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Einflüsse der Qualität des<br />

visuellen Inputs auf die<br />

Leseleistung <strong>bei</strong> LRS<br />

Erste Staatsexamensar<strong>bei</strong>t<br />

––– 1999 –––<br />

<strong>föpäd</strong>.<br />

<strong>net</strong><br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

<strong>Michael</strong> <strong>Evers</strong>


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Quellenangabe für diese Veröffentlichung:<br />

<strong>Evers</strong>, <strong>Michael</strong>: Einflüsse der Qualität des visuellen Inputs auf die Leseleistung <strong>bei</strong><br />

LRS. Online im Inter<strong>net</strong>: URL: http://www.foepaed.<strong>net</strong>/volltexte/evers/lrs.pdf.


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung ......................................................................................................................1<br />

1. Lese-Rechtschreibschwäche..................................................................................4<br />

1.1 Zum Begriff......................................................................................................5<br />

1.2 Symptomatik..................................................................................................10<br />

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1.2.1 Das Störungsbild des Lesens.............................................................................10<br />

1.2.2 Das Störungsbild der Rechtschreibung..............................................................11<br />

1.3 Begleitsymptome ...........................................................................................12<br />

1.4 Ursachen.......................................................................................................14<br />

1.4.1 Konstitutionelle Dispositionen.............................................................................14<br />

1.4.2 Psychosoziale Einflüsse und defizitärer Unterrichtung<br />

als erklärende Variable.......................................................................................16<br />

1.4.3 Neuropsychologische Erklärungsansätze ..........................................................17<br />

1.4.4 Teilleistungsschwäche........................................................................................21<br />

1.5 Zusammenfassung ........................................................................................23<br />

2. Die visuelle Sensorik ............................................................................................24<br />

2.1 Abgrenzung zur visuellen Wahrnehmung ......................................................24<br />

2.2 Anatomie der visuellen Sensorik....................................................................24<br />

2.3 Teilprozesse der visuellen Sensorik...............................................................26<br />

2.3.1 Visus (Sehschärfe) .............................................................................................26<br />

2.3.2 Akkommodation..................................................................................................27<br />

2.3.3 Beidäugiges (binokulares) Sehen ......................................................................28<br />

3. Monokulare Fehlsichtigkeiten ...............................................................................30<br />

3.1 Myopie (Kurzsichtigkeit).................................................................................30<br />

3.2 Hyperopie (Übersichtigkeit)............................................................................30<br />

3.3 Astigmatismus (Hornhautverkrümmung)........................................................31<br />

3.4 Die juvenile Hypoakkommodation..................................................................31<br />

4. Winkelfehlsichtigkeit .............................................................................................33<br />

4.1 Ursache.........................................................................................................33<br />

4.2 Symptome .....................................................................................................34<br />

4.3 Auswirkungen der Behandlung von binokularen Fehlsichtigkeiten<br />

auf die Lese-Rechtschreibschwäche .............................................................36<br />

4.4 Kritik ..............................................................................................................38<br />

4.5 Zusammenfassung ........................................................................................39


Inhaltsverzeichnis<br />

5. Das Meares-Irlen-Syndrom...................................................................................40<br />

5.1 Zur Begriffsgeschichte...................................................................................40<br />

5.2 Begriffserläuterung ........................................................................................40<br />

5.3 Erscheinungsbild ...........................................................................................41<br />

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5.3.1 Lichtempfindlichkeit ............................................................................................41<br />

5.3.2 Ungenügende bzw. unzureichende Hintergrundakkommodation ......................42<br />

5.3.3 Schlechte Druckauflösung..................................................................................44<br />

5.3.4 Eingeschränkte Erkennensspanne.....................................................................47<br />

5.3.5 Geringe Aufmerksamkeitsdauer.........................................................................48<br />

5.3.6 Begleitsymptome ................................................................................................48<br />

5.4 Auswirkungen auf das Lesen (vgl. IRLEN 1997, S. 85ff)..................................49<br />

5.5 Auswirkungen auf das Schreiben (vgl. IRLEN 1997, S. 159ff) .........................52<br />

5.6 Zusammenfassung ........................................................................................53<br />

6. Die Irlen-Methode.................................................................................................54<br />

6.1 Vorgeschichte................................................................................................54<br />

6.2 Die Anwendung der Irlen-Methode ................................................................56<br />

6.2.1 Screening auf Meares-Irlen-Syndrom ................................................................57<br />

6.2.2 Einige Hinweise zur praktischen Umsetzung der Methode................................61<br />

6.3 Die Colorimeter-Methode...............................................................................65<br />

6.4 Die Rolle der Eltern........................................................................................66<br />

7. Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter.....................................68<br />

7.1 Die Entdeckung der Kanäle der visuellen Sensorik........................................68<br />

7.1.1 Die tonischen Kanäle..........................................................................................69<br />

7.1.2 Die phasischen Kanäle.......................................................................................69<br />

7.2 Die Aufgabe der tonischen und phasischen Kanäle <strong>bei</strong>m Lesen....................69<br />

7.3 Ein Defizit der phasischen Kanäle als Ursache von Lesestörungen...............71<br />

7.4 Die Wirkung von Farbe auf die phasischen Kanäle........................................73<br />

7.5 Weiterführende Überlegungen.......................................................................73<br />

7.6 Zusammenfassung und Bewertung ...............................................................74<br />

8. Empirische Studien zur Irlen-Methode..................................................................75<br />

9. Abschließende Diskussion....................................................................................86<br />

Literatur.......................................................................................................................91<br />

Inter<strong>net</strong>-Quellen....................................................................................................96


Einleitung 1<br />

Einleitung<br />

www.foepaed.<strong>net</strong><br />

„Man muss ja wohl Respekt<br />

vor jedem haben der DIENSTAG<br />

buchstabieren kann, auch wenn er es<br />

nicht richtig buchstabiert.“<br />

(MILNE 1998)<br />

Weltweit gibt es zahlreiche Kinder und Erwachsene, die Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Erlernen<br />

des Lesens und (Recht-) Schreibens haben. Zu ihnen zählen und zählten Winston<br />

Churchill, Thomas A. Edinson, Albert Einstein, Hans Christian Andersen, Harry<br />

Belafonte, Cher u.v.a. (vgl. DAVIS 1998, S. 22f). Ein Mensch mit einer Lese-Recht-<br />

schreibschwäche ist also nicht zwangsläufig „dumm“, er hat zunächst nur isolierte<br />

Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Schriftspracherwerb. Durch den hohen Stellenwert des Lesens<br />

und Schreibens in Schule und Gesellschaft, kann jedoch aus der isolierten Schwäche<br />

eine allgemeine Beeinträchtigung oder sogar eine Behinderung entstehen. Da<strong>bei</strong><br />

spielen nicht nur die Schwierigkeiten im Bereich der Schriftsprache eine Rolle, sondern<br />

ebenso die vielfältigen und oft nicht zu unterschätzenden Begleitsymptome.<br />

Obwohl dieses Syndrom bereits seit einem Jahrhundert beschrieben und erforscht<br />

wird, kann über dessen Ursachen im Einzelfall nicht viel gesagt werden. Die Forschung<br />

hat bis heute zwar einige mögliche Ursachen isoliert, die jedoch immer nur <strong>bei</strong> einer<br />

Gruppe von betroffenen Kindern und nicht <strong>bei</strong> allen beobachtet werden konnten. Es<br />

liegen also zahlreiche Ursachenhypothesen vor, deren Zusammenwirken <strong>bei</strong>m Ent-<br />

stehen einer Lese-Rechtschreibschwäche offen ist. Das schließt mit ein, daß nicht<br />

beurteilt werden kann, inwieweit die Vielzahl von möglichen bedingenden Faktoren <strong>bei</strong><br />

jedem einzelnen vorliegen und zusammenwirken.<br />

Aufgrund des heutigen Wissensstandes ist also eher anzunehmen, daß die Lese-<br />

Rechtschreibschwäche durch verschiedene Ursachen entstehen kann. Folglich kann<br />

es die eine Therapiemethode nicht geben, die allen lese-rechtschreibschwachen<br />

Kinder gezielt helfen kann. Dieses hat in der Vergangenheit dazu geführt, daß viel-<br />

fältige Methoden zur Förderung der betroffenen Kinder ausprobiert wurden, von denen<br />

längst nicht alle den versprochenen Erfolg gebracht haben. So blieb z.B. der Förder-<br />

unterricht in der Schule <strong>bei</strong> vielen erfolglos. Überdies fühlten sich viele Kinder durch die<br />

zusätzlichen Förderstunden eher bestraft, als daß sie diese als hilfreich empfunden<br />

hätten. Bei den Therapie- und Förderangeboten, die neben der Schule existieren, ver-


Einleitung 2<br />

hält es sich meist nicht anders. Wenn sie überhaupt Erfolg haben, dann meist nur<br />

durch eine intensive Betreuung über einen langen Zeitraum. Das bedeutet für die<br />

betroffenen Kinder, daß sie neben dem erhöhten Zeitaufwand für die Hausaufgaben<br />

einen Teil ihrer Freizeit einsetzten müssen, um zusätzliche Angebote wahrnehmen zu<br />

können. Wenn zudem die Kinder selbst trotz der Förderung keine Fortschritte sehen<br />

und folglich die Maßnahmen nicht als Hilfe empfinden, ist ihre Motivation unter<br />

Umständen nicht groß, ein möglicher Erfolg erscheint dann zweifelhaft. Darüber hinaus<br />

gab und gibt es Therapiemethoden, die eine schnelle Hilfe versprechen. Meist kann auf<br />

Einzelfälle verwiesen werden, <strong>bei</strong> denen die Methode schnelle Erfolge zeigte. Viele<br />

betroffene Kinder und Eltern, die daraufhin Hoffnungen auf eine Hilfe auch in ihrem Fall<br />

setzten, wurden enttäuscht. Wiederholen sich die Erfahrungen, dann kommen ver-<br />

mutlich nicht wenige zu der Überzeugung, daß es für sie oder ihre Kinder keine Hilfe<br />

gibt und daß sie sich mit ihrem „Schicksal“ abfinden müssen.<br />

Wie der Titel „Einflüsse der Qualität des visuellen Inputs auf die Leseleistung <strong>bei</strong> LRS“<br />

bereits andeutet, wird im folgenden auf einen Zusammenhang zwischen der Lese-<br />

Rechtschreibschwäche (LRS) und der „Qualität“ des Sehens aufmerksam gemacht. Es<br />

wird gezeigt, daß verschiedene Sehprobleme und -störungen, auch wenn sie noch so<br />

unbedeutend erscheinen mögen, die Qualität des visuellen Inputs negativ beeinflussen<br />

oder anders gesagt, das Erkennen einer Textseite und damit das Lesen erheblich<br />

erschweren können. Thematisiert werden also Störungen der visuellen Sensorik, die in<br />

einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Syndrom der Lese-Rechtschreib-<br />

schwäche stehen können.<br />

Zuvor wird, jedoch nur kurz, die Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) behandelt, die<br />

einigen noch unter der Bezeichnung „Legasthenie“ bekannt ist. Warum der Begriff<br />

„Lese-Rechtschreibschwäche“ eingeführt wurde, wie sie sich äußert und welche Über-<br />

legungen es zu ihren Ursachen gibt, wird zumindest in Ansätzen dargelegt.<br />

Zur Annäherung an das eigentliche Thema wird zunächst die visuelle Sensorik näher<br />

zu betrachten sein, d.h. wichtige Aspekte ihres „anatomischen“ Aufbaus und einige für<br />

ihre Funktion wichtige Teilprozesse werden vorgestellt. Anschließend soll sich kurz den<br />

monokularen Fehlsichtigkeiten gewidmet werden. Zu diesen Störungen des Sehens<br />

gehört u.a. die jedem wohl gut bekannte Kurzsichtigkeit. Ein erster Schwerpunkt wird<br />

dann auf der sogenannten Winkelfehlsichtigkeit liegen, einer Störung des <strong>bei</strong>däugigen<br />

Sehens. Ihre Ursache und typische Symptome werden ebenso thematisiert, wie eine<br />

mögliche Behandlung. Einige Erfahrungen mit der Korrektion dieser Fehlsichtigkeit <strong>bei</strong><br />

lese-rechtschreibschwachen Kindern schließen diesen Teil ab.<br />

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Einleitung 3<br />

Eine weitere Störung der visuellen Sensorik ist das Meares-Irlen-Syndrom, auf dem in<br />

dieser Ar<strong>bei</strong>t ein weiterer Schwerpunkt liegt. Nach der Betrachtung der Symptome wird<br />

die Irlen-Methode vorgestellt, eine einfache aber wirkungsvolle Behandlungsmethode<br />

des Meares-Irlen-Syndroms. Daran anschließend soll sich den möglichen Ursachen<br />

des Syndroms und damit verbunden der Wirkungsweise der Irlen-Methode gewidmet<br />

werden. Abschließend werden einige empirische Studien dargestellt, die sich näher mit<br />

der Überprüfung des Erfolgs der Irlen-Methode befaßt haben.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 4<br />

1. Lese-Rechtschreibschwäche<br />

Unter dem Begriff der „Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)“ werden Schwierigkeiten <strong>bei</strong><br />

dem Erlernen der Schriftsprache, also dem Erlernen von Lesen und (Recht-) Schreiben<br />

zusammengefaßt. Da<strong>bei</strong> ist die LRS ein heterogenes Syndrom, d.h. es können<br />

mehrere Symptome (vgl. Kapitel 1.2) <strong>bei</strong> einem Kind beobachtet werden, die in ihrer<br />

Zusammenstellung und in ihrem Ausmaß sehr verschieden sein können. Der<br />

Syndromcharakter der LRS schließt jedoch nicht nur die unterschiedlichen Schwierig-<br />

keiten <strong>bei</strong>m Lesen und (Recht-) Schreiben ein, sondern auch die oft nicht zu<br />

unterschätzenden sekundären Begleitsymptome (vgl. Kapitel 1.3), die sich z.B. aus<br />

den immer wieder erlebten Mißerfolgen in der Schule entwickeln können.<br />

Bei der Lese-Rechtschreibschwäche handelt es sich zudem um ein Syndrom mit einer<br />

Polyätiologie. Es gibt nicht die eine Ursache für LRS, sondern eine ganze Reihe ver-<br />

schiedener. Auch <strong>bei</strong> der Betrachtung des einzelnen Kindes läßt sich nicht immer nur<br />

eine Ursache erkennen. Beim Entstehen einer LRS kommen meist mehrere ungünstige<br />

Bedingungsfaktoren zusammen (vgl. Kapitel 1.4).<br />

Lese-Rechtschreibschwäche ist nicht nur ein deutsches Problem. Sie kommt in allen<br />

Ländern der Erde fast gleich häufig vor. In Ländern mit einer eher lautgetreuen Schrift-<br />

sprache ist sie jedoch etwas seltener anzutreffen. Im deutschen Sprachraum ist sie<br />

also etwas seltener zu finden als im anglo-amerikanischen. Dieser Unterschied ist<br />

allerdings statistisch nicht bedeutsam (vgl. ROSENKÖTTER 1998, S. 11f).<br />

Bevor im folgenden näher auf die Definition, Symptome und Ursachen der LRS einge-<br />

gangen wird, sollen zunächst angeborene und erworbene Schwierigkeiten im Lesen<br />

und Schreiben unterschieden werden. Diese Unterscheidung erscheint notwendig, weil<br />

sich die weiteren Überlegungen auf die sogenannte angeborene LRS beziehen.<br />

Der Hauptunterschied dieser <strong>bei</strong>den Formen liegt in dem Zeitpunkt des Erwerbs der<br />

Störungen. Bei der erworbenen Lese-Schreib-Störung handelt es sich um den (teil-<br />

weisen) Verlust der Lese- (Alexie) und (Recht-)Schreibfähigkeiten (Agraphie) nach<br />

bereits abgeschlossenem Schriftspracherwerb. Ursache der Alexie bzw. der Agraphie<br />

ist eine Hirnverletzung (z.B. in Folge eines Schlaganfalls oder eines Unfalls), die erst<br />

nach Abschluß des Lese- bzw. Schreiblernprozesses eingetreten ist. In der Regel sind<br />

von diesen Störungen also Erwachsene betroffen.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 5<br />

Bei der angeborenen Störung ist bereits der Erwerb des Lesens und Schreibens<br />

gestört. In diesem Fall bestehen die Ursachen schon vor Beginn des Schriftsprach-<br />

erwerbs. Im Allgemeinen wird in solchen Fällen von einer Lese-Rechtschreibschwäche<br />

(LRS) oder von einer Legasthenie gesprochen, von der in der Regel Kinder betroffen<br />

sind, die gerade das Lesen und (Recht-) Schreiben erlernen. Genau diese Erwerbs-<br />

störung der schriftsprachlichen Fähigkeiten soll im folgenden näher betrachtet werden.<br />

1.1 Zum Begriff<br />

Das Syndrom der Lese-Rechtschreibschwäche wurde erstmals Ende des letzten Jahr-<br />

hunderts von den Medizinern MORGAN und HINCHELWOOD beschrieben. Die erste<br />

Monographie zu diesem Thema mit dem Titel „Die Leseschwäche und Rechen-<br />

schwäche der Schulkinder im Lichte des Experiments“ wurde 1916 von RANSCHBURG<br />

veröffentlicht (vgl. SCHENK-DANZIGER 1991, S.19). Er führte auch den Begriff der<br />

„Legasthenie“ ein. Dieser Begriff ist eine Wortschöpfung aus dem griechischen Wort-<br />

stamm „leg“ für „lesen“ und dem griechischen Wort „asthenia“, das Schwäche<br />

bedeutet. Wörtlich übersetzt heißt „Legasthenie“ also „Leseschwäche“ (vgl. DUMMER-<br />

SMOCH 1994, S. 12).<br />

Bemerkenswert ist, daß RANSCHBURG <strong>bei</strong> seiner Beschreibung der Legasthenie kein<br />

Intelligenzkriterium anlegte. Dies tat jedoch Maria LINDER, die den Begriff der<br />

Legasthenie mit dem Kriterium der normalen bzw. überdurchschnittlichen Intelligenz<br />

verknüpfte. Erwähnenswert erscheint dies, da die Definition von LINDER für die<br />

Begriffsentwicklung und die Erforschung des Syndroms in Deutschland lange Zeit<br />

ausschlaggebend war (vgl. SCHEERER-NEUMANN 1989, S. 18).<br />

„Unter ‚Legasthenie‘ verstehen wir demnach eine spezielle und aus dem<br />

Rahmen der üblichen Leistungen fallende Schwäche im Erlernen des<br />

Lesens (und indirekt auch des selbständigen orthographischen Schreibens)<br />

<strong>bei</strong> sonst intakter oder (im Verhältnis zur Lesefähigkeit) relativ guter Intelligenz.<br />

[Der Verfasser: Ausgeschlossen werden da<strong>bei</strong> jene Arten von LRS,<br />

die] durch gewöhnlichen Schwachsinn, durch manifeste Gesichts- und Gehörstörungen<br />

oder sonstige körperliche Behinderungen erklärlich sind, oder<br />

aber durch mangelnde Übung infolge von Krankheit, Fehlen von Schule,<br />

Sprach- und Schulwechsel oder durch ungewöhnliche Schulumstände […]<br />

oder durch schlechte Schulmethoden oder offensichtlich gestörte Lehrer-<br />

Schüler-Beziehungen hervorgerufen werden. Wenn wir dementsprechend<br />

von einer ‚Legasthenie‘ sprechen, so verstehen wir, daß ein Kind unter <strong>bei</strong><br />

uns ‚landläufig‘ normalen Schulverhältnissen, trotz allen Bemühungen der<br />

Erwachsenen, und nicht erklärlich durch Debilität, das Lesen (und<br />

Schreiben) nicht oder nur mit größter Mühe erlernen kann, während in den<br />

anderen Fächern keine entsprechenden Schwierigkeiten bestehen“ (LINDER<br />

zit. n. SCHEERER-NEUMANN 1989, S. 18).<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 6<br />

LINDERs Definition umfaßt jedoch nicht alle Kinder mit LRS. Aufgrund der von ihr vor-<br />

genommenen Ausschlußkriterien, fielen all die Kinder aus dem Raster, die auch in<br />

anderen Fächern Schwierigkeiten hatten. Ferner schloß sie auch diejenigen aus, <strong>bei</strong><br />

denen offensichtlich negative Umwelteinflüsse als Ursache vorlagen. In der Praxis<br />

erwiesen sich aber gerade die zuletzt genannten Ausschlußkriterien als nicht brauch-<br />

bar, da <strong>bei</strong> der Diagnostik nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden konnte, ob <strong>bei</strong><br />

einem Kind die Kriterien vorlagen.<br />

Aus diesem Grund wurde <strong>bei</strong> allen weiteren Definitionen auf die Ausschlußkriterien<br />

verzichtet. Entsprechend wurde die Legasthenie z.B. wie folgt definiert, als<br />

„… eine partielle Lernstörung bzw. ein Rückstand im Lesen und in der<br />

Rechtschreibung, der im Mißverhältnis steht zu der relativ guten Allgemeinbegabung<br />

und zu den mindestens durchschnittlichen Leistungen in<br />

den andern Schulfächern“ (VALTIN zit. n. SCHEERER-NEUMANN 1989, S. 18).<br />

In der Folgezeit wurden daraufhin Diagnosekriterien festgelegt, die dazu führten, daß<br />

man immer dann von einer Legasthenie sprach, wenn das betroffene Kind einen<br />

Prozentrang von weniger als 15 in einem Lese- und/oder Rechtschreibtest erlangt<br />

hatte, aber eine mindestens durchschnittliche Intelligenz aufweisen konnte, d.h. das<br />

mindestens ein IQ-Wert von 90 (<strong>bei</strong> Berücksichtigung des Standardmeßfehlers von 85)<br />

in einem Intelligenztest erreicht wurde (vgl. SCHEERER-NEUMANN 1989, S. 18). Diese<br />

Diagnosekriterien sind jedoch nicht unproblematisch, da sie je nach verwendetem<br />

Intelligenztest und Lese- bzw. Rechtschreibtest unterschiedliche Gruppen von<br />

legasthenen Kindern beschreiben. Was schließlich die Vergleichbarkeit von Befunden<br />

aus empirischen Studien einschränkt, nicht jedoch deren Wert (vgl. ANGERMAIER 1982,<br />

S. 210).<br />

In diesem Sinne war die Legasthenie ein diagnostisches Konstrukt, eine Hilfe für die<br />

Praxis, um bestimmte Symptome zu ordnen und Entscheidungen für die Intervention<br />

zu finden. Darüber hinaus hatte der Begriff auch eine erklärende Funktion. Ein Kind<br />

versagte im Lesen und Schreiben, weil es Legastheniker war.<br />

Aus heutiger Sicht ist jedoch das Intelligenzkriterium nicht mehr haltbar (vgl. DUMMER-<br />

SMOCH 1994, S. 11), weshalb der Begriff „Legasthenie“ in der neueren Fachliteratur<br />

kaum noch Verwendung findet. In der Regel spricht man heute von Lese-Recht-<br />

schreibschwäche (LRS). Gelegentlich werden in deutschsprachigen Veröffentlichungen<br />

die Begriffe Lese-Rechtschreibstörung und Schreibleseschwäche synonym gebraucht<br />

(vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 9).<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 7<br />

Eine für das heutige Verständnis der LRS wichtige Definition ist die der WHO, wie sie<br />

in der ICD-10 1 veröffentlicht ist. Dort ist ihr unter F81 „umschriebene Entwicklungs-<br />

störungen schulischer Fertigkeiten“ ein eigener Punkt F81.0 die „Lese- und Recht-<br />

schreibstörung“ gewidmet.<br />

„Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung<br />

in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das<br />

Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung<br />

erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wiederzuerkennen,<br />

vorzulesen und Leistungen für welche Lesefähigkeit nötig ist,<br />

können sämtlich betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind<br />

Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz,<br />

auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht werden. Umschriebene<br />

Entwicklungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des<br />

Sprechens und der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind<br />

begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig“<br />

(DIMDI 2 1994, S. 356).<br />

Als Synonyme werden „Entwicklungsdyslexie“, „umschriebene Lesestörung“ und<br />

„Leserückstand“ angegeben. Als von der Lese- und Rechtschreibstörung zu unter-<br />

scheidende Störungsbilder werden die Alexie/Dyslexie (R48.0 ohne nähere Abgaben)<br />

und die Lesestörung infolge emotionaler Störung (F93) genannt. Des weiteren wird im<br />

gleichen Kapitel unter F 81.1 die „isolierte Rechtschreibstörung“ unterschieden (vgl.<br />

DIMDI 1994).<br />

Für die Forschung, speziell in der Neurologie bzw. Psychiatrie sowie in der Neuropsy-<br />

chologie ist jedoch die Definition nach MAS (Multiaxiales Klassifikationsschema für<br />

psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters) richtungsweisend.<br />

„Die ‚umschriebene Lese-Rechtschreib-Schwäche‘ ist eine Störung, ‚deren<br />

Hauptmerkmal eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Entwicklung der<br />

Lese- und Rechtschreibfähigkeit ist, die nicht durch eine allgemeine intellektuelle<br />

Behinderung oder inadäquate schulische Betreuung erklärt<br />

werden kann‘“ (REMSCHMIDT zit. n. ROSENKÖTTER 1997, S. 10).<br />

Es wird in dieser Definition zwar nicht mehr von „Legasthenie“ gesprochen, dennoch<br />

hat sich in dem hier gebrauchten Begriff der „umschriebenen Lese-Rechtschreib-<br />

schwäche“ das Intelligenzkriterium gehalten. Deutlich wird das in der Formulierung „die<br />

nicht durch eine allgemeine intellektuelle Behinderung […] erklärt werden kann“.<br />

1 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme,<br />

10. Revision (in Deutschland herausgegeben vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation<br />

und Information)<br />

2 DIMDI = Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 8<br />

Grundlegend für diese Definition, die sich im übrigen auf die ICD-10 beruft, ist die<br />

Annahme, daß <strong>bei</strong> Lese-Rechtschreibschwäche biologische Ursachen vorliegen. Diese<br />

beeinträchtigen bzw. verzögern die Entwicklung von Funktionen, die mit der Reifung<br />

des zentralen Nervensystems verbunden sind. Zum störungsfreien Lernen des Lesens<br />

müssen aber genau diese Funktionen bis zum Einschulungsalter intakt sein.<br />

Einschränkungen bzw. Beeinträchtigungen dieser zentral-nervösen Funktionen können<br />

da<strong>bei</strong> lange vor der Geburt angelegt sein (ge<strong>net</strong>isch bedingt sein) oder sie entstehen<br />

im zeitlichen Umfeld der Geburt, z.B. durch Sauerstoffmangel. Das Elternhaus,<br />

genauer gesagt, die sprachliche Anregung und die Erziehung durch die Eltern, haben<br />

da<strong>bei</strong> lediglich zusätzliche Bedeutung (vgl. BVL 3 o.J., S. 5; FIRNHABER 1994, S.26).<br />

Kinder, die vom Syndrom der LRS betroffen sind, fallen in der Regel durch ihre<br />

Probleme in der Schule auf. Da sich die bisher vorgestellten Definitionen nicht auf<br />

diese schulischen Schwierigkeiten der Kinder beziehen, sind sie für die alltägliche<br />

schulische Praxis auch nicht von großer Bedeutung. Sie sind keine Hilfe <strong>bei</strong>m Erken-<br />

nen und Verstehen der Problematik durch bzw. für die Schule. Daher seien an dieser<br />

Stelle zwei weitere Definitionen genannt, die vor allem für die Schule praktikabel sind<br />

bzw. die schulischen Probleme der betroffenen Kinder berücksichtigen.<br />

Als erstes sind die Empfehlungen der KMK (Kultusministerkonferenz) vom 30. Juni<br />

1978 4 zu nennen. Diese Empfehlungen gelten für „Schüler, die besondere Schwierig-<br />

keiten im Lesen und Rechtschreiben haben“ (zit. n. DUMMER-SMOCH 1994, S. 116).<br />

Unter 3.2 „besondere Fördermaßnahmen“ wird die Schülergruppe genauer beschrie-<br />

ben, für die solche Fördermaßnahmen angeboten werden sollen, d.h. die als lese-<br />

rechtschreibschwach angesehen werden (sollen).<br />

„Besondere Födermaßnahmen sollen für Schüler vorgesehen werden, die<br />

die Ziele des Lese- und/oder Rechtschreibunterrichts der Jahrgangsstufe 2<br />

noch nicht erreicht haben, sowie für Schüler der Jahrgangsstufe 3 und 4,<br />

deren Leistungen im Lesen und/oder Rechtschreiben über einen Zeitraum<br />

von mindestens drei Monaten hinweg schlechter als ausreichend bewertet<br />

werden“ (KMK zit. n. DUMMER-SMOCH 1994, S. 118).<br />

Eine zweite für die Schule relevante Definition stammt von Lisa DUMMER-SMOCH, die<br />

lange Zeit Vorsitzende des Bundesverbandes Legasthenie e.V. (BVL) war.<br />

3 BVL = Bundesverband Legasthenie e.V.<br />

4 Der gesamte Wortlaut der KMK-Empfehlungen kann <strong>bei</strong> DUMMER-Smoch (1994) nachgelesen<br />

werden.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 9<br />

Spezifische oder umschriebene Lese-Rechtschreib-Schwächen<br />

(Legasthenien) sind die in der Schule auffallenden Erscheinungsbilder<br />

partiellen Lernversagens im Lesen und/oder Rechtschreiben <strong>bei</strong> nicht<br />

beeinträchtigten intellektuellen Lernvoraussetzungen und - zunächst -<br />

besseren Schulleistungen in anderen Bereichen. Durch fortgesetzte<br />

Entmutigung kann die Legasthenie das Erscheinungsbild allgemeinen<br />

Schulversagens annehmen.<br />

Zugrunde liegen diesen Erscheinungsbildern jeweils unterschiedliche<br />

Kombinationen von Teilleistungsschwächen der Wahrnehmung, Motorik<br />

und der sensorischen Integration (Zusammenspiel verschiedener Wahrnehmungsbereiche).<br />

So ergeben sich unterschiedliche Schweregrade und<br />

Schwerpunkte der Lernschwierigkeiten des einzelnen Kindes.<br />

Die Teilleistungsschwächen erschweren insbesondere die Unterscheidung<br />

von Buchstabenformen (visuelle Detailerfassung) und/oder die Unterscheidung<br />

ähnlicher Sprachlaute (auditive Diskrimination).<br />

Die Teilleistungsschwächen gehen ursächlich auf Erbfaktoren oder auf<br />

Hirnreifungsverzögerungen durch Infekte oder andere Risiken zurück, die<br />

vor, während oder nach der Geburt aufgetreten sind, bzw. auf das Zusammenwirken<br />

<strong>bei</strong>der Ursachen“ (zit. n. BVL o.J., S. 5f).<br />

Diese Definition ist insofern für die Schule gehaltvoll, als daß sie zunächst sagt, welche<br />

Personengruppe als lese-rechtschreibschwach gilt, nämlich jene, die ein partielles<br />

Lernversagen im Lesen und/oder Rechtschreiben zeigt. Ferner gibt sie erste Hinweise<br />

zu möglichen Ursachen und impliziert damit auch bereits erste Ansätze für Interven-<br />

tionen bzw. Fördermaßnahmen.<br />

Zusammenfassend sei für die weiteren Ausführungen darauf hingewiesen, daß der<br />

Begriff „Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)“ auf alle Kinder angewendet wird, die<br />

Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Erlernen des Lesens und des (Recht-) Schreibens haben.<br />

Demgegenüber werden nur die Kinder als Legastheniker bezeich<strong>net</strong>, die eine intelli-<br />

genzdiskrepante Lese-Rechtschreibschwäche aufweisen. Folglich wird der Begriff der<br />

„Legasthenie“ oder der „umschriebenen Lese-Rechtschreibschwäche“ nur auf die<br />

Gruppe von Kindern angewendet, die <strong>bei</strong> normaler oder überdurchschnittlicher<br />

Intelligenz die Symptome einer LRS zeigen. Diese Unterscheidung 5 erscheint not-<br />

wendig, damit Forschungsergebnisse, die im weiteren Verlauf dargestellt werden,<br />

richtig verstanden werden, in dem Sinne, daß deutlich wird, für welche Gruppe von<br />

lese-rechtschreibschwachen Kindern ihre Aussagen Gültigkeit haben.<br />

5 Leider wird diese Unterscheidung von einigen Autoren nicht immer exakt vorgenommen, so<br />

benutzen sie den Begriff der LRS und der Legasthenie synonym. Bei der Darstellung ihrer<br />

Aussagen bzw. Studien im Rahmen dieser Ar<strong>bei</strong>t werden die Begriffe in der hier aufgezeigten<br />

Differenzierung angewendet, d.h. es wird, wenn nötig, eine „Übersetzung“ vorgenommen.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 10<br />

1.2 Symptomatik<br />

Historisch gesehen blieben die Versuche über die Beschreibung einer charakteri-<br />

stischen Fehlertypologie zu differenzierten LRS-Mustern zu gelangen weitestgehend<br />

erfolglos. Sie führten meist nur zu einer Zuordnung zum eher visuell oder eher auditiv<br />

betroffenen Kind.<br />

Dennoch haben sich einige Autoren darum bemüht, eine an den Symptomen orien-<br />

tierte Einteilung vorzunehmen. Ein Beispiel dafür ist die Unterscheidung der „Linguistik-<br />

Dyslexie“ und der „Perzeptual-Dyslexie“ nach BAKKER. Unter dem Bild der „Linguistik-<br />

Dyslexie“ werden betroffene Menschen gefaßt, die schnell und mit vielen Fehlern<br />

lesen. „Perzeptual-Dyslexie“ wird durch langsames fragmentierendes, aber relativ<br />

sauberes Lesen charakterisiert (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 14).<br />

In den heutigen Beiträgen zur LRS-Diskussion wird immer häufiger davon ausge-<br />

gangen, daß es keine charakteristische Fehlertypologie gibt. Die Meinung geht dahin,<br />

daß lese-rechtschreibschwache Kinder dieselben Fehler machen wie schriftsprachlich<br />

unauffällige Kinder, nur mit einer größeren Häufung (vgl. ANGERMAIER 1982, S. 209;<br />

ROSENKÖTTER 1997, S. 14). Im folgenden soll eine Übersicht über Fehlergruppen<br />

gegeben werden, die <strong>bei</strong> lese-rechtschreibschwachen Kindern relativ häufig zu<br />

beobachten sind. (vgl. BECKER 1977; WARNKE 1995). Ob da<strong>bei</strong> von LRS-typischen<br />

Fehlern gesprochen werden kann oder ob sie von allen Kindern gemacht werden, soll<br />

an dieser Stelle nicht diskutiert werden.<br />

1.2.1 Das Störungsbild des Lesens<br />

Zu Beginn des Lese-Lernprozesses kann sich eine (drohende) LRS in der Schwierig-<br />

keit äußern,<br />

a) das Alphabet aufzusagen,<br />

b) Buchstaben korrekt zu benennen,<br />

c) Laute trotz normaler Hörfähigkeit auditiv zu unterscheiden und<br />

d) Laute den entsprechenden Buchstaben zuzuordnen.<br />

Beim lauten Lesen in einem späteren Leselernstadium können dann folgende Schwie-<br />

rigkeiten zutage treten (vgl. WARNKE 1995, S. 289):<br />

a) Auslassen, Ersetzen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen,<br />

b) niedrige Lesegeschwindigkeit,<br />

c) Startschwierigkeiten <strong>bei</strong>m Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile im<br />

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Text, ungenaues Phrasieren und<br />

d) Vertauschen von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in Wörtern.


