxis das meiste<br />

Geld für Marketingaktivitäten. Hier liegt schließlich die Aufgabe: Wie sorgt man dafür, dass<br />

sich mehr Besucher und Verbraucher länger im Gebiet aufhalten und mehr ausgeben?<br />

In diesem Punkt ist daher noch mehr rechtliche Klarheit zu schaffen, um mehr Akzeptanz bei den<br />

Unternehmen zu gewinnen.


Floris Marcus/Caroline Rindertsma 237<br />

Außerdem bedarf es eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Ambitionen und<br />

Kosten für jedes einzelne Unternehmen. Wir empfehlen, die Ziele nicht zu hoch zu<br />

stecken. Sobald sich die ersten Erfolge in der Praxis zeigen, können die Ambitionen<br />

hochgeschraubt werden. Unternehmen sehen die Vorteile dann schneller und besser.<br />

Der Maßnahmenplan der Unternehmen und die Verordnung dürfen daher keine<br />

Zweifel an den Vorteilen für das Gebiet lassen.<br />

Durch die Einrichtung eines Unternehmensfonds investieren Unternehmen auf lokaler<br />

Ebene in das Management für ihr Gebiet. Die Einrichtung eines Unternehmensfonds<br />

ist allerdings sehr zeitaufwändig und infolge des derzeitigen niederländischen<br />

Rechts mit langen Verfahren und vielen Unklarheiten verbunden. Deshalb<br />

entscheiden sich manche Gebiete gegen gemeinsame Investitionen.<br />

Die Erfahrungen der ersten BID sind jedoch positiv. Auch wenn die Investitionen<br />

bisher noch nicht all zu groß sind, so ist nichtsdestotrotz mehr Geld zur Lösung von<br />

Problemen, die Unternehmen im Gebiet für wichtig halten, verfügbar. Außerdem<br />

verbessern BID den Kontakt der Unternehmen zur Gemeinde und fördern das Miteinander<br />

der Unternehmen. 131 Umfassende Revitalisierungsaufgaben wurden noch<br />

nicht mithilfe des BID-Modells angegangen. Dazu braucht man einen langen Atem.<br />

Wir glauben, dass ein Unternehmensfonds in der Zukunft eine gute Grundlage<br />

schafft, um gemeinsam mit der Gemeinde umfassende Revitalisierungsprojekte<br />

durchzuführen, zumindest wenn der gemeinsame Wille da ist.<br />

Wir befürworten deshalb die Fortführung des Experimentiergesetzes, möglicherweise<br />

in Form einer Kombination der drei Modelle. Ein gebietsorientiertes Vorgehen der<br />

Unternehmer ist von unschätzbarem Wert, da gerade die Unternehmen am Ende<br />

selbst davon profitieren. Der große Zuspruch zeigt, dass ein entsprechender Bedarf<br />

besteht.<br />

Allerdings ist es notwendig, die gesetzlichen Vorschriften und Verfahren zu ändern.<br />

Im Moment zeigt sich, dass große Anstrengungen umsonst gewesen sind, weil die<br />

Akzeptanzmessung gesetzlich erst am Ende des Prozesses vorgesehen ist. Führt<br />

man sie am Anfang des Prozesses durch, wird vermieden, dass viel Arbeit am Ende<br />

umsonst war. Viele Gemeinden führen diese Anfangsmessung schon auf informelle<br />

Weise durch, dies müsste jedoch gesetzlich festgelegt werden. Darüber hinaus plädieren<br />

wir dafür, Immobilieneigentümer mitzahlen zu lassen, da sie von den Investitionen<br />

mitprofitieren. Abschließend möchten wir nahelegen, Experimente zur Anwendung<br />

des BID-Modells in Wohngebieten zu initiieren.<br />

131 Bis Ende 2010 lag noch kein nationales Gutachten vor, das ein Gesamtbild der erfolgreichen und<br />

der fehlgeschlagenen Initiativen vermittelt. Einige Experten und Entscheidungsträger drängen<br />

deshalb bereits jetzt schon auf eine Änderung des Gesetzes, da die Akzeptanzvorgaben als zu<br />

hoch angesehen werden.


