Interview - Physio-Verband
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PHYSIOTHERAPIE FÜR KINDER<br />
Im Gespräch mit der Kindertherapeutin Monja Sales Prado, <strong>Physio</strong>therapeutin, MSc.<br />
Welchen Weg sollten Eltern gehen, wenn sie vermuten, dass ihr Kind Hilfe braucht: Können sie sich direkt an<br />
einen Therapeuten wenden oder müssen sie zunächst zum Kinderarzt?<br />
• Der Weg zum <strong>Physio</strong>therapeuten führt immer über den Kinderarzt. Dieser stellt eine Verordnung aus,<br />
mit der die Eltern dann zum <strong>Physio</strong>therapeuten gehen können. <strong>Physio</strong>therapeuten haben keinen sogenannten<br />
First Contact. Das heißt, sie dürfen ohne ärztliche Überweisung nicht behandeln. Erlaubt ist<br />
lediglich eine Beratung. Für eine physiotherapeutische Behandlung muss hingegen immer ein Rezept<br />
des Arztes vorliegen. Eine Besonderheit gibt es: Wenn eine Erstverordnung durch den Arzt erfolgt ist,<br />
können <strong>Physio</strong>therapeuten bei derselben Diagnose und mit dem Heilmittel, das bisher ärztlich verordnet<br />
war, weiterbehandeln. Eltern müssen die Weiterbehandlung in diesem Fall aber privat zahlen.<br />
Wie sieht eine kindgerechte <strong>Physio</strong>therapie aus?<br />
• Ganz wichtig ist es, sowohl auf die Eltern als auch auf das Kind einzugehen. Dabei sollten <strong>Physio</strong>therapeuten<br />
stets den familiären Kontext im Blick haben: Die ganze Familie muss sich wohlfühlen. Auch<br />
dass das Umgehen altersspezifisch ist, ist sehr wichtig. Ob die Eltern bei der Behandlung dabei sind<br />
oder nicht, wird ganz unterschiedlich und je nach Situation und Alter gehandhabt. Bei Säuglingen sind<br />
Mutter oder Vater natürlich anwesend. Bei älteren Kindern, zum Beispiel Kindergartenkindern, sind sie<br />
oft nur anfangs dabei. Entscheidend ist hier die individuelle Situation: Was wollen Eltern und Kind? Soll<br />
die Mutter oder der Vater ein bestimmtes Handling erlernen und deshalb bei der Therapie zuschauen<br />
usw.<br />
Worin unterscheidet sich das therapeutische Arbeiten mit Kindern von dem mit Erwachsenen?<br />
• Zunächst einmal: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Mit Kindern zu arbeiten ist anders als mit<br />
Erwachsenen. Der jeweilige Entwicklungsstand muss immer beachtet werden. Den Eltern Beratung<br />
und auch Anleitung zu geben, ist in der Kindertherapie maßgeblich, die Grenzen zwischen Therapie<br />
und Beratung sind oft fließend. Natürlich ist Kindertherapie auch sehr spielerisch. Wir arbeiten beispielsweise<br />
mit Pezzibällen, am Spiegel, an der Sprossenwand. Oder wir gehen auf altersspezifische<br />
Spielsituationen, wie beispielsweise Kochen, Bauen, Malen etc., ein. Es geht darum, die Kinder in ihrer<br />
normalen Lebenssituation abzuholen.<br />
Brauchen Therapeuten, die Kinder behandeln, eine besondere Ausbildung?<br />
• Ja, auf jeden Fall. Kinder sollten nur von <strong>Physio</strong>therapeuten behandelt werden, die auch auf Kinder<br />
spezialisiert sind. Kindertherapeuten haben eine spezielle Ausbildung. Darauf sollten Eltern immer achten.<br />
ZVK-Landesverband Baden-Württemberg • Fritz-Walter-Weg 19 • 70372 Stuttgart • Tel. 0711. 925 41 0 • info@physio-verband.de • www.physio-verband.de<br />
Deutscher <strong>Verband</strong> für <strong>Physio</strong>therapie<br />
Zentralverband der <strong>Physio</strong>therapeuten/Krankengymnasten (ZVK) e.V<br />
Landesverband Baden-Württemberg e.V.<br />
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Wo können sich Eltern informieren?<br />
• Infos bekommen Eltern zum Beispiel über den Deutschen <strong>Verband</strong> für <strong>Physio</strong>therapie (ZVK) e.V. Auf<br />