Lese-Rechtschreibschwäche 11<br />

Defizite im Leseverständnis zeigen sich in:<br />

e) einer Unfähigkeit, Gelesenes wiederzugeben,<br />

f) einer Unfähigkeit, aus Gelesenem Schlüsse zu ziehen oder Zusammenhänge<br />

zu sehen und<br />

g) in der Verwendung von allgemeinem Hintergrundwissen anstelle von<br />

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Informationen aus einem Text <strong>bei</strong>m Beantworten von Fragen zu diesem.<br />

Auch nach einem Hinweis auf einen Lesefehler ist es schwerer betroffenen Kindern<br />

zuweilen nicht möglich, ihren Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Einmal richtig<br />

gelesene Worte können <strong>bei</strong> ihrem nächsten Erscheinen falsch und unter Umständen in<br />

anderen Zusammenhängen dann wieder richtig gelesen werden. Dieses Phänomen<br />

spricht dafür, daß gelesene Worte nicht korrekt wiedererkannt bzw. nicht korrekt<br />

gelesen werden können. Diese Störungen des Lesens sind häufig mit Rechtschreib-<br />

störungen verknüpft.<br />

1.2.2 Das Störungsbild der Rechtschreibung<br />

Die Rechtschreibfehler, die ein Kind macht, sind abhängig von seinem schulischen<br />

Entwicklungsstand. Eine für die LRS charakteristische Fehlertypologie läßt sich jedoch<br />

nicht erkennen. Es lassen sich lediglich in der deutschen Sprache immer wieder<br />

folgende Rechtschreibfehler beobachten (vgl. WARNKE 1995, S. 290):<br />

a) Reversion: Verdrehungen von Buchstaben in einem Wort, wie b-d, p-q, u-n<br />

(z.B. „Kunstbünger“ statt „Kunstdünger“);<br />

b) Reihenfolge oder Sukzessionsfehler: Umstellungen von Buchstaben in einem<br />

Wort (z.B. „Mraburg“ statt „Marburg“);<br />

c) Auslassungen: ein Buchstabe wird ausgelassen (z.B. „Hrbron“ statt<br />

„Herborn“);<br />

d) Einfügungen: falsche, nicht gehörte oder nicht selbst artikulierte Laute werden<br />

eingefügt (z.B. „Weichlar“ statt „Wetzlar“ oder „Biedenkoft“ statt „Biedenkopf“);<br />

e) Regelfehler und andere: z.B. Dehnungsfehler, Vertauschungen von d-t, g-k<br />

oder n-m (z.B. „Walt“ statt „Wald“, „Rein“ statt „Rhein“);<br />

f) Fehlerinkonstanz: ein und dasselbe Wort wird möglicherweise auch nach<br />

jahrelanger Übung auf ein und derselben Seite unterschiedlich falsch<br />

geschrieben.<br />

Diese Fehler können auch <strong>bei</strong> Kindern beobachtet werden, die sich die Worte korrekt<br />

artikuliert vorsprechen können und sich das Wort Buchstabe für Buchstabe korrekt<br />

(lautierend) selbst diktieren können.


Lese-Rechtschreibschwäche 12<br />

1.3 Begleitsymptome<br />

Beim Vorliegen einer LRS sind folgende primäre Begleitsymptome relativ häufig, aber<br />

nicht in jedem Fall zu beobachten (vgl. WARNKE 1991, S. 14):<br />

a) expressive und/oder rezeptive Sprachentwicklungsstörungen,<br />

b) umschriebene Rechenstörungen (Dyskalkulie),<br />

c) entwicklungsbezogene Störungen der Koordination,<br />

d) Störungen der Sprachwahrnehmung, wie etwa der Lautdiskrimination,<br />

e) <strong>bei</strong> bis zu 10% der legasthenen Kinder Schwächen in der visuellen<br />

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Wahrnehmung.<br />

Herausragende sekundäre Begleitsymptome stehen in einem engen Zusammenhang<br />

mit der schulischen Situation der Kinder. Speziell Lese- und Rechtschreibfähigkeiten<br />

haben einen hohen Stellenwert in der Schule, nicht nur im Deutsch- bzw. Fremdspra-<br />

chenunterricht. Auch in vielen anderen Fächern müssen sich die Schüler Wissen<br />

erlesen. Darüber hinaus müssen sie auch Tests und Klassenar<strong>bei</strong>ten schreiben, <strong>bei</strong><br />

denen die Aufgabenstellung gelesen und verstanden sowie Wissen in den Antworten<br />

entsprechend verschriftlicht werden muß. Schüler mit einer LRS haben gerade damit<br />

Schwierigkeiten. Was häufig dazu führt, daß sie auch in nicht-sprachlichen Fächern,<br />

wie z.B. in den naturwissenschaftlichen, nicht ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen<br />

entsprechend beurteilt werden. Diese Schüler werden dann aufgrund ihrer umschrie-<br />

benen bzw. isolierten Schwäche im schriftsprachlichen Bereich häufig und allzuleicht<br />

für „dumm“ gehalten (vgl. DuMMER-SMOCH 1994, S. 13f).<br />

Als Folge aus der Diskrepanz zwischen besserem Lernvermögen und der LRS sowie<br />

des langsamen Fortkommens im Erlernen des Lesens und Schreibens trotz guter,<br />

umfangreicher Förderung ergeben sich häufig Schullaufbahnprobleme. Das betroffene<br />

Kind „paßt“ aufgrund der ständigen Überforderung im Lesen und Schreiben gegenüber<br />

der teilweisen Unterforderung in anderen Leistungsbereichen nicht ins Schulsystem<br />

(vgl. DUMMER-SMOCH 1994, S. 14).<br />

Die häufigen und anhaltenden Mißerfolge stellen eine große psychische Belastung dar.<br />

Diese kann durch den erhöhten Zeitaufwand im schulischen Lernen bzw. <strong>bei</strong> den<br />

Hausaufgaben, den Mangel an Anerkennung und die Beeinträchtigung des Selbstwert-<br />

gefühls verstärkt werden und stellt dann einen hohen Risikofaktor für die Entstehung<br />

von psychischen und psychiatrischen Erkrankungen dar. Ferner wirkt die partielle<br />

Lernstörung des Kindes auch auf Familie zurück, d.h. relativ häufig kommt es in der<br />

Folge zu Familienkonflikten. Speziell das Verhältnis zu dem Elternteil, der für den<br />

schulischen Erfolg verantwortlich gemacht wird, meist die Mutter, ist sehr gespannt.<br />

Da<strong>bei</strong> ist zu beobachten, daß gerade <strong>bei</strong> Kindern aus sozial instabilen Familien die<br />

LRS einen zusätzlichen Streßfaktor darstellt (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 14).


Lese-Rechtschreibschwäche 13<br />

Eine detaillierte Auflistung von sekundären Begleitsymptomen ist <strong>bei</strong> NIEBERGALL<br />

(1987) zu finden. Wo<strong>bei</strong> kritisch angemerkt werden muß, daß keine kausalen Zusam-<br />

menhänge aufgezeigt werden. Aus der Zusammenstellung geht nicht hervor, welche<br />

Symptome Folge der LRS sind und welche bereits vor ihr bestanden haben und somit<br />

als ursächlich oder zumindest bedingende, fördernde Faktoren in Betracht kommen<br />

(vgl. WARNKE 1991, S. 14f; ANGERMAIER 1982, S. 212). Die einzelnen Symptome<br />

wurden von WARNKE (1991) zu folgenden fünf Obergruppen zusammengefaßt:<br />

a) Störungen im Lern-Leistungsverhalten: in der Regel mangelnde, nur<br />

selten übermäßige Leistungshaltung;<br />

b) emotionale Störungen: Angst und Verstimmungen, besonders schulische<br />

Versagensängste und reaktive Depression;<br />

c) hyperaktive Symptomatik: Bewegungsunruhe und Konzentrationsschwäche;<br />

d) psychosomatische Symptome: häufig Kopf- und Bauchschmerzen sowie<br />

Übelkeitsgefühle im funktionellen Zusammenhang mit Schulleistungsanforderungen<br />

(Symptomgruppe I) und seltener Asthma, Neurodermitis<br />

usw. (Symptomgruppe II);<br />

e) Störungen im Sozialverhalten: schulische Disziplinschwierigkeiten<br />

Kontakstörungen, Gereiztheit, Aggressivität, Hausaufgabenkonflikte,<br />

Dissozialität.<br />

(vgl. WARNKE 1991, S. 15)<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 14<br />

1.4 Ursachen<br />

Den weiteren Überlegungen sei ein Zitat des englischen Philosophen SPENCER voran-<br />

gestellt:<br />

„Die Urteile des Menschen durchlaufen drei Phasen: (1) Einstimmigkeit der<br />

Unwissenden, (2) Nichtübereinstimmung der Fragenden, (3) Übereinstimmung<br />

der Wissenden“ (zit. n. SCHENK-DANZIGER 1991, S. 37).<br />

Die Ursachenforschung zur Lese-Rechtschreibschwäche befindet sich derzeit in der<br />

zweiten Phase, d.h. es werden sehr viele verschiedene Ursachen für die Entstehung<br />

einer LRS diskutiert.<br />

1.4.1 Konstitutionelle Dispositionen<br />

Als konstitutionelle Dispositionen, die Lese-Rechtschreibschwäche verursachen<br />

könnten, werden ge<strong>net</strong>ische Veranlagungen und vor dem Erlernen der Schriftsprache<br />

erworbene prä-, peri- und postnatale Hirnfunktionsstörungen angenommen.<br />

„Die spezifisch ge<strong>net</strong>ische Disposition oder/und erworbene hirnorganische<br />

Veränderungen, die die Teilleistungsschwäche begründen, werden in Interaktion<br />

mit ge<strong>net</strong>isch bestimmtem kognitivem Potential, Alter und Entwicklungsstand<br />

sowie Lernanreiz, Übung, anderen Milieueinflüssen und der Art<br />

der Aufgabenstellung (z.B. alphabetische Schrift) als umschriebene Rechtschreibschwäche<br />

manifestiert“ (WARNKE 1990, S. 9) (vgl. Abbildung 1).<br />

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Spezifisch ge<strong>net</strong>ische<br />

Belastung<br />

oder/und<br />

erworbene hirnorganische<br />

Veränderung<br />

begründen<br />

Teilleistungsschwäche<br />

in Relation zu<br />

- ge<strong>net</strong>isch limitiertem<br />

kognitivem Potential<br />

- Lernanreiz und<br />

Übung<br />

- Alter bzw.<br />

Entwicklungsstand<br />

Verknüpfungsmodus<br />

unklar<br />

Verknüpfungsmodus<br />

unklar<br />

Abbildung 1: Konstitutionelle Dispositionen und LRS (WARNKE 1990, S. 10)


Lese-Rechtschreibschwäche 15<br />

Für eine ge<strong>net</strong>ische Vorbelastung bzw. für eine ge<strong>net</strong>ische Komponente spricht die<br />

familiäre Häufung von Lese-Rechtschreibschwäche. ROSENKÖTTER (1997) spricht von<br />

60% aller Kinder mit LRS, <strong>bei</strong> denen mindestens ein naher Verwandter eine Schreib-<br />

leseschwäche aufweist. Ein weiterer Hinweis sind die Konkordanzwerte aus der<br />

Zwillingsforschung. So fand <strong>bei</strong>spielsweise HERMANN <strong>bei</strong> 11 Eineiigen-Zwillingspaaren<br />

eine Konkordanz von 100% <strong>bei</strong> Zweieiigen-Zwillingspaaren lag sie <strong>bei</strong> 33% (vgl.<br />

WARNKE 1990, S. 10). Für eine ge<strong>net</strong>ische Disposition spricht ferner, daß Jungen<br />

sechs- bis achtmal häufiger betroffen sind als Mädchen (vgl. ROSENKÖTTER, S. 14).<br />

1983 fanden SMITH u.a. Anhaltspunkte für ein legastheniespezifisches Gen auf<br />

Chromosom 15 (vgl. WARNKE 1990, S. 10). Daneben wird auch eine Verbindung zum<br />

Chromosom 6 vermutet (vgl. [3] 6 ). Ferner scheint eine Abweichung in der Anzahl der<br />

Chromosomen, speziell der Geschlechtschromosomen, ein erhöhtes Risiko für die<br />

Entstehung einer LRS darzustellen, was besonders für Jungen mit XXY-Chromoso-<br />

mensatz zutrifft (vgl. KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA 1995, S. 283). In diesem<br />

Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß <strong>bei</strong> lese-rechtschreibschwachen Kindern<br />

überproportional häufig allergische Erkrankungen und Erkrankungen des Immun-<br />

systems zu finden sind 7 . GALABURDA sieht darin einen Hinweis auf einen immunolo-<br />

gischen Teilmechanismus in der Genese der Lese-Rechtschreibschwäche. Bisher<br />

konnte dafür aber noch kein Genlokus auf den Chromosomen von Legasthenikern<br />

determiniert werden. Daher wird zur Zeit eher von einer hormonellen oder stoffwech-<br />

selbedingten intrauterinen Entstehung ausgegangen (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 11).<br />

Für die Annahme einer minimalen cerebralen Dysfunktion (MCD) 8 als Ursache für<br />

Lese-Rechtschreibschwäche spricht die häufige Verknüpfung von LRS mit anderen<br />

cerebralen Dysfunktionen (vgl. WARNKE 1990, S. 11).<br />

RUTTER und YULE kamen zu dem Ergebnis, daß minderbegabte, lernschwache Kinder<br />

mit einer LRS deutlich mehr neuropsychologische Auffälligkeiten aufweisen als Kinder<br />

mit intelligenzdiskrepanter spezifischer Lese- und Rechtschreibschwäche (vgl. WARNKE<br />

1990, S 11). DENCKLA schlug deshalb vor, folgende zwei Formen zu unterscheiden<br />

(ebd.):<br />

f) „Dyslexia plus“, Lese-Rechtschreibschwäche mit Zusatzsymptomen (wie z.B.<br />

Hyperki<strong>net</strong>ik und andere neurologische Symptomen), und<br />

g) „Dyslexia pure“, Lese-Rechtschreibschwäche ohne Zusatzsymptome.<br />

6 Diese Form des Quellenverweises ist für alle Inter<strong>net</strong>-Quellen gewählt worden. Diese sind unter<br />

entsprechender Nummer am Ende des Literaturverzeichnisses zu finden.<br />

7 Lese-Rechtschreibschwache Kinder fallen auch wegen häufiger Schulversäumnisse auf, die nicht<br />

selten krankheitsbedingt sind (vgl. ANGERMAIER 1982, S. 209).<br />

8 Das Konzept der MCD ist durch das der Teilleistungsschwäche abgelöst (vgl. Kapitel 1.4.4)<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 16<br />

Ein Zusammenhang zwischen LRS und MCD ist aber nicht für alle Kinder nachweisbar.<br />

Der Anteil von Kindern, <strong>bei</strong> denen eine perinatale 9 Hirnschädigung von Bedeutung ist,<br />

wird auf 12% geschätzt. Offensichtlich besteht also ein solcher Zusammenhang, wie er<br />

sich im Einzelfall konkret äußert, ist jedoch noch nicht geklärt (vgl. ROSENKÖTTER 1997,<br />

S. 11).<br />

1.4.2 Psychosoziale Einflüsse und defizitärer Unterrichtung als erklärende<br />

Variable<br />

Häufig kommen Kinder mit LRS aus sozio-ökonomisch schlecht gestellten Familien<br />

und/oder aus Familien mit geringem sprachlichen Anregungsgrad (vgl. ANGERMAIER<br />

1981, S. 209). Bei einer vollständigen kinder- und jugendpsychiatrischen Inanspruch-<br />

nahmepopulation konnte REMSCHMIDT (1987) jedoch keinen Zusammenhang zwischen<br />

Legasthenie und sozialer Schicht ermitteln. LRS kam über alle (Herkunfts-) Schichten<br />

gleich verteilt vor. Was den Schluß zuläßt, daß <strong>bei</strong> Sicherung einer normalen und<br />

adäquaten Beschulung und <strong>bei</strong>m Ausschluß relevanter psychosozialer Hindernisse<br />

eine Anzahl Kinder mit LRS verbleibt, <strong>bei</strong> denen sich die LRS unabhängig von<br />

schichtspezifischen Faktoren entwickelt. Ob das soziale Umfeld des Kindes eine<br />

ursächliche Funktion <strong>bei</strong>m Entstehen einer LRS hat, kann aus diesen Ergebnissen<br />

nicht endgültig geklärt werden. Auf jeden Fall scheint es aber <strong>bei</strong>m Vorhandensein<br />

einer Anlage verstärkend zu wirken. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß in<br />

der ICD-10 der WHO soziokulturelle Komponenten zur Ätiologie der LRS nicht ausge-<br />

schlossen werden.<br />

Eine erhebliche Diskrepanz in der Quote von Kindern mit LRS stellten KLICPERA und<br />

GASTEIGER-KLICPERA (1995) in unterschiedlichen Klassen einer Schule fest. Bei einer<br />

genaueren Betrachtung ergaben sich Zusammenhänge zwischen der Quote von<br />

Schülern mit LRS und dem Stil des Deutschlehrers. Es scheint also unbestritten, daß<br />

schlechter schriftsprachlicher Unterricht <strong>bei</strong>m Vorhandensein einer Prädisposition zum<br />

Auftreten des Syndroms der LRS <strong>bei</strong>trägt. Ferner scheint ebenfalls festzustehen, daß<br />

sich <strong>bei</strong> Kindern eine Lese-Rechtschreibschwäche entwickeln kann, die einen norma-<br />

len oder sogar ungewöhnlich guten schriftsprachlichen Unterricht genossen haben und<br />

die auch mit einer therapeutischen Förderung keine normale Lese- und Rechtschreib-<br />

fähigkeit erlangen (vgl. KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA 1995, S. 296ff; ANGERMAIER<br />

1981, S. 211; FIRNHABER 1994, S. 25f).<br />

Im Wechselverhältnis Schule und Elternhaus ist <strong>bei</strong> LRS-Kindern zu beobachten, daß<br />

entweder jegliche Hausaufgabenunterstützung entfällt oder im Gegenteil stundenlag<br />

9 Die perinatale Phase umfaßt den Zeitraum von kurz vor bis zum siebten Tag nach der Geburt.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 17<br />

geübt wird. Die Eltern lese-rechtschreibschwacher Kinder haben offensichtlich ein Pro-<br />

blem, das Leistungsverhalten und die Leistungsprobleme ihrer Kinder zu steuern (vgl.<br />

ANGERMAIER 1982, S. 212). Dieser Fakt spielt in der Genese der LRS sicherlich keine<br />

ursächliche Rolle, sondern wird eher die sekundären Begleitsymptome verstärken.<br />

1.4.3 Neuropsychologische Erklärungsansätze<br />

Schriftsprache ist eine komplexe Leistung, die z.B. eine intakte Lernfähigkeit, aus-<br />

reichende Sinnesfunktionen sowie eine ausreichende Integration sprachlicher,<br />

visueller, auditiver und motorischer Funktionen voraussetzt. Neuropsychologische<br />

Erklärungshypothesen setzten genau <strong>bei</strong> diesen zentral-nervösen Funktionen an. Sie<br />

konzentrieren sich auf Dysfunktionen in der zentral-nervösen Verar<strong>bei</strong>tung von Schrift-<br />

sprache bzw. schriftsprachlicher Informationen. Da<strong>bei</strong> soll keinesfalls das Vorhanden-<br />

sein einer Hirnschädigung postuliert werden. Vielmehr geht es darum, das Wissen um<br />

die Entwicklung zentral-nervöser Funktionen und um die Organisation des Zentralner-<br />

vensystems dazu zu benutzen, den Beitrag dieser konstitutionellen Faktoren <strong>bei</strong> der<br />

Entstehung der individuellen Schwierigkeiten der Kinder zu klären (vgl. WARNKE 1990,<br />

S. 12). Offen bleibt da<strong>bei</strong> die Frage, worin die ursächliche Dysfunktion genau besteht.<br />

Denkbar wäre „eine ‚nachweisbare strukturelle bzw. funktionelle Störung des zentralen<br />

Nervensystems‘, eine ‚zentralnervöse Funktionsstörung‘ für die sich aber kein struktu-<br />

relles Korrelat finden läßt, ‚eine verlangsamte oder andersartige Reifung von zentral-<br />

nervösen Funktionen‘ oder schließlich eine ‚individuelle Variation zentral-nervöser<br />

Funktionen‘“ (WARNKE 1990, S. 12). Bei der Entwicklung zentral-nervöser Funktionen<br />

und ihrer strukturellen Architektur ist neuronale Aktivität mitbestimmend, die wiederum<br />

ge<strong>net</strong>isch bedingt oder durch Umwelteinflüsse determiniert sein kann.<br />

Diese übergeord<strong>net</strong>en Überlegungen fächern sich in vielfältige neuropsychologische<br />

Ansätze auf, die im folgenden kurz charakterisiert werden sollen.<br />

(1) Abnorme anatomische Entwicklung der Hirnregionen, die für den Erwerb von<br />

Schriftsprache als ausschlaggebend angesehen wird, bzw. der intra- und inter-<br />

hemisphärischen Verbindungen (vgl. WARNKE 1990, S. 13).<br />

Diese Hypothese wird von neueren anatomischen Befunden gestützt. GALABURDA<br />

fand <strong>bei</strong> seinen Untersuchungen an acht Gehirnen früh verstorbener legasthener<br />

Personen eine entwicklungsbedingte, minimale Anomalie in der Hirnrinde und in<br />

einigen tieferliegenden Strukturen des Gehirns (vgl. DUMMER-SMOCH 1995, S. 4;<br />

ROSENKÖTTER 1997, S. 80).<br />

(2) Gestörter Aufbau funktioneller Hemisphärendominanz von an sich lateralisierter<br />

Hirnfunktionen bzw. eine abnorme Entwicklung der Lateralisierung schriftsprach-<br />

licher Informationsverar<strong>bei</strong>tung.<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 18<br />

In den bereits unter (1) genannten Untersuchungen fand GALABURDA <strong>bei</strong> allen<br />

Gehirnen eine Symmetrie der <strong>bei</strong>den Schläfenlappen (Planum Temporale). Bei<br />

80% aller Menschen haben jedoch Teile des linken Schläfenlappens, die zu den<br />

Sprachregionen zählen, ein größeres Volumen als diejenigen der entsprechenden<br />

rechten Seite (vgl. DUMMER-SMOCH 1995, S. 4; ROSENKÖTTER 1997, S. 81). Diese<br />

Aufhebung der physiologischen Hirnasymmetrie <strong>bei</strong> Legasthenikern konnte später<br />

in computer- und kernspintomographischen Studien bestätigt werden (vgl.<br />

ROSENKÖTTER 1997, S. 81).<br />

Auch Messungen der Durchblutung bzw. der neuronalen Aktivität in Gehirnen<br />

legasthener Personen <strong>bei</strong> sprachlichen Aufgaben kamen zu ähnlichen Ergeb-<br />

nissen (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 80 ff).<br />

Die in diesem Zusammenhang auch diskutierte Häufung von Linkshändigkeit in<br />

der Gruppe der lese-rechtschreibschwachen Kinder ist mittlerweile widerlegt (vgl.<br />

ROSENKÖTTER 1997, S. 11; ANGERMAIER 1982, S. 210).<br />

(3) Dysfunktion intra- und interhemisphärischer Informationsverar<strong>bei</strong>tung<br />

Bei Kindern mit LRS lassen sich häufig intermodale Assoziationsschwierigkeiten<br />

beobachten, d.h. sie zeigen Schwächen <strong>bei</strong> der Verknüpfung von verbal auditiven<br />

und visuellen Informationen. Aus dieser Beobachtung läßt sich ableiten, daß eine<br />

Dysfunktion der intra- und interhemisphärischen Informationsverar<strong>bei</strong>tung <strong>bei</strong> der<br />

Entstehung einer LRS beteiligt sein könnte. Postuliert wird dementsprechend ein<br />

Defizit in der Integration visueller und sprachlicher Informationen. Elektro-<br />

physiologische Studien zeigen ferner, daß LRS-Kinder eine andere kortikale<br />

Verar<strong>bei</strong>tung von Funktionen des Lesens und Schreibens aufweisen, als<br />

schriftsprachlich normal entwickelte Kinder. Deutlich wird dies vor allem <strong>bei</strong><br />

topographischen Darstellungen von Hirnfunktion während schriftsprachlicher<br />

Aufgabenstellungen (vgl. WARNKE 1990, S. 14).<br />

(4) Störungen der Aufmerksamkeit<br />

Die Grundlage dieser Hypothese ergibt sich aus der Beobachtung, daß viele<br />

Kinder mit LRS im Unterricht unkonzentriert erscheinen. Lesen und (Recht-)<br />

Schreiben verlangt jedoch selektive Aufmerksamkeit, d.h. aus einem komplexen<br />

Reizgefüge muß zum richtigen Zeitpunkt auf einen relevanten Reiz zweckmäßig<br />

reagiert werden. Für eine Beeinträchtigung der selektiven Aufmerksamkeit, jedoch<br />

nicht der Daueraufmerksamkeit, <strong>bei</strong> LRS-Kindern konnte u.a. WARNKE (1990)<br />

einen signifikanten Hinweis finden.<br />

Die im Unterricht zu beobachtenden Aufmerksamkeitsschwierigkeiten von lese-<br />

rechtschreibschwachen Kindern sind jedoch differenziert zu betrachten. Sie<br />

müssen nicht unbedingt an der Verursachung einer LRS beteiligt sein, sondern<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 19<br />

können auch Folge derselben sein. Die ausgewählten Aufgaben bzw. Lesetexte<br />

stellen für diese Kinder oft eine Überforderung dar, weshalb sie dazu neigen diese<br />

vorzeitig abzubrechen oder nur flüchtig bzw. oberflächlich zu bear<strong>bei</strong>ten, da sie die<br />

Aufgabenstellung nicht wirklich verstanden haben (vgl. ANGERMAIER, 1982, S. 212;<br />

KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA 1995, S. 273f).<br />

(5) Dysfunktionen der sequenziellen Reizverar<strong>bei</strong>tung<br />

Schreiben ist die Fähigkeit eine akustisch-sprachliche und zeitlich geord<strong>net</strong>e<br />

Reihenfolge in eine visuelle und räumliche zu transformieren. Genau da<strong>bei</strong> haben<br />

aber einige Kinder mit LRS Schwierigkeiten; sie können die Phoneme nicht in die<br />

richtige Folge von Buchstaben übersetzten. Aufgrund dieser Beobachtung wird<br />

eine Dysfunktion im Kodieren längerer sequentieller Einheiten als bedeutsam für<br />

die Entstehung einer LRS angenommen. Diese Hypothese wird zum einen durch<br />

die von GRAICHEN untersuchte Bedeutung von hierarchisch-sequentiellen Regula-<br />

tionen für die Genese von Teilleistungsschwächen gestützt (vgl. WARNKE 1990, S.<br />

14). Zum anderen konnte GANTZER zeigen, daß dieses Defizit <strong>bei</strong> Aufgaben, <strong>bei</strong><br />

denen das genaue Einhalten einer Reihenfolge verlangt wird, um so deutlicher<br />

zutage tritt, je ähnlicher das da<strong>bei</strong> verwendete Material der Schriftsprache ist (vgl.<br />

WARNKE 1995, S. 307).<br />

(6) Dysfunktionen von Gedächtnisleistungen<br />

In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, daß lese-rechtschreib-<br />

schwache Kinder eine geringere Kapazität des Ar<strong>bei</strong>tsgedächtnisses aufweisen.<br />

Da dieses für das Leseverständnis von großer Bedeutung ist, wird hierin eine<br />

Ursache von Leseschwierigkeiten gesehen (vgl. KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA<br />

1995, S. 257).<br />

Bei einigen Kindern mit LRS können ferner Wortfindungsstörungen beobachtet<br />

werden. Was darauf hinweist, daß für die Schriftsprachentwicklung bestimmte<br />

Gedächtnisleistungen nötig sind, deren Funktion <strong>bei</strong> lese-rechtschreibschwachen<br />

Kindern gestört sein kann. Ferner wurden <strong>bei</strong> betroffenen Kindern ungenügende<br />

Gedächtnisstrategien beobachtet, wie etwa zu geringer Zeitaufwand für das<br />

Memorieren schriftsprachlicher Informationen sowie ungenügende Wieder-<br />

holungsstrategien (vgl. WARNKE 1990, S. 14).<br />

(7) Dysfunktionen der sprachlichen Informationsverar<strong>bei</strong>tung<br />

Die Hypothese einer gestörten sprachlichen Informationsverar<strong>bei</strong>tung steht derzeit<br />

im Mittelpunkt neuropsychologischer Erklärungsansätze. Die Annahme ergibt sich<br />

aus der Tatsache, daß sich eine Subgruppe lese-rechtschreibschwacher Kinder<br />

herausar<strong>bei</strong>ten läßt, die neben der LRS auch Sprachentwicklungsauffälligkeiten<br />

zeigen. Da<strong>bei</strong> können in dieser Subgruppe vor allem Defizite in der Syntax, <strong>bei</strong> der<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 20<br />

Wortfindung, <strong>bei</strong> der Lautdiskrimination und im verbalen Gedächtnis beobachtet<br />

werden.<br />

SPREEN zeigte aber auf, daß es auch lese-rechtschreibschwache Kinder gibt, die<br />

ausgezeich<strong>net</strong>e sprachliche Fähigkeiten besitzen. Und auch BERKHAN, der den<br />

Zusammenhang von Dyslalie und LRS untersuchte, beobachtete die Unabhängig-<br />

keit einer Rechtschreibschwäche von expressiven Sprach- und Sprechstörungen<br />

(vgl. WARNKE 1990, S. 15).<br />

Klinische Befunde wie z.B. von ANGERMAIER belegen zweifellos, daß LRS und<br />

Sprachentwicklungsstörungen häufig gemeinsam auftreten. Gleichzeitig gibt es<br />

aber einen erheblichen Prozentsatz von lese-rechtschreibschwachen Kindern, die<br />

keine manifestierte Sprach- und/oder Sprechstörung aufweisen. Es wäre also<br />

denkbar, daß die Sprachstörung nicht Ursache der LRS ist, sondern daß <strong>bei</strong>de<br />

Symptome auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind. Diese könnte in<br />

einer Dysfunktion der Verar<strong>bei</strong>tung sprachlicher Informationen liegen.<br />

(8) Beeinträchtigung phonologischer Funktionen<br />

Eine zur Zeit ebenfalls viel diskutierte Hypothese ist die der phonologischen Ver-<br />

ar<strong>bei</strong>tungsschwäche. Sie stellt den direkten Bezug zu den Verar<strong>bei</strong>tungstheorien<br />

des Lesens und Schreibens dar. Aufgrund der Beobachtung, daß die Rekodierung<br />

der Grapheme in Phoneme <strong>bei</strong>m Lesen und umgekehrt der Phoneme in<br />

Grapheme <strong>bei</strong>m Schreiben eine Funktion ist, die scheinbar dem Großteil der lese-<br />

rechtschreibschwachen Kinder Schwierigkeiten bereitet, wäre eine allgemeine<br />

Beeinträchtigung phonologischer Funktionen als Ursache der LRS denkbar. Folg-<br />

lich würde es diesen Kindern schwerfallen, Einsicht in den Phonemaufbau der<br />

Sprache zu gewinnen, was wiederum zu Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der Analyse von<br />

Phonemfolgen führen würde. Die phonologische Verar<strong>bei</strong>tungsschwäche kann<br />

da<strong>bei</strong> auf verschiedenen Ebenen verursacht sein, in Betracht kommen die Ebene<br />

der auditiven Analyse und Diskriminierung, des phonologischen Zwischen-<br />

speichers oder der Umwandlung phonologischer Informationen in Artikulations-<br />

programme (vgl. KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA 1995, S. 247ff).<br />

(9) Dysfunktionen des optischen Apparates<br />

Als mögliche Ursache von LRS werden auch Störungen der Sehschärfe und des<br />

<strong>bei</strong>däugigen Sehens, Interferenzen der retinalen Reizverar<strong>bei</strong>tung sowie Anoma-<br />

lien der Augenbewegungen in Betracht gezogen.<br />

BISCALDI (1996) konnte in ihren Untersuchungen zu Augenbewegungen <strong>bei</strong>m<br />

Lesen zeigen, daß eine Subgruppe von Legasthenikern beschrieben werden kann,<br />

die sich durch unregelmäßige Blicksprünge (Sakkaden) <strong>bei</strong>m Abtasten des Textes<br />

von normalen Lesern unterscheidet. Diese Gruppe weist also Besonderheiten <strong>bei</strong><br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 21<br />

der Blickkontrolle auf, die sich in Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der Blicksteuerung bzw. der<br />

