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Hier können Sie die Ausgabe der EINBLICKE für das Wintersemester 2018 Initiates file downloaderhalten. In dieser Ausgabe ist der Hauptbeitrag von Eva Welskop-Deffaa, die zum Thema Armut schreibt. In ihrem Beitrag beschreibt sie die "Verteufelskreisung" von Armut und Ausgrenzung und skizziert einige mögliche Lösungsansätze. Studierende können jederzeit ein Exemplar in der Bibliothek und im Postfachraum mitnehmen. Wir freuen uns auf Ihre Leserbriefe!

Hier können Sie die Ausgabe der EINBLICKE für das Wintersemester 2018 Initiates file downloaderhalten. In dieser Ausgabe ist der Hauptbeitrag von Eva Welskop-Deffaa, die zum Thema Armut schreibt. In ihrem Beitrag beschreibt sie die "Verteufelskreisung" von Armut und Ausgrenzung und skizziert einige mögliche Lösungsansätze. Studierende können jederzeit ein Exemplar in der Bibliothek und im Postfachraum mitnehmen. Wir freuen uns auf Ihre Leserbriefe!

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ihre Existenz bedroht ist, weil sie etwa nicht über ausreichend<br />

Lebensmittel verfügen oder diese verunreinigt sind, weil sie sich<br />

keine Medikamente gegen lebensbedrohliche Krankheiten leisten<br />

können, weil sie keine Kleidung und Unterkunft haben, die ausreichend<br />

Schutz vor äußeren Einflüssen bietet. Häufig hört man, dass<br />

absolute Formen der Armut in Deutschland nicht vorkommen, da<br />

durch Leistungen des Sozialstaates die körperliche und gesundheitliche<br />

Existenz von Menschen gesichert ist. In der Sozialer Arbeit<br />

dürfen wir uns mit dieser oberflächlichen Einschätzung nicht<br />

zufriedengeben, sondern wir müssen damit rechnen, dass auch<br />

in unserer Gesellschaft Menschen in Lebenssituationen absoluter<br />

Armut geraten können.<br />

Meike Günther: Ich denke hierbei etwa an individualisierte<br />

und kranke alte Menschen, die sich nicht mehr selbst versorgen<br />

können und nicht die Kraft aufbringen, Hilfe zu organisieren; an<br />

Kinder, deren Eltern mit starken Problemen behaftet sind und<br />

deshalb das körperliche und psychische Wohl ihrer Kinder nicht<br />

aufrechterhalten können; an Zuwanderer, die sich in Dunkelfeldern<br />

aufhalten und es nicht wagen, sich bei Krankheit an Versorgungsinstitutionen<br />