der Internetseite des Landesverbands Baden-Württemberg www.physio-verband.de können Eltern beispielsweise<br />
über die „Therapeutensuche“ geeignete <strong>Physio</strong>therapeuten ausfindig machen. Ebenfalls<br />
Unterstützung bieten die Bobath-Vereinigung oder die Vojta-Gesellschaft.<br />
Arbeiten Kinderphysiotherapeuten auch mit Kollegen anderer Fachdisziplinen zusammen?<br />
• Ja, unbedingt. Als Kindertherapeut sollte man immer bereit sein, interdisziplinär zu arbeiten. Ein enger<br />
Austausch mit beispielsweise Ergotherapeuten, Kindergarten-Erziehern oder Kinderärzten ist wichtig.<br />
<strong>Physio</strong>therapeuten sollten sich darüber hinaus mit der Verordnung von Hilfsmitteln auskennen, um die<br />
Eltern gut beraten zu können. Ein Beispiel: Das Kind hat eine neurologische Erkrankung und benötigt<br />
einen Rollstuhl. Hier kann der Therapeut helfen und die Familie bei der Verordnung des adäquaten<br />
Hilfsmittels beraten. Ziel ist, dass <strong>Physio</strong>therapeut und Orthopädiemechaniker Hand in Hand arbeiten<br />
und so gemeinsam die Familie unterstützen.<br />
Welche Therapieformen gibt es im Bereich Kinderphysiotherapie?<br />
• Zwei Hauptrichtungen in der Kinderphysiotherapie sind Bobath und Vojta. Bei der Vojta-Therapie werden<br />
Kinder in bestimmte Ausgangssituationen gebracht und dort gehalten. In dieser Ausgangsstellung<br />
kommt es zu aktiven Reaktionen, die die Entwicklung des Kindes positiv unterstützen. Vater oder Mutter<br />
schauen dabei zu, um die Übungen dann zuhause mit ihrem Kind regelmäßig durchzuführen. Die<br />
Bobath-Kindertherapie ist eine alltagsbezogene Therapieform. Wie wickle ich das Kind am besten?<br />
Wie füttere ich es richtig? Wie ziehe ich es am besten an? Ziel ist dabei immer, die senso-motorische<br />
Entwicklung des Kindes zu fördern. Die Übungen werden dabei in den Alltag integriert. Eine weitere<br />
Therapieform ist die Sensorische Integration. Hier geht es um eine Wahrnehmungsschulung. Neben<br />
der Einzeltherapie können Kinder auch an Gruppentherapien teilnehmen. Zum Beispiel gibt es Psychomotorikgruppen<br />
oder Kinderrückenschule. Die Kinderrückenschule kann im Rahmen von Prävention<br />
oder auch im Anschluss einer Einzeltherapie erfolgen. Auch Manualtherapeuten gibt es extra für<br />
Kinder. Wenn zum Beispiel Blockaden im Bereich des Skeletts vorliegen, macht das Sinn. Ein großer<br />
Bereich ist ferner die Atemtherapie. Sie wird in der Behandlung von Mukoviszidose oder bei Kindern<br />
mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen eingesetzt. Im Fall von neurologischen Erkrankungen<br />
oder Haltungsschäden kann man auch die Hippotherapie anwenden, also die Therapie auf dem Pferd.<br />
Diese wird jedoch von Krankenkassen nur ausnahmsweise bezahlt.<br />
Der erste Termin beim <strong>Physio</strong>therapeuten ist vereinbart, wie geht es nun weiter?<br />
• Am Anfang jeder Therapie steht immer ein Erstgespräch. Hier erstellt der <strong>Physio</strong>therapeut zunächst einen<br />
Befund. Dieser wird dann mit den Eltern besprochen. Es ist wichtig, mit Vater und Mutter immer im<br />
Gespräch zu bleiben, sich regelmäßig auszutauschen. Auch im Laufe der Therapie. Welche Ziele haben<br />
die Eltern? Was wollen sie erreichen? Zum Beispiel: Soll das Kind lernen, besser Treppen zu steigern?<br />
Oder ist die Esssituation schwierig und soll verbessert werden? An dem jeweiligen Ziel arbeiten<br />
dann <strong>Physio</strong>therapeut, Eltern und Kind gemeinsam.<br />
ZVK-Landesverband Baden-Württemberg • Fritz-Walter-Weg 19 • 70372 Stuttgart • Tel. 0711. 925 41 0 • info@physio-verband.de • www.physio-verband.de<br />