Fixation und teilweise <strong>bei</strong> der visuellen Aufmerksamkeit äußern. Als Ursache<br />

werden kleinste zentral-nervöse Fehlfunktionen vermutet. Da aber auch einige<br />

„normale“ Leser diese Auffälligkeiten zeigten, wird die Frage aufgeworfen, inwie-<br />

weit hier eine Ursache oder nur ein begünstigender Faktor für die Entstehung einer<br />

LRS gefunden wurde (vgl. [3]; SCHROTH 1997b, S. 10). Ähnliche Auffälligkeiten in<br />

den Blickbewegungen von legasthenen Kindern <strong>bei</strong>m Betrachten eines Textes<br />

haben auch RABETGE und KRAUS-MACKIW (1982) beschrieben.<br />

In den bereits erwähnten Studien von GALABURDA zeigte sich ferner eine anato-<br />

mische Veränderung der visuellen Nervenbahnen im Bereich des seitlichen<br />

Kniehöckers (vgl. Kapitel 7).<br />

(10) Dysfunktionen in der visuellen Verar<strong>bei</strong>tung<br />

Ein generelles Defizit <strong>bei</strong> der Verar<strong>bei</strong>tung von visuellen Informationen konnte<br />

WARNKE (1990) zwar nicht beobachten. Bekamen die visuellen Informationen<br />

buchstabenähnlichen Charakter und/oder wurden verbale Lösungsstrategien<br />

möglich, zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen der Gruppe der<br />

Legastheniker und der Vergleichsgruppe. Ferner zeigen die Ergebnisse seiner<br />

hirnelektrischen Untersuchungen, daß <strong>bei</strong> legasthenen Personen visuell provo-<br />

zierte Erregungsvorgänge linkshemisphärisch verzögert sind. Darüber hinaus<br />

stützen seine Befunde die Vermutung, daß die visuelle Informationsaufnahme <strong>bei</strong><br />

Legasthenikern dysfunktionell ist.<br />

1.4.4 Teilleistungsschwäche<br />

In der heutigen Diskussion um die Verursachung der Lese-Rechtschreibschwäche hat<br />

sich das Konzept der Teilleistungsschwäche bzw. -störung bereits weitgehend<br />

etabliert, auf das hier nur kurz eingegangen werden soll.<br />

Die Grundlage erfährt dieses Modell durch das Konzept der MCD. In den letzten<br />

Jahren ist aber gerade das MCD-Konzept durch seine unpräzise Definition und die<br />

unkontrollierte Anwendung, speziell in den 70er und Anfang der 80er Jahre, stark in die<br />

Kritik geraten und schließlich durch das Konzept der Teilleistungsstörungen ersetzt<br />

worden. Vor allem war auch die Vorstellung nicht mehr haltbar, daß die MCD (die Teil-<br />

leistungsstörung) durch eine Geburtsschädigung bzw. durch Sauerstoffmangel <strong>bei</strong> der<br />

Geburt verursacht sei (vgl. KLICPERA/GASTEIGER-KLICPERA 1995, S. 283ff; ROSEN-<br />

KÖTTER 1997, S. 65ff).<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche 22<br />

„Teilleistungen sind Leistungen einzelner Faktoren oder Glieder innerhalb<br />

eines funktionellen Systems […], die zur Bewältigung einer komplexen<br />

physiologischen (z.B. Atmen, Laufen) oder einer pädagogisch-psychologischen<br />

Aufgabenstellung (z.B. Wahrnehmung, Denken, Sprechen,<br />

spezielle intellektuelle Funktionen wie z.B. Lesen, Schreiben, Rechnen)<br />

erforderlich sind. […]<br />

[…] unter Teilleistungen werden basale neuropsychologische Funktionen<br />

verstanden, die wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung bzw. das<br />

Erlernen aller höheren psychischen und physischen Tätigkeiten sind. Auf<br />

der Grundlage und im Zusammenhang dieser Teilleistungen lernen Kinder<br />

Lesen, Schreiben und Rechnen und natürlich auch situationsgemäßes<br />

soziales Handeln“ (DIETEL/KASSEL 1993, S. 299).<br />

In diesem Sinne kann die Lese-Rechtschreibschwäche auch als eine hirnorganisch<br />

bedingte und spezifische Teilleistungsschwäche/-störung verstanden werden. Im Fall<br />

der LRS betrifft die funktionelle und morphologische Schädigung vor allem das<br />

Schreiblesezentrum und andere Bereiche, die mit der Erfassung und Verar<strong>bei</strong>tung<br />

geschriebener Sprache befaßt sind. Beim Entstehen einer Lese-Rechtschreib-<br />

schwäche können also folgende Teilleistungen betroffen sein (vgl. ROSENKÖTTER 1997,<br />

S. 12):<br />

a) im visuellen System: die visuelle Erfassung, Speicherung und Wiedergabe<br />

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von Buchstaben, und Wörtern, die Steuerung der Augenfolgebewegungen<br />

<strong>bei</strong>m Lesen und die Verschmelzung der Seheindrücke (binokulare Fusion);<br />

b) im auditiven System: Lautsegmention, Rhythmisierung, vor allem aber die<br />

auditive Diskrimination (Laut- und Wortunterscheidungsfähigkeit);<br />

c) <strong>bei</strong> der Verknüpfung: Buchstaben-Laut-Verknüpfung, Verknüpfung von<br />

lexikalischem und semantischem Gedächtnis.<br />

Wie bereits unter 1.4.1 erwähnt wurde, kann beobachtet werden, daß eine Lese-<br />

Rechtschreibschwäche oft mit anderen cerebralen Dysfunktion vergesellschaftet ist. In<br />

diesem Sinne kann davon gesprochen werden, daß die LRS eine Teilleistungsstörung<br />

neben anderen ist. Sie kann aber auch als Erscheinungsbild einer Kombination<br />

mehrerer Teilleistungsschwächen bzw. -störungen gesehen werden.<br />

Daher sind die unter 1.4.3 vorgestellten Hypothesen zur Verursachung einer LRS hier<br />

ebenfalls bedeutsam. Sie können zum einen Hinweise auf mögliche Faktoren <strong>bei</strong> der<br />

Genese von Teilleistungsstörungen geben. Zum anderen wäre denkbar, daß sich<br />

hinter jeder Hypothese eine Teilleistungsstörung verbirgt.<br />

Ferner lassen sich Parallelen ziehen, die dafür sprechen, LRS als eine Teilleistungs-<br />

störung oder als Erscheinungsbild einer Kombination von Teilleistungsstörungen zu<br />

verstehen. So spielt in <strong>bei</strong>den Fällen eine familiäre Veranlagung eine Rolle. Eine<br />

ge<strong>net</strong>ische Veranlagung von Teilleistungsstörungen wird in mindestens 60% der Fälle


Lese-Rechtschreibschwäche 23<br />

angenommen. Jungen und Mädchen sind, ähnlich wie <strong>bei</strong> der LRS, im Verhältnis 6:1<br />

von diesen Störungen betroffen. Ferner wird angenommen, daß das soziale Umfeld<br />

ebenfalls manifestierend auf die Teilleistungsstörung wirkt. (vgl. ROSENKÖTTER 1997,<br />

S. 66f).<br />

1.5 Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß sich das Syndrom der Lese-<br />

Rechtschreibschwäche sehr vielfältig äußert. Neben den primären Symptomen im<br />

schriftsprachlichen Bereich existieren meist nicht zu unterschätzende sekundäre<br />

Begleitsymptome, die zusammen mit den oft nicht unerheblichen schulischen Pro-<br />

blemen eine zusätzliche Belastung für die Betroffenen und ihre Familie darstellen.<br />

Die Gründe für die Entstehung einer Lese-Rechtschreibschwäche sind derzeit noch<br />

nicht geklärt. Es können zwar Aussagen zu möglichen ursächlichen Faktoren gemacht<br />

werden, diese gelten aber nur für eine bestimmte Subgruppe lese-rechtschreib-<br />

schwacher Kinder. Eine Ursache, die für alle betroffenen Kinder gilt, ist nicht auszu-<br />

machen. Aus heutiger Sicht erscheint es auch fraglich, ob dies je möglich sein kann.<br />

Wahrscheinlicher scheint ein multifaktorielles Ursachenmodell, also ein Nebeneinander<br />

mehrerer Faktoren, die <strong>bei</strong> der Genese einer LRS bedeutsam sein könnten und deren<br />

Kombination in jedem Einzelfall individuell verschieden sein kann bzw. verschieden<br />

bewertet werden muß. Das Teilleistungsmodell könnte ein Schritt in diese Richtung<br />

sein. Wo<strong>bei</strong> noch zu klären wäre, welches die entscheidenden Teilleistungen sind und<br />

in welchem Verhältnis sie zueinander stehen 10 .<br />

Einigkeit scheint momentan nur darin zu bestehen, daß das soziale Umfeld nicht mehr<br />

als ursächlicher Faktor angesehen werden, sondern nur als verstärkender.<br />

10 Der Artikel von SCHLUND (1989) ord<strong>net</strong> die augenärztliche Vorsorge in ein Gesamtkonzept der<br />

Förderung <strong>bei</strong> Lernschwierigkeiten ein. Wird er aus dem Blickwinkel des Teilleistungsmodells betrachtet,<br />

finden sich einige interessante Gedankengänge, die eine Diskussion um die Verknüpfung<br />

von Teilleistungen bereichern kann. Vorgestellt wird ein Modell <strong>bei</strong> dem sich die einzelnen<br />

Ursachen nicht addieren, sondern multiplizieren. Also nicht A+B=LRS, sondern A•B=LRS.<br />

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Die visuelle Sensorik 24<br />

2. Die visuelle Sensorik<br />

Wie bereits in der Einleitung angekündigt wurde, soll in den folgenden Kapiteln näher<br />

auf Störungen der visuellen Sensorik eingegangen werden. Dazu erscheint es sinnvoll,<br />

den Aufbau und die Funktionsweise der visuellen Sensorik kurz näher zu betrachten.<br />

2.1 Abgrenzung zur visuellen Wahrnehmung<br />

Zunächst ist eine Abgrenzung zur visuellen Wahrnehmung nötig, die eng mit der<br />

Sensorik verbunden ist. Aus diesem Grund sei den weiteren Überlegungen eine Defini-<br />

tion von visueller Wahrnehmung vorangestellt:<br />

„Der Begriff visuelle Wahrnehmung bedeutet die Fähigkeit, visuelle Reize<br />

zu erkennen, zu unterscheiden und sie durch die Assoziation mit früheren<br />

Erfahrungen zu interpretieren. Visuell wahrzunehmen bedeutet nicht nur<br />

die Fähigkeit, gut zu sehen. Eine intakte periphere Sehfähigkeit zu<br />

besitzen, ist die Voraussetzung. Die Perzeption erfordert dagegen eine<br />

Interpretation der aufgenommenen Reize“ (FROSTIG/MÜLLER 1981, S. 59).<br />

Visuelle Wahrnehmung (Perzeption) schließt also immer eine Interpretation der aufge-<br />

nommenen Reize mit ein und ist somit eine kognitive Leistung. Um visuell wahrzu-<br />

nehmen, zu können ist also eine intakte Reizaufnahme erforderlich, in der Definition<br />

heißt es „eine intakte periphere Sehfähigkeit“. Genau diese Reizaufnahme ist gemeint,<br />

wenn hier von visueller Sensorik gesprochen wird. Anders ausgedrückt heißt das,<br />

visuelle Sensorik beschreibt die afferenten Prozesse, die der visuellen Wahrnehmung<br />

vorausgehen.<br />

2.2 Anatomie der visuellen Sensorik<br />

Die Sensorik beginnt am Sinnesorgan, genauer gesagt an der Hornhaut bzw. an der<br />

Linse des Auges, wo die einfallenden Lichtstrahlen so gebrochen werden, daß das<br />

betrachtete Objekt scharf auf der Netzhaut (Retina) abgebildet wird. Da<strong>bei</strong> sorgt der<br />

Prozeß der Akkommodation für eine scharfe Abbildung unterschiedlich weit entfernter<br />

Objekte (vgl. Kapitel 1.3.2).<br />

Auf der Netzhaut werden die einfallenden physikalischen Reize (Lichtstrahlen) von den<br />

Photorezeptoren 11 , den sogenannten Zapfen und Stäbchen, in Nervenimpulse umge-<br />

wandelt. Die Zapfen sind am Tage aktiv und besitzen eine geringe Lichtempfindlichkeit.<br />

Darüber hinaus können blau-, grün- und rotempfindliche Zapfen unterschieden werden.<br />

Die Existenz dieser drei Typen ermöglicht das Farbsehen. Für das Sehen in der Däm-<br />

11 Insgesamt besteht die Netzhaut aus 10.000.000 Zapfen und 100.000.000 Stäbchen (vgl.<br />

ROSENKÖTTER 1997, S. 44).<br />

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Die visuelle Sensorik 25<br />

merung sind die Stäbchen verantwortlich. Sie können Grauwerte unterscheiden und<br />

sind sehr lichtempfindlich. Eine entscheidende Rolle <strong>bei</strong> der Umwandlung spielt die<br />

Fovea 12 . Bei Ihr handelt es sich um das Gebiet der verdünnten Netzhaut innerhalb der<br />

Makula 13 , das weitgehend stäbchenfrei ist. In ihrer Mitte befindet sich die Foveola 14 ,<br />

das Gebiet des schärfsten Sehens. Sie besteht aus ungefähr 2.500 Zapfen, besitzt die<br />

höchste Kontrastempfindlichkeit und das höchste Auflösungsvermögen. Ein zu<br />

betrachtendes Objekt sollte also immer im Bereich der Fovea oder besser im Bereich<br />

der Foveola abgebildet werden. Dies trifft besonders dann zu, wenn kleine Details zu<br />

unterscheiden sind, wie z.B. <strong>bei</strong> Buchstaben (vgl. MÜTZE u.a. 1961; GOERSCH 1996).<br />

Die Photorezeptoren der Netzhaut sind über Bipolarzellen mit den Ganglienzellen<br />

verbunden (vgl. Abbildung 2). Aufgrund ihrer Größe und ihrer Verbindungen zu den<br />

Photorezeptoren können zwei Formen von Ganglienzellen unterschieden werden. Die<br />

größeren, die sogenannten Y-Fasern, erhalten ihre Informationen von allen drei<br />

Zapfentypen und leiten diese in die magnozellulären Schichten 15 des seitlichen Knie-<br />

höckers (Corpus geniculatum laterale) weiter. Die kleinen Ganglienzellen erhalten<br />

jeweils nur von einem Zapfentyp Informationen und übermitteln diese an die parvo-<br />

zellulären Schichten 16 des seitlichen Kniehöckers (vgl. KOLB/WHISHAW 1996, S. 90ff,<br />

BREITMEYER 1992). An dieser Stelle soll es <strong>bei</strong> dem Verweis auf das Vorhandensein<br />

dieser Zellsysteme bleiben, da ihre Funktion und ihre Bedeutung für das Lesen in<br />

Kapitel 7 genauer betrachtet wird.<br />

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Abbildung 2: Aufbau der Netzhaut (Retina) (vgl. KOLB/WHISHAW 1996, S. 90)<br />

12 Synonyme Begriffe: Fovea centralis, Netzhautgrube<br />

13 Die Makula ist das Gebiet des Netzhautzentrums mit einem Durchmesser von 1,5 mm.<br />

14<br />

Synonymer Begriff: Netzhautgrübchen<br />

15<br />

Ihren Namen erhalten diese Schichten aus der Tatsache, daß sie ausschließlich Zellen mit<br />

großem Soma (Körper) enthalten.<br />

16<br />

Sie enthalten im Gegensatz zu den magnozellulären Schichten kleinere Zellen.


Die visuelle Sensorik 26<br />

Die Axone (Nervenfasern) der Ganglienzellen bilden den Sehnerv. An der Stelle, an<br />

der dieser die Augapfel verläßt 17 , befinden sich keine Photorezeptoren, weshalb diese<br />

Stelle im Sehprozeß als blinder Fleck erscheint. In ihrem weiteren Verlauf tauschen die<br />

Sehnerven <strong>bei</strong>der Augen einen Teil ihrer Nervenfasern an der Sehnervenkreuzung<br />

(chiasma opticum) aus. Da<strong>bei</strong> werden diejenigen Fasern, die Informationen aus dem<br />

rechten Gesichtsfeld enthalten in die linke Hemisphäre (Gehirnhälfte) und diejenigen,<br />

die Impulse aus dem linken erhalten, in die rechte weitergeführt. Von dieser Stelle an<br />

wird auch von der Sehbahn gesprochen. Diese führt zum seitlichen Kniehöcker, an<br />

dem die Nervenimpulse verschaltet und über die Sehstrahlung in die primäre Sehrinde,<br />

dem primären visuellen Cortex, weitergeleitet werden.<br />

Dort werden die Seheindrücke bereits auf ihre Primärmerkmale hin untersucht. Da<strong>bei</strong><br />

werden Strich und Kreisbogen unterschieden, ferner wird ihre Neigung, Länge, Dicke,<br />

Lichtintensität, die Dauer der Darbietung und die Lokalisation im Blickfeld erfaßt. Nach<br />

dieser Primäranalyse der Seheindrücke werden die Informationen an die sekundären<br />

und tertiären Sehfelder weitergeleitet, wo sie auf komplexere Merkmale hin untersucht<br />

werden. Die primäre Sehrinde stellt also die Grenze zwischen der visuellen Sensorik<br />

und der visuellen Wahrnehmung (Perzeption) dar. Zur Merkmalsanalyse in den sekun-<br />

dären und tertiären Sehfeldern gehören die Farberkennung, das räumliche Sehen, die<br />

Figur-Hintergrund-Unterscheidung, der Abgleich im Sehgedächtnis, die Merkmalsun-<br />

terscheidung höherer Ordnung und die Verbindung mit aufmerksamkeitsmodulierenden<br />

Systemen im limbischen Cortex (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 44f).<br />

2.3 Teilprozesse der visuellen Sensorik<br />

Im folgenden sollen einige Teilprozesse näher erläutert werden, die im Zusammenhang<br />

mit der visuellen Sensorik von Bedeutung sind und die zum Verständnis der weiteren<br />

Ausführungen <strong>bei</strong>tragen.<br />

2.3.1 Visus (Sehschärfe)<br />

Der Visus bzw. die Sehschärfe ist ein Maß für das Sehvermögen eines Menschen. Er<br />

mißt das Auflösungsvermögen, also die Fähigkeit zwei benachbarte Punkte noch<br />

getrennt voneinander wahrzunehmen, d.h. sie als zwei unterschiedliche, dicht neben-<br />

einander liegende Einzelheiten zu erkennen. Der Winkel, unter dem zwei benachbarte<br />

Punkte noch als getrennt voneinander erkannt werden können, heißt angulare Seh-<br />

schärfe (Winkelsehschärfe). Die Winkelsehschärfe wird in Winkelminuten gemessen<br />

und ihr Kehrwert ergibt den Visus. Ein normal gebautes Auge erreicht eine Winkelseh-<br />

17 Der Fachausdruck für diese Stelle lautet „Papille“.<br />

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Die visuelle Sensorik 27<br />

schärfe von einer Winkelminute und damit einen Visus von 1,0. Dieser Wert wird gleich<br />

100% gesetzt. Junge Menschen erreichen häufig eine bessere Sehschärfe (1,2). Die<br />

Beeinträchtigung des Sehens steigt mit der Abnahme der Sehschärfe (Wert des Visus<br />

ist kleiner als 1,0).<br />

Eine intakte visuelle Sensorik ist zwar die Voraussetzung für eine gute Sehschärfe,<br />

aber ebenso sind Reifung und Übung nötig. Zwar sind alle Sinneszellen und Nerven-<br />

bahnen schon <strong>bei</strong> der Geburt eines Kindes vorhanden, dennoch beträgt seine<br />

Sehfähigkeit in der Regel nur 0,1 (10%). Neugeborene sind also zuerst nur in der Lage<br />

hell und dunkel sowie Kontraste zu unterscheiden. Erst durch Reize von außen, durch<br />

das Aufnehmen und Verar<strong>bei</strong>ten von Bildern werden zwischen den einzelnen Nerven-<br />

fasern Verbindungen (Synapsen) gebildet, die eine Verschaltung ermöglichen. So<br />

entwickelt sich innerhalb der ersten zwei Lebensjahre über Reifung und Übung die<br />

volle Sehschärfe. Folglich kann ein Kind, <strong>bei</strong> dem eine Fehlsichtigkeit vorliegt, nie die<br />

volle Sehschärfe erlangen, weil die Abbildung im Auge durch eine Ametropie 18 , wie<br />

z.B. Kurzsichtigkeit, unscharf ist. Dieses hat Auswirkungen auf höhere visuelle<br />

Leistungen, wie z.B. das räumliche Sehen (vgl. MILZ 1996, S. 82f).<br />

2.3.2 Akkommodation<br />

Unter Akkommodation wird die Fähigkeit des menschlichen Auges verstanden, sich so<br />

einzustellen, daß ein Objekt in beliebiger Entfernung zum Auge scharf gesehen werden<br />

kann, d.h. daß es scharf auf der Netzhaut abgebildet wird. Sie beschreibt also den<br />

Vorgang der Brechwertänderung eines Auges, die durch die Veränderung der Linsen-<br />

form erreicht wird.<br />

Im entspannten Zustand sind die Augen auf die Ferne eingestellt, d.h. auf das Scharf-<br />

sehen in Entfernungen von mehr als 5 m. Dieser Zustand wird auch als Akkommoda-<br />

tionsruhelage bezeich<strong>net</strong>. Bei der Einstellung des Auges auf die Nähe kontrahiert sich<br />

der ringförmige Muskel um die Augenlinse (Muskulus ciliaris). Als Folge davon kommt<br />

es aufgrund der Eigenelastizität der Linse zu einer stärkeren Wölbung derselben und<br />

damit zu einer Erhöhung des Brechwertes der Augenlinse und des Auges. Durch diese<br />

Zunahme des Gesamtbrechwerts des Auges können Objekte in geringerer Entfernung<br />

als 5m scharf auf der Netzhaut abgebildet werden (vgl. MÜTZE u.a. 1961; MILZ 1996, S.<br />

84ff; GOERSCH 1996). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß gleichzeitig mit der<br />

Akkommodation das Augenpaar einwärts dreht (konvergiert) (vgl. 2.3.3). Zwischen<br />

<strong>bei</strong>den Teilprozessen besteht ein proportionaler Zusammenhang.<br />

18 Ametropie ist der Fachbegriff für monokulare Fehlsichtigkeiten, die in Kapitel 3 näher behandelt<br />

werden.<br />

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Die visuelle Sensorik 28<br />

2.3.3 Beidäugiges (binokulares) Sehen<br />

Ein wichtiger Aspekt in der visuellen Sensorik ist das bionokulare Sehen, das gleich-<br />

zeitige Sehen mit <strong>bei</strong>den Augen. Die Voraussetzung dafür ist die Verschmelzung der<br />

Bildeindrücke <strong>bei</strong>der Augen zu einem. Dieser Vorgang wird als Fusion bezeich<strong>net</strong>,<br />

wo<strong>bei</strong> zwischen motorischer und sensorischer Fusion zu unterscheiden ist.<br />

Bei der motorischen Fusion wird durch Muskelar<strong>bei</strong>t der sechs äußeren Augenmuskeln<br />

die Augenstellung verändert. Beim Blick in die Ferne stehen die Augen parallel zuein-<br />

ander, wo<strong>bei</strong> sich im Idealfall alle Augenmuskeln im gleichen Spannungszustand<br />

befinden. Soll nun ein Objekt in der Nähe betrachtet werden, so müssen sich die<br />

<strong>bei</strong>den Augen in der Regel einwärts drehen. Damit soll erreicht werden, daß sich die<br />

Fixierlinien <strong>bei</strong>der Augen am zu betrachtenden Objekt schneiden, wodurch dieses in<br />

der Fovea bzw. Foveola, dem Bereich des besten Sehens, scharf abgebildet wird.<br />

Dieser Vorgang wird auch als Vergenz bezeich<strong>net</strong>. Wird die Verschmelzung der Blick-<br />

eindrücke <strong>bei</strong>der Augen nur teilweise oder gar nicht durch Vergenz erreicht, dann wird<br />

von sensorischer Fusion gesprochen. In diesem Fall werden die <strong>bei</strong>den unterschied-<br />

lichen Bilder durch Schaltvorgänge im Gehirn verschmolzen.<br />

Im Zusammenhang des <strong>bei</strong>däugigen Sehens ist auch das räumliche Sehen zu nennen,<br />

das die Wahrnehmung von Tiefenunterschieden ermöglicht. Dieses ist nur dann<br />

möglich, wenn der zu betrachtende Gegenstand in <strong>bei</strong>den Augen auf korrespon-<br />

dierenden Netzhautstellen abgebildet wird. Jede Stelle neben diesem Gegenstand wird<br />

nun aufgrund der Tatsache, daß die Augen <strong>bei</strong>m Menschen etwas auseinanderstehen,<br />

mit einem minimal anderen Blickwinkel betrachtet. Werden die <strong>bei</strong>den Bilder im Gehirn<br />

nun zur Deckung gebracht, dann können aus der Blickwinkeldifferenz Tiefenunter-<br />

schiede abgeschätzt werden. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist im allgemeinen erst<br />

mit sechs Jahren abgeschlossen (vgl. MILZ 1996, S. 86f).<br />

Die wohl bekannteste Störung des <strong>bei</strong>däugigen Sehens ist das Schielen. Bei ihm fällt<br />

das Abbild eines betrachteten Gegenstandes in <strong>bei</strong>den Augen nicht auf korrespon-<br />

dierende Netzhautstellen, was <strong>bei</strong> einem betroffenen Kind dazu führt, daß es doppelt<br />

sieht. Um dies zu vermeiden, unterdrückt es meist die Informationen von einem Auge.<br />

Zwar werden dadurch Doppelbilder verhindert, da aber das Sehen mit dem schielen-<br />

den Auge dann nicht trainiert wird, erreicht dieses nicht die volle Sehschärfe. Folglich<br />

kommt es auch zu Defiziten <strong>bei</strong> Leistungen, die auf dem <strong>bei</strong>däugigen Sehen basieren,<br />

wie z.B. das räumliche Sehen.<br />

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Die visuelle Sensorik 29<br />

Prinzipiell können manifestiertes und latentes Schielen unterschieden werden. Bei<br />

ersterem, dem sogenannten Strabismus, ist die Schielstellung von außen erkennbar.<br />

Diese Form hat in der Regel oben beschriebenen Mechanismus zur Folge und sollte<br />

deshalb baldmöglichst von einem Augenarzt behandelt werden. Das latente oder ver-<br />

deckte Schielen, auch Winkelfehlsichtigkeit oder Heterophorie genannt, wird in Kapitel<br />

4 näher behandelt.<br />

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Monokulare Fehlsichtigkeiten 30<br />

3. Monokulare Fehlsichtigkeiten<br />

Die monokularen Fehlsichtigkeiten (Ametropien) beschreiben, wie der Name schon<br />

sagt, den Zustand eines Auges. Sie beruhen in der Regel auf einem Mißverhältnis<br />

zwischen dem Brechwert des Auges <strong>bei</strong> Akkommodationsruhelage 19 und der Länge<br />

des Augapfels.<br />

3.1 Myopie (Kurzsichtigkeit)<br />

Bei der Myopie (Kurzsichtigkeit) ist der Augapfel im Verhältnis zum Brechwert des<br />

Auges <strong>bei</strong> Akkommodationsruhe zu lang. Als Folge davon kann ein Kurzsichtiger weit<br />

entfernte Objekte nicht mehr scharf sehen. In der Nähe sieht er jedoch normal, d.h.<br />

nahe Objekte können scharf auf der Netzhaut abgebildet werden. Eine Myopie kann<br />

durch eine einfache Brillenkorrektion ausgeglichen werden.<br />

Im schulischen Kontext sollte diese Form der Fehlsichtigkeit keine bedeutende Rolle<br />

spielen, da sie meist <strong>bei</strong> einer schulärztlichen Reihenuntersuchung erfaßt wird.<br />

Dennoch sollte bewußt sein, daß ein kurzsichtiger Schüler eventuell Schwierigkeiten<br />

hat, Anschriften an der Tafel zu lesen. Denn schon <strong>bei</strong> einer geringen Myopie nimmt<br />

der Visus beträchtlich ab.<br />

3.2 Hyperopie (Übersichtigkeit)<br />

Liegt eine Hyperopie (Übersichtigkeit 20 ) vor, so ist der Gesamtbrechwert des Auges <strong>bei</strong><br />

Akkommodationsruhe im Verhältnis zur Länge des Augapfels zu gering. Diese<br />

Fehlsichtigkeit kann der Betroffene jedoch ganz oder teilweise durch Akkommodation<br />

ausgleichen. Im Gegensatz zu einer rechtsichtigen (normalsichtigen) Person muß der<br />

Übersichtige bereits akkommodieren, wenn er ein Objekt in der Ferne scharf sehen<br />

möchte. Folglich ist der Akkomodationsaufwand für die Nähe im Vergleich zu einem<br />

Rechtsichtigen <strong>bei</strong>m ihm erhöht. Durch die akkommodative Konvergenz 21 kommt<br />

hinzu, daß <strong>bei</strong> der betroffenen Person das Augenpaar stärker einwärts drehen<br />

(konvergieren) möchte, als für die Entfernung tatsächlich nötig wäre. Dieses führt<br />

prinzipiell zu einer Winkelfehlsichtigkeit (vgl. Kapitel 4), die mit Hilfe der äußeren<br />

Augenmuskeln ausgeglichen werden muß. Folglich ist die Hyperopie mit einem erhöh-<br />

19 Damit wird der Zusand beschrieben, <strong>bei</strong> dem sich alle Muskeln, die an der Akkommodation<br />

beteiligt sind, im entspannten Zustand befinden. Bei einem rechtsichtigen (normalsichtigen)<br />

Menschen entspricht das der Einstellung für die Ferne, für die Betrachtung eines Objektes in<br />

mehr als 5m Entfernung.<br />

20 Umgangssprachlich wird von einer Weitsichtigkeit gesprochen.<br />

21 Der Begriff „akkommodative Konvergenz“ beschreibt den proportionalen Zusammenhang von<br />

Akkommodation und Konvergenz (vgl. Kapitel 2.3.2 und 2.3.3).<br />

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Monokulare Fehlsichtigkeiten 31<br />

ten Aufwand an Muskelar<strong>bei</strong>t verbunden. Dieser kann zu asthenopen Beschwerden<br />

(Anstrengungsproblemen) wie Kopfschmerzen, Augenreizen, Augentränen oder Licht-<br />

empfindlichkeit führen. Wird die Hyperopie durch eine einfache Brillenkorrektion<br />

ausgeglichen, verschwinden sowohl die Winkelfehlsichtigkeit als auch die asthenopen<br />

Beschwerden.<br />

Ein hyperoper Schüler muß folglich <strong>bei</strong>m Lesen mehr Akkommodationsaufwand leisten<br />

als seine rechtsichtigen Mitschüler. Der Mehraufwand an Muskelar<strong>bei</strong>t für die Akkom-<br />

modation und zum Ausgleich der akkommodativen Konvergenz kann eine nicht zu<br />

unterschätzende Belastung des betroffenen Schülers darstellen, die neben den oben<br />

genannten Anstrengungsproblemen oft auch zu einem schnelleren Ermüden <strong>bei</strong>m<br />

Lesen führt. Folglich ist das Lesen für diese Kinder meist eine unangenehme Tätigkeit.<br />

Da<strong>bei</strong> ist es gerade die geringe Abweichung vom „normalen“ Sehen, also eine leichten<br />

Hyperopie, die problematisch ist, da diese, wie oben beschrieben, durch den Betrof-<br />

fenen selbst ausgeglichen werden kann und deshalb meist unerkannt bleibt.<br />

3.3 Astigmatismus (Hornhautverkrümmung)<br />

Den zahlreichen Formen des Astigmatismus, auf die an dieser Stelle nicht näher ein-<br />

gegangen werden soll, ist gemeinsam, daß <strong>bei</strong> ihrem Vorliegen ein punktförmiges<br />

Objekt nicht als Punkt auf der Netzhaut dargestellt wird. Ein Astigmatismus führt<br />

folglich immer zu einer unscharfen Abbildung auf der Netzhaut und folglich zu einem<br />

schlechteren Visus.<br />

3.4 Die juvenile Hypoakkommodation<br />

Die juvenile Hypoakkommodation ist eine Akkommodationsstörung, die nur im Jugen-<br />

dalter vorkommt und <strong>bei</strong> Schulkindern nicht selten zu beobachten ist. Bei dieser<br />

Störung können betroffene Kinder nicht schnell genug oder gar nicht auf die Nähe<br />

einstellen. Unter Umständen können sie in der Ferne scharf sehen, aber nur mit<br />

maximaler Anstrengung und größter Mühe kurzzeitig in der Nähe. Aufgrund der großen<br />

Anstrengung und des hohen Energieverbrauchs für das Sehen in der Nähe, bekom-<br />

men diese Kinder Kopfschmerzen oder können sich nicht lange konzentrieren. In der<br />

Folge meiden sie alle Tätigkeiten, <strong>bei</strong> denen hohe Anforderungen an ihr Nahsehen<br />

gestellt werden, wie z.B. Malen oder Basteln. Eine große Belastung stellt für diese<br />

Kinder auch das Abschreiben von der Tafel dar, da sie dafür ständig zwischen Fern-<br />

und Nahbereich wechseln müssen. Meist ist ihre Leistung <strong>bei</strong>m Abschreiben daher<br />

verlangsamt und ungenau.<br />

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Monokulare Fehlsichtigkeiten 32<br />

Auch wenn das Phänomen der juvenilen Hypoakkommodation heute hinreichend<br />

belegt ist, kann jedoch noch nichts über dessen Ursachen gesagt werden. Vermutet<br />

wird, daß ein zentraler Steuerfehler vorliegt. Eine Behandlung bzw. Korrektion dieser<br />

Störung ist durch eine Lesebrille oder durch eine Bifokalbrille (Zweistärken-Brille)<br />

möglich.<br />

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Winkelfehlsichtigkeit 33<br />

4. Winkelfehlsichtigkeit<br />

In diesem Kapitel wird die Winkelfehlsichtigkeit als Störung des <strong>bei</strong>däugigen (binoku-<br />

laren) Sehens (vgl. Kapitel 2.3.3) näher betrachtet. Zunächst sollen kurz Ursache und<br />

Symptome dieses Augenstellungsfehlers geklärt werden. Anschließend werden Unter-<br />

suchungen vorgestellt, die den Einfluß der Korrektion einer Winkelfehlsichtigkeit auf die<br />

Symptome der LRS aufzeigen<br />

4.1 Ursache<br />

Bei einer Winkelfehlsichtigkeit 22 ist der unter 2.3.3 beschriebene Idealzustand nicht ge-<br />

geben, d.h. <strong>bei</strong>m Blick in die Ferne besteht kein Spannungsgleichgewicht der äußeren<br />

Augenmuskeln, sondern ein Ungleichgewicht. Dieser Zustand müßte eigentlich zum<br />

Schielen führen. Dennoch ist <strong>bei</strong> einem Betroffenen von Außen ein Schielen nicht<br />

erkennbar, da sein Gehirn der Fehlstellung aktiv entgegenwirkt, um das <strong>bei</strong>däugige<br />

Sehen aufrechtzuerhalten. D.h. ein Teil der Muskeln, die für die Augenstellung verant-<br />

wortlich sind, muß ständig mehr Ar<strong>bei</strong>t verrichten, um das Auge in der gewünschten<br />

Stellung zu halten. Fällt dieser Kompensationsmechanismus z.B. durch Überanstren-<br />

gung aus, entstehen Doppelbilder.<br />

Neben der motorischen Fusion steht dem Augenpaar auch noch die sensorische<br />

Fusion zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe kann ein Teil der Muskelenergie zur Korrektion<br />

der Winkelfehlsichtigkeit eingespart werden. Das kann sogar soweit führen, daß sie,<br />

abhängig von der Größe der verborgenen Fehlstellung, die komplette zum Ausgleich<br />

nötige Muskelar<strong>bei</strong>t übernimmt. Damit können zwar einerseits die Anstrengungsbe-<br />

schwerden verringert werden, andererseits müssen vermehrte Sehstörungen (s.u.) und<br />

schlechteres Tiefensehen in Kauf genommen werden. Dieser Vorgang der senso-<br />

rischen Kompensation wird Fixationsdisparation genannt.<br />

22 Von einigen Autoren wird für diese Fehlsichtigkeit der Begriff „Heterophorie“ verwendet.<br />

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Winkelfehlsichtigkeit 34<br />

4.2 Symptome<br />

Die Kompensation einer Winkelfehlsichtigkeit kann <strong>bei</strong> einigen Menschen ein Leben<br />

lang ohne Schwierigkeiten bewältigt werden, <strong>bei</strong> anderen können jedoch starke<br />

Anstrengungsprobleme und/oder Sehstörungen hervorgerufen werden.<br />

Zu den Anstrengungsproblemen, die in Folge des erhöhten Aufwandes an Muskel-<br />

ar<strong>bei</strong>t entstehen können, gehören z.B. Kopfschmerzen, Augenreizungen und/oder<br />

Ermüdung. Diese können isoliert oder in Kombination mit Sehstörungen auftreten.<br />

Zuletzt genannte äußern sich in Nahsehstörungen, Schwierigkeiten mit dem Focus-<br />

wechsel, schlechtem räumlichen Sehen, Lichtempfindlichkeit und/oder Doppelbildern<br />

(vgl. Abbildung 3).<br />

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Lese-Rechtschreibschwäche<br />

Abbildung 3: Beispiel für Doppelbilder<br />

Liegt <strong>bei</strong> einem Kind eine solche Winkelfehlsichtigkeit vor, kann häufig beobachtet<br />

werden, daß es <strong>bei</strong>m Lesen schon nach kurzer Zeit müde wird, weil es die nötige<br />

Muskelar<strong>bei</strong>t nur mit größter Anstrengung bewältigen kann. Diese Kinder können<br />

schon vor ihrer Schulzeit z.B. durch die Unlust oder Unfähigkeit zum Ausmalen und<br />

Ausschneiden auffallen. Ferner ist zu beobachten, daß diese Kinder ungern fernsehen,<br />

ungern mit dem Computer spielen oder Aufgaben meiden, <strong>bei</strong> denen exaktes Nah-<br />

sehen erforderlich ist, wie z.B. <strong>bei</strong> Bastelar<strong>bei</strong>ten. Eine detaillierte Übersicht von<br />

Auffälligkeiten, die für das Vorhandensein einer Winkelfehlsichtigkeit <strong>bei</strong> einem Kind<br />

sprechen, kann der folgenden Tabelle entnommen werden.