238 Mit Unternehmensfonds veraltete Gewerbegebiete anpacken<br />

Kontakt:<br />

Drs Floris Marcus<br />

strategischer Berater räumliche und wirtschaftliche Visionen und <strong>Entwicklung</strong><br />

DHV<br />

E-Mail : floris.marcus@dhv.com<br />

Drs Caroline Rindertsma<br />

Senior Berater Einzelhandel und Area Development<br />

DHV<br />

E-Mail: caroline.rindertsma@dhv.com


Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell für neue und innovative<br />

<strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

von Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth<br />

Die Beiträge der einzelnen Autorinnen und Autoren haben gezeigt, wie facettenreich<br />

das Thema <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist. Wir haben unseren Fokus<br />

bewusst auf neue, in der Diskussion oft auch als innovativ bezeichnete <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

wie Regionalbudgets und Fondslösungen gelegt. Das Neue<br />

und Innovative ist dabei im Kontext der „herkömmlichen“ Fördersystematik zu sehen.<br />

Denn weder Fonds noch Budgets sind im Grunde etwas Neues oder haben<br />

etwas Innovatives an sich. Diese Instrumente gibt es bereits seit Jahrzehnten. Ihren<br />

Weg in die <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> haben sie jedoch erst in den<br />

letzten Jahren gefunden.<br />

Die Instrumente zeigen vielmehr neue und innovative Wege auf, wie die <strong>Finanzierung</strong><br />

<strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> neu ausgerichtet werden kann. Denn die öffentliche<br />

Förderung, die derzeit die <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong> dominiert, wird in<br />

Zukunft weder mehr noch ihr Einsatz einfacher. Es müssen Alternativen gefunden<br />

werden, mit denen sowohl Fördermittel effektiver und effizienter eingesetzt als<br />

auch privates Kapitel stärker in die <strong>Finanzierung</strong> eingebunden werden können.<br />

Dies schließt Instrumente mit ein, die die Akteure vor Ort in die Lage versetzen,<br />

auf die zunehmend komplexen regionalspezifischen Probleme und Herausforderungen<br />

reagieren zu können. Denn in einigen Problembereichen der regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong> haben zentrale Lösungen ausgedient.<br />

Wir sind fest von den Vorteilen der neuen und innovativen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente<br />

überzeugt: Im idealen Fall erweitern sie den Gestaltungsspielraum der Akteure<br />

vor Ort und stärken somit ihre Motivation und ihr Selbstbewusstsein. Es entsteht<br />

ein „Wir-Gefühl“, das enorme Kräfte für eine eigenverantwortliche Regionalentwicklung<br />

freisetzen kann. Durch die räumliche Nähe zwischen Mittelempfänger<br />

und -geber entstehen Fühlungsvorteile, die die Zielgenauigkeit und Wirkung der<br />

eingesetzten Mittel erhöhen können. Der Einsatz revolvierender Instrumente ermöglicht<br />

es zudem, zurückfließende Mittel wieder einzusetzen.


240 Anstelle eines Ausblicks: Ein Appell<br />

Wir möchten nicht falsch verstanden werden. Wir sehen in diesen <strong>Finanzierung</strong>sinstrumenten<br />

keinen Ersatz der Regelförderung, sondern eine wertvolle Ergänzung.<br />

Die <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente sollten sich der Regelförderung entsprechend<br />

vielmehr bedienen. Sie sollten überall dort eingesetzt werden, wo entweder <strong>Finanzierung</strong>slücken<br />

in den Regionen zu schließen sind oder sie effektiver und effizienter<br />

als die Regelförderung eingesetzt werden können.<br />

Es ist uns bewusst, dass die Konzeption solcher <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente und<br />

deren Einsatz im Rahmen des bestehenden umfassenden öffentlich- sowie zivilrechtlichen<br />

Regelwerks gewiss nicht einfach sind. Die Beispiele in den Beiträgen<br />

zeigen jedoch, dass es auch kein Hexenwerk ist.<br />

Deshalb möchten wir alle Akteure im Bereich der <strong>Finanzierung</strong> <strong>regionaler</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

aufrufen, neue und innovative <strong>Finanzierung</strong>sinstrumente motiviert und<br />

engagiert stärker voranzutreiben. Wir fordern EU-Kommissionen, Bundes- und<br />

Landesministerien, Landesbanken sowie regionale Banken und Sparkassen aber<br />

auch private Investoren auf, ihre technischen und finanziellen Möglichkeiten zu<br />

aktivieren, um die Instrumente zu entwickeln und umzusetzen.<br />

Wir brauchen mehr erfolgreiche Beispiele – Beispiele, die zeigen, dass es sich bei<br />

den Instrumenten nicht um ein kurzweiliges Nischenphänomen handelt, sondern<br />

dass sie möglich sind und zu einem Mehrwert führen.<br />

Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg und gutes Gelingen und würden uns freuen,<br />

Sie als gutes Beispiel in unserem nächsten Buch aufnehmen zu dürfen.<br />

Dr. Sebastian Elbe und Florian Langguth

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