Deutscher <strong>Verband</strong> für <strong>Physio</strong>therapie<br />
Zentralverband der <strong>Physio</strong>therapeuten/Krankengymnasten (ZVK) e.V<br />
Landesverband Baden-Württemberg e.V.<br />
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Wie läuft die Beantragung einer Therapie bei der Krankenkasse ab? Was bezahlt die Krankenkasse?<br />
• Direkt bei der Kasse muss die Therapie in der Regel nicht beantragt werden. Die Beantragung läuft<br />
über den behandelnden Arzt. Das heißt: Eltern gehen ganz normal zu ihrem Kinderarzt. Dieser stellt<br />
dann ein Rezept aus, auf dessen Grundlage innerhalb von zehn Tagen mit der ersten Behandlung begonnen<br />
werden muss. Die Kasse bezahlt normalerweise die Therapieform, die vom Arzt verschrieben<br />
wird. Wenn beispielsweise eine Entwicklungsverzögerung vorliegt, bekommt das Kind Bobath oder Vojta.<br />
Die Behandlungskosten werden dann von der Kasse übernommen.<br />
Wie viele Therapiestunden werden in der Regel genehmigt? Müssen nach einer Behandlungseinheit Wartefristen<br />
eingehalten werden, bevor eine weitere Behandlung möglich ist?<br />
• Bei einer Erstverordnung werden zehn Therapieeinheiten verordnet. Je nach Krankheitsbild wird danach<br />
entschieden, ob eine weitere Behandlung notwendig ist oder nicht. Sind Kinder chronisch krank,<br />
bekommen sie eine fortlaufende Verordnung. Bei ansonsten gesunden Kindern, die wegen einer Entwicklungsverzögerung<br />
oder eines Haltungsschadens in Behandlung sind, reichen oft schon zehn Einheiten,<br />
um Besserung erzielen.<br />
Wie lange dauert eine <strong>Physio</strong>therapiesitzung?<br />
• Bei Bobath oder Vojta, dies wird beispielsweise bei einer neurologischen Erkrankung oder einer Entwicklungsverzögerung<br />
verordnet, beträgt die Behandlungsdauer pro Sitzung 30 bis 45 Minuten. Die<br />
normale Krankengymnastik, die bei einer Haltungsschwäche oder Fußfehlstellung angewandt wird,<br />
umfasst 15 bis 25 Minuten pro Therapiesitzung. Und für den Fall, dass der Kinderarzt eine längere Behandlungsdauer<br />
für erforderlich erachtet, kann er ausnahmsweise auch sogenannte Doppelbehandlungen<br />
verordnen.<br />
Wie lang sind die durchschnittlichen Wartezeiten auf einen Therapieplatz?<br />
• Das ist natürlich von <strong>Physio</strong>therapeut zu <strong>Physio</strong>therapeut und von Situation zu Situation unterschiedlich.<br />
Es gibt jedoch immer Fälle, wo ein rascher Therapiebeginn notwendig ist. Unabhängig von den<br />
regulären Wartezeiten, sollten <strong>Physio</strong>therapeuten dies dann auch ermöglichen. Zum Beispiel: Wenn Eltern<br />
bei ihrem drei Monate alten Baby eine asymmetrische Kopfhaltung auffällt, sollten sie auf eine zeitnahe<br />
Behandlung achten und nicht erst zwei Monate warten.<br />
Wie gut sind die Erfolgsaussichten?<br />
• Die Erfolgsaussichten hängen natürlich stark von der jeweiligen Situation und vom jeweiligen Krankheitsbild<br />
ab. Generell gilt, dass <strong>Physio</strong>therapie bei Kindern immer gute Erfolge erzielen kann. In welchem<br />
Ausmaß, kommt immer auf den individuellen Fall an. Beispielsweise kann bei einer degenerativen<br />
Muskelerkrankung natürlich auch mit <strong>Physio</strong>therapie keine Verbesserung erzielt werden. Aber, und<br />
das ist ganz wichtig, <strong>Physio</strong>therapie bietet dem Kind Möglichkeiten, dass die Lebenssituation nicht<br />
noch schlechter wird.<br />
ZVK-Landesverband Baden-Württemberg • Fritz-Walter-Weg 19 • 70372 Stuttgart • Tel. 0711. 925 41 0 • info@physio-verband.de • www.physio-verband.de<br />