Winkelfehlsichtigkeit 35<br />

Anstrengungsprobleme Feinmotorik/ Schreiben Lesen<br />

• Kopfschmerzen<br />

• Lichtempfindlichkeit<br />

während der Kopfschmerzphase<br />

• Neigung zu roten Augen<br />

nach der Schule<br />

• Neigung zu Augenblinzeln,<br />

Augenzucken,<br />

Augenkneifen, Augenreiben<br />

• Neigung zu trockenen<br />

Augen oder zu verstärktem<br />

Tränenfluß<br />

• Druckgefühl in<br />

Augennähe<br />

• Neigung zu Übelkeit und<br />

Schwindel<br />

• Beschwerden im Bereich<br />

der Halswirbelsäule durch<br />

Neigung zu leichter bis<br />

deutlicher Schiefhaltung<br />

des Kopfes<br />

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• Ungeschicklichkeit und<br />

Entwicklungsrückstand<br />

<strong>bei</strong>m Malen, Ausmalen<br />

und Ausschneiden<br />

• Vermeidungshaltung bis<br />

Abwehrhaltung gegenüber<br />

Malen und Schreiben<br />

(bis zur aggressiven<br />

Haltung gegenüber<br />

Ar<strong>bei</strong>ten anderer Kinder)<br />

• krakelige Handschrift,<br />

ungleichmäßig große<br />

Buchstaben, schlechte<br />

Linienhaltung<br />

• unsystematische<br />

Rechtschreibfehler<br />

- ausgelassene oder verdoppelte<br />

Buchstaben;<br />

- Vertauschung benachbarter<br />

Buchstaben;<br />

- Verwechslung ähnlicher<br />

Buchstaben, wie b und d<br />

• <strong>bei</strong>m Abschreiben werden<br />

ganze Wörter oder Zeilen<br />

ausgelassen oder<br />

verdoppelt<br />

• häufiger spiegelbildliches<br />

Schreiben<br />

• verlangsamte Tätigkeit<br />

oder schnelles,<br />

oberflächliches und<br />

ungenaues Ar<strong>bei</strong>ten<br />

• schnelles Ermüden <strong>bei</strong>m<br />

Lesen (ohne daß dies<br />

subjektiv benannt werden<br />

kann)<br />

• Auslassung oder Verdopplung<br />

von Wörtern<br />

oder Zeilen<br />

• Lesen von Wörtern, die<br />

nicht im Text stehen<br />

• Probleme, einen Text mit<br />

einmaligem Lesen inhaltlich<br />

zu verstehen (jedoch<br />

keine Probleme, wenn<br />

der Text vorgelesen wird)<br />

• Langwieriger Übergang<br />

zum sinnentnehmenden<br />

Lesen<br />

• Ausdauer-, Motivations-<br />

und Konzentrationsprobleme<br />

• Kinder lesen ungern,<br />

nicht freiwillig oder sie<br />

benötigen spätestens<br />

nach ein paar Seiten eine<br />

Pause<br />

Tabelle 1: Typische Auffälligkeiten <strong>bei</strong> Kindern mit einer Winkelfehlsichtigkeit<br />

(vgl. WULFF 1998, S. 30ff)<br />

Relativ häufig kann <strong>bei</strong> winkelfehlsichtigen Kindern auch eine große Diskrepanz<br />

zwischen gutem Sachwissen und reger mündlicher Beteiligung einerseits und Proble-<br />

men <strong>bei</strong> Stillar<strong>bei</strong>t, Erledigung von Hausaufgaben und schriftlichen Aufgabenstellungen<br />

anderseits beobachtet werden. Darüber hinaus wirkt <strong>bei</strong> ihnen Übung kontraproduktiv,<br />

d.h. je mehr geübt wird, desto schlechter werden ihre Leistungen.<br />

Leider gibt es keinen Vorsorgetest, mit dem eine Winkelfehlsichtigkeit diagnostiziert<br />

werden kann. Ein recht sicheres Zeichen für das Vorliegen einer Winkelfehlsichtigkeit<br />

ist das gleichzeitige Vorhandensein von Kopfschmerzen und gestörter Feinmotorik<br />

(Handschrift) oder unsystematischen Rechtschreibfehlern (vgl. Tabelle 1).


Winkelfehlsichtigkeit 36<br />

4.3 Auswirkungen der Behandlung von binokularen Fehlsichtigkeiten auf<br />

die Lese-Rechtschreibschwäche<br />

Binokulare Fehlsichtigkeiten oder Störungen des <strong>bei</strong>däugigen Sehens können durch<br />

Prismenbrillen korrigiert werden. Zwar ist die Vollkorrektion von Winkelfehlsichtigkeiten<br />

in der Fachwelt umstritten (vgl. Kapitel 4.4), dennoch zeigen Erfahrungen aus der<br />

augenärztlichen Praxis, daß sich eine Korrektion positiv auf die LRS auswirkt.<br />

Ein wichtiger Beitrag ist in diesem Zusammenhang die Ar<strong>bei</strong>t von PESTALOZZI (1986,<br />

1989, 1991). Er hat neben Einzelfallbeschreibungen auch 175 Kinder mit Lese-Recht-<br />

schreibschwäche statistisch erfaßt, die zur Behandlung einer Winkelfehlsichtigkeit in<br />

seiner Praxis vorgestellt wurden. Auf die Darstellung seiner Ergebnisse hinsichtlich der<br />

optischen Werte (Sehschärfe, Stärke und Art der Winkelfehlsichtigkeit) sei an dieser<br />

Stelle verzichtet, da sie im Zusammenhang dieser Ar<strong>bei</strong>t nicht von Bedeutung sind.<br />

Interessant ist jedoch der Einfluß von Prismenbrillen auf die Lese-Rechtschreib-<br />

schwäche, den er nach abgeschlossener Behandlung durch Eltern, Lehrer und Thera-<br />

peuten beurteilen ließ (vgl. Tabelle 2). Von Insgesamt 137 Fällen, in denen eine<br />

Beurteilung vorlag, zeigten 11 % einen sehr guten bis spektakulären Erfolg (++), 60%<br />

eine deutliche Besserung (+). Zumindest ein Verschwinden von subjektiven Sympto-<br />

men, wenn auch kein positiver Einfluß auf die LRS, konnte in 18% der Fälle erreicht<br />

werden (±). Bei den restlichen 12% (16 Fälle) fiel das Ergebnis negativ aus, d.h. in fünf<br />

Fällen war keine Besserung bzw. kein Unterschied mit und ohne Prismenbrille<br />

feststellbar und elf Fälle machten keine Angaben.<br />

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Beurteilung Fälle<br />

% von 137<br />

beurteilten Fällen<br />

++ 15 11 %<br />

+ 82 60 %<br />

± 24 18 %<br />

- 16 12 %<br />

Tabelle 2: Erfolg von Prismenbrillen hinsichtlich LRS<br />

(nach PESTALOZZI 1989, S. 17)<br />

Es kann also insgesamt davon ausgegangen werden, daß in dieser Untersuchung <strong>bei</strong><br />

gut 70% der Fälle ein Erfolg hinsichtlich der LRS erreicht wurde. Werden die elf Fälle,<br />

in denen keine Mitar<strong>bei</strong>t vorlag, herausgerech<strong>net</strong>, so wird ein noch besseres Ergebnis<br />

erreicht: rund 80% gute bis sehr gute Erfolge, 16 % Behebung von subjektiven<br />

Beschwerden und nur 4% Mißerfolge.


Winkelfehlsichtigkeit 37<br />

Über ähnliche Erfahrungen konnte auch WULFF (1998) berichten, der von 65% Erfolgs-<br />

quote von Prismenkorrektion bezüglich Lernschwierigkeiten spricht, d.h. bezüglich der<br />

oben genannten Auffälligkeiten von winkelfehlsichtigen Kindern (vgl. Tabelle 1). Kopf-<br />

schmerzen als Anzeichen augenbedingter Anstrengungsprobleme konnten sogar in<br />

90% der Fälle behoben werden.<br />

SCHÄFER ist es zu verdanken, daß erste Hinweise auf die Häufigkeit solcher Fehl-<br />

sichtigkeiten <strong>bei</strong> Schülern vorliegen. Bei einer Untersuchung von 341 Schülern stellte<br />

er <strong>bei</strong> 31% ein unbefriedigendes Sehvermögen fest. In 82% dieser Fälle lag eine<br />

behandlungsbedürftige Hyperopie (Übersichtig- bzw. Weitsichtigkeit) vor und in 75%<br />

ein latentes Schielen (Winkelfehlsichtigkeit) 23 (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S. 162).<br />

Eine weitere nennenswerte Studie stammt von ROSENKÖTTER (1997). Es handelt sich<br />

da<strong>bei</strong> um eine Befragung von insgesamt 90 Eltern lese-rechtschreibschwacher Kinder,<br />

die gleichmäßig auf drei Gruppen aufgeteilt wurden. Folgende Gruppeneinteilung<br />

wurde festgelegt:<br />

1. Gruppe: die Kinder hatten keine Brille oder die vorher verord<strong>net</strong>e wurde <strong>bei</strong>behalten;<br />

2. Gruppe: die Kinder hatten augenärztlich einen normalen, unauffälligen Befund; eine<br />

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Nachuntersuchung <strong>bei</strong> einem anderen Augenarzt oder <strong>bei</strong> einem Optiker<br />

auf Winkelfehlsichtigkeit ergab die Indikation für eine Korrektion mit<br />

Prismenbrille;<br />

3. Gruppe: die Kinder wurden von einer Spezialabteilung für Orthoptik 24 untersucht und<br />

erhielten eine sehr exakt bestimmte Brillenkorrektion wegen einer Störung<br />

des binokularen Sehens.<br />

Das Ergebnis der Befragung zeigte, daß die Eltern der ersten Gruppe keine Verän-<br />

derung bemerkten. In der Gruppe 2 und 3 berichteten die Eltern aber über leichte bis<br />

hervorragende Verbesserungen. Eine exakt bestimmte Brillenkorrektion wird also<br />

anscheinend auch in der Elternbeurteilung als hilfreich erlebt.<br />

Ergänzt wurden diese Erfahrungen durch Studien von LIE, der auch Kontrollgruppen in<br />

seine Untersuchungen mit einbezog. Er fand da<strong>bei</strong> zwar optometrisch keine Unter-<br />

schiede zwischen der Gruppe Lese-Rechtschreibschwacher und der Kontrollgruppe,<br />

auch subjektive Symptome wurden in <strong>bei</strong>den Gruppen beschrieben; wenn aber zusätz-<br />

liche Belastungsfaktoren in Wechselwirkung mit den visuellen Störungen traten,<br />

konnten Auswirkungen auf das Lesen festgestellt werden. In solchen Fällen hat sich<br />

auch hier die Korrektion von Winkelfehlsichtigkeiten als geeig<strong>net</strong> erwiesen, um normale<br />

23 Dieser Wert entspricht der statistischen Häufigkeit von Winkelfehlsichtigkeiten im europäischen<br />

Bevölkerungsdurchschnitt, der <strong>bei</strong> ca. 75% liegt (vgl. Stollenwerk 1994, S. 143f).<br />

24 Die Orthoptik beschäftigt sich mit der Behandlung von Schielen mit Hilfe von optischen Mitteln.


Winkelfehlsichtigkeit 38<br />

Sehfunktionen wieder herzustellen, subjektive Beschwerden zu verringern und daher<br />

auch die Leseleistung zu verbessern (vgl. SCHROTH 1997b, S. 10).<br />

4.4 Kritik<br />

Die Kritik an der Behandlungsmethode mit Prismenbrillen ist sehr vielschichtig und<br />

durch unterschiedliche Blickwinkel geprägt. Sie ist wahrscheinlich mitverantwortlich,<br />

daß Testgeräte für die Bestimmung von Winkelfehlsichtigkeiten noch nicht in allen<br />

Arztpraxen für Augenheilkunde zu finden sind.<br />

Derzeit scheint noch nicht ausreichend geklärt zu sein, inwieweit mit falschen Prismen-<br />

verordnungen Schäden angerichtet werden können. Auf jeden Fall würde ein irre-<br />

parabler Schaden <strong>bei</strong> einem schielenden Kleinkind entstehen, wenn der Schielwinkel<br />

durch ein Prisma noch vergrößert würde. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für<br />

Winkelfehlsichtigkeiten, wenn die eigentliche Winkelfehlsichtigkeit durch ein falsch<br />

angepaßtes Prisma verstärkt würde (vgl. BRÜCKNER 1989).<br />

Ein weiterer nicht zu mißachtender Kritikpunkt ist, daß sich die Prismenstärke <strong>bei</strong><br />

einigen im Laufe der Behandlung erhöht. Wenn die Augen lange Zeit an die Winkel-<br />

fehlsichtigkeit gewöhnt waren, geben sie nicht sofort ihre Korrektionsbewegungen auf.<br />

Die Folge ist, daß nach drei bis zwölf Monaten eine neue Korrektions-/Prismenstärke<br />

verord<strong>net</strong> werden muß. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder angeführt,<br />

daß durch eine Behandlung mit Prismen <strong>bei</strong> 3-5% der behandelten Kinder ein Schielen<br />

manifestiert wird, das eine Schiel-Operation nötig macht (vgl. ROSENKÖTTER 1997, S.<br />

161). Diese Gefahr ist in jedem Fall ernst zunehmen.<br />

Zwar sind die guten Erfolge <strong>bei</strong> der Korrektion von Winkelfehlsichtigkeiten, auch in<br />

Hinsicht auf eine positive Beeinflussung der LRS, nicht von der Hand zu weisen,<br />

dennoch bleiben sie nicht gänzlich ohne Kritik. Aus dem Wissen um die Gesamthäufig-<br />

keit von Winkelfehlsichtigkeiten und aus den Untersuchungen mit Kontrollgruppen wird<br />

deutlich, daß die gleichen Fehlsichtigkeiten auch in der Gruppe der schriftsprachlich<br />

unauffälligen Kinder vorkommen. Was die Frage aufwirft, ob Störungen des binoku-<br />

laren Sehens tatsächlich Ursache für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten oder nur<br />

Begleitsymptom sind. Für einen zumindest begünstigenden Einflußfaktor von<br />

Störungen des <strong>bei</strong>däugigen Sehens auf die Entstehung einer LRS spricht die Tat-<br />

sache, daß Einäugige 25 fast nie von Lese-Rechtschreib-Problemen betroffen sind (vgl.<br />

WULFF 1998, S. 32).<br />

25 Zu dieser Gruppe sind auch Kinder mit offen sichtbarem Schielen zu zählen, da <strong>bei</strong> ihnen in der<br />

Regel das Bild eines Auges vom Gehirn ignoriert wird.<br />

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Winkelfehlsichtigkeit 39<br />

Leider liegen bis heute keine kontrollierenden Studien vor, die Aussagen zulassen, in<br />

welchem Grad Brillenkorrektion, speziell <strong>bei</strong> Störungen des binokularen Sehens, zu<br />

einer Verbesserung <strong>bei</strong>tragen könnten, auch im Hinblick auf Lese- oder Lernschwierig-<br />

keiten. Wünschenswert ist ferner ein exakter Vergleich der Effektivität von einfachen<br />

bzw. normalen Brillen und von Prismenbrillen, der noch nicht vorliegt (vgl. ROSEN-<br />

KÖTTER 1997, S. 162).<br />

4.5 Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß zum einen eine Behandlung von<br />

binokularen Sehstörungen subjektive Beschwerden lindern kann. Hier ist vor allem an<br />

die Verringerung von Anstrengungsproblemen bzw. asthenopen Beschwerden zu<br />

denken, wie z.B. Kopfschmerzen oder tränende Augen, aber auch an subjektiv wahr-<br />

genommene Sehstörungen, wie z.B. die Doppelbilder (vgl. Abbildung 3). Zum anderen<br />

hat die Behandlung häufig einen positiven Einfluß auf eine vorhandene LRS, weshalb<br />

auch die Korrektion geringfügiger binokularer Fehlsichtigkeiten empfehlenswert<br />

erscheint. Dazu steht derzeit die Prismenbrille als einzige Korrektionsmöglichkeit zur<br />

Verfügung.<br />

Ferner lassen die dargestellten Untersuchungsergebnisse einen Zusammenhang von<br />

gestörtem binokularen Sehen und Lese-Rechtschreibschwäche vermuten. Inwieweit<br />

dieser jedoch <strong>bei</strong> der Verursachung einer LRS eine Rolle spielt, ist noch nicht hin-<br />

reichend geklärt. Aufgrund der insgesamt guten Erfahrungen scheint jedoch die<br />

Überprüfung auf Winkelfehlsichtigkeit in jedem Fall angezeigt, wenn entsprechende<br />

Hinweise für ein nicht exaktes <strong>bei</strong>däugiges Sehen vorhanden sind. Bei einem positiven<br />

Befund, d.h. wenn eine solche Fehlsichtigkeit vorliegt, sollte versucht werden, ob<br />

mittels einer Korrektion sowohl die subjektiven Beschwerden als auch die Lese-Recht-<br />

schreibschwäche positiv beeinflußt werden können.<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 40<br />

5. Das Meares-Irlen-Syndrom<br />

5.1 Zur Begriffsgeschichte<br />

In der Fachliteratur werden drei unterschiedliche Begriffe für das Meares-Irlen-<br />

Syndrom verwendet. Frau Helen IRLEN selbst spricht vom Skotopischen Sensibilitäts-<br />

syndrom oder kurz SSS. Sie faßt damit eine Reihe von Sehproblemen zusammen, auf<br />

die im folgenden noch näher eingegangen wird. Als sich auch Fachleute aus dem<br />

Bereich der Optometrie 26 mit dem Syndrom befaßten, wurde der Vorschlag gemacht<br />

vom „Irlen-Syndrom“ zu sprechen. Der Begriff „skotopisches Sehen“ (Nachtsehen) hat<br />

in der Augenoptik/-heilkunde eine Bedeutung, die in keiner Beziehung zu dem von Irlen<br />

beschriebenen Syndrom steht. EVANS u.a. (1995) sprechen vom Meares-Irlen-<br />

Syndrom. Sie waren <strong>bei</strong> der Erforschung des Syndroms auf eine Veröffentlichung von<br />

O. MEARES aufmerksam geworden, in der ähnliche Sehprobleme im Zusammenhang<br />

mit Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen beschrieben werden. Im folgenden soll deshalb, in<br />

Anlehnung an EVANS u.a. (1995) vom „Meares-Irlen-Syndrom“ gesprochen werden.<br />

5.2 Begriffserläuterung<br />

Das Meares-Irlen-Syndrom bezeich<strong>net</strong> eine Wahrnehmungsstörung 27 , deren Folge es<br />

ist, daß Menschen mit Lese- oder auch Lernschwierigkeiten eine gedruckte Seite<br />

anders wahrnehmen als normale Leser (vgl. IRLEN 1997; SCHROTH 1995a).<br />

Festzuhalten ist also zunächst, daß das Meares-Irlen-Syndrom eine Fehlfunktion der<br />

visuellen Wahrnehmung bzw. Sensorik beschreibt und nicht eine Sehschwäche. D.h.<br />

<strong>bei</strong> einem Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom muß keine Einschränkung der<br />

Sehschärfe vorliegen, wie z.B. Kurz- bzw. Übersichtigkeit. Es können also sowohl<br />

Menschen vom Meares-Irlen-Syndrom betroffen sein, die eine Brille benötigen, als<br />

auch solche, die keine tragen.<br />

Das Meares-Irlen-Syndrom wirkt sich jedoch nicht nur auf das Lesevermögen eines<br />

Betroffenen aus, sondern kann auch zu Problemen im Bereich der Aufmerksamkeits-<br />

26 Unter Optometrie wird die Wissenschaft vom Sehen sowie von den Fehlsichtigkeiten und deren<br />

Korrektion verstanden. Sie umfaßt die biologische und physikalische Optik. Sie verfügt über die<br />

Kenntnisse und Techniken, um die Ursachen von Sehproblemen zu erkennen und um Fehlsichtigkeiten<br />

zu messen und zu korrigieren. Das Ziel der Optometrie ist es, das bestmögliche<br />

Sehen gesunder Augen mit physikalisch-optischen Mittel zu erreichen.<br />

27 Von IRLEN selbst wird der Begriff der Wahrnehmungsstörung verwendet. Wie aber später noch<br />

aufgezeigt wird, liegt die Ursache für die beschriebenen Sehprobleme in einer Dysfunktion der<br />

visuellen Sensorik im Bereich der Sehbahnen am seitlichen Kniehöcker (vgl. Kapitel 7). Präziser<br />

wäre es also, wenn man von einer Störung der visuellen Sensorik spricht, in deren Folge es zu<br />

einer veränderten Wahrnehmung von gedruckten Seiten kommt.<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 41<br />

spanne, der räumlichen Wahrnehmung, der Handschrift und der Grobmotorik führen.<br />

Es ist jedoch keine Lernschwäche im konventionellen Sinne, sondern vielmehr ein<br />

komplexer und veränderbarer Zustand, der als eine Komponente <strong>bei</strong> Lese-Recht-<br />

schreibschwäche, Rechenschwäche (Dyskalkulie), Konzentrationsschwächen und<br />

anderen Lernproblemen auftreten kann.<br />

5.3 Erscheinungsbild<br />

Die Bezeichnung „Syndrom“ verweist bereits auf ein aus mehreren Komponenten bzw.<br />

Symptomen bestehendes Phänomen. Zum Meares-Irlen-Syndrom gehören insgesamt<br />

fünf Symptome, die im folgenden näher beschrieben werden sollen. Zu Beginn sei<br />

darauf hingewiesen, daß <strong>bei</strong> einem Betroffenen nicht alle fünf gemeinsam auftreten<br />

müssen; die Symptome können ebenfalls einzeln in Erscheinung treten.<br />

5.3.1 Lichtempfindlichkeit<br />

Unter Lichtempfindlichkeit versteht man den Sachverhalt, daß Betroffene auf grelles<br />

Licht, Helligkeit und bestimmte Lichtverhältnisse empfindlich reagieren. Diese Empfind-<br />

lichkeit kann z.B. <strong>bei</strong> fluoreszierendem Licht, hellem Sonnenschein oder den Lichtver-<br />

hältnissen an dunstigen oder bewölkten Tagen bestehen.<br />

Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom empfinden häufig die Beleuchtung (künstliches<br />

Licht) als zu hell bzw. „zu grell“, wo<strong>bei</strong> fluoreszierendes Licht häufig der Hauptver-<br />

ursacher ist. Deshalb lesen die meisten Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom am<br />

liebsten <strong>bei</strong> schwachem Licht. Einige bevorzugen hingegen helles Licht. Sie haben das<br />

Gefühl, daß es nie hell genug sein kann, um angenehm lesen zu können. Liest ein<br />

Mensch mit Meares-Irlen-Syndrom <strong>bei</strong> fluoreszierendem Licht, so kann ihm eventuell<br />

schwindelig werden, er bekommt Kopfschmerzen oder sogar Migräne. Er versucht<br />

dann den direkten Lichteinfall auf das Lesematerial abzuschirmen oder verändert<br />

ständig seine Haltung.<br />

Lichtempfindliche Menschen ermüden <strong>bei</strong> allen Lichtverhältnissen schnell, wodurch sie<br />

visuell anspruchsvollen Aufgaben nicht so lange nachgehen können. Ihre Schwierig-<br />

keiten ergeben sich daraus, daß sie sich von ihrer Umgebung oder sogar von der<br />

Buchseite geblendet fühlen. Für sie bedeutet der Versuch, mit dem Blick auf einer<br />

Buchseite zu bleiben und den Zeilen beständig zu folgen, eine enorme Anstrengung.<br />

Neben den Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen können sie auch Probleme <strong>bei</strong>m Autofahren<br />

haben, da sie durch die Straßenbeleuchtung oder durch entgegenkommende Schein-<br />

werfer geblendet werden.<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 42<br />

5.3.2 Ungenügende bzw. unzureichende Hintergrundakkommodation<br />

Mit Hilfe der Abbildung 4 soll versucht werden, einen Eindruck des Problems zu ver-<br />

mitteln. Die Schwierigkeiten liegen hier in der verzerrenden Wirkung starker Kontraste,<br />

wie z.B. zwischen weiß und schwarz. In diesem Beispiel konkurrieren die zwei schwar-<br />

zen Gesichter mit der weißen Vase. Für einen normalsichtigen Menschen ist es kein<br />

Problem diese zwei Motive zu erkennen. Für Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom ist<br />

der Kontrast zwischen weiß und schwarz aber nicht ideal, da der weiße Hintergrund mit<br />

dem schwarzen Vordergrund um die Aufmerksamkeit des Betrachters konkurriert. Dies<br />

kann im Extremfall zu einer so starken Dominanz des weißen führen, daß das die Form<br />

des schwarzen nicht mehr erkannt werden kann. Folglich ist es nicht mehr möglich die<br />

<strong>bei</strong>den Gesichter zu erkennen.<br />

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Abbildung 4: Gesichter oder Vase ? (IRLEN 1997, S. 58)<br />

Beim Lesen ist normalerweise ein hoher Kontrast von Vorteil, damit sich dann die<br />

Buchstaben deutlich vom Hintergrund abheben. Bei Menschen mit Meares-Irlen-<br />

Syndrom ist es möglich, daß der weiße Hintergrund so dominant wird, daß die Buch-<br />

staben an Deutlichkeit verlieren. Durch das Phänomen der Irradiation 28 kann aber auch<br />

der Eindruck entstehen, daß sich das Weiße in den Vordergrund drängt und die<br />

schwarzen Buchstaben zu verschlucken scheint. Diese werden dadurch dünner, grauer<br />

28 Die Irradiation ist üblicherweise ein Nachtphänomen. Sie beschreibt eine von der Umgebungshelligkeit<br />

abhängige Wahrnehmung, <strong>bei</strong> der helle Objekte in einem dunklen Umfeld größer<br />

erscheinen, als gleich große dunkle Objekte in einem hellen Umfeld.


Das Meares-Irlen-Syndrom 43<br />

oder sogar unleserlich, da Teile von ihnen verschwinden. Eine Studentin beschrieb<br />

diesen „Auswaschungseffekt“ (vgl. Abbildung 5) wie folgt:<br />

„Jedes Wort hat eine helle, weiße Korona. Wenn ich mich auf eine Stelle<br />

konzentriere, breitet sich daß Weiß zwischen den Buchstaben aus und<br />

bringt sie zum Verschwinden“ (IRLEN 1997, S. 57).<br />

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Abbildung 5: Der Auswascheffekt (vgl. IRLEN 1997, S. 60) 29<br />

Da<strong>bei</strong> müssen Buchstaben nicht immer auf die gleiche Weise „entstellt“ werden,<br />

sondern können sich im Verlauf des Lesens sehr unterschiedlich zeigen. Für<br />

Menschen mit einer unzureichenden Hintergrundakkommodation ist es z.B. nicht<br />

ungewöhnlich, daß Punkte, Kommata und i-Punkte verschwinden. Darüber hinaus<br />

werden einige Buchstaben auswechselbar, da sie ihre Mitte oder einen Teil ihrer Linien<br />

verlieren. So kann z.B. die Unterscheidung der Buchstaben m, u, w, n und h schwierig<br />

werden. Buchstaben wie z.B. a, e, o und u können gleich aussehen. Tritt eine solche<br />

Problematik auf, muß ein Betroffener den Inhalt immer wieder lesen, was natürlich<br />

seine Lesegeschwindigkeit und damit auch seine Leistungsfähigkeit mindert.<br />

Der Hintergrund kann sich noch auf andere Weise verändern. Einige Betroffene<br />

berichten davon, daß Farben auftauchen und wie Feuerwerke aufblitzen. Diese<br />

Störung durch den Hintergrund kann nur schwer unbeachtet bleiben, wodurch das<br />

Lesen zu einer unangenehmen Aufgabe wird.<br />

29 Für diese und alle weiteren Abbildungen gilt, daß sie dem „normal sehenden“ Leser einen<br />

Eindruck von den Schwierigkeiten der Betroffenen vermitteln sollen. Die Abbildungen sind<br />

anhand von Beschreibungen Betroffener angefertigt worden.