zu wenden; Menschen, die ohne Obdach auf der<br />

Straße leben … Die Soziale Arbeit entwickelt dafür Sensibilität<br />

und richtet ihren Blick auf häufig verdeckte Fälle absoluter Armut<br />

innerhalb der Wohlstandsgesellschaft.<br />

Armut ist sicherlich kein rein deskriptiver Begriff,<br />

sondern (zum großen Teil) ein normativer Begriff:<br />

Wenn von Armut nicht nur abstrakt gesprochen wird,<br />

sondern wenn Personen Armut zugeschrieben wird,<br />

was wird noch über sie stillschweigend ausgesagt?<br />

Wurtzbacher: Armut ist immer ein normativer Begriff. Selbst<br />

die ‚absolute‘ Armutsgrenze, die die lokale Kaufkraft umfasst,<br />

über die ein Mensch verfügen muss, um sich die Dinge leisten zu<br />

können, die er zum körperlichen Überleben braucht (Ernährung,<br />

Behausung etc.), bleibt letztlich eine durch wissenschaftliche<br />

Forschungsergebnisse gestützte normative Setzung. Durchgesetzt<br />

hat sich hier die Definition der Weltbank, die einen Betrag von<br />

1,90 $ (kaufkraftparitätisch) als absolute Armutsgrenze postuliert.<br />

Auch der in den entwickelten Staaten allgemein anerkannte<br />

relative Armutsindikator von 60 % des mittleren Einkommens ist<br />

keine rein objektive Größe. Es gibt zwar wissenschaftlich sehr gute<br />

Gründe, diese Grenze zu ziehen, es bleibt jedoch immer auch ein<br />

sozialpolitischer Konsens, der durchaus auch angreifbar ist. Auch<br />

das Berechnungsverfahren für den Regelsatz des soziokulturellen<br />

Existenzminimums, das so genannte Statistikverfahren, beruht auf<br />

normativen Vorannahmen.<br />

Grundsätzlich wird Armut häufig nur auf den indirekten Indikator<br />

der Einkommensarmut reduziert – auch deshalb, weil<br />

diese empirisch am einfachsten zu erheben ist und weil Geld<br />

bei uns nun mal in der Lage ist, sehr viele gesellschaftliche<br />

Teilhabemöglichkeiten aufzuschließen. Dennoch ist Armut ein<br />

sehr vielschichtiges Geschehen, das zahlreiche Dimensionen des<br />

Lebens umfasst – von der Bildung über die Gesundheits- und<br />

Wohnungssituation bis hin zur kulturellen und politischen Teilhabe.<br />

In all diesen Dimensionen zeigt sich, dass die Beteiligung nicht<br />

zuletzt von der ökonomischen Situation von Menschen abhängig<br />

ist. Dies rechtfertigt durchaus die hohe Bedeutung des Indikators<br />

„Einkommensarmut“.<br />

Schubert: Tatsächlich spielt ökonomisches Kapital oder Einkommen<br />

eine entscheidende Bedeutung für die Definition von Armut.<br />

Aber: Auch ökonomisch gut ausgestattete Menschen können<br />

in mancher Hinsicht „arm“ sein. Einkommensarmut ist in vielen<br />

Fällen ein viel zu unspezifisches Kriterium zur Erfassung von<br />

Armut. Deshalb hat sich in der Armutsforschung der Lebenslagenansatz<br />

entwickelt, der Armut in unterschiedlichen Dimensionen<br />

untersucht. Die Erforschung von Kinderarmut durch die AWO-ISS-<br />

Studien, wie sie von Gerda Holz initiiert werden, unterscheidet<br />

z. B. zwischen materieller, kultureller, sozialer und gesundheitlicher<br />

Armut. Kinder können in Familien mit ausreichend ökonomischem<br />

Kapital aufwachsen, aber als kulturell „arm“ bezeichnet werden,<br />

weil sie in den Familien keine Bildungsangebote erhalten, nur mit<br />

Bildschirmen versorgt sind, die Eltern aber keine Zeit für Spiele,<br />

für Gespräche, zum Vorlesen, für Ausflüge usw. haben. Kinder<br />

können als sozial „arm“ gelten, wenn sie von Eltern und Peers<br />

keine emotionale Zuwendung erfahren, wenn Eltern etwa im<br />

Zeitalter des Narzissmus ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund<br />

stellen und Kinder als soziale Last empfinden. Kinder<br />

können schließlich als gesundheitlich „arm“ gelten, wenn sie<br />

zwar mit großen Mengen, aber nicht gesundheitsfördernden Nahrungsmitteln<br />

ausgestattet werden, wenn sie keine Gelegenheiten<br />

zur körperlichen Aktivität bekommen und deshalb körperliche<br />

Probleme entwickeln. Das Wohlergehen von Kindern ist in unserer<br />

Gesellschaft in vielen Fällen nicht durch ökonomische Armut,<br />

sondern durch soziale, kulturelle und gesundheitliche Unterversorgungen<br />

gefährdet.<br />

Günther: Darüber hinaus sind die sozialpolitischen Diskussionen<br />

voll von Zuschreibungen hinsichtlich der Verantwortung für die<br />

Armutslage. Es gibt eine historisch sehr weit zurückreichende<br />

Tradition der Verächtlichmachung von armen Menschen – als<br />

Unterschicht, Sozialhilfeadel oder Bewohner der sozialen ‚Hängematte‘<br />

–, in der immer der Vorwurf mitschwingt, dass Menschen<br />

durch mangelnde Initiative und Tatkraft an ihrer Situation selbst<br />

schuld sind. Dagegen gibt es einen Strang der Debatte, der hauptsächlich<br />

strukturelle Wandlungsprozesse – der Arbeitsmärke, der<br />

sozialen Sicherungssysteme oder der Wirtschaftsstrukturen – für<br />

das Ausmaß von Armut verantwortlich machen.<br />

Schubert: Ja, es gibt die Tendenz zu einer Individualisierung<br />

und Moralisierung von Armut. Armut wird in manchen Diskursen<br />

der Öffentlichkeit den Individuen zugeschrieben, obwohl<br />

gesellschaftliche Strukturen für die Armut einzelner verantwortlich<br />

sind. So finden z. B. häufig ältere Arbeitnehmer nach einem<br />

Arbeitsplatzverlust keine neue Arbeitsstelle und werden in<br />

der Gruppe der Langzeitarbeitslosen exkludiert und strukturell<br />

positioniert.

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