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Woran erkennen Eltern, ob ein Therapeut professionell arbeitet?<br />
• Ein guter Therapeut zeichnet sich dadurch aus, dass er stets in enger Kommunikation mit den Eltern<br />
steht. Gemeinsam werden die Behandlungsziele besprochen, in regelmäßigen Abständen wird ein<br />
neuer Befund erstellt. Dabei sind die Ziele nicht starr, sondern werden immer wieder aktualisiert und an<br />
den Therapieablauf und den neuen Befund angepasst. Im Gespräch kann dann beispielsweise auch<br />
geklärt werden, ob das Kind eine zeitlang pausiert und statt der physiotherapeutischen eine ergotherapeutische<br />
Behandlung bekommt. Ein stetiger Austausch, Transparenz in der Behandlung, klare Zielsetzung,<br />
all das sind Kriterien, auf die Eltern achten können. Es ist ganz wichtig, dass der <strong>Physio</strong>therapeut<br />
das Kind und die Eltern in den Mittelpunkt stellt und die Familie in ihrer individuellen Situation<br />
wahrnimmt. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass der <strong>Physio</strong>therapeut eine kindgerechte und<br />
dem jeweiligen Entwicklungsstand angemessene Therapie wählt.<br />
Und was machen Eltern, die keine Möglichkeit haben, ihr Kind in die Praxis zu bringen?<br />
• <strong>Physio</strong>therapeuten können auch zu den Familien nach Hause kommen. Der Kinderarzt hat die Möglichkeit,<br />
einen Hausbesuch verordnen, wenn das Kind aus medizinischen Gründen die Praxis nicht aufsuchen<br />
kann oder wenn aus medizinischen Gründen zwingend notwendig ist, die Behandlung beim<br />
Kind zuhause durchzuführen.<br />
In welchen Fällen ist <strong>Physio</strong>therapie für Kinder sinnvoll?<br />
• Die Bereiche, in denen <strong>Physio</strong>therapie sinnvoll oder gar notwendig ist, sind ganz unterschiedlich. Bei<br />
Säuglingen kommen zum Beispiel Asymmetrien in der Kopfhaltung vor, die man behandeln kann. Oder<br />
auch Fußdeformationen, wie Sichel- oder Klumpfüße. Vielfach werden bei Säuglingen auch in den U-<br />
Untersuchungen Entwicklungsverzögerungen festgestellt. Auch hier kann der Kinderarzt <strong>Physio</strong>therapie<br />
verordnen. Bei Kindern, die als Frühgeborene zur Welt gekommen sind, treten oft Entwicklungsverzögerungen<br />
auf. Der <strong>Physio</strong>therapeut kann mit dem Kind arbeiten und so die weitere Entwicklung fördern.<br />
Ganz besonders wichtig wird <strong>Physio</strong>therapie, wenn Schädigungen aufgrund einer Hirnblutung<br />
aufgetreten sind. Ebenfalls Erfolge erzielt <strong>Physio</strong>therapie bei Kindern mit Down-Syndrom oder einer<br />
Muskelerkrankung. Ein weitere Indikation für eine physiotherapeutische Behandlung kann eine visuelle<br />
Beeinträchtigung sein. Wenn Kinder schlecht sehen oder sogar blind sind, kann das zu einer verminderten<br />
Motorik führen. Mit diesen Kindern übe ich beispielsweise, Treppen zu steigen. Dadurch kann<br />
ich ihnen die Angst vor Bewegung nehmen, so dass sie sich hier nicht einschränken müssen. Weitere<br />
Behandlungsindikationen sind Epilepsien, Haltungsschäden, wie Skoliose oder ein Rundrücken, bei älteren<br />
Kindern Platt-/Knick- oder Senkfüße. Auch bei Asthma oder Mukoviszidose kann <strong>Physio</strong>therapie<br />
helfen.<br />
ZVK-Landesverband Baden-Württemberg • Fritz-Walter-Weg 19 • 70372 Stuttgart • Tel. 0711. 925 41 0 • info@physio-verband.de • www.physio-verband.de<br />
Deutscher <strong>Verband</strong> für <strong>Physio</strong>therapie<br />
Zentralverband der <strong>Physio</strong>therapeuten/Krankengymnasten (ZVK) e.V<br />
Landesverband Baden-Württemberg e.V.<br />
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