Das Meares-Irlen-Syndrom 44<br />

Ein weiteres Problem, das auftreten kann, ist der Doppeleffekt 30 (vgl. Abbildung 6).<br />

Betroffene beschreiben, daß sie einen weißen Schein um jeden Buchstaben sehen,<br />

daß der Abstand zwischen den Zeilen hell würde und einen Neoneffekt erzeuge. Sie<br />

berichten von sich überlagernden Strahlenkränzen unterschiedlicher Farbe, die das<br />

Unterscheiden der Buchstaben erschwere. Es ist für sie praktisch unmöglich, mehr als<br />

ein paar Sekunden am Stück zu lesen. Versucht ein Betroffener trotzdem eine Zeitlang<br />

zu lesen, können körperliche Symptome wie starke Müdigkeit und unerträgliche Kopf-<br />

schmerzen die Folge sein.<br />

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Wir sehen geschriebenen Text alle auf die<br />

gleiche Art. Die Schrift ist dominanter als<br />

der Hintergrund. Die schwarze Schrift<br />

erscheint gleichmäßig schwarz und Linien<br />

sind gerade. Im Schriftbild gibt es keine<br />

Unruhe und auch keine Bewegungen. Der<br />

Hintergrund ist weiß und überstrahlt die<br />

schwarze Schrift nicht. Man muß sich nur<br />

richtig anstrengen, wenn man gut lesen will.<br />

Abbildung 6: Der Doppleffekt (vgl. SCHROTH 1997a, S. 53)<br />

5.3.3 Schlechte Druckauflösung<br />

Unter „schlechter Druckauflösung“ versteht man Schwierigkeiten, die zu einer ver-<br />

änderten Wahrnehmung von Buchstaben, Zahlen und Symbolen führen. Betroffene<br />

beschreiben das Phänomen, daß die Buchstaben auf der Seite tanzen, vibrieren,<br />

pulsieren, wackeln, sich verschieben, schimmern, sich bewegen oder verschwinden.<br />

Schwierigkeiten im Bereich der Druckauflösung sind abhängig von der Schriftgröße,<br />

dem Wortabstand, der Schriftart und dem Textumfang pro Seite. So kann es durchaus<br />

sein, daß ein Kind mit schlechter Druckauflösung zu Beginn der Schulzeit (im 1. und 2.<br />

Schuljahr) noch keine Probleme hat, da zu diesem Zeitpunkt noch mit einer großen<br />

Schrift gear<strong>bei</strong>tet wird und da nur wenig Text auf einer Seite steht.<br />

Dieses Phänomen kann alle Buchstaben bzw. Wörter auf einer Seite betreffen. Es ist<br />

aber auch denkbar, daß nicht alle betroffen sind. So können z.B. die zu lesenden<br />

30 In der Literatur sind auch die Bezeichnungen Heiligenschein- oder Haloeffekt zu finden.


Das Meares-Irlen-Syndrom 45<br />

Wörter oder Buchstaben durchaus stabil erscheinen. Der Leser wird jedoch durch die<br />

z.B. verzerrten Buchstaben in unmittelbarer Nachbarschaft abgelenkt.<br />

Als Folge einer schlechten Druckauflösung liest ein Betroffener in der Regel langsamer<br />

und mit mehr Fehlern. Eventuell läßt er auch ganze Wörter <strong>bei</strong>m Lesen aus.<br />

Eine Ausprägungsform kann z.B. der Fließeffekt (vgl. Abbildung 7) oder der Überlap-<br />

pungseffekt (vgl. Abbildung 8) sein. Ein Effekt, <strong>bei</strong> dem die Abstände zwischen den<br />

Wörtern ungleichmäßig und ungenügend sind, so daß die Wörter ineinanderfließen.<br />

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Wirsehen ge schrieben en Textalle aufdie gleiche<br />

Art.DieSchrift ist dominant erals derHin tergrund.<br />

DieschwarzeSchriftersch eintgleich mäßigschwarz<br />

undLinien sin dgerade. Im Schrif tb ildgibt esk<br />

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Schriftnicht. Man mußsichnurrichti ganstrengen,<br />

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derHintergru nd.Die schwar zeSchrift<br />

erscheint gleich mäßigsch warz und Linien sind<br />

gerade.Im Schritbildgibt eskeineUn ruheund<br />

auchk eine Beweg ungen. DerHintergr undistweiß<br />

Abbildung 7: Der Fließeffekt (vgl. SCHROTH 1996a, S. 333)<br />

Wir sehen geschriebenen Text alle auf die gleiche Art.<br />

Wirsehen geschriebenen Texta lleuf a diegleicheArt.<br />

Die Schrift ist dominanter als der Hintergrund.<br />

DieSchrift odminanter ist alsder Hrg inte rund.<br />

Im Schriftbild gibt es keine Unruhe.<br />

Im Schift b ild giebt s keine U nruhe.<br />

Abbildung 8: Der Überlappungseffekt (vgl. SCHROTH 1996b, S. 42)<br />

Ein weiteres Auflösungsproblem besteht darin, daß sich die Buchstaben aus der Sicht<br />

der Betroffenen bewegen und nicht stillstehen. Einige Menschen mit Meares-Irlen-<br />

Syndrom berichten über Bewegungen von einer Seite zu anderen, von Auf- und Ab-<br />

bewegungen sowie kreisförmiger Bewegungen (Wirbeleffekt, vgl. Abbildung 9).


Das Meares-Irlen-Syndrom 46<br />

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Wir sehen geschriebenen Text alle auf die<br />

gleiche Art. Die Schrift ist dominanter als<br />

der Hintergrund. Die schwarze Schrift<br />

erscheint gleichmäßig schwarz und Linien<br />

sind gerade. Im Schriftbild gibt es keine<br />

Unruhe und auch keine Bewegungen. Der<br />

Hintergrund ist weiß und überstrahlt die<br />

schwarze Schrift nicht. Man muß sich nur<br />

richtig anstrengen, wenn man gut lesen will.<br />

Wir sehen geschriebenen Text alle auf die<br />

gleiche Art. Die Schrift ist dominanter als<br />

der Hintergrund. Die schwarze Schrift<br />

erscheint gleichmäßig schwarz und Linien<br />

sind gerade. Im Schriftbild gibt es keine<br />

Unruhe und auch keine Bewegungen. Der<br />

Hintergrund ist weiß und überstrahlt die<br />

schwarze Schrift nicht. Man muß sich nur<br />

richtig anstrengen, wenn man gut lesen will.<br />

Abbildung 9: Der Wirbeleffekt (vgl. SCHROTH 1997a, S. 53)<br />

Für andere Betroffene sieht es so aus, als ob die Buchstaben pulsieren. D.h. der Druck<br />

wird nicht mit gleicher Intensität wahrgenommen, die Buchstaben werden schwarz,<br />

grau und wieder schwarz.<br />

Mögliche weitere Effekte die auftreten können, sind der Schütteleffekt, der Unschärfe-/<br />

Verschwommenheitseffekt und der Schiffschaukel-/Schaukeleffekt (vgl. Abbildung 10<br />

bis 12).<br />

Abbildung 10: Schütteleffekt (IRLEN 1997, S. 67)


Das Meares-Irlen-Syndrom 47<br />

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Abbildung 11: Unschärfeeffekt (IRLEN 1997, S. 68)<br />

Abbildung 12: Schaukeleffekt (SCHROTH 1996b, S. 40)<br />

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die beschriebenen Effekte einer schlechten<br />

Druckauflösung nur selten isoliert auftreten, sondern häufig in Kombination vor-<br />

kommen.<br />

5.3.4 Eingeschränkte Erkennensspanne<br />

Unter „eingeschränkter Erkennensspanne“ versteht man, daß es für den Betroffenen<br />

schwierig ist, <strong>bei</strong>m Lesen Gruppen von Buchstaben, Zahlen, Noten oder Wörtern<br />

gleichzeitig zu erkennen. Einem Menschen mit eingeschränkter Erkennensspanne<br />

(auch als Tunnel-Lesen bzw. Tunneleffekt bezeich<strong>net</strong>) fehlt die Fähigkeit, von einer


Das Meares-Irlen-Syndrom 48<br />

Zeile zur anderen überzugehen, abzuschreiben, Korrektur zu lesen, einen Lesestoff zu<br />

überfliegen oder schnell zu lesen.<br />

Zwei Beispiele für die Beschreibung der Symptomatik durch Betroffene:<br />

„Ich kann nicht mehr als einen Druckbuchstaben auf einmal lesen. Der Rest<br />

der Seite ist nur eine Masse herumwuselnder schwarzer Armeisen. Es ist<br />

so langsam und ermüdend, daß ich aufgebe, sobald ich einen Absatz gelesen<br />

habe“ (IRLEN 1997, S. 70).<br />

„Wenn ich ein Wort anschaue, kann ich die ersten drei Buchstaben lesen.<br />

Ich habe das Gefühl, als sei mein Lesen ruckartig. Vorwärts - halt - vorwärts.<br />

Ich kann einfach nicht schneller machen. Ich kann selten einen Test<br />

fertigstellen oder etwas abschreiben, bevor es von der Tafel abgewischt<br />

wird“ (ebd.).<br />

5.3.5 Geringe Aufmerksamkeitsdauer<br />

Bei Aufgaben wie dem Lesen, Schreiben oder Ar<strong>bei</strong>ten am Computer fällt es<br />

Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom häufig schwer, über einen längeren Zeitraum ihre<br />

Konzentration aufrechtzuerhalten. Sie stellen fest, daß sie sich anstrengen müssen,<br />

um zu verhindern, daß Wörter unlesbar werden. Sie machen deshalb häufiger Pausen<br />

oder befassen sich mit anderen Dingen, um in der Zwischenzeit ihre Fähigkeit zum<br />

Lesen wieder aufzubauen.<br />

Im Allgemeinen nehmen die meisten Menschen an, daß einer Person, die den<br />

Leselernprozeß abgeschlossen hat, Lesen an sich keine Mühe bereitet, daß es kein<br />

Problem sei, über einen längeren Zeitraum zu lesen, aufmerksam zu sein, beständig<br />

zu ar<strong>bei</strong>ten und den Lesestoff zu verstehen. Dieses trifft für Menschen mit Meares-<br />

Irlen-Syndrom nicht zu. Sie kostet es Kraft und Mühe, Wörter wahrzunehmen und zu<br />

verar<strong>bei</strong>ten. Ihre Probleme werden da<strong>bei</strong> mit zunehmender Lesedauer immer noch<br />

größer, so daß es ihnen schließlich nicht mehr möglich ist, weiter zu lesen.<br />

„Ich weiß, daß ich anders lese als andere Menschen. Ich muß immer<br />

wieder aufhören. Manchmal stehe ich auf und gehe umher; ein anderes<br />

Mal schaue ich einfach eine Zeitlang weg. Als ich in der Schule war,<br />

bestrafte mich der Lehrer jedesmal, wenn ich aufhörte, zu lesen“ (ein<br />

Betroffener in IRLEN 1997, S. 71).<br />

5.3.6 Begleitsymptome<br />

Neben den oben beschriebenen Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Erkennen einer gedruckten<br />

Seite, wird das Meares-Irlen-Syndrom häufig von körperlichen Symptomen begleitet.<br />

Dazu gehören <strong>bei</strong>spielsweise Kopfschmerzen, Überanstrengung, brennende und<br />

tränende Augen, Schläfrigkeit oder Müdigkeit bereits nach kurzen Perioden des Lesens<br />

oder Schreibens. Betroffene, die an Überanstrengung leiden, berichten, daß sie, um<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 49<br />

weiter lesen zu können, blinzeln, ihre Augen zusammenkneifen oder auch weit auf-<br />

reißen, den Kopf seitwärts drehen, ein Auge schließen oder den Abstand zwischen<br />

Auge und zu lesendem Text ständig verändern.<br />

Ein Betroffener beschrieb diesen Zusammenhang wie folgt:<br />

„Wenn ich einen Abschnitt gelesen habe, verschwinden die Wörter allmählich.<br />

Ich blinzele, und dann ist es eine Zeitlang wieder in Ordnung. Dann<br />

verschwinden die Wörter wieder. Zuerst werde ich müde, aber wenn ich<br />

versuche weiter zu lesen, bekomme ich Kopfschmerzen“ (IRLEN 1997, S.<br />

72).<br />

Aus den vorangegangenen Ausführungen zum Syndrom und speziell aus dem letzten<br />

Zitat eines Betroffenen, läßt sich bereits entnehmen, daß die Schwierigkeiten, die ein<br />

Mensch mit Meares-Irlen-Syndrom hat, <strong>bei</strong>m Lesen zunehmen. Das ist ein Phänomen,<br />

daß immer wieder <strong>bei</strong> Sehproblemen jeglicher Art beobachtet werden kann. Ist es dem<br />

Leser zu Beginn noch möglich seine Probleme zu kompensieren, so verschlechtert<br />

sich sein Sehen mit zunehmender Lesedauer zusehends.<br />

5.4 Auswirkungen auf das Lesen (vgl. IRLEN 1997, S. 85ff)<br />

Zu Beginn der weiteren Überlegungen sei zunächst darauf hingewiesen, daß das<br />

Meares-Irlen-Syndrom nicht zwangsweise zu Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen führen muß.<br />

Es gibt auch Menschen, die eigentlich als normale oder gute Leser beschrieben<br />

werden können und die das Meares-Irlen-Syndrom haben. Bei ihnen wirkt sich das<br />

Syndrom vielleicht nur in einem herabgesetzten Lesetempo aus. Eventuell haben sie<br />

auch Schwierigkeiten den gelesenen Text gleich <strong>bei</strong>m erstenmal zu verstehen und<br />

müssen daher jeden Text zweimal lesen.<br />

Aus den vorangegangenen Überlegungen sollte bereits deutlich geworden sein, daß<br />

Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom schon <strong>bei</strong>m schnellen zuverlässigen Erkennen<br />

von Buchstaben und Wörtern Schwierigkeiten haben. Dadurch sind sie gezwungen auf<br />

eine andere Art zu lesen als Menschen ohne Meares-Irlen-Syndrom. Im Extremfall<br />

müssen sie unter großer Mühe jeden Buchstaben einzeln identifizieren und dann zu<br />

einem Wort zusammensetzten. Schließlich müssen sie das Gelesene ein zweites Mal<br />

lesen, um sicher zu gehen, daß sie den Inhalt auch richtig verstanden haben. Die<br />

große Mühe und Energie, die ihnen das Lesen abverlangt, macht es einleuchtend,<br />

warum diese Menschen häufiger Pausen <strong>bei</strong>m Lesen machen müssen.<br />

Ihre Probleme können sie auch nicht durch zusätzliche oder vermehrte Übung lindern.<br />

Ein verstärktes Lesetraining mit dem Ziel mehr Wörter als Ganzheit zu speichern, um<br />

so das Wiedererkennen zu erleichtern, ist <strong>bei</strong> Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom<br />

nicht erfolgversprechend. Durch Ihre Sehprobleme kann ein und dasselbe Wort auf<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 50<br />

unterschiedliche Arten „entstellt“ sein, so daß ein Wort nie dieselbe Gestalt hat und<br />

auch nicht mit gespeicherten Wortbildern verglichen werden kann.<br />

Bei betroffenen Menschen kann durchaus die Lesefähigkeit als solche und der Sicht-<br />

wortschatz angemessen ausgebildet sein; trotzdem können sie nur eine begrenzte<br />

Zeit, im allgemeinen fünfzehn bis zwanzig Minuten, ohne größere Problemen lesen<br />

(vgl. IRLEN 1997, S. 95). Dann verschlechtert sich ihre Lesequalität zusehends, da ihre<br />

Sehprobleme mit zunehmender Lesedauer stärker werden. Folglich kann <strong>bei</strong> betrof-<br />

fenen Menschen häufig beobachtet werden, daß sie mit zunehmender Lesedauer mehr<br />

Fehler machen.<br />

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß betroffene Schüler auch Pro-<br />

bleme mit den von Schuljahr zu Schuljahr steigenden Anforderungen haben. Es wird in<br />

der Regel davon ausgegangen, daß Kinder mit zunehmendem Alter und zunehmender<br />

Leseerfahrung länger lesen können. Dementsprechend wird der Umfang des Lese-<br />

stoffes von Jahr zu Jahr gesteigert. Da aber die Sehprobleme von Menschen mit<br />

Meares-Irlen-Syndrom über Jahre konstant bleiben, können sie ihre „Lesedauer“ nicht<br />

steigern, wodurch sie sich vor immer größere Schwierigkeiten gestellt sehen.<br />

Als Folge des Meares-Irlen-Syndroms können eventuell nachstehend aufgeführte<br />

Fehler bzw. Probleme <strong>bei</strong>m Lesen beobachtet werden (vgl. IRLEN 1997, S. 72f):<br />

– Es werden Wörter oder Zeilen <strong>bei</strong>m Lesen ausgelassen.<br />

– Der Betroffene verliert häufig die Stelle, an der er gerade liest, oder er muß einen<br />

Finger, ein Lineal o.ä. benutzen, um nicht die Zeile oder die Stelle zu verlieren.<br />

– Ein Zeilenwechsel gelingt nicht, d.h. es wird nicht vom Ende der Zeile zum Anfang<br />

der nächsten gesprungen, sondern an den Anfang der so eben gelesenen, ohne<br />

das dieser Irrtum sofort auffällt/bewußt wird.<br />

– Beim Lesen werden Wörter aus der darüber oder darunter liegenden Zeile einge-<br />

fügt.<br />

– Betroffene haben häufig Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Abschreiben von Informationen, z.B.<br />

von der Tafel.<br />

– Häufig kann auch beobachtet werden, daß sie den Kopf bewegen, wenn sie eine<br />

Zeile lesen.<br />

Das Meares-Irlen-Syndrom hat also Auswirkungen auf die Leseleistungen. Betroffene<br />

müssen zuviel Energie und Mühe für ihre Wahrnehmung verwenden, um die ständigen<br />

Verzerrungen oder den störenden, sich ständig verändernden Hintergrund zu bewälti-<br />

gen. Bei vielen geht das Lesen deshalb mit asthenopen Beschwerden einher. Die<br />

Folge ist dann meist eine geringe Lesemotivation. Was nachvollziehbar ist, denn wenn<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 51<br />

ein Betroffener genau weiß, daß er nach eventuell fünfminütigem Lesen Kopfschmer-<br />

zen bekommt, dann wird er nicht freiwillig so lange lesen.<br />

Erleichterung verschaffen sich diese Menschen meist selbst, indem sie häufiger<br />

Pausen machen als normale Leser. Dafür kann es einigen schon genügen kurz von der<br />

Seite aufzuschauen. Andere benötigen hingegen längere Pausen, sie müssen auf-<br />

stehen und eine Zeitlang umhergehen, bevor sie weiter lesen können. Bei stark<br />

betroffenen Menschen läßt sich beobachten, daß mit zunehmender Lesedauer zum<br />

einen die Pausen immer länger werden und daß zum anderen die Zeitspanne des<br />

Lesens zwischen den Pausen immer kürzer wird. Wenn sich Kinder diese Pausen auch<br />

in der Schule verschaffen, d.h. z.B. aus dem Fenster schauen oder mit ihrem Tisch-<br />

nachbarn reden, dann werden sie oft fälschlicherweise als unaufmerksam, leicht<br />

ablenkbar und/oder unmotiviert beschrieben.<br />

Einflüsse der Umwelt und des Lesematerials (vgl. IRLEN 1997, S. 100ff)<br />

Die mit dem Meares-Irlen-Syndrom verbundenen Symptome können durch gewisse<br />

Umweltfaktoren noch verstärkt werden. Beispielsweise kann die Intensität und Art der<br />

Beleuchtung das Auftreten der Symptomatik beschleunigen. Als am schlimmsten in<br />

diesem Sinne wird von den meisten Betroffenen fluoreszierendes Licht empfunden.<br />

Also das Licht, was üblicherweise in jedem Klassenzimmer als Beleuchtung zu finden<br />

ist.<br />

Aber auch das Lesematerial kann sich auf die Symptome negativ auswirken. So<br />

können sich z.B. vom Meares-Irlen-Syndrom betroffene Menschen von modernen<br />

weißen Wandtafeln oder von weißem Hochglanzpapier geblendet fühlen. So sind die<br />

meisten Lehrbücher oder Zeitschriften schwieriger zu lesen als Taschenbücher, die<br />

meist auf ungebleichtem, nicht glänzendem Papier gedruckt sind. Ferner spielen die<br />

Anzahl der Wörter pro Seite, der Schrifttyp und die Buchstabengröße (der Schriftgrad)<br />

eine entscheidende Rolle.<br />

Manche Schüler haben bereits selbst herausgefunden, wie sie den Kontrast der Seite<br />

verringern können. Sie markieren eventuell den gesamten zu lesenden Text, wodurch<br />

der gesamte Hintergrund farbig wird. Andere verwenden ein sogenanntes Lese-<br />

fenster 31 oder falten das zu lesende Blatt, um die Menge des sichtbaren Textes zu ver-<br />

ringern.<br />

31 Ein Lesefenster ist ein kartonstarkes Papier (z.B. im Format DIN A 6), in das ein Fenster von 4<br />

cm Länge und einer dem Zeilenabstand ensprechenden Höhe geschnitten wird. Dieses wird <strong>bei</strong>m<br />

Lesen auf den Text gelegt, so daß immer nur der gerade zu lesende Abschnitt im Fenster zu<br />

sehen ist.<br />

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Das Meares-Irlen-Syndrom 52<br />

5.5 Auswirkungen auf das Schreiben (vgl. IRLEN 1997, S. 159ff)<br />

Das Meares-Irlen-Syndrom wirkt sich auch auf das Schreiben aus. So kann beobachtet<br />

werden, daß betroffene Schüler Schwierigkeiten haben, auf einer Zeile zu schreiben,<br />

sie geraten entweder unter oder über sie. Charakteristisch für die Handschrift mancher<br />

Schüler ist, daß die Buchstaben zu dicht aneinander oder zu weit auseinander<br />

gezogen werden. Auch die Größenverhältnisse und die Verbindungen der Buchstaben<br />

können nicht regelgerecht sein (vgl. Abbildung 13).<br />

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Abbildung 13: Zwei Beispiele für die Handschrift von Schülern mit Meares-<br />

Irlen-Syndrom (IRLEN 1997, S. 160ff)<br />

Das Abschreiben von der Wandtafel oder aus einem Buch ist eine schwierige Aufgabe.<br />

Schüler mit Meares-Irlen-Syndrom können häufig Informationen nicht abschreiben, da<br />

sie die Stelle, an der sie stehen geblieben waren, nicht wieder finden. Was damit<br />

zusammenhängt, daß sich das Erscheinungsbild des Textes bzw. der Tafelanschrift<br />

verändert hat, nachdem sie von ihrem Ar<strong>bei</strong>tsplatz wieder aufgeschaut haben.<br />

Oft haben Schüler mit Meares-Irlen-Syndrom Schwierigkeiten <strong>bei</strong> der Interpunktion. Die<br />

Regeln für die Zeichensetzung lernen sie isoliert vom Inhalt und können diese nicht<br />

durch eigene Leseerfahrungen bestätigen. Als Folge erscheint ihre Interpunktion wirr<br />

oder zufällig; in einigen Fällen fehlt sie ganz.<br />

Nicht selten leidet auch die Qualität des schriftlichen Ausdrucks. Schon <strong>bei</strong>m Ver-<br />

fassen eigener Texte fällt es den Betroffenen schwer zu lesen, während sie schreiben.<br />

Auf ein nochmaliges Durchlesen am Ende wird meist verzichtet, da dieses die<br />

Symptomatik, einschließlich der asthenopen Beschwerden, verstärkt. Damit geht ihnen


Das Meares-Irlen-Syndrom 53<br />

natürlich eine wichtige Möglichkeit verloren, um zum einen ihren Stil und Ausdruck zu<br />

kontrollieren und zum anderen sicherzustellen, daß ihre Ar<strong>bei</strong>t genau das ausdrückt,<br />

was sie sagen wollten.<br />

5.6 Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß es Menschen gibt, die aufgrund von Seh-<br />

problemen, genauer gesagt, aufgrund einer Störung der visuellen Sensorik, eine<br />

gedruckte Seite anders wahrnehmen als „normal“ lesende Menschen. Sie haben<br />

Schwierigkeiten mit dem starken Kontrast von schwarzer Schrift auf weißem Hinter-<br />

grund oder mit dem Druckbild. Im einzelnen können mehrere Symptome beobachtet<br />

werden, die in verschiedener Kombination das Syndrom ausmachen. Da<strong>bei</strong> sind z.B.<br />

folgende subjektive Wahrnehmungen denkbar:<br />

– Wörter die sich bewegen und eventuell sogar von der Seite zu fallen scheinen;<br />

– Wörter, die ineinanderfließen;<br />

– Buchstaben oder Wörter, die rotieren;<br />

– ein pulsierender Hintergrund;<br />

– aufblitzende Farben im Hintergrund;<br />

– ein Hintergrund, der als grell und unangenehm empfunden wird.<br />

Die visuellen Schwierigkeiten der Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom nehmen in der<br />

Regel mit der Lesedauer zu und gehen oft mit asthenopen Beschwerden einher, wie<br />

z.B. Kopfschmerzen, brennende oder tränende Augen.<br />

Daneben sind eine Reihe von Leseschwierigkeiten mit der Symptomatik verbunden.<br />

Diese überschneiden sich an einigen Stellen mit den im ersten Kapitel beschriebenen<br />

Lesefehlern <strong>bei</strong> LRS. Beim Lesen kann z.B. folgendes besonders auffallen:<br />

– niedrige Lesegeschwindigkeit;<br />

– Auslassen von Worten oder Wortteilen;<br />

– Hinzufügen von Wörtern aus darüber oder darunter liegenden Zeilen<br />

– die Unfähigkeit, ausdauernd zu Lesen;<br />

– schnelles Ermüden <strong>bei</strong>m Lesen;<br />

– körperliche Symptome nach einer Weile des Lesens, wie Kopfschmerzen oder<br />

brennende Augen.<br />

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Die Irlen-Methode 54<br />

6. Die Irlen-Methode<br />

6.1 Vorgeschichte<br />

1981 wurde Helen IRLEN mit der Koordination eines Forschungsprojektes über Lernbe-<br />

hinderungen <strong>bei</strong> Erwachsenen betraut, das mit Mitteln der amerikanischen Regierung<br />

an der California State Universität in Long Beach eingerichtet wurde. Die Ar<strong>bei</strong>t mit<br />

Erwachsenen, die auch nach der Erlangung der Hochschulreife noch Lernschwierig-<br />

keiten hatten, erschien sinnvoller als mit Kindern. Zum einen konnte so ausgeschlos-<br />

sen werden, daß die Lernschwierigkeiten durch Probleme der Reife (Entwicklungsver-<br />

zögerungen) verursacht waren. Zum anderen konnten <strong>bei</strong> der ausgewählten Gruppe<br />

von Probanden Motivationsprobleme als Ursache ausgeschlossen werden. Ferner<br />

konnte man davon ausgehen, daß die Beschreibung der individuellen Schwierigkeiten<br />

und Probleme genauer bzw. präziser erfolgen würde, als <strong>bei</strong> Kindern.<br />

Zwischen 1981 und 1983 befragte H. IRLEN mehr als 1500 Erwachsene mit Lernpro-<br />

blemen. Die meisten von ihnen hatten bereits eine ganze Reihe von Therapien<br />

erfolglos hinter sich gebracht.<br />

Die Betroffenen beklagten sich darüber, daß ihnen das Lesen schwer fällt. Sie berich-<br />

teten, daß sie oft nicht mehr wußten, wo sie auf einer Seite stehengeblieben waren<br />

oder daß sie Dinge lasen, die gar nicht da standen. Das Lesen war für sie also im<br />

allgemeinen unangenehm und frustrierend, auch weil sie langsamer lasen und nicht so<br />

lange lesen konnten, wie andere. Darüber hinaus verursachte das Lesen <strong>bei</strong> einigen<br />

körperliche Schmerzen (z.B. Kopfschmerzen). Einige berichteten auch davon, daß sich<br />

die Buchseite plötzlich veränderte.<br />

Einige Aussagen von Betroffenen (IRLEN 1997, S. 41):<br />

„Lesen ist unangenehm. Ich werde unruhig und zappelig da<strong>bei</strong>.“<br />

„Ich schlafe <strong>bei</strong>m Lesen ein.“<br />

„Ich hasse das Lesen, weil ich etwas drei- bis viermal lesen muß, um es zu<br />

verstehen.“<br />

„Ganz egal was ich mache, ich lese langsamer als alle anderen. Wenn alle<br />

anderen ein Kapitel zu Ende gelesen haben, bin ich vielleicht erst auf der<br />

ersten oder zweiten Seite.“<br />

„Ich kann nicht lange auf eine Seite schauen. Ich muß das Buch schnell<br />

<strong>bei</strong>seite legen.“<br />

„Nach einer Weile lese ich einfach nur Wörter, die keinen Sinn ergeben.“<br />

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Die Irlen-Methode 55<br />

Insgesamt ließen sich folgende Gemeinsamkeiten <strong>bei</strong> ca. der Hälfte der Betroffenen<br />

feststellen (vgl. SCHROTH 1995a, S. 8):<br />

– Probleme <strong>bei</strong>m Lesen, die mit der Lesedauer zunehmen;<br />

– schnelle Ermüdung;<br />

– schlechtes Konzentrationsvermögen;<br />

– schlechtes Leseverständnis;<br />

– Schrift erscheint unruhig;<br />

– Buchstaben verblassen, tanzen.<br />

Aufgrund dieser Beschreibungen lag die Vermutung nahe, daß eine visuelle Störung<br />

<strong>bei</strong> diesen Menschen vorlag. Eine neuerliche Untersuchung der Betroffenen durch<br />

Opthalmologen (Augenärzte), Optometristen 32 , Neurologen, Lesespezialisten und<br />

Psychologen ergab aber keine Hinweise auf eine mögliche Therapie, die <strong>bei</strong> diesen<br />

Störungen angesetzt hätte. D.h. eine Besserung bezüglich der Leichtigkeit bzw.<br />

Effizienz, mit der jemand las, konnte mit den vorgeschlagenen Therapieansätzen nicht<br />

erbracht werden. H. IRLEN zog deshalb die Schlußfolgerung, daß sie es mit einem<br />

Syndrom zu tun hatte, daß bis dahin noch nicht von der Fachwelt erkannt worden war.<br />

Im Verlauf von sechs Monaten wandte sie nun erfolglos eine Reihe von verschiedenen<br />

Techniken an, um den Betroffenen zu helfen. Erst durch einen Zufall wurde während<br />

einer Unterrichtsstunde die Wirkung von Farbfolien auf die Schriftwahrnehmung<br />

entdeckt. Eine Studentin hatte eine durchsichtige rote Plastikfolie, die sie in einem<br />

früheren Sehtraining verwendet hatte. Eine andere Studentin legte die rote Folie auf<br />

eine Seite und war erstaunt, daß sie plötzlich die Buchstaben ihres Textes erkennen<br />

konnte, ohne daß diese auf und ab tanzten. Diese Verbesserung trat aber nicht <strong>bei</strong><br />

allen Betroffenen auf, d.h. alle anderen sahen den Text durch die rote Folie immer<br />

noch genauso wie ohne.<br />

Diese Entdeckung veranlaßte Frau IRLEN, sich viele verschiedene Farbfolien zu<br />

beschaffen, wie sie für Bühnenscheinwerfer benutzt werden. In der folgenden Zeit bat<br />

sie die Personen, die über Wahrnehmungsverzerrungen als Grund ihrer Leseprobleme<br />

berichtet hatten, die verschiedenen Farbfolien auszuprobieren. Insgesamt testeten 107<br />

Personen die farbigen Folien. Das Ergebnis war erstaunlich: für 81 erwiesen sich die<br />

Folien als hilfreich. Da<strong>bei</strong> zeigte sich, daß es für jede Person bestimmte Farben gab,<br />

die die Wahrnehmung einer gedruckten Seite erleichterten und solche, die sie beein-<br />

32 Ein Optometrist ist ein Fachmann für Optometrie, in der Regel sind das Augenoptiker. Im<br />

Vergleich zu deutschen Optometristen (Augenoptiker) verfügen Optometristen außerhalb des<br />

deutschen Sprachraumes häufig über größere Kenntnisse auf dem Gebiet der Pathologie und<br />

Pharmakologie. Bei pathologischen Ursachen von Sehproblemen verweist er jedoch immer an<br />

den Opthalmologen (Augenarzt).<br />

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Die Irlen-Methode 56<br />

trächtigten. Für jeden Probanden gab es eine Farbe, die am besten wirkte. Nachdem<br />

für alle die optimale Farbe herausgefunden war und sie mit dieser eine Zeit lang<br />

experimentiert hatten, berichteten die Probanden, daß sie nun besser und länger lesen<br />

konnten. Das Lesen mit der farbigen Folie strengte sie also nicht mehr so sehr an, wie<br />

ohne. Der gleiche Test wurde auch mit guten Lesern durchgeführt, der Effekt blieb<br />

jedoch aus. Im Anschluß daran wurde er mit Kindern durchgeführt, die Leseprobleme<br />

hatten. Und auch hier reagierte ein Teil positiv auf die Farbfolien.<br />

Es zeigte sich bald ein Problem der Folien. Mit ihrer Hilfe konnten zwar zum Teil dra-<br />

stische Verbesserungen der Leseleistungen erreicht werden, aber <strong>bei</strong> der Benutzung<br />

derselben Folien z.B. in Klassenar<strong>bei</strong>ten entstanden Nachteile durch deren Hand-<br />

habung. Das Wegnehmen der Folie <strong>bei</strong>m Wechsel von Lesen zu Schreiben auf dem<br />

gleichen Blatt erwies sich als zu umständlich.<br />

Folgerichtig wurde der nächste Schritt gemacht und die Farbe der Overlays (Folien) auf<br />

Brillengläser übertragen. Dieser Schritt war jedoch nicht sofort erfolgreich. Um die<br />

gleiche Verbesserung der Leseleistung zu erreichen, war ein differenzierteres System<br />

von Farbtönen in unterschiedlichen Sättigungsgraden erforderlich. In Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

mit einem Hersteller für optische Brillengläser wurden eine Reihe von farbigen Gläsern<br />

entwickelt, die den Anforderungen entsprachen. Zuletzt stellte sich heraus, daß die<br />

Betroffenen mit den farbigen Brillengläsern genauso gute oder sogar bessere Ergeb-<br />

nisse erreichten. Insgesamt waren die Anwendungsmöglichkeiten der Brillengläser<br />

vielseitiger als die der Folien. Die Studenten konnten nun direkt auf der Buchseite<br />

ar<strong>bei</strong>ten, Tests schreiben, die Wandtafel lesen, am Computer ar<strong>bei</strong>ten und länger <strong>bei</strong><br />

fluoreszierendem Licht lesen.<br />

Bei der Verbreitung der Methode spielte erneut der Zufall eine Rolle. Ein australischer<br />

Journalist wurde 1985 auf die Farbfilter aufmerksam. Er reiste daraufhin in die USA,<br />

um seine Tochter testen zu lassen. Der Erfolg begeisterte ihn so sehr, daß er einen<br />

Fernsehbericht produzierte, der noch im gleichen Jahr in Australien gesendet wurde.<br />

Die Sendung führte zu einer Welle von Nachfragen Betroffener und von Fachleuten<br />

und war schließlich Anlaß für die Gründung der ersten Irlen-Klinik in Sydney.<br />

6.2 Die Anwendung der Irlen-Methode<br />

Am Anfang jeder Behandlungs- und Fördermethode steht in der Regel eine genaue<br />

