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Broschüre Kindergarten Final 180417_ANSICHT

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Klimt hat diese Prinzipien aber nicht<br />

ganz „ohne Anschauung“, sozusagen<br />

rein theoretisch, entwickelt, sondern<br />

mit einem kleinen, unbedeutend scheinenden<br />

„Helfer“, nämlich einem Stück<br />

Karton, aus dem ein Rechteck ausgeschnitten<br />

war. Der Blick durch diesen<br />

„Bildausschnitt“ nimmt der Landschaft<br />

viel an Tiefenräumlichkeit und fokussiert<br />

die Gegenstände in einer bereits als<br />

flach und eher unräumlich empfundenen<br />

Entfernung.<br />

Damit hat Klimt eine stark an den<br />

zweidimensionalen Bildträger gebundene<br />

Landschaftskomposition gefunden,<br />

die er nun auf malerisch impressionistische<br />

Weise mit deutlich sichtbaren<br />

Pinselschlägen füllen konnte – das hat er<br />

bereits bei seinem bedeutenden<br />

Professor an der Kunstgewerbeschule,<br />

Ferdinand Laufberger, gelernt. In den<br />

Damenporträts setzt er die Impressionismen<br />

im Gesicht und an den Händen<br />

Postkarte Unterach am Attersee, 1908<br />

zartfarbig und kleinteilig ein, während<br />

er in den – auch wesentlich rascher<br />

gemalten – Landschaftsbildern den<br />

Pinselschlag als expressives, geradezu<br />

verselbständigtes Medium zur Wirkung<br />

bringt: Auch das eine Methode, den<br />

Bildgegenstand von der reinen<br />

Anschauung seiner Gegenständlichkeit<br />

zu emanzipieren.<br />

Zwei der drei Unteracher Bilder, die<br />

Gesamtansicht des Ortes und das<br />

„Häuserbild“, zeigen als charakteristisches<br />

Detail ein stattliches gelbes Haus,<br />

oberhalb des Dorfes thronend, weshalb<br />

man es für ein gegenüber den anderen<br />

Wohngebäuden nobilitiertes, „übergeordnetes“<br />

Bauwerk halten könnte,<br />

etwa als Verwaltungssitz der Grundherrschaft.<br />

Erstaunlicher Weise wurde es<br />

aber erst 1896 errichtet, als einstöckiges<br />

„feuersicheres Kinderasyl mit Industrieschule“,<br />

nach den Plänen des Vöcklabrucker<br />

Baumeisters Franz Aichinger.<br />

Im Gegensatz zum Bauplan, der an der<br />

fünfachsigen Längsfront ein Dachhäuschen<br />

mit reicher Laubsägearbeit zeigt,<br />

wurde das Gebäude als reiner Satteldachbau<br />

ausgeführt, wie auch bei den<br />

Unteracher Gemälden Klimts dargestellt.<br />

Das Kinderasyl, wohl als <strong>Kindergarten</strong><br />

zu bezeichnen, mit „Industrieschule“<br />

(womit etwas hochtrabend eine Grundschule<br />

für handwerkliche Fähigkeiten<br />

gemeint sein dürfte), wird im „Häuserbild“<br />

als markanter oberer Abschloss der Komposition<br />

eingesetzt, durchaus bildbeherrschend,<br />

aber im Sinn von Klimts<br />

Gestaltungsprinzipien streng orthogonalisiert,<br />

mit waagrechter Dachtraufe<br />

und senkrechten Gebäudekanten, wobei<br />

Klimt auch die eigentliche, giebelständige<br />

Hauptfront ohne räumliche Verkürzung,<br />

wenn man so will „en face“ wiedergibt, in<br />

der tatsächlich ausgeführten, vom Bauplan<br />

abweichenden Gestalt mit fünf Fensterachsen<br />

im Obergeschoss, im Erdgschoss<br />

mittig die Eingangstür; der Giebel zeigt<br />

zwei Fenster.<br />

Bei der Beschreibung der „Gesamtansicht“<br />

von Unterach am Attersee<br />

erwähnt Tobias Natter ausdrücklich das<br />

„allein stehende, gelb leuchtende Bauernhaus“,<br />

wie er es irrtümlich nennt, aber<br />

weist mit Recht darauf hin, dass Klimt es<br />

hier – im Vergleich mit dem „Häuserbild“–<br />

„perspektivisch unverändert“ darstellt,<br />

„obwohl es dort von einem anderen Standpunkt<br />

aus wiedergegeben wird“.<br />

Klimt hat dem Gebäude also besondere<br />

Aufmerksamkeit geschenkt und es ganz<br />

bewusst zwei Mal zu einem strategischen<br />

Hauptelement seiner „stilkünstlerischen“<br />

Gestaltungsprinzipien erhoben. Umso erfreulicher,<br />

dass die jungen Architekten der<br />

Adaptierung ihre Verantwortung gegenüber<br />

diesem „Klimtdenkmal“ wahrgenommen<br />

und das ursprüngliche Erscheinungsbild<br />

des Gebäudes bewahrt haben.<br />

Klimts „Helfer“ - ein Karton mit Bildausschnitt<br />

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