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Maischa Lässig<br />
Wahrheit ist eine Frage<br />
der Programmierung<br />
Lügen gehören zum Menschsein; in der Psychologie geht man sogar davon aus, dass sie lebensnotwendig<br />
sind. Mindestens zweimal am Tag tätigen wir bewusst Aussagen, bei denen wir<br />
wissen, dass sie nicht den Tatsachen entsprechen. Nichts anderes sind die sogenannten Fake<br />
News, die spätestens seit dem amerikanischen Wahlkampf für erhebliche Aufregung sorgen;<br />
sie bezeichnen falsche Tatsachenbehauptungen, die vorsätzlich verbreitet werden.<br />
D<br />
och während unsere alltäglichen Lügen sich<br />
hauptsächlich auf das private Umfeld<br />
beziehen, würden Fake News, wie es nun<br />
immer häufiger heißt, eine Bedrohung für die<br />
gesamte Gesellschaft und unsere Demokratie<br />
darstellen. Auch wenn der Begriff Fake News<br />
erst seit Kurzem Eingang in unseren Sprachgebrauch<br />
gefunden hat, gibt es die Verbreitung<br />
von Falschaussagen, um politische Ziele<br />
zu erreichen, seit Ewigkeiten. Man erinnere sich nur an die<br />
Lüge über die Massenvernichtungswaffen, die zum Irak-Krieg<br />
führte oder an die Dolchstoßlegende, mit der die Sozialdemokratie<br />
für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich<br />
gemacht wurde. Und dennoch schürt das Thema Fake News<br />
heute nicht nur unter Politikern und Wissenschaftlern Angst,<br />
wie sich in der aktuellen Debattenlandschaft zeigt. Kritiker<br />
befürchten, dass unsere Willensfreiheit in nie dagewesener<br />
Weise manipuliert und beherrscht werden könnte.<br />
Grund dafür sind die sozialen Netzwerke, die auch als Plattform<br />
für Informationen aller Art fungieren. Das allein scheint<br />
noch keine Gefahr darzustellen, denn welchen Wert wir<br />
solchen Informationen beimessen, bleibt dann doch eine<br />
Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Allerdings<br />
ist anzunehmen, dass ein vergleichsweise neues<br />
Phänomen in der Lage ist, unser Bewusstsein zu überlisten.<br />
Die Rede ist von den sogenannten Bots.<br />
Das Wort stammt von dem englischen Wort robot und<br />
bezeichnet ein Computerprogramm, das selbstständig<br />
Aufgaben übernimmt. Grundsätzlich also eine durchaus<br />
praktische und völlig legitime Funktion. Nachrichtenseiten<br />
nutzen beispielsweise Bots, um ihre Artikel automatisch auch<br />
auf ihren Twitter- oder Facebook-Accounts hochzuladen und<br />
auch künstliche Gegner in Computerspielen funktionieren als<br />
Dem Klima geht es<br />
gut, das zeigen neueste<br />
Zahlen aus Tibet.<br />
Flüchtlinge wollen<br />
bei uns das islamische<br />
Recht einführen.<br />
Davor hab ich Angst.<br />
Bot. Für die momentane Diskussion sind aber besonders die<br />
Social-Bots von Bedeutung. Sie können als vollautomatisierter<br />
Fake-Account im Netz agieren, der den Anschein erweckt, als würde<br />
ein echter Mensch dahinterstecken. Sie sind so programmiert, dass<br />
sie von selbst Inhalte produzieren und mit echten Usern interagieren<br />
können. So kann ein maschinell gesteuerter Account bei politisch<br />
und gesellschaftlich bedeutenden Themenfeldern durch seine<br />
Beiträge Zweifel säen, mit kritischen und gar verurteilenden<br />
Kommentare bestimmte Positionen angreifen und eben auch durch<br />
falsche Informationen andere Nutzer von einem Standpunkt zu<br />
überzeugen suchen. Auf diese Weise können Akteure wie Unternehmen,<br />
Politiker und Parteien Bots einsetzen, um auf die öffentliche<br />
Meinung einzuwirken.<br />
Man mag nun der Ansicht sein, dass solche Vorgänge nicht viel<br />
Einfluss auf die eigene Meinung nehmen könnten. Doch die<br />
Social-Bots agieren selten für sich allein. In den sozialen Netzwerken<br />
sind einzelne automatisierte Accounts über ein Botnetz miteinander<br />
verbunden. Tausende von Bots können, von nur einem Menschen<br />
programmiert, gleiche Aktionen ausführen und interagieren. Werden<br />
Fake-News nun von einer ganzen Heerschar von angeblichen<br />
Nutzern geteilt oder Kritik massenweise geübt, wird es schon viel<br />
eher möglich, die Öffentlichkeit für bestimmte politische Ziele zu<br />
manipulieren. Man würde zwar gerne glauben, dass die eigene<br />
Haltung nicht davon abhängig ist, was andere Personen, besonders<br />
in großer Anzahl, denken, doch meistens passen sich Menschen der<br />
Mehrheit an.<br />
Kann durch Social-Bots nun der Eindruck erweckt werden,<br />
dass zu gewissen Themen gewisse Standpunkte von der Mehrheit<br />
vertreten werden, ist ein manipulativer Effekt definitiv möglich,<br />
dessen wir uns aber nicht einmal bewusst sind. Noch weniger<br />
bewusst sind wir uns derweil darüber, dass es sich womöglich nicht<br />
einmal um eine tatsächliche Mehrheit handelt, sondern nur um eine<br />
maschinell generierte.<br />
Kein Wunder also, dass die Willensfreiheit in sozialen Netzwerken<br />
als gefährdet angesehen wird, denn dass die Verbreitung von Lügen<br />
ein baldiges Ende finden wird, scheint nicht gerade realistisch.