Diagnose der vorliegenden Probleme, so auch in diesem Fall. Mit Hilfe des soge-<br />

nannten Screenings soll festgestellt werden, ob das Lesen bzw. das Lernen tatsächlich<br />

durch das Meares-Irlen-Syndrom behindert wird. Da<strong>bei</strong> gilt es zunächst herauszu-<br />

finden, was genau passiert, wenn die Person liest, d.h. es soll möglichst genau<br />

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Die Irlen-Methode 57<br />

ermittelt werden, wie sich der Seheindruck einer Seite <strong>bei</strong>m Lesen verändert. Darüber<br />

hinaus soll die richtige Farbfolie zur Reduktion der spezifischen visuellen Probleme<br />

gefunden werden. Ferner geht es um die Entwicklung einer ersten Vorstellung, inwie-<br />

weit weitere Behandlungs- und Fördermaßnahmen nötig sind. Es soll herausgefunden<br />

werden, in welchen Bereichen mit der Irlen-Methode eine Besserung erreicht werden<br />

kann und welche Aspekte der vorliegenden Gesamtproblematik wahrscheinlich nicht<br />

gebessert werden können.<br />

Da es zur Zeit keine standardisierten Tests oder psychologische Untersuchungsreihen<br />

gibt, mit denen das Meares-Irlen-Syndrom identifiziert werden kann, ist die Diagnostik<br />

nicht ganz unproblematisch. Die subjektiven Beschreibungen der Symptomatik durch<br />

den Betroffenen selbst sind das wichtigste Diagnosemittel. So sind z.B. die mangeln-<br />

den Ausdrucksmöglichkeiten von Kindergartenkindern <strong>bei</strong> der Früherkennung des<br />

Syndroms hinderlich. Da ferner einige Schwierigkeiten, die Menschen mit Meares-Irlen-<br />

Syndrom haben, z.B. von der Buchstabengröße (dem Schriftgrad) und der Textmenge<br />

pro Seite abhängig sind, kann der Zeitpunkt, zu dem ein Betroffener „auffällig“ wird,<br />

individuell sehr verschieden sein. Denkbar wäre also, daß ein Kind im ersten und<br />

zweiten Schuljahr noch keine Probleme hat, diese aber am Anfang der dritten Klasse<br />

aufgrund des zunehmenden Leseumfangs auftreten. Schlußfolgernd ist festzuhalten,<br />

daß auch <strong>bei</strong> einem negativen Diagnoseergebnis (es liegt kein Meares-Irlen-Syndrom<br />

vor), zumindest <strong>bei</strong> jungen Kindern (etwa bis Ende der Grundschulzeit) das Meares-<br />

Irlen-Syndrom als Faktor von Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen nicht mit endgültiger Sicher-<br />

heit ausgeschlossen werden kann. Aus diesem Grund wird eine regelmäßige Über-<br />

prüfung von Kindern mit LRS oder auch anderen Lernstörungen empfohlen.<br />

Dem Screening, also der Diagnostik auf Meares-Irlen-Syndrom, geht ein genauer<br />

Sehtest <strong>bei</strong>m Augenarzt oder Optiker voraus. Hier soll zunächst festgestellt werden, ob<br />

eine Augenkrankheit vorliegt, die als Ursache für die visuellen Probleme in Betracht<br />

kommt. Darüber hinaus ist abzuklären, ob eine Einschränkung der Sehschärfe (des<br />

Visus) oder des binokularen (des <strong>bei</strong>däugigen) Sehens vorliegt. Schließlich sollen die<br />

Fähigkeit zum Fokussieren und die Blickfolgebewegungen überprüft werden. Es wird<br />

also danach gefragt, ob die Person auf unterschiedliche Objektentfernungen einstellen<br />

kann und ob sie mit dem Blick einem bewegten Objekt folgen kann.<br />

6.2.1 Screening auf Meares-Irlen-Syndrom<br />

An die augenärztliche bzw. augenoptische Untersuchung schließt sich das Screening<br />

auf das Meares-Irlen-Syndrom an, daß sich in drei Teile aufgliedert, die nacheinander<br />

durchgeführt werden.<br />

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Die Irlen-Methode 58<br />

Teil 1: Anamnese<br />

Am Anfang der Diagnose steht die Anamnese. Wo<strong>bei</strong> weniger die eigentliche Krank-<br />

heitsgeschichte im Vordergrund steht, sondern vielmehr Fragen zu Lesegewohnheiten,<br />

zu Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen usw.. Von besonderem Interesse sind Fragen nach der<br />

subjektiven Wahrnehmung <strong>bei</strong>m Lesen, zur bevorzugten Beleuchtung oder zur<br />

Reaktion auf optische Reize. Als Beispiel für eine solche Befragung kann der folgende<br />

Selbsttest (vgl. Abbildung 14) gelten.<br />

Lassen Sie <strong>bei</strong>m Lesen Wörter oder Zeilen aus ?<br />

Lesen Sie manche Zeilen doppelt ?<br />

Wissen Sie nicht mehr, wo Sie <strong>bei</strong>m Lesen sind ?<br />

Sind Sie <strong>bei</strong>m Lesen leicht ablenkbar ?<br />

Müssen Sie oft Pausen einlegen ?<br />

Finden Sie das Lesen anstrengender, je länger Sie lesen ?<br />

Bekommen Sie <strong>bei</strong>m Lesen Kopfschmerzen ?<br />

Werden Ihre Augen rot, und tränen sie <strong>bei</strong>m Lesen ?<br />

Ermüdet Sie das Lesen ?<br />

Blinzeln Sie, oder kneifen Sie die Augen zusammen ?<br />

Lesen Sie lieber <strong>bei</strong> schwachem Licht ?<br />

Lesen Sie gerne in geringem Abstand ?<br />

Benutzen Sie zum Lesen den Finger, oder markieren Sie auf<br />

andere Art ?<br />

Werden Sie <strong>bei</strong>m Lesen unruhig, aktiv oder nervös ?<br />

Abbildung 14: Selbsttest (IRLEN 1997, S. 16)<br />

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Ja Nein<br />

Darüber hinaus wird nach der Familiengeschichte gefragt. Denn Erfahrungen haben<br />

gezeigt, daß das Meares-Irlen-Syndrom in einer Familie häufiger anzutreffen ist, d.h.<br />

daß es möglicherweise erblich bedingt ist (vgl. IRLEN 1997, S. 175). Es ist also von<br />

Interesse, ob es weitere Familienmitglieder gibt oder gab, die ebenfalls Schwierigkeiten<br />

<strong>bei</strong>m Lesen haben, die eventuell langsam lesen oder die das Lesen anstrengt und<br />

ermüdet.<br />

Teil 2: Die Testaufgaben<br />

Um die Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen auch unter strukturierten Bedingun-<br />

gen überprüfen zu können, wurden von IRLEN einige Aufgaben zusammengestellt.<br />

Diese sind so konstruiert, daß sie die Symptome des Meares-Irlen-Syndrom sofort oder<br />

zumindest nach kurzer Zeit auslösen. Ferner sollen sie genauer Auskunft darüber<br />

erteilen, ob das Syndrom vorliegt und wenn ja, wie es sich äußert und mit welcher<br />

Intensität.


Die Irlen-Methode 59<br />

Bei der Bear<strong>bei</strong>tung der Testaufgaben geht es nicht darum, ob die Lösung richtig ist<br />

oder ob die Aufgabe überhaupt beendet werden konnte. Wichtig ist vielmehr, die Art<br />

der Schwierigkeiten zu identifizieren, die <strong>bei</strong> der Durchführung der Aufgaben entste-<br />

hen. Die nachfolgende Abbildung 15 soll einen Eindruck der Testaufgaben vermitteln.<br />

Abbildung 15: Bei dieser Aufgabe wird die Testperson aufgefordert, die weißen<br />

Flächen oben auf der mit B markierten Seite zu zählen. Dann<br />

werden sie gebeten, zu berichten, welche Schwierigkeiten sie<br />

da<strong>bei</strong> hatten. (IRLEN 1997, S. 180)<br />

Bei der Zusammenstellung der Testaufgaben wurde darauf geachtet, daß die zur<br />

Bear<strong>bei</strong>tung verlangten spezifischen Wahrnehmungsfähigkeiten von einem Kind gelei-<br />

stet werden können, das den Kindergarten verläßt. Es wurden also solche visuellen<br />

Leistungen ausgewählt, von denen aus entsprechenden Studien bekannt ist, daß sie<br />

sich nur noch wenig verändern bzw. entwickeln, wenn das Kind älter wird. D.h. die<br />

meisten Aufgaben sind so konstruiert, daß sie von siebenjährigen Kindern in der Regel<br />

ohne Schwierigkeiten gelöst werden können. Eine Abstufung in der Schwierigkeit der<br />

Testaufgaben erschien IRLEN nicht nötig, da die mit dem Meares-Irlen-Syndrom<br />

verbundenen Probleme sich mit zunehmendem Alter bzw. mit zunehmender Reife nicht<br />

verändern (vgl. IRLEN 1997, S. 179).<br />

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Die Irlen-Methode 60<br />

Teil 3: Die Folien<br />

Dieser Teil der Diagnostik wird nur dann durchgeführt, wenn die Ergebnisse aus den<br />

ersten <strong>bei</strong>den Teilen eindeutig darauf hinweisen, daß ein Meares-Irlen-Syndrom vorlie-<br />

gen könnte. Ziel ist es nun die richtige Farbe der Lesefolie zu ermitteln, d.h. jene<br />

farbige Folie, die am effektivsten die Leseleistung verbessert. Dazu werden neun<br />

verschiedene Farbtöne plus Neutral-Grau einzeln und dann in Kombination auf ein<br />

Textblatt gelegt. Wenn mit einer bestimmten Farbe oder einer Kombination eine ver-<br />

besserte Wahrnehmung erreicht wird, d.h. der Text ruhiger und stabiler erscheint, dann<br />

wird dieses Lesefolie bzw. die Kombination verord<strong>net</strong>.<br />

Die zwei Stufen der Farbkorrektion<br />

Zunächst bekommen die Personen die für sie passende farbige Folie oder Kombination<br />

von Folien mit nach Hause, um sie eine Zeitlang selbständig zu benutzen. Sie sollen<br />

ausprobieren, ob ihnen die Overlays wirklich helfen. Das <strong>bei</strong>nhaltet, daß die Personen<br />

beobachten, ob die positiven Veränderungen Kontinuität zeigen, egal wann sie lesen,<br />

unter welchen Umweltbedingungen (z.B. <strong>bei</strong> welcher Beleuchtung) und wie lange sie<br />

lesen. Diese erste Phase dauert mindestens vier Wochen. Wird in dieser Zeit die Folie<br />

bzw. die Kombination freiwillig benutzt und stellen sich mir ihr Verbesserungen ein,<br />

dann sind die Voraussetzungen für die nächste Phase gegeben. Die Verbesserungen<br />

müssen nicht immer objektiv meßbar sein, d.h. es muß in diesen vier Wochen nicht<br />

immer ein objektiver Zuwachs der Leseleistung beobachtbar sein, sondern es genügt,<br />

daß der Betroffene die Folien als subjektive Erleichterung <strong>bei</strong>m Lesen empfindet und<br />

sie daher immer freiwillig verwendet.<br />

Hat die erste Phase eine andauernde Verbesserung für den Nutzer der farbigen Folien<br />

ergeben, so ist das ein Anzeichen dafür, daß die Person auf die Korrektion mittels<br />

Farbe anspricht. Auf Wunsch kann nun als umfassendere Hilfe eine Brille mit entspre-<br />

chend eingefärbten Gläsern angepaßt werden. Aufgrund der Erfahrungen von IRLEN<br />

werden ca. 240 verschiedenfarbige Brillengläser verwendet. Für die Ermittlung der<br />

individuell passenden Irlen-Gläser, die meistens nicht exakt mit der vorher verwen-<br />

deten Folienfarbe übereinstimmen, dauert in der Regel ca. 40 Minuten. Der gesamte<br />

Zeitaufwand für Screening, für die Anpassung der Brillengläser und für eine Nach-<br />

kontrolle beträgt etwa eineinhalb bis zwei Sunden (vgl. SCHROTH 1995a, S. 11).<br />

Genauere Aussagen über das Screening, wie es von Irlen-Fachleuten durchgeführt<br />

wird, können an dieser Stelle nicht gemacht werden, da entsprechende Veröffent-<br />

lichungen bislang nicht vorliegen. Über die Diagnosesitzung, also über die genauen<br />

Fragen zur Anamnese und über die Testaufgaben, sowie über die Ermittlung der pas-<br />

senden Filterfarbe ist nur sehr wenig bekannt. Das mag daran liegen, daß die Methode<br />

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Die Irlen-Methode 61<br />

gesetzlich geschützt ist und nur an den Irlen-Zentren in den USA, Großbritannien und<br />

Australien gelehrt wird. Um die Irlen-Methode anwenden zu können und die entspre-<br />

chenden Irlen-Gläser verkaufen zu dürfen, muß man also eine entsprechende Berech-<br />

tigung (Lizenz) an einem solchen Zentrum erwerben (vgl. SCHROTH 1995a, S. 11).<br />

Festzuhalten bleibt, daß der Schwerpunkt der Diagnostik in der ausführlichen Befra-<br />

gung liegt. Von besonderem Interesse sind da<strong>bei</strong> die Antworten der Betroffenen, die<br />

vom Untersucher genau analysiert werden müssen, um entsprechende Rückschlüsse<br />

auf die vorliegende Problematik ziehen zu können. Der Betroffene selbst kann nämlich<br />

einen Vergleich zwischen dem, was er auf einer Textseite sieht, und dem, was ein<br />

normal Lesender sieht, nicht vollziehen. Wenn <strong>bei</strong>spielsweise die Buchstaben in<br />

seinem Buch hüpfen, dann tun sie das gleiche auch im Buch des Nachbarn oder der<br />

Nachbarin. Für ihn ist es also normal, daß Buchstaben hüpfen. Die Erfahrung, daß ein<br />

Text normalerweise stabil und ruhig erscheint, konnte er nie machen. Hat ein Betrof-<br />

fener die Farbe gefunden, die ihm hilft, bekommt er einen nie zuvor erlebten Eindruck<br />

von einer Textseite.<br />

Wird diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit geschenkt, dann ist es keineswegs<br />

unangemessen, ein Kind, das in der Schule Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Lesen hat, danach<br />

zu fragen, was es sieht bzw. was auf der Seite passiert, die es gerade liest, oder wie<br />

es sich <strong>bei</strong>m Lesen fühlt. Nur durch solche Fragen können Hinweise gewonnen<br />

werden, die Aufschluß darüber geben, ob <strong>bei</strong> einem Kind eine Beeinträchtigung der<br />

visuellen Sensorik vorliegt. Es selber merkt nicht, kann nicht merken, daß es anders<br />

wahrnimmt als seine Klassenkameraden und auch die üblichen Tests und Unter-<br />

suchungen <strong>bei</strong>m Augenarzt oder Optiker können die hier beschriebenen Probleme<br />

nicht aufdecken.<br />

6.2.2 Einige Hinweise zur praktischen Umsetzung der Methode<br />

Die im folgenden vorgestellte praktische Vorgehensweise zur Ermittlung der pas-<br />

senden Filterfarbe (vgl. Abbildung 17) basiert auf dem durch WILKINS 33 erweiterten<br />

Farbfoliensatz, der aus zwölf Folien, elf farbigen und einer neutral-grauen, besteht.<br />

Jeweils zwei komplette Foliensätze gehören zu einer Testmappe, die außerdem eine<br />

Testanleitung, einen Testbogen (Protokollbogen) und einige Hinweise zur Verwendung<br />

der Lesefolien enthält (vgl. OPTIC SERVICE WOLFENWEILER o.J.). Eine detaillierte<br />

Beschreibung der Testdurchführung findet sich <strong>bei</strong> SCHROTH (1995a, 1997a), einem<br />

Augenoptiker, der sich um die Verbreitung der Methode in Deutschland bemüht.<br />

33 Arnold WILKINS (Institut für Angewandte Psychologie in Cambridge/England) hat sich, angeregt<br />

durch die Ergebnisse von IRLEN, um eine empirische Überprüfung ihrer Erfahrungen bemüht (vgl.<br />

Kapitel 6.3).<br />

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Die Irlen-Methode 62<br />

Voraussetzung ist, wie bereits oben beschrieben, daß zunächst eine augenärztliche<br />

Untersuchung durchgeführt wird, <strong>bei</strong> der ausgeschlossen wird, daß eine Augenkrank-<br />

heit vorliegt. Anschließend folgt <strong>bei</strong>m Augenarzt oder <strong>bei</strong>m Augenoptiker eine genaue<br />

Sehschärfenmessung und eine Korrektur auch kleinster Fehlsichtigkeiten. Eventuell ist<br />

hier in zwei Schritten vorzugehen, d.h. zuerst wird rein refraktiv korrigiert 34 und erst im<br />

zweiten Schritt, <strong>bei</strong> Weiterbestehen von Problemen, eine binokulare Vollkorrektion 35<br />

durchgeführt. Erst wenn im Anschluß an diese Korrektionsmaßnahmen immer noch<br />

Schwierigkeiten bestehen sollten, ist als nächster Schritt die Ermittlung der individuell<br />

passenden Filterfarbe empfehlenswert (vgl. SCHROTH 1995a, S. 12).<br />

Der Prüfperson wird zu diesem Zweck ein Lesetext vorgelegt, der lange Zeilen mit<br />

einem relativ engen Zeilenabstand und schwarze Druckschrift auf weißem Hintergrund<br />

haben sollte. Entscheidend für die Untersuchung ist da<strong>bei</strong> das Druckbild des Textes<br />

und nicht sein Inhalt, daher kann ein Zufallstext gewählt werden 36 . Ferner ist darauf zu<br />

achten, daß während der gesamten Untersuchung/Testung Schattenbildung sowie<br />

Blendungen und Reflexe auf den Overlays vermieden werden.<br />

Im ersten Schritt wird die zu testende Person gebeten zu beschreiben wie sie den Text<br />

wahrnimmt - „Wie sehen Sie/siehst Du diesen Text?“. Bei Kindern sind oft die spon-<br />

tanen Antworten aufschlußreicher als solche auf vorgegebene Fragen wie z.B. nach<br />

Unschärfe oder Bewegungen im Text. Also nur, wenn das Kind keine spontanen<br />

Angaben zur Textwahrnehmung machen kann, sollte gezielter nach den Symptomen<br />

des Meares-Irlen-Syndrom (vgl. Kapitel 5) gefragt werden. Empfehlenswert ist es, die<br />

vom Kind verwendeten Begriffe für die weitere Testung zu benutzen.<br />

Danach wird immer eine Hälfte des Textes mit einem Overlay (einer Folie) abgedeckt<br />

und gefragt, welche Seite jetzt z.B. ruhiger zu erkennen ist. Da<strong>bei</strong> wird zunächst der<br />

Innenkreis auf dem Testbogen (vgl. Abbildung 16) in der angegebenen Reihenfolge<br />

(Zahl der jeweiligen Farbe) abgear<strong>bei</strong>tet. Wird durch eine Farbe die Wahrnehmung des<br />

Textes verbessert, so wird sie mit einem Plus markiert. Bei einer Verschlechterung wird<br />

entsprechend mit einem Minus notiert und wenn keine Veränderung eintritt eine „Null“.<br />

34<br />

Korrektion von z.B. Kurz- oder Übersichtigkeit<br />

35<br />

Korrektion einer Winkelfehlsichtigkeit<br />

36<br />

Eine geeig<strong>net</strong>e Textvorlage ist ebenfalls in der Testmappe enthalten. Dies „Leseprobe“ ist eine<br />

Aneinanderreihung von sinnhaften und unsinnhaften (Un-) Wörtern, um die Kontexterwartung<br />

auszuschalten (vgl. OPTIC SERVICE WOLFENWEILER).<br />

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Die Irlen-Methode 63<br />

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Abbildung 16: Kreis-Protokoll des Testbogens<br />

(vgl. Optic Service Wolfenweiler o.J.)<br />

Typischerweise läßt sich <strong>bei</strong> einem Menschen mit Meares-Irlen-Syndrom beobachten,<br />

daß er benachbarte oder eventuell auch gegenüberliegende Farben bevorzugt. Sollte<br />

er jedoch mit jeder Farbe ruhiger sehen, so ist meist Neutral-Grau die individuell<br />

richtige „Farbe“ für ihn.<br />

Im zweiten Schritt werden nur noch die mit „Plus“ gekennzeich<strong>net</strong>en Farben berück-<br />

sichtigt und entsprechend dem äußeren Kreis jeweils mit einer anderen Folie<br />

kombiniert, also übereinander auf den Text gelegt. Die Frage lautet wieder, welche<br />

Hälfte besser zu erkennen ist, und die Antworten werden wieder, wie oben beschrie-<br />

ben, auf dem Testbogen notiert.<br />

In einem dritten Schritt werden alle Folien bzw. alle Kombinationen, die mit einem<br />

„Plus“ gekennzeich<strong>net</strong> sind, miteinander verglichen. Dazu werden sie nacheinander<br />

Kante an Kante auf den Text gelegt, so daß nun direkt Farbe mit Farbe verglichen<br />

werden kann. Die jeweils bessere Farbe bzw. Kombination bleibt liegen und wird mit<br />

der nächsten verglichen. Zum Schluß kann nur eine Farbe oder eine Kombination des<br />

äußeren Testbogen-Kreises übrig bleiben. Sollte die Entscheidung zwischen einfacher<br />

und doppelter Farbintensität (Kombination von zwei gleichfarbigen Folien) schwer<br />

fallen, kann außerdem die Kombination zwischen der Farbe und Neutral-Grau getestet<br />

werden.


Die Irlen-Methode 64<br />

Die gesamte Testung mit den farbigen Overlays dauert ca. 10 Minuten. Eine Nach-<br />

kontrolle erfolgt nach vier bis sechs Wochen. Sollte die Lesefolie dann immer noch<br />

benutzt werden, kann davon ausgegangen werden, daß die Person auf die Farbkor-<br />

rektion anspricht und daß durch die Anpassung farbiger Brillengläser ein dauerhafter<br />

Korrektionserfolg erwartet werden kann. Die passende Brillenglasfarbe wird mit Hilfe<br />

des Colorimeters (vgl. Kapitel 6.3) ermittelt.<br />

Abschließend ein paar Bemerkungen zu den verwendeten Overlays: Sie weisen eine<br />

gleichmäßige Transmissionskurve auf, d.h. ihre Farbe ist unabhängig von den<br />

Beleuchtungsverhältnissen immer konstant. Üblicherweise werden sie im Format A4<br />

oder A5 verwendet. Beim Lesen müssen sie möglichst eben auf der Textunterlage<br />

liegen, um Unschärfe zu verhindern. Zur Reflexionsminderung sind die Oberflächen<br />

der Lesefolien mattiert, was sich außerdem zusätzlich positiv auf die Textwahr-<br />

nehmung auswirkt. Darüber hinaus sind zur Verringerung des Verletzungsrisikos die<br />

Ecken abgerundet.<br />

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• augenärztliche Abklärung<br />

• optometrische Versorgung (refraktive<br />

und binokulare Korrektion)<br />

• asthenopische Beschwerden<br />

• Leseprobleme<br />

• Meares-Irlen-Syndrom<br />

4 bis 6 Wochen regelmäßig und<br />

mit Besserung der<br />

Leseprobleme benutzt<br />

individuell das Overlay ermitteln<br />

Testung mit Colorimeter<br />

und Verordnung von<br />

farbigen Brillengläsern<br />

keine Beschwerden<br />

Unregelmäßig benutzt,<br />

wenig Verbesserung<br />

Ende<br />

Ende<br />

Abbildung 17: Schema der optometrischen Routine zur Farbkorrektion<br />

(Schroth 1995a, S. 15)


Die Irlen-Methode 65<br />

6.3 Die Colorimeter-Methode<br />

Die Colorimeter-Methode wurde von Arnold WILKINS auf Grundlage der Irlen-Methode<br />

ausgear<strong>bei</strong>tet. Zunächst war es sein Ziel, die Entdeckungen von IRLEN unter wieder-<br />

holbaren Versuchsbedingungen zu überprüfen. Zu diesem Zweck entwickelte er das<br />

Colorimeter 37 weiter. Da<strong>bei</strong> handelt es sich um ein Meßgerät, mit dem <strong>bei</strong> gleichblei-<br />

bender Helligkeitsempfindung sowohl der Farbton als auch die Farbsättigung stufenlos<br />

und unabhängig voneinander verändert werden kann. Jede Kombination aus Farbton<br />

und Sättigung kann zahlenmäßig beschrieben werden und ist exakt reproduzierbar. Im<br />

Laufe seiner Studien 38 stellte sich heraus, daß mit dem Colorimeter ein sehr wirksames<br />

und wenig zeitaufwendiges Verfahren zur Bestimmung von Farbfiltern entwickelt<br />

worden war (vgl. SCHROTH 1995a, S. 11f).<br />

Ein Vorteil des Colorimeters gegenüber der Irlen-Methode ist, daß nur etwa 20 Minuten<br />

für die Ermittlung der individuell richtigen Farbe und die Ergebnisüberprüfung mittels<br />

Probiergläser veranschlagt werden müssen. Zudem ist die Bandbreite verschieden-<br />

farbiger Gläser größer. Insgesamt kann aus 6.727 technisch realisierbaren Farbstufen<br />

ausgewählt werden.<br />

Nachteil der farbigen Gläser ist zum einen ihr relativ hoher Preis, da das Herstellungs-<br />

verfahren sehr aufwendig ist. Derzeit ist auch nur ein Hersteller aus England in der<br />

Lage, entsprechende Brillengläser anzufertigen. Zum anderen können sie die Er-<br />

kennbarkeit von Signalfarben einschränken, d.h. sie können sich negativ auf die<br />

Verkehrstauglichkeit ihres Trägers auswirken.<br />

Eine neuerliche Überprüfung bzw. eine Nachkontrolle kann <strong>bei</strong> einer Veränderung von<br />

Fehlsichtigkeiten notwendig sein. Zumindest ist sie zu empfehlen, so lange keine<br />

gesicherten Langzeituntersuchungen zum Zusammenhang von Farb- und refraktiver<br />

Korrektion vorliegen (vgl. SCHROTH 1995a, S. 15).<br />

Auf die Darstellung des Aufbaus und die Funktionsweise des Colorimeters 39 soll an<br />

dieser Stelle jedoch verzichtet werden, da sie zum einen für das Verständnis der noch<br />

folgenden Ausführungen zur Korrektion von Leseschwierigkeiten durch Farbfilter<br />

belanglos ist. Zum anderen entbehrt sie jeglicher Relevanz für die pädagogische<br />

Praxis, da die Methode nur von an dem Gerät ausgebildeten Fachleuten durchgeführt<br />

werden kann.<br />

37<br />

Das Colorimeter wurde bereits 1952 unter der Bezeichnung „Burnham Colorimeter“ erstmalig<br />

beschrieben (vgl. SCHROTH 1995a, S. 11).<br />

38<br />

Die Ergebnisse aus der Studie von Wilkins werden in Kapitel 8 aufgegriffen.<br />

39 Ein kurze und gut verständliche Darstellung ist <strong>bei</strong> SCHROTH (1995a, S. 11f) zu finden.<br />

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Die Irlen-Methode 66<br />

6.4 Die Rolle der Eltern<br />

Im Gegensatz zu anderen Methoden legt Frau IRLEN sehr viel Wert darauf, daß die<br />

Eltern während der ganz Sitzung anwesend sind. Ihrer Meinung nach gibt es eine<br />

Reihe guter Gründe, weshalb ein oder besser <strong>bei</strong>de Elternteile am Screening teil-<br />

nehmen sollten (vgl. IRLEN 1997, S. 176f).<br />

Erstens kann es für die Eltern sehr informativ sein. Da Erfahrungen vermuten lassen,<br />

daß das Meares-Irlen-Syndrom eventuell vererbbar 40 ist, können weitere Personen in<br />

der Familie davon betroffenen sein. Wenn die Eltern nun während des Screenings<br />

mehr über die Symptome erfahren und sich der Art der gestellten Fragen bewußt wer-<br />

den, können sie vielleicht Anzeichen für das Vorhandensein des Syndroms auch <strong>bei</strong><br />

anderen Familienmitgliedern eher erkennen und entsprechende Fachleute empfehlen.<br />

Zweitens lassen die Screener 41 die Eltern meist einige Aufgaben aus dem zweiten Teil<br />

selber ausprobieren. Erfahrungen zeigen, daß es nicht ungewöhnlich ist, auch <strong>bei</strong> min-<br />

destens einem Elternteil Anzeichen für das Meares-Irlen-Syndrom zu finden. In solchen<br />

Fällen erkennen die Eltern oft zum erstenmal, wie eine geschriebene Seite wirklich<br />

aussieht, wie sie ohne Schwierigkeiten gelesen werden kann. Dadurch daß sie selbst<br />

den Unterschied erfahren, können sie sich von der Wirksamkeit der Methode<br />

überzeugen. Sie merken vielleicht, daß auch ihnen die Lesefolien helfen könnten.<br />

Außerdem bekommen die Eltern ein besseres Verständnis von den Schwierigkeiten<br />

ihres Kindes und schenken seinen Aussagen mehr Glauben, wenn sie Zeuge des<br />

Behandlungsprozesses sind.<br />

Darüber hinaus fühlen sich die Kinder sicherer, unterstützt und sogar ermutigt, wenn<br />

auch die Eltern versuchen, einige Aufgaben zu lösen. Zeigen die Eltern da<strong>bei</strong> ähnliche<br />

Schwierigkeiten, fühlt sich das Kind erfahrungsgemäß nicht mehr allein als Opfer.<br />

Vielmehr haben Eltern und Kind jetzt etwas Gemeinsames und können sich darüber<br />

verständigen. Weil das Kind zudem merkt, daß es gar nicht so anders ist, kann es die<br />

Situation leichter ertragen.<br />

Zu guter Letzt ist IRLEN davon überzeugt, daß Eltern, die selbst Probleme haben,<br />

besser verstehen, was ihr Kind durchmacht. Das hilft ihnen, ihr Kind zu unterstützen<br />

und zu ermutigen, die farbigen Folien oder auch die farbigen Brillengläser zu benutzen.<br />

40 Die familiäre Häufung des Meares-Irlen-Syndroms haben ROBINSON, FOREMAN und DEAR (1996)<br />

untersucht. Bei den von ihnen untersuchten 751 Kindern mit Meares-Irlen-Syndrom wurden in<br />

84% der Fälle (628 Kinder) <strong>bei</strong> mindestens einem Elternteil ebenfalls Symptome des Meares-<br />

Irlen-Syndroms gefunden.<br />

41 Da für das Diagnoseverfahren der Begriff „Screening“ verwendet wurde, wird der Diagnostiker<br />

(Tester) entsprechend als „Screener“ bezeich<strong>net</strong>.<br />

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Die Irlen-Methode 67<br />

SCHROTH weist aber explizit darauf hin, daß man Eltern in jedem Fall nahebringen<br />

sollte, ihre Kinder nicht zur Nutzung der Lesefolien zu zwingen. Seine Erfahrungen<br />

haben gezeigt, daß die Farbfilter freiwillig benutzt werden, wenn sie wirklich eine<br />

Besserung bringen (vgl. SCHROT 1995a, S. 13).<br />

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Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 68<br />

7. Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter<br />

In diesem Kapitel soll die Wirkungsweise der Farbfilter und damit auch der Irlen-<br />

Methode erläutert werden. Dazu ist es nötig, zunächst die Rolle der tonischen und der<br />

phasischen Kanäle der visuellen Sensorik <strong>bei</strong>m Lesen näher zu betrachten. Ihr anato-<br />

misches Korrelat finden die <strong>bei</strong>den Kanäle in den parvozellulären und magnozellulären<br />

Neuronenschichten des seitlichen Kniehöckers (Corpus geniculatum laterale) (vgl.<br />

Kapitel 2.2).<br />

7.1 Die Entdeckung der Kanäle der visuellen Sensorik<br />

ENROTH-CUGELL und ROBSON entdeckten 1966 zwei getrennte Klassen von Neuronen<br />

in der Netzhaut der Katze. Auf Grundlage dieser Entdeckung wurden in der Folgezeit<br />

zum einen die physiologischen und anatomischen Eigenschaften der <strong>bei</strong>den neuro-<br />

nalen Bahnen erforscht, die den zwei Klassen der retinalen Neuronen entsprechen.<br />

Zum anderen wurde versucht, Analoges im visuellen System des Menschen zu finden.<br />

CLELAND, DUBIN und LEVICK konnten 1971 die Ergebnisse von ENROTH-CUGELL und<br />

ROBSON bestätigen. Darüber hinaus gelang es ihnen, Aussagen zu den Eigenschaften<br />

der <strong>bei</strong>den Neuronen bzw. neuronalen Bahnen zu machen, die sie „sustained“<br />

(tonisch) und „transient“ (phasisch) nannten (vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.1.2).<br />

Bei dem Versuch der Übertragung auf den Menschen zeigte sich das Problem, daß<br />

das visuelle System des Menschen aus anatomischer, physiologischer und psycho-<br />

physiologischer Sicht mit dem der Katze nur schwer zu vergleichen ist. Da jedoch eine<br />

Vergleichbarkeit zum visuellen System des Affen besteht, erschien es angemessen,<br />

dort nach entsprechenden Analogien für die tonischen und phasischen Kanäle zu<br />

suchen. Durch mehrere anatomische und physiologische Untersuchungen konnte<br />

nachgewiesen werden, daß die parvozellulären bzw. magnozellulären Neuronen 42 die<br />

gleichen Eigenschaften aufweisen wie die <strong>bei</strong>den neuronalen Kanäle der Katze. Da<strong>bei</strong><br />

entsprechen die parvozellulären Neuronen dem tonischen und die magnozellulären<br />

dem phasischen System (vgl. BREITMEYER 1992, S. 43ff).<br />

42 Diese sind vergleichbar mit den in Kapitel 2.2 beschriebenen gleichnamigen Neuronenschichten<br />

im seitlichen Kniehöcker <strong>bei</strong>m Menschen.<br />

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Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 69<br />

7.1.1 Die tonischen Kanäle<br />

Für die tonischen Kanäle wird auch der Begriff „sustained“ verwendet, der mit „stabili-<br />

sierend“ übersetzt werden kann. Ihre anatomische Entsprechung finden sie in den<br />

kleinzelligen bzw. parvozellulären Schichten des seitlichen Kniehöckers. Kennzeich-<br />

nend für diesen Kanal sind folgende Eigenschaften (vgl. BREITMEYER 1992, S. 44):<br />

– linear räumliche Lichtsummation im rezeptiven Feld,<br />

– tonische Reaktion auf gleichbleibenden Kontrast,<br />

– kleine und langsam leitende Fasern,<br />

– Bevorzugung von Reizen mit hoher Ortsfrequenz und langsamer Bewegung.<br />

7.1.2 Die phasischen Kanäle<br />

Das anatomische Korrelat der phasischen Kanäle sind die großzelligen, magnozellu-<br />

lären Schichten des seitlichen Kniehöckers. Der für „pahsisch“ synonym gebrauchte<br />

Begriff „transient“ bedeutet so viel wie „aufhebend“. Dieser Kanal ist charakterisiert<br />

durch:<br />

– das Nicht-Auftreten der linearen Lichtsummation sowie der tonischen Antwort auf<br />

gleichbleibenden Kontrast,<br />

– phasische Reaktion <strong>bei</strong> Anfang und Ende einer Reizdarbietung,<br />

– große und schnell leitende Fasern,<br />

– Bevorzugung von Reizen mit niedriger Ortsfrequenz und rascher Bewegung.<br />

7.2 Die Aufgabe der tonischen und phasischen Kanäle <strong>bei</strong>m Lesen<br />

Beim Lesen beruht das visuelle Verhalten auf sogenannten Fixations-Sakkadenreihen.<br />

D.h. ein Text wird <strong>bei</strong>m Lesen nicht Buchstabe für Buchstabe abgetastet, sondern in<br />

kleinen Blicksprüngen, sogenannten Sakkaden. Die Größe der Blicksprünge ist von der<br />

Leseerfahrung abhängig. Sie können z.B. von einem Wort zum nächsten führen. Im<br />

Idealfall überlagern sich die <strong>bei</strong>den Bildeindrücke vor und nach einem Blicksprung<br />

nicht. Für einen störungsfreien Abtastvorgang müssen daher zwei Prozesse permanent<br />

und zeitlich genau aufeinander abgestimmt ablaufen:<br />

a) Nach jedem Blicksprung, während der Fixation muß die Augenstellung solange sta-<br />

bil bleiben, bis das Wortbild erkannt ist. In dieser Phase ist der tonische Kanal aktiv.<br />

b) Während einer Sakkade, also zwischen zwei Fixationen muß die Weiterleitung von<br />

visuellen Informationen kurz unterbrochen werden, um die Überlagerung von<br />

Seheindrücken zu verhindern. Hierfür zeich<strong>net</strong> sich der phasische Kanal verant-<br />

wortlich.<br />

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Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 70<br />

Für eine effektive Aufnahme von visuellen Informationen <strong>bei</strong>m Lesen ist also ein<br />

zeitlich genau aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel der <strong>bei</strong>den Kanäle wichtig.<br />

Dieses soll mit Hilfe der Abbildung 18 (a-d) veranschaulicht werden.<br />

a<br />

b<br />

c<br />

d<br />

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Fixation<br />

Sakkade<br />

tonische<br />

Bahnen<br />

(sustained)<br />

phasische<br />

Kanäle<br />

(transient)<br />

Resultat<br />

Abbildung 18: Modell der Ar<strong>bei</strong>tsweise der tonischen und phasischen Kanäle<br />

<strong>bei</strong>m Lesen (vgl. BREITMEYER 1992, S. 48)<br />

Beim Abtasten eine Textes wechseln sich Fixationen und Sakkaden ab 43 (a). Nach<br />

jeder Sakkade setzt die Aktivität der tonischen Kanäle erst mit einer kleinen Ver-<br />

zögerung ein. Diese Kanäle sind für die Stabilität des Seheindruckes verantwortlich.<br />

Aufgrund der Tatsache, daß sie vor allem auf feine Details, auf Farbe und auf feine<br />

Anforderungen an das räumliche Sehen reagieren, sind sie für die Verar<strong>bei</strong>tung des<br />

Musterinhaltes verantwortlich, also sozusagen für die Übermittlung von Zeichen (Buch-<br />

staben) an das Gehirn. Leider fällt die Aktivität dieser Kanäle nach Ende einer Fixation<br />

nur sehr langsam ab, was dazu führt, daß die tonische Aktivität eines früheren<br />

Fixationsintervalls in die folgende Fixation hinein reicht. Gäbe es also nur tonische<br />

Kanäle käme es zu der in Teil (b) der Abbildung 18 dargestellten Überschneidung von<br />

43 Bei erfahrenen Lesern beträgt die Dauer einer Fixation 200 bis 250ms. Die nachfolgende<br />

Sakkade hat eine Größe von zwei Winkelgrad, was ungefähr 6 bis 8 Zeichen (Buchstaben) entspricht,<br />

und dauert ca. 25ms (vgl. LOVEGROVE 1993, S. 36f).


Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 71<br />

Informationen. Damit diese Überlagerungen verhindert werden, setzt sofort nach jeder<br />

Sakkade die Aktivität der phasischen Kanäle ein (c). Diese Kanäle reagieren bevorzugt<br />

auf schnelle Bildverschiebungen im Auge, z.B. durch eine Sakkade. Zudem wirken sie<br />

hemmend auf die tonischen Kanäle, d.h. durch ihre Aktivierung wird der Informations-<br />

fluß in den tonischen Kanälen unterbrochen und gelöscht. Das Resultat eines genauen<br />

Zusammenspiels dieser <strong>bei</strong>den Kanäle ist also eine Reihe von zeitlich getrennten<br />

Einzelbildern tonischer Aktivität (d). Da<strong>bei</strong> enthält jedes Einzelbild nur die Muster-<br />

informationen (Buchstaben) der entsprechenden Fixation (vgl. BREITMEYER 1992, S.<br />

46ff; SCHROTH 1997b, S. 11f).<br />

7.3 Ein Defizit der phasischen Kanäle als Ursache von Lesestörungen<br />

Aus den vorangegangenen Überlegungen wird deutlich, daß eine Abnormalität einer<br />

der <strong>bei</strong>den Bahnen die Grundlage für visuelle Störungen <strong>bei</strong>m Lesen sein könnte. Psy-<br />

chophysische Untersuchungen 44 weisen darauf hin, daß <strong>bei</strong> ungefähr 70% aller Fälle<br />

von Lesestörungen ein Defizit der phasischen Kanäle besteht. Diese Untersuchungen,<br />

die unter anderem von LOVGROVE u.a. zusammengefaßt wurden, leisten nicht nur<br />

einen wichtigen empirischen Beitrag, sondern stellen auch frühere und gegenwärtige<br />

Auffassungen in Frage, wie z.B. die von BENTON oder VELLUTINO, die behaupten, daß<br />

Lesestörungen nicht durch visuelle Abnormalitäten entstehen (vgl. BREITMEYER 1992,<br />

S. 48).<br />

Ein Defizit in den phasischen Kanälen kann aus mehreren Gründen für die Entstehung<br />

einer Lesestörung bedeutsam sein. Zuallererst könnte ein solches Defizit zu einer<br />

mangelhaften sakkadischen Suppression 45 führen. In Verbindung mit der obigen<br />

schematischen Darstellung wird die Folge dieser Störung deutlich. Bei aufeinander-<br />

folgenden Fixationen käme es (zumindest teilweise) zu einer zeitlichen Überlagerung<br />

von Einzelbildern der tonischen Aktivität. Für das Lesen läge mit diesem Zustand also<br />

eine offensichtlich visuell begründete Beeinträchtigung vor.<br />

44 In den Untersuchungen wurden verschiedene visuelle Leistungen getestet, die in einem direkten<br />

Zusammenhang mit den phasischen und tonischen Kanälen stehen, wie z.B. die Beurteilung<br />

zeitlicher Reihenfolgen von kurzzeitig dargebotenen visuellen Stimuli oder das Erkennen von<br />

Flimmern und Kontrast (vgl. BREITMEYER 1992, S. 48; SCHROTH 1997a, S. 54).<br />

45 Unter Suppression ist hier Hemmung zu verstehen. Eine Defizit in den phasischen Kanälen<br />

würde also zur Folge haben, daß die in Teil c der Abbildung 18 dargestellte Hemmung, Unterbrechung<br />

bzw. Löschung der tonischen Aktivität nicht mehr regelgerecht funktionieren würde.<br />

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Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 72<br />

NORMAL VISION NORMAL IS ICONOCLASTIC VISION NORMAL IS ICONOCLASTIC VISION IS ICONOCLASTIC<br />

NORMAL VISION NORMAL IS ICONOCLASTIC VISION IS ICONOCLASTIC<br />

NORMAL VISION IS ICONOCLASTIC<br />

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(drei Fixationen)<br />

(zwei Fixationen)<br />

(eine Fixation)<br />

Abbildung 19: Die mögliche Folge einer sakkadischen Suppression, wenn<br />

<strong>bei</strong>m Lesen eines Satzes eine, zwei oder drei Fixationen<br />

nötig sind (LOVEGROVE 1993, S. 38) 46<br />

Eine zweite wichtige Aufgabe der phasischen Kanäle, die in diesem Zusammenhang<br />

erwähnt werden sollte, wurde 1974 von MARTIN beschrieben (vgl. BREITMEYER 1992, S.<br />

49). Demnach sind diese Kanäle nicht nur für die Hemmung bzw. Löschung der<br />

tonischen Aktivität verantwortlich, sondern sollen auch das Wahrnehmen von Bildver-<br />

schmierungen auf der Netzhaut verhindern, die während einer Sakkade auftreten.<br />

Ferner dienen sie dem Erhalt der visuellen Richtungskonstanz, die eine wichtige<br />

Voraussetzung der visuellen Lokalisierung ist, und der visuellen Stabilität trotz dauern-<br />

der Verschiebung der Netzhautbilder <strong>bei</strong>m visuellen Abtasten der Umwelt. Ein Defizit<br />

der phasischen Kanäle könnte demzufolge zu retinalen Bildverschmierungen, zur<br />

Verschlechterung der visuellen Lokalisierung und zur Instabilität der visuellen Umwelt<br />

führen. Diese Symptome konnten 1989 von STEIN, RIDDELL und FOWLER <strong>bei</strong> 60-70%<br />

der von ihnen untersuchten lesegestörten Kinder nachgewiesen werden. Interessan-<br />

terweise entspricht dieser Prozentsatz den Ergebnissen, die von LOVEGROVE u.a.<br />

zusammengefaßt wurden (siehe oben).<br />

Die Vermutung, daß eine Lesestörung durch ein Defizit der phasischen Kanäle<br />

begründet sein könnte, läßt sich durch weitere Untersuchungen untermauern. So<br />

konnten LIVINGSTONE, ROSEN, DRISLANE und GALABURDA in ihrer Studie zeigen, daß<br />

<strong>bei</strong> der Darbietung von sich schnell bewegenden Reizen mit geringem Kontrast, auf<br />

welche die magnozellulären (phasischen) Bahnen bevorzugt reagieren, Lesegestörte<br />

ein geringeres visuell evoziertes Kopfhautpotential haben als „normal“ lesende<br />

Versuchspersonen. Wurden hingegen langsam bewegte Reize mit hohem Kotrast<br />

dargeboten, auf die bevorzugt die parvozellulären (tonischen) Bahnen reagieren,<br />

unterschieden sich die <strong>bei</strong>den Versuchsgruppen nicht. Ferner konnte in der gleichen<br />

Untersuchung aufgrund von Autopsiebefunden nachgewiesen werden, daß die magno-<br />

46 Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Überlappungseffekt des Meares-Irlen-Syndrom läßt sich nicht<br />

leugnen.


Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 73<br />

zellulären Schichten <strong>bei</strong> lesegestörten Menschen anatomisch desorganisiert sind und<br />

daß ihr Flächeninhalt kleiner und variabler im Vergleich zu Gehirnen „normaler“<br />

Menschen ist. Ähnliches traf aber nicht für die parvozellulären Schichten zu (vgl.<br />

BREITMEYER 1992, S.49; DUMMER-SMOCH 1995; S. 4ff).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Ergebnisse der dargestellten<br />

Untersuchungen für ein Defizit der phasischen Kanäle, nicht der tonischen, als mög-<br />

liche Ursache von Lesestörungen sprechen.<br />

7.4 Die Wirkung von Farbe auf die phasischen Kanäle<br />

Zwar deuten die oben dargestellten Untersuchungsergebnisse darauf hin , daß die<br />

Ursache für den Zusammenhang zwischen visuellen Defiziten und Lesestörungen in<br />

einer anatomischen Abnormalität liegt, die nicht direkt behandelt werden kann. Trotz-<br />

dem sind Behandlungsmöglichkeiten denkbar, mit deren Hilfe die Defizite gemindert<br />

werden können. Eine wichtige Rolle da<strong>bei</strong> spielt die Eigenschaft der phasischen<br />

Kanäle, durch diffuse rote Beleuchtung in ihrer Aktivität gehemmt zu werden. In Unter-<br />

suchungen zum Metakontrast von Reizen, die gegen einen farbigen Hintergrund<br />

dargeboten wurden, wurde der Zusammenhang von farbiger Beleuchtung und<br />

Hemmung der phasischen Aktivität näher untersucht (vgl. BREITMEYER 1992, S. 49). Als<br />

Konsequenz aus den Untersuchungen läßt sich folgendes festhalten: Die Aktivität der<br />

phasischen Kanäle wird im Vergleich zu weißem oder zu mittelwelligem grünem Licht<br />

durch langwelliges rotes Licht gehemmt und durch kurzwelliges blaues Licht verstärkt.<br />

Diese Ergebnisse legen nahe, daß eine Behandlung visueller Probleme im Zu-<br />

sammenhang mit Lesestörungen durch farbige Gläser oder Folien möglich ist.<br />

Dementsprechend konnten WILLIAMS, LECLUYSE und FACHEUX zeigen, daß ein roter<br />

Hintergrund im Vergleich zu einem weißen das Lesetempo und auch das Lese-<br />

verständnis <strong>bei</strong> Lesegestörten herabsetzte, während hingegen ein blauer <strong>bei</strong>de<br />

Leistungen erhöhte (vgl. BREITMEYER 1992, S. 51).<br />

7.5 Weiterführende Überlegungen<br />

BREITMEYER (1992) weist darauf hin, daß die Defizite der phasischen, magnozellulären<br />

Kanäle auch auf höherem kortikalen Niveau vorkommen könnten. Beim Menschen<br />

scheint eine wichtige Empfangsstelle dieser Kanäle in der Nähe der posterioren<br />

Sprachzentren zu liegen, die <strong>bei</strong> der Verar<strong>bei</strong>tung von geschriebenem und gedrucktem<br />

Material eine wichtige Rolle spielen. Ferner könnten Verbindungen zu Gebieten beste-<br />

hen, die an der Regulierung der Aufmerksamkeit und der Augenbewegungen beteiligt<br />

sind. Sollte es solche Abnormalitäten auch in kortikalen Gebieten geben, die eine Ver-<br />

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Die Wirkungsweise der Irlen-Methode bzw. der Farbfilter 74<br />

bindung zu den phasischen Kanälen haben, so ist damit zu rechnen, daß Lesegestörte<br />

auch Defizite der Wahrnehmungsfunktionen aufweisen, die von der Aktivität in diesen<br />

Gebieten abhängen. In diesem Zusammenhang ist an die Untersuchungsergebnisse<br />

von BRANNAN und WILLIAMS sowie von FISCHER und WEBER zu denken, die nach-<br />

weisen, daß Lesegestörte in der Gliederung der räumlichen Aufmerksamkeit Unter-<br />

schiede gegenüber Kontrollpersonen aufweisen. STEIN u.a. konnten ferner zeigen, daß<br />

Lesegestörte an einer Aufmerksamkeitsstörung des linken Sehfeldes leiden. ADLER-<br />

GRINBERG und STARK berichten überdies von abnormalen Augenfolgebewegungen <strong>bei</strong><br />

leseschwachen Personen (vgl. BREITMEYER 1992, S. 51).<br />

7.6 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß <strong>bei</strong>m Lesen zwei visuelle Kanäle<br />

zeitlich exakt zusammenar<strong>bei</strong>ten müssen, damit es zu keinen Überschneidungen von<br />

visuellen Informationen kommt. Ferner wurde gezeigt, daß ein Defizit in den pha-<br />

sischen Kanälen Lesestörungen hervorruft. Aufgrund von psychophysischen und<br />

anatomischen Untersuchungen kann davon ausgegangen werden, daß <strong>bei</strong> einem Teil<br />

von Menschen mit LRS ein Defizit in diesen Kanälen besteht. Die da<strong>bei</strong> gemachten<br />

Überlegungen zu Veränderungen in der subjektiven visuellen Wahrnehmung Betrof-<br />

fener legen den Schluß nahe, daß die Symptome des Meares-Irlen-Syndroms<br />

möglicherweise die Folge einer Störung bzw. eines Defizits in den magnozellulären<br />

Schichten des seitlichen Kniehöckers, also in den phasischen Kanälen sind.<br />

Des weiteren konnte nachgewiesen werden, welche Wirkung ein farbiger Hintergrund<br />

<strong>bei</strong>m Lesen hat. So mindern langwellige Farben (rot) die Aktivität der phasischen<br />

Kanäle, wodurch das Lesetempo und das Leseverständnis herabgesetzt wurden. Bei<br />

kurzwelligen Farben (blau) wurde hingegen die Aktivität der phasischen Kanäle gestei-<br />

gert, was zu einer Steigerung der Leseleistungen führte. Die von IRLEN verwendeten<br />

Farbfolien bzw. farbigen Brillengläser wirken also offensichtlich auf die Aktivität der<br />

phasischen Kanäle. Die Irlen-Methode stellt damit eine mögliche Behandlung für ein<br />

Defizit im Zusammenspiel der tonischen und phasischen Kanäle dar, d.h. sie nimmt<br />

direkt Einfluß auf Teilprozesse der visuellen Sensorik.<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 75<br />

8. Empirische Studien zur Irlen-Methode<br />

In diesem Kapitel soll anhand von Ergebnissen einiger ausgewählter empirischer<br />

Studien der Erfolg der Irlen-Methode näher betrachtet werden.<br />

Zunächst ist die Studie von WILKINS (1994) zu nennen, der einen möglichen Placebo-<br />

Effekt von farbigen Brillengläsern überprüfen wollte. An seiner Doppelblind-Studie 47<br />

nahmen anfangs 68 Kinder 48 teil, von denen jedoch 16 die Studie nicht beendeten.<br />

Da<strong>bei</strong> wurden nur Kinder in die Studie aufgenommen, die zuvor über einen Zeitraum<br />

von drei Wochen farbige Folien konsequent und mit Erfolg benutzt hatten. Ferner<br />

wurde durch eine augenärztliche bzw. augenoptische Voruntersuchung sichergestellt,<br />

daß keine Störung des <strong>bei</strong>däugigen Sehens vorlag. Ausgeschlossen wurden auch die<br />

Kinder, <strong>bei</strong> denen die Brillenkorrektion nicht mehr korrekt war oder sich in den letzten<br />

zwei Monaten geändert hatte. Von 45 Kindern lag zudem das Testergebnis eines stan-<br />

dardisierten Lesetests vor, des „Neale Analysis of Reading“ (Revised British Edition) 49 .<br />

Zu Beginn der Studie wurde mit Hilfe des Colorimeters die für jedes Kind individuell<br />

optimale Farbe für die Brillengläser ermittelt (Versuchsgläser). Die Wahl der Kontroll-<br />

gläser (Placebo) erfolgte unter dem Gesichtspunkt, daß die Farbe nur soweit verändert<br />

wurde, daß sie gerade nicht mehr in dem als optimal empfundenen Farbbereich lag,<br />

d.h. sie wichen nur geringfügig von den Versuchsgläsern ab. Den teilnehmenden<br />

Kindern wurde lediglich gesagt, daß zwei Gläserpaare zu vergleichen sind. Sie<br />

bekamen nun per Zufall ein Gläserpaar für einen Zeitraum von einem Monat zum<br />

Testen, wo<strong>bei</strong> sie aber nicht wußten, ob es sich da<strong>bei</strong> um die Versuchs- oder die<br />

Kontrollgläser handelte. In der dritten Woche wurde ihre Leseleistung mit der ersten<br />

Parallelform des genannten Tests überprüft.<br />

Nach dieser ersten Phase der Untersuchung schloß sich eine zweiwöchige Unter-<br />

brechung an, in der die Kinder keine Farbfilter verwendeten. Danach bekamen die<br />

Kinder, wieder für einen Zeitraum von einem Monat, das jeweils andere Paar Gläser.<br />

Auch diesmal wurde während der dritten Woche die Leseleistung überprüft, diesmal<br />

mit der zweiten Form des „Neale Analysis of Reading“.<br />

Während der gesamten Untersuchung hatten die Kinder den Auftrag, ein Tagebuch zu<br />

führen, in das sie eintrugen, wann sie die farbigen Brillengläser trugen und an welchen<br />

47 Es wird hier von einer Doppelblind-Studie gesprochen, da weder die Probanden (Kinder) selbst<br />

noch die Untersucher/Tester wußten, ob das Kind gerade die individuell passenden farbigen<br />

Brillengläser trug oder ob es sich da<strong>bei</strong> um „Placebo-Gläser“ handelte.<br />

48 Es nahmen 42 Jungen und 26 Mädchen teil, die zwischen 9;9 Jahren und 15;5 Jahren (durch-<br />

schnittlich 12;2 Jahren) alt waren.<br />

49 Dieser Test enthält zwei Parallelformen.<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 76<br />

Tagen sie Sehprobleme bzw. asthenope Beschwerden hatten. Von den 52 am Ende<br />

der Studie noch teilnehmenden Kinder hatten 36 ihre Aufzeichnungen komplett geführt.<br />

Die Auswertung ergab einen signifikanten Unterschied <strong>bei</strong> sieben Kindern. Bei allen<br />

sieben führte das Tragen der Versuchsgläser zu einer signifikanten Reduzierung der<br />

Sehprobleme und asthenopen Beschwerden.<br />

Am Ende der Untersuchung haben insgesamt 48 Kinder angegeben, daß sie eine oder<br />

<strong>bei</strong>de farbigen Gläserpaare als hilfreich empfunden haben. Wo<strong>bei</strong> 31 das erste Paar<br />

und 17 das zweite bevorzugten. Beim Vergleich der Kontrollgläser mit den Versuchs-<br />

gläsern ist interessant, daß 26 Kinder die Kontrollgläser bevorzugten.<br />

Bei der Auswertung des Lesetests waren bessere Testergebnisse in Bezug auf Lese-<br />

geschwindigkeit, -genauigkeit und -verständnis <strong>bei</strong>m Tragen der Versuchsgläser im<br />

Vergleich zu den Kontrollgläsern feststellbar. Die Unterschiede waren jedoch nicht<br />

signifikant. Beim Vergleich der Testergebnisse, die vor Beginn der Studie ohne<br />

Farbgläser erhoben wurden, mit denen, die mit farbigen Brillengläsern erreicht wurden,<br />

ergab sich ein signifikanter Unterschied <strong>bei</strong> der Lesegenauigkeit.<br />

Zusammenfassend stellt WILKINS fest, daß die farbigen Brillengläser helfen können,<br />

Sehprobleme und asthenope Beschwerden zu reduzieren. Er weist ferner darauf hin,<br />

daß aufgrund seiner Befunde nicht angenommen werden kann, daß die Wirkung der<br />

Farbfilter ausschließlich auf einem Placebo-Effekt basiert. Größere Farbunterschiede<br />

zwischen den Versuchs- und Kontrollgläsern hätten seiner Meinung nach wahrschein-<br />

lich zu eindeutigeren Ergebnissen geführt, die entsprechende Schlußfolgerungen<br />

ermöglicht hätten. Die größere Farbdifferenz wäre aber nicht mit der Methode der<br />

Doppelblind-Studie vereinbar gewesen.<br />

WHITING, ROBINSON und PARROTT (1994) haben die Langzeitwirkung der Irlen-Methode<br />

untersucht. Zu diesem Zweck führten sie eine Befragung von 114 Personen durch.<br />

Diese hatten zum einen an einer früheren Studie von WHITING und ROBINSON aus dem<br />

Jahr 1988 teilgenommen, zum anderen hatten sie die Farbfilter bereits über einen Zeit-<br />

raum von mindestens sechs Jahren benutzt. Ziel der Befragung war in <strong>bei</strong>den Fällen<br />

zu erfahren, in welchen Bereichen die Probanden die Farbfilter als eine Hilfe ansahen<br />

und wie sie die Verbesserung subjektiv bewerteten. Von Interesse waren da<strong>bei</strong> eine<br />

allgemeine Einschätzung und eine differenzierte Bewertung zu den Bereichen Lesen,<br />

Sprechen, Handschrift, visuelle Schwierigkeiten/Anomalien und Selbstvertrauen. Der<br />

lange Zeitraum von sechs Jahren erschien günstig, um mögliche Placebo-Effekte zu<br />

minimieren und gesichertere Ergebnisse zu bekommen. Der Vergleich mit der früheren<br />

Studie sollte Aufschluß darüber geben, ob sich die subjektive Einschätzung der Ver-<br />

besserungen durch die Benutzung der Farbfilter in einigen Bereichen geändert hat.<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 77<br />

Insgesamt konnte festgestellt werden, daß 94% der Befragten, die Farbfilter auch nach<br />

sechs Jahren als Hilfe empfunden haben. 66 (58%) waren der Meinung, daß sie im<br />

Ganzen eine deutliche Besserung durch die farbigen Brillengläser verspürten. 41<br />

(36%) sagten, daß ihnen die Farbfilter ein wenig halfen, während sie für 7 (6%) keinen<br />

Nutzen darstellten. Damit wurde das Ergebnis der Studie aus dem Jahre 1988<br />

bestätigt, <strong>bei</strong> der 93% diese als Hilfe empfunden hatten. Die Ergebnisse für die Einzel-<br />

bereiche können den folgenden Tabellen entnommen werden. In Tabelle 3 sind die<br />

Personen zusammengefaßt, die angegeben haben, daß sie eine Verbesserung, egal<br />

wie deutlich diese ist, durch die farbigen Gläser feststellen konnten. Sie enthält also<br />

alle Antworten, die von einigen oder von deutlichen Verbesserungen sprachen. In der<br />

zweiten Gegenüberstellung (vgl. Tabelle 4) wurden nur die Personen berücksichtigt,<br />

die von deutlichen Verbesserungen berichtet haben.<br />

Bereich 1988 1994 Differenz<br />

Gesamteinschätzung 93 % 94 % + 1 %<br />

Lesen<br />

Schwierigkeiten 91 % 90 % - 1 %<br />

Flüssigkeit 91 % 88 % - 3 %<br />

Verständnis 84 % 84 % ± 0 %<br />

Konzentration 85 % 88 % + 3 %<br />

Sprache (Lautsprache) 69 % 71 % + 2 %<br />

Handschrift 58 % 61 % + 3 %<br />

visuelle Schwierigkeiten/Anomalien<br />

Zeilen überspringen/auslassen 82 % 90 % + 8 %<br />

Verzerrungen von Buchstaben und Wörtern 81 % 92 % + 11 %<br />

Überanstrengung der Augen 84 % 78% - 4 %<br />

Müdigkeit (<strong>bei</strong>m Lesen) 56 % 68 % + 12 %<br />

Selbstvertrauen 68 % 77 % + 9 %<br />

Tabelle 3: Personen, die von Verbesserungen durch die Farbfilter berichten<br />

(vgl. WHITING/ROBINSON/PARROTT 1994, S. 16)<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 78<br />

Bereich 1988 1994 Differenz<br />

Gesamteinschätzung 57 % 58 % + 1 %<br />

Lesen<br />

Schwierigkeiten 38 % 48 % - 10 %<br />

Flüssigkeit 45 % 43 % - 2 %<br />

Verständnis 40 % 33 % - 7 %<br />

Konzentration 42 % 49 % + 7 %<br />

Sprache (Lautsprache) 35 % 22 % - 15 %<br />

Handschrift 29 % 25 % - 4 %<br />

visuelle Schwierigkeiten/Anomalien<br />

Zeilen überspringen/auslassen 34 % 50 % + 16 %<br />

Verzerrungen von Buchstaben und Wörtern 32 % 59 % + 27 %<br />

Überanstrengung der Augen 44 % 44 % ± 0 %<br />

Müdigkeit (<strong>bei</strong>m Lesen) 25 % 27 % + 2 %<br />

Selbstvertrauen 33 % 35 % + 2 %<br />

Tabelle 4: Personen, die von deutlichen Verbesserungen durch die Farbfilter<br />

berichten (vgl. WHITING/ROBINSON/PARROTT 1994, S. 17)<br />

Die deutlichsten Veränderungen in Tabelle 3 betreffen den Bereich der visuellen<br />

Schwierigkeiten, speziell die Verzerrung von Buchstaben und Wörtern (+ 11 %) und<br />

Müdigkeit <strong>bei</strong>m Lesen (+ 12 %), sowie das Selbstvertrauen (+ 9 %). Die Autoren be-<br />

gründen den Zuwachs mit der Reduzierung visueller Probleme, welche das Erkennen<br />

von Wörtern erleichtert und den Streß/die Anstrengung <strong>bei</strong>m Lesen verringert. Dadurch<br />

entsteht wiederum ein erhöhtes Vertrauen auf einen möglichen Erfolg <strong>bei</strong>m Lesen.<br />

Diese Veränderungen, die Verringerung des Stresses bzw. der Anstrengung und die<br />

Steigerung des Selbstvertrauens, können nicht mit einem Placebo-Effekt erklärt<br />

werden, sondern basieren auf einer tatsächlichen (positiven) Veränderung der visu-<br />

ellen Wahrnehmung.<br />

Die Differenzen <strong>bei</strong> der Anzahl der Personen, die eine deutliche Verbesserung durch<br />

die Farbfilter verspürten (vgl. Tabelle 4), werden von den Autoren auf die Tatsache<br />

zurückgeführt, daß sich die Beurteilungen der Befragten über den langen Zeitraum<br />

verändert hatten. So ist es wahrscheinlich, daß eine Veränderung, die nach kurzer Zeit<br />

(1988) als deutliche Verbesserung beurteilt wird, später (1994) nur noch als eine<br />

geringe angesehen wird, so z.B. im Bereich der Lautsprache (- 15 %). Genauso ist<br />

auch der umgekehrte Mechanismus möglich.<br />

Erst durch die Kombination <strong>bei</strong>der Tabellen zeigt sich, in welchen Bereichen es tat-<br />

sächlich zu einer Veränderung innerhalb der sechs Jahre gekommen war. So sind in<br />

der Tendenz und in der Stärke die Zuwächse im Bereich der visuellen Schwierigkeiten<br />

am deutlichsten. So geben von den Befragten 8 % mehr an, daß sich die Tendenz zum<br />

Überspringen von Zeilen gebessert hat, 11% mehr berichten von weniger Verzer-<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 79<br />

rungen der Buchstaben und Wörter <strong>bei</strong>m Lesen und 12 % mehr werden <strong>bei</strong>m Lesen<br />

nicht mehr so schnell müde. Die Tatsache, daß die Verbesserungen im Bereich der<br />

visuellen Wahrnehmungen nach sechs Jahren Erfahrung mit den Farbfiltern am<br />

häufigsten genannt werden, ist signifikant und kann nicht allein durch einen Placebo-<br />

Effekt erklärt werden.<br />

WHITING, ROBINSON und PARROTT weisen abschließend darauf hin, daß die Verbes-<br />

serung der visuellen Wahrnehmung nicht zwangsläufig auch zu einer Verbesserung<br />

der schriftsprachlichen Fähigkeiten führen muß. Da anzunehmen ist, daß die meisten<br />

der Befragten über die Jahre Ausweichstrategien entwickelt bzw. gelernt haben, fehlt<br />

ihnen zum einen die Übung im Lesen und zum anderen müssen diese Strategien erst<br />

abgebaut bzw. abgelegt werden.<br />

ROBINSON und CONWAY (1994) haben in ihrer Studie die Entwicklung der Lesefertigkeit<br />

über einen Zeitraum von vier Monaten beobachtet. Verglichen wurden da<strong>bei</strong> eine<br />

Versuchsgruppe mit 29 Kindern, <strong>bei</strong> denen Symptome des Meares-Irlen-Syndroms<br />

vorlagen, mit einer Kontrollgruppe von 31 Kindern. Von allen Kindern lagen augenärzt-<br />

liche Befunde vor, die nicht älter als ein Jahr waren und die keine Auffälligkeiten<br />

aufwiesen, d.h. auch eine vorhandene Brillenkorrektion war noch passend. Es wurde<br />

ferner darauf geachtet, daß die Gruppen eine Gleichverteilung bezüglich der sozialen<br />

Schicht, des Umfeldes (städtisch oder ländlich) und der Schulform (staatlich oder<br />

privat) aufwiesen und daß es keine nennenswerten Änderungen <strong>bei</strong> den Fördermaß-<br />

nahmen gab, die den Kindern angeboten wurden.<br />

Vor Beginn der Studie wurde mit jedem Kind ein Intelligenztest durchgeführt, der <strong>bei</strong><br />

allen einen durchschnittlichen IQ ergab. Ebenso wurde <strong>bei</strong> allen Kindern das erreichte<br />

Lesealter mit dem „Neale Analysis of Reading Ability“ 50 ermittelt. Das durchschnittliche<br />

Lesealter der Versuchsgruppe betrug 8,8 Jahre mit einer durchschnittlichen Differenz<br />

zum Lebensalter von 1,7 Jahren. In der Kontrollgruppe lag das Lesealter <strong>bei</strong> 9,4<br />

Jahren im Durchschnitt und die Differenz zum Lebensalter betrug durchschnittlich 1,9<br />

Jahre. Die Unterschiede zwischen den <strong>bei</strong>den Gruppen waren nicht signifikant.<br />

50 Dieser Lesetest verfügt über zwei Parallelformen, von denen die erste an dieser Stelle Verwendung<br />

fand. Ferner ermöglicht er eine Umrechnung der erreichten Rohwerte in Lesealter. Das<br />

