02-2018 Seniorenresidenz Selm
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„Die Gerechtigkeit Gottes ist nichts<br />
anderes als seine Barmherzigkeit,<br />
und die Gerechtigkeit des Christen<br />
nichts anderes als die ihm geschenkte<br />
Gerechtigkeit Jesu Christi, die der<br />
Mensch sich im Glauben zu Eigen<br />
machen darf.<br />
Seite aus der Fécamp Bibel ><br />
Bild: London, British Library,<br />
Yates Thompson 1 (PD)<br />
(PD US-1923) via Wikimedia Commons<br />
DAS STUDIUM DER HEILIGEN SCHRIFT bedeutete für Luther zunächst keineswegs<br />
einfach Hilfe und Trost, sondern wurde vielmehr zur Ursache für seine Anfechtungen,<br />
seine Angst und sein Erschrecken vor Gott. Besondere Not bereitete ihm dabei die<br />
biblische Rede von der „Gerechtigkeit Gottes.“ Wie Donnerschläge empfand er die<br />
Begriffe von der „Gerechtigkeit Gottes“ und dem „Gericht Gottes“. „Die Worte 'gerecht'<br />
und 'Gerechtigkeit Gottes' wirkten auf mein Gewissen wie ein Blitz: hörte ich sie, so<br />
entsetzte ich mich: Ist Gott gerecht, so muss er strafen.“<br />
Er fand die entscheidende Antwort bei Paulus: „Ich war von einer gewiss wunderbaren<br />
Glut ergriffen gewesen, Paulus im Römerbrief zu verstehen; allein dem war bisher<br />
im Wege gestanden ... ein einziges Wort in Kap. 1,17: Die Gerechtigkeit Gottes wird<br />
darin offenbart.“ Ich hasste nämlich dieses Wort 'Gerechtigkeit Gottes', weil ich - nach<br />
Brauch und Gewohnheit aller Kirchenlehrer - unterwiesen worden war, es philosophisch<br />
zu verstehen von einer sogenannten formalen oder aktiven Gerechtigkeit, wonach<br />
Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Ich aber liebte den gerechten<br />
und die Sünder strafenden Gott nicht, ja ich hasste ihn ... So raste ich mit wütendem<br />
und verstörtem Gewissen, und doch schlug ich mich an jener Stelle rücksichtslos mit<br />
Paulus herum, da ich glühend danach lechzte zu wissen, was St. Paulus wollte.<br />
Luther begann, die Gerechtigkeit Gottes verstehen zu lernen als „die Gerechtigkeit,<br />
in der der Gerechte durch Gottes Geschenk lebt, und zwar durch den Glauben“.<br />
Luther bekannte, durch diese Einsicht „fühlte ich mich völlig neu geboren und als wäre<br />
ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies selbst eingetreten.“<br />
So also hat Luther die Bibel gelesen, nicht mit einem allgemeinen, theoretischen<br />
Interesse, sondern mit dem verzweifelten Hilfeschrei und Verlangen eines Ertrinkenden,<br />
der einen Rettungsring sucht und als letzte Hilfe und Hoffnung ergreift. Es ging bei<br />
seinem Suchen und Ringen um das Verstehen der Bibel buchstäblich ums Leben,<br />
um die Errettung vor der Verzweiflung, dem Gericht Gottes und der Hölle.<br />
So, wie Luther es in seinem persönlichsten Lied besingt (EG 341). Hier brauchte ein<br />
Mensch, der dabei war, an seinen eigenen Möglichkeiten zu verzweifeln und zu scheitern,<br />
das befreiende, erlösende, rettende Wort Gottes.<br />
DIESES RETTENDE WORT verdankte Luther vor allem dem beharrlichen und<br />
leidenschaftlichen „Anklopfen“ an der Schrift. „Ich habe meine Theologie nicht auf einmal<br />
gelernt, sondern habe immer tiefer und tiefer hineingraben müssen; dahin haben<br />
mich meine Anfechtungen gebracht ...“. Luther hatte damit die Bedeutung der Bibel für<br />
den Glauben erkannt und eine biblische Theologie entworfen. Aber er hatte zugleich<br />
in der Bibel unter der ganz persönlichen und ganz zentralen Fragestellung nach der<br />
Gerechtigkeit Gottes die Antwort gefunden. Damit hatte er in dem Evangelium von<br />
Jesus Christus die Mitte und das Herz der Bibel wiederentdeckt. Luthers Antwort<br />
lautete: Die Gerechtigkeit Gottes ist nichts anderes als seine Barmherzigkeit, und die<br />
Gerechtigkeit des Christen nichts anderes als die ihm geschenkte Gerechtigkeit Jesu<br />
Christi, die der Mensch sich im Glauben zu eigen machen darf.<br />
Die Rechtfertigungslehre war der Schlüssel, der ihm die ganze Bibel aufschloss und<br />
ihn von seinen Ängsten befreite. Jetzt erst war ihm die Heilige Schrift wirklich zum<br />
Lebensbuch geworden, denn er hatte erkannt, dass die Bibel nicht nur aus Geschichten<br />
und Geboten besteht, sondern dass ihr eigentlicher Inhalt die göttliche Rettungsbotschaft<br />
an den verlorenen Menschen ist.<br />
Dieses Lebenswort hatte Luther nirgends sonst gefunden, weder im entsagungsvollen<br />
mönchischen Leben, noch in den religiösen Hilfestellungen und Praktiken der spätmittelalterlichen<br />
Kirche, auch nicht in der scholastischen Theologie, schon gar nicht in<br />
der antiken Philosophie und Ethik, die der Humanismus wieder ausgegraben hatte.<br />
Aus seiner Glaubenserfahrung heraus wurde für ihn die Heilige Schrift die einzige<br />
rettende Antwort und Quelle des Heils; und deshalb natürlich auch die oberste und<br />
entscheidende Autorität.<br />
Das „sola scriptura“ (allein die Schrift) war für Luther nicht irgendeine theoretische<br />
theologische Aussage, sondern die von tiefer religiöser Erfahrung gesättigte Wirklichkeit:<br />
Hier in der Bibel war zu finden, was er und alle Menschen brauchen, um vor Gott<br />
leben zu können. Die Schrift hatte sich für ihn bewährt, wo alles andere versagt hatte.<br />
Darum hielt sich Luther in allem seinem Tun und Leben fortan an sie, klopfte unbeirrbar<br />
bei ihr an und suchte in allen weiteren Streitfragen in ihr Hilfe, Wegweisung und<br />
Antwort.<br />
DIE BIBEL WURDE FÜR LUTHER das Lebensbuch in einem mehrfachen Sinn:<br />
Sie wurde für ihn das Buch, das ihn - einmal entdeckt - sein ganzes Leben begleitete;<br />
das Buch, das für ihn die Aufgabe seines Lebens wurde, das er zu lehren, zu predigen<br />
und auszulegen hatte; das Buch, das ihn herausforderte, mit dem er rang, das ihn<br />
quälte und unter dem er litt, das ihn Tag und Nacht beschäftigte mit seinen unerbittlichen<br />
Forderungen und herrlichen Verheißungen; das für ihn im eigentlichen und ganz<br />
persönlichen Sinn das Buch des Lebens wurde, weil es ihm mit seiner froh und frei<br />
machenden Botschaft das wahre Leben eröffnete und vermittelte, das Buch, das ihn<br />
zum Leben führte.<br />
Text: Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern www.sonntagsblatt.de<br />
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