Lesealter gibt einen Vergleichswert zur Norm an, d.h. erreicht ein getestetes Kind ein Lesealter<br />

von 8 Jahren, dann entspricht seine Leseleistung der eines durchschnittlichen Lesers von 8 Jahren.<br />

Die Angabe des Lesealters erfolgt hier nicht in Jahren und Monaten, sondern in Jahren bzw.<br />

Zehnteljahren.<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 80<br />

Die Probanden der Versuchsgruppe bekamen nun farbige Brillengläser angepaßt, die<br />

sie vier Wochen lang tragen sollten. Nach diesen vier Wochen wurde der Lesetest<br />

(zweite Form) wiederholt. Ferner wurden die Fehler analysiert, die von den Kinder <strong>bei</strong>m<br />

lauten Vorlesen gemachten wurden.<br />

Zusammenfassend kann als Ergebnis der Studie festgehalten werden, daß der<br />

Zuwachs der Lesegeschwindigkeit und des Leseverständnisses in der Versuchsgruppe<br />

signifikant höher war als in der Kontrollgruppe. Auch in der Lesegenauigkeit konnte<br />

zwar ein signifikanter Zuwachs in der Versuchsgruppe über den Zeitraum der Studie<br />

festgestellt werden, dieser war jedoch nicht signifikant unterschiedlich zu dem der<br />

Kontrollgruppe. Die Analyse der Fehler <strong>bei</strong>m lauten Vorlesen ergab eine signifikante<br />

Abnahme in der Anzahl der Pausen, <strong>bei</strong> der Ablehnung ein Wort zu lesen sowie <strong>bei</strong><br />

Graphemersetzungen und semantischen Ersetzungen (Substitutionen). Im Vergleich<br />

der <strong>bei</strong>den Gruppen war allerdings nur die Abnahme der Pausenzahl in der Versuchs-<br />

gruppe signifikant höher.<br />

Eine weitere Wichtige Studie stammt von ROBINSON und FOREMAN (Druck in Vorberei-<br />

tung) 51 . Ziel dieser Untersuchung war zum einen die Überprüfung eines möglichen<br />

Placebo-Effekts und zum anderen sollte die Entwicklung der Lesefertigkeiten in einem<br />

Zeitraum von 18 bis 20 Monaten beurteilt werden. Insgesamt nahmen 113 Ver-<br />

suchspersonen (Kinder mit Meares-Irlen-Syndrom) und 35 Kontrollpersonen (Kinder<br />

ohne Meares-Irlen-Syndrom) zu Beginn der Studie teil. Diese Anzahl verringerte sich<br />

aufgrund des Umzuges einiger Kinder im Laufe der Studie auf 88 in der Versuchs-<br />

gruppe und auf 28 in der Kontrollgruppe.<br />

Die Versuchsgruppe wurde noch einmal in drei Untergruppen geteilt. Die Versuchs-<br />

gruppe 1 erhielt in den ersten drei bis vier Monaten der Studie (erste Phase) ein<br />

Placebo, ähnlich wie <strong>bei</strong> der oben dargestellten Studie von WILKINS. Also die Grund-<br />

farbe ihrer Brillengläser entsprach zwar der als optimal getesteten Farbe, sie wich von<br />

dieser aber leicht ab, und zwar gerade soviel, daß sie nicht mehr in dem als optimal<br />

beschriebenen Bereich lag. Die Versuchsgruppe 2 bekam in der ersten Phase blaue<br />

Farbfilter. Grund dafür waren die theoretischen Überlegungen, daß die Farbe blau die<br />

Aktivität der phasischen Kanäle verstärkt und daher generell zu einer Verbesserung<br />

führen müßte (vgl. Kapitel 7). Die Versuchsgruppe 3 erhielt von Anfang an die als<br />

optimal getestete Farbe. Die Zusammensetzung der einzelnen Gruppen kann der<br />

Tabelle 5 entnommen werden.<br />

51 Ein Vorabexemplar wurde mir dankenswerter Weise von Herrn ROBINSON zur Verfügung gestellt.<br />

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Empirische Studien zur Irlen-Methode 81<br />

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durchschnittl.<br />

Lebensalter<br />

durchschnittl.<br />

Lesealter<br />

Jungen Mädchen<br />

Versuchsgruppe 1<br />

(Placebo)<br />

22 12 10,5 8,6<br />

Versuchsgruppe 2<br />

(blaue Gläser)<br />

24 17 10,6 8,8<br />

Versuchsgruppe 3<br />

(optimale Farbe)<br />

21 17 10,2 8,4<br />

Kontrollgruppe 19 15 10,1 7,9<br />

Tabelle 5: Zusammensetzung der Gruppen<br />

(vgl. ROBINSON/FOREMAN; Druck in Vorbereitung)<br />

Von allen Kinder lag ein augenärztlicher Befund vor, der nicht älter als zwölf Monate<br />

war und der keine Auffälligkeiten aufwies, d.h. auch die Brillenkorrektion bzw. Brillen-<br />

stärke hatte sich in diesem Zeitraum nicht geändert. Auf eine Gleichverteilung bezüg-<br />

lich der Schichtzugehörigkeit und des schulischen Umfeldes (ländlich oder städtisch)<br />

wurde geachtet. Alle an der Studie teilnehmenden Kinder wurden von ihren Lehrern als<br />

durchschnittlich intelligent bezeich<strong>net</strong>. Ferner wurde die Lesefertigkeit aller Kinder mit<br />

dem „Neale Analysis of Reading Ability“, Form 1 getestet und das entsprechende<br />

Lesealter ermittelt (die Durchschnittswerte des Lesealters sind für alle Gruppen in<br />

Tabelle 5 wiedergegeben).<br />

Allen Kindern aus den Versuchsgruppen wurde vor Beginn der Studie nur mitgeteilt,<br />

daß sie an einer Langzeitstudie zum Effekt von farbigen Filtern teilnehmen und daß<br />

von der zu jeder Phase der Studie verord<strong>net</strong>en Farbe erwartet wird, daß sie das Lesen<br />

erleichtert. Um den möglichen Placebo-Effekt zu überprüfen, wurden die Tester 52 nicht<br />

über den jeweiligen Stand bzw. die jeweilige Phase der Studie informiert. Sie wußten<br />

auch nicht zu welcher Gruppe das gerade von ihnen getestete Kind gehört.<br />

Der Verlaufsplan (vgl. Tabelle 6) der Studie sah vor, daß nach der ersten Phase eine<br />

Wiederholung der Tests zur Lesefertigkeit erfolgte, verwendet wurde da<strong>bei</strong> der „Neale<br />

Analysis of Reading Abilitiy“, Form 2. Mit Beginn der anschließenden zweiten Phasen<br />

bekamen die Kinder der Versuchsgruppe 1 (Placebo) und der Versuchsgruppe 2<br />

(blauer Filter) die vorher als optimal getesteten Farben. Ein längeres Tragen von nicht<br />

ganz „passenden“ farbigen Brillengläsern wollten die Autoren den Kindern aus<br />

ethischen Gründen nicht zumuten. Eine weitere Testung erfolgte 7 bis 8 Monate nach<br />

Studienbeginn, diesmal wieder mit der Form 1 des genannten Lesetests. Die abschlie-<br />

ßende Überprüfung erfolgte nach weiteren 11 bis 12 Monaten, also 18 bis 20 Monate<br />

nach Beginn der Studie.<br />

52 Unter Tester sind in diesem Fall die Personen zu verstehen, die mit den Kindern den Test zur<br />

Lesefertigkeit durchführten.


Empirische Studien zur Irlen-Methode 82<br />

Versuchsgruppe 1 Versuchsgruppe 2 Versuchsgruppe 3 Kontrollgruppe<br />

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Vor Beginn der Studie: „Neale Analysis of Reading Ability“, Form 1<br />

Placebo<br />

für 3-4 Monate<br />

blaue Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

optimale Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

keine Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

3-4 Monate nach Studienbeginn: „Neale Analysis of Reading Ability“, Form 2<br />

optimale Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

optimale Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

optimale Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

keine Farbfilter<br />

für 3-4 Monate<br />

7-8 Monate nach Studienbeginn: „Neale Analysis of Reading Ability“, Form 1<br />

optimale Farbfilter<br />

für 11-12 Monate<br />

optimale Farbfilter<br />

für 11-12 Monate<br />

optimale Farbfilter<br />

für 11-12 Monate<br />

keine Farbfilter<br />

für 11-12 Monate<br />

18-20 Monate nach Studienbeginn: „Neale Analysis of Reading Ability“, Form 2<br />

Tabelle 6: Verlaufsplan der Studie (vgl. ROBINSON/FOREMAN; Druck in Vorbereitung)<br />

Bei der Auswertung der Testergebnisse zur Lesegeschwindigkeit zeigt sich kein signifi-<br />

kanter Effekt für die Versuchsgruppen über den gesamten Untersuchungszeitraum. Ein<br />

signifikanter Unterschied in der Entwicklung der Lesegeschwindigkeit kann lediglich<br />

zwischen der Versuchsgruppe 1 (Placebo) und der Kontrollgruppe für die letzte Phase<br />

der Studie (achter bis zwanzigster Monat) festgestellt werden. Der Zuwachs der Lese-<br />

geschwindigkeit in den Versuchsgruppen 1 und 2 zum Zeitpunkt des Wechsels zur<br />

optimalen Farbe (vierter Monat) ist nur für die Placebo-Gruppe signifikant. Die<br />

Entwicklung der Lesegeschwindigkeit während der Studie ist für alle vier Gruppen in<br />

Abbildung 20 veranschaulicht.<br />

Lesealter<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

0 4 8 12 16 20 Monate<br />

Versuchsg. 1<br />

(Placebo)<br />

Versuchsg. 2<br />

(blauer Filter)<br />

Versuchsg. 3<br />

(optimale Farbe)<br />

Kontrollg.<br />

Abbildung 20: Die Entwicklung der Lesegeschwindigkeit über den Zeitraum der<br />

Studie (vgl. ROBINSON/FOREMAN; Druck in Vorbereitung)


Empirische Studien zur Irlen-Methode 83<br />

In der Lesegenauigkeit kann für alle Gruppen ein signifikanter Zuwachs über den<br />

gesamten Untersuchungszeitraum festgestellt werden. Er beträgt in den Versuchs-<br />

gruppen ungefähr zwei Jahre im Lesealter und für die Kontrollgruppe ziemlich genau 1<br />

Jahr. Zwar ist damit auch der Zuwachs in der Kontrollgruppe signifikant, in den<br />

Versuchsgruppen ist er aber deutlich höher. Zum Zeitpunkt des Wechsels der Farbe ist<br />

für die Placebo-Gruppe und die „blaue“ Gruppe eine verstärkte Zunahme der Lese-<br />

genauigkeit erkennbar, diese ist aber nicht signifikant.<br />

Lesealter<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

0 4 8 12 16 20 Monate<br />

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Versuchsg. 1<br />

(Placebo)<br />

Versuchsg. 2<br />

(blauer Filter)<br />

Versuchsg. 3<br />

(optimale Farbe)<br />

Kontrollg.<br />

Abbildung 21: Die Entwicklung der Lesegenauigkeit über den Zeitraum der Studie<br />

(vgl. ROBINSON/FOREMAN; Druck in Vorbereitung)<br />

Als dritter Bereich der Lesefertigkeit wird das Leseverständnis genauer betrachtet (vgl.<br />

Abbildung 22). In diesem Teilbereich zeigt sich ebenfalls eine signifikante Zunahme<br />

über den gesamten Beobachtungszeitraum, in den Versuchsgruppen von ca. drei<br />

Jahren und in der Kontrollgruppe wiederum von einem Jahr. Damit ist der Zuwachs im<br />

Leseverständnis der Versuchsgruppen nicht nur deutlich, sondern auch signifikant<br />

größer. Der verstärkte Zuwachs für die Versuchsgruppen 1 und 2 zum Zeitpunkt des<br />

Farbwechsels ist ebenfalls signifikant größer als <strong>bei</strong> der Kontrollgruppe.


Empirische Studien zur Irlen-Methode 84<br />

Leseverständnis<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

0 4 8 12 16 20 Monate<br />

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Versuchsg. 1<br />

(Placebo)<br />

Versuchsg. 2<br />

(blauer Filter)<br />

Versuchsg. 3<br />

(optimale Farbe)<br />

Kontrollg.<br />

Abbildung 22: Die Entwicklung des Leseverständnisses über den Zeitraum der Studie<br />

(vgl. ROBINSON/FOREMAN; Druck in Vorbereitung)<br />

Sicherlich ließen sich an dieser Stelle zahlreiche weitere empirische Studien darstellen,<br />

die den Erfolg der Irlen-Methode untersucht haben. ROBINSON und FOREMAN (Druck in<br />

Vorbereitung) haben die Untersuchungen zusammengefaßt, die sich mit den Auswir-<br />

kungen der Irlen-Methode auf das Lesen befaßt haben. Demnach haben sich bis heute<br />

48 englischsprachige Studien (ihre eigene nicht mitgerech<strong>net</strong>) der Erforschung dieses<br />

Zusammenhangs gewidmet. Positive Effekte auf die Lesefertigkeit durch die Be-<br />

nutzung von Farbfiltern, egal ob farbige Lesefolien oder Brillengläser, konnten von 42<br />

dieser Studien (87,5 %) aufgezeigt werden, nicht selten sogar mit signifikanten<br />

Zuwächsen in einigen Teilaspekten des Lesens, wie z.B. Lesegeschwindigkeit oder<br />

Leseverständnis. Eine der Studien, die nicht zu positiven Ergebnissen gekommen ist,<br />

wird aufgrund methodischer Mängel kritisiert, so sei <strong>bei</strong> ihr das Screening auf<br />

Symptome des Meares-Irlen-Syndroms nicht durchgeführt worden.<br />

Ferner haben einige Studien gezeigt, daß sich Sehprobleme und asthenope<br />

Beschwerden durch die Farbfilter verringern. Ebenfalls nicht zu vergessen sind die<br />

positiven Bewertungen durch die Benutzer der Farbfilter selbst. In Studien, die diesem<br />

Aspekt Rechnung getragen haben, zeigte sich, daß 82% bis 93% der Befragten<br />

positive Veränderungen durch die Farbfilter wahrgenommen haben. Dadurch daß<br />

unterschiedlich lange Zeiträume in die Untersuchungen eingingen 53 , ist anzunehmen,<br />

daß die subjektiv erlebten Verbesserungen durch die Nutzung der farbigen Brillen-<br />

gläser auch über längere Zeit vorhanden sind. Diese Ergebnisse sprechen zunächst<br />

53 Betrachtet wurden Zeiträume von einem Monat bis sechs Jahren, in denen die Farbfilter benutzt<br />

wurden.


Empirische Studien zur Irlen-Methode 85<br />

auch gegen einen möglichen Placebo-Effekt der Irlen-Methode. Einschränkend muß<br />

aber gesagt werden, daß dieser bis heute noch nicht ausreichend erforscht ist. So<br />

erwähnen ROBINSON und FOREMAN nur zwei Studien, die sich diesem möglichen<br />

Placebo-Effekt explizit angenommen haben.<br />

Einige wenige Studien haben sich bereits mit den Auswirkungen der farbigen Gläser<br />

auf Teilprozesse der visuellen Sensorik beschäftigt, wie auf die Akkommodation oder<br />

auf die Augenbewegungen. Zwar zeigen diese ebenfalls positive Ergebnisse, aufgrund<br />

der geringen Anzahl können diese aber noch nicht als gesichert gelten, was weitere<br />

Untersuchungen nötig macht.<br />

Kritisch angemerkt werden muß, daß derzeit noch keine Untersuchungen vorliegen,<br />

welche Rolle das soziale Umfeld <strong>bei</strong>m Tragen von Farbfiltern spielt. Es ist also z.B.<br />

offen, in welchen Zusammenhängen und wie das soziale Umfeld positiv oder bestär-<br />

kend auf die farbigen Brillengläser reagiert. Aus vereinzelten Rückmeldungen während<br />

einer Studie läßt sich vermuten, daß z.B. Einflüsse der Peer-Group dazu führen<br />

können, daß die farbigen Filter zwar zu Hause aber nicht in der Schule verwendet<br />

werden. In diesem Zusammenhang wäre interessant, ob sich in solchen Fällen<br />

ebenfalls positive Effekte einstellen. Ferner sollte überlegt werden, was sich an der<br />

schulischen Situation ändern müßte, damit diese Kinder die Farbfilter auch dort<br />

benutzen. Denn daß sie einen subjektiven Nutzen in ihnen sehen, wird aus der<br />

Tatsache deutlich, daß sie diese zu Hause verwenden.<br />

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Abschließende Diskussion 86<br />

9. Abschließende Diskussion<br />

Abschließend sollen in diesem Kapitel die vorangegangen Überlegungen zusammen-<br />

fassend diskutiert werden, wo<strong>bei</strong> verschiedene Aspekte beachtet werden. So erscheint<br />

eine Einordnung in die bestehende Diskussion um die Verursachung der Lese-<br />

Rechtschreibschwäche genauso bedeutsam, wie mögliche Konsequenzen für den<br />

pädagogischen Alltag. Nicht zuletzt soll ein Ausblick auf denkbare weiterführende<br />

Forschungsprojekte versucht werden.<br />

Es wurde gezeigt, daß Sehprobleme einen Einfluß auf das Lesen und auf andere<br />

Bereiche des schulischen Lernens haben können. Da<strong>bei</strong> sind es nicht immer die<br />

eigentlichen Sehstörungen, z.B. eine Hyperopie (Übersichtigkeit), die Probleme verur-<br />

sachen. Vielmehr machen die Anstrengungsprobleme, die sogenannten asthenopen<br />

Beschwerden, den Kindern Schwierigkeiten. Für einige von ihnen stellt die Mehrbe-<br />

lastung durch die zusätzliche Muskelar<strong>bei</strong>t zum Ausgleich der Fehlsichtigkeit ein<br />

enormes Hindernis dar, das ihnen das Vorankommen auf ihrem „Lernweg“ erschwert<br />

oder sogar unmöglich macht.<br />

Im Zusammenhang mit der Diskussion um eine mögliche Verursachung von LRS durch<br />

Sehprobleme wird immer wieder angeführt, daß lese-rechtschreibschwache Kinder<br />

nicht häufiger von Fehlsichtigkeiten betroffen sind als „normal“ lesende Kinder. Das ist<br />

zwar im Prinzip richtig, es wurde da<strong>bei</strong> jedoch unterlassen, zwischen primären und<br />

sekundären Sehfehlern zu unterscheiden, wie dies LIE (1993) vorgeschlagen hat.<br />

Demnach ist das Hauptaugenmerk in der Diskussion um einen möglichen bedingenden<br />

Zusammenhang zwischen Fehlsichtigkeiten und Leseproblemen nicht auf die primären,<br />

meßbaren Sehfehler zu legen, sondern auf die sekundären. Hinter diesen Über-<br />

legungen steht die Beobachtung, daß je nach persönlicher Situation eines Kindes<br />

primäre Sehfehler ausgeglichen werden können oder auch nicht. Im zweiten Fall, also<br />

wenn der Ausgleich nicht oder nur teilweise geleistet werden kann, kommt es zu<br />

sekundären Sehfehlern. Diese sind als Symptome der dargestellten Sehstörungen<br />

behandelt worden. Zu denken ist da<strong>bei</strong> an den Doppeleffekt und andere Schwierig-<br />

keiten <strong>bei</strong> der Textwahrnehmung. Es geht also um die Frage, inwieweit ein Kind durch<br />

eine vorhandene Fehlsichtigkeit oder durch eine Störung der visuellen Sensorik<br />

subjektiv belastet wird. Um jedoch eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, hilft die<br />

Feststellung, daß ein primärer Sehfehler vorliegt nur bedingt. Viel wichtiger ist, das<br />

Kind zu beobachten, wie es sich <strong>bei</strong>m Lesen oder ähnlichen Tätigkeiten verhält.<br />

Genauso wichtig ist es, Aussagen des Kindes ernst zu nehmen. Wenn ein Kind sagt,<br />

es bekomme Kopfschmerzen <strong>bei</strong>m Lesen, sollte dieses nicht damit abgetan werden,<br />

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Abschließende Diskussion 87<br />

daß das Kind nur eine Ausrede sucht, um nicht lesen zu müssen, sondern es sollte<br />

dem nachgegangen werden.<br />

Ein weiterer Aspekt, auf den nochmals explizit hingewiesen werden soll, ist die Tat-<br />

sache, daß die meisten der hier beschrieben visuellen Sensorikstörungen „situations-<br />

abhängig“ sind. Damit ist gemeint, daß sie zum einen von der sogenannten<br />

„Tagesform“ des Kindes abhängen, zum anderen durch äußere Faktoren, wie z.B.<br />

Streß, beeinflußt werden. Letztlich spielt auch die Art und Dauer der Tätigkeit eine<br />

Rolle. Solange das Kind relativ entspannt ist und genügend „Kraftreserven“ hat, wird es<br />

sicherlich eine gewisse Zeitlang seine Probleme verbergen können. Je mehr es aller-<br />

dings ermüdet, desto deutlicher werden seine visuellen Schwierigkeiten. Ähnlich<br />

verhält es sich mit der Umwelt. Je mehr Druck von außen entsteht, je mehr sich das<br />

Kind bemüht etwas zur Zufriedenheit des Lehrers oder der Eltern richtig zu machen,<br />

desto weniger Aufmerksamkeit kann es auf sein Sehen legen, das ihn folglich sehr<br />

schnell „im Stich läßt“. Ferner spielt auch, wie bereits gesagt, die Art der Tätigkeit eine<br />

Rolle. Jede Tätigkeit in der Nähe, wie z.B. Lesen oder Basteln, stellt eine hohe Anfor-<br />

derung an das Sehen, die mit einer nicht zu unterschätzenden Muskelar<strong>bei</strong>t für die<br />

Akkommodation und die Konvergenz (motorische Fusion) einhergeht. Muß das Kind<br />

nun zusätzliche Energie auf diese Prozesse verwenden, um in der Nähe sehen zu<br />

können, dann ist es einsichtig, daß es schneller ermüdet.<br />

Darüber hinaus behindern die Sehstörungen nicht nur das Lesen oder Lernen, sondern<br />

wirken auch auf die Lernhaltung des Kindes zurück. Wenn ihm bekannt ist, daß es<br />

nach kurzer Zeit des Lesens visuelle Schwierigkeiten bekommt, oder sogar körperliche<br />

Symptome wie Kopfschmerzen folgen, dann wird es nicht freiwillig lesen. Das scheint<br />

verständlich, denn wer beschäftigt sich schon gerne mit etwas, von dem genau weiß,<br />

daß es nach kurzer Zeit z.B. zu Kopfschmerzen führt. Visuelle Sensorikstörungen be-<br />

hindern also nicht nur durch ihre Existenz, sondern auch durch ihren demotivierenden<br />

Charakter.<br />

Warum sollten Pädagogen diese Zusammenhänge kennen? Diese Frage kann mit<br />

unterschiedlichen Begründungen beantwortet werden. Zuallererst hilft ihnen das<br />

Wissen, entsprechende Anzeichen zu erkennen und folglich eine augenärztliche oder<br />

augenoptische Untersuchung zu empfehlen. Ferner ist es ihnen möglich, das Verhalten<br />

und die Leistung eines Schülers anders zu beurteilen. So trägt dieses Wissen zum<br />

Verständnis <strong>bei</strong>, warum ein Schüler <strong>bei</strong> Stillar<strong>bei</strong>ten unkonzentriert wirken kann. Es<br />

erklärt, warum z.B. ein Test oder eine Klassenar<strong>bei</strong>t zu Beginn noch „gut“ bzw.<br />

„ordentlich“ bear<strong>bei</strong>tet worden ist, zum Ende jedoch immer mehr Fehler aufweist.<br />

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Abschließende Diskussion 88<br />

Das entscheidende Argument ist jedoch, daß durch die Kenntnis um diese Zusam-<br />

menhänge unnötige Förderstunden vermieden werden. Damit ist nicht gemeint, daß<br />

ein Kind, das aufgrund eines Sehfehlers Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Erlernen der Schrift-<br />

sprache hatte, nach der Korrektion derselben keine Förderung mehr benötigt. Denn<br />

sicherlich haben sich im Laufe der Zeit, in der das eigentliche Problem, die Sehstörung,<br />

nicht erkannt wurde, auch Defizite im Bereich schriftsprachlicher Leistungen im<br />

Vergleich zu den Klassenkameraden eingestellt. Ist jedoch das eigentlich „Hindernis“<br />

beseitigt, dann wird die Förderung schneller zu Erfolgen führen und diese Lernerfolge<br />

werden zudem motivierend wirken. Um es noch einmal kurz zu sagen, die Korrektion<br />

eines Sehfehlers macht Förderung nicht unnötig, sie verschafft dem Kind jedoch eine<br />

Erleichterung, die Lernerfolge ermöglicht.<br />

Für die Zukunft wäre es demnach wünschenswert, daß sich das Wissen um die<br />

subjektiven und individuellen Schwierigkeiten, die bereits von kleinsten Störungen der<br />

visuellen Sensorik verursacht sein können, weiter verbreitet. Gleiches gilt für die<br />

Methoden der Prismen- und der Farbkorrektion, die in ihrer Durchführung bzw. Anwen-<br />

dung einfach sind und doch unmittelbar enorme Wirkung haben können. Um diese zu<br />

erreichen ist jedoch noch erhebliche Aufklärungs- und Überzeugungsar<strong>bei</strong>t nötig.<br />

Auf der einen Seite müssen erst die guten Erfahrungen und Erfolge mit den Methoden<br />

im Kreis der Fachleute bekannter werden, die sich mit der Förderung von lese-recht-<br />

schreibschwachen Kindern beschäftigen, wie z.B. <strong>bei</strong> Grund- und Förderschullehrern,<br />

Psychologen und Therapeuten. Dazu gehört sicherlich, daß sich Vertreter dieser<br />

Gruppe den Methoden annehmen, sie anwenden und ihre Erfahrungen einer breiteren<br />

Basis zur Diskussion stellen. Forschungsprojekte zum Erfolg der Irlen-Methode, wie sie<br />

bereites in Australien, den USA und Großbritannien durchgeführt worden sind, sollten<br />

unter Beteiligung der Gruppe von förderpädagogisch tätigen Fachleuten in Deutsch-<br />

land in Betracht gezogen werden. Gleiches gilt für die Prismenkorrektion, zu der bereits<br />

erste Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum vorliegen.<br />

Auf der anderen Seite sollten die Vertreter der Augenheilkunde, also Augenärzte und<br />

Augenoptiker, über das Syndrom der Lese-Rechtschreibschwäche aufgeklärt werden.<br />

Ferner ist es wünschenswert, daß die Erfahrungen mit der Korrektion von Sehfehlern<br />

<strong>bei</strong> betroffenen Kindern in dieser Gruppe diskutiert werden, daß <strong>bei</strong> aller Skepsis, die<br />

von einigen Vertretern aus diesem Bereich speziell der Prismenkorrektion entgegen-<br />

gebracht wird, die nachgewiesenen Erfolge zu einer breiteren Anwendung der Korrek-<br />

tionsmethoden <strong>bei</strong>tragen.<br />

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Abschließende Diskussion 89<br />

Auf jeden Fall erscheint es sinnvoll, auch im deutschen Sprachraum der Einfluß der<br />

Korrektion von Sehstörungen auf die LRS zu erforschen, wo<strong>bei</strong> die Beteiligung von<br />

Vertretern aller davon berührten Fachdisziplinen wünschenswert wäre. Es sollte sich<br />

da<strong>bei</strong> jedoch nicht nur auf die isolierte Betrachtung der Methoden konzentriert werden.<br />

Mögliche Zusammenhänge zwischen der Winkelfehlsichtigkeit und dem Meares-Irlen-<br />

Syndrom sollten in Betracht gezogen werden, so gibt es erste positive Erfahrungen aus<br />

Holland, <strong>bei</strong> denen zur Prismenkorrektion die optimale Farbe verord<strong>net</strong> wurde (vgl.<br />

SCHROTH 1997, S. 12). Erfahrungen von SCHROTH 54 zeigen, daß vor der Brillenan-<br />

passung durch eine Farbfolie das Lesen verbessert werden kann. Nach der Brillen-<br />

korrektion, oft mit einer Prismenbrille, ist eine Verbesserung durch Farbe nicht mehr<br />

erkennbar. Diese zwei scheinbar widersprüchlichen Beobachtungen legen nahe, daß<br />

<strong>bei</strong>de Methoden gleichwertig sind und/oder sich ergänzen können.<br />

Darüber hinaus sollte über Möglichkeiten nachgedacht werden, wie die Symptome der<br />

betroffenen Kinder eventuell durch eine Umgestaltung der schulischen Lernsituation<br />

gelindert werden können. So könnte z.B. der Einfluß der Beleuchtung im Klassenraum<br />

überprüft werden. Die üblichen Leuchtstoffröhren geben genau das häufig als unan-<br />

genehm empfundene fluoreszierende Licht ab. Weitere Maßnahmen, deren Erfolg zu<br />

überprüfen wäre, sind z.B. der Verzicht von Hochglanzpapier in Schulbüchern, die Ver-<br />

wendung verschiedenfarbiger Kopierpapiere oder die Wahl der Schriftart und -größe<br />

von Textvorlagen.<br />

Zuletzt sollte die neuropsychologische und neuroanatomische Forschung nicht ver-<br />

gessen werden. Sie steckt in diesem speziellen Bereich noch am Anfang ihrer<br />

Entwicklung, hat aber bereits erwähnenswerte Ergebnisse und Zusammenhänge<br />

aufgezeigt. Es sind jedoch weitere wichtige Bereiche offen, zu denen sie sicherlich<br />

entscheidende Beiträge liefern kann. So stellt sich aus dem Wissen um die <strong>bei</strong>den<br />

Kanäle in der visuellen Nervenbahn z.B. die Frage, ob es äquivalente Subsysteme in<br />

der auditiven Sensorik gibt, mit denen eventuell die häufig beobachteten auditiven<br />

und/oder phonologischen Diskriminierungsschwächen erklärt werden können. Denkbar<br />

wäre, daß der seitliche Kniehöcker auch eine entscheidende Rolle in der auditiven<br />

Sensorik spielt, da sich an dieser Stelle Sehbahn und Hörbahn kreuzen und <strong>bei</strong>de<br />

Nervenbahnen verschaltet werden. Wodurch wiederum ein gemeinsames Auftreten<br />

von auditiven und visuellen Problemen erklärbar werden könnte. Ferner sollte den<br />

Überlegungen weiter nachgegangen werden, die bereits in Kapitel 7.5 angedeutet<br />

wurden und die davon ausgehen, daß es Analoges zu den zwei sensorischen Kanälen<br />

auch auf höheren zentral-nervösen Ebenen geben könnte.<br />

54 Persönliche, schriftliche Mitteilung vom 23. Februar 1999.<br />

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Abschließende Diskussion 90<br />

Zum Abschluß noch ein paar persönliche Gedanken und Wünsche des Autors:<br />

Während eines Vortrags von Herrn SCHROTH 55 hatte ich die Gelegenheit die Wirkung<br />

der farbigen Lesefolien selbst auszuprobieren und konnte da<strong>bei</strong> mit Erstaunen<br />

feststellen, daß einige Farben tatsächlich zu einer besseren, schärferen Abbildung des<br />

Textes führten. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund der theoretischen<br />

Überlegungen bin ich der Meinung, daß mit der Irlen-Methode eine Möglichkeit vorliegt,<br />

die Kindern mit einer Störung der visuellen Sensorik auf einfache, schnelle und zudem<br />

sehr erfolgreiche Weise helfen kann. Es ist also zu hoffen, daß die Methode in<br />

Deutschland bald bekannter wird. Durch die Anwendung der Irlen-Methode und der<br />

Prismenkorrektion kann mit Sicherheit einer gewissen Anzahl von Kindern, wie vielen<br />

wird die Zukunft zeigen, zu einem leichteren Lernen verholfen werden kann, wodurch<br />

ihnen eine Reihe frustrierender Mißerfolgserlebnisse ebenso wie der oft erfolglose<br />

Förderunterricht erspart bleiben.<br />

Sicherlich ist weitere Forschungsar<strong>bei</strong>t nötig, um sichere Aussagen über den Erfolg der<br />

Methoden bezüglich der Beeinflussung einer LRS oder sogar bezüglich einer Prophy-<br />

laxe machen zu können. Ferner sollte der Frage nachgegangen werden, welche Kinder<br />

von diesen Methoden profitieren können. In diesem Zusammenhang ist eventuell an<br />

eine Art „Erkennungsprogramm“, einen Katalog mit Symptomen, die eindeutige<br />

Hinweise auf das Vorliegen einer visuellen Problematik geben, oder sogar an einen<br />

Test zur Früherkennung zu denken. Dieser kann meiner Meinung nach nur durch eine<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t bzw. durch eine gemeinsame Forschung von Pädagogen, Psycho-<br />

logen, Therapeuten und Augenärzten oder Augenoptikern erreicht werden.<br />

Zum Schluß sein noch einmal darauf hingewiesen, daß wir Pädagogen - und ich<br />

schließe mich selbst ein - den Aussagen unserer Schüler mehr Aufmerksamkeit und<br />

Glauben entgegen bringen sollten, als das zur Zeit manchmal der Fall ist. Ich bin der<br />

Meinung, daß ein Kind, wenn es sagt, daß es <strong>bei</strong>m Lesen Kopfschmerzen bekommt,<br />

keine Ausrede dafür sucht, nicht lesen zu müssen. In einem solchen Fall würde ich<br />

immer erst einmal davon ausgehen, daß ein Problem vorliegt, dem nachzugehen ist.<br />

55 Zu dem Vortrag hatte im Juni 1998 die Wissenschaftliche Vereinigung für Augenoptik und<br />

Optometrie e.V. (Landesgruppe Ostwestfalen) eingeladen. An diesem Abend sprach Herr Schroth<br />

zum Thema „Neue Möglichkeiten der Korrektion von visuellen Problemen <strong>bei</strong> Lese- und<br />

Rechtschreibschwäche (LRS)“.